Kapitel sechs

Dakers«, sagte Adelia. »Das war Dakers.«

Nur die Haushälterin konnte sich geweigert haben, ihre tote Herrin ins Grab zu verabschieden.

Rowley erholte sich allmählich. »So kriegen wir sie nie in einen Sarg. Um Gottes willen, tut was. Ich rudere nicht mit ihr nach Godstow zurück, wenn sie dabei aufrecht sitzt und mich anglotzt.«

»Zeigt etwas Respekt, zum Donnerwetter.« Adelia schloss das letzte Fenster und fuhr ihn an. »Ihr werdet nicht rudern, und sie wird nicht sitzen.«

Jeder versuchte auf seine Weise, die Wirkung dieses Anblicks zu verarbeiten, der ihm den Mut geraubt und sie verstört hatte.

Jacques starrte von der offenen Tür ins Zimmer herein, doch Walt war nach einem kurzen Blick hastig nach unten geflohen. Wächter kratzte sich gelangweilt.

Adelia war tote Körper gewohnt und hatte sich nie vor einem gefürchtet – bis jetzt. Folglich war sie wütend geworden. Der Grund war die Haltung der Leiche … Rosamund war nicht in dieser Position gestorben. Wenn die Teufelshaube sie umgebracht hatte, dann war das Ende zu qualvoll gewesen. Nein, Dakers hatte den noch warmen Leichnam auf den Stuhl gezerrt, ihn arrangiert und dann entweder abgewartet, bis die Totenstarre eintrat, oder sie hatte ihn, falls diese schon vergangen war, in der Position gehalten, bis die Kälte, die durch die offenen Fenster drang, Kopf, Rumpf und Glieder in der Haltung erstarren ließ, wie sie jetzt waren, so, als würde Rosamund schreiben.

Adelia wusste das so sicher, als wäre sie selbst dabei gewesen, doch sie konnte den Eindruck nicht abschütteln, dass die Tote aufgestanden und zum Tisch geschritten war, um sich hinzusetzen und zur Feder zu greifen.

Rowleys Gereiztheit sollte nur das Entsetzen überspielen, das ihn aus der Fassung gebracht hatte, und Adelia, der es ähnlich erging, reagierte verärgert. »Ihr habt mir nicht erzählt, dass sie dick ist.«

»Spielt das eine Rolle?«

Nein, natürlich nicht, aber es war eine Art nachträglicher Schock. Das Bild, das Adelia sich von der Schönen Rosamund gemacht hatte, das Bild, das auf ihrem Ruf beruhte, auf dem, was Bertha erzählt hatte, auf dem endlosen Marsch durch den fürchterlichen Irrgarten, auf dem Anblick der noch fürchterlicheren Menschenfalle, war das einer schönen Frau gewesen, die menschlichem Leid so gleichgültig gegenüberstand wie eine Göttin des Olymps – anmutig, verwöhnt, abgehoben, kalt wie ein Reptil, aber schlank. Eindeutig schlank.

Doch als sie sich vorgebeugt hatte, um sie zu betrachten, hatte sie in das fast kindlich pausbäckige Gesicht einer Fettleibigen geblickt.

Das änderte die Sache. Sie wusste selbst nicht, warum, aber so war es.

»Wie lang ist sie schon tot?«, wollte Rowley wissen.

»Was?« Adelia war in Gedanken versunken und stellte der Leiche belanglose Fragen. Wieso hast du bei deinem Gewicht hier oben im Turm gelebt? Wie bist du die Treppe runtergekommen, um dich mit Rowley im Garten zu treffen? Und wie bist du wieder raufgekommen?

»Ich habe gefragt, wie lang sie schon tot ist.«

»Oh.« Höchste Zeit, sich zusammenzureißen und zu tun, weswegen sie mitgekommen war. »Lässt sich unmöglich genau sagen.«

»Waren es die Pilze?«

»Woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich ja.«

»Könnt ihr sie strecken?«

Meine Güte, was für ein grobschlächtiger Mensch er doch war. »Sie wird sich schon von allein strecken«, sagte Adelia knapp. »Wir müssen dieses verdammte Zimmer nur warm bekommen.« Dann fragte sie: »Warum wollte Dakers wohl, dass man sie schreibend vorfindet?«

Doch der Bischof war schon draußen vor der Tür und brüllte zu Walt hinunter, er solle Kohlenbecken, Späne, Feuerholz, Kerzen heraufbringen, und schickte Jacques nach unten, damit er dem Reitknecht half. Als er daraufhin selbst die Treppe hinunter verschwand, um weiter nach der Haushälterin zu suchen, nahm er seine lebenssprühende Kraft mit und überließ den Raum der Stille der Toten.

Adelias Gedanken wanderten sehnsüchtig zu dem Mann, auf dessen ruhige Unterstützung und Zuversicht sie bei schwierigen Ermittlungen stets bauen konnte – denn dass diese hier schwierig werden würde, daran zweifelte sie nicht. Doch Mansur war auf der Barkasse, die Rosamunds Sarg den Fluss heraufbrachte, und selbst wenn er inzwischen die Anlegestelle erreicht hatte, die eine Viertelmeile entfernt lag, so hatte man ihn, Oswald und die anderen Männer doch angewiesen, dort zu bleiben, bis der Bote sie holen kam.

Was heute Nacht nicht mehr geschehen würde. Niemand würde sich heute Nacht noch einmal in den Irrgarten wagen.

Sie hatte nur eine Lichtquelle. Rowley hatte seine Kerze mitgenommen. Sie stellte ihre auf den Tisch, so dicht neben die Hand der Toten, wie es ging, ohne sie zu verbrennen – ein klitzekleiner Anfang, um die Leiche aufzutauen, was nicht nur seine Zeit dauern, sondern auch unappetitlich werden würde.

Adelia dachte an die toten Schweine, an denen sie Verwesung studiert hatte, und zwar auf einem Hof in den Bergen oberhalb von Salerno, den ihr Lehrer Gordinus eigens zu diesem Zweck dort unterhielt. Sie versuchte, sich vor allem an die gefrorenen Kadaver in dem Eishaus zu erinnern, das er tief in Felsgestein hatte schlagen lassen. Sie konzentrierte sich auf Gewicht, auf Zeitspannen, sie stellte sich die nadelfeinen Eiskristalle vor, die Muskeln und Gewebe hart werden ließen … und die Säfte, die entstanden, wenn sie schmolzen.

Die arme Rosamund. Sie würde den Peinlichkeiten des Verfalls ausgesetzt sein, wo doch alles in diesem Raum von einem Menschen kündete, der Eleganz liebte.

Die arme Dakers, die ihre Herrin zweifelsohne bis zum Wahnsinn geliebt hatte.

Die ihr auch eine Krone aufgesetzt hatte. Eine echte Krone, kein modisches Diadem, keinen Kranz, keinen Stirnreif, sondern ein altes Exemplar aus massivem Gold mit vier Spitzen, die in Form einer Lilie aus einem juwelenbesetzten Rand nach oben strebten – die Krone einer königlichen Gemahlin. Sie, so sagte Dakers damit, ist eine Königin.

Und doch hatte dieselbe Hand das schöne Haar so gebürstet, dass es jetzt offen über Schultern und Rücken der Toten hing wie bei einer Jungfrau.

Ach, nun fang schon an, mahnte Adelia sich. Sie war nicht hier, um sich von den unergründlichen Tiefen menschlicher Leidenschaft faszinieren zu lassen, sondern um herauszufinden, warum jemand den Tod dieser Frau gewollt hatte und wer dieser Jemand war.

Sie wünschte, von unten wären irgendwelche Laute zu hören gewesen, um die Totenstille des Zimmers zu unterbrechen. Vielleicht lag es ja so hoch, dass kein Geräusch bis hier heraufdrang.

Adelia richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Schreibtisch, eine gruselige Angelegenheit, weil das dunkle Fensterglas auf der gegenüberliegenden Seite wie die Versilberung eines Spiegels wirkte, so dass sie und die Leiche Seite an Seite darin reflektiert wurden.

Ein hübscher, auf Hochglanz polierter Tisch. Dicht neben der linken Hand der Toten stand eine Schale mit kandierten Pflaumen, als wollten ihre Finger gleich danach greifen.

Die Schale war schwarz und rot und mit Athleten bemalt, wie die uralte Vase, die ihr Ziehvater in Griechenland entdeckt hatte und die ihm so kostbar war, dass niemand außer ihm sie anfassen durfte. Rosamund bewahrte in ihrer Süßigkeiten auf.

Ein gläsernes Tintenfässchen, eingefasst in eine goldene Filigranarbeit. Ein eleganter lederner Behälter für die Schreibfedern und ein kleines Messer aus Elfenbein und Stahl, um sie anzuspitzen. Zwei Bögen hochwertiges Velin, beide engbeschrieben, lagen Seite an Seite, einer unter der rechten Hand. Ein fast leerer Sandstreuer, passend zum Tintenfass, ebenfalls aus Glas und mit Goldfiligran. Ein kleiner Brenner, um das Siegelwachs zum Schmelzen zu bringen, das in Form von zwei roten Stangen danebenlag, die eine kürzer als die andere.

Adelia suchte nach einem Siegel und fand keines, aber an einem Finger der Toten steckte ein großer Goldring. Sie hob die Kerze näher an den Ring. Die runde Oberseite war eine Prägeform, die, wenn man sie in weiches Wachs drückte, die beiden Buchstaben R.R. zurücklassen würde.

Rosamund Regina?

Hmm.

Dakers hatte zeigen wollen, dass Rosamund lesen und schreiben konnte – keine geringe Leistung in England, selbst bei hochgeborenen Frauen –, warum sonst hätte sie sie in dieser Haltung hergerichtet? Und sie hatte offensichtlich viel geschrieben. Die Gerätschaften auf dem Tisch waren häufig benutzt worden.

War Dakers einfach nur stolz darauf gewesen, dass ihre Herrin schreiben konnte? Oder gibt es da noch eine andere Botschaft, die mir entgeht?, fragte sich Adelia.

Sie betrachtete die beiden Bögen Velin genauer. Sie hob denjenigen auf, der direkt vor der Leiche lag, und stellte fest, dass er in diesem Licht nicht zu entziffern war. Rosamund mochte ja des Schreibens mächtig gewesen sein, aber sie hatte keine schöne Schrift gehabt. Das hier war nur ein verkrampftes Gekritzel.

Sie fragte sich, wo zum Donnerwetter Rowley mit den Kerzen blieb. Der Bischof ließ sich Zeit mit seiner Rückkehr. Adelia registrierte diesen Umstand nur ganz kurz und stellte fest, dass sie, wenn sie den Bogen mit einer Hand über den Kopf hob, die Kerze mit der anderen gefährlich nah darunterhielt und dann die Augen zusammenkniff, so gerade eine Anrede lesen konnte. Was sie da in der Hand hielt, war ein Brief.

