21. Kapitel

D

ie mächtigen Lehmmauern waren baufällig, und das riesige Tor mit seinen verrosteten Eisenbeschlägen verhieß nichts Gutes. Doch hinter dem wehrhaften Gemäuer lag das Paradies: Haushoher Oleander thronte über dem schmalen Weg; Bougainvillen wallten in prächtigem Rot und Weiß und Lila von den Dächern und Mauern herab; die Orangenbäume trugen schwer unter der Last der Früchte, deren Duft sich mit dem der Zitronenbäumchen einte; Bananenstauden mit überdimensional großen Fruchtblüten säumten schmale Wasserkanäle, die sich zwischen den vielen Springbrunnen durch das üppige Grün schlängelten.

Ein eigentümliches Geräusch erweckte ihre Aufmerksamkeit. Ihr Blick ging hoch zu den eckigen Türmen, die über dem Innenhof des alten Anwesens thronten. Filigran in die Zinnen des Turms eingeflochten konnte sie dort oben ein riesiges Nest ausmachen, in dem zwei Schwarzstörche stolz mit nach hinten gebeugtem Kopf ihre Lebenslust in den blauen marokkanischen Himmel klapperten. Um den nächstliegenden Turm kreisten zwei Falken. Die mit dunkelbraunen Flecken akzentuierten Federkleider glänzten im späten Abendlicht. Ihre krummen Schnäbel öffneten sich zu herzergreifendbegeisterten Schreien nach Freiheit, die an den alten Gemäuern widerhallten und die prachtvollen gelben, roten und schwarzen Vögel in den Bambusbüschen nahe des Swimmingpools überhaupt nicht zu ängstigen schienen. Das Paradies! Ja, das musste es sein. Ihr Blick wanderte von den gelb-braunen Wasserschildkröten des Teichs zu einem mächtigen Pfau, der sich ihr aufgeplustert und arrogant in den Weg stellte. Sein braunes Krönchen auf dem Kopf wippte mit jedem Schritt, den er ihr näher kam. Der im abendlichen Streiflicht metallisch schimmernde Hals und Körper waren das Schönste, was sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Missmutig, mit abgehackt-vorsichtigen Tippelschritten kam er näher. Eiii Eiii , krähte er seiner Verärgerung in den afrikanischen Himmel und entfaltete sein prächtiges Federkleid, das sich ihr als Barriere aus Tausenden blau-grün-weißer Pfauenaugen entgegenstellte. Marie-Claire lächelte.

»Ist ja schon gut, du eitler Pfau! Ich lass dich ja in Ruhe. Pass lieber auf, dass sich die Turmfalken da oben nicht deine Babys holen.«

Glücklich lächelnd ging sie einige Schritte zurück und wählte einen anderen Pfad durch das Urwaldgrün hin zu ihrem Zimmer. Ach, wie schön das Leben doch sein konnte! Hier, in diesem Paradies wollte sie bleiben. Hier hatte der Schöpfer seine farbenfrohsten Kreaturen und betörendsten Düfte geeint, um der Welt zu zeigen, zu welchen Wundern er in der Lage war.

Ja, hier wollte sie bleiben. Für immer. Sie wollte jeden Morgen vom Geklapper der Störche geweckt werden, wollte mit dem ersten Augenblick des frühen Tages durch die Fenster hindurch die Orangen und Zitronen, die Hibiskusblüten und Bougainvillen sehen und mit dem ersten tiefen Atemzug all das in sich aufnehmen, was diese Welt an Düften offerierte. Es war ein wundervoller Tag. In einem Palast wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Nur ihr Traumprinz schien heute äußerst missmutig zu sein. Er erwartete sie bereits im Schlafgemach, dessen seidige Vorhänge sich im Wind des Deckenventilators bewegten.

Wie immer am frühen Tag, bevor die Lakaien das Frühstück unter dem Baum nahe des Sees servierten, trug er ein schlichtes, knielanges Gewand. Er verzog sein Gesicht zu einer ungehaltenen Grimasse und ergriff sie an ihren Schultern.

»Marie-Claire!«

Marie-Claire de Vries wollte ihn barsch anfahren, ihn zurechtweisen, weil er ihre sanften Gedanken unterbrochen hatte, aber ihre Stimme versagte. Sie schaute ihn entsetzt an. Sanjays Augen funkelten bösartig. Verärgert versuchte sie, seine Hände von ihren Schultern abzuschütteln. Aber er verstärkte seinen Griff und schüttelte sie unwirsch.

»Jetzt wach doch endlich auf. Wir sind gleich da!«

Panisch richtete sich Marie-Claire auf. Angstgefühle überlagerten plötzlich ihre Bilder von Pfauen, Falken und farbenprächtigen Blumen. Verwirrt flog ihr Blick nach rechts, hin zu dem Fenster, durch das sie morgens die Schönheit des Tages in ihr Leben eindringen ließ, aber das Fenster war verschlossen, war mit grauem Plastik verdunkelt. Die Sonne über ihr war ungewöhnlich grell. Sie blinzelte hinein. Neonlicht blendete sie. Das Zwitschern der Vögel draußen im Patio des Palastes war einem penetranten Dröhnen gewichen. Sanjay sprach jetzt wieder sehr sanft und liebevoll mit ihr.

Seine Augen zeigten wieder das, was auch sie ihm mit ihren Augen sagte. Der Druck seiner Hände auf ihren Schultern ließ nach. Zärtlich streichelte er ihr über die Wange.

