Kapitel fünf

Einige Straßen entfernt hing Sonnenbraun in einem Tunnel an vier Bindfäden, die an seinen Gurten befestigt waren. Die anderen Enden dieser vier Bindfäden waren an einem Stock verknotet, der wie eine Wippe auf dem Rücken einer sehr dicken Ratte ruhte. Zwei weitere Ratten saßen rechts und links auf dieser Wippe, einige andere Ratten steuerten die Vorrichtung.

Sonnenbraun hing dicht über den Zähnen einer großen, stählernen Falle, die den ganzen Tunnel ausfüllte.

Er quiekte das Signal zum Anhalten. Die Stange vibrierte ein wenig unter seinem Gewicht. »Ich bin jetzt direkt über dem Käse«, sagte er. »Riecht nach Blauader aus Lancre, extra würzig. Wurde nicht angerührt. Scheint ziemlich alt zu sein. Bringt mich etwa zwei Pfoten näher.«*

Die Stange zitterte, als sich die dicke Ratte bewegte.
»Vorsichtig, Chef«, sagte eine der jüngeren Ratten, die hinter den Fallenbeseitigern im Tunnel wartete.

Sonnenbraun brummte und blickte auf die Metallzähne dicht vor seiner Nase. Er zog ein kurzes Holzstück aus einem seiner Gürtel; an das eine Ende war ein kleines Spiegelstück geklebt.

»Ihr dort, bringt die Kerze dorthin«, sagte er. »Gut so. In Ordnung. Mal sehen…« Er schob den Spiegel an den Zähnen vorbei und drehte ihn
* Ein Rattenmaß. Entspricht etwa einem Zoll oder zweieinhalb Zentimetern.

langsam. »Ah, wie ich mir dachte… Es ist ein Kleiner Schnapper von Prattlich & Jauli. Ein altes Modell Drei, aber mit einer zusätzlichen Sicherung. Dieses Ding hat einen weiten Weg hinter sich. Na schön. Mit den Kleinen Schnappern kennen wir uns aus. Es gibt Käse zum Tee, Jungs!«

Die Zuschauer lachten nervös. »Oh, die sind leicht…«, erklang eine leise Stimme.
»Wer hat das gesagt?«, fragte Sonnenbraun scharf.

Stille herrschte. Sonnenbraun drehte den Kopf und stellte fest, dass die jungen Ratten beiseite getreten waren – eine von ihnen stand sehr, sehr allein da.

»Ah, Nahrhaft«, sagte Sonnenbraun und wandte sich wieder dem Auslöser der Falle zu. »Leicht, wie? Freut mich zu hören. Dann kannst du uns zeigen, wie’s gemacht wird.«

»Äh, als ich leicht sagte…«, begann Nahrhaft. »Ich meine, In Salzlake zeigte es mir an der Übungsfalle, und er meinte…«

»Keine falsche Bescheidenheit«, sagte Sonnenbraun, und in seinen Augen funkelte es. »Es ist alles so weit. Ich sehe einfach zu. Du legst die Gurte an und übernimmst.«

»Aber, aber, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, ich konnte nicht sehr gut sehen, als er es uns zeigte, und, und, und…«
»Na schön«, sagte Sonnenbraun. »Was hältst du davon, wenn ich an der Falle arbeite?«

Nahrhaft wirkte sehr erleichtert.
»Und du sagst mir, was ich tun soll«, fügte Sonnenbraun hinzu. »Äh…«, begann Nahrhaft und sah jetzt wie eine Ratte aus, die bereit

war, sich schnell der Pinkelgruppe hinzuzugesellen.
»Ausgezeichnet«, sagte Sonnenbraun. Vorsichtig steckte er den Spiegel

ein und holte eine Metallstange hervor. Damit schlug er behutsam an die Falle. Beim Geräusch von Metall auf Metall zuckte Nahrhaft zusammen. »Nun, was haben wir hier… Oh, ja, einen Hebel und eine kleine Feder und einen Haken. Was soll ich jetzt machen, Fräulein Nahrhaft?«

»Äh, äh, äh«, stotterte Nahrhaft.