»An Lady Eleanor, Herzogin von Aquitanien und vermeintliche Königin von England, es grüßt Euch die wahre und einzige Königin dieses Landes, Rosamund, die Schöne.«

Adelia fiel der Unterkiefer herunter. Und beinahe auch der Brief. Das war keine Majestätsbeleidigung, das war glatter, offensiver Hochverrat. Es war eine Aufforderung zum Kampf.

Es war dumm.

»Warst du irre?« Das Flüstern wurde von der Stille des Raumes verschluckt.

Rosamund stellte Eleanors Macht in Frage, und sie musste gewusst haben, dass die Königin gezwungen war, darauf zu reagieren, oder für alle Zeit gedemütigt gewesen wäre.

»Du hast mit hohem Einsatz gespielt«, flüsterte Adelia. Der Wormhold Tower mochte ja schwierig zu erobern sein, aber er war nicht uneinnehmbar. Einer Streitmacht, wie sie von einer zornbebenden Königin entsandt worden wäre, hätte er nicht standgehalten.

Rosamunds Tod raunte: Ha, doch stattdessen hat die Königin ein altes Weib mit vergifteten Pilzen geschickt?

Nichts dergleichen, dachte Adelia bei sich, denn Eleanor hatte den Brief nicht erhalten. Höchstwahrscheinlich hatte Rosamund gar nicht vorgehabt, ihn abzuschicken. Allein in diesem schrecklichen Turm, hatte sie sich lediglich damit die Zeit vertrieben, irgendwelche Wunschvorstellungen von sich als Königin auf Velin zu kritzeln.

Was hatte sie sonst noch geschrieben?

Adelia legte den Brief zurück auf den Tisch und nahm das andere Dokument zur Hand. Im Halbdunkel erkannte sie eine weitere Anrede. Also noch ein Brief. Wieder musste sie ihn hochhalten, damit das Kerzenlicht von unten darauf schien. Dieser war leichter zu lesen:

»An Lady Eleanor, Herzogin von Aquitanien und vermeintliche Königin von England, es grüßt Euch die wahre und einzige Königin dieses Landes, Rosamund, die Schöne.«

Exakt derselbe Wortlaut. Und die Zeilen waren leserlicher, weil jemand anders sie geschrieben hatte. Diese Schrift sah ganz anders aus als Rosamunds Gekritzel. Es war die gut lesbare, leicht geneigte Schönschrift eines Gelehrten.

Rosamund hatte ihren Brief von diesem abgeschrieben.

Wächter gab ein leises Knurren von sich, doch Adelia, die von dem Rätsel völlig gebannt war, achtete nicht darauf.

Es ist hier. Ich bin ganz nah dran.

Während sie nachdachte, wedelte sie sachte mit dem Bogen, doch dann sah sie im Spiegel des Fensters, dass sie Rosamund versehentlich damit auf den Kopf klopfte.

Und hörte auf, ebenso erstarrt wie die Leiche. Wächter hatte sie warnen wollen, dass noch jemand das Turmzimmer betreten hatte, sie hatte nicht darauf geachtet.

Drei Gesichter spiegelten sich im Glas, zwei davon gekrönt. »Ich bin entzückt, Eure Bekanntschaft zu machen, meine Liebe«, sagte eines davon – und es meinte nicht Adelia.

Die einen Moment lang stehenblieb, wo sie war, unverwandt geradeaus starrte, versuchte, ihren fröstelnden Aberglauben niederzukämpfen und all ihren gesunden Menschenverstand gegen Hexerei und Geisterbeschwörung aufzubieten.

Dann fuhr sie herum und verneigte sich. Eine wahre Königin war unverkennbar.

Eleanor nahm keine Notiz von ihr. Sie ging zu einer Seite des Tisches, wobei sie das Zimmer mit einem Duft erfüllte, der Rosamunds Rosen mit etwas Schwererem, Exotischerem überdeckte. Zwei weiße, langfingrige Hände wurden auf das Holz gelegt, als sie sich vorbeugte, um in das Gesicht der Toten zu blicken. »Ts-ts. Ihr habt Euch gehenlassen.« Ein beringter Zeigefinger stupste die griechische Schale an. »Ich vermute, zu viele Leckereien und zu wenig Salat?«

Ihre Stimme klang liebreizend durch den Raum. »Wusstet Ihr, dass die arme Rosamund fett war, Lord Montignard? Wieso hat mir das niemand gesagt?«

»Das sind Kühe doch meistens, Lady.« Eine Männerstimme, die von einer Gestalt kam, die in der offenen Tür stand und eine Laterne hielt. Dahinter war undeutlich eine größere Gestalt im Kettenhemd zu sehen.

»Wie unhöflich«, sagte Eleanor entschuldigend zu der Leiche auf dem Stuhl. »Männer sind doch wirklich ungerecht, nicht wahr? Und gewiss hattet Ihr viele ausgleichende Vorzüge … Großzügigkeit im Gewähren Eurer Gunst, und so weiter.«

Die Grausamkeit lag nicht nur in den Worten, sondern auch in der enormen physischen Diskrepanz der Frauen. Neben der hohen Gestalt der Königin, die selbst in ihrem Pelzumhang schlank erschien, sah Rosamund schwerfällig aus, und das offen herabwallende Haar wirkte bei einer Frau ihres Alters lächerlich. Im Vergleich zu der erlesen gearbeiteten weißgoldenen Krone, die Eleanor trug, wirkte Rosamunds wuchtig und überladen.

Die Königin wandte sich dem Dokument zu. »Ach, meine Liebe, schon wieder ein Brief an mich? Und Gott hat Euch zu Eis erstarren lassen, als Ihr gerade dabei wart, ihn zu verfassen?«

Adelia öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sie und die Männer an der Tür waren lediglich Publikum in dem Spiel, das Eleanor von Aquitanien mit einer Toten spielte.

»Es tut mir leid, dass ich zu dem Zeitpunkt nicht hier war«, sagte die Königin jetzt. »Als ich von Eurer Erkrankung erfuhr, war ich gerade erst aus Frankreich gekommen und musste mich um Wichtigeres kümmern, als an Euer Sterbebett zu eilen.« Sie schien zu seufzen. »Wie immer: Erst die Pflicht, dann das Vergnügen.«

Sie hob den Brief auf und hielt ihn in der ausgestreckten Hand. In dem Licht konnte sie ihn nicht lesen, aber das war auch nicht nötig. »Ist der auch so wie die anderen? Die wahre Königin dieses Landes grüßt die vermeintliche …? Ein wenig einfallslos, findet Ihr nicht? Nicht wert, aufbewahrt zu werden!«

Sie zerknüllte den Bogen, warf ihn zu Boden und trat ihn mit der Drehung eines feinen Stiefels auf den Steinen platt.

Ganz, ganz langsam neigte Adelia sich seitlich nach unten. Sie schob das Dokument, das sie in der Hand hielt, oben in ihren rechten Stiefel und merkte, wie Wächter ihr dabei die Hand leckte. Er hielt sich in ihrer Nähe.

Sie schaute zu dem Spiegelbild im Fenster, um zu sehen, ob der Mann an der Tür die Bewegung bemerkt hatte. Nein, seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich Eleanor, und Eleanors galt Rosamunds Leichnam.

Die Königin legte eine Hand hinters Ohr, als lauschte sie einer Erwiderung. »Das macht Euch nichts? Wie großzügig von Euch, aber man sagt Euch ja nach, dass Ihr Eure Gunst stets großzügig gewährt habt. Ach übrigens, verzeiht, aber der Klunker da gehört mir …« Eleanor hatte der Toten die Krone vom Kopf genommen. »Sie wurde vor zweihundert Jahren für die Ehefrauen der Grafen von Anjou angefertigt, und wie kann er es wagen, sie einer stinkenden, fetten Hure wie dir zu geben …«

Dahin war es mit ihrer Selbstbeherrschung. Mit einem Aufschrei schleuderte Eleanor die Krone in das Fenster vor ihnen beiden, als wollte sie damit die Scheibe zerschmettern. Wächter kläffte.

Es war Eleanors Rettung, dass die Krone mit der gefütterten Unterseite des Randes gegen das Fenster schlug. Wäre die Scheibe zersprungen, dann hätte Adelia – die benommen das bebende Spiegelbild weiter betrachtete, nachdem das Wurfgeschoss abgeprallt war – nicht die Spiegelung des Todes gesehen, der von hinten angeschlichen kam. Und auch nicht das Messer in seiner Hand.

Ihr blieb keine Zeit mehr, sich umzudrehen. Er hatte Eleanor im Visier. Adelia warf sich zur Seite, und ihre linke Hand packte die Schulter des Todes.

Bei dem Versuch, das Messer abzuwehren, griff sie daneben, und die Klinge schlitzte ihr die Innenfläche der linken Hand auf. Doch ihr Stoß brachte den Angreifer so aus dem Tritt, dass er zu Boden stürzte.

Alles erstarrte; Rosamund saß unbeteiligt auf ihrem Stuhl, Eleanor war ebenso reglos dem Fenster zugewandt, in dem sich der Angriff gespiegelt hatte, Adelia stand da und starrte auf die Gestalt, die bäuchlings auf dem Boden vor ihren Füßen lag. Die Gestalt fauchte.

Wächter näherte sich ihr, schnüffelte und wich sogleich zurück.

Eine Sekunde lang. Dann schrie Lord Montignard auf, und der Mann im Kettenhemd hatte einen Fuß in den Rücken der liegenden Gestalt gedrückt und sein Schwert mit beiden Händen erhoben. Er bat Eleanor mit einem Blick um die Erlaubnis, zuzuschlagen.

»Nein.« Adelia dachte, sie hätte das Wort gekreischt, doch der Schock dämpfte ihre Stimme, so dass sie einigermaßen ruhig klang.

Der Mann achtete gar nicht auf sie. Unbeteiligt starrte er weiterhin auf die Königin, die eine Hand an den Kopf gehoben hatte.

Sie schien niederzusinken, doch nur, um sich hinzuknien. Die weißen Hände wurden jetzt gefaltet, das gekrönte Haupt gebeugt, und Eleanor von Aquitanien begann zu beten. »Allmächtiger Gott«, sagte sie, »Dank sei Dir von einer demütigen Königin. Du hast Deine Hand erhoben und diese, meine Feindin, zu einem Eisklumpen erstarren lassen. Selbst im Tod noch sandte sie ihre Kreatur gegen mich, doch Du hast der Klinge Einhalt geboten, damit ich, die unschuldig Betrogene, weiterleben kann, um Dir, meinem Herrn und Erlöser, zu dienen.«

Als Montignard ihr auf die Beine half, war sie erstaunlich gelassen. »Ich habe es gesehen«, sagte sie zu Adelia. »Ich habe gesehen, dass Gott dich zum Werkzeug meiner Rettung auserwählt hat. Bist du die Haushälterin? Man sagt, die Dirne hatte eine Haushälterin.«

»Nein. Ich heiße Adelia Aguilar. Ich vermute, das da ist die Haushälterin. Ihr Name ist Dakers.« Als sie auf die liegende Gestalt zeigte, betropfte sie sie mit ihrem Blut.

