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Mittwoch, 14. September 1836
Les Charmantes

Die Morgensonne schien in das Schlafzimmer, das sich Charmaine mit Gwendolyn Browning teilte. Sie öffnete die Augen, gähnte und räkelte sich wohlig in der leichten Brise, die durch die Fenster hereinwehte. Nur noch ein paar Stunden, dann hatte die karibische Sonne die Morgenkühle aufgezehrt. Im Augenblick war hier Sommer, aber wenn sie den Brownings und Gwendolyn glauben durfte, so waren die anderen Jahreszeiten nicht wirklich kühler. Nur ein wenig milder.

Charmaine kroch aus dem schmalen Doppelbett und sah auf ihre neue Freundin hinunter. Ja, diese Bezeichnung hatte Gwendolyn verdient, denn das junge Mädchen sprudelte vor Einfällen, und ihre Fröhlichkeit war ansteckend.

Gestern hatten sie die Stadt unsicher gemacht, und heute wollte ihr Gwendolyn die andere, sehr viel schönere Seite von Charmantes zeigen, worauf sie sich ganz besonders freute. Auf Mrs. Brownings Gesellschaft verzichtete sie gern, und sie war erleichtert, dass sie die beiden Schwestern einen Tag lang sich selbst überlassen durfte.

Als sie sich an den Frisiertisch setzte und ihre Zöpfe löste, regte Gwendolyn sich. »Guten Morgen.« Sie gähnte. »Warum bist du denn schon auf?«

»Ich konnte nicht mehr schlafen. Na, was genau hast du denn für heute geplant?«

»Die Strände. Im Vergleich zu der hässlichen Stadt sind sie einfach überwältigend schön.«

Charmaine bürstete ihre widerspenstigen Locken. »So hässlich fand ich die Stadt gar nicht.« In Wahrheit war sie sogar beeindruckt. Selbst Kapitän Wilkinsons Beschreibungen hatten sie nicht auf die rege Geschäftigkeit der Stadt vorbereitet, die einen großen Eindruck auf sie gemacht hatte. Außer Laden, Saloon, Versammlungshaus und Bank hatte die Stadt auch einen Fassmacher zur Ansiedlung bewogen, dann gab es noch einen Hufschmied samt Schmiede im Leihstall, einen Gerber, einen Töpfer sowie einen Schuster, die in den drei Warenhäusern ihre Dienste anboten. Außerdem konnte man sich in dem Holzlager mit dem nötigen Material für den Hausbau eindecken. Wenn man Mrs. Browning glauben durfte, so stammte das meiste Holz aus den Kiefernwäldern im Norden der Insel, wo es gleich an Ort und Stelle in einem Sägewerk verarbeitet wurde. Alle weiteren Materialien wurden aus Virginia herbeigeschafft. Kapitän Wilkinsons Behauptung, dass sich viele Bewohner dauerhaft auf Charmantes ansiedeln wollten, entsprach offensichtlich den Tatsachen. Überall wurde gebaut, und nur der Ozean führte einem vor Augen, dass diese aufstrebende Stadt auf einer Insel lag und überhaupt kein Hinterland besaß.

Interessiert beobachtete Gwendolyn, wie Charmaine ihre Haarsträhnen zu einem dicken Knoten zusammensteckte. »Du hast ungewöhnlich dickes Haar. Wieso ist es so lockig?«

»Keine Ahnung. Zuweilen verfluche ich das Schicksal, weil meine Eltern beide völlig glatte Haare hatten.«

»Dabei sind die Locken doch schön! Wenn ich dein Haar hätte, würde ich sofort Paul Duvoisin nachstellen!«

»Oh, das sind aber wahrlich hohe Ziele!«

»Vermutlich müsste ich um die Taille herum noch ein bisschen abnehmen«, meinte Gwendolyn und sah verdrossen an ihrer plumpen Figur hinunter. »Aber dann … dann könnte mich nichts mehr aufhalten!« Trotz Charmaines Kopfschütteln fuhr sie fort: »Wenn du ihn gesehen hättest, wüsstest du, wovon ich rede.«

»Aber ich habe ihn gesehen, und ich weiß genau, was du meinst.«

»Ist das wahr?« Vor Aufregung sprang Gwendolyn vom Bett. »Wann denn? Und wo?«

»Gleich bei unserer Ankunft. Auf dem Schiff.«

»Oh … Ist er denn nicht der aufregendste Mann, dem du je begegnet bist?«, fragte sie träumerisch. »Ich könnte jedes Mal ohnmächtig umsinken, wenn er in meine Richtung schaut. Aber leider übersieht er mich immer.« Sie zog eine Schnute, bis ihr ein neuer Gedanke durch den Kopf schoss. »Mit deiner Figur und deinen Haaren hätte ich allerdings wirklich eine Chance. Eine echte Chance.«

»Und worauf, wenn ich fragen darf?«

»Auf einen Heiratsantrag, natürlich! Den nehme ich natürlich an, bevor er seine Meinung ändert!«

Angesichts dieses jugendlichen Ungestüms musste Charmaine lächeln, aber ihre Freundin plapperte munter weiter.

