Kapitel zwei

Dies war der Plan.
Und es war ein guter Plan. Selbst die Ratten, selbst Pfirsiche, mussten zugeben, dass er funktioniert hatte.

Alle wussten von Rattenplagen. Es gab berühmte Geschichten über Flötenspieler, die ihren Lebensunterhalt verdienten, indem sie von Stadt zu Stadt zogen und die Ratten fortlockten. Natürlich gab es nicht nur Rattenplagen – manchmal ging es bei den Plagen um Akkordeonspieler, mit Schnüren zusammengebundene Backsteine oder Fisch –, aber man erinnerte sich vor allem an die Ratten.

Und damit hatte es sich eigentlich schon. Man brauchte nicht viele Ratten für eine Plage, nicht, wenn sie ihr Handwerk verstanden. Eine Ratte, die sich hier und dort zeigte, laut quiekte, in frischer Sahne badete und auf den Boden pinkelte, konnte ganz allein eine Plage sein.

Nach einigen solchen Tagen war es erstaunlich, wie sehr sich die Leute über den Anblick des dumm aussehenden Jungen und seiner magischen Flöte freuten. Und sie staunten, wenn Ratten aus allen Löchern kamen und ihm aus der Stadt folgten. Sie staunten so sehr, dass kaum jemand einen Gedanken an die Tatsache vergeudete, dass es insgesamt kaum mehr als hundert Ratten waren.

Sie wären noch viel erstaunter gewesen, wenn sie gesehen hätten, wie sich die Ratten und der Flötenspieler irgendwo im Gebüsch außerhalb des Ortes mit einer Katze trafen und gemeinsam das Geld zählten.

Bad Blintz erwachte, als Maurice und der Junge die kleine Stadt erreichten. Niemand hielt sie an, obgleich sich immer wieder neugierige Blicke auf Maurice richteten. Das störte ihn nicht. Er wusste, dass er interessant war. Katzen gingen ohnehin so, als gehörte ihnen alles, und die Welt war voller dumm aussehender Jungen, und niemand eilte herbei, um einen weiteren zu sehen.

Es schien Markttag zu sein, aber es gab nicht viele Stände, und an den meisten von ihnen wurde Kram verkauft. Alte Pfannen und Töpfe, gebrauchte Schuhe… Dinge, die Leute verkaufen mussten, wenn sie knapp bei Kasse waren.

Bei den Reisen durch andere Städte hatte Maurice viele Märkte gesehen und wusste daher, was er erwarten durfte.

»Dicke Frauen sollten Hühner verkaufen«, sagte er. »Und es sollte Süßigkeiten für Kinder und bunte Bänder geben. Und Akrobaten und Clowns. Vielleicht sogar einen Wiesel-Jongleur, wenn man Glück hat.«

»Hier gibt es nichts dergleichen«, erwiderte der Junge. »Und es werden nur wenige Dinge zum Verkauf angeboten. Du hast doch gesagt, dies sei eine reiche Stadt, Maurice.«

»Nun, sie sah reich aus«, meinte Maurice. »All die großen Felder im Tal, die Boote auf dem Fluss… Man sollte meinen, hier seien die Straßen mit Gold gepflastert!«

Der Junge sah auf. »Komisch«, sagte er.
»Was?«

»Die Leute sehen arm aus«, sagte er. »Es sind die Gebäude, die reich aussehen.«

Das stimmte. Maurice war kein Experte für Architektur, aber die Holzhäuser waren mit Schnitzereien und bunten Farben verziert. Ihm fiel auch noch etwas anderes auf: ein Schild, ganz ohne Verzierungen, dafür aber mit einer sehr klaren Botschaft.

Die Aufschrift lautete:
TOTE RATTEN!
50 CENT PRO SCHWANZ!
WENDET EUCH AN: DIE RATTENFÄNGER IM RATHAUS

Der Junge starrte auf das Schild.
»Die Leute hier wollen ihre Ratten wirklich loswerden«, sagte Maurice munter.
»Niemand hat jemals eine Belohnung von einem halben Dollar für einen Rattenschwanz angeboten!«, brachte der Junge hervor.

