SIEBEN

Einzig Anne ließ sich von der Verfolgung ihrer neuen Spur nicht abbringen. Wie eine Staubsaugervertreterin lief sie mit den Fotos der Tatverdächtigen von Tür zu Tür und fragte jeden, ob ihm die beiden Männer nicht bekannt vorkämen. Auch am Supermarkt stellte sie sich auf und ließ niemanden hinaus, der sich nicht wenigstens kurz die Bilder der beiden mutmaßlichen Verbrecher angesehen hatte. Anne war derart besessen von ihrer Idee, dass sie sogar die Besucher des sonntäglichen Gottesdienstes mit ihren Fragen belästigte.

Längst murmelte man in der Polizeidienststelle hinter ihrem Rücken wenig Respektvolles. Kastner versetzte es jedes Mal einen Stich, wenn er hörte, wie Kollegen Anne als überkandidelte Ziege oder als durchgeknallte Alleinerziehende bezeichneten. Als ein Beamter sich bei der Brotzeit sogar zu der Aussage verstieg, Anne brauche nur mal einen, der sie so richtig flachlege, sprang Kastner auf, eilte zur Toilette und übergab sich. Zwar hatte auch er seine Zweifel an Annes Theorie und vor allem daran, dass ihre derzeitige Ermittlungsmethode von Erfolg gekrönt sein würde, aber solche Unverschämtheiten gingen ihm dann doch viel zu weit.

Als schließlich ein Schreiben aus dem Präsidium eintraf, in dem Anne dazu aufgefordert wurde, sich für die ehrverletzenden Eingriffe in die Privatsphäre erfolgreicher bayerischer Politiker und hochrangiger ausländischer Regenten zu rechtfertigen, traf Kastner letztlich für sich den Entschluss, Anne doch bei ihrer Recherche zu unterstützen, und zwar nach allen ihm zu Gebote stehenden Kräften. Fortan putzte auch er die Klingeln im Tal und musste sich nicht selten dumme Sprüche anhören. Der Ruf der Polizei hatte spürbar gelitten.

An einem Freitagnachmittag hatten die beiden dann aber die Nasen endgültig voll. Ohne Anne zu fragen, steuerte Kastner den Dienstwagen in eine Tankstelle, ließ die verdutzte Kollegin ohne Erklärung sitzen und kam zwei Minuten später mit zwei kalten Flaschen Bier zurück.

»Feierabend«, verkündete der Polizist und drückte Anne, die auf dem Beifahrersitz saß, die Flaschen in die Hände. »Die können uns jetzt alle mal.«

Anne bemerkte plötzlich, dass sie den ganzen Tag über viel zu viel gesprochen und gar nichts getrunken hatte.

Kastner lenkte das Auto in nördlicher Richtung durch den Ort, bog dann rechts ab, fuhr bis ans Ende der Straße, forderte Anne auf, auszusteigen, und nach einem kurzen Fußweg saßen die beiden uniformierten Beamten auf einer grünen Wiese und blickten auf den See, dessen Wasseroberfläche sich sachte kräuselte, weil ein sanfter Wind wehte. Ploppend öffneten sie die Flaschen, stießen schweigend an, schauten hinüber auf die Berge und genossen den Augenblick. So saßen und tranken sie, bis die Flaschen leer waren. Dann erhoben sie sich und begaben sich auf den kurzen Weg zum Auto zurück.

Kastner sah Anne vorsichtig von der Seite an. So nah wie jetzt hatte er sich ihr noch nie gefühlt. So harmonisch waren sie noch nie beisammen gewesen. Vielleicht mussten sie häufiger gemeinsam schweigen? Immer stärker spürte er in sich den Drang, Annes feingliedrige gebräunte Hand in die seine zu nehmen, ganz so, als wären sie ein Paar. Sollte er es versuchen? Konnte er es wagen? Schon konnte er den Streifenwagen sehen, gleich war die Chance vorbei.

Just in dem Moment, in dem er seinen Vorsatz in die Tat umsetzen wollte, kam ihnen eine Joggerin entgegen, einen kläffenden Terrier im Schlepptau.

Annes folgendes Verhalten zerstörte die intime Situation. Abrupt durchbrach sie das harmonische Schweigen und rief der Sportlerin ein lautes und angesichts der gerade noch so entspannten Situation viel zu herrisches »Halt!« entgegen.

Die Joggerin blieb stehen, schließlich hatte sie es mit zwei Polizisten in Uniform zu tun. Während Anne die Fotos der verdächtigen Münchner hervorzog und der Läuferin hinhielt, bellte der Hund Kastner an. Verwirrt betrachtete die Joggerin, die nach Weichspüler roch und auf deren geröteten Wangen sich wegen der Anstrengung kleine Schweißperlen gebildet hatten, die Bilder, und Anne fragte sie, ob sie die beiden Männer schon einmal gesehen habe.