»Ich weiß, dass das alles nur ein romantischer Traum ist. Aber sieh dich an, du hast alles, wonach Männer Ausschau halten. Besonders eine hübsche Figur und wundervolles Haar.«

»Es tut mir leid, aber in diesem Fall bist du auf dem Holzweg. Ich habe mein Haar genauso getragen, als ich Mr. Duvoisin zum ersten Mal begegnet bin, doch er wollte mir nicht einmal vorgestellt werden.«

»Dann war er sicher beschäftigt«, meinte Gwendolyn. »Wenn ein Schiff einläuft, denkt er nur an Arbeit und Geschäft. Aber warte nur, bis du erst unter seinem Dach lebst. Wenn du ihn jeden Tag siehst oder sogar mit ihm am Tisch sitzt. Angeblich kann sich doch alles ändern, oder nicht? Alle Mädchen auf der Insel werden neidisch sein, weil du die einmalige Chance hast, nach der wir uns alle sehnen! Es wäre doch gelacht, wenn er dich dann nicht wahrnähme!«

Paul Duvoisins Haus … unter einem Dach leben … zusammen mit ihm am Tisch sitzen … ihn jeden Tag sehen! In diesem Augenblick wurde Charmaine die ganze Tragweite klar. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht, dass Paul Duvoisin auf Charmantes lebte? Es war schließlich sein Zuhause! Mit einem Mal war ihr schwindlig. Widerstrebende Gefühle stürmten auf sie ein: Ängstlichkeit und Sorge und zugleich eine erwartungsvolle Hochstimmung.

Kurz darauf verließen die Mädchen hübsch angezogen das Schlafzimmer. Loretta Harrington saß am Küchentisch und beendete gerade einen Brief, der an das Herrenhaus gerichtet war. Darin bat sie Madame Duvoisin um eine Unterredung, da ihre Reisegefährtin Charmaine Ryan extra von Richmond nach Charmantes gekommen sei, um sich um die Stelle einer Gouvernante zu bewerben.

»Ich denke, das genügt.« Sie klopfte auf den Umschlag. Dann begann sie einen neuen Brief an ihre Haushälterin zu schreiben, in dem sie mitteilte, dass sie angekommen waren, und ankündigte, nicht länger als einen Monat auf Charmantes bleiben zu wollen. Als die Mädchen gefrühstückt hatten, bat sie Gwendolyn, den Brief für sie aufzugeben. »Hier ist etwas Geld«, sagte sie. »Caroline sagte, dass man eine Gebühr verlangt, um den Brief nach Richmond zur Post zu befördern.«

Gwendolyn nickte. »Und was ist mit dem anderen an Mrs. Duvoisin?«

»Dein Vater hat versprochen, ihn heute im Herrenhaus abzugeben«, antwortete Loretta.

Die Häuserzeile entlang der Wasserlinie schien im prallen Sonnenschein förmlich dahinzuwelken, aber die Insulaner störten sich nicht an der Hitze. Charmaine und Gwendolyn schlenderten als Erstes zum großen Laden. Charmaine fühlte sich noch immer schwach und erreichte die schattige Veranda vor dem Laden keine Sekunde zu früh. Gwendolyn dagegen schien die Hitze überhaupt nicht zu spüren.

»Komm, Charmaine, dort drüben ist Rebecca Remmen. Ihr Bruder erlaubt sonst nie, dass sie allein in der Stadt herumspaziert.«

»Geh nur«, sagte Charmaine. »Ich muss mich einen Moment ausruhen. Ich werde den Brief später aufgeben, während du mit deiner Freundin redest.«

»Das ist eine gute Idee. Ich komme in ein paar Minuten nach.«

Charmaine betrat den Laden und war überrascht, dass außer Madeline Thompson niemand da war. Bei ihrem gestrigen Stadtspaziergang hatte sie die hübsche Witwe bereits kennen gelernt. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Madeline mit einem weichen erotischen Südstaatenakzent.

»O ja, bitte. Ich möchte einen Brief nach Richmond aufgeben«, erwiderte Charmaine.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Madeline den Brief. »Nach Richmond … hmm … schade, dass Sie ihn nicht früher gebracht haben. Die Post wurde schon gestern abgeholt. Doch ich könnte versuchen, ihn nach Ladenschluss noch zur Raven zu bringen.«

Charmaine bedankte sich mit einem Nicken und kramte in ihrem Täschchen nach den Münzen, die Gwendolyn ihr in die Hand gedrückt hatte. Sie war so beschäftigt, dass sie nicht auf die Ladenglocke achtete. »Bitte sagen Sie mir, wie viel ich Ihnen …«

»Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick«, sagte Madeline und kam hinter ihrer Theke hervor. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie ihren neuen Kunden.