»Ich habe dir ja gesagt, dass dies eine große Sache wird«, erwiderte Maurice. »Wir sitzen auf einem Haufen Gold, bevor diese Woche zu Ende ist!«

»Was ist ein Rathaus?«, fragte der Junge skeptisch. »Es kann doch kein

Haus für Ratten sein, oder? Und warum starren dich alle an?« »Ich bin eine hübsche Katze«, sagte Maurice. Doch auch er wunderte
sich ein wenig. Die Leute stießen sich gegenseitig an und zeigten auf ihn.
»Man könnte meinen, sie hätte noch nie eine Katze gesehen«, murmelte
er und sah zum Gebäude auf der anderen Straßenseite. Es war ein großes,
quadratisches Haus, vor dem sich viele Menschen eingefunden hatten,
und auf dem Schild über dem Eingang stand: RATHAUS. »Das ›Rathaus‹
ist der Sitz der städtischen Regierung«, erklärte Maurice. »Mit Ratten hat
es gar nichts zu tun, so seltsam das auch erscheinen mag.« »Du kennst dich wirklich mit Worten aus, Maurice«, sagte der Junge
bewundernd.
»Manchmal wundere ich mich über mich selbst«, erwiderte Maurice. Eine Schlange hatte sich vor einer großen offenen Tür gebildet. Andere
Leute, die bereits Schlange gestanden hatten, kamen zu zweit oder zu
dritt aus einer zweiten Tür. Alle trugen Brotlaibe.
»Sollen wir uns ebenfalls anstellen?«, fragte der Junge.
»Nein, besser nicht«, entgegnete Maurice vorsichtig.
»Warum nicht?«
»Siehst du die Männer an der Tür?«, fragte Maurice. »Es scheinen Wächter zu sein. Sie haben große Schlagstöcke. Und alle zeigen ihnen ein Stück Papier, bevor sie das Rathaus betreten. Das gefällt mir nicht. Es
sieht mir zu sehr nach Regierung aus.«
»Wir haben nichts Unrechtes getan«, sagte der Junge. »Zumindest nicht
hier.«
»Bei Regierungen kann man nie wissen. Warte hier. Ich sehe mich um.« Die Leute sahen auf Maurice hinab, als er das Rathaus betrat, aber in
einer von Ratten heimgesuchten Stadt schien eine Katze recht beliebt zu
sein, und niemand versuchte, ihn zu vertreiben. Ein Mann wollte ihn
hochheben, verlor jedoch das Interesse an ihm, als Maurice sich
umdrehte und ihm den Handrücken zerkratzte.
Die Schlange der Wartenden reichte in einen großen Saal und zu einem
auf Böcke gestellten Tisch. Dort zeigte jede Person ihren Zettel zwei
Frauen, die vor einem großen Servierbrett standen, und bekam Brot.
Anschließend gingen die Leute zu einem Mann an einem Bottich mit
Würstchen, wo sie erheblich weniger Wurst als Brot erhielten. Der Bürgermeister beobachtete alles und sprach gelegentlich mit den
Leuten, die die Lebensmittel verteilten. Maurice erkannte ihn sofort,
denn er trug eine große Goldkette um den Hals. Seit er mit den Ratten
zusammenarbeitete, war er vielen Bürgermeistern begegnet. Dieser
unterschied sich von den anderen. Er war kleiner, wirkte besorgter und
hatte eine kahle Stelle auf dem Kopf, die er mit drei Haarsträhnen zu
tarnen versuchte. Er war auch viel dünner als die anderen Bürgermeister,
die Maurice gesehen hatte. Er sah nicht aus, als hätte er ein großes Fass
verschluckt.
Nahrung ist knapp, dachte Maurice. So knapp, dass sie rationiert
werden muss. Hier scheint dringend ein Flötenspieler gebraucht zu
werden. Was für ein Glück, dass wir genau zur rechten Zeit gekommen
sind…
Er verließ das Gebäude, und diesmal ging er nicht, sondern lief, denn er
hörte, dass draußen jemand Flöte spielte. Seine Befürchtungen
bestätigten sich: Es war der Junge. So etwas machte er immer, wenn man