»Wach auf, Marie-Claire! Du hast geträumt! Wir werden gleich landen.«

Marie-Claire wollte nicht aufwachen. Störrisch presste sie die Augenlider zusammen wie ein Kind, das die erschreckende Wahrheit nicht sehen wollte. Erst jetzt spürte sie die Vibrationen um sie herum, registrierte das Rauschen der Klimaanlage und den Gurt um ihren Körper. Ihre Finger tasteten ihr näheres Umfeld ab. Was sie fühlte, war weiches, geschmeidiges Leder. Sie saß in einem Flugzeug! In einem kleinen mit sehr komfortablen Sitzen. In solch einem Flugzeug hatte sie noch nie gesessen. Sie wollte, dass es nicht stimmte, verwehrte sich der Realität. Wieso saß sie in einem Flugzeug? Sie wollte zurück, in den Palast zu den Pfauen. Und zu den Falken. Zurück ins Paradies.

Aber der Traum war zu Ende. Es war der schönste Traum ihres Lebens gewesen. Aber es war ein Albtraum, weil sie wusste, dass es dieses Paradies, in dem sie sich im Schlaf wie eine Fee bewegt hatte, tatsächlich gab, sie aber nie wieder in ihrem Leben dorthin zurückkehren würde. Ja, sie war schon einmal dort gewesen, in dem ehemaligen Emirpalast in der Oasenstadt Taroudant, weit im Süden Marokkos, jenseits der Gipfel des Hohen Atlas. Vor vielen Jahren. Es gab diesen Palast, das jetzige Hotel Palais Salam! Salam Friede! Sie suchte den Frieden, den inneren Frieden. Deshalb hatte sie nach ihrer Flucht aus der Wohnung von Abdel Rahman nur einen einzigen Gedanken gehabt: Sie wollte nach Taroudant ins Hotel Palais Salam. Es blieb ein Traum, der sich schnell zu einem Albtraum wandelte. Denn schon an der ersten Straßenkreuzung, der sie sich nach ihrer Flucht genähert hatte, standen Polizeiautos. Eine Straßensperre. Sie suchten nach ihr! Der Traum, mit einem Bus oder einem Taxi von Marrakesch nach Ouarzazate und von dort den weiten Weg nach Taroudannt ins Palais Salam zu nehmen, hatte sich schnell zerschlagen. Der Albtraum, der seinen grausamen Höhepunkt mit dem Tod von Cathrine gefunden hatte, war noch nicht zu Ende gewesen. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, was nach dem Sprung aus dem Fenster geschehen war. Da waren nur noch Fragmente in ihrer Erinnerung: die kalte Nacht, das Entsetzen, das ihr den Atem zum Rennen durch die Gärten und über die Geröllebenen zwischen Palmeraie und Marrakesch genommen hatte. Viele Kilometer war sie durch die nordafrikanische Nacht gehetzt, war gestürzt, war vor den Männern mit den Gewehren und vor der Wahrheit geflohen. Die Wahrheit war, dass Cathrine nicht mehr lebte. Realität war, dass sie nur wenig Geld, zwei Pässe und nur die Kleider, die sie am Körper trug, besaß. Und zwei unvorstellbar wertvolle Edelsteine, die ihr nicht gehörten. Aber eins war auch sicher: Wer immer sie gewesen waren, diese Männer in Abdel Rahmans Wohnung, sie würden sie suchen! Wollten sie sie töten? Warum? Wo war sie jetzt? Es fiel ihr schwer, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Vorsichtig nahm sie ihre Hände von den Augen weg, wandte sich nach links und blinzelte die Realität an. Sanjay saß neben ihr. Ja, er war es. Fragend schaute er sie an.

»Gleich! Warte «, flüsterte sie und schloss die Augen wieder, versuchte, sich zu erinnern. Sie brauchte die Erinnerung, um die Gegenwart zu verstehen. Die atemlose Flucht vom Hotel Palmeraie nach Marrakesch hatte ihr alle Kraft geraubt. Sie hatte nicht nachdenken können. Zu sehr war sie darauf konzentriert gewesen, in der stockfinsteren Nacht nicht in einen Abgrund zu stürzen oder zu nahe an eine Straße zu gelangen. Straßen musste sie meiden, ebenso wie Flughäfen und Menschen. Sie musste dahin fliehen, wo viele, sehr viele Menschen waren. Anonymität war der beste Schutzschild. Aber sie musste auch unauffällig sein. Mit ihren langen, blonden Haaren fiel sie überall auf. Die Haare würden sie verraten!

Eine Glasscherbe, an der sie sich beim Hinfallen die Hand aufgeschnitten hatte, brachte die rettende Lösung. Es hatte sehr wehgetan, als sie sich die Haare mit der Glasscherbe abgeschnitten hatte. Es hatte nicht nur körperlich wehgetan. Ihre Haare gehörten zu ihrem Leben, so wie Cathrine dazugehörte dazugehört hatte. Schon als Kind hatte sie die Haare lang getragen. Mit jeder schmerzhaft mit der Glasscherbe abrasierten Strähne, die auf die von der Nacht umhüllte marokkanische Erde fiel, war ihr bewusster geworden, in welch aussichtsloser Situation sie steckte. Alles war so verworren, so grausam irreal, dass sie auf ihrer Flucht durch die Nacht mehrfach den Gedanken gehabt hatte, sterben zu wollen. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie diese Erlebnisse jemals würde verkraften können. Wer würde ihr glauben? Wer konnte ihr helfen? Wem durfte sie noch glauben? Wieder öffnete sie vorsichtig die Augen. Sanjay war nicht weg. Er saß schweigend neben ihr, blickte sie abwartend an. Erst jetzt registrierte sie ihre eigene Kleidung. Wo waren die Jeans, die Bluse? Sie trug einen Sari aus feinstem Tuch, durchwirkt mit silbernen und goldenen Fäden.