Welcher Teufel Anne in diesen Augenblicken geritten hatte, konnte Kastner sich auch in den Folgetagen, in denen er sich diese Situation immer wieder ins Gedächtnis rief, nicht erklären. Er war sich nicht sicher, ob es die Joggerin war, die ihm die einmalige Möglichkeit verdorben hatte, Anne näherzukommen, oder ob sein Plan auch ohne ihr Erscheinen nicht aufgegangen wäre. Hatte Anne seine Absicht, ihre Hand zu ergreifen, gespürt und die Sportlerin nur angesprochen, um seinem Annäherungsversuch zu entgehen? Oder hätte sie ihn sogar gewähren lassen, hätte seine Hand genommen, ihn vielleicht sogar geküsst, aber stattdessen war ihr der eigene Ermittlerinneninstinkt in die Quere gekommen?

Tatsache war – ja, es klingt unglaublich –, dass die Joggerin die Männer auf dem Foto erkannte. Sie war sich zu hundert Prozent sicher, dass sie sie auf dem diesjährigen Seefest gesehen hatte. Einer von beiden – nicht derjenige, der so südländisch aussah, sondern der andere – hatte sie sogar angesprochen und versucht, sie auf seinen Schoß zu ziehen.

Das Wochenende, das es dauerte, bis Anne endlich die richterliche Genehmigung für einen zwangsweisen Speicheltest vorlag, empfand die ambitionierte Ermittlerin als reine Qual.

Aber dann war endlich der Montag da, an dem sie sich vormittags mit Kastner ins Auto setzte, um gemeinsam mit den Kollegen von der Kripo die beiden Verdächtigen aufzusuchen. Den Pizzabäcker Silvio Massone passten die Polizisten an seinem Arbeitsplatz ab. Widerstandslos ließ er sich abführen. Doch am Wohnsitz des zweiten Verdächtigen, Tom Garner, trafen sie nur dessen Mutter an, die behauptete, nicht zu wissen, wo ihr Sohn sei.

Während die Kripokollegen mit dem Pizzabäcker ins Polizeipräsidium zurückfuhren, um ihn in die Mangel zu nehmen, blieb Anne gemeinsam mit Kastner bei der Mutter und stellte sie zur Rede.

»Frau Garner, Ihr Sohn steht im Verdacht, zwei furchtbare Verbrechen begangen zu haben. Es geht um die Vergewaltigung zweier junger Frauen. Frau Garner, Sie waren doch selbst einmal ein junges Mädchen …«

»Mein Sohn war das nicht«, blockte die Frau ab, die verbraucht und alt aussah. »Mein Tom hat zwar früher schon manchmal Mist gebaut, aber so was würde er nie tun.«

»Wo könnte er denn jetzt sein?«

Frau Garner zuckte mit den Schultern. »Seit er studiert, ist er nicht mehr viel daheim.«

Ihre nächste Frage stellte Anne nicht sofort, stattdessen ließ sie sich einige Sekunden Zeit, um die Mutter des Verdächtigen genau zu beobachten. Irgendetwas stimmte nicht an ihrem Verhalten. Frau Garner wich Annes Blick aus und stand auf.

»Wollen Sie etwas trinken?«, fragte sie und wandte ihren Blick dem Fenster zu.

»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«

»Gestern, nein vorgestern …« Die Frau stockte. »Ach, ich weiß es nicht mehr genau, Sie bringen unser ganzes Leben …« Frau Garner konnte ihren Satz nicht vollenden, ein lautes Rumpeln von oben hielt sie davon ab.

Noch einmal suchte Anne den Blick von Frau Garner, dann fragte sie hastig: »Was war das?«

»Ich weiß nicht.« Die graue Gesichtsfarbe der Frau wechselte in ein violettes Rot. Sie stand jetzt am Fenster und zupfte nervös an dem gehäkelten staubigen Vorhang.

»Wohnt da noch jemand über Ihrer Wohnung?«, erkundigte sich Kastner, der sich bislang zurückgehalten hatte. Bei dem Haus handelte es sich um ein zweistöckiges Gebäude im Münchner Osten, ein typisches Vorstadthaus, nach dem Krieg erbaut, kleines Grundstück, einfache Nachbarn.

»Ja … also nein …«, stammelte die Frau und fuhr sich nervös durch das schulterlange graue Haar. »Also schon …«

»Also was?«, fragte Anne vorwurfsvoll.

»Der Marder …«, erwiderte Frau Garner, »und Mäuse.«

»Und die machen so einen Krach!«, fuhr Kastner Tom Garners Mutter an. Er stand auf, machte einige Schritte auf sie zu, und als er direkt vor ihr stand, sagte er: »Frau Garner, ich empfehle Ihnen, uns nicht anzulügen. Wo geht’s zum Dachboden?«

Der Frau entfuhr ein Seufzer, dann sagte sie: »Zur Wohnungstür raus und die Treppe hoch …« Eine Träne kullerte ihr aus dem rechten Auge. Sie wandte sich ab.