»Nein danke, Maddy …«

Charmaines Magen vollführte einen Purzelbaum, als sie die Stimme von Paul Duvoisin erkannte.

»… ich finde alles, was ich brauche. Aber wenn Sie wollen, könnten Sie die Sachen zusammenstellen, die auf dieser Liste stehen.« Er zog ein gefaltetes Stück Papier aus der Hemdtasche. »Miss Colette hat sie mir heute Morgen in die Hand gedrückt.«

Lächelnd nahm ihm Madeline das Papier aus der Hand, wobei ihre Finger die seinen etwas länger berührten, als unbedingt nötig gewesen wäre. »Darf ich Sie dafür auch um einen Gefallen bitten?«, fragte sie kokett. »Aber nur, wenn Sie heute noch auf die Raven kommen!«

»Aber ganz sicher. Was soll ich für Sie tun?«

Madeline Thompson sah auf den Brief in ihrer Hand hinunter. »Ich habe hier noch einen Brief nach Virginia. Gunther hat die Post schon abgeholt, doch wenn Sie den Brief dem Kapitän übergeben könnten, wäre ich Ihnen auf ewig dankbar.«

»Auf ewig, Madeline? Sie wollen Ihre weiblichen Reize doch wohl nicht an mich verschwenden, oder?«

»Wenn es helfen würde!«

»Geht schon in Ordnung, Maddy.« Lachend steckte er den Umschlag in die Tasche. »Ich liefere den Brief ab, und dafür suchen Sie mir Miss Colettes Bestellung bis Ladenschluss zusammen.«

»Perfekt«, gurrte sie. »Dann habe ich heute ja sogar zweimal die Freude Ihrer Gesellschaft.«

Paul blinzelte ihr zu und trat dann einen Schritt zur Seite. Charmaine verharrte wie angewurzelt. Offenbar hatten ihm die Schmeicheleien gefallen. Als er kurz in ihre Richtung blickte, setzte ihr Herz einen Schlag lang aus, und sie wünschte fieberhaft, ebenso wortgewandt wie Madeline Thompson zu sein. Und wenn möglich auch so verführerisch. Sie schüttelte innerlich den Kopf, weil solche Gedanken nur zu Problemen führten. Plötzlich stand Paul Duvoisin direkt neben ihr und legte einige Gegenstände auf den Ladentisch, und Charmaine wurde bewusst, wie dumm es war, wenn sie nur stumm dastand. »Ich wüsste gern, wie viel Geld ich Ihnen für das Briefporto schulde, Mrs. Thompson.« Paul sah auf sie hinunter, doch sie hielt die Augen stur geradeaus gerichtet, wobei der Rand ihrer Haube ihr Gesicht verdeckte.

»Das macht zwei Cents«, antwortete Madeline und ging hinter ihre Theke zurück.

Rasch suchte Charmaine die Münzen heraus, doch bevor Madeline sie entgegennehmen konnte, bat Paul Duvoisin, seine Sachen zu Miss Colettes Bestellung hinzuzufügen, die er später abholen wollte. Als Madeline nickte, wünschte er einen guten Tag und trat zu Charmaines Erleichterung und auch Enttäuschung aus dem Laden in den gleißenden Sonnenschein hinaus.

Ein paar Minuten später verließ auch Charmaine den Laden, doch da war weit und breit nichts mehr von ihm zu sehen. In freudigem Überschwang eilte Gwendolyn auf sie zu. »Du hast Paul Duvoisin knapp verpasst, Charmaine! Er hat sogar mit mir geredet! Natürlich war er in Eile, doch Rebecca war außer sich. Wenn du meinst, dass ich dummes Zeug rede, dann solltest du sie erst einmal hören! Sie liebt ihn so sehr …« Auf diese Art ging es weiter. Gwendolyns Glück war ansteckend, und trotz der Hitze lächelte Charmaine und hatte ihren Spaß.

»Die letzte Woche war wirklich ungewöhnlich heiß«, stellte Gwendolyn fest. »Normalerweise ist es das ganze Jahr über mild und schön. Warte nur, bis du ein wenig länger hier bist. Spätestens dann wirst du es lieben.«

Die beiden Mädchen spazierten in südwestlicher Richtung, und es dauerte keine Stunde, bis sie über weite schneeweiße Strände schlenderten und die Stadt nur noch eine ferne Erinnerung war. Sie folgten der Brandung, sammelten Muscheln, und Gwendolyn plapperte in einem fort. Für Charmaine war es unbegreiflich, dass die Landschaft wild und verlassen dalag, da doch so viele Menschen auf Charmantes lebten. Stundenlang schlenderten die beiden allein über den weiten Strand. Nur die Möwen protestierten lauthals gegen ihre Anwesenheit und stiegen hoch in die Luft empor, um einige Augenblicke später auf ihren Fußspuren im Sand zu landen.