»Wohin fliegen wir?«

»Nach Kairo. Und von dort weiter nach Indien.«

»Zu dir nach Hause?«

»Ja.«

»Wer bin ich? Warum trage ich diese indischen Kleider?«

»Du bist nicht mehr Marie-Claire de Vries. Ich habe dir einen indischen Pass, eine neue Identität besorgt. Es ist der Pass meiner Schwester. Sie lebt als Wirtschaftsattaché in London. Sie hat es mir zuliebe getan. Du siehst ihr mit den kurzen Haaren und in diesem Sari verblüffend ähnlich. Niemand wird dich mit diesem Diplomatenpass aufhalten. Die Beamten am Flughafen in Marrakesch haben dich für meine Frau gehalten. Du hast jetzt ein Leben und drei Pässe. Wer du in Zukunft sein willst, kannst du später entscheiden.«

»Ich heiße jetzt Kasliwal?«

»Ja.«

»Habe ich auch einen Vornamen?«

»Sogar zwei: Akuti Asha.«

»Was bedeutet das?«

Sanjay lächelte und schwieg für einen Moment.

»Akuti heißt Prinzessin. Und Asha bedeutet Hoffnung. Du bist also, wie meine Schwester es auch ist, eine Prinzessin der Hoffnung.«

»Ich bin jetzt also eine Prinzessin aus dem Morgenland? Eine Mohrin?«

»Ja.«

Marie-Claire schloss wieder die Augen. Das beruhigende Dröhnen des Flugzeugs durchströmte sie. Aber die Erinnerung kam wieder. Die Bilder der Flucht: Sie war hässlich gewesen, mit ihren zerfransten, kurzen, wie von Mäusen angeknabberten Haaren. Zum ersten Mal hatte sie das vor dem kleinen Laden einer Frau am Stadtrand von Marrakesch in einem Spiegel gesehen, der an der Mauer des Krämerladens hing. Sie hatte geweint, so hässlich sah sie aus. Und so alt und zerschunden, mit tiefen Ringen unter den Augen. Für ein paar Dirhams hatte sie bei der Frau Henna gekauft. Und eine Flasche Sidi Harazen, Mineralwasser, mit der sie sich hinter einem Busch die Haare rötlich-braun gefärbt hatte. Dann war sie beim Bab Agnaou durch die Stadtmauer in die Souks von Marrakesch geschlichen. Mitternacht war es gewesen. Einige der winzigen Läden hatten noch geöffnet. So konnte sie für wenig Geld einige gebrauchte, europäische Kleidungsstücke kaufen. Wieder öffnete sie die Augen. Sanjay schien darauf gewartet zu haben. Sie mochte das Gefühl, neben ihm zu sitzen. Der Gedanke, dass sie auf dem Weg nach Indien waren, beruhigte sie.

»Erzähl mir, wie ich hier in dieses Flugzeug gekommen bin. Ich mag mich nicht erinnern.«

»Du hast mich angerufen, hast mir erzählt, dass Cathrine tot ist und dass du in einem miesen Drecksloch von Zimmer irgendwo in den Souks von Marrakesch festsitzt und nicht mehr leben willst.«

»Und du bist dann einfach gekommen? Ist das dein Flugzeug? Warum tust du das?«

Marie-Claires Fragen einten sich mit Hilfe seiner Antworten zu schemenhaften Erinnerungen. Da war der marokkanische Greis mit den gutmütigen Augen gewesen, der sie mit wenigen Worten aus ihrer Verzweiflung herausgerissen hatte. Ja, sie war verzweifelt gewesen! Wo sollte sie im nächtlichen Marrakesch hin? In eines der Touristenhotels konnte sie nicht. Wer weiß, ob man sie dort nicht bereits suchte. Sie hatte den alten Mann, der offensichtlich auch in seinem Laden, der kaum mehr als ein Bretterverschlag war, schlief und wohnte, gefragt, ob er nicht wisse, wo sie ein einfaches Zimmer bekommen könne. Für wenig Geld. Er hatte es gewusst. Es war kein einfaches Zimmer, es war ein Rattenloch. Ohne Heizung, ohne Wasser, die Wände verschimmelt und das Bett so grauenhaft schmutzig, dass sie sich auf den Boden gelegt und sich mit einem Teppich zugedeckt hatte. Kurz vor dem Einschlafen war ihr erneut der Gedanke gekommen, dass sie nicht mehr leben wollte. Dann war sie erschöpft eingeschlafen.

Den gleichen Gedanken hatte sie am nächsten Morgen wieder gehabt, durchgefroren, malträtiert von schmerzhaften Blessuren am ganzen Körper und ohne Hoffnung. Ihre Hoffnung war in der Nacht gestorben. Dann hatte sie an der Wand in der Kälte des Morgens die mit Pflaster befestigte Seite aus einem Magazin gesehen, auf der eine sehr freizügig gekleidete europäische Frau für Schmuck warb. Mit ihren verweinten Augen sah sie das Collier, sah die funkelnden Edelsteine, erinnerte sich an die beiden Sancys in ihrer Tasche und an den Florentiner. Sein Fluch hatte sie fest im Griff. Es gab nur einen Menschen, der diesen Fluch beenden konnte: Sanjay! In ihm manifestierten sich an diesem kalten Morgen ohne Sonne, ohne Essen, aber mit viel Angst ihre letzten Hoffnungen. Sie rief ihn nicht von ihrem Handy aus an. Es wurde wahrscheinlich längst abgehört. Das öffentliche Münztelefon, das sie benutzte, ließ ihren Mut nach einer halben Stunde vergeblichen Wählens schon schwinden, als sie ihn tatsächlich erreichte. Viel hatte sie ihm nicht erklären können, weil sie ununterbrochen geschluchzt und nur wenig Geld hatte. Aber Sanjay hatte auch nichts wissen wollen. »Ich hole dich da raus«, hatte er gesagt. Mehr nicht.