Als Kastner sich auf den Weg machen wollte, stoppte Anne ihn. »Ich mach’ das. Ich schau da nach. Bleib du hier.«

»Anne, der Typ ist gefährlich!«, gab Kastner zu bedenken. »Vielleicht sollten wir erst Verstärkung anfordern.«

»Stell du dich ins Treppenhaus«, wies Anne ihn an. »Dann hast du sie im Auge«, die Polizistin deutete mit ihrem Kopf in Richtung der still vor sich hin weinenden Mutter, »und kannst mich absichern.«

»Soll nicht lieber ich …?«, versuchte es Kastner noch einmal.

Doch Anne hatte noch eine Rechnung offen. Es war eine Rechnung mit sich selbst: Die Scham über die Niederlage mit dem überflüssigen Gentest saß noch immer tief. Aber sie war ehrgeizig. Sie brauchte Pluspunkte. Nicht wegen des Präsidiums, wegen Nonnenmacher oder irgendwem sonst. Es ging nur um sie selbst. Sie hatte in diesem Fall ins Klo gegriffen. Und jetzt bot sich eine Möglichkeit, ihre Ehre wiederherzustellen.

»Es hat etwas mit Selbstachtung zu tun«, sagte Anne jetzt. Kastner verstand nicht. Er schaute verstört in ihre Richtung. Doch Anne war bereits im Flur der Wohnung und öffnete die Tür zum Treppenhaus. Dort zog sie die Waffe aus dem Holster, entsicherte sie und eilte mit leisen Schritten, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, die zwei Treppen in das Dachgeschoss hinauf. Oben, vor der schweren hellgrauen Metalltür, blieb sie einen Augenblick stehen und lauschte. Hinter der Tür war nichts zu hören. Unten stand jetzt Kastner bereit. Die Pistole in der rechten Hand, legte Anne die linke auf die schwarze Klinke. Dann zog sie die Dachbodentür vorsichtig auf – und zuckte sofort erschrocken zusammen, als dabei ein vernehmbares Quietschen ertönte.

»Fuck«, flüsterte Anne und ging hastig links vom Türrahmen in Deckung.

»Soll ich nicht doch hochkommen?«, raunte Kastner von unten herauf. Das, was sie hier taten, entsprach überhaupt nicht den Vorschriften, es war Wahnsinn.

Anne antwortete nicht, sondern horchte. Ihr Herz pochte. Im Dachgeschoss war es still. Keine Lampe brannte. Das spärliche Licht, das die Tiefe des Raums schemenhaft erahnen ließ, kam vermutlich von einem Dachfenster.

»Herr Garner«, rief Anne ins Halbdunkel hinein. Keine Antwort. »Herr Garner, ich bin Anne Loop – von der Polizei. Falls Sie hier oben sein sollten …«, Anne hielt kurz inne. Hatte ihre Stimme gerade gezittert?, »… dann sollten Sie jetzt schleunigst herauskommen. Wir haben nämlich ein paar Fragen an Sie.« Keine Reaktion. War es doch der Marder gewesen?

»Anne, jetzt komm runter, ich fordere Kollegen an, die sollen den Dachboden durchsuchen.« Kastner klang nervös. Anne antwortete nicht auf seinen Vorschlag. Vielmehr machte sie drei schnelle Schritte: einen hin zur Mitte, einen nach vorn in den schlecht beleuchteten Dachboden hinein und sofort wieder einen nach links. Es rumpelte, und Anne entfuhr ein lautes »Au!«, als sie mit voller Wucht in ein halb hohes Metallschränkchen hineinkrachte. Ihr Oberschenkel brannte vor Schmerz. »Scheiße!«, entfuhr es ihr.

»Anne, alles okay?«, fragte Kastner nach oben. Seine Stimme klang hilflos. Anne nickte reflexartig. Dann versuchte sie, sich zu orientieren. Der Dachboden schien aus einem einzigen großen Raum zu bestehen, der vollgestellt war mit dem üblichen Gerümpel: Schränke, ein Fahrrad, Umzugskartons, Koffer. In der Mitte hatte Frau Garner – oder wer auch immer – einen schmalen Gang freigelassen, der direkt auf ein Fenster zulief. Anne lauschte. Nichts. Wie gefährlich war, was sie hier tat? War Tom Garner hier? War er bewaffnet? Würde er auf sie schießen? Konnte sie das verantworten? Anne dachte an ihre Tochter. Lisa hatte schon keinen Vater …

»Sepp«, rief Anne unwillkürlich zu Kastner hinaus.

»Ja?«, kam es von unten zurück.