Königin Eleanor nahm es nicht zur Kenntnis. »Was machst du dann hier, Mädchen? Wie lange lebst du schon hier?«

»Nein, nein. Ich bin hier fremd. Wir sind erst vor etwa einer Stunde angekommen.« Eine Ewigkeit. »Ich war vorher noch nie hier. Ich bin vor kurzem erst die Treppe heraufgekommen, und habe … das da gefunden.«

»War diese Kreatur bei dir?« Eleanor deutete nachlässig auf die noch immer am Boden liegende Angreiferin.

»Nein. Ich habe sie nicht gesehen, erst gerade eben, sie muss sich irgendwo versteckt haben, als sie uns auf der Treppe gehört hat.«

Montignard trat näher und wedelte mit einem spitzen Dolch vor ihrem Gesicht herum. »Du erbärmliches Wesen, du sprichst mit deiner Königin. Erweise ihr Ehrerbietung, oder ich schlitz dir die Nase auf.« Er war ein gertenschlanker junger Mann mit sehr lockigem Haar und jetzt auch sehr mutig.

»Mylady«, fügte Adelia schleppend hinzu.

»Schluss damit, Monty«, zischte die Königin und wandte sich dem Mann im Kettenhemd zu. »Ist hier alles gesichert, Schwyz?«

»Gesichert?« Mit nach wie vor ausdrucksloser Miene gelang es Schwyz dennoch, den Eindruck zu vermitteln, als wäre der Turm ungefähr so robust wie eine Pusteblume. »Wir haben vier Männer in einer Barkasse gefangen genommen und drei hier unten.« Auch er sprach die Königin nicht formell an, wie Adelia bemerkte, doch Montignard drohte nicht damit, ihm die Nase aufzuschlitzen; der untersetzte Mann sah mit seinen stämmigen Beinen eher aus wie ein Fußsoldat als ein Ritter, und zweifelsohne hätte er die Haushälterin auf ein Nicken von Eleanor hin durchspießt wie einen zappelnden Fisch. Und Montignard gleich mit.

Ein Söldner, befand Adelia.

»Haben die drei Männer da unten dich mitgebracht?«, fragte die Königin.

»Ja.« Großer Gott, sie war müde. »Mylady«, schob sie nach.

»Warum?«

»Weil der Bischof von St. Albans mich gebeten hat, ihn zu begleiten.« Sollte Rowley doch ihre Fragen beantworten. So was konnte er gut.

»Rowley?« Die Stimme der Königin hatte sich verändert. »Rowley ist hier?« Sie wandte sich an Schwyz. »Wieso erfahre ich das nicht?«

»Vier Männer in dem Boot und drei unten«, wiederholte Schwyz gleichmütig. Er hatte einen leichten fremdartigen Akzent. »Wenn unter ihnen ein Bischof ist, dann weiß ich nichts davon.« Und es war ihm auch egal. »Bleiben wir die Nacht über hier?«

»Bis der junge König und der Abt von Eynsham eintreffen.«

Schwyz zuckte die Achseln.

Eleanor betrachtete Adelia genauer. »Wieso hat Seine Lordschaft von St. Albans eine seiner Frauen mit zum Wormhold Tower gebracht?«

»Das kann ich nicht sagen.« Sie hatte einfach nicht mehr die Kraft, den Ablauf der Ereignisse zu schildern und noch dazu begreiflich zu machen. Sie war so müde, so schockiert, so niedergedrückt von den Schrecknissen hier, dass sie nicht einmal die Unterstellung abstritt, »eine seiner Frauen« zu sein, obschon sie sich unwillkürlich fragte, wie viele das wohl sein mochten.

»Wir werden ihn fragen«, sagte Eleanor munter. Sie blickte zu der sich windenden Gestalt auf dem Boden hinunter. »Hebt sie hoch.«

Der Höfling Montignard drängte nach vorn und katapultierte das Messer der verhinderten Mörderin übertrieben dramatisch mit dem Fuß quer durch den Raum. Er zerrte sie unter Schwyz’ Stiefel hervor auf die Beine, schlang ihr einen Arm um die Brust und drückte ihr mit der anderen Hand seine Dolchspitze an den Hals.

Die Frau war tatsächlich der leibhaftige Tod – zumindest eine überzeugendere Verkörperung des Todes, als sie in den Mysterienspielen auf den Jahrmärkten zu sehen war. Die Kapuze eines schwarzen Umhangs war nach hinten gerutscht, vorstehende Wangenknochen und die gebleckten Zähne eines Schädels kamen zum Vorschein, an dem die bleiche Haut so straff gespannt war, dass man ihn in dem schlechten Licht für einen Totenschädel hätte halten können, wäre da nicht ein großer und wuchernder Leberfleck an der Oberlippe gewesen. Die Augen lagen tief in den Höhlen, wie dunkle Löcher. Es fehlte nur noch die Sense.

Noch immer fauchte sie zwischendurch, und die Worte waren mit Speichel vermischt. »… wag es nicht, die wahre Königin zu berühren, du Heuchlerin … mein Meister, mein dunkler Herr … deine Seele verbrennen … dich hinabstürzen … größte Abscheulichkeit.«

Eleanor beugte sich vor, legte erneut die Hand hinter ein Ohr und trat dann zurück. »Dämonen? Belial?« Sie sah ihr Publikum an. »Die Frau droht mir mit Belial.«

»Erlaubt mir, sie zu erdrosseln, Mylady. Lasst mich diesen Eiter ausbrennen«, flehte Montignard. Ein Blutstropfen erschien an der Spitze seines Dolches, der die Haut der Frau durchstoßen hatte.

»Lasst sie los!« Jetzt schaffte Adelia es, laut zu werden. »Sie ist verrückt und ohnehin schon halb tot, lasst sie los.« Instinktiv schlossen sich ihre Finger um das Handgelenk der Frau, wo sie einen bedrohlich langsamen Puls ertasteten und Knochen, die beinahe so kalt waren wie Rosamunds. Lieber Gott, wie lange hatte sie sich in dieser Eiskammer versteckt?

»Sie braucht Wärme«, sagte Adelia zu Eleanor. »Wir müssen sie aufwärmen.«

Die Königin sah auf Adelias flehend vorgestreckte Hand, von der noch immer Blut tropfte, dann auf die Haushälterin. Sie zuckte die Achseln. »Man erklärt uns, dass diese Kreatur Wärme benötigt, Monty. Vermutlich ist damit nicht gemeint, sie ins Feuer zu stoßen. Schafft sie nach unten, Schwyz, und kümmert Euch darum. Nicht zu grob, bitte. Wir werden sie später befragen.«

Mit finsterer Miene übergab der Höfling seine Gefangene an Schwyz, der sie zur Tür führte, einem seiner Männer einen Befehl erteilte und sie abführen ließ, ehe er zurück ins Zimmer kam. »Madam, wir sollten aufbrechen. Ich kann den Turm nicht verteidigen.«

»Noch nicht, Master Schwyz. Tut Eure Pflicht.«

Schwyz stapfte davon, kein glücklicher Mann.

Die Königin lächelte Adelia an. »Siehst du? Du bittest um das Leben dieser Frau, und ich gewähre es. Noblesse oblige. Was bin ich doch für eine großherzige Monarchin.«

Sie war beeindruckend, das musste Adelia ihr lassen. Die zittrige Schwäche des Schocks, durch die Adelias Beine einzuknicken drohten, schien dieser Frau fremd zu sein, als gehörten Mordanschläge zum Alltag einer Königin. Vielleicht war dem ja so.

Montignard zögerte. Er nickte Richtung Adelia. »Ich werde Euch nicht mit diesem Weib allein lassen, Lady. Wir wissen nicht, ob sie Übles im Schilde führt.«

»Mylord.« Eleanor hatte eine metaphorische Peitsche im Stiefel stecken. »Wer auch immer sie sein mag, sie hat mir das Leben gerettet. Wozu Ihr …« – die Peitsche knallte – »zu langsam wart. Und jetzt kümmert Euch um diese Eiterbeule. Überdies täte auch uns etwas Wärme wohl. Veranlasst das. Und bringt mir den Bischof von St. Albans.«

Reiner Selbsterhaltungstrieb half Adelia, die Bitte zu murmeln. »Und Weinbrand. Schickt Weinbrand herauf.« Inzwischen hatte sie sich die Wunde in ihrer Hand genauer angesehen. Sie war tief, und, Gott verfluche alle messerschwingenden Mörderinnen, sie brauchte ihre rechte Hand.

Die Königin erteilte mit einem Nicken die Erlaubnis. Sie machte keinerlei Anstalten, das Zimmer zu verlassen und nach unten zu gehen. Obwohl Adelia das eingedenk der armen Toten darin für abartig und schlechterdings unheilig hielt, war sie doch dankbar, dass ihr die Treppe zunächst erspart blieb. Sie schob sich aus dem königlichen Gesichtsfeld und ließ sich neben dem Bett zu Boden sinken.

Ein Kommen und Gehen begann, Dinge wurden getan, man zog das Bett ab und schaffte Matratze und Laken nach unten, wo alles verbrannt werden sollte – die Königin bestand darauf.

Eine schöne junge Frau, vermutlich eine von Eleanors Hofdamen, kam herein, riss die Augen weit auf, als sie Rosamund sah, sank hübsch in Ohnmacht und musste wieder hinausgetragen werden. Mägde, Diener – wie viele hatte sie eigentlich dabei? – schleppten Kohlenbecken herein und genug Kerzen, um den Vatikan zu erleuchten, Weihrauchkessel und Öllampen, Laternen, Fackeln. Adelia, die geglaubt hatte, dass ihr nie wieder warm werden würde, begann allmählich, schläfrig-freundlich an die Kälte zu denken. Sie schloss die Augen …

 

»… zur Hölle macht Ihr hier? Wenn er kommt, dann kommt er direkt hierher zu diesem Turm.« Das war Rowleys Stimme, sehr laut, sehr wütend.

Adelia erwachte. Sie saß noch immer neben dem Bett auf dem Boden. Das Zimmer war heißer denn je, und es waren mehr Menschen darin. Rosamunds Leichnam saß, von allen missachtet, noch immer am Tisch, doch irgendeine gnädige Seele hatte Kopf und Schultern mit einem Umhang verhüllt.

»Ihr wagt es, so mit meiner hohen Lady zu sprechen? Sie geht, wohin es ihr beliebt.« Das war Montignard.

»Ich rede mit der Königin, du Hundsfott. Halt deinen Rüssel da … raus.« Das letzte Wort klang gepresst – jemand hatte ihm einen Schlag versetzt.

Adelia spähte unter dem Bett hindurch und sah die untere Hälfte der Königin und Rowley ganz, weil er vor ihr kniete. Seine Hände waren gefesselt. Geharnischte Beine – in einem Paar erkannte sie Schwyz’ – standen hinter ihm, und seitlich davon waren Montignards feine Lederstiefel zu sehen, einer bereits zu einem weiteren Tritt erhoben.