Alles, was danach geschehen war, erzählte ihr Sanjay nun auf dem Flug nach Kairo. Von dort, er hatte es gesagt, aber sie wusste noch nicht, was das bedeutete, würden sie nach Indien fliegen. Mehr wusste sie derzeit nicht und wollte sie auch nicht wissen. Denn ihre Gedanken waren wieder bei Cathrine. Ihr Tod begleitete sie auf diesem Flug in eine Zukunft, die vom Fluch des Florentiners überschattet sein würde.

 

Das Flugzeug begann den Landeanflug auf Kairo. Sanjay hatte ihr gesagt, dass sie den Learjet dort auftanken mussten, bevor sie weiter gen Indien fliegen konnten. Sie blinzelte aus dem Augenwinkel heraus zu ihm hinüber. Er saß entspannt in dem breiten Ledersessel und hatte die Augen geschlossen. Aber er war wach. Auch sie schloss ihre Augen und flüsterte: »Ich habe den Großen und den Kleinen Sancy!«

»Und ich habe den Florentiner!«

»Ich weiß! Das heißt, ich habe es vermutet. Ich ahnte es, nachdem ich das Manuskript dieses Buches gelesen habe. Und dann das Dossier.«

»Meine Familie hat den Florentiner von einem jüdischen Schmuckhändler gekauft, der nach Amerika ausgewandert ist.«

»Von Ostier?«

»Ja! Der Juwelier, der ihn vom letzten österreichischen Kaiser als Sicherheit für eine Darlehenssumme von 1,2 Millionen Schweizer Franken bekommen hatte, verkaufte den Stein nach dem Tod von Kaiser Karl I. an Ostier. Er wollte ihn in viele kleine Steine zerstückeln, aber Marianne Ostier hat das verhindert. Sie war eine begnadete Schmuckdesignerin. Für sie wäre es eine ruchlose Tat gewesen, einen solch wunderschönen Stein zu zerteilen. Es gab eine Skizze von ihr, ihn in zwei Teile zu schneiden.«

»Jene Skizze, die dem Manuskript von Alphonse de Sondheimer beigefügt war?«

»Ja! Aber Marianne Ostier hat es nicht übers Herz gebracht. Mein Vater hat davon erfahren. Und er hat den Florentiner zurückgekauft. Für sehr viel Geld. Auch mein Vater wusste, dass dieser Diamant nach Indien gehört. Er hat ein Vermögen dafür bezahlt!«

Marie-Claire de Vries atmete tief durch. Ihr Herz pochte wild. Die Ehrlichkeit von Sanjay erschütterte sie, weil sie plötzlich erkannte, dass sie ihm Unrecht getan hatte mit all ihren Verdächtigungen.

»Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«

»Du hast mich lange nicht gefragt. Als du es dann tatest, wusste ich von den unheilvollen Entwicklungen, die sich da abzeichneten. Ich hätte es dir später freiwillig erzählt. Aber dann bist du nach Marrakesch geflogen. Du hast an mir gezweifelt. Richtig?«

»Ja! Ich habe mich in den letzten Wochen in einer Welt aus Halbwahrheiten und Lügen bewegt. Nichts war so, wie es sich darstellte. Ich hasse diese Welt der Lügen, der Gier und des Neids! Ich kenne sie aus meinem Elternhaus. Und ich habe immer, schon als Kind, versucht, eine Welt zu finden, ein Leben zu leben, in dem andere Normen und Werte gelten. Der Weg zu der Erkenntnis, dass es diese Welt nicht gibt, war ein schmerzhafter. Verzeih mir bitte, dass ich dir misstraut habe. Kannst du das?«

»Ja.«

»Wolltest du den Florentiner 1981 auf einer Auktion bei Christies verkaufen?«

»Nein. Es war nicht der Florentiner, der damals auftauchte! Es war die Kopie, die im 18. Jahrhundert in der Schatzkammer in Wien lag. Ich weiß, wer sie eurem Auktionshaus angeboten hat. Diese Kopien erfreuen das Herz eitler Menschen, die nicht das Geld haben, sich Originale zu kaufen. Mehr Schein als Sein, so sagt man doch in Europa, nicht wahr?«

»Wieso bist du gerade jetzt nach Europa gekommen?«

»Ich wollte die beiden Sancys kaufen. Wir waren schon lange in Verhandlungen mit den Besitzern.«

»Wir?«

»Ja, wir! Mein Bruder Pappu hatte diese Idee. Aber er hat mich hintergangen.«

Marie-Claire zuckte zusammen. Abrupt richtete sie sich in dem Sitz auf und blickte Sanjay fragend an. Er antwortete mit geschlossenen Augen, ohne auf ihre Frage zu warten.