ihn einige Zeit allein ließ. Er hatte seine Mütze umgedreht auf den Boden
gelegt und sogar einige Münzen bekommen. Die Schlange der
Wartenden bildete einen Halbkreis, damit die Leute ihm zuhören
konnten, und einige Kinder tanzten.
Maurice kannte sich nur mit dem Gesang von Katzen aus, der darin
bestand, zehn Zentimeter vor einer anderen Katze zu stehen und zu
schreien, bis diese aufgab. Aber die Menschen klopften mit den Füßen,
wenn sie den Jungen spielen hörten. Und sie lächelten.
Maurice wartete, bis der Junge die Melodie beendet hatte. Als das
Publikum klatschte, trat er hinter ihn, rieb sich an seinem Rücken und
flüsterte: »Bravo, Dummkopf! Wir sollen unauffällig sein! Komm jetzt,
gehen wir. Oh, und nimm das Geld.«
Er ging voraus über den Platz – und blieb dann so plötzlich stehen,
dass der Junge fast gegen ihn gestoßen wäre.
»Huch, da kommt noch mehr Regierung«, sagte er. »Und diese
Burschen kennen wir, nicht wahr…?«
Der Junge kannte sie tatsächlich. Es waren zwei Rattenfänger. Selbst
hier trugen sie die langen, staubigen Mäntel und verbeulten Zylinder
ihres Standes. Jeder von ihnen hatte sich eine Stange über die Schulter
gelegt, und daran baumelten Fallen verschiedener Art.
An der anderen Schulter hing ein großer Sack von der Art, in die man
nicht hineinsehen wollte. Und jeder Mann hatte einen Terrier an einer
Leine. Es waren magere, streitlustige Hunde, und sie knurrten Maurice an,
als sie vorbeigeführt wurden.
Die in der Schlange wartenden Menschen jubelten, als sich die beiden
Rattenfänger näherten und dabei jeweils auf eine Hand voll von etwas
zeigten, das für Maurice wie schwarze Schnüre aussah.
»Zweihundert heute!«, rief ein Rattenfänger.
Einer der beiden Terrier lief auf Maurice zu und zerrte an seiner Leine.
Die Katze rührte sich nicht von der Stelle. Vermutlich hörte nur der
dumm aussehende Junge, wie sie sagte: »Bei Fuß, Flohsack! Böser
Hund!«
Das Gesicht des Terriers verzerrte sich und zeigte den schrecklich
besorgten Ausdruck eines Hundes, der versuchte, zwei verschiedene
Gedanken gleichzeitig zu denken. Er wusste, dass Katzen nicht sprechen
sollten, doch diese Katze hatte gerade gesprochen. Woraus sich ein
grässliches Problem ergab. Der Hund setze sich umständlich und jaulte. Maurice putzte sich, was auf eine tödliche Beleidigung hinauslief. Der Rattenfänger ärgerte sich über die Feigheit seines Terriers und zog
ihn fort. Dabei fielen einige der schwarzen Schnüre zu Boden. »Rattenschwänze!« sagte der Junge. »Die Leute hier müssen wirklich ein
Problem haben!«
»Ein größeres, als du glaubst«, sagte Maurice und starrte auf die
Schwänze hinab. »Heb sie auf, wenn niemand hinsieht.«
Der Junge wartete, bis die Leute nicht mehr in ihre Richtung sahen,
dann bückte er sich. Als seine Finger nach dem Schwanzbündel tasteten,
trat ein großer schwarzer Stiefel darauf.
»Die solltest du besser nicht berühren, junger Herr«, erklang eine
Stimme von oben. »Von Ratten kann man die Pest kriegen. Dann
explodieren einem die Beine.« Die Worte stammten von einem der
beiden Rattenfänger. Er bedachte den Jungen mit einem breiten Lächeln,
das allerdings nicht sehr freundlich wirkte und nach Bier roch. »Ja, das stimmt, junger Herr, und dann läuft einem das Gehirn aus der
Nase«, sagte der andere Rattenfänger und trat von hinten an den Jungen
