Die Islamverbände in Deutschland und die Integration

Deutschland ist keine islamische Republik, sondern ein säkularer Staat. Dennoch haben die christlichen Kirchen und das orthodoxe Judentum, vertreten durch den Zentralrat der Juden, Sonderrechte, insoweit sie Staatsverträge abschließen. Diese Sonderrechte, zum Beispiel das auf Religionsunterricht und Kirchensteuer, wollen islamische Gruppen auch erlangen. Deshalb haben sie sich in Verbänden zusammengeschlossen. Diese möchte ich kurz vorstellen und zeigen, dass ihre Ziele mit einem freiheitlichen Staat nicht vereinbar sind.

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V., türkisch Diyanet Isleri Türk Islam Birligi (DITIB), wurde im Juli 1984 in Köln als bundesweiter Dachverband für die »Koordinierung der religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der angeschlossenen türkisch-islamischen Religionsvereine« gegründet. Sie steht für den türkischen Staatsislam. Im Gründungsjahr 1984 waren 230 Vereine angeschlossen, im Jahr 2005 waren es nach Angaben des Verbandes 870 Vereine. Nach Angaben des Islamarchivs zählen diese etwa 120 000 Mitglieder, nicht gerade viele der dreieinhalb Millionen in Deutschland lebenden »Moslems«. Die der DITIB angeschlossenen Ortsgemeinden haben ihren Sitz zumeist in größeren westdeutschen Städten und betreiben die dortigen Moscheen. Sie sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständige eingetragene Vereine, die die Prinzipien und satzungsgemäßen Zwecke der DITIB verfolgen und die DITIB als Dachverband anerkennen, häufig gehören ihr auch die Immobilien. Die DITIB gibt sich nach außen offen, so zum Beispiel für Fragen, die Besucher der Homepage ihrer Gemeinde in Saarbrücken stellen. Dort ist zu lesen:

»Frage Besucher: ›Wie stehen Sie zur Kopftuchfrage?‹

Antwort DITIB: ›Das Kopftuch ist ein Gebot des Gottes im Islam.‹

Frage Besucher: ›Ist nur eine Frau, die den Schleier trägt, eine gläubige und wertvolle Frau?‹

Antwort DITIB: ›Der Wert des Menschen in der Gegenwart Gottes sind nicht Schleier oder Kopftuch, sondern die Einhaltung seiner Gebote.‹«8

Erinnern wir uns an einen großen Denker der vorchristlichen und vorislamischen Antike: Aristoteles. Ihm zufolge kann man Schlussfolgerungen nach folgendem Schema ziehen:

Erste Prämisse: Alle Menschen sind sterblich.

Zweite Prämisse: Griechen sind Menschen.

Schlussfolgerung: Griechen sind sterblich.

Wende ich dieses alte Prinzip der Logik einmal auf die DITIB-Aussagen an, erfahre ich Folgendes:

Erste Prämisse: Das Kopftuch ist ein Gebot Gottes.

Zweite Prämisse: Der Wert des Menschen misst sich darin, dass er die Gebote Gottes einhält.

Schlussfolgerung: Nur die Frau, die ein Kopftuch trägt, hat einen Wert.

Logisch, dass die DITIB wie andere Islamverbände immer wieder beteuern, die Frauen würden das Kopftuch freiwillig tragen. Denn die Hingabe an Gott und die Unterwerfung unter seine Gebote sind alleiniger Sinn und Zweck des irdischen Lebens eines Moslems, also auch, das Kopftuch zu tragen. Ich halte die Verbindung vom Wert einer Frau mit der Kopfbedeckung für einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, aber vor allem für einen Angriff auf die Würde der Frau und ihre Selbstbestimmung.

Ein weiteres Beispiel von der DITIB-Homepage:

»Frage Besucher: ›Warum dürfen Sie niemanden aus einer anderen Religion heiraten?‹

Antwort: ›Ein moslemischer Mann darf eine gläubige Christin oder eine Jüdin heiraten, jedoch darf eine moslemische Frau nur einen Moslem heiraten, denn da der Mann eine führende Rolle in der Familie hat, kann eine moslemische Frau eventuell hinsichtlich ihrer Religion unter Druck gesetzt werden, und somit können familiäre und religiöse Probleme entstehen.‹«9

Ich erinnere an Artikel 3 des Grundgesetzes: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt.« Nirgendwo steht: »Religionsfreiheit ist für Ehefrauen aufgehoben.« Sicher, auch in Deutschland mussten Frauen den Männern mühsam viele Rechte abtrotzen, und wir sind noch nicht am Ende des Weges angelangt. Aber es gab viele Erfolge der Frauen, meist durch beharrliches Kämpfen von Feministinnen, sowohl aus der Arbeiterbewegung wie auch aus der bürgerlichen Frauenbewegung.