»Pappu ist ein sehr gieriger Mensch. Leider! Er wusste von der Statue der Göttin, wusste von dem Schatz. Er hat irgendwann Francis Roundell kennen gelernt. Damit begann das Unheil. Der Fluch des Florentiners zog ihn und die anderen Männer ins Verderben. Dieser Francis Roundell war noch vor wenigen Tagen bei Pappu in Jaipur. Ein Vertrauter in unserer Familie hat es mir erzählt. Roundell war der Mann, den Pappu auserkoren hatte, mich zu hintergehen. Es ist ihm misslungen, aber er hat viel Leid über unbeteiligte Menschen gebracht. Auch über dich. Und über mich. Wenn nicht in diesem Leben, so dann im späteren: Pappu wird dafür büßen. Ich bin traurig, dass ich einen Bruder verloren habe.«

»Und ich bin traurig, weil ich eine Schwester verloren habe.«

»Du siehst, selbst im Leid scheinen wir zusammenzugehören. Was wirst du jetzt mit den beiden Sancys tun?«

»Was sollte ich deiner Meinung nach damit tun?«

»Du kannst sie den europäischen Besitzern zurückgeben. Man wird dich rehabilitieren, dich loben, belohnen «

»Du hattest mir am Ufer des Sees in Grandson so etwas Schönes gesagt über das Licht und die Schönheit und das Sein. Wie sagt ihr in Indien?«

»Die völlige Abwesenheit von Licht ist Finsternis nichts! Das höchste Licht ist das Eine das Eine ist aber zugleich das erste Schöne Lichthaftigkeit ist Schönheit. Je höher etwas in der Seinsordnung steht, je lichthafter ist es, desto schöner ist es auch! All das eint sich in Diamanten.«

»Anstatt sie den europäischen Besitzern zurückzugeben, könnte ich die Sancys ja auch den ursprünglichen Eigentümern zurückgeben «

Sanjay Kasliwal schwieg lange. Sie ahnte, wusste, was er sagen würde.

»Du weißt, was ich denke: Sie gehören dem indischen Volk. Die Sancys stammen aus der Erde Indiens. Sie sind stets eins gewesen mit dem Florentiner in der Vergangenheit, tief unten in der Erde. Und als Tränen Gottes waren sie eins auf der Statue. Ihr inneres Feuer sucht nach Vereinigung. Ich habe den Florentiner. Du hast die beiden Sancys. Es war wohl göttliche Vorsehung, dass es so geschieht. Jetzt ist es deine freie Entscheidung, was du mit den beiden Sancys machst. Wir könnten aber auch gemeinsam wiedervereinen, zusammenfügen, was schon immer aus einer göttliche Fügung heraus zusammengehörte: Wir beide die beiden Sancys und der Florentiner.«

22. Kapitel

D

ie Männer in dem eleganten Penthousebüro der De-Beers Diamond Trading Company kurz DTC genannt in der Charterhouse Street Nummer 17 in London schwiegen irritiert. Dass ihr Chairman, Nicholas Frank genannt Nicky Oppenheimer, Präsident des weltweit größten Diamantenkonzerns, sie hin und wieder zu außerplanmäßigen Meetings aus aller Welt zusammenrief, war für die Anwesenden nicht ungewöhnlich. Der sechzigjährige Diamantenmagnat und Kricketfan war heute aber nicht persönlich anwesend. Er hatte seinen einzigen Sohn nach London geschickt. Jonathan, Chef von DeBeers Südafrika und zukünftiger Leiter von DeBeers Kanada, hatte seinen Nachfolger Noko mitgebracht. Der erste Schwarzafrikaner in leitender Position des weltgrößten Diamantenkonzerns saß neben ihm. Es war eine höchst ungewöhnliche Zusammenkunft. Denn neben Gereth Penny, Geschäftsführer der DTC London, Stuart Brown, dem Leiter der Konzernfinanzen, und David Noko war auch noch Gregory Marsh anwesend. Der Sicherheitschef der in London ansässigen DTC-Gruppe, die zwei Drittel aller weltweit im Handel befindlichen Rohdiamanten kontrollierte, war es auch, der ohne große Umschweife das Wort ergriff.

»Gentlemen, dieses Päckchen wurde uns vor einer Woche mit der öffentlichen Post zugestellt. Ich betone, mit der Post! Warum das so erwähnenswert ist, werden Sie gleich verstehen.«

Der dickliche Sicherheitschef löste die Kordeln des etwa dreißig mal dreißig Zentimeter großen, mit braunem Packpapier umwickelten Päckchens. Behutsam fingerte er einen schweren, in schwarzen Samt gehüllten Gegenstand heraus und legte ihn vorsichtig auf den Glastisch. Betont langsam schlug er das Samttuch auf. Ein milchig-weißer Stein, so groß wie eine kräftige Männerfaust, kam zum Vorschein. Es sah wie ein matter Quarz aus. Aber jeder der anwesenden Edelsteinexperten erkannte sofort, dass dies kein Quarz war. Drei weitere Steine lagen auf dem Samttuch.

»Teufel auch, wo habt ihr den denn gefunden?«

David Noko, seit drei Jahren in den Kimberly-Minen Südafrikas verantwortlich für den reibungslosen Abbau von Diamanten, starrte gebannt auf den größten der Steine. »Ist der so echt, wie er ausschaut? Sind die alle echt?«

»Dreitausendzweihunderteinundzwanzig Karat keine erkennbaren inneren Einschlüsse!«, antwortete Gregory Marsh und hob den größten der Diamanten hoch.

»Merkmale von Hitzebehandlung?«, fragte Stuart Brown, Finanzleiter des Konzerns. Kaum dass er die Frage gestellt hatte, wusste er, dass es eine sehr dumme Frage war. Hitzebehandlung konnte zwar auf eine synthetische Herstellung hinweisen, synthetische Diamanten mit mehr als drei bis vier Karat gab es aber nicht.