»Lasst ihn, Mylord«, sagte Eleanor eisig. »Das ist die Sprache, die ich vom Bischof von St. Albans kenne.«

»Man nennt sie auch Wahrheit«, sagte Rowley. »Wann habt Ihr von mir je etwas anderes gehört?«

»Ach ja? Dann lautet die Frage wohl nicht, was ich höre, sondern was Ihr hört?«

Gleich ist es so weit, dachte Adelia. Die Zufälligkeit ihres Zusammentreffens an diesem Ort musste einer Königin, die gerade einem Mordanschlag entgangen war, verdächtig erscheinen.

Behutsam machte Adelia sich daran, die Kordel des Beutels zu lösen, der an ihrem Gürtel hing, und nach der kleinen Samtrolle mit den chirurgischen Instrumenten zu tasten, die sie auf Reisen stets bei sich trug.

»Das habe ich doch schon gesagt. Ich bin Euretwegen hier.« Rowley deutete mit dem Kinn zu dem Tisch hinüber. »Mylady, schon jetzt sind Gerüchte im Umlauf, die Euch die Schuld an Rosamunds Tod geben.«

»Mir? Gott der Allmächtige hat sie getötet.«

»Er hatte Hilfe. Lasst mich herausfinden, wessen – deshalb bin ich hergekommen, um herauszufinden …«

»Im Dunkeln? In dieser stockfinsteren Nacht?« Montignard mischte sich erneut ein. »Ihr kommt hierher, und gleichzeitig stürzt ein Dämon aus der Wand hervor, um die Königin zu meucheln?«

Da. Adelia hatte in der Rolle das kleine, tödlich scharfe Messer gefunden und so weit gelockert, dass der Griff herausschaute. Was sie damit machen würde, wusste sie nicht genau, aber falls sie ihm etwas antaten …

»Was? Was für ein Dämon?«, fragte Rowley.

Eleanor nickte. »Die Haushälterin, Dakers. Habt Ihr sie beauftragt, mich zu ermorden, St. Albans?«

»Eleano-oor.« Es war der fassungslose Aufschrei eines missverstandenen alten Freundes. Alle anderen im Raum gerieten in den Hintergrund, als Hunderte gemeinsame Erinnerungen heraufbeschworen wurden. Und die Königin besann sich.

»Nun gut«, sagte sie sanfter. »Ich denke, Euch sollte vergeben werden, da es Eure Buhlin war, die die Klinge beiseitestieß.«

Adelias Hand lockerte sich.

»Meine Buhlin?«

»Ich vergaß, dass Ihr so viele habt. Die mit dem fremdländischen Namen und keinen Manieren.«

»Ach ja«, sagte der Bischof. »Die Buhlin. Wo ist sie?«

Adelia zog sich mit ihrer unverletzten Hand am Bettgestell hoch und stellte sich aufrecht hin, so dass jeder sie sehen konnte. Sie hatte Angst und kam sich ziemlich albern vor.

Unbeholfen drehte Rowley sich um. Sein Mund war blutig.

Ihre Blicke trafen sich.

»Ich frohlocke, dass sie einem so hohen Zweck dienen konnte, Madam«, sagte der Bischof von St. Albans bedächtig. Er sah erneut die Königin an. »Behaltet sie, wenn Ihr möchtet, ich habe keine Verwendung für sie – wie Ihr schon sagtet, Madam, sie hat keine Manieren.«

Eleanor blickte kopfschüttelnd zu Adelia hinüber. »Siehst du, wie leichtfertig er dich aufgibt? Alle Männer sind Schurken, ob König oder Bischof.«

Adelia geriet in Panik. Er überlässt mich ihr. Das kann er nicht. Was ist mit Allie? Ich muss zurück nach Godstow.

Rowley beantwortete bereits eine weitere Frage. »… ja doch, zweimal. Das erste Mal, als sie erkrankte. Wormhold liegt in meiner Diözese, es war also meine Pflicht. Und heute Abend, als ich von ihrem Tod erfuhr. Aber darum geht es nicht …« Gefesselt auf den Knien, hielt der Bischof dennoch der Königin eine Predigt. »In Gottes Namen, Eleanor, warum seid Ihr nicht nach Aquitanien gezogen? Es ist Wahnsinn, dass Ihr hier seid. Flieht. Ich beschwöre Euch.«

»Darum geht es nicht?« Eleanor hatte nur gehört, was ihr wichtig war. Ihr Mantel glitt über den Boden, als sie sich bückte und Rosamunds Brief aufhob. »Hierum geht es. Um das hier. Ich habe zehn davon erhalten.« Sie strich den Brief glatt und hielt ihn Rowley vors Gesicht. »Zehn haben ihren Weg zu mir gefunden. Ihr und diese Hure habt Euch mit Henry verbündet, um sie zur Königin zu machen.«

Einen Moment lang trat Stille ein, während Rowley las.

»Bei Gott, davon habe ich nichts gewusst«, sagte er – und Adelia dachte, dass selbst Eleanor das Entsetzen in seiner Stimme hören musste. »Und auch der König nicht, das schwöre ich. Die Frau war wahnsinnig.«

»Böse. Sie war böse. Sie soll in dieser Welt ebenso brennen wie in der nächsten – sie und alles, was zu ihr gehörte. Schon wird das Brennholz zusammengetragen, um sie den Flammen zu übergeben. Ein passendes Ende für eine Metze. Sie soll kein christliches Grab erhalten.«

»Mein Gott.« Adelia sah, wie Rowley erbleichte und sich dann wieder sammelte.

Auf einmal schlug seine Stimme um und nahm einen Tonfall an, der ihr schmerzlich vertraut war. Damit hatte er sie in sein Bett bekommen. »Eleanor«, sagte er sanft. »Ihr seid die größte aller Königinnen, Ihr habt Schönheit und Eleganz und Musik und Kultur in dieses primitive Land gebracht, Ihr habt uns zivilisiert.«

»Wirklich?« Sehr leise, fast kindlich.

»Das wisst Ihr doch. Wer hat uns denn Ritterlichkeit gegenüber Frauen gelehrt? Und wer zum Teufel hat mich gelehrt, ›bitte‹ zu sagen?« Sie lachte auf, und er nutzte seinen Vorteil. »Bitte, ich flehe Euch an, begeht keinen Akt der Barbarei, den Eure Widersacher ausnutzen werden. Es ist unnötig, diesen Turm niederzubrennen, lasst ihn in seinem eigenen Schmutz stehen. Zieht Euch nach Aquitanien zurück, zumindest für eine Weile, und lasst mir Zeit, herauszufinden, wer Rosamund getötet hat, damit ich mit dem König verhandeln kann. Doch bis dahin, Lady, bringt ihn nicht gegen Euch auf, um des Gekreuzigten willen.«

Er hatte den falschen Ton angeschlagen.

»Ihn gegen mich aufbringen?«, sagte Eleanor zuckersüß. »Er hat mich in Chinon gefangen gehalten, Bischof. Und Eure Stimme zählte nicht zu denjenigen, die sich dagegen erhoben haben.«

Sie winkte den Männern hinter Rowley, und die begannen, ihn hinauszuzerren.

Als sie die Tür erreicht hatten, sagte sie klar und deutlich: »Ihr seid Henry Plantagenets Mann, St. Albans. Das wart Ihr immer, und das werdet Ihr immer bleiben.«

»Und der Eure, Lady«, rief er zurück. »Und Gottes.«

Man hörte sein Fluchen, als die Männer ihn die Treppe hinunterschleiften. Das Geräusch wurde schwächer. Stille trat ein, wie die Ruhe nach dem Zusammenbruch eines Gebäudes, wenn sich der Staub allmählich legt.

Schwyz blieb noch. »Der Schweinehund hat recht, Lady, wir sollten schleunigst aufbrechen.«

Die Königin achtete gar nicht auf ihn. Sie ging aufgebracht im Kreis und murmelte vor sich hin.

Mit einem resignierten Achselzucken wandte Schwyz sich ab und verschwand.

»Er würde Euch niemals schaden, Lady«, sagte Adelia. »Tut ihm nichts an.«

»Liebe ihn nicht!«, zischte die Königin.

Tu ich nicht, will ich nicht. Nur, tut ihm nichts an.

»Erlaubt mir, ihm die Augen auszustechen, meine Königin.« Montignard atmete schwer. »Er wollte Euch durch diesen Dämon ermorden lassen.«

»Das wollte er natürlich nicht«, sagte Eleanor – und Adelia seufzte vor Erleichterung. »Rowley hat die Wahrheit gesagt. Diese Frau, diese Dakers … Ich hatte Erkundigungen eingezogen, und es ist sattsam bekannt, dass sie verrückt nach ihrer Herrin war, igitt. Selbst jetzt noch würde sie mich am liebsten gleich zehnmal töten.«

»Wirklich?« Montignard war fasziniert. »Sie waren Sapphos?«

Die Königin schritt weiter im Kreis. »Bin ich eine Mörderin von Huren, Monty? Welche Anschuldigungen wird man als Nächstes gegen mich erheben?«

Der Höfling verneigte sich, hob den Saum ihres Umhangs auf und küsste ihn. »Ihr seid der gesegnete Engel des Friedens, der erneut nach Bethlehem gekommen ist.«

Das brachte sie zum Lächeln. »Nun gut, wir können nichts weiter tun, bis der junge König und der Abt eintreffen.« Von unten drang Lärm herauf, als würden krachend Möbel umgestürzt und Fensterläden zugeschlagen. »Was treibt Schwyz denn da unten?«

»Er postiert zur Verteidigung Bogenschützen an jedes Fenster. Er fürchtet, der König könnte herkommen.«

Die Königin schüttelte nachsichtig den Kopf, als hätte sie es mit übereifrigen Kindern zu tun. »Selbst Henry kommt bei diesem Wetter nicht schnell voran. Gott hat dem Schnee für mich Einhalt geboten, und nun schickt er ihn, um den König aufzuhalten. Wohlan, ich werde hier in diesem Zimmer bleiben, bis mein Sohn kommt.« Sie schaute Adelia an. »Und du auch, ja?«

»Madam, mit Eurer Erlaubnis werde ich zu den anderen …«

»Nein, nein. Gott hat dich mir als Glücksbotin geschickt.« Eleanor lächelte sehr schön. »Du wirst hier bei mir bleiben und …« Sie trat zu der Leiche und riss ihr den schützenden Umhang vom Kopf. »… gemeinsam werden wir zusehen, wie die Schöne Rosamund verfault.«

Und das taten sie dann auch.

 

Was Adelia später von dieser Nacht in Erinnerung bleiben sollte, waren die endlosen Stunden tiefen Schweigens, als sie und die Königin – bis auf den schlafenden Montignard – allein waren und Eleanor von Aquitanien scheinbar unermüdlich und kerzengerade dasaß, die Augen auf die Leiche der Frau gerichtet, die ihr Mann geliebt hatte.

Sie erinnerte sich zudem, wenn auch ungläubig, dass irgendwann ein junger Höfling mit einer Laute hereinkam, durch den Raum schlenderte und entzückend auf Okzitanisch sang, dann jedoch, als er kein Lob von der Königin bekam und erst recht nicht von der Leiche, wieder verschwand.

Und die Hitze. Adelia erinnerte sich an die Hitze von Kohlenbecken und einhundert Kerzenflammen. Irgendwann bettelte sie förmlich um Linderung. »Könnten wir nicht einen Moment lang die Fenster öffnen, Madam?« Sie fühlte sich wie in einem Brennofen.

»Nein.«

Und so blieb Adelia, die Glücksbringerin, die durch ihren Status als gottgesandte Retterin das Recht erworben hatte, in der Nähe der Königin zu sein, auf dem Boden hocken, ihren Umhang unter sich, während die Königin, noch immer in Pelze gehüllt, auf einem Stuhl saß und den Leichnam betrachtete.

Eleanor ließ ihn nur einmal aus den Augen, als der Weinbrand gebracht wurde und Adelia ihn nicht trank, sondern ihn über den Schnitt in ihrer Hand goss und dann aus dem Reisetäschchen mit ihren Instrumenten, das sie in ihrem Beutel trug, Nadel und Seidenfaden nahm.

»Wer hat dich gelehrt, Wunden mit Weinbrand zu reinigen«, wollte Eleanor wissen. »Ich selbst nehme dafür doppelt gebrannten Bordeaux … Ach, warte, lass mich das machen.«

Mit einem missbilligenden Zungenschnalzen, als Adelia versuchte, die Wunde mit der linken Hand zu nähen, nahm sie ihr Nadel und Faden aus der Hand und machte sieben Stiche, wo Adelia sich mit fünf begnügt hätte, wodurch die Naht zwar ordentlicher, die ganze Prozedur aber auch schmerzhafter wurde. »Wir, die wir auf dem Kreuzzug waren, mussten lernen, Verwundete zu behandeln. Es waren so viele«, sagte sie resolut.

Und für die meisten war die Unfähigkeit ihres Heerführers, des Königs von Frankreich, verantwortlich, wie Rowley nach seiner eigenen, sehr viel späteren Kreuzfahrt ins Heilige Land gesagt hatte.

Die Kirche hatte Ludwig deswegen keine Vorhaltungen gemacht, sondern sich lieber auf den Skandal konzentriert, den Eleanor als seine damalige Gattin ausgelöst hatte, indem sie darauf bestand, ihren Gemahl zu begleiten und ein ganzes Gefolge ähnlich abenteuerlustiger Frauen mitzunehmen.

»Die Lady lässt sich ebenso wenig zähmen wie Funken, die zum Himmel stieben«, hatte Rowley nicht ohne Bewunderung über sie gesagt. »Sie und ihre Amazonen. Und als sie in Antiochia ankamen, hatte sie eine Affäre mit ihrem Onkel Raymond von Poitiers. Was für eine Frau.«

Ein Rest dieser Verwegenheit war geblieben, das zeigte schon allein ihre Anwesenheit hier, doch die Zeit, so dachte Adelia, hatte diesen Rest in Verzweiflung verwandelt.

»Ist das … aah.« Adelia wollte tapfer bleiben, doch die Königin setzte die Nadel eher geschickt als behutsam ein. »Habt Ihr dort gelernt … wie man durch einen Irrgarten kommt? Im … uuuff … Osten?« Es gab nämlich keine Anzeichen dafür, dass Eleanor ebenso lange zwischen Wormholds Hecken herumgestolpert war wie sie selbst und ihre Gefährten.

»Mylady«, mahnte die Königin.

»Mylady.«

»Ja, in der Tat. Die Sarazenen verstehen sich auf dergleichen, wie auch auf so vieles andere. Ich bin überzeugt, dein Bischof hat das ebenfalls im Osten gelernt. Rowley ist auf meinen Befehl dorthin gereist … vor langer Zeit.« Ihre Stimme war weicher geworden. »Er hat das Schwert meines toten kleinen Sohnes nach Jerusalem getragen und es dort auf den Altar Christi gelegt.«

Adelia war beruhigt. Offenbar hatte diese Stellvertreterkreuzfahrt ein festes Band zwischen Eleanor und Rowley geschmiedet. Es mochte ja unter den gegebenen Umständen bis zum Zerreißen gespannt sein, aber es hielt noch immer. Die Königin hatte ihn gefangen genommen. Sie würde nicht zulassen, dass man ihn tötete.

Sie ist eine Mutter, dachte Adelia, sie wird mich wieder zu meinem Kind lassen. Bestimmt würde sie sie darum bitten können, wenn sie und die Königin sich erst ein wenig besser kennengelernt hatten. Unterdessen musste sie noch möglichst viel über den Mord an Rosamund herausfinden. Eleanor hatte ihn nicht angeordnet. Wer dann?

Das schwächere Licht hatte der Königin stärker geschmeichelt als die strahlende Beleuchtung, die sie jetzt umgab. Sie war anmutig und würde es immer bleiben, sie hatte einen schönen, blassen Teint und kastanienbraunes Haar, das jetzt versteckt war, aber Falten kräuselten ihren Mund, und der enge Gazeschleier konnte nicht ganz den Ansatz eines Doppelkinns kaschieren. Eine schlanke Figur, ja, ein zarter Knochenbau, ja. Und doch schien auch oberhalb der Stelle, wo ein juwelenbesetzter Gürtel ihre Taille umschlang, das Gewebe zu erschlaffen.

Kein Wunder. Sie hatte mit ihrem ersten Mann, Ludwig von Frankreich, zwei Töchter gehabt, und seit ihrer Scheidung waren aus ihrer Ehe mit Henry Plantagenet noch acht weitere Kinder hervorgegangen, fünf davon Söhne.

Zehn Geburten. Adelia dachte daran, was die Schwangerschaft mit ihrer eigenen Taille angestellt hatte. Erstaunlich, dass sie überhaupt noch so aussah.

Weitere Kinder würde es jedoch nicht mehr geben, auch wenn König und Königin sich nicht zerstritten hätten. Eleanor musste jetzt wie alt sein? Fünfzig?

Und Henry wohl noch keine vierzig.

»Fertig«, sagte die Königin und biss das Nadelende des Seidenfadens ab, der Adelias Handfläche nun zusammenhielt. Dann holte sie ein zartes Spitzentuch hervor, das ihr als Taschentuch diente, wickelte es geschickt um die Hand und band es mit einem letzten, schmerzhaften Ruck fest.

»Ich bin Euch dankbar, Mylady«, sagte Adelia aufrichtig.

Doch Eleanor hatte schon wieder ihren Posten bezogen und starrte die Leiche an.

Warum?, fragte sich Adelia. Warum diese obszöne Totenwache? Das ist unter deiner Würde.

Die Frau war aus einer Burg im Tal der Loire geflohen und durch das ihr feindlich gesinnte Territorium Henrys gereist, wo sie Anhänger und Soldaten um sich geschart hatte, ehe sie den Kanal überquerte und Südengland erreichte. All das, um zu einem einsamen Turm in Oxfordshire zu gelangen. Und das im Winter. Zugegeben, den größten Teil der Reise hatte sie bewältigt, als die Straßen noch nicht so unpassierbar waren wie jetzt – sie musste nicht allzu weit vom Turm entfernt ein Lager aufgeschlagen haben –, aber dennoch, es war eine strapaziöse Reise gewesen, die offenbar jeden erschöpft hatte, nur nicht Eleanor. Und wozu? Um hämisch über ihre Rivalin zu triumphieren?

Aber die Feindin ist besiegt, dachte Adelia, sie ist zu einer winterlichen Version der Salzsäule von Sodom und Gomorrha erstarrt. Ein Mordversuch wurde von mir und einem Eleanor behütenden Gott vereitelt. Rosamund hat sich als übergewichtig entpuppt. Das müsste doch genügen, um jeden noch so großen Rachedurst zu stillen. Der Königin genügte es anscheinend nicht. Sie muss hier sitzen und sich am Zerfall der Besiegten ergötzen. Warum?

Jedenfalls nicht, weil sie die jüngere Mätresse um die Möglichkeit beneidet hatte, noch Kinder bekommen zu können, denn Rosamund hatte keine gehabt.

Auch nicht, weil Rosamund die einzige königliche Geliebte gewesen wäre. Henry hatte in seinem Leben mehr Frauen geschwängert, als die meisten Männer warme Mahlzeiten zu sich nahmen. »Im wahrsten Sinne des Wortes der Vater seines Volkes«, hatte Rowley einmal voller Stolz über ihn gesagt.

Von Königen wurde das erwartet, fast wie eine Aufgabe, eine Verpflichtung – in Henrys Fall eine äußerst angenehme – gegenüber der Fruchtbarkeit seines Reiches.

Damit der Samen prächtig gedeiht, dachte Adelia säuerlich.

Doch auch Eleanors herzögliche Ahnen hatten zu ihrer Zeit nicht mit ihrem aquitanischen Samen gegeizt. Sie war dazu erzogen worden, keine eheliche Treue zu erwarten. Ja, als sie einen treuen Gatten hatte, und zwar den betfreudigen, mönchischen König Ludwig, war sie so gelangweilt gewesen, dass sie die Scheidung verlangte.

Und war sie Henry nicht entgegengekommen, indem sie einen seiner Bastarde in ihren Hof aufnahm und ihn aufzog? Der junge Geoffrey, Sohn einer Londoner Prostituierten, war seinem Vater treu ergeben und überaus hilfreich. Rowley schätzte ihn mehr als jeden anderen der vier noch lebenden legitimen Söhne des Königs.

Rosamund, nur Rosamund hatte einen Hass gedeihen lassen, der jetzt die Hitze in diesem schrecklichen Zimmer schürte – es war, als pumpte Eleanors Körper die Hitze quer durch den Raum, damit das Fleisch der Frau auf der anderen Seite noch rascher faulte.

Lag es daran, dass Rosamund länger als die anderen durchgehalten hatte, dass der König ihr eine größere Zuneigung, eine tiefere Liebe gezeigt hatte?

Nein, sagte sich Adelia. Es lag an den Briefen. Eleanor, die in die Wechseljahre gekommen war, hatte ihre Botschaft geglaubt; eine andere Frau wurde dazu aufgebaut, ihren Platz einzunehmen. Nicht nur in der Liebe drohte ihr Entmachtung, sondern auch im Königreich.

Wenn Eleanor Rosamund tatsächlich vergiftet hätte, dann hätte sie es ihr mit gleicher Münze heimgezahlt, denn in gewisser Weise hatte Rosamund auch Eleanor vergiftet.

Und doch hatte Rowley recht gehabt: Diese Königin hatte niemanden ermordet.

Natürlich gab es dafür keinen Beweis, nichts, was sie entlasten würde. Der Mord war aus großer Entfernung geplant worden. Die Leute würden sagen, dass sie ihn angeordnet hatte, als sie noch in Frankreich war. Und außer Eleanors Wort gab es nichts, was das Gerücht aus der Welt geschafft hätte.

Aber ein derartiger Mord war nicht ihr Stil. Das hatte Rowley gesagt, und jetzt pflichtete Adelia ihm bei. Wenn Eleanor das Verbrechen ausgeheckt hätte, dann hätte sie die letzten Todeskrämpfe ihrer Rivalin mit eigenen Augen miterleben wollen. Dass sie sich jetzt auf diese seltsam naive und schreckliche Art an deren Zerfall ergötzte, sollte sie wohl für das entschädigen, was sie verpasst hatte.

Aber, verdammt, ich muss mir das nicht mit dir gemeinsam ansehen. Plötzlich wurde Adelia von der Obszönität der Situation übermannt. Sie war müde, ihre Hand brannte wie Feuer, sie wollte zu ihrem Kind. Allie hatte bestimmt schon Sehnsucht nach ihr.

Sie stand auf. »Lady, es ist nicht gesund für Euch, hier zu sein. Lasst uns nach unten gehen.«

Die Königin blickte an ihr vorbei.

»Dann gehe ich allein«, sagte Adelia.

Sie schritt entschlossen vorbei an Montignard, der auf dem Boden schnarchte, und zur Tür. Zwei Spieße klirrten, als sie gekreuzt wurden und ihr den Durchgang versperrten. Ein zweiter Waffenknecht hatte sich zum ersten gesellt.

»Lasst mich durch«, sagte sie.

»Wenn du pinkeln musst, such dir ’nen Topf«, sagte einer der Männer grinsend.

Adelia wandte sich an Eleanor. »Ich bin nicht Eure Untertanin, Lady, sondern die des Königs von Sizilien.«

Die Augen der Königin ruhten weiterhin auf Rosamund.

Adelia kämpfte zähneknirschend gegen ihre Verzweiflung an. So geht das nicht. Wenn ich Allie wiedersehen will, muss ich Ruhe bewahren und das Vertrauen dieser Frau gewinnen.

Nach einer Weile begann Adelia, gefolgt von ihrem Hund, durchs Zimmer zu schlendern, nicht auf der Suche nach einem Ausweg – es gab keinen –, sondern weil sie die Zeit, die sie hier in der Falle saß, nutzen wollte, um herauszufinden, wo Dakers sich versteckt gehalten hatte.

Unter dem Bett konnte sie nicht gewesen sein, sonst hätte Wächter sie gewittert. Er hatte nicht gerade die feinste Spürnase, da sie durch seinen eigenen Geruch ein wenig beeinträchtigt wurde, aber so etwas wäre ihm bestimmt nicht entgangen.

Außer dem Bett befanden sich in dem Zimmer noch ein Betpult, kleiner als das im bischöflichen Gemach von St. Albans, aber mit ebenso prächtigen Schnitzereien, sowie drei riesige Truhen voller Kleidung.

Auf einem kleinen Tisch stand ein Tablett mit dem Nachtmahl, das man der Königin gebracht hatte: Hühnchen, Kalbfleischpastete, Käse, Brot – leicht angeschimmelt –, getrocknete Feigen, ein Krug Ale und eine verkorkte Flasche Wein. Eleanor hatte nichts davon angerührt. Adelia, die zuletzt im Kloster etwas gegessen hatte, bediente sich kräftig an dem Hühnchen und gab Wächter ein Stück ab. Sie trank Ale, um ihren Durst zu stillen, und goss sich ein Glas Wein ein, an dem sie nippte, während sie das Zimmer erkundete.

Ein Wandschränkchen enthielt hübsche Fläschchen und Phiolen mit Etiketten: Rosenöl, Märzveilchen, Himbeeressig für weiße Zähne. Walnussöl für weiche Hände. Fast alle waren kosmetischer Natur, doch Adelia registrierte, dass Rosamund Atemprobleme gehabt – wundert mich nicht bei deinem Gewicht – und dagegen Alantwurzel genommen hatte.

Das Bett nahm mehr Platz in der Mitte des Raumes ein, als nötig gewesen wäre, weil es gut einen Fuß von der Wand abgerückt stand. Dahinter hing ein Teppich mit Darstellungen des Gartens Eden – offenbar ein Lieblingsmotiv, denn ein weiterer und besserer mit demselben Sujet schmückte zwischen zwei Fenstern die Ostwand.

Als Adelia näher herantrat und schließlich zwischen Bett und Wandbehang stand, spürte sie eine köstliche Kühle.

Der Teppich war alt und so schwer, dass er sich nicht in dem starken Luftzug bewegte, der darunter hervorstrich. Während Adam und Eva auf dem an der anderen Wand fröhlich herumtollten, standen sie hier einander unbeholfen unter unwirklichen Bäumen gegenüber, ebenso erstarrt wie die arme Rosamund. Das Einzige, das wirklich lebendig wirkte, waren die geschmeidigen grünen Windungen der Schlange – und selbst die waren von Motten zerfressen.

Adelia trat noch näher heran, und der kühle Luftzug wurde kräftiger.

Dort, wo das Auge der Schlange hätte sein müssen, befand sich ein kleines Loch im Gewebe – und das war nicht von den Motten hineingefressen worden. Es war absichtlich gemacht, denn ringsum am Rand waren Knopflochstiche.

Ein Guckloch.

Sie musste einige Kraft aufwenden, um den Wandbehang zur Seite zu schieben. Eisige Luft wehte dahinter hervor und ein muffiger Geruch. Sie sah einen kleinen Raum vor sich, der außen an die Turmmauer angesetzt war. Rosamund musste keine Nachttöpfe benutzen, sie hatte den Luxus eines Aborts. In eine halbrunde Bank aus glänzendem Holz war ein gesäßförmiges, mit Samt gerändertes Loch eingelassen, unter dem es rund hundert Fuß senkrecht nach unten ging. In einem Halter lag ein Seifenstück in Form einer Rose neben einem kleinen goldenen Krug. Eine Schale mit Abwischtüchlein aus Lammwolle stand in Reichweite.

Ein Glück für Rosamund. Adelia befürwortete Aborte, solange die Grube darunter regelmäßig ausgehoben wurde. Sie ersparten es den Dienerinnen, widerliche Behältnisse, die oft genug überschwappten, die Treppen hinauf- und hinuntertragen zu müssen.

Von dem Gemälde auf den verputzten Wänden war sie dagegen weniger angetan. Seine Erotik wäre in einem Bordell angebrachter gewesen als auf einem Abtritt, doch vielleicht hatte es Rosamund Spaß gemacht, die Abbildungen zu betrachten, während sie hier saß, und Henry Plantagenet hatte sie ganz sicher goutiert. Obwohl, wenn sie recht drüber nachdachte, fragte sie sich, ob er überhaupt von der Existenz dieses Abortes mit dem Guckloch gewusst hatte.

Adelia trat hinter den Teppich, um von hinten durch das Loch zu spähen, und stellte fest, dass sie genau auf das Bett, den Schreibtisch und das Fenster dahinter blicken konnte.

Hier also hatte Dakers sich versteckt und – ein gruseliger Gedanke – Adelia bei ihren Untersuchungen beobachtet. Was für eine Geduld und was für ein Durchhaltevermögen, dass sie diese Kälte ertragen hatte. Nur die Wut, als sie sah, wie Eleanor ihrer Herrin die Krone vom Kopf riss, hatte sie hinausgetrieben.

Doch der sorgfältig genähte Rand des Gucklochs ließ vermuten, dass heute Nacht nicht zum ersten Mal jemand hindurchgelugt hatte.

Es mussten geladene Gäste gewesen sein, die hier heraufkamen – es war in England Sitte, dass die höheren Stände im Schlafzimmer Besucher empfingen. Falls Dakers sie heimlich belauert hatte, dann musste sie ihren Posten auf dem Abort mit Rosamunds Wissen und Erlaubnis bezogen haben.

Um die Gäste zu beobachten? Den König? Das Bett und das, was sich darin abspielte?

Solche Spekulationen eröffneten Möglichkeiten, die Adelia nicht näher erkunden wollte, und die Beziehung zwischen Herrin und Haushälterin gehörte ganz sicher dazu.

Zum Teufel mit der Erlaubnis der Königin; sie brauchte jetzt frische Luft. Sie schlüpfte unter dem Teppich hervor. Eleanor schien nichts bemerkt zu haben. Adelia ging zum nächstbesten Fenster, öffnete den Riegel und stieß die Fensterläden auf. Mit dem Fuß zog sie einen Hocker heran, stieg darauf und lehnte sich nach draußen.

Der bitterkalte Nachthimmel war mit Sternen übersät. Als sie nach unten blickte, sah sie vereinzelte Wachfeuer, um die sich bewaffnete Männer bewegten.

O Gott, wenn die am Fuß des Turms Reisig gelegt haben … wenn Wind aufkommt und einen Funken von diesen Feuerstellen herüberweht …

Sie und Eleanor saßen am oberen Ende eines Kamins.

Das reichte an frischer Luft. Fröstelnd, und zwar nicht nur durch die Kälte, schloss Adelia die Läden. Dabei belastete sie eine Seite des Hockers zu sehr und landete mit einem lauten Krachen auf dem Boden.

Als sie zur Königin hinüberschaute, weil sie mit einem erbosten Tadel rechnete, fragte sie sich, ob Eleanor vielleicht in Trance gefallen war. Der Blick der Königin ruhte weiter unverwandt auf Rosamund. Auf dem Boden bewegte Montignard kurz die Beine, murmelte etwas und schnarchte dann weiter.

Adelia bückte sich, um den Hocker wieder aufzurichten, und sah, dass die mit Intarsien verzierte Sitzfläche verrutscht war und es sich dabei in Wahrheit um den Deckel einer Kiste auf Beinen handelte. Darin befanden sich Schriftstücke. Sie holte sie heraus und kehrte zu ihrem alten Platz auf der anderen Seite des Bettes zurück, um sie zu lesen.

Schon wieder Briefe, bestimmt ein halbes Dutzend, alle an Eleanor gerichtet, alle angeblich von Rosamund geschrieben, aber in derselben Handschrift verfasst wie der, den Adelia in ihren Stiefel geschoben hatte.

Jeder hatte dieselbe höhnische Anrede, und in dem hellen Licht konnte sie auch lesen, was danach kam. Es war nicht immer derselbe Wortlaut, doch die eigentliche Botschaft wurde ständig wiederholt.

»Heute hat mein königlicher Herr bei mir gelegen und seine Liebe beteuert …« »Gerade eben verließ mein königlicher Herr unser Bett …« »Er spricht voller Sehnsucht über die Scheidung von Euch …« »… der Papst wird die Scheidung gnädig gewähren, weil Ihr meinen königlichen Herrn verraten und seine Söhne gegen ihn aufgebracht habt.« »… die Vorkehrungen für meine Krönung in Winchester und Rouen.« »… mein königlicher Herr wird den Engländern verkünden, wer ihre wahre Königin ist.«

Giftige Tinte, Tropfen für Tropfen.

Und der Verfasser hatte sie niedergeschrieben, damit Rosamund sie in ihrer eigenen Schrift kopierte. Er oder sie – wahrscheinlich er – hatte sogar Anweisungen mitgeliefert.