»Hier knarrt was, Fräulein Nahrhaft«, kam Sonnenbrauns Stimme aus den Tiefen der Falle.
»Äh, man schiebt das Dingsbums…«
»Welches Dingsbums meinst du, Fräulein Nahrhaft? Lass dir nur Zeit,

huch, dieses Metallstück wackelt, aber ich möchte dich nicht drängen…« »Man schiebt das, äh, Dingsbums, äh, das Dingsbums… äh…« Nahrhafts Augen rollten.

»Vielleicht meinst du dies SCHNAPP argh argh argh…«
Nahrhaft fiel in Ohnmacht.
Sonnenbraun streifte die Gurte ab und sprang auf die Falle. »Alles klar«,

sagte er. »Ich habe sie gesichert. Sie kann jetzt nicht zuschnappen. Ihr dort – zieht das Ding aus dem Weg.« Er kehrte zur Gruppe zurück und ließ einen Klumpen haarigen Käse auf Nahrhafts zitternden Bauch fallen. »Bei der Fallenbeseitigung kommt es auf Präzision an. Entweder ist man präzise oder tot. Die zweite Maus bekommt den Käse.« Sonnenbraun schnüffelte. »Wenn Menschen hierher kämen, hätten sie kaum einen Zweifel daran, dass es hier jetzt Ratten gibt…«

Die anderen jungen Fallenbeseitiger lachten das nervöse Lachen von Schülern, die gesehen haben, wie jemand die Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich zog, und die froh darüber sind, dass es nicht sie getroffen hat.

Sonnenbraun entfaltete ein Stück Papier. Er war eine Ratte der Tat, und die Vorstellung, dass man die Welt auf einige kleine Zeichen reduzieren konnte, beunruhigte ihn ein wenig. Wenn er Bilder von einer Tunnelanordnung zeichnete, so erinnerte sich das Papier. Es ließ sich nicht von neuen Gerüchen verwirren. Andere Ratten, die zu lesen verstanden, konnten in ihren Köpfen das sehen, was der Zeichner gesehen hatte.

Sonnenbraun hatte Karten gefunden. Er zeichnete die Welt.

»Erstaunlich, diese neue Technik«, sagte er. »Nun… hier ist eine Kennzeichnung für Gift, zwei Tunnel hinter uns. Hast du dich darum gekümmert, In Salzlake?«

»Hab es vergraben und darauf gepinkelt«, sagte In Salzlake, Sonnenbrauns Stellvertreter. »Es war das graue Gift Nummer 2.«

»Gut gemacht«, erwiderte Sonnenbraun. »Scheußliches Zeug.« »Es lagen tote Kiekies in der Nähe.«

»Kann ich mir denken. Für das graue Gift Nummer 2 gibt es kein Gegenmittel.«
»Wir haben auch Schalen mit Nummer 1 und Nummer 3 gefunden«, sagte In Salzlake. »Viele von ihnen.«

»Das Gift Nummer 1 kann man überleben, wenn man vernünftig ist«, meinte Sonnenbraun. »Denkt daran, ihr alle. Und solltet ihr jemals vom Gift Nummer 3 fressen – wir haben einige Mittel, die euch helfen. Ihr werdet überleben, auch wenn ihr euch ein oder zwei Tage lang wünscht, tot zu sein…«

»Wir haben wirklich viel Gift gefunden, Sonnenbraun«, sagte In Salzlake nervös. »Mehr als jemals zuvor. Und überall liegen Rattenknochen.«

»Ein wichtiger Rat für eure Sicherheit«, verkündete Sonnenbraun und ging durch einen neuen Tunnel. »Fresst keine tote Ratte, wenn ihr nicht wisst, woran sie gestorben ist. Sonst riskiert ihr, ebenfalls daran zu sterben.«

»Gefährliche Bohnen meint, wir sollten überhaupt keine Ratten fressen«, sagte In Salzlake.