»Nein! Der da ist ein Wunder der Natur. Er ist echt das Beste und auch Größte an Rohdiamant, was es seit hundert Jahren auf dem Markt gegeben hat. Die anderen sind auch nicht von schlechten Eltern: WS2 und VS1, zwischen sechzig und hundertfünfundzwanzig Karat, zwei davon in tinted color! Da auf dem Tisch, meine Herren, liegt ein Vermögen. Das Schönste, was ich an Rohdiamanten je in den Händen und vor Augen hatte.«

Der Sicherheitschef schielte hinüber zu Jonathan Oppenheimer. Der Sohn des legendären Nicky Oppenheimer und zukünftige Leiter von DeBeers Kanada wirkte gereizt. Er war schon zwei Tage nach Auftauchen des Päckchens informiert worden. Spätestens als Experten absolut sicher waren, dass es sich bei diesen Steinen um echte Rohdiamanten handelte, waren die Drähte zwischen London und Johannesburg heißgelaufen. Es galt bei dem heutigen Treffen, die höchst eigentümlichen Geschehnisse um diese Rohdiamanten zu beurteilen und darauf zu reagieren.

Gregory Marsh holte mehrere Blatt Papier aus seinem Aktenkoffer. Etwas verunsichert räusperte er sich.

»Diese Rohdiamanten sind echt! Ohne Zweifel. Dieser Brief lag mit in dem Päckchen, das übrigens vor etwa zwei Wochen in dem kleinen Kaff Grandson in der Schweiz aufgegeben wurde auf der Post! Sie verstehen jetzt, warum ich das vorhin so betont habe. In diesem unscheinbaren Päckchen sind Diamanten von fantastischem Wert quer durch Europa geschickt worden! Das allein ist schon mehr als ungewöhnlich. Aber jetzt, meine Herren, kommt der absolute Wahnsinn! Ich lese Ihnen jetzt dieses sehr lange Pamphlet Wort für Wort vor. Es ist in Deutsch geschrieben! Entweder dieser Brief wurde von einem Wahnsinnigen geschrieben was nichts an seiner Brisanz ändert. Oder jemand will uns in den Wahnsinn treiben. Also, hören Sie gut zu:

 

Verehrte Damen und Herren,

hoch geschätzte Experten von DeBeers

 

zunächst bitten wir höflichst um Nachsicht, dass wir uns zum derzeitigen Stand unserer Geschäftsbeziehung noch nicht namentlich vorstellen. Es entspricht fraglos nicht den internationalen Gepflogenheiten unter honorigen Geschäftsleuten, die Anonymität als Basis eines gedeihlichen Miteinanders auszuerwählen. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass Ihr Familienimperium seit Gründung der DeBeers Consolidated Mining durch den ehrenwerten Ernest Oppenheimer im Jahre 1929 ein wundersames Geschick entwickelt hat, jegliche Konkurrenz durch höchst subtile Methoden in das Imperium einzuverleiben, möchten wir zunächst davon absehen, unsere Identität zu offenbaren. Kurz gesagt: Wir wissen, wer Sie sind und daher halten wir es für besser, wenn Sie nicht wissen, wer wir sind. Denn wir teilen Ihre hemmungslosen kapitalistischen Methoden nicht.

Nun aber zu dem eigentlichen Anliegen unseres Schreibens: Wenn wir richtig informiert sind, haben Sie alleine im letzten Jahr in der Jwaneng-Diamantenmine in Botswana, der derzeit wohl ergiebigsten Mine der Welt, 13,5 Millionen Karat Rohdiamanten gefördert. Zählen wir Ihre Minen in Namibia, Angola, Südafrika und Kanada hinzu, fördert das DeBeers-Imperium alljährlich zirka 80 Prozent aller Rohdiamanten weltweit. Der Rest kommt aus Russland. Ungefähr 500000 Millionen Dollar Gewinn haben Sie im letzten Jahr bei einem Umsatz von 5,5 Milliarden gemacht!

Dass der Familienclan der Oppenheimer zu den hundert reichsten Privatpersonen der Welt gehört, ist uns bekannt. Dieser grenzenlose Reichtum basiert letztendlich darauf, dass Sie das Angebot an Diamanten auf dem Weltmarkt künstlich niedrig und damit die Preise künstlich hoch halten. Mit Gründung der Central Selling Organisation fing das an. Auch heute noch strangulieren Sie durch Ihr monopolistisches Agieren jegliche Konkurrenz!

Obwohl Diamanten tonnenweise gefördert werden, der Markt also faktisch überquillt, zeigen sich die klassischen Regulative des Angebots und der Nachfrage in Bezug auf Diamanten aufgrund Ihrer rigiden Marktpolitik als nicht sonderlich funktionsfähig: Die Preise für geschliffene Diamanten steigen, obwohl immer mehr Diamanten gefördert werden! Für Zweikaräter in lupenreiner Qualität sind die Preise in diesem Jahr um 25 Prozent gestiegen. Einkaräter haben sich um bis zu 15 Prozent verteuert. Und weiße Diamanten, die schwerer als 2 Karat sind, sind um 6 Prozent teurer geworden. Das ist, wie Sie uns sicherlich beipflichten, ein Wunder. Zumindest in den zurückliegenden 25 Jahren hat es einen solchen Preisanstieg nicht gegeben. Ihrem ohnehin schon unermesslichen Reichtum wird das zugute gekommen sein.