Als die Sonne gegen Mittag immer stärker vom Himmel brannte, suchten sie unter einigen Palmen Schutz. Sie lagen reglos im Schatten, und außer den leisen Stimmen verriet nichts ihre Anwesenheit. Lächelnd sah Charmaine zu, wie ein Flamingopaar an der Brandungslinie entlangstolzierte, doch als die Vögel die Mädchen bemerkten, machten sie kehrt und verschwanden im schattigen Wald hinter dem Strand.

»Nun gut«, fragte Gwendolyn irgendwann, als sie aufstand und sich Moos und Sand vom Rock streifte, »wohin gehen wir jetzt?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« Charmaine sah zu ihr auf.

»Du hast die Wahl. Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung bis zum Herrenhaus der Duvoisins. Das Grundstück ist zwar eingezäunt, aber du könntest immerhin aus der Ferne einen kurzen Blick auf das Haus werfen, in dem du demnächst vielleicht arbeitest.«

»In dem ich demnächst vielleicht arbeite?« Charmaine zog eine Braue in die Höhe. »Ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt, aber du scheinst bereits zu wissen, dass ich die Stelle bekomme.«

»Aber klar bekommst du sie. Schon wegen deines Namens.«

Charmaine runzelte lächelnd die Stirn. »Wie meinst du das?«

»Charmaine … Charmantes … Glaubst du nicht auch, dass das Schicksal ist? Wie viele Mädchen heißen denn so? Mir kommt es vor, als ob die Insel dich nach Hause gerufen hätte.«

Lachend schüttelte Charmaine den Kopf. »Ich kann nur hoffen, dass du recht behältst. Allmählich habe ich das Gefühl, als ob mir das Leben hier gefallen könnte. Besonders mit einer Freundin wie dir.«

Sie lehnte es ab, bis zum Haus der Duvoisins zu laufen, weil sie auf keinen Fall gesehen werden wollte. Inzwischen waren die Mädchen hungrig, und Gwendolyn schlug vor, zurück in die Stadt zu gehen und bei Dulcie’s etwas zu essen. »Ich habe sogar ein bisschen Geld dabei.«

»Im Saloon?« Charmaine war völlig entgeistert.

»So schlimm ist es dort gar nicht. Jedenfalls tagsüber. Das Essen ist sogar sehr gut.«

Aber Charmaine ließ sich nicht überzeugen. »Der Saloon ist eine Spielhölle – wenn nicht noch Schlimmeres.«

»Aber doch nur in der Nacht, Charmaine, oder an den Wochenenden. Außerdem haben weder die Sträflinge noch die freien Sklaven Zutritt.«

»Freie Sklaven?« Mit diesem Ausdruck konnte Charmaine nichts anfangen. Auf den Straßen hatte sie zwar einige Schwarze gesehen, die sich offenbar frei bewegen durften, doch in Richmond waren solche Bilder fremd.

»Die Inseln in diesem Teil des Westindischen Archipels stehen alle unter britischer Verwaltung«, erklärte Gwendolyn, während sie langsam den Rückweg einschlugen. »Vor ein paar Jahren wurde die Sklaverei nicht nur in England, sondern auch auf den Inseln abgeschafft.«

»Ich dachte eigentlich, dass die Insel Frederic Duvoisin gehört und er sie auch verwaltet.«

»Das stimmt«, versicherte Gwendolyn. »Aber mein Vater sagt, dass Mr. Duvoisin darauf bedacht ist, es sich nicht mit den Briten zu verderben. Schließlich geht der größte Teil seines Zuckers nach England. Außerdem genießt er britischen Schutz gegen Piratenüberfälle – und zwar auf hoher See und hier auf Charmantes. Seine Waren wären sicher nicht so begehrt, wenn die Briten befürchten müssten, dass sie mit Sklavenarbeit erwirtschaftet und bezahlt wurden.«

»Also bemüht er sich um Frieden.«

»Und keineswegs nur mit der britischen Monarchie. Auch seine Frau lehnt die Sklaverei ab.«

»Wirklich?« Charmaine war überrascht. Für sie war Sklavenarbeit das Natürlichste auf der Welt, da sie damit aufgewachsen war.

Gwendolyn erzählte lang und breit von einem Schwarzen mit Namen Nicholas, der mit Prügeln bestraft werden sollte. Offenbar war Colette Duvoisin dem Mann zu Hilfe geeilt, was üblen Klatsch zur Folge hatte, bis Frederic Duvoisin der Sache ein Ende machte, indem er ein Exempel statuierte und zwei Inselbewohner, die in die Sache verwickelt waren, von der Insel verwies. Es gab auch Gerüchte über einen Mord, und Gwendolyn war nicht davon abzubringen, dass die Sache noch immer tabu war und die Menschen nur aus Angst den Mund hielten. Nicht lange nach diesem Vorfall wurden alle Schwarzen freigelassen.

»Wenn du nicht ins Dulcie’s willst, wie wäre es dann mit einem Besuch im Hafen?«, fragte Gwendolyn.