So wurde 1959 der sogenannte väterliche Stichentscheid als verfassungswidrig aufgehoben. Nach ihm war Vätern in den 50er-Jahren das Recht zugefallen, bei zwischen den Eltern strittigen Erziehungsfragen das letzte Wort zu haben! Ein Sieg der Gleichberechtigung? Auch heute haben Väter in Deutschland das alleinige Wort in Sachen Kindererziehung – solange sie Muslime sind. Denn in der Parallelgesellschaft kommen die wenigsten Frauen auf die Idee, ihre durch das deutsche Gesetz verbrieften Rechte einzufordern. Die Gründe dafür sehe ich in mangelndem Wissen über die Gesellschaft, in der sie leben, in der familiären Unterdrückung der Frauen und in der Übernahme des Glaubens, westliche Staaten seien »unislamisch«.

Die DITIB war Mitinitiator der Massenveranstaltung »Gemeinsam für Frieden und gegen Terror« am 21. November 2004 in Köln mit rund 20 000 Teilnehmern. Unter den Gastrednern waren die grüne Politikerin Claudia Roth, der bayerische Innenminister Günther Beckstein und der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens. Ziel der Veranstaltung war es, den Einsatz von Gewalt im Namen des Islam zu verurteilen. Seltsam nur, dass die Rednerinnen und Redner allein vom Bombenterror im Namen des Islam sprachen – nicht von der Unterwerfung der Frau unter ihren Mann im Namen Allahs, von Zwangsheiraten oder von »Ehrenmorden«!

Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e. V. (IR) wurde 1986 als bundesweite Koordinierungsinstanz und gemeinsames Beschlussorgan islamischer Religionsgemeinschaften in Berlin gegründet. Er vertritt 37 Mitgliedsvereine mit geschätzten 40 000 bis 60 000 Mitgliedern. Größter Mitgliedsverein ist die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die die Mehrheit der Mitglieder sowie den Vorsitzenden stellt. Der Islamrat versteht sich selbst als Interessengemeinschaft der in Deutschland lebenden Muslime. Er strebt die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit die Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften an. Gemeinsam mit dem Zentralrat der Muslime, auf den ich weiter unten eingehe, hat er Kommissionen ins Leben gerufen, die Lobbyarbeit für die Erteilung islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen und für eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten in Deutschland betreiben. Der türkisch-islamischen IGMG werfen deutsche Staatsorgane islamistische Tendenzen vor. Der Verfassungsschutz vermutet, dass die IGMG den Islamrat für die Vertretung ihrer Interessen nutzt, und verweist darauf, dass der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, ehemals Funktionär der IGMG war.10 Seit 1992 wird die Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet.11 Und in der Satzung des Islamrates steht: »Unser Ziel ist die offizielle Anerkennung des Islam. Das zweite Ziel ist, für Religionsunterricht für muslimische Kinder an Schulen zu sorgen, und das dritte Ziel ist es, den Muslimen zu islamgerechtem Verhalten zu verhelfen.« Islamgerechtes Verhalten ist wiederum unter anderem die Unterwerfung der Frau unter den Mann. Was die deutsche Gesellschaft mit islamischem Religionsunterricht in ihren von uns allen bezahlten Schulen Kindern aus moslemischem Eltern- (oder sagen wir besser Vater)haus beibringen lassen würde. Aktuell gibt es diesen zwar noch nicht flächendeckend, weil weder die islamischen Verbände noch ihr teilweiser Zusammenschluss im Koordinierungsrat als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt ist (wie die katholische und evangelische Kirche sowie der Zentralrat der Juden in Deutschland). Aber es gibt im ganzen Land Einzellösungen. Seit diesem Schuljahr 2007 auch in Schleswig-Holstein: »Nach den Sommerferien beginnt an neun schleswig-holsteinischen Grundschulen der Islamunterricht in deutscher Sprache. Dabei handelt es sich um ein freiwilliges, zusätzliches Angebot. Fünf der neun Grundschulen sind in Kiel, die anderen in Neumünster, Flensburg, Harrislee (bei Flensburg) und Büchen (Kreis Herzogtum Lauenburg). Für den neuen Islamunterricht ist ein eigener Lehrplan erarbeitet worden. Themen sind der Koran, das Leben des Propheten Mohammed und die Grundlagen des Islam. Dazu kommen islamische Ethik, Prophetengeschichten und das Thema ›Ich und meine Gemeinschaft‹. Die neun Lehrkräfte sind am Kieler Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen fortgebildet worden.«12