heran. »Du würdest es nicht wagen, dein Taschentuch zu benutzen, wenn
du die Pest hättest, junger Herr.«
»Da hat mein Kollege völlig Recht, junger Herr«, sagte der erste
Rattenfänger und atmete dem Jungen noch mehr Bierdunst ins Gesicht. »Und eigentlich kannst du dein Taschentuch gar nicht mehr benutzen,
junger Herr«, sagte Rattenfänger 1. »Denn wenn du die Pest hast, fallen
dir die Finger ab…«
»Deine Beine sind nicht explodiert«, erwiderte der Junge. Maurice
stöhnte leise. Es war nie eine gute Idee, dem Geruch von Bier gegenüber
vorlaut zu sein. Doch die Rattenfänger hatten das Stadium erreicht, in
dem sie entgegen aller Vernunft glaubten, komisch zu sein. »Nun, junger Herr, das liegt daran, dass man bei Lektion eins der
Rattenfängergilde lernt, die eigenen Beine nicht explodieren zu lassen«,
sagte Rattenfänger 1.
»Was eine gute Sache ist, denn Lektion zwei findet eine Treppe höher
statt«, fügte Rattenfänger 2 hinzu. »Ich bin vielleicht einer, was, junger
Herr?«
Der andere Rattenfänger griff nach dem Bündel aus schwarzen
Schnüren, und sein Lächeln verblasste, als er auf den Jungen hinabblickte.
»Ich sehe dich zum ersten Mal, Junge«, sagte er. »Und ich rate dir: Lass dir
nichts zuschulden kommen, und sag niemandem etwas. Kein Wort.
Verstanden?«
Der Junge öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder. Der
Rattenfänger lächelte wieder sein scheußliches Lächeln.
»Ah, du lernst schnell, junger Herr«, sagte er. »Vielleicht sehen wir uns
bald wieder, hm?«
»Ich wette, du möchtest Rattenfänger werden, wenn du groß bist,
junger Herr«, sagte Rattenfänger 2 und klopfte dem Jungen zu fest auf
den Rücken.
Der Junge nickte. Das schien ihm das Beste zu sein. Rattenfänger 1
bückte sich, bis nur noch wenige Zentimeter seine rote, pockennarbige
Nase von dem Gesicht des Jungen trennten.
»Wenn du groß wirst, junger Herr«, sagte er.
Die Rattenfänger gingen fort und zogen ihre Hunde mit sich. Einer der
Terrier starrte immer wieder zu Maurice.
»Das sind sehr seltsame Rattenfänger«, sagte die Katze nachdenklich. »Solche Rattenfänger habe ich noch nie zuvor gesehen«, erwiderte der
Junge. »Sie wirken gemein. Und offenbar haben sie Spaß daran.« »Ich habe noch nie Rattenfänger gesehen, die so fleißig waren und
noch saubere Stiefel haben«, sagte Maurice.
»Ja, das stimmt«, bestätigte der Junge.
»Einige der Rattenschwänze waren sehr seltsam«, meinte Maurice. Der Junge sah sich auf dem Platz um. Die Warteschlange der Leute, die
für Brot anstanden, war noch immer sehr lang, und das machte ihn
ebenso nervös wie der Dampf, der überall aus Gittern und unter den
Kanaldeckeln aufstieg, als wäre die Stadt auf einem großen Kessel
errichtet worden. Außerdem hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. »Wir sollten zu den Ratten gehen und weiterziehen«, sagte er. »Nein, dies scheint ein Ort mit vielen Möglichkeiten zu sein«, erwiderte
Maurice. »Hier geht etwas vor, und wenn etwas vorgeht, wird jemand reich, und wenn jemand reich wird, so bin ich der Ansicht, dass ich es
sein sollte. Ich meine… wir
»Ja, aber wir wollen doch nicht, dass diese Leute Gefährliche Bohnen
und die anderen töten!«
»Sie werden bestimmt nicht gefangen«, sagte Maurice. »Die beiden
Rattenfänger gehören wohl kaum zu den Leuten, die einen Preis für
Intelligenz gewinnen könnten. Selbst Gekochter Schinken wäre im