Charmaine sah Gwendolyn fragend an, doch im nächsten Moment wurde sie bereits über den Plankenweg davongezogen. Als sie sich dem Hafen näherten und sie endlich Gwendolyns Absicht durchschaute, entwand sie sich ihrem Griff. Das Mädchen wollte Paul Duvoisin nachspionieren. Gwendolyn rannte trotz ihrer Pfunde leichtfüßig weiter bis zum Kai, wo die Raven noch immer vertäut war.

»Gwendolyn, nein«, rief Charmaine. »Wir haben hier nichts verloren!«

Das Mädchen kicherte und hielt kurz inne, um zu Atem zu kommen. »Sei doch nicht dumm! Er sieht uns sowieso nicht. Das kann ich dir versprechen. Jedenfalls hat er das bisher noch nie getan!«

»Bisher? Soll das heißen, dass du schon öfter hier warst?«

Gwendolyn nickte eifrig. Obgleich Charmaine den Kopf schüttelte, sah sie, dass sie inmitten des Trubels gar nicht bemerkt wurden. Schließlich fanden sie in einiger Entfernung vom Schiff zwischen einem großen Lagerhaus und einem leeren Geräteschuppen eine Art Versteck, von wo aus sie die Schauerleute beim Entladen beobachten konnten. Stapel von Fässern und Kisten verbargen sie vor den Blicken der Männer, während sie gleichzeitig begierig durch jeden Spalt spähten, um Paul Duvoisin irgendwo zu entdecken.

»Das war eine dumme Idee«, flüsterte Charmaine. »Was soll ich machen, wenn er mich trotzdem entdeckt?«

»Das passiert schon nicht. Je öfter du ihn siehst, desto schneller gewöhnst du dich an seinen Anblick. Dann sind die ersten Tage in seinem Haus auch nicht so schwer.«

Eine Serie lautstarker Flüche machten ihrem Geflüster ein Ende. »Allmächtiger! Doch nicht so! Genau anders herum!«

Keine fünfzehn Fuß von ihnen entfernt, neben einigen schrägen Planken, stand ein ungepflegt aussehender Mann mit finsterer Miene und kaute mit gelblichen Zähnen auf einigen Tabakblättern herum. »Verdammt! Ich habe doch gesagt, du sollst es anders herumrollen!« Er schleuderte das Tau zur Seite, das er gerade um ein dickes Eichenfass winden wollte, und deutete auf einen Jungen von vielleicht zwölf Jahren. »Stell dich dort drüben hin, verdammt! Ich drücke das Fass zur Seite, und du schiebst die Doppelschlinge darunter. Dann können wir es nach oben hieven.«

Der Junge, der sich mit der Schulter gegen das quer daliegende Fass stemmte, rührte sich nicht. Die Muskeln in seinem Nacken waren gespannt, und sein Gesicht war knallrot angelaufen. »Es wiegt mindestens fünfhundert Pfund, und der Kai ist nicht eben! Es rollt weg, wenn ich es loslasse!«

»Ich halte es doch«, schimpfte der Dockarbeiter. »Nimm endlich das verdammte Tau!«

Der Junge gehorchte nach einigem Zögern, und sofort setzte sich das Fass in Bewegung und rollte über die Pier. Der Junge schnitt eine Grimasse, als es gegen drei andere Fässer prallte, doch als es unbeschadet blieb, grinste er über das ganze Gesicht.

»Herrgott im Himmel, Junge! Wie konntest du dich nur so dämlich anstellen! Warum hast du nicht gewartet, bis ich es fest im Griff hatte?« Kalter Hass stand in seinen Augen, aber der Junge kicherte unbeeindruckt. »Wenn ich dir in deinen verdammten Hintern trete, wird dir das Lachen schnell vergehen!«

Charmaine hatte genug gesehen. »Komm, Gwendolyn, lass uns gehen. Dieser Mann erinnert mich an jemanden, den ich lieber vergessen möchte …«

»Was geht hier vor?«

Der ältere Mann richtete sich auf, als Paul Duvoisin auf ihn zukam. »Dieser junge Frechdachs hat keine Ahnung von der Arbeit«, brummte er.

»Stimmt das?«, fragte Paul. »Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Junge?«

»Ich muss das doch erst lernen, Sir. Heute ist mein erster Tag. Ich brauche nur mehr Übung – mehr nicht.«

»Was du brauchst«, zischte der alte Mann, »ist ein saftiger Tritt in den Hintern! Dann vergeht dir endlich das dämliche Grinsen.«

»Das reicht«, befahl Paul Duvoisin. »Da der Junge neu ist, erwarte ich mehr Geduld von Ihnen, Mr. Rowlan. Doch wenn Sie damit überfordert sind, vertraue ich den Jungen lieber einem anderen an, der ihm in Ruhe alles beibringt.«