Nein, wir bitten Sie: Es ist weder Neid noch Missgunst, die uns veranlassen, Ihnen zu schreiben und Ihnen unser neues Geschäftsmodell in Sachen Diamanten vorzustellen. Weit gefehlt. Neid ist ein irdisches Phänomen. Unsere Intention hat jedoch eher eine überirdische, mithin gar göttliche, von der Vorsehung bestimmte Dimension. Mit Wohlwollen nehmen wir daher zur Kenntnis, dass Sie in gelegentlichen Anwandlungen mildtätigen Denkens auch Brösel des milliardenschweren Diamantenkuchens an die Bedürftigen dieser Welt verteilen. Womit wir bei unserem Anliegen sind:

Dass Sie unlängst im John F. Kennedy Center in Washington in Gegenwart der amerikanischen Außenministerin, Condoleezza Rice, und der US-Senatorin Hillary Clinton von der honorigen Global Business Coalition on HIV/AIDS für Ihr Engagement im Kampf gegen Aids in Südafrika geehrt wurden, erfüllt uns mit Zuversicht, dass Sie unserem Ansinnen ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit zukommen lassen werden. Mit höchstem Respekt vor Ihrer Fähigkeit der wundersamen Geldvermehrung machen wir Ihnen einen Vorschlag, den Sie so Leid es uns tut, Sie so zu brüskieren kaum werden ablehnen können. In dem kleinen Päckchen übersenden wir Ihnen vier außergewöhnlich schöne Rohdiamanten. Der größte davon entspricht mit seinen knapp 3 200 Karat in etwa dem berühmten Cullinan-Diamanten, der vor 100 Jahren in Südafrika gefunden wurde. Unseres Wissens nach wurde er dem damaligen englischen König Edward zu seinem Geburtstag überreicht und ist, in 105 Einzelsteine zerschnitten, mittlerweile im Besitz von Queen Elizabeth II.

100 Jahre ist das nun her, dass dieser bis dahin größte Diamant der Welt gefunden wurde. Wir finden, die nach irdischen Gütern und materiellen Superlativen lechzende Welt sollte dieses Jubiläum mit dem Auftauchen eines neuen, noch schwereren, noch wertvolleren, noch legendäreren Diamanten feiern: Er liegt in dem Päckchen! Die drei anderen Diamanten sind aber nur vergleichsweise minderer Qualität, mögen aber die Vielfalt unseres Sortiments dokumentieren.

In der Ihnen höchstwahrscheinlich weniger, uns dafür umso mehr zu eigenen Großherzigkeit möchten wir Sie bitten, diese vier Diamanten quasi als Grundkapital unseres zukünftigen Joint Ventures zu betrachten. Perfekt geschliffen sollten diese Rohdiamanten die Kosten der administrativen Gründung unseres gemeinsamen Unternehmens decken. Wenn nicht, bitten wir um eine entsprechende Nachricht. Gerne erhöhen wir unser Grundkapital nochmals um Rohdiamanten und andere Edelsteine im gleichen Wert «

 

»Lassen Sie es gut sein, Gregory«, unterbrach Jonathan Oppenheimer seinen Sicherheitschef unwirsch. »Diese schwülstigen Zeilen eines Geisteskranken machen mich ganz närrisch. Lesen Sie den anderen das Ende des Briefes vor, damit jeder hier kapiert, was da auf uns zukommt.«

Gregory Marsh blätterte die vielen Seiten durch, bis er die entsprechende Stelle gefunden hatte, und las weiter.

»Also ja, hier wird es konkret: Wir beharren auf der nicht diskutablen Einschätzung, dass ein Großteil der weltbekannten Diamanten aus indischer Erde stammt aber nicht mehr auf Indiens Erde verweilt. So prächtige Diamanten wie der Cullinan, der Koh-I-Noor, Orlow, Regent, Großmogul, Sancy und auch der Florentiner stammen aus Indien, gehörten den Göttern Indiens und dem indischen Volk. Ihm, dem Florentiner, gebührt übrigens unsere besondere Ehrerbietung! Viele dieser Steine wurden von gierigen europäischen Menschen entwendet. Menschen, deren Gier die mythologisch-religiöse Bedeutung dieser Edelsteine verhöhnt. Wir möchten den Pfad der göttlichen wie auch irdischen Gerechtigkeit beschreiten und was gestohlen und geraubt wurde aus Indien wieder zurückfließen lassen. Der Terminus der Beutekunst mag, so ist es unser Wunsch und unser Wille, fortan auch auf geraubte Diamanten und andere Edelsteine aus Indien angewendet werden.

Wir möchten Sie daher höflichst bitten, spätestens bis zum 1. Juli dieses Jahres in Indien eine Stiftung zu gründen. Aufgabe dieser Stiftung soll es sein, hilfsbedürftigen Menschen auf dem indischen Kontinent ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Konkret sollen Sie Krankenhäuser bauen und unterstützen, Schulen und Kinderheime gründen etc. Details werden wir Ihnen nach Eingang ihres begeisterten Einverständnisses übermitteln. Als Firmennamen schlagen wir Akuti Asha & DeBeers vor. Ein entsprechendes, von Experten ausgearbeitetes Konzept liegt bereits vor. Dieser zu gründenden Stiftung sollte Ihr Konzern monatlich 250000 US-Dollar zur Verfügung stellen. Die Verwaltung des Geldes und der Stiftung wird einem renommierten indischen Rechtsanwaltsbüro treuhänderisch übertragen. Das Finanzcontrolling sind wir gerne bereit, einem internationalen Kontrollgremium zu übertragen! Die gleiche oben aufgeführte Summe, also 250000 US-Dollar monatlich, wird von unserer Seite beigetragen werden.

Als Gegenleistung für Ihre Bereitschaft, dem indischen Volke Gutes zu tun, würden wir darauf verzichten, die in unserem Besitz befindlichen Edelsteine dem offiziellen Diamantenmarkt zuzuführen. Gehen Sie bitte davon aus, dass wir gänzlich legal Diamanten, Brillanten, Saphire und andere Edelsteine in selbst für Sie unvorstellbaren Mengen besitzen. Einer Förderung bedarf es nicht mehr.

