Veit Höllerer fand den Tonfall, in dem ihn der Polizist nach seinem Namen fragte, völlig unangemessen. Er konnte sich nicht helfen: Irgendwie wirkte der junge Mann auf ihn verspannt. Seinen eigenen Namen hatte der Polizist auch nicht verraten. »Wie heißen Sie denn überhaupt?«, hatte der Pensionär ihn deshalb gefragt.

»Sepp Kastner«, hatte sein Gegenüber geantwortet. Erst dann hatte auch der Höllerer seine persönlichen Daten herausgerückt. Die Kollegin, die der Polizist mitgebracht hatte und die jetzt überprüfte, ob die Frau noch lebte (und das, obwohl der Höllerer den beiden Beamten die Mausetotheit der Leiche schon mitgeteilt hatte, und als Jäger musste er es ja wissen!), glaubte Höllerer schon einmal gesehen zu haben. Aber nicht in echt, sondern – konnte das sein? – im Fernsehen. Doch darauf konnte sich der Mann jetzt nicht konzentrieren, weil der unfreundliche Polizist ihn doch glatt fragte, ob er die Frau umgebracht habe. Fast hätte der Höllerer gelacht. Stattdessen hatte er aber nur »Nein« gesagt, der Höllerer. Was er dann hier am Ufer gemacht habe, wollte dieser Polizist jetzt noch von ihm wissen.

»Morgenspaziergang«, hatte der Höllerer einsilbig geantwortet. Der Polizist konnte ihm den Buckel herunterrutschen. Wer so mit ihm sprach, würde nichts von ihm erfahren, vielleicht sogar noch weniger.

»Wie haben Sie die Leiche aufgefunden?«

»Die ist im See geschwommen.«

»Lebte sie da noch?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Warum nicht?«

»Weil ich kein Hellseher bin.«

»Hat sie sich im Wasser noch bewegt?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Und dann?«

»Hab’ ich sie rausgezogen.«

»Mit der Hand?«

»Nein, erst nicht.«

»Mit was dann?«

Höllerer hätte jetzt gerne »mit dem Fuß« geantwortet, einfach so, weil er fand, dass der Polizist ein Depp war. Aber das hätte sich vermutlich nicht gut auf die weitere Befragung ausgewirkt. Irgendwie hing der Höllerer ja jetzt doch in einem Fall mit drin, bei dem man nicht so genau wissen konnte, was dabei herauskommen würde. Also erklärte er, dass er die Frau mit dem Birkenast herausgezogen habe. Zur Verdeutlichung deutete der pensionierte Schneider auf das am Boden liegende Beweisobjekt.

»Kennen Sie die Frau?«

»Nein.«

»Sie ist tot«, sagte jetzt die Polizistin. Ganz schön schlau, die Polizei, dachte sich der Höllerer. Dann sagte die Dame noch: »Aber auf den ersten Blick finde ich keine Anzeichen für Gewalteinwirkung.« Und zu Höllerer gewandt fragte sie: »Haben Sie die Frau angefasst?«

»Ja! Hab’ ich doch schon gesagt«, antwortete der Höllerer.

»Ja, hat er«, bestätigte der Polizeibeamte.

»Warum?«, wollte die Polizistin wissen.

Dem Höllerer reichte es allmählich. Deswegen erwiderte er, und zwar ein wenig pampig: »Weil meine geistigen Kräfte allein nicht ausreichen, um eine Leiche aus dem Wasser zu ziehen. Menschen, die wie ich keine Zauberkünstler oder so was sind, brauchen dazu ihre Hände.« Für diese Aussage erntete der Höllerer zwei nicht gerade freundliche Blicke.

Wo er die Frau denn angefasst habe, wollte die Polizistin jetzt noch wissen. Da zögerte der Höllerer. Dann sagte er: »An den Händen. Ich habe sie an den Händen herausgezogen. Da kann man noch die Spuren vom Rausziehen sehen.« Er deutete auf den Uferkies.

»Aber sonst haben Sie die Frau nirgends angefasst?«

»Nein«, antwortete der Höllerer sehr schnell.

Aber das war natürlich gelogen.