»Ach nix«, sagte die Polizistin jetzt, aber zu leise, als dass Kastner es hätte hören können. Dann schloss Anne kurz die Augen und schlich katzengleich, halb in der Hocke und mit der Pistole im Anschlag, den Gang in Richtung des Fensters. Bei jedem Schritt, den sie machte, sah sie erst nach links, dann nach rechts. Erst nach links, dann nach rechts. Es roch nach Staub und – Tod. Anne hustete. Von Tom Garner keine Spur. Als Anne ganz vorn am Fenster war, entspannte sich ihr Körper. Sie warf einen kurzen Blick durch das schmutzige Glas und erblickte einen handtuchgroßen Garten. Dann drehte sie sich um, rief: »Alles in Ordnung Sepp, der ist hier nicht« und schritt zur Dachbodentür zurück.

Sie hatte sich geirrt.

Auf halbem Weg rumpelte es plötzlich rechts hinter ihr, und ehe Anne sich umdrehen konnte, spürte sie, wie sich etwas um ihren Hals legte und ihr die Luft raubte. Anne ächzte. Ihr wurde schwindelig. Sie spürte starken Druck auf den Augen.

Aber sie spürte auch Hass. Es war derselbe Hass, den sie bis heute gegenüber dem Mann empfand, der ihren Vater – er war ein angesehener Richter gewesen – im Gerichtssaal erschossen hatte. Damals war Anne zwölf gewesen. Es war derselbe Hass, den sie gegenüber dem Lehrer verspürt hatte, der sie, als sie sechzehn war, dazu überredet hatte, mit ihm Sex zu haben. Ein klarer Fall von Nötigung, eine Schande.

Die Schlinge – es musste ein Strick sein – schnitt sich tief in die Haut an Annes Hals. Sie wusste, dass es nur noch Sekunden dauern würde, bis sie das Bewusstsein verlor. Sie erahnte bereits den Frieden, der dort auf sie wartete, und war kurz davor, sich dem lockenden Sog hinzugeben.

Stopp! Plötzlich hatte sie wieder das Bild vor Augen, wie ihr Vater, getroffen von der Kugel seines Mörders, ächzend vom Stuhl sackte. Durch den Hass auf alles Böse in der Welt, der sogleich wieder in ihr aufstieg, konnte sie neue Kräfte mobilisieren. Blitzartig und mit letzter Kraft ging Anne in die Knie, beugte ruckartig den Kopf nach vorn und schleuderte den Angreifer über ihren Kopf hinweg.

Augenblicke später spürte sie, dass wieder Luft durch ihre Kehle drang. Sie war zurück im Leben. Und ehe der Angreifer in der Lage war aufzustehen, sprang sie ihm mit den Knien auf den Brustkorb, dass es krachte. Sollen deine Rippen ruhig brechen, du Sau!, dachte Anne. Oder hatte sie es sogar gezischt? Mit ihren Händen umfasste sie seinen Hals, drückte wie von Sinnen mit beiden Daumen auf den Kehlkopf – und dann war Ruhe. Stille. Nichts.

Schnaufend und mit Entsetzen in den Augen starrte Anne auf den am Boden liegenden Kerl. Als wäre er kilometerweit weg, hörte sie Kastner rufen: »Anne! Anne, alles okay bei dir?«

Anne war unfähig zu antworten. Mit beiden Händen klatschte sie dem leblosen Tom Garner auf die Wangen.

»Hey«, fauchte sie ihn an. »Hey, hey, hey, aufwachen! Wach auf, du Sack! Was ist mit dir?«

Doch der Student rührte sich nicht.

»Anne!«, rief jetzt Kastner erneut von unten. Dann hörte die Polizistin, wie er die Treppe heraufgeeilt kam, und plötzlich stand er, die Dienstwaffe im Anschlag, im Türrahmen. Weil es im Flur heller war als auf dem Dachboden, sah Anne nur die schwarze Silhouette seines Körpers.

»Alles okay?«, erkundigte sich ihr Kollege. Anne zuckte mit den Schultern. Kastner fragte: »Was ist mit ihm?«

»Ich weiß nicht«, Anne stockte, »ich weiß nicht, vielleicht ist er tot. Ich habe … ich bin … vielleicht bin ich …« Kastner kniete sich neben sie und den leblos daliegenden Studenten und starrte sie an. »… ausgerastet«, vollendete Anne ihren Satz.

»Ausgerastet?«, fragte Kastner ungläubig. »Ist er wirklich tot? Hast du … ihn …?«

»Die Sau hat mich von hinten angesprungen, der hat mich fast erwürgt.« Anne klang hilflos.

»Warte mal … Geh weg.« Kastner schob Anne beiseite und versuchte, Tom Garner wiederzubeleben. Während er Garners Brustkorb mit einer Herzdruckmassage bearbeitete, ächzte er: »Ruf die anderen, einen Arzt. Schnell, Anne!«

Keiner machte ihr einen Vorwurf dafür, wie sie mit dem Studenten Tom Garner verfahren war. Doch allein die Tatsache, dass Sebastian Schönwetter sie sofort nach dem Vorfall für unbegrenzte Zeit in Sonderurlaub geschickt hatte, sagte ihr, dass auch den anderen nicht entgangen war, dass ihr die Sache entglitten war.

