Während Veit Höllerer auf die Polizei wartete, rätselte er, warum ihn der Anblick der toten Schönheit nicht verstörte, sondern – er wagte es kaum, diesen Gedanken zuzulassen – erregte. Seltsam, dieses Begehren des Mannes für die Frau. Sogar dann noch, wenn der Mann alt und die Frau tot war. Und das, obwohl die Menschheit bereits Zehntausende von Jahren Schöpfungsgeschichte hinter sich gebracht hatte und man mittlerweile sogar mit Computern sprechen konnte, als wären sie Menschen – jedenfalls beinahe. Höllerer brachte das Unbegreifliche auf den Punkt, nur für sich, ein für allemal: Für eine schöne Frau ließ jeder Mann das tollste Auto der Welt stehen, einen Ferrari zum Beispiel. Waren Frauen eigentlich auch so blöd? Wegen einer Frau ruinierte ein Mann sein Leben, gab seine Arbeit auf, hängte sich an einem Dachbalken in der Tenne auf, hörte auf zu essen, zu schlafen, ja sogar Bier zu trinken.

Kopfschüttelnd erinnerte sich Höllerer an seinen alten Schulfreund Hansi Rappenglück, der vor zwanzig Jahren doch tatsächlich wegen einer nicht einmal schönen Vegetarierin aus Amerika aufgehört hatte, Fleisch zu essen. Ja, ausgerechnet der Rappenglück, der einmal für eine Wette, bei der es zwei Leberkässemmeln zu gewinnen gab, einen lebenden Regenwurm verzehrt hatte. Ohne Senf. Gut, die Vegetarierin war dem Rappenglück nicht bekommen – er war bereits früh gestorben. Höllerer lebte immerhin. Aber trotzdem: Wie ließ sich dieses Mysterium erklären? Wohl nicht damit, dass das junge Ding zwei X-Chromosomen hatte und er als Mann und Bayer nur eins.

Und was, Sakrament!, war überhaupt das Wesen der Schönheit? Warum liebte der Mann den Anblick weiblicher Brüste? Das waren doch im Grunde nur mit Fett, Drüsen und Muskeln gefüllte Hauttaschen. Hörte sich das nicht ekelhaft an? Aber welcher Mann vergegenwärtigte sich das schon, wenn er ein so wohlgestaltetes Exemplar vor sich liegen hatte wie der Höllerer jetzt! Und noch verrückter wurde es, wenn man sich vorstellte, was sich da so zwischen den Beinen der Frau abspielte. Was bitte war an dem magischen Dreieck so verlockend, dass es einem gestandenen Mann derart den Verstand rauben konnte? Betrachtete man das Ganze rein vernunftmäßig, konnte man eigentlich nur beim weiblichen Venushügel von so etwas wie Schönheit sprechen. Immerhin erinnerte diese Erhebung von ihrer geologischen Formation her an die sanften Hügel der bayerischen Voralpen, die den Gefilden zwischen Bodensee und Berchtesgaden ihren einzigartigen Charakter verliehen. Aber welcher Mann hielt sich schon länger beim Venushügel auf? Das brauchte dem Höllerer keiner zu erzählen: Das Mannsbild zog es, gleich welcher Nationalität, Sprache und Religion, nicht in erster Linie auf den Höhenkamm der weiblichen Scham. Vielmehr stürzte sich, wer den Gipfel der Lust suchte, in die feuchten Tiefen der nach Erde, Wald und Vanille riechenden Höhle zwischen den weiblichen Schenkeln. Insgesamt fand Höllerer das in Bezug auf sich selbst auch insofern seltsam, weil es ihn im richtigen Leben zu keiner Gelegenheit in irgendwelche Höhlen zog. Höhlen konnten ihm, dem Jäger, der hinauf auf die Gipfel strebte, gestohlen bleiben.

Irgendwie ergab das alles keinen Sinn!

Und dann noch diese tätowierten Hörner, die da aus dem Venusdreieck der Toten herauswuchsen. Hatte das Mädchen gar etwas mit dem Teufel am Laufen gehabt? Musste es am Ende deshalb sterben? War es einem wüsten Mordritual zum Opfer gefallen? Einer satanischen Messe? Wie überhaupt war dieses junge Ding zu Tode gekommen?

Sahen irgendwie frech aus, diese Hörner. Höllerer ertappte sich bei einem Lächeln, und seine Gedanken, die fand er überhaupt nicht unzüchtig. Aber seiner Frau, die gerade neue Wadlstrümpfe für ihn strickte – natürlich nach dem traditionellen Muster –, hätte er die Details seines Philosophierens niemals preisgegeben. Und der Polizei schon gar nicht. Zu gerne hätte er das Mädchen gefragt, ob die Hörner eine Art Gaudi darstellten, eine witzige Maskerade; das Wort »Intimfasching« kam ihm in den Sinn. Gab es dieses Wort, oder hatte er sich das jetzt ausgedacht?

Die Schamhaare, von denen die Hörner ausgingen, erinnerten Höllerer jedenfalls an den Kopf der Gams, die er kürzlich nahe der Rauheckalm erlegt hatte. Die Hörner derselben hatte er noch nicht präpariert. Aber falls diese junge menschliche Gams nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern von einem erlegt worden war, dann durfte sich dieser Jemand auf etwas gefasst machen. Der alte Jäger, geboren und aufgewachsen an dem See inmitten von Bergen, war sich sicher: Das, was er hier gefunden hatte, hatte das Zeug zum Skandal. Und während Höllerer noch diesen Gedanken nachhing, beobachtete er, wie seine rechte Hand gleichsam ferngesteuert durch die Luft flog, um dann vorsichtig in dem feuchten Schamhaar der toten Frau zu landen. War Höllerer verrückt geworden? Einiges sprach dafür, denn just in diesem Moment vollführten die Finger des Pensionisten auf dem Venushügel des toten Fräuleins eine schwunghafte, nicht unzärtliche kreisrunde Bewegung und verschwanden, so schnell, wie sie gekommen waren, wieder in der Jackentasche. Höllerers Jagdhund hatte alles beobachtet.