Stande, sie zu überlisten. Und Gefährliche Bohnen hat so viel Gehirn,
dass es ihm aus den Ohren quillt.«
»Ich hoffe nicht.«
»Nein, nein«, sagte Maurice, der den Leuten meistens das erzählte, was
sie hören wollten. »Ich meine, unsere Ratten sind schlauer als die meisten
Menschen, verstehst du? Erinnere dich an Skrote, wo Sardinen in den
Kessel schlüpfte und der alten Frau eine Himbeere ins Gesicht spuckte,
als sie den Deckel hob. Menschen glauben, besser zu sein, weil sie größer
sind… He, ich sollte jetzt still sein, jemand beobachtet uns…« Ein Mann mit einem Korb war gerade aus dem Rathaus gekommen,
blieb stehen und sah interessiert auf Maurice hinab. Dann wandte er sich
an den Jungen und fragte: »Ein guter Rattenfänger, nicht wahr? Ja, ein so
großer Kater kann bestimmt gut Ratten fangen. Gehört er dir, Junge?« »Sag ja«, flüsterte Maurice.
»Ja, in gewisser Weise«, sagte der Junge und hob Maurice hoch. »Ich gebe dir fünf Dollar für ihn«, bot der Mann an.
»Verlang zehn«, flüsterte Maurice.
»Ich verkaufe ihn nicht«, sagte der Junge.
»Idiot!«, schnurrte Maurice.
»Sieben Dollar«, sagte der Mann. »He, was hältst du davon? Ich gebe dir
vier ganze Brotlaibe, einverstanden?«
»Das ist dumm. Ein Brotlaib sollte nicht mehr kosten als zwanzig Cent«,
meinte der Junge.
Der Mann bedachte ihn mit einem sonderbaren Blick. »Bist neu hier,
wie? Hast wohl viel Geld.«
»Genug«, sagte der Junge.
»Glaubst du? Es wird dir nicht viel nützen. Hör mal, vier Brotlaibe und
ein Brötchen, das ist mehr als nur fair. Ich bekomme einen Terrier für
zehn Laibe, und Terrier sind ganz wild auf Ratten. Nein? Nun, wenn du
Hunger hast, gibst du den Kater für ein dünn beschmiertes Butterbrot*
weg, glaub mir.«
Der Mann ging fort. Maurice wand sich aus den Armen des Jungen und
landete geschickt auf dem Boden. »Meine Güte, wenn ich ein guter
Ventrilokwist wäre, könnten wir ein Vermögen verdienen.«
»Ventrilokwist?«, wiederholte der Junge.
»Ich meine, dann könntest du den Mund bewegen und ich das Reden
erledigen«, sagte Maurice. »Warum hast du mich nicht verkauft? In zehn
Minuten wäre ich zurück gewesen! Ich habe von einem Mann gehört, der
reich wurde, indem er Brieftauben verkaufte, und er hatte nur eine
einzige!«
»Glaubst du nicht, dass mit einer Stadt etwas nicht stimmt, wenn man
dort mehr als einen Ankh-Morpork-Dollar für einen Laib Brot bezahlen
muss?«, fragte der Junge. »Und die einen halben Dollar nur für einen
Rattenschwanz bezahlt?«
»Mich stört’s nicht, solange genug Geld übrig bleibt, um den
Flötenspieler zu bezahlen«, sagte Maurice. »Eigentlich ist es ein Glück,
dass es hier bereits eine Rattenplage gibt. Schnell, streichel mich, ein
Mädchen beobachtet uns.«
Der Junge sah auf. Das stand tatsächlich ein Mädchen und beobachtete
sie. Leute gingen über die Straße, und einige von ihnen schritten
zwischen dem Jungen und dem Mädchen hindurch, das still dastand und
einfach nur starrte. Ihre Aufmerksamkeit galt sowohl dem Jungen als
auch Maurice. Sie hatte den gleichen Ich-nagle-dich-an-die-Wand-Blick
wie Pfirsiche und sah ganz nach einer Person aus, die Fragen stellte. Und
ihr Haar war zu rot und ihre Nase zu lang. Das Mädchen trug ein langes
schwarzes Kleid mit schwarzem Spitzensaum. Von jemandem, der so
gekleidet war, durfte man nichts Gutes erwarten.
Das Mädchen kam über die Straße und blieb vor dem Jungen stehen.