In Niedersachsen beteiligen sich zurzeit 19 Grundschulen an einem Modellprojekt Islamunterricht, nach dessen Durchführung eine flächendeckende Einführung geplant ist. Integrationsminister Armin Laschet aus NRW möchte in seinem Land Islamunterricht ab 2010 einführen. Auf der Homepage des Ministeriums ist zu lesen: »Ein wichtiges Ziel des geregelten Dialogs mit den Muslimen wird es sein, die Grundlagen für einen regulären islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Dieser soll als ordentliches Lehrangebot in deutscher Sprache, von in Deutschland ausgebildeten Lehrern und unter deutscher Schulaufsicht durchgeführt werden. Dazu wird die Landesregierung im Rahmen eines Schulversuchs in zwei ausgewählten Kommunen des Landes das Unterrichtsfach Islamkunde zu einem regulären islamischen Religionsunterricht weiterentwickeln. Für diesen Schulversuch ist der Zusammenschluss der örtlichen Moscheegemeinden zu Schulen erforderlich, die dem Schulministerium als Ansprechpartnerinnen für die erforderliche Lehrplanentwicklung zur Verfügung stehen. Der Schulversuch soll außerdem von einem theologischen Beirat begleitet werden.«13

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. (ZMD) wurde 1994 gegründet. Derzeit hat der ZMD etwa 15 000 bis 20 000 Mitglieder. Er ging 1994 aus dem Islamischen Arbeitskreis Deutschland hervor. Bis 2000 war der e. V. größter Mitgliedsverband des ZMD. Der ZMD finanziert sich vor allem durch Mitgliedsbeiträge, Spendensammlungen in Moscheen und private Zuwendungen.

Eine grundsätzliche Distanzierung des Zentralrats von der Scharia oder der Steinigung konnte ich nirgends finden. Und es mag harmlos klingen, was da auf der Homepage steht: »In den Bereichen, in denen eine unterschiedliche Behandlung gesondert von Allah oder seinen Gesandten Muhammad (Friede sei mit ihm) vorgeschrieben wurde, liegen Begründungen vor, die einleuchtend sind.«14 So ist es der Mann, der für den Unterhalt der Familie zuständig ist, die Frau für die Erziehung. Doch diese Rollenaufteilung ist in der deutschen Gesellschaft – zu Recht – im Zuge der Frauen- und Arbeiterbewegung als diskriminierend entlarvt worden und durch neue Rollenmuster zumindest erweitert worden. Mitglieder des Zentralrats sind laut Homepage des Islaminstituts unter anderem das »Islamische Zentrum Aachen«, das den syrischen Muslimbrüdern, und das »Islamische Zentrum München«, das den ägyptischen Muslimbrüdern zuzuordnen ist, das »Schiitische Islamische Zentrum Hamburg«, die »Deutschsprachigen Muslime vom Haus des Islam«, die »Muslim Studenten Vereinigung in Deutschland (MSV)«, die »Deutsche Muslim-Liga Bonn« sowie die »Deutsche Muslim-Liga Hamburg«.15 Nadeem Elyas war Vorstandsmitglied des »Islamischen Zentrums Aachen« und ist heute Ratsmitglied. Der ideologisch radikalste deutsche Ableger der international operierenden Muslimbrüder ist laut Verfassungsschutz die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD); sie ist ebenfalls Mitglied im ZMD und hat ihn zusammen mit dem Islamischen Zentrum München und der MSV auch gegründet.16

Heute gibt sich vor allem der Zentralrat einen aufgeklärten Anstrich, betont immer wieder, dass er auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes stehe. Wie dieser »Euro-Islam« sich mit dem Glauben an das unverrückbare Gesetz der Scharia als absolute Pflichtenlehre vereinbaren lässt, diese Frage bleibt unbeantwortet. Denn die Antwort wäre: gar nicht. Auffallend ist, dass auch Mitgliedsverbände des Zentralrats gegen dessen 2002 veröffentlichte »Islamische Charta« protestiert haben. Sie war ihnen zu moderat, betonte sie doch zum Beispiel: »Ob deutsche Staatsbürger oder nicht, bejahen die im Zentralrat vertretenen Muslime daher die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich des Parteienpluralismus, des aktiven und passiven Wahlrechts der Frau sowie der Religionsfreiheit.« Doch selbst das Wahlrecht der Frau ist kaum ausreichend für eine Gleichberechtigung der Geschlechter. Allerdings wäre interessant zu erfahren, wie der ZMD sich im Namen des Islam für das Frauenwahlrecht in Saudi-Arabien stark macht.