»Mir soll’s recht sein. Auf eine solche Hilfe verzichte ich gern!«

»Nun gut«, entgegnete Paul kühl. »Wie heißt du, mein Junge?«

»Jason, Sir. Jason Banner.«

»Na gut, Jason. Wir wollen sehen, ob Buck Mathers dich heute gebrauchen kann.«

»Buck?«, rief der ältere Mann. »Warum, zum Teufel, geben Sie ihn ausgerechnet dem riesigen Nigger? Der braucht doch keine Hilfe!«

Paul zog eine Braue in die Höhe. »Wenn Jason mehr Hindernis als Hilfe ist, kann Ihnen das doch egal sein, nicht wahr, Mr. Rowlan?« Da keine Antwort kam, wandte Paul sich an den Jungen. »Du findest Buck Mathers vorn am Bug. Du erkennst ihn sofort, denn er ist der größte Schwarze weit und breit.«

»Alles klar, Sir. Ich weiß, wie er aussieht.«

»Also gut.« Paul klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Tu genau, was er dir sagt, und richte ihm aus, dass ich dich geschickt habe und später noch mit ihm reden will.«

»Ja, Sir! Danke, Sir!« Im nächsten Augenblick war er fort.

Paul Duvoisin wandte sich an Jesse Rowlan. »Na los, geh wieder an die Arbeit.«

»Aber Sie schicken mir doch einen Helfer?«

»Sie hatten Hilfe, aber Sie wollten sie nicht. Nun müssen Sie die Arbeit allein erledigen, oder Sie können sich Ihren Lohn beim Zahlmeister der Duvoisins abholen. Wie auch immer, aus Ihrem Schandmaul will ich kein Wort mehr hören!«

Rowlan nahm die Rüge zur Kenntnis. »Ja, ja, der Zahlmeister der Du-vo-sin«, brummte er wütend, während er zu den Fässern schlurfte. »Wie großspurig das klingt! Dabei ist hier doch alles Du-vo-sin!«

»Das spricht man Dü-woa-san aus, Mr. Rowlan«, entgegnete Paul in aller Ruhe. »Sprechen Sie den Namen richtig aus – oder Sie brauchen hier nie wieder Arbeit zu suchen!«

Rowlan zog die Brauen zusammen und konnte seinen Hass nur schlecht verbergen.

»Wollten Sie mir noch etwas sagen – diesmal vielleicht direkt ins Gesicht?«, fragte Paul Duvoisin.

Der Mann schwieg, doch als er das nächste Fass zum Laden vorbereitete, sprach seine Haltung Bände.

Paul rieb sich den Nacken und wandte sich zum Gehen.

Als Charmaine ihm beim Weg auf das Deck nachsah, malte sie sich eine ähnliche Konfrontation aus. Bei der Vorstellung, dass John Ryan vor Paul Duvoisin kuschte, spielte ein Lächeln um ihre Lippen – und mit einem Mal war die Angst, die sie noch in Richmond empfunden hatte, wie weggeblasen.

»War das nicht wunderbar?«, flüsterte Gwendolyn fast ehrfürchtig.

Charmaine seufzte. »Oh, ja, das war es wirklich.« Mit einem Mal war Paul Duvoisin in ihren Augen sehr viel mehr als nur ein gut aussehender Mann.

Rowlan befahl einem anderen Arbeiter, ihm zu helfen. Das Tau wurde doppelt um das schwere Fass gelegt und die Enden durch eine Schlinge gezogen, an der das Fass dann von einer Seilwinde über die schrägen Planken an Bord gezogen wurde. An Deck wurde das Tau abgenommen und das Fass über das Mittelschiff zum Lagerraum im Heck des Schiffes gerollt.

Die Zeit verstrich, während die Männer ohne Pause arbeiteten, und die Stimmung war gut. Dann jedoch kam der Ladevorgang abrupt zum Stillstand, weil plötzlich zwei Kisten mit Tee abgeladen werden mussten. Charmaine konnte sich das nicht erklären, doch Gwendolyn zuckte nur die Schultern. Ein leichter Wagen fuhr längsseits an das Schiff heran, um die Kisten zu übernehmen. Gleich darauf erfüllte das Geräusch von splitterndem Holz die Luft, das Seil spulte sich rasend schnell von der Winde ab, und eine der Kisten sauste abwärts. Die Männer auf dem Kai brüllten lauthals und stoben auseinander. Die Kiste verfehlte den Wagen nur um Haaresbreite, bevor sie mit voller Wucht auf den Kai krachte, auseinanderbrach und der Tee sich in alle Richtungen ergoss. Die Pferde scheuten, und der Fuhrmann musste sich mit aller Macht an die Zügel klammern, um sie am Durchgehen zu hindern.

Sofort tauchte Paul Duvoisin an der Steuerbordreling auf und stürmte mit finsterer Miene auf den Kai hinunter. »Wessen Schuld ist das?«

Jake Watson, der Vorarbeiter im Hafen, schüttelte empört den Kopf. »Keine Ahnung.«

Paul sah die Männer durchdringend an, die um die beschädigte Kiste herumstanden. »Noch einmal – wer hat das verschuldet?« Dabei schnitt seine Stimme so scharf wie eine Peitsche durch die Luft.