Das Schlimmste aber war ihre innere Stimme, die sie in den vielen freien Stunden, die sie ja nun aufgrund der Dienstbefreiung hatte, mit der Frage traktierte, wie es ihr hatte passieren können, dass sie derart die Kontrolle über sich verlor. War sie ein »Psycho«? Dann war da noch diese andere Stimme in ihr, die sie darauf hinwies, dass der Hass, der sie just in dem Moment überkommen hatte, als Garner ihr die Schlinge um den Hals gelegt hatte, dass es dieser Hass war, dem sie es zu verdanken hatte, dass sie noch am Leben war.

Garner hätte sie umgebracht, das war klar. Und jetzt musste er vielleicht selbst sterben. Die Ärzte beurteilten seinen Zustand als kritisch. Der Tatverdächtige lag im Koma. Anne dachte an Garners Mutter. Sie hatte sie und Kastner belogen, natürlich hatte sie das! Womöglich wäre alles anders gekommen, wenn die Mutter zugegeben hätte, dass ihr Sohn sich auf dem Dachboden versteckt hatte. Dann wäre Anne niemals allein dort hinaufgegangen. Aber, das war auch klar: Anne hatte gegen die Vorschriften verstoßen. Niemals hätte sie sich allein in diese gefährliche Situation begeben dürfen.

Anne hatte einen Fehler gemacht. Einen Fehler, den womöglich ein anderer mit dem Leben bezahlen würde.

An Tag eins von Annes Zwangsurlaub knöpften sich Schönwetter und Kastner den zweiten Verdächtigen vor. Doch Silvio Massone leugnete hartnäckig, irgendetwas mit der Tat zu tun zu haben. Dies änderte sich auch nicht, als den Ermittlern das Ergebnis des DNA-Vergleichs vorlag. Zwar gab es keine genetische Übereinstimmung zwischen dem Speichel des Pizzabäckers und den an Madleen Simon festgestellten Spermaspuren. Aber die Haarprobe des im Koma liegenden zweiten Tatverdächtigen brachte ein eindeutiges Ergebnis: Tom Garner hatte in Madleen Simons Todesnacht mit ihr Sex gehabt. »Jetzt haben wir ihn«, hatte Kastner hervorgestoßen, als er von dem Ergebnis des Tests erfuhr, er war begeistert und erleichtert zugleich. Immerhin gab Silvio Massone jetzt zu, dass »sein Kumpel« mit Madleen Simon geschlafen habe. Aber das sei freiwillig gewesen. Und er selbst habe damit rein gar nichts zu tun.

Die Ermittler glaubten ihm kein Wort.

Am zweiten Tag nach Annes Ausraster staunte Sebastian Schönwetter nicht schlecht, als die Polizistin plötzlich im Vernehmungsraum stand.

»Was wollen denn Sie hier, Frau Loop?«, fragte er.

Anne registrierte genau den Tonfall, in dem der Kripochef sie ansprach: als hätte er ein unmündiges Kind vor sich, als wäre sie nicht ganz zurechnungsfähig.

»Ich bin wieder okay«, antwortete Anne knapp. »Ich will bei den Vernehmungen dabei sein.«

Schönwetter runzelte die Stirn. »Lassen Sie uns kurz rausgehen.« Und zu Silvio Massone gewandt sagte er: »Sie können in der Zwischenzeit eine rauchen, ich bin gleich wieder da.« Kastner blieb bei Massone, erhob sich aber und öffnete das Fenster.

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, redete Schönwetter eindringlich auf seine Kollegin ein. »Frau Loop, Sie sollten jetzt erst einmal zur Ruhe kommen. Das war sehr viel auf einmal für Sie. Sie müssen sich schonen. Sie wären bei dem Einsatz fast ums Leben gekommen.«

»Mir geht es wieder gut«, erwiderte Anne trotzig. »Ich will dabei sein.«

»Sie sind traumatisiert. Schauen Sie sich doch bitte Ihren Hals an! Der Mann hätte sie fast umgebracht. Und Sie …« Er vollendete den Satz nicht.

»Und ich?«, fragte Anne vorwurfsvoll. Ihr Hals wies tatsächlich schlimme Schürfungen auf und Würgemale in den Farben Violett, Blau und Gelb. »Sie glauben wohl, dass ich ausgerastet bin, wie? Dass ich nicht ganz dicht bin? Bin ich aber. Ich kann klar denken. Ich will hier mitmachen.«

»Ich kann dafür aber nicht die Verantwortung übernehmen«, antwortete Schönwetter hilflos. »Wenn Sie traumatisiert sind …«

»Ich übernehme die Verantwortung dafür. Ich allein. Ich kann das«, sagte Anne und ging, ohne auf Schönwetter Rücksicht zu nehmen, in den Vernehmungsraum, wo sie sich auf den Stuhl neben Sepp Kastner setzte, der sie mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Befremden anblickte. Zögerlich folgte Schönwetter der jungen Frau und nahm ebenfalls Platz.