»Ja, nun, mag sein«, erwiderte Sonnenbraun. »Aber draußen in den Tunneln muss man praktisch denken. Man vergeudet keine Nahrung. Und jemand soll Nahrhaft wecken!«

»Viel Gift«, betonte In Salzlake noch einmal, als die Gruppe weiterzog. »Die Menschen hier scheinen Ratten wirklich zu hassen

Sonnenbraun antwortete nicht. Er sah, dass die Ratten bereits nervös wurden. Der Duft von Furcht breitete sich aus. Nie zuvor waren sie auf so viel Gift gestoßen. Normalerweise ließ sich Sonnenbraun nicht beunruhigen, aber diesmal fühlte auch er sich von Sorge erfasst, und das gefiel ihm ganz und gar nicht.

Eine kleine, atemlose Ratte lief durch den Tunnel und duckte sich vor ihm.

»Niere, Chef, dritter Trupp der Schweren Pinkler«, keuchte sie. »Wir haben eine Falle gefunden, Chef! Nicht von der üblichen Art! Es hat Frisch erwischt! Bitte komm!«
Es lag viel Stroh auf dem Boden über den Ställen, und die Wärme, die von den Pferden weiter unten aufstieg, machte diesen Ort recht gemütlich.

Keith lag auf dem Rücken, blickte zur Decke hoch und summte leise vor sich hin. Maurice beobachtete sein Mittagessen, dessen Nase zuckte.

Bis zum Sprung sah Maurice wie eine schlanke Tötungsmaschine aus. Beim Sprung selbst aber verlor er jede Eleganz. Sein Hinterteil kam nach oben, wackelte immer schneller von einer Seite zur anderen, der Schwanz zuckte wie eine Schlange durch die Luft, und dann sauste er nach vorn mit ausgestreckten Krallen…

»Quiek!«

»Na schön, hier ist mein Angebot«, sagte Maurice zu dem zitternden Ball in seinen Klauen. »Du brauchst nur etwas zu sagen. Irgendetwas. Zum Beispiel ›Lass mich los‹ oder auch ›Hilfe‹. Quiek genügt nicht, tut mir Leid. Es ist nur ein Geräusch. Bitte mich einfach, und ich lasse dich los. Niemand kann sagen, dass ich in dieser Hinsicht keine hohe Moral habe.«

»Quiek!«, quiekte die Maus.

»In Ordnung«, sagte Maurice und tötete sie. Er trug sie in die Ecke, in der Keith im Stroh saß und ein Wurstbrot aß.
»Die Maus konnte nicht sprechen«, sagte Maurice hastig.

»Ich habe dich nicht gefragt«, erwiderte Keith.

»Ich meine, ich habe ihr eine Chance gegeben«, erklärte Maurice. »Du hast mich gehört. Sie brauchte nur zu sagen, dass sie nicht gefressen werden wollte.«

»Gut.«

»Für dich ist alles viel leichter. Ich meine, du brauchst nicht zu versuchen, mit deinem Wurstbrot zu sprechen«, sagte Maurice, und es klang so, als belastete ihn etwas.

»Ich wüsste gar nicht, was ich einem Wurstbrot sagen sollte«, sagte Keith.

»Und ich möchte darauf hinweisen, dass ich auch nicht mit ihr gespielt habe«, fuhr Maurice fort. »Ein Hieb mit diesen Krallen, und es hieß: ›Das war’s, mehr steht in Ihrem Testament nicht geschrieben‹ äh, was natürlich nicht heißen soll, dass die Maus schreiben konnte, ich meine, sie war in keiner Weise intelligent.«

»Ich glaube dir«, sagte Keith.
»Sie hatte keine Schmerzen«, fügte Maurice hinzu.
Irgendwo in einer nahen Straße ertönte ein Schrei, gefolgt von

Geräuschen, die auf zerbrechendes Geschirr hindeuteten. Während der letzten halben Stunde hatten sie davon recht viel gehört.