»Bemüht Euch um Leserlichkeit, denn die Königin hat Eure Rechtschreibung verhöhnt und Euch als Dummkopf bezeichnet.«

»Schreibt rasch, damit dieses Schreiben die Königin an ihrem Jahrestag erreicht, da sie diesem Datum großen Wert beimisst und dadurch verwundbarer ist.«

»Eilt Euch, denn mein Bote muss Chinon erreichen, wo die Königin in Gewahrsam ist, bis der König sie an einen anderen Ort bringen lässt.«

Und, besonders verräterisch: »Wir obsiegen, Lady. Ihr werdet Königin sein, ehe der nächste Sommer kommt.«

An keiner Stelle nannte der Instrukteur seinen Namen. Aber, so dachte Adelia, er war jemand, der Eleanor nahestand, sonst hätte er nicht wissen können, dass sie sich über Rosamunds Schreibkünste lustig gemacht hatte.

Und er war ein Narr. Wenn er hoffte, eine Scheidung zwischen Henry und Eleanor herbeiführen zu können und Rosamund zur Königin zu machen, dann mangelte es ihm an grundlegendem Verständnis für Politik.

Henry würde sich nie von Eleanor scheiden lassen. Denn selbst wenn der Verrat der Ehefrau Grund für eine Scheidung war – und das glaubte Adelia nicht –, hatte Henry sich durch den Tod Beckets schon zu sehr mit der Kirche angelegt und dafür bezahlt; er würde es nicht wagen, sie ein weiteres Mal zu brüskieren. Außerdem achtete er die Ordnung der Dinge. Noch entscheidender für ihn war, dass er das große Herzogtum Aquitanien verlieren würde, wenn er Eleanor verlor, und Henry mochte ja ein Scheusal sein, aber er würde niemals Land aufgeben.

Hinzu kam, dass die leichtlebigen Engländer bei einer Mätresse des Königs ein Auge zudrückten, aber nicht bei einer Mätresse, die ihnen als Königin aufgezwungen wurde. Das wäre eine Beleidigung.

Ich weiß das, und ich bin Ausländerin.

Dennoch hatten diese Briefe eine törichte, ehrgeizige Frau dazu verführt, sie zu kopieren und abzuschicken, und eine Königin dermaßen erzürnt, dass sie geflohen war und ihre Söhne zum Krieg gegen den eigenen Vater drängte.

Rowley könnte recht haben; der Mensch, der diese Dinge geschrieben hatte, wollte damit einen Krieg heraufbeschwören.

Am anderen Ende des Raumes sog jemand laut die Luft durch die Nase. Eleanor verkündete triumphierend: »Sie verrottet. Sie fängt an zu stinken.«

Das war schneller als erwartet. Erstaunt blickte Adelia zu Rosamund hinüber, die noch immer steif über ihre Arbeit geneigt dasaß.

Sie ließ den Blick weiterwandern und bemerkte, dass Wächter sich ein behagliches Plätzchen gesucht hatte und nun auf der Schleppe des königlichen Hermelinmantels lag. »Das ist leider nur mein Hund«, sagte Adelia.

»Nur? Schafft ihn raus. Was hat der hier zu suchen?«

Einer der Waffenknechte, die vor der Tür eingenickt waren, rappelte sich auf und zog Wächter nach draußen auf den Treppenabsatz, dann kehrte er auf ein Nicken seiner Königin hin auf seinen Posten zurück.

Eleanor veränderte ihre Haltung; sie wurde unruhig. »Die heilige Eulalie schenke mir Geduld, wie lang dauert das denn?« Die Totenwache begann, sie zu ermüden.

Adelia hätte beinahe gesagt: »Noch eine Weile«, tat es dann aber nicht. Bis sie die Situation besser durchschaute, wollte sie lieber weiterhin die Rolle einer Frau spielen, die für die Königin zwar nur ein leicht angeschmuddelter Bestandteil von Rowleys Tross war, aber dennoch von Gott dazu ausersehen wurde, das königliche Leben zu retten, und deshalb zur Belohnung in der Nähe der Königin verweilen durfte.

Aber du solltest mehr über mich wissen, dachte Adelia verärgert. Ich sterbe vor Neugier, und das sollte dir auch so gehen. Du solltest über alles mehr wissen: wie Rosamund starb, warum sie die Briefe schrieb, wer sie diktierte … du hättest das Zimmer durchsuchen lassen und diese Briefe vor mir finden sollen. Es genügt nicht, Königin zu sein. Du solltest Fragen stellen. Wie dein Mann.

Henry Plantagenet war der reinste Spürhund, und er ließ Spürhunde für sich arbeiten. Er hatte Adelias Beruf im Handumdrehen gewittert und sie wie ein besonders seltenes Tier seiner Menagerie in England festgehalten, für den Fall, dass er erneut Verwendung für sie hätte. Er wusste haargenau, wie die Dinge zwischen ihr und seinem Bischof standen. Er hatte von der Geburt des Kindes gewusst – und auch dessen Geschlecht gekannt, was man von Allies Vater nicht behaupten konnte. Wenige Tage danach hatte zum Beweis, dass der König Bescheid wusste, einer seiner Boten in schlichter Kleidung ein Taufkleidchen aus herrlicher Spitze an Adelias Tür im Sumpfland abgegeben. Und dazu eine kurze Nachricht: »Nennt sie, wie Ihr wollt, für mich wird sie stets Rowleys Kleine sein.«

Im Vergleich zum König bewegte sich Eleanor in einem Gesichtskreis, der nur ihr persönliches Wohlergehen erfasste sowie die Gewissheit, dass Gott ganz besonders darum bemüht war. Die Fragen, die sie in diesem Raum gestellt hatte, bezogen sich ausschließlich auf sie selbst.

Adelia überlegte, ob sie sie aufklären sollte. Rowley und die Königin hatten gewiss in der Vergangenheit korrespondiert. Sie würde seine Schrift kennen. Wenn sie ihr diese Briefe zeigte, wäre das zumindest der Beweis dafür, dass er sie nicht geschrieben hatte, damit Rosamund sie kopierte. Vielleicht kannte sie die Handschrift sogar und wusste, wer der Verfasser war.

Warte lieber. Hier ging es um zwei Verbrechen.

Wenn Mansur und ihr Ziehvater Adelia in diesem Moment beobachtet hätten, dann hätten sie gesehen, dass sie ihre, wie sie es nannten, »Seziermiene« aufsetzte: die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, die Augen glühend vor Konzentration, wie immer, wenn ihr Messer einer Muskelbahn bis zur Sehne folgte, eine Vene freilegte, schabte und schnitt, um Ursachen auf den Grund zu gehen.

Was sie zu einer hervorragenden Anatomin machte, war ihr Instinkt, wie Dr. Gerschom einmal gesagt hatte. Sie war gekränkt gewesen. »Logik und Ausbildung, Vater.« Er hatte gelächelt. »Mag sein, dass die Menschen für Logik und Ausbildung gesorgt haben, aber der Herr gab dir deinen Instinkt, und dafür solltest du ihm danken.«

Zwei Verbrechen.

Erstens: Rosamund hatte aufrührerische Briefe kopiert. Zweitens: Rosamund war ermordet worden.

Herauszufinden, wer Rosamund dazu angestachelt hatte, diese Briefe zu schreiben, war eine Sache. Ihren Mörder zu entlarven, eine andere. Und beide Lösungen widersprachen einander, zumindest was Eleanor von Aquitanien und den Bischof von St. Albans betraf.

Für die Königin war der Briefeschreiber der Schurke, den es zu vernichten galt. Eleanor war es völlig gleichgültig, wer Rosamund getötet hatte. Wahrscheinlich würde sie den Täter sogar belohnen, falls sie erfuhr, wer er war.

Doch für Rowley war der Mörder eine Gefahr für den Frieden im Königreich und musste vernichtet werden. Und seine Sichtweise hatte Vorrang, weil Mord das schrecklichere Verbrechen war.

In dieser Phase war es besser, Rowley mehr Spielraum für seine Ermittlung zu lassen, als die Dinge zu verkomplizieren, indem sie der Königin ermöglichte, ihrer eigenen nachzugehen.

Hmm.

Adelia raffte die Briefe in ihrem Schoß zusammen, verstaute sie wieder in der Hockerkiste und legte den Deckel darauf. Sie würde nichts unternehmen, ehe sie sich nicht mit Rowley beratschlagt hatte.

Eleanor rutschte unruhig hin und her. »Hat dieser vermaledeite Turm keinen Ort, wo man sich erleichtern kann?«

Adelia brachte sie zu dem Abort.

»Licht.« Die Königin streckte die Hand nach einer Kerze aus, und Adelia schob eine hinein – widerstrebend. Jetzt würde sie die unanständigen Gemälde sehen.

Wenn Adelia noch mehr Mitleid mit der Frau hätte haben können, dann in diesem Augenblick. Im Grunde genommen wurde Eleanor von einer rasenden Eifersucht verzehrt, die der eines gemeinen Fischweibes, das seinen Mann in flagranti erwischt hatte, in nichts nachstand, und hier wurde sie schonungslos daran erinnert.

Adelia wappnete sich innerlich für einen Sturm, doch als die Königin hinter dem Wandteppich hervortrat, sah sie müde und alt aus, und war still.

»Ihr solltet Euch ausruhen, Madam«, sagte Adelia besorgt. »Wir könnten nach unten gehen und …«

Ein Geräusch drang von der Treppe herauf, die beiden Wachen an der Tür entkreuzten ihre Spieße und nahmen Haltung an.

Ein mächtiger Berg von einem Mann kam herein. Er verströmte Energie und frostige Kälte und ließ Schwyz, der ihm folgte, zwergenhaft wirken. Er war riesig. Als er sich niederkniete, um die Hand der Königin zu küssen, war sein Kopf noch immer auf gleicher Höhe mit ihrem.

»Wäre ich hier gewesen, meine Liebe, wäre das nicht passiert«, sagte er, noch immer kniend.

Er ergriff mit beiden Händen Eleanors Hand, drückte sie an seinen Hals, schloss die Augen und wiegte sich wohlig hin und her.

»Ich weiß.« Sie lächelte ihn warmherzig an. »Mein lieber, lieber Abt. Ihr hättet Euren gewaltigen Körper vor das Messer geworfen, nicht wahr?«

»Um jubelnd ins Paradies einzukehren.« Er seufzte und stand auf, blickte zu ihr hinab. »Ihr werdet sie beide verbrennen?«

Die Königin schüttelte den Kopf. »Man hat mich überzeugt, dass Dakers verrückt ist. Wir werden keine Wahnsinnigen hinrichten.«

»Wer? Ach so, Dakers. Natürlich ist sie verrückt, keine Frage. Übergebt sie den Flammen, sage ich. Und ihre verdammte Mistress mit dazu. Wo ist die Hure?«

Er marschierte zu dem Tisch und stieß die Schulter der Toten an. »Wie sagt man, kalt wie eine Hundeschnauze. Das Feuer kann beide aufwärmen und sie auf die Hölle vorbereiten.« Er wandte sich um und drohte Eleanor mit dem Finger. »Ich bin ein einfacher Mann aus Gloucestershire, wie Ihr wisst, und auch ein Sünder, die heilige Muttergottes steh mir bei, aber ich liebe meinen Gott, und ich liebe meine Königin mit ganzem Herzen, und ich bin dafür, ihre Feinde den Flammen zu übergeben.« Er spuckte auf Rosamunds Haar. »Das denkt der Abt von Eynsham über Euch, Madam.«

Der Besucher hatte Montignard veranlasst aufzustehen. Jetzt versuchte er emsig und eifersüchtig – und vergeblich – die Königin zu bewegen, etwas zu essen. Eynsham, ein Mann, der von der Statur her eher geeignet war, Heuballen zu stemmen, als mönchische Schafe zu hüten, beherrschte den Raum, verdrängte die Luft darin mit der Wucht seines Körpers und seiner Stimme, erfüllte ihn mit polternder Bodenständigkeit.

Er mochte ja wie ein Bauer auftreten, doch seine gesamte Kleidung zeugte von teurem und erlesenem klerikalen Geschmack, wenngleich das Brustkreuz, das ihm um den Hals baumelte, als er sich vor der Königin verneigte, übertrieben war – klobig und aus mattem Gold, so schwer, dass man damit eine Tür hätte einschlagen können.

Er hatte Eleanor um Jahre verjüngt, sie genoss seinen Auftritt. Mit Ausnahme des übereifrigen Montignard waren ihre Höflinge durch die Reise zu erschöpft gewesen, um ein großes Gewese um ihre Errettung aus tödlicher Gefahr zu machen.

Oder um meinen Anteil daran, dachte Adelia plötzlich griesgrämig. Ihre Hand schmerzte.

»Aber ich bringe schlechte Nachrichten, meine Teure«, sagte der Abt.

Eleanors Gesichtsausdruck veränderte sich. »Der junge Henry. Wo ist er?«

»Oh, er ist wohlauf. Aber den ganzen Weg seit Chinon waren uns die Jäger dicht auf den Fersen, also hat der junge König beschlossen, sich nach, äh, Paris zu begeben statt hierher.«

Mit erloschenem Blick tastete die Königin nach der Lehne ihres Stuhls und sank hinein.

»Na, na, so schlimm ist es nun auch wieder nicht«, sagte der Abt mit tief dröhnender Stimme, »aber Ihr kennt ja Euren Jungen, er hat England noch nie gemocht, meint, der Wein schmeckt wie Pisse.«

»Was sollen wir tun? Was sollen wir tun?« Eleanors Augen waren groß und flehend. »Alles ist verloren. Allmächtiger, was sollen wir jetzt tun?«

»Ist ja gut.« Der Abt kniete sich neben sie und ergriff die Hände der Königin. »Nichts ist verloren. Ich hab mit unserem Schwyz hier geredet, und der meint, es ist alles nicht so schlimm. Hab ich recht, Schwyz?«

Auf sein Drängen hin nickte Schwyz.

»Seht Ihr? Und Schwyz versteht was davon. Sieht man ihm nicht an, zugegeben, aber er ist ein guter Taktiker. Denn jetzt kommt die gute Nachricht …« Eleanors Hände wurden hochgehoben und auf ihre Knie geschlagen. »Hört Ihr zu, meine Teure? Passt gut auf. Hört, was unser Streiter Jesus Christus für uns getan hat – er hat den König von Frankreich auf unsere Seite geholt. Er hat sich mit dem jungen Henry verbündet, jawohl, das hat er.«

Eleanors Kopf fuhr hoch. »Im Ernst? O endlich. Gott sei gepriesen.«

»König Ludwig, wie er leibt und lebt. Er wird sein Heer ins Feld führen, um an der Seite des Sohnes gegen den Vater zu kämpfen.«

»Gott sei gepriesen«, sagte Eleanor erneut. »Jetzt haben wir eine Streitmacht.«

Der Abt nickte mit seinem großen Kopf, als sähe er einem Kind dabei zu, wie es ein Geschenk öffnet. »Ein frommer König. Euch war er ein lahmer Gatte, zugegeben, aber wir heiraten ihn ja nicht, und Gott wird seine Tapferkeit jetzt mit Gnade betrachten.« Wieder hämmerte er auf Eleanors Knie. »Versteht Ihr, Lady? Der junge Henry und Ludwig werden das französische Banner erheben, wir werden das unsere hier in England erheben, und gemeinsam werden wir den alten Henry niederringen. Das Licht wird über die Finsternis siegen. Gemeinsam fangen wir den alten Adler und bringen ihn zu Fall.«

Er entfachte neues Leben in Eleanor; ihr Gesicht hatte wieder Farbe. »Ja«, sagte sie, »ja. Ein Angriff von zwei Seiten. Aber haben wir genug Männer? Hier in England, meine ich? Schwyz hat nur wenige dabei.«

»Wolvercote, meine Schöne. Lord Wolvercote lagert mit einem tausend Mann starken Heer in Oxford.«

»Wolvercote«, wiederholte Eleanor, »ja, natürlich.« Ihre Niedergeschlagenheit schwand, als sie die Leiter der Hoffnung hochstieg, die der Abt für sie hielt.

»Natürlich, natürlich. Tausend Mann. Und mit Euch an ihrer Spitze werden uns noch weitere zehntausend zuströmen. All diejenigen, die der Plantagenet in den Staub getreten und zu Bettlern gemacht hat, sie werden aus den Midlands herbeieilen. Dann marschieren wir, und welche Freude wird im Himmel herrschen.«

»Zuerst müssen wir in dieses Scheiß-Oxford«, sagte Schwyz. »Und zwar schnell, verflucht noch mal. Es wird Schnee geben, und dann stecken wir in diesem Scheißturm fest wie beschissene Zielscheiben. In Woodstock hab ich der blöden Kuh erklärt, dass er nicht verteidigt werden kann. Wir müssen direkt nach Oxford, hab ich gesagt. Da kann ich Euch verteidigen. Aber sie wusste es ja besser.« Seine Stimme kippte vom Bass ins Falsett. »O nein, Schwyz, die Straßen sind zu schlecht, um uns zu verfolgen, Henry kann uns nicht hierher folgen.« Der Tonfall schlug um. »Und ob Henry das kann, ich kenn den Schweinehund.«

In gewisser Weise war das der seltsamste Moment der Nacht. Eleanors Gesichtsausdruck schwebte unverändert zwischen Skepsis und Begeisterung. Der Abt kniete noch immer neben ihr und wandte sich nicht um.

Haben die ihn nicht verstanden? Hab ich ihn verstanden?

Denn Adelia war in Gedanken zurück in die Berglandschaft Graubündens versetzt worden, wohin sie und ihre Zieheltern jedes Jahr eine lange, aber schöne Reise unternommen hatten, um der Sommerhitze Salernos zu entkommen. Dort wohnten sie in einer Villa, die ihnen der Bischof von Chur, einer von Dr. Gerschoms dankbaren Patienten, zur Verfügung gestellt hatte, und die kleine Adelia war mit den flachsblonden Kindern des Ziegenhirten losgezogen, um Kräuter und Wildblumen zu sammeln. Sie hatte den Gesprächen von Kindern und Erwachsenen gelauscht, die nicht ahnen konnten, dass die kleine Adelia fremde Sprachen aufsaugte wie Löschpapier.

Eine seltsame Sprache war das gewesen, eine kehlige Mischung aus Latein und dem Dialekt der germanischen Stämme, von denen diese alpinen Menschen abstammten.

Soeben hatte sie die Sprache wieder vernommen.

Schwyz hatte Romantsch gesprochen.

Ohne sich umzublicken, lieferte der Abt der Königin eine äußerst freie Übersetzung. »Schwyz sagt, wir werden diesen Krieg gewinnen, weil Ihr auf unserer Seite seid. Wenn er mit Inbrunst spricht, fällt er in sein altes Kauderwelsch zurück, aber der alte Schwyz ist mit ganzer Seele Euer Mann.«

»Das weiß ich.« Eleanor lächelte Schwyz an. Schwyz nickte zurück.

»Bloß, er sagt, er kann Schnee riechen, und er will so schnell wie möglich nach Oxford. Und mir wird auch wohler zumute sein, wenn wir Wolvercotes Männer um uns haben. Könnt Ihr die Reise verkraften, Teuerste? Nicht zu müde? Dann lasst uns mit Monty runter in die Küche gehen, damit ihr was Warmes in den Bauch bekommt. Es wird eine kalte Fahrt.«

»Mein lieber, lieber Abt«, sagte Eleanor herzlich und erhob sich. »Wie sehr wir Eure Anwesenheit doch vermisst haben. Ihr ruft uns Gottes schlichte Güte in Erinnerung. Ihr bringt den Geruch der Felder und aller natürlichen Dinge mit. Ihr bringt uns Mut.«

»Das hoffe ich, meine Liebe. Das hoffe ich.« Als die Königin und Montignard die Treppe hinunter verschwanden, wandte er sich um und sah Adelia an, die wusste, ohne zu wissen, wieso, dass er sie die ganze Zeit über wahrgenommen hatte. »Wer ist das?«

Schwyz sagte: »Eine von St. Albans’ Huren. Er hat sie mit hergebracht. Sie war im Zimmer, als die Verrückte auf Nelly losgegangen ist, und hat sie zu Fall gebracht. Nelly denkt, sie hat ihr das Leben gerettet.« Er zuckte die Achseln. »Stimmt vielleicht.«

»Ach ja?« Mit zwei Schritten war der Abt bei Adelia. Eine verblüffend gut manikürte Hand griff ihr unters Kinn und bog ihr den Kopf nach hinten. »Eine Königin verdankt dir ihr Leben, ja, mein Kind?«

Adelia blickte ausdruckslos, ebenso ausdruckslos, wie er sie anstarrte.

»Da hast du aber Glück gehabt, was?«, sagte er.

Er nahm die Hand weg und wandte sich zum Gehen. »Komm, mein Freund, möge das Narrenspiel beginnen.«

»Was ist mit ihr?« Schwyz deutete mit dem Daumen zum Schreibtisch.

»Lass sie verbrennen.«

»Und mit der da?« Der Daumen zeigte auf Adelia.

Das Achselzucken des Abtes ließ erkennen, dass Adelia gehen konnte oder mit verbrennen, ganz nach Belieben.

Sie blieb allein im Zimmer zurück. Wächter erkannte seine Chance, kam wieder herein und richtete seine Nase auf das Tablett mit der restlichen Kalbfleischpastete.

Adelia lauschte im Geist Rowleys Stimme. »Bürgerkrieg … Im Vergleich dazu wäre der Krieg zwischen Stephen und Matilda gar nichts … die Vier Apokalyptischen Reiter … ich höre schon das Donnern ihrer Hufe.«

Sie sind gekommen, Rowley. Sie sind hier. Gerade hab ich drei von ihnen gesehen.

Vom Schreibtisch kam ein leises Geräusch, als Rosamunds auftauender Körper nach vorn kippte.