»Er sagt, dass das Opfer freiwillig mit dem Garner Sex gehabt hat«, brachte Kastner Anne auf den Stand der Ermittlungen.

»Und was ist mit dem Liquid Ecstasy, das Frau Simon im Blut hatte?«, ging Anne den Italiener scharf an, woraufhin der nur cool mit den Schultern zuckte und ihr Rauch ins Gesicht blies.

»Weiß ich nix von.«

Der Rest der Vernehmung brachte die Ermittler auch keinen Schritt weiter. Silvio Massones Auftreten blieb arrogant, zur Sache äußerte er sich nicht, und wegen seines machohaften Getues hätte Anne ihm am liebsten die Fresse poliert. Da sie aber schon einmal ausgerastet war, hielt sie sich zurück.

Direkt im Anschluss zog sich die Polizistin um und ging in den Fitnessraum im Keller der Dienststelle. Nach einer Dreiviertelstunde fühlte sie sich völlig ausgepowert. Mit einer Apfelschorle in der Hand nahm sie an ihrem Tisch im Dienstzimmer Platz und studierte noch einmal aufmerksam die gesammelten Akten zu dem Fall. Unversehens stieß sie dabei auch auf die Seite mit der rechtsmedizinischen Beschreibung des Zustands von Madleen Simons Leiche. Im Gutachten las sie, dass an der Hand der Toten Schmauchspuren gefunden worden waren. Schmauchspuren, die vom Gebrauch einer Schusswaffe stammen mussten. Das hatte sie völlig vergessen. War dies nicht eine Information, die sie zumindest einen kleinen Schritt weiterbringen konnte?

Vor der nächsten Vernehmung veranlasste Anne eine ärztliche Untersuchung des Verdächtigen Silvio Massone. Und tatsächlich stellte der Kollege von der Rechtsmedizin eine frische Vernarbung am Oberschenkel des Pizzabäckers fest, eine Narbe, die »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« – so umständlich drückten sich nur Ärzte und Anwälte aus – von einem Streifschuss stammte.

Endlich hatten die Ermittler etwas in der Hand, um den Italiener unter Druck zu setzen. Natürlich konnte Massone keine glaubwürdige Begründung für die frische Narbe liefern.

»Sie sagen, dass Madleen Simon freiwillig Sex mit Ihrem Kumpel hatte.« Der Pizzabäcker zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Aber ich habe da eine ganz andere Theorie«, fuhr Anne fort. Mit festem Blick fixierte sie den mutmaßlichen Täter. »Ich glaube, dass Sie Frau Simon mit einer Waffe zum Sex gezwungen haben. Und dass sich dabei ein Schuss gelöst hat, der Sie verletzt hat.«

Noch immer lächelte der Italiener die Polizistin höhnisch an und erwiderte in seinem gebrochenen Deutsch: »Iche habe mit alles nixe zume tun.«

Ohne auf seine Erwiderung einzugehen, ließ Anne nun eine Theorie vom Stapel, die den zwischendurch wieder halbwegs beruhigten Sebastian Schönwetter – vor allem auch wegen Annes gutem Einfall mit den Schmauchspuren – erneut an der geistigen Gesundheit der Polizistin zweifeln ließ und Kastner obendrein die Schamesröte ins Gesicht trieb.

Anne sagte nämlich: »Doch, Herr Massone, dass Sie verletzt wurden, ist ja gar nicht alles. Wie Ihr Freund Tom Garner wollten nämlich auch Sie Sex mit Madleen Simon. Aber die Sache lief nicht so, wie Sie sich das vorgestellt hatten. Madleen Simon war nämlich eine starke Frau. Stärker als Sie. Sie hat sich gewehrt. Sie hat auf Sie geschossen. Und weil Sie ein Problem mit starken Frauen haben, haben Sie – im Gegensatz zu Ihrem Freund – am Ende keinen hoch bekommen!«

Silvio Massone starrte die Polizistin an, als hätte sie ihm mitgeteilt, dass seine Frau und sie Lesben seien und demnächst heiraten würden.

Doch Anne fuhr fort: »Und ich sage Ihnen noch etwas: Der einzige Grund dafür, dass von Ihnen keine Spermaspuren am Tatopfer zu finden sind, ist der, dass Ihr kleiner Pipipeter«, Anne hielt Zeigefinger und Daumen ihrer rechten Hand etwa ein Daumenbreit auseinander, »schlaff war wie eine rohe Thüringer. Mein lieber Herr Massone, Sie konnten einfach nicht, Ihre Manneskraft hat versagt!«

Triumphierend stellte Anne fest, dass Massone sich zutiefst provoziert fühlte. Seine Lässigkeit von gerade eben war verschwunden. Aus seinem Blick sprach die Mordlust eines Raubtiers. Doch noch schwieg er. Ein bisschen mehr Öl noch, dachte sich Anne, dann haben wir ein loderndes Feuer der Wahrheit. Beinahe reglos beobachteten Schönwetter und Kastner die verbalen Schachzüge ihrer Kollegin.