»Die Jungs scheinen noch bei der Arbeit zu sein«, sagte Maurice und trug die tote Maus hinter einen Heuhaufen. »Die besten Schreie erklingen, wenn Sardinen über einen Tisch stepptanzt.«

Die Stalltür öffnete sich. Ein Mann kam herein, legte zwei Pferden das Geschirr an und führte sie hinaus. Kurz darauf hörten sie, wie eine Kutsche vom Hof rollte.

Wenige Sekunden später klopfte es unten dreimal, dann wieder – und dann noch einmal. Schließlich fragte Malizia: »Seid ihr da oben oder nicht?«

Keith kroch aus dem Heu und sah nach unten. »Ja, wir sind hier«, sagte er.
»Habt ihr das geheime Klopfen nicht gehört?« Malizia blickte verärgert nach oben.
»Es klang nicht nach einem geheimen Klopfen«, sagte Maurice mit vollem Mund.
»War das die Stimme von Maurice?«, fragte Malizia misstrauisch. »Ja«, bestätigte Keith. »Bitte entschuldige ihn, er frisst gerade jemanden.«

Maurice schluckte schnell. »Es ist nicht jemand!«, zischte er. »Eine Maus ist nur jemand, wenn sie sprechen kann. Sonst ist sie einfach nur Nahrung!«

»Es war ein geheimes Klopfen!«, sagte Malizia scharf. »Mit solchen Dingen kenne ich mich aus! Und ihr müsst auf das geheime Klopfen antworten!«

»Aber wenn jemand an die Tür klopft, nur so, aus lauter

Ausgelassenheit, und wenn wir dann zurückklopfen…«, sagte Maurice. »Was sollen die Leute hier oben vermuten? Vielleicht einen sehr schweren Käfer?«

Erstaunlicherweise schwieg Malizia einige Sekunden. »Guter Hinweis«, sagte sie dann. »Na schön. Ich rufe erst: ›Ich bin’s, Malizia‹, und dann gebe ich das geheime Klopfzeichen, und ihr könnt es erwidern, weil ihr wisst, dass ich es bin. In Ordnung?«

»Warum sagen wir nicht einfach ›Hallo, wir sind hier oben‹?«, fragte Keith unschuldig.

Malizia seufzte. »Hast du überhaupt keinen Sinn fürs Dramatische? Nun, mein Vater ist fort, um im Rathaus mit den anderen Stadträten zu sprechen. Er meint, das mit dem Geschirr war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt!«

»Das Geschirr?«, fragte Maurice. »Hast du ihm von Sardinen erzählt?«

»Ich musste sagen, dass mich eine große Ratte erschreckt hat, als sie versuchte, an der Anrichte emporzuklettern und zu entkommen«, erwiderte Malizia.

»Du hast gelogen?«

»Ich habe nur eine Geschichte erzählt«, sagte Malizia ruhig. »Noch dazu eine gute. Sie klang viel wahrer als die Wahrheit. Eine Stepp tanzende Ratte? Außerdem war mein Vater nicht sehr interessiert, denn heute gab es viele Klagen. Eure zahmen Ratten schaffen ziemliche Unruhe. Ihr könnt zufrieden sein.«

»Es sind nicht unsere Ratten«, sagte Keith. »Es sind ihre Ratten.« »Und sie arbeiten immer schnell«, fügte Maurice stolz hinzu. »Sie machen keinen Unsinn, wenn es darum geht, äh, Unsinn zu machen.«

»Eine Stadt, in die wir im letzten Monat kamen, begann schon am nächsten Tag, einen magischen Flötenspieler zu suchen«, sagte Keith. »Das war das Werk von Sardinen.«

»Mein Vater hat gewettert und dann nach Blunnich und Spottel schicken lassen«, meinte Malizia. »Das sind die beiden Rattenfänger! Und wisst ihr, was das bedeutet?«

Maurice und Keith wechselten einen Blick. »Tun wir so, als wüssten wir es nicht«, sagte die Katze.

»Es bedeutet, dass wir in ihren Schuppen einbrechen und das Rätsel der falschen Rattenschwänze lösen können!« Malizia bedachte Maurice mit einem kritischen Blick. »Natürlich sollten wir eigentlich vier Kinder und ein Hund sein, das ist die richtige Anzahl für ein Abenteuer, aber wir müssen es eben mit dem schaffen, was wir haben.«

»He, wir stehlen nur von Regierungen«, sagte Maurice.
»Äh, natürlich nur von Regierungen, die nicht die Väter von Leuten sind«, fügte Keith hinzu.

»Und?«, fragte Malizia und sah Keith seltsam an.
»Deshalb sind wir noch lange keine Verbrecher!«, sagte Maurice. »Ah, aber wenn wir Beweise haben, können wir sie dem Stadtrat zeigen,

und dann sind wir keine Kriminellen mehr, sondern Helden«, sagte Malizia mit müder Geduld. »Natürlich könnte es auch sein, dass Stadtrat, Wächter und Rattenfänger unter einer Decke stecken, deshalb sollten wir niemandem trauen. Lieber Himmel, habt ihr denn nie ein Buch gelesen? Es wird bald dunkel. Ich komme hierher und hole euch ab, und dann können wir das dicke Ding knacken.«

»Können wir das?«, fragte Keith.
»Ja, mit einer Haarnadel«, sagte Malizia. »Ich weiß, dass es möglich ist, denn ich habe hundertmal davon gelesen.«
»Was für ein dickes Ding meinst du?«, fragte Maurice.
»Ein dickes«, antwortete Malizia. »Das macht es natürlich einfacher.«

Sie drehte sich abrupt um und lief aus dem Stall.
»Maurice?«, fragte Keith.
»Ja?«, erwiderte die Katze.
»Was ist ein dickes Ding? Und wie knackt man es?«
»Keine Ahnung. Vielleicht meint sie ein Schloss.«
»Aber du hast gesagt…«
»Ja, aber ich habe nur versucht, sie reden zu lassen, um zu verhindern,

dass sie auf dumme Gedanken kommt«, sagte Maurice. »Sie hat sie nicht mehr alle, wenn du mich fragst. Sie ist wie… wie eine Schauspielerin. Du weißt schon. Wie jemand, der die ganze Zeit über eine Rolle spielt. Sie lebt überhaupt nicht in der wirklichen Welt. Für sie ist alles eine große Geschichte. In dieser Hinsicht ähnelt sie Gefährliche Bohnen. Eine sehr gefährliche Person, meiner Meinung nach.«

»Er ist eine sehr freundliche und nachdenkliche Ratte!«

»Ah, ja, aber das Problem ist, dass er glaubt, alle wären wie er. Solche Leute bringen einen in Schwierigkeiten, Junge. Und was Malizia betrifft: Sie glaubt, das Leben funktioniert wie ein Märchen.«

»Nun, das ist harmlos, oder?«, fragte Keith.
»Ja, aber wenn in einem Märchen jemand stirbt… so ist es nur ein Wort.«

Der dritte Trupp der Schweren Pinkler genehmigte sich eine Pause – ihm war ohnehin die Munition ausgegangen. Niemand von ihnen wollte an der Falle vorbei zur Wand gehen, an der Wasser herabrann. Und niemand wollte das betrachten, was in der Falle lag.

»Armer alter Frisch«, sagte eine Ratte. »Er war eine gute Ratte.« »Hätte besser aufpassen sollen, wohin er ging«, meinte eine andere Ratte.
»Glaubte, alles zu wissen«, warf eine dritte Ratte ein. »Eine anständige Ratte. Obgleich er ein wenig roch.«

»Wir sollten ihn besser aus der Falle holen«, sagte die erste Ratte. »Scheint nicht richtig zu sein, ihn dort liegen zu lassen.«
»Ja. Zumal wir Hunger haben.«

Eine Ratte sagte: »Gefährliche Bohnen meint, wir sollten keine Ratten fressen.«

Eine andere Ratte entgegnete: »Nein, wir sollen keine Ratten fressen, von denen wir nicht wissen, woran sie gestorben sind. Weil sie vergiftet sein könnten.«

Eine dritte Ratte sagte: »Und wir wissen, woran er gestorben ist. Er starb an Zerquetschung. Und so was ist nicht ansteckend.«
Sie sahen zum verstorbenen Frisch.