Ein riesengroßer Schwarzer trat vor. Und Jason Banner mit ihm. »Es war der alte Jessie Rowlan, Sir. Ich habe gesehen, dass er die Kiste mit dem falschen Flaschenzug angehoben hat.«

Paul knirschte mit den Zähnen. »Und wo, zum Teufel, ist er?«

Der schwarze Mann deutete zum Deck empor, und alle blickten in die Richtung, wo Jessie Rowlan an der Reling lehnte. Mit gemessenem Schritt stieg Paul Duvoisin die Gangway empor und ließ dabei den Schuldigen keine Sekunde aus den Augen.

Mit rachelüsternem Grinsen sah Jessie Rowlan ihm entgegen. »Was kann ich für Sie tun, Mr. Dü-voa-san?«, fragte er höhnisch.

»Sind Sie für diesen Schaden verantwortlich?«

»Was soll das heißen – verantwortlich? Wie ich die Sache sehe, ist niemand verantwortlich. Meiner Meinung nach ist das Ganze nur ein Missgeschick.«

»Wie ich die Sache sehe«, wiederholte Paul finster, »wurde ein falscher Seilzug benutzt. Es gibt Flaschenzüge und Taue für Fässer, und es gibt Flaschenzüge und Taue für Kisten, was Ihnen sicher noch in Erinnerung wäre, wenn Sie nicht so gottverdammt betrunken wären! Da Sie am Flaschenzug gearbeitet haben, sind Sie für dieses ›Missgeschick‹, wie Sie es nennen, verantwortlich. Solche Blödheit kann ich nicht durchgehen lassen, und erst recht kann ich sie mir nicht leisten. Morgen holen Sie Ihren restlichen Lohn bei Jake Watson ab – allerdings abzüglich meines Verlusts durch den Schaden an der Ladung und dem Flaschenzug. Danach will ich Ihr Gesicht hier nicht mehr sehen.«

In Jessie Rowlans Augen brodelte weiterer Widerspruch. »Hört, hört. Der allmächtige Paul Duvoisin, der glaubt, dass ihm die ganze Welt gehört. Ich habe ein paar Freunde, Sir, und eines Tages werden Sie noch bedauern, dass Sie das heute gesagt haben. Sie halten sich für besser als alle anderen Menschen, aber das sind Sie nicht. Sie sind ja nicht einmal so gut wie die meisten Männer hier. Zumindest ist unter uns kein Bastard – ob reich oder nicht.«

Wutentbrannt packte Paul den Mann am Kragen und hob ihn mit einer Hand in die Höhe. »Sagen Sie das Wort noch einmal, und ich schwöre, Sie sind ein toter Mann! Haben Sie mich verstanden? Ein toter Mann!«

Jessie Rowlan keuchte ein gequältes »Ja!«, bevor er sich bäuchlings auf den Planken wiederfand. Rasch sprang er auf und verließ schleunigst das Schiff. Schweigend machten ihm die anderen Dockarbeiter Platz.

»Was hatte das alles zu bedeuten?«, fragte Charmaine.

»Das erkläre ich dir später«, flüsterte Gwendolyn und sah aufmerksam hin, um nichts zu verpassen.

»Na los, Jake«, rief Paul auf den Kai hinunter. »Ich bin gespannt, was ein paar Männer mit Schaufeln und Eimern aus diesem ›Missgeschick‹ machen können. Ich hätte die Ladung sofort an John zurückschicken sollen, als ich sie hinten im Frachtraum entdeckt habe.«

»Ich glaube nicht, dass es die Schuld Ihres Bruders war«, rief Jake. »Ich hätte die Schilder genauer prüfen sollen. Ich dachte, dass die Ladung …«

»Lassen Sie es gut sein, Jake! Es sieht mir ganz nach einem Gewitter aus, und es wäre eine Katastrophe, wenn der Tee dann noch nicht zusammengekehrt wäre. Es gibt eine Belohnung, wenn die Arbeit erledigt ist, bevor die ersten Tropfen fallen.«

Sofort machten sich die Männer ans Werk, und Paul kehrte mit zufriedener Miene an seine Arbeit zurück.

»Warum hat Jessie Rowlan Paul Duvoisin so beschimpft?«, drängte Charmaine wieder, als sie zusammen mit Gwendolyn nach Hause eilte.