* Man schmiert Butter auf eine Scheibe Brot. Man kratzt sie wieder ab. Und dann isst man die Scheibe.

»Du bist neu hier, nicht wahr? Bist hierher gekommen, um dir Arbeit zu suchen, stimmt’s? Bist vermutlich arbeitslos, weil man dich rausgeworfen hat. Wahrscheinlich bist du eingeschlafen und hast dadurch alles verdorben. Ja, das war wahrscheinlich der Grund. Oder du bist weggelaufen, weil er dich mit einem großen Stock geschlagen hat. Allerdings«, fügte das Mädchen hinzu, als ihm eine weitere Idee kam, »hast du es wahrscheinlich verdient, weil du faul warst. Und dann hast du wahrscheinlich die Katze gestohlen, weil du wusstest, wie viel man hier für eine Katze bezahlen würde. Und du musst ganz verrückt vor Hunger sein, denn du hast mit der Katze gesprochen, und jeder weiß, dass Katzen nicht sprechen können.«

»Ich kann kein einziges Wort sprechen«, behauptete Maurice. »Und wahrscheinlich bist du ein geheimnisvoller Junge, der…« Das

Mädchen unterbrach sich und sah verwundert auf Maurice hinab. Der wölbte den Rücken und sagte: »Prppt«, was in der Katzensprache »Kekse!« bedeutet.

»Hat die Katze gerade etwas gesagt?«, fragte das Mädchen. »Ich dachte, jeder weiß, dass Katzen nicht sprechen können«, sagte der Junge.

»Ah, vielleicht bist du ein Zauberlehrling gewesen«, fuhr das Mädchen fort. »Ja, das klingt richtig. Du warst ein Zauberlehrling, bist eingeschlafen und hast den Kessel mit dem blubbernden grünen Zeug überkochen lassen, und er drohte damit, dich zu verwandeln, und zwar in, in, in…«

»In eine Wüstenspringmaus«, warf Maurice hilfsbereit ein.

»…in eine Wüstenspringmaus, und du hast seine magische Katze gestohlen, die du so sehr verabscheut hast, und… Was ist eine Wüstenspringmaus? Hat die Katze gerade ›Wüstenspringmaus‹ gesagt?«

»Sieh mich nicht so an!«, sagte der Junge. »Ich stehe einfach nur hier!«

»Na schön, und dann hast du die Katze hierher gebracht, weil du wusstest, dass hier eine schreckliche Hungersnot herrscht, und deshalb willst du sie verkaufen, und weißt du, dieser Mann wäre bereit gewesen, dir zehn Dollar zu geben, wenn du so viel verlangt hättest.«

»Zehn Dollar sind selbst für eine gute Rattenfängerkatze zu viel«, sagte der Junge.

»Rattenfänger? Der Mann wollte keine Ratten fangen!«, erwiderte das rothaarige Mädchen. »Hier haben alle Hunger, und deine Katze ist für mindestens zwei Mahlzeiten gut!«

»Was? Die Leute hier essen Katzen!«, brachte Maurice hervor. Sein Schwanz plusterte sich auf.

Das Mädchen beugte sich mit einem grimmigen Lächeln zu Maurice hinab. Auf diese Weise lächelte auch Pfirsiche, wenn sie einen Streit mit ihm gewonnen hatte. Sie presste ihm den Zeigefinger an die Schnauze.

»Reingefallen«, sagte das Mädchen. »Du hast dich von einem einfachen Trick überlisten lassen! Ihr beide kommt besser mit mir, verstanden? Oder ich schreie. Und die Leute hören mich, wenn ich schreie!«