Sollten Sie aus uns nicht nachvollziehbaren Gründen unserem Vorschlag nicht sonderlich viel Sympathie entgegenbringen wollen oder können, sehen wir uns leider gezwungen, große Mengen dieser Edelsteine auf den internationalen Markt zu werfen, um das für die o.a. karitativen Projekte erforderliche Kapital auf diesem Wege zu lukrieren. Welche fatalen Auswirkungen solche Transaktionen auf den von Ihrem Konsortium wissentlich strangulierten Diamantenmarkt und somit auf die Preisentwicklung haben könnten, mögen Sie besser beurteilen können als wir.

Lassen Sie uns zum Abschluss unseres Schreibens auf die jedem Diamanten eigene Einzigartigkeit des inneren Feuers verweisen.

Sie wissen, wie es sich mit dem Licht eines perfekt geschliffenen Diamanten verhält: Es trifft von oben in den Stein, reflektiert an den unteren und seitlichen Facetten und tritt, so es ein von Meisterhand geschliffener Diamant ist, oben wieder heraus. Dieses Licht erfreut die Sinne der Götter und der Menschen. Denn völlige Abwesenheit von Licht ist Finsternis nichts! Das höchste Licht ist das Eine das Eine ist aber zugleich das erste Schöne Lichthaftigkeit ist Schönheit. Je höher etwas in der Seinsordnung steht, je lichthafter ist es, desto schöner ist es auch! All das eint sich in Diamanten!

Wir haben vereint, was nach dem Willen der Götter schon immer zusammengehörte. Materielles wie auch Immaterielles. Je höher etwas in der Seinsordnung steht, desto schöner ist es.

In diesem Sinne würden wir uns freuen, wenn Sie mit Ihrer weisen Entscheidung die Herzen der Menschen im Morgenland erfreuen und Licht in das Dunkel der mittellosen Indiens bringen würden.

Ihre positive Grundsatzentscheidung teilen Sie uns bitte in einer der nächsten beiden Wochenendausgaben der International Herald Tribune in der Anzeigenrubrik mit. Verwenden Sie bitte folgenden Text:

 

Die Tränen Gottes sollen

zu Tränen des Glücks werden.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung

 

M. C. alias Akuti Asha K. und Gemahl«

 

»Ich komme mir vor wie in einer indischen Märchenstunde aber nicht wie in einem Krisenmeeting des größten Diamantenkonzerns der Welt!«

Jonathan Oppenheimer war aufgestanden und schritt nachdenklich durch den Raum. Sein Blick ging über die Dächer Londons. Die Maisonne senkte sich bereits hinter der Stadt.

»Gregory! Was halten Sie von dieser ganzen Sache?«, sprach er den Sicherheitschef an. »Sie hatten eine Woche Zeit zu recherchieren, mit was wir es hier zu tun haben: mit Irren oder mit einer knallharten Erpressung. Steckt da vielleicht ein anderer Konzern unsere Konkurrenz dahinter?«

Gregory Marsh schaute verlegen in die Runde. »Weder das eine noch das andere, Chef! Ich habe alles untersuchen lassen, was es zu untersuchen gab: Diese Edelsteine sind echter, als es uns wohl lieb ist. Unsere Geologen sagen, dass sie eindeutig aus Indien kommen. Das Päckchen wurde in Gradson nahe des Lac de Neuchâtel südlich von Bern aufgegeben, aber der Karton selbst stammt zweifelsfrei aus Indien. Ebenso die Kordel und das Samttuch. Fingerabdrücke konnten keine festgestellt werden. Der Name Akuti Asha ist in Indien sehr gängig und bedeutet nichts anderes als Prinzessin der Hoffnung. Was die drei Buchstaben M.C.K. hinter diesen Vornamen bedeuten, kann ich nicht sagen. Die einzige vage aber wirklich nur vage Spur führt über diesen Vornamen nach Jaipur, im indischen Bundesstaat Rajasthan. Dort gibt es, wie Sie sicherlich wissen, einen Familienklan, die Kasliwal, die sich in den letzten Jahren weltweit einen Namen mit Schmuck gemacht haben. Und mit Edelsteinen.«

»Wie kommen Sie denn auf diese absurde Idee? Wo gibt es da eine Verbindung zu dem Brief?«, unterbrach Jonathan Oppenheimer seinen Sicherheitschef.

»Die Schwester dieser Kasliwal-Brüder heißt Akuti Asha und ist hier in London an der indischen Botschaft Wirtschaftsattaché. Einen Gemahl hat sie allerdings nicht. Zudem möchte ich in diesem Kontext auf die spektakulären Ereignisse Ende letzten Jahres hinweisen, als in Florenz der Palazzo Pitti in die Luft gejagt wurde. Damals wurde der Große Sancy geklaut. Bei einem deutschen Adligen haben sie den anderen, den Kleinen Sancy geraubt. In diesem Brief hier werden die Sancys und der Florentiner erwähnt. Es gibt eine seltsame Legende, dass diese drei Steine einmal zusammengehört haben als die göttlichen Tränen oder so.«

»Absurd! Völlig absurd ist das«, unterbrach Jonathan Oppenheimer. »Hören Sie mir bloß auf, Gregory! Sie lesen zu viele Kriminalromane. Und Märchenbücher offensichtlich auch. Ich habe von diesem Edelstein-Palast der Kasliwal-Brüder in Jaipur gehört. Die leben doch selbst von der Seltenheit der Diamanten! Die sind doch nicht so verrückt und graben sich ihr eigenes Grab, indem sie den Weltmarkt für Diamanten auf den Kopf stellen. Haben Sie schon einmal einen Inder getroffen, Gregory, der keinen Profit machen will? Die Inder sind clever, die setzen eine alte Frau einen ganzen Tag lang an den Straßenrand und lassen sie ein Streichholz verkaufen, das sie für einen Cent eingekauft haben. Wenn Sie da zufällig vorbeikommen und eine Zigarