Prolog

Das Echo der beiden Männerstimmen, das durch die unterirdischen Gänge hallte, klang einerseits verzerrt, erweckte aber andererseits den Eindruck einer geschäftlichen Besprechung. Was auch zutraf. In gewisser Weise.

Ein Mörder erhielt Anweisungen von seinem Auftraggeber. Der, so fand der Mörder, die Dinge unnötig verkomplizierte, wie das bei seinen Auftraggebern öfter der Fall war.

Es war immer dasselbe. Da sie sich nicht zu erkennen geben wollten, tauchten sie derart maskiert oder verhüllt auf, dass ihre Anweisungen kaum zu verstehen waren. Da sie nicht mit dir gesehen werden wollten, fand das Treffen irgendwo draußen in einer gottverlassenen Gegend oder in einem stinkenden Keller wie diesem statt. Und sie waren nervös, weil sie Angst hatten, du würdest sie nach der Übergabe der Anzahlung niederstechen und das Weite suchen.

Wenn sie doch nur begreifen würden, dass ehrenwerte Mörder, wie er einer war, zuverlässig sein mussten. Seine berufliche Reputation hing davon ab. Es hatte seine Zeit gedauert, aber nun sprach es sich mehr und mehr herum, dass »Sicarius« – ein lateinisches Pseudonym, das er sich selbst gegeben hatte – ausgezeichnete Dienste leistete. Ob man es nun mit »Mörder« oder mit »Dolch« übersetzte, der Name war gleichbedeutend mit der sauberen Beseitigung von politischen Gegnern, Ehefrauen, Gläubigern et cetera, wobei seine Auftraggeber stets über jeden Verdacht erhaben blieben.

Zufriedene Kunden empfahlen ihn an andere in ähnlich prekärer Lage weiter, wenngleich meist in vermeintlich scherzhafter Form: »Du könntest diesen Burschen gebrauchen, den man Sicarius nennt«, sagten sie beispielsweise. »Er soll für Schwierigkeiten, wie du sie im Moment hast, genau der Richtige sein.«

Und falls ihr Gegenüber dann nachfragte: »Ich weiß es natürlich nicht mit Sicherheit, aber ich habe gehört, er soll in einem Wirtshaus in Southwark zu finden sein, The Bear, glaube ich.« Oder im Fillola’s in Rom. Oder im La Boule in Paris. Oder wo auch immer er gerade seine Dienste anbot.

Diesen Monat war es Oxford. In einem Keller, der durch einen langen Tunnel mit dem Gewölbe eines Gasthofs verbunden war. Ein Diener mit Maske und Kapuze – so was von unnötig – hatte ihn hergeführt und dann auf einen roten Samtvorhang gedeutet, der vor einer Ecke gespannt worden war, damit der Kunde sich dahinter verbergen konnte. Der Vorhang hob sich auffällig von den schimmeligen Wänden und dem feuchten Dreck auf dem Boden ab. Verdammt, die Stiefel waren bestimmt hin.

»Und der … Auftrag wird Euch keine Schwierigkeiten bereiten?«, fragte der Vorhang. Die Stimme dahinter hatte äußerst präzise Anweisungen gegeben.

»Die Begleitumstände sind ungewöhnlich, Mylord«, sagte der Mörder. Er sprach sie immer mit »Mylord« an. »Normalerweise hinterlasse ich ungern Beweise, aber wenn das Euer Wunsch ist …«

»Allerdings, aber ich meinte Euer Gewissen«, sagte der Vorhang. »Fürchtet Ihr nicht die Verdammnis Eurer Seele?«

Aha, jetzt waren sie also wieder an dem Punkt angekommen, wo die Kunden sich moralisch über ihn stellten. Er war der gemeine Verbrecher von niedriger Geburt, der das Messer schwang, sie dagegen die reichen Verbrecher, die nur den Auftrag erteilten.

Er hätte antworten können: »Es ist ein Broterwerb, und noch dazu ein guter, Verdammnis hin oder her, jedenfalls besser, als zu verhungern.« Er hätte antworten können: »Ich habe kein Gewissen, ich setze Maßstäbe, denen ich gerecht werde.« Er hätte sogar antworten können: »Und was ist mit der Verdammnis Eurer Seele?«

Aber sie bezahlten für ihren Überlegenheitswahn, also hielt er sich zurück. Stattdessen sagte er heiter: »Von hoher oder niedriger Geburt, Mylord. Päpste, Bauern, Könige, Knappen, Ladys, Kinder, ich beseitige sie alle – und stets zum selben Preis: fünfundsiebzig Mark in Gold als Anzahlung und hundert nach getaner Arbeit.« Der immer gleiche Tarif war Teil seines Erfolgs.

»Kinder?« Der Vorhang war schockiert.

Oje. Selbstverständlich Kinder. Kinder erbten. Kinder standen dem Stiefvater im Weg, der Tante, dem Bruder, dem Cousin, jedem, dem das Vermögen zufallen würde, sobald der kleine Fratz aus dem Weg geräumt war. Kinder waren seine beständigste Einkommensquelle. Und schwieriger zu beseitigen, als man glauben mochte …

Er sagte lediglich: »Vielleicht könntet Ihr noch einmal die Anweisungen wiederholen, Mylord.«

Den Kunden zum Reden bringen. Herausfinden, wer er ist, um ihn aufspüren zu können, falls er versuchen sollte, sich vor der Abschlusszahlung zu drücken. Denn wer sich nicht an die Vereinbarung hielt, starb einen Tod, der nicht nur quälend einfallsreich war, sondern hoffentlich auch eine Warnung für zukünftige Kunden.