»Wie denn?«

»Du weißt genau, welches Schimpfwort ich meine. Dein Onkel hat es auf unserer Überfahrt benutzt und wurde sehr verlegen, weil ich es gehört hatte. Es war sicher kein freundliches Wort. Warum erzählst du es mir nicht?«

»Da gibt es nichts zu erzählen.« Gwendolyn war sichtlich verlegen, weil sie das Wort eigentlich nicht kennen durfte. »Der Mann hat nur geflucht, und Paul wurde wütend.«

»Nein, es ging um mehr als nur das. Paul hat erst die Geduld verloren, als der Mann dieses Wort gesagt hat.« Als Gwendolyn noch immer kein Licht in die Angelegenheit bringen wollte, fügte Charmaine hinzu: »Geht es darum, dass Paul ein uneheliches Kind ist – dass er adoptiert wurde?«

»Woher weißt du denn das?«

»Mr. Wilkinson hat es erwähnt.«

»Hat er auch erwähnt, was die Leute in der Stadt so alles erzählen?«

»Er hat nicht getratscht, wenn du das meinst.«

Gwendolyn reckte die Nase in die Luft. »Genau deshalb möchte ich es auch nicht wiederholen.«

Das Leuchten in ihren Augen ließ ahnen, wie gern sie es trotzdem erzählen würde. »Es geht nicht weiter als bis in meine Ohren, falls dich das beruhigt.«

»Nun gut.« Gwendolyn zögerte und sah sich kurz um. »Die Leute behaupten, dass Paul Frederic Duvoisins Bastard ist«, flüsterte sie so leise, als ob der Wind Ohren hätte.

»Und was bedeutet das genau? Ist das nicht dasselbe wie ›unehelich‹?«

»Das schon, aber es ist trotzdem noch schlimmer! Es bedeutet, dass Paul der Affäre mit einer Hure entstammt. Eine anständige Frau hätte Frederic Duvoisin natürlich geheiratet. Angeblich wurde Paul als Baby auf die Insel gebracht, und Frederic hat ihn adoptiert, weil er genau wusste, dass er der Vater ist.«

Charmaines Herz war von Mitgefühl für Paul Duvoisin erfüllt. Der Mann war reich, sah blendend aus und war allem Anschein nach ein ehrenhafter Mann, und doch musste er die üblen Bemerkungen der Lästermäuler aushalten.

Ein Wolkenbruch beendete ihre Gedanken.

»Rasch, Charmaine, wir werden sonst bis auf die Haut nass.«

Die Mädchen rannten durch die Straßen, so schnell ihre Beine sie trugen, aber das Villenviertel, das sich an die Stadt anschloss, war einfach zu weitläufig. Als sie endlich die Veranda der Brownings erreichten, waren sie völlig durchnässt.

»Du lieber Himmel«, rief Caroline erschrocken. »Sieh dich nur an, junge Lady. Das Kleid ist ruiniert!«

»Es tut mir leid, Mutter. Aber Charmaine und ich sind so schnell gerannt, wie wir konnten.«

»Was habt ihr gemacht?«

»Wir sind den ganzen Weg aus der Stadt bis hierher gerannt.«

»Ihr seid gerannt? Was werden meine Freundinnen nur denken!«

»Keine Sorge, Mrs. Browning«, versuchte Charmaine, die Wochen zu glätten, »in diesem Augenblick sind alle gerannt und haben irgendwo Schutz gesucht.«

»Ich sage nur dies: Gesittete junge Damen rennen in der Öffentlichkeit nicht, ganz gleich, ob es gewittert oder nicht! Was hätte wohl Colette Duvoisin gesagt, wenn sie euch so gesehen hätte?«

Loretta kam aus dem Wohnzimmer. »Vermutlich: ›Zwei kluge Mädchen, die bei Gewitter Schutz suchen und nicht wie vornehme Ladys mit klatschnassen Kleidern durch die Stadt schleichen, bis sie womöglich noch vom Blitz getroffen werden‹.«

Caroline schnitt ein Gesicht, aber Loretta lächelte den Mädchen zu. »Na los, ab in euer Zimmer, und heraus aus den Kleidern, bevor ihr euch erkältet.«

Caroline schmollte noch bis zum Abendessen, bei dem endlich ihre wahren Ängste zur Sprache kamen. Sie liebte das Leben auf der Insel, doch sie fürchtete, dass ihre Tochter hier nie den nötigen gesellschaftlichen Umgang pflegen könnte, um eines Tages einen Ehemann zu finden. Loretta musste ihrer Schwester beipflichten, und noch bevor das Mahl zu Ende ging, war sie zum großen Missfallen der Mädchen sogar einverstanden, ihre Nichte bei ihrer Rückreise mit nach Virginia zu nehmen. Als sie die gesenkten Lider ihrer Nichte bemerkte, meinte sie: »Es wird dir in Richmond gefallen, Gwendolyn. Sieh die Reise einfach als verlängerte Ferien an. Und wenn du nach einer oder zwei Wochen immer noch nicht glücklich sein solltest, kannst du jederzeit nach Charmantes zurückkehren.«

Gwendolyns Miene hellte sich zwar auf, doch jetzt hatte Charmaine das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Sie hatte sehr auf eine Freundin auf der Insel gehofft, die sie besuchen und der sie sich anvertrauen konnte, doch nun sah es ganz danach aus, als ob es ihr Schicksal sei, allein zu bleiben.