»Haben Sie sonst auch Potenzprobleme?«, stichelte Anne weiter. Dann wandte sie sich Schönwetter und Kastner zu. »Vielleicht sollten wir seine Frau vorladen?«, schlug sie vor. »Die kann uns sicherlich etwas zu den Steherqualitäten von Signore Silvio Massone sagen, was meint ihr?«

»Meine Frau bleibte ausse Spiel!«, fuhr jetzt endlich der Verdächtige dazwischen.

»Ihre Frau bleibt eben nicht aus dem Spiel. Sepp, geh raus und schick zwei Kollegen zu Frau Massone, ich möchte von ihr persönlich hören, wie das für sie ist, dass ihr Mann keinen hochkriegt.«

»Iche kriege alles hoch!«, rief der Italiener. Er war jetzt vollkommen außer sich wegen all der Beleidigungen, die die junge Polizistin ihm zugefügt hatte.

Minuten später hatten die Ermittler ein Geständnis, das den Fall zwar nicht löste, aber sie doch ein großes Stück weiterbrachte. Es dürfte sich hierbei um eines der ersten Geständnisse der bayerischen Polizeigeschichte handeln, das beinahe durchgehend gebrüllt wurde.

»Natürlich hätte iche es diese Maddalena auch besorgt. Das du kannste glaube mir. Aber diese durchgeknallte Ossi-Tussi hatte ja auf eine Male geschosse wie wild. Iche bin doch nixe lebemüde! Denke nur, Frau Polizist, Tausende Frauen wolle mit mir schlafe, auch deutsche, da musse iche doch nix schlafe mit Frau, wo schießt! Bine iche bescheuert?«

Dank dieser Aussage bestätigte sich die Vermutung der Ermittler: Madleen Simons Tod stand in unmittelbarer Verbindung mit Sex. Und zwar Sex, bei dem Gewalt mit im Spiel war.

Doch dies war nicht der einzige Glücksfall, der die Polizisten beflügelte. Denn am nächsten Tag erhielten sie eine Nachricht aus dem Krankenhaus, die vor allem Anne unbeschreiblich erleichterte: Tom Garner war aus dem Koma erwacht. Und wie es den Anschein hatte, würde er von dem fast tödlichen Zweikampf mit Anne keine langfristigen gesundheitlichen Schäden davontragen. Seine Vernehmung wurde gleich für den Folgetag ins Auge gefasst.

Als Anne das Krankenzimmer in Begleitung von Sebastian Schönwetter und Sepp Kastner betrat, war sie überrascht, nicht nur die Mutter des Verdächtigen neben dessen Bett sitzen zu sehen, sondern auch noch einen Fremden. Der Mann im dunklen Anzug mochte um die vierzig sein, obwohl seine Haare bereits fast weiß waren. Doch das Gesicht des Anwalts, denn das war er, wie sich herausstellte, war wesentlich jünger. Und offensichtlich hatte der Strafverteidiger bereits ganze Arbeit geleistet, denn er ließ es gar nicht erst zu einer Befragung kommen: Sein Mandant sei noch schwach, man müsse ihn bitte schonen. Aber er, der Anwalt, habe schon eine schriftliche Erklärung seines Mandanten aufgesetzt, die, so viel könne er verraten, in weiten Teilen als Geständnis einzuordnen sei. Er bitte die Ermittler aber trotzdem noch um ein wenig Zeit, er wolle mit seinem Mandanten das Ganze noch einmal detailliert durchsprechen.

Tatsächlich hielt der Anwalt Wort. Am nächsten Tag verlas Sebastian Schönwetter vor dem versammelten Ermittlerteam eine umfassende und von Tom Garner mit krakeliger Schrift unterzeichnete Erklärung:

»Ich, Tom Garner, gebe diese Erklärung ab, weil ich Angst habe, dass man mich des Mordes an Madleen Simon beschuldigen könnte. Ich bin aber kein Mörder. Nicht einmal ein Totschläger. Die ganze Sache ist ein Unglück, das nie hätte passieren dürfen. Um dies verstehen zu können, will ich zunächst die Ereignisse des ganzen Abends, der dem Unglück vorausging, schildern:

Mein Freund Silvio Massone und ich haben an besagtem Abend in München bis etwa einundzwanzig Uhr zu Abend gegessen. Dann sind wir an den See gefahren, wo wir uns auf dem Fest unter die Leute gemischt haben. Dort habe ich auch Madleen Simon kennengelernt. Wir haben uns gut verstanden. Madleen war schon ziemlich betrunken. Trotzdem hat sie vorgeschlagen, gemeinsam schwimmen zu gehen. Sie kenne eine schöne Stelle. Also sind wir an das Ufer unterhalb von Gut Kaltenbrunn gefahren. Silvio war auch mit dabei, er kann alles bezeugen.

