XXI.
Gegenwart
Emily war nervös. Der Kriminalkommissar Oliver Bergmann hatte sich mit ihr im Schloss-Café verabredet. Er wollte mehr zu ihren Recherchen über den Zonser Puzzlemörder erfahren. Eigentlich hatte sie ihm längst alle ihre Unterlagen zur Verfügung gestellt. Auf die Vergrößerungen der letzten Aufzeichnungen aus dem Notizbuch von Bastian Mühlenberg wartete sie selbst noch. Es gab eigentlich keine neuen Erkenntnisse. Um das Rätsel des damaligen Puzzlemörders lösen zu können, brauchte sie die Vergrößerungen. Oliver Bergmann hatte trotzdem auf diesem Treffen bestanden und Emily war etwas verwundert, aber auch angenehm überrascht. Als sie die Tür des kleinen Cafés öffnete, konnte sie ihn direkt erkennen. Er saß über einen Tisch gebeugt da und lass angestrengt in einer Zeitung. Emily gefielen die leichten Stirnfalten, die sich dabei auf Olivers Gesicht bildeten. Sie gaben seinem sonst so jugendlich wirkendem Gesicht eine männliche Härte, die ihm gut stand. Emily näherte sich langsam seinem Tisch. Er blickte auf und ein strahlendes Lächeln überzog sein Gesicht, als er sie sah. Emily fühlte sich von diesem Lächeln magisch angezogen und grinste schüchtern zurück.
»Ich lese gerade Ihren neuen Artikel in der Rheinischen Post. Der ist wirklich sehr gut gelungen!«, sagte Oliver, während er Emily einen Stuhl zurechtrückte und sie mit einer Handgeste aufforderte, sich zu ihm zu setzen.
»Danke, aber im Wesentlichen ist es der Artikel, den ich Ihnen schon gegeben habe. Es sind nur noch ein paar sprachliche Verbesserungen vom Lektorat eingeflossen.«
»Wann bekommen Sie die Vergrößerungen des Tagebuches?«
»Ich hoffe, in den nächsten Tagen. Ich brauche die letzten Seiten von Bastian Mühlenbergs Tagebuch dringend für den dritten Teil meiner Reportage. So sehr ich mir auch den Kopf zerbreche, alleine bin ich bisher nicht auf die Lösung für das Puzzle gekommen.«
In diesem Moment klingelte Olivers Handy.
»Oliver Bergmann hier«, meldete er sich.
Das Labor war am anderen Ende der Leitung. Sie hatten die Faserspuren des Falles »Waldleiche« mit denen der beiden Frauenleichen aus Zons endlich fertig analysiert und herausgefunden, dass sie identisch waren. Olivers Körper strömte Adrenalin aus. Endlich eine heiße Spur. Vor ein paar Tagen wurde das Fluchtfahrzeug aus dem Fall »Waldleiche«, welches bei dem Mord an dem jungen Mann an einem Autobahnstück der A57 bei Neuss von mehreren Zeugen gesehen wurde, auf einem verlassenen Industriegelände bei St. Peter in der Nähe von Zons gefunden. Oliver erinnerte sich noch gut an seine wochenlangen und vergeblichen Recherchen zu dem Fluchtfahrzeug. Plötzlich war alles sehr schnell gegangen, weil das Fahrzeug mutterseelenallein auf einem riesigen Industriegelände stand und so schnell auffällig geworden war. Offensichtlich hatte das Auto seinen Fahrer im Stich gelassen, denn der Verteiler hatte einen Kurzschluss gehabt. Oliver klapperte daraufhin mit Klaus zusammen alle örtlichen Taxidienste ab, um herauszufinden, ob sich ein Fahrgast von diesem Ort hatte abholen lassen. Tatsächlich wurden sie heute Morgen fündig. Ein Taxifahrer von »Taxi Hillmann« aus Dormagen hatte erst vor zwei Tagen einen jungen Mann von diesem Parkplatz aus zum Hauptbahnhof nach Dormagen gefahren. Das brisanteste an der ganzen Sache war, dass das Fahrzeug auf Martin Heuer zugelassen war. Martin Heuer, der sich die Unterlagen zum Zonser Puzzlemörder aus dem Kreisarchiv ausgeliehen hatte und seit Wochen wie vom Erdboden verschluckt schien, war offensichtlich wieder aufgetaucht. Während Oliver hier mit Emily Richter im Café saß, war sein Kollege Klaus im Revier dabei, mit dem Taxifahrer die Identifikation des Fahrgastes vorzunehmen. Ersten Angaben zufolge könnte es Martin Heuer gewesen sein. Die Angaben zum Alter, zur Größe, Haar- und Augenfarbe passten perfekt. Aber der Taxifahrer musste Martin Heuer anhand eines Fotos eindeutig identifizieren, nur dann konnten sie sich sicher sein.
»Was ist passiert?«, fragte Emily, die beobachtet hatte, dass Oliver während des Telefonates eine rote Gesichtsfarbe bekam.
»Wir fahnden derzeit nach einem Verdächtigen und haben gerade eine heiße Spur gefunden.«
»Ich vermute, es ist dieser alte Archivar oder jemand, der sich zumindest die Unterlagen zum Zonser Puzzlemörder ausgeliehen hat, oder?«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Oliver interessiert.
Emily lächelte und fuhr fort.
»Nun, dem Alten würde ich es zutrauen, weil er so unheimlich ist. Aber wahrscheinlich ist er unschuldig. Zumindest wäre es schon fast zu offensichtlich. Bleibt also nur noch jemand, der sich mit den alten Morden auskennt. Mittlerweile vermutet ja bereits die Presse einen Nachahmungstäter. Dieser musste also Zugang zu den Unterlagen haben. Die Morde sind am besten und detailgetreuesten in den Unterlagen aus dem Kreisarchiv beschrieben. Aber sicher haben sie die Personen, die sich die Unterlagen ausgeliehen haben, schon gründlich durchleuchtet!«
»Richtig«, erwiderte Oliver und blickte Emily tief in die Augen, »Ihr Name war auch dabei!«
»Ja sicher!«, Emily lachte laut auf.
»Mein Name, genauso wie der von Anna Winterfeld. Oder nein, es muss Martin Heuer gewesen sein. Anna war damals auf Dienstreise und Martin war für mich dort.«
Oliver schluckte deutlich, als Emily den Namen Martin Heuer aussprach.
»Woher kennen Sie Martin Heuer?«