»Was passiert mit einem, wenn man tot ist?«, fragte eine Ratte langsam.

»Man wird gefressen. Oder man vertrocknet. Oder man wird schimmelig.«
»Was, alles
»Meistens bleiben die Füße übrig.«
Die Ratte, von der die Frage stammte, sagte: »Aber was ist mit dem Teil

im Innern?«
Und die Ratte, die die Füße erwähnt hatte, sagte: »Oh, du meinst das grüne wabbelige Teil? Das rührt man besser nicht an. Schmeckt grässlich

»Nein, ich meine das Teil innen drin, das man selbst ist. Wohin verschwindet das
»Tut mir Leid, da komme ich nicht ganz mit.«

»Nun, ich meine… du weißt schon, wie… Träume?«
Die Ratten nickten. Über Träume wussten sie Bescheid. Träume waren ein großer Schock gewesen.

»Wenn man in Träumen von Hunden verfolgt wird oder fliegt oder so… Wer macht das? Der Körper nicht, denn er schläft. Es muss also etwas Unsichtbares geben, das in uns steckt. Und tot zu sein ist wie schlafen, nicht wahr?«

»Nicht genau wie schlafen«, erwiderte eine Ratte unsicher und sah zu dem recht flachen Körper, der einmal den Namen Frisch getragen hatte. »Beim Schlafen gibt es nicht so viel Blut, und es stehen auch keine Dinge hervor. Und man erwacht wieder.«

»Nun«, sagte die Ratte, die auf den unsichtbaren Teil zu sprechen gekommen war, »wenn man erwacht, wohin verschwindet dann der träumende Teil? Wenn man stirbt… Wohin verschwindet dann das Etwas, das in einem ist?«

»Was, das grüne wabbelige Stück?«
»Nein! Das Stück, das hinter den Augen ist!«
»Meinst du das rosarote und graue Zeug?«
»Nein! Ich meine das unsichtbare Etwas!«

»Woher soll ich das wissen? Ich habe nie ein unsichtbares Etwas gesehen!«
Alle Ratten blickten zu Frisch.
»Es gefällt mir nicht, über so etwas zu reden«, sagte eine von ihnen. »Es erinnert mich an die Schatten im Kerzenlicht.«

Eine andere Ratte meinte: »Habt ihr von der Knochenratte gehört? Es heißt, sie kommt und holt einen, wenn man tot ist.«

»Es heißt, es heißt«, brummte ein Ratte. »Es heißt, es gäbe eine Große Unterirdische Ratte, die alles geschaffen hat. Auch die Menschen? Sie muss es wirklich auf uns abgesehen haben, wenn sie auch die Menschen geschaffen hat! Na?«

»Was weiß ich? Vielleicht wurden die Menschen von einem Großen Menschen erschaffen.«
»Ach, das ist doch dumm«, sagte die skeptische Ratte, die Tomate hieß.

»Na schön, aber du musst zugeben, dass alles nicht einfach so erschienen sein kann. Es muss einen Grund geben. Und Gefährliche Bohnen meint, dass es Dinge gibt, die wir tun sollten, weil sie richtig sind. Aber wer entscheidet, was richtig ist? Woher kommen ›richtig‹ und ›falsch‹? Es heißt, wenn man eine gute Ratte gewesen ist, hat die Große Ratte vielleicht einen Tunnel voller Leckereien vorbereitet, zu dem einen die Knochenratte bringt…«

»Aber Frisch ist noch hier. Und ich habe keine Knochenratte gesehen!« »Aber es heißt, nur der sieht es, den sie holen soll.«
»Oh, oh«, sagte eine andere Ratte, deren Nervosität an verrückten

Sarkasmus grenzte. »Und wie sehen die Toten die Knochenratte, hm? Kannst du mir das erklären? Das Leben ist schon schwer genug, auch ohne unsichtbare Dinge, die man nicht sehen kann!«

»Na schön, was ist hier los?«
Die Ratten drehten sich um und waren sehr erleichtert, als sie sahen, dass sich Sonnenbraun näherte.