Den Grundkonflikt gehen die Islamverbände allesamt nicht offensiv an: Der Islam ist eine vormoderne Kultur, hat keine Aufklärung durchlaufen, und es gibt keine Idee individueller Menschenrechte. Zwar wird die Scharia nicht in allen islamischen Staaten konsequent umgesetzt, so sind zum Beispiel in Ägypten die Hinrichtung von Apostaten (vom Glauben Abgefallener) und Körperstrafen ausdrücklich verboten, aber der Grundgedanke wird nicht in Frage gestellt: So kann und wird in Ägypten Ehebruch durchaus mit Haft bestraft. Was das mit den Islamverbänden in Deutschland zu tun hat? Sie möchten allesamt ein Leben nach islamischem Gesetz für die Muslime in Deutschland verbindlich werden lassen. Der Einzelne hat kein anderes Recht als das, Gottes Geboten zu folgen und so seinen Platz im Paradies zu sichern. Das steht einer Idee der individuellen Menschenrechte konträr gegenüber. Das Beispiel von Ägypten zeigt, was daraus wird, wenn ein islamischer Staat erklärtermaßen dem Fundamentalismus Grenzen setzen will.

Zur Erinnerung: Auch in Europa war die Aufklärung ein langer und schmerzhafter Prozess, und Widerstand kam nicht zuletzt und sehr vehement aus den christlichen Kirchen, ungeachtet dessen, dass aufgeklärte Teile dieser Kirchen heute die individuellen Menschenrechte auch theologisch erklären.

Da die deutsche Politik in großen Teilen zwar willig scheint, den Muslimverbänden ihre Parallelkultur zu erhalten und deren Ausbau zu fördern, aber den Wunsch angemeldet hat, doch lieber mit einem Verband zu sprechen als mit mehreren, hat sich im April 2007 der Koordinierungsrat der Muslime gebildet. Er fordert die Gleichstellung von Islam und Christentum in Deutschland und unterstützt muslimische Eltern bei der Durchsetzung von nach Geschlechtern getrenntem Sportunterricht. Er nennt sich Spitzenverband der vier größten hiesigen islamischen Organisationen: des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland und des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Milli Görüs ist als dominante Gruppe im Islamrat ebenfalls mit dabei und versucht so, noch mehr Einfluss in Fragen der deutschen Politik zu nehmen. Als Zentralrat der Ex-Muslime nahmen wir in einer Presseerklärung kritisch zur Gründung des Koordinierungsrates Stellung, darin heißt es unter anderem: »Die Forderung nach ›Gleichstellung des Islam mit dem Christentum‹ bedeutet im Kontext der hiesigen staatskirchenrechtlichen Privilegien die Schaffung staatlich finanzierter islamischer Kindergärten, Konfessionsschulen, Universitäten, Krankenhäuser usw., wo dann das Kopftuchtragen per islamischem Arbeitsrecht vorgeschrieben ist. Also die Institutionalisierung der Parallelgesellschaft. Dies wäre das Gegenteil von Integration!«

Es ist seltsam, dass ich, eine Frau, die aus der vormodernen Gesellschaft des Iran geflohen ist, nun deutschen Kulturrelativisten zu erklären versuche, wie sie sich und ihre Kultur verleugnen, wenn sie Räume in ihrer Gesellschaft zulassen, in denen die Gültigkeit der individuellen Menschenrechte außer Kraft gesetzt wird. Denn wenn ich mir einen Frauen- und Männertrakt im Krankenhaus vorstelle, sehe ich keine Freiheit der Bewegung im öffentlichen Raum. Oder wie werden deutsche Gerichte entscheiden, wenn muslimische Männer sich in ihrer religiösen Ehre gekränkt fühlen, wenn ihnen deutsche Frauen ins Gesicht schauen?

Bei dem Versuch, dem Islam in Deutschland die »Religionsfreiheit« zu gewähren, wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht: Erst muss sich dieser Islam aufmachen zu dem langen und schmerzhaften Prozess der Aufklärung, der Ausrichtung auf das Diesseits und das individuelle Leben. Dann muss er sich vom Diktat des Koran und der Scharia befreien. Ich bin zugegebenermaßen skeptisch, inwieweit das in absehbarer Zeit gelingen kann. Zum einen liegt zwischen der Kirche der Inquisition und der Befreiungstheologie Südamerikas nicht zufällig ein halbes Jahrtausend. Ein halbes Jahrtausend, welches der Islam nachzuholen hätte. Zum anderen können die Vertreter des politischen Islam nach wie vor auf Verbündete im Multi-Kulti-Umfeld hoffen.