Als wir dort waren, wollte Madleen nicht mehr schwimmen, da sie es zu kalt fand. Wir saßen nebeneinander und haben auf den See und seine Ufer geschaut, die wegen des Festes vor lauter Lichtern nur so funkelten. Es war romantisch. Da hat Madleen angefangen, mich zu küssen. Ich sage dies ausdrücklich: Sie war es, die mit den Zärtlichkeiten begonnen hat. Wir haben zuerst nur im Sitzen geknutscht. Dann haben wir uns aber in den Kies gelegt, und irgendwann habe ich mir die Hose und Madleen ihr Kleid ausgezogen und wir haben miteinander geschlafen. Ich betone, dass das zu hundert Prozent freiwillig war!

Silvio ist währenddessen im Auto gesessen und hat, glaube ich, gekifft oder sich sonst was reingepfiffen. Wir waren schon fast am Einschlafen, da ist der Silvio plötzlich mit einer Pistole dagestanden und hat von Madleen verlangt, dass sie jetzt auch mit ihm schläft. Ich glaube nicht, dass er das ernst gemeint hat. Er ist eigentlich nicht brutal oder gewalttätig. Silvio hat auch noch gesagt, dass wir Brüder seien und alles teilen würden, auch die Frauen.

Obwohl das natürlich Quatsch ist, hat Madleen sich nicht direkt geweigert, mit ihm zu schlafen, sie hat aber gesagt, dass wir erst etwas trinken und einen Joint rauchen sollten. Damit war Silvio einverstanden, und er hat Dope und eine Dose mit einem Wodka-Mixgetränk geholt. Anschließend hat er sich neben Madleen und mich gesetzt und einen Joint gedreht.

Madleen hat von dem Mixgetränk getrunken und auch mitgeraucht. Dann hat sie völlig überraschend die Pistole, die Silvio neben sich in den Uferkies gelegt hatte, gezogen und ihn bedroht und beleidigt.

Weil ich mir nicht sicher war, ob Madleen das jetzt ernst meint oder nicht, weil sie doch schon ziemlich besoffen und bekifft war, habe ich versucht, ihr die Waffe aus der Hand zu reißen. Dabei hat sich ein Schuss gelöst, der den Silvio gestreift hat. Wegen des Bluts an seinem Bein ist der Silvio total durchgedreht – wahrscheinlich auch wegen der Drogen, die er genommen hat.

Und ziemlich gleichzeitig hat bei Madleen die Wirkung von dem GHB eingesetzt. Ich habe das nicht gewusst, aber der Silvio hat, als er im Auto war, heimlich GHB in die Dose mit dem Wodka gemischt. Für Madleen war das wahrscheinlich zu viel. Sie ist plötzlich bewusstlos geworden.

Ich kann mir vorstellen, dass der Silvio mit der Madleen dann eigentlich schon noch schlafen wollte. Aber die hat schon wie tot gewirkt. Das wundert mich, weil sonst, wenn wir Frauen Liquid Ecstasy gegeben haben, sind die immer noch relativ fit geblieben. Normalerweise bewegen sich die Frauen noch und machen auch mit beim Sex. Ich glaube deshalb, dass Madleen noch sehr viel anderes Zeug genommen hat. An dem GHB von uns kann es nicht liegen, dass sie gestorben ist. Die Dosis Liquid Ecstasy, die sie genommen hat, war garantiert nicht zu hoch.

Nachdem die Madleen sich also nicht mehr gerührt hat, haben wir sie gerüttelt, aber die gab keinen Mucks mehr von sich. Ich habe Mund-zu-Mund-Beatmung probiert, stabile Seitenlage und das alles. Ich bin mir total sicher, dass Madleen zu diesem Zeitpunkt schon tot gewesen ist. Eine Rettung habe ich nicht mehr für möglich gehalten. Also haben wir überlegt, was wir tun sollen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir Madleen am besten in den See werfen. Wir konnten sie sowieso nicht mehr retten. Sie war tot. Und so würde es dann wenigstens so aussehen, als sei sie ertrunken, dachten wir uns. So war es.

Es tut mir leid. Es hört sich komisch an, aber ich habe mich an diesem Abend in Madleen verliebt. Der unglücklichste Mensch der Welt, das bin ich. Und Silvio hat das mit dem GHB sicher nicht mit Absicht gemacht. Das Ganze ist einfach dumm gelaufen.«

»Dumm gelaufen«, wiederholte Anne Loop. Und Kurt Nonnenmacher, der genauso wie Sepp Kastner, der Polizeilehrling Hobelberger und die anderen Polizisten der Dienststelle schweigend zugehört hatte, meinte nur: »Scheiß Designerdrogen.«