Sonnenbraun eilte an ihnen vorbei. Er hatte Nahrhaft mitgebracht. Ein Mitglied seiner Gruppe, so meinte er, konnte nie früh genug sehen, was mit Leuten geschah, die Fehler machten. »Ich verstehe«, sagte er und sah zu der Falle. Traurig schüttelte er den Kopf. »Was sage ich euch immer wieder?«

»Dass wir durch keine Tunnel gehen sollen, die noch nicht markiert sind, Chef«, sagte Tomate. »Aber Frisch… Er ist, äh, er war nie ein guter Zuhörer. Und er wollte keine Zeit verlieren, Chef.«

Sonnenbraun untersuchte die Falle und versuchte, weiterhin Entschlossenheit und Zuversicht auszudrücken. Es fiel ihm schwer. Eine solche Falle sah er zum ersten Mal. Sie sah sehr scheußlich aus: kein Hacker, sondern ein Quetscher. Und sie war dort aufgestellt worden, wo eine Ratte, die das Wasser erreichen wollte, auf den Auslöser trat.

»Jetzt kann er nicht mehr zuhören, das steht fest«, sagte Sonnenbraun. »Das Gesicht erscheint mir vertraut. Abgesehen von den hervorquellenden Augen und der ausgestreckten Zunge, meine ich.«

»Äh, heute Morgen, als wir angetreten sind, hast du einige Worte an Frisch gerichtet«, ließ sich eine Ratte vernehmen. »Du hast ihm gesagt, seine Mutter hätte ihn dazu erzogen, ein guter Pinkler zu sein, Chef.«

Sonnenbrauns Miene blieb ausdruckslos. Nach einigen Sekunden sagte er: »Wir müssen weiter. Überall finden wir Fallen. Wir kommen später zu euch zurück. Niemand geht durch den Tunnel dort, klar? Ich möchte ein ›Ja, Sonnenbraun‹ hören!«

»Ja, Sonnenbraun«, erwiderten die Ratten.

»Und einer von euch hält Wache«, sagte Sonnenbraun. »In dem Tunnel könnte es noch mehr Fallen geben.«
»Was sollen wir mit Frisch machen, Chef?«, fragte Tomate.

»Esst nicht das wabbelige grüne Ding«, sagte Sonnenbraun und eilte fort.

Fallen!, dachte er. Es gab zu viele davon. Und zu viel Gift. Selbst die erfahrenen Mitglieder seiner Gruppe wurden nervös. Es gefiel Sonnenbraun nicht, auf unbekannte Dinge zu stoßen. Unbekannte Dinge wurden zu bekannten Dingen, wenn sie einen töteten.

Die Ratten breiteten sich unter der Stadt aus und mussten feststellen: Dieser Ort unterschied sich von allen anderen Orten, die sie jemals besucht hatten. Hier schien alles eine einzige riesige Falle zu sein. Sie hatten keine überlebenden Kiekies gefunden, nicht eine einzige. Das war nicht normal. Überall gab es Ratten. Wo Menschen lebten, lebten auch Ratten.

Außerdem verbrachten die jungen Ratten zu viel Zeit damit, über… Dinge nachzudenken. Über Dinge, die man nicht sehen oder riechen konnte. Über Schattendinge. Sonnenbraun schüttelte den Kopf. In den Tunneln gab es keinen Platz für solche Gedanken. Das Leben war real und praktisch. Man konnte das Leben sehr schnell verlieren, wenn man nicht aufpasste…

Er bemerkte, wie sich Nahrhaft umsah und schnupperte, als sie an einem Rohr entlanggingen.