Die Stimme hinter dem Vorhang erläuterte erneut, was sie bereits gesagt hatte. Der Tod sollte an dem und dem Tag, an dem und dem Ort, auf die und die Weise herbeigeführt werden, dieses sollte zurückgelassen, jenes mitgenommen werden.

Es geht ihnen immer um Genauigkeit, dachte der Mörder müde. Mach es auf diese Weise, mach es auf jene. Als wäre das Töten eine Wissenschaft und nicht etwa eine Kunst.

Dennoch, in diesem Fall hatte der Kunde den Mord bis ins Detail geplant, und er verfügte über intime Kenntnisse der Lebensumstände des Opfers. Da hielt man sich am besten an die Vorgaben …

Also lauschte Sicarius dem Kunden aufmerksam, nicht den Anweisungen, die hatte er sich schon beim ersten Hören eingeprägt, sondern auf das Timbre der Stimme, achtete auf Formulierungen, die er wiedererkennen würde, wartete auf ein Husten, ein Stottern, das den Sprecher später in einer Menschenmenge verraten konnte.

Während er zuhörte, schaute er sich um. Der Diener, der im Schatten wartete, lieferte keine Anhaltspunkte. Er hatte sich vorsichtshalber in einen Allerweltsumhang gehüllt, und seine bebende Hand ruhte – wie niedlich – auf dem Heft eines Schwertes, das in seinem Gürtel steckte, als wäre er nicht schon zwanzigmal tot, ehe er es ziehen könnte. Ein jämmerlicher Aufpasser, aber wahrscheinlich das einzige Geschöpf, dem sein Kunde traute.

Der Keller als Treffpunkt hingegen … war zumindest klug gewählt, das musste der Mörder dem Kunden lassen. Es gab drei Ausgänge, und einer davon war der lange, unterirdische Gang, durch den er vom Gasthof aus hergeführt worden war. Die anderen beiden mochten überallhin führen. Zur Burg vielleicht oder – er schnupperte – zum Fluss. Fest stand lediglich, dass er sich irgendwo in den tiefsten Gedärmen Oxfords befand. Und Gedärme waren lang und gewunden, wie der Mörder sehr wohl wusste, da er schön öfter welche freigelegt hatte.

Natürlich war der Keller während des Stephen-gegen-Matilda-Krieges gebaut worden. Der Mörder dachte beklommen an die zahllosen Tunnel, mit denen England während des dreizehn Jahre währenden, unglückseligen und blutigen Bürgerkriegs im wahrsten Sinne des Wortes unterminiert worden war. Oxford, diese strategische Kostbarkeit an der Stelle, wo die wichtigsten Nord-Süd- und Ost-West-Routen des Landes die Themse überquerten, hatte schrecklich gelitten. Bei Belagerung und Gegenbelagerung hatten die Menschen wie Maulwürfe Gänge gegraben, um hinein- und hinauszugelangen. Eines schönen Tages, dachte er – und gebe Gott, dass es nicht heute war –, würde die ganze Stadt in den Wurmlöchern versinken, die man in ihre Grundfesten gebohrt hatte.

Oxford, dachte er. Eine Stadt, die überwiegend auf König Stephens Seite gestanden hatte, und somit auf der falschen. Zwanzig Jahre später hegten die Verlierer noch immer einen tiefen Groll gegen Matildas Sohn Henry Plantagenet, den endgültigen Sieger und König.

Der Mörder hatte während seines Aufenthaltes hier reichlich Informationen gesammelt – es zahlte sich stets aus, zu wissen, wer mit wem ein Hühnchen zu rupfen hatte und warum –, und er hielt es durchaus für möglich, dass sein Kunde zu denjenigen zählte, die noch immer wegen des Krieges verbittert waren, und der Auftrag daher ein politischer war.

Wenn ja, konnte es gefährlich werden. Gier, Lust, Rache; die Motive waren ihm einerlei, aber politische Kunden waren meist von hohem Stand und neigten dazu, ihre Beteiligung an der Tat zu verschleiern, indem sie einen weiteren Mörder dungen, um den ersten, also ihn selbst, zu töten. Das war stets lästig und hatte lediglich zur Folge, dass noch mehr Blut floss, allerdings nie seines.

Ah-ha. Der unsichtbare Kunde hatte sich bewegt, und einen winzig kleinen Moment lang hatte seine Stiefelspitze unter dem Vorhang hervorgelugt. Ein Stiefel aus feinstem Hirschleder, wie seine eigenen, und neu, vielleicht erst kürzlich in Oxford gefertigt – ebenfalls wie seine eigenen.

Es wäre also angebracht, einmal bei den hiesigen Stiefelmachern vorbeizuschauen.

»Dann sind wir uns einig?«, fragte der Vorhang.

»Wir sind uns einig, Mylord.«

»Fünfundsiebzig Mark, sagtet Ihr?«

»In Gold, wenn Ihr die Güte hättet, Mylord«, sagte der Mörder noch immer heiter. »Das Gleiche gilt für die hundert, nach getaner Arbeit.«

»Also gut«, sagte der Kunde und wies seinen Diener an, den Beutel mit dem Honorar zu überreichen.

Und dabei unterlief ihm ein Fehler, den weder er noch sein Diener bemerkte, den der Mörder indes höchst interessant fand. »Gib Master Sicarius den Beutel, mein Sohn«, sagte der Kunde.

Ja, das Klimpern von Goldmünzen, als der Beutel überreicht wurde, war kaum weniger befriedigend als die Tatsache, dass der Mörder jetzt den Berufsstand seines Kunden kannte.

Und er war verblüfft.