Unter der Flagge »Schutz für Minderheiten« finden sie Helfer wie den grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck, der den Bau von Moscheen mit Religionsfreiheit gleichsetzt und den Kampf für die Rechte der Muslime betreibt wie seinen Einsatz für die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen. Er verkennt dabei, dass es der Lesben- und Schwulenbewegung um gleiche individuelle Rechte geht, den Muslimen aber um vor dem deutschen Gesetz geschützte Parallelräume, in denen diese Rechte für ihre Mitglieder, insbesondere die Frauen, aufgehoben sind. Lippenbekenntnisse wie die »Islamische Charta« sind diesen Unterstützern sehr willkommen, bewahren sie sie doch davor, von Islamvertretern ein grundsätzliches Hinterfragen ihrer frauen- und damit menschenfeindlichen Gebote und die Anerkennung individueller Menschenrechte zu verlangen.

»Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte.« Das klingt gut. Nur, was ist dann mit Scharia und Koran, dem Kernbestand des Islam? Und was ist der Kernbestand der Menschenrechte? Welche Menschenrechte gehören nicht dazu? Diese Fragen sollten deutsche Politiker den Islamvertretern stellen – bevor sie sich mit ihnen an einen Tisch setzen.

Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass sich mindestens die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime selbst nicht als gläubig bezeichnet. Und dass auch unter den Muslimen viele mitreden über Islam und Religion, ohne tiefere Kenntnisse über ihre Religion und Geschichte zu haben – übrigens kein Privileg von Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund, auch an deutschen Stammtischen hat jeder das Recht, alles zu sagen, ohne sich erst um Hintergrundwissen zu bemühen. So ist manches von Deutschen formulierte Argument gegen einen Moscheebau durchaus plump fremdenfeindlich: »Die gehören hier nicht hin.«

Sie »gehören« nicht nur hierhin, sie sollten auch die Chance bekommen, in der deutschen Gesellschaft anzukommen. Dem steht eine Befreiung vom Unterricht, egal welchen Faches, »aus religiösen Gründen« entgegen. Und auch ein nach Konfessionen getrennter Religionsunterricht kann nicht integrieren. Nur das gemeinsame Lernen einer Ethik auf der Basis der Menschlichkeit kann dies leisten. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften über die Entstehung der Welt und der Menschen wären das zweite Lernziel. Und dann, erst dann, können meines Erachtens Kinder aus all den verschiedenen religiösen und nichtreligiösen Elternhäusern gemeinsam die Religionen der Welt kennenlernen.

Dem stehen natürlich nicht nur die großen christlichen Kirchen feindlich gegenüber, die auch in Deutschland erstarkenden evangelikalen Kreationisten stoßen ebenfalls zu dieser »unheiligen« Allianz. Deren Feldzug, in deutschen Schulen zu lehren, dass die Welt so erschaffen wurde wie in der Bibel geschrieben, trifft sich mit der islamischen Lehre von der absoluten Unverrückbarkeit des Koran, in beiden Fällen steht »Gottes Wort« für die absolute Wahrheit. Der Kreationismus fällt hinter das aufgeklärte Christentum zurück, das die Bibel als Werk von Menschen nahm und entsprechend interpretieren konnte. Denn, machen wir uns nichts vor, auch im Alten Testament wird die Steinigung gefordert.17

Der Kampf um den rechten Glauben findet also nicht nur im Islam statt, und die Schule ist deshalb ein so wichtiges Schlachtfeld, weil die Kinder gewonnen werden sollen. Deshalb ist die in Deutschland inzwischen alltägliche Auseinandersetzung um Nichtteilnahme am Schwimm- und Sportunterricht, an Schulausflügen und Kunstunterricht so politisch. Gerade in einem neuen Ethikunterricht statt des herkömmlichen konfessionellen Religionsunterrichts könnte eine aufgeklärte Gesellschaft wieder Land gewinnen. Das steht der Religionsfreiheit ja in keiner Weise entgegen, die Kinder können nach wie vor von ihren Eltern und der Gemeinde in der Religion unterrichtet werden, an die diese glauben. Eltern haben das Recht, ihren Kindern die eigene Religion oder den eigenen Unglauben nahezubringen. Kinder haben genau so das Recht, vom (Un-)Glauben der Eltern abzuweichen.