»So ist es richtig«, sagte Sonnenbraun anerkennend. »Man kann nicht vorsichtig genug sein. Man sollte es nie zu eilig haben. Vielleicht hatte die Ratte vor einem Glück und den Auslöser verfehlt.«

»Ja, Chef.«
»Aber sei auch nicht zu besorgt.«
»Er sah schrecklich… flach aus, Chef.«
»Narren haben es eilig, Nahrhaft. Narren haben es eilig…«

Sonnenbraun spürte, wie sich die Furcht ausbreitete, und das besorgte ihn. Wenn die Veränderten in Panik gerieten, so gerieten sie als Ratten in Panik. Und die Tunnel unter der Stadt waren nicht der geeignete Ort für ängstliche Ratten. Aber wenn eine Ratte die Kontrolle über sich verlor und loslief, so würden ihr die meisten folgen. In den Tunneln gab der Geruch den Ausschlag. Wenn alles gut ging, fühlten sich alle gut. Wenn Furcht ins Spiel kam, strömte sie wie Wasser hin und her, floss überallhin. In der Rattenwelt war Panik eine Krankheit, mit der man sich zu leicht anstecken konnte.

Die Situation verbesserte sich nicht, als Sonnenbraun und Nahrhaft zum Rest der Gruppe aufschlossen. Diesmal war ein neues Gift gefunden worden.

»Keine Sorge«, sagte Sonnenbraun, dessen Besorgnis wuchs. »Wir bekommen es nicht zum ersten Mal mit neuem Gift zu tun.«

»Aber das letzte Mal liegt lange zurück«, erwiderte eine Ratte. »Erinnerst du dich an Skrote? An das Zeug mit dem funkelnden blauen Kram? Das brannte, wenn man es mit den Füßen berührte? Die Leute liefen einfach hinein.«

»Gibt es das auch hier?«
»Sieh es dir selbst an.«
In einem der Tunnel lag eine Ratte auf der Seite. Die Füße waren zusammengerollt wie kleine Fäuste. Die Ratte wimmerte leise.

Sonnenbraun sah auf einen Blick, dass für diese Ratte alles vorbei war. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Die Ratten in Skrote hatten lange leiden müssen, bis der Tod sie erlöste.

»Ich könnte ihr ins Genick beißen«, schlug eine Ratte vor. »Dann wäre es schnell vorbei.«

»Ein ehrenwerter Gedanke, aber das Zeug gerät auch ins Blut«, sagte Sonnenbraun. »Sucht eine Schnapperfalle, die noch nicht gesichert ist. Und seid vorsichtig!«

»Wir sollen eine Ratte in eine Falle legen?«, fragte Nahrhaft. »Ja! Besser schnell sterben als langsam!«
»Trotzdem, es ist…«, begann die Ratte, die den Biss vorgeschlagen

hatte.

Die Haare an Sonnenbrauns Gesicht richteten sich auf. Er hob die vorderen Pfoten und bleckte die Zähne. »Tu, was ich dir gesagt habe, oder ich beiße dich!«, donnerte er.

Die andere Ratte wich zurück. »In Ordnung, Sonnenbraun, in Ordnung…«

»Und warne die anderen Trupps!«, rief Sonnenbraun. »Dies ist keine Rattenfängerei mehr, sondern Krieg! Alle ziehen sich geordnet zurück! Niemand rührt irgendetwas an! Wir werden… Ja? Was ist denn jetzt schon wieder?«

Eine kleine Ratte war an Sonnenbraun herangekrochen. Als er sich zu ihr umdrehte, duckte sie sich sofort und rollte fast auf den Rücken, um ihm zu zeigen, wie klein und harmlos sie war.

»Bitte, Chef…«, murmelte sie.
»Ja?«
»Diesmal haben wir eine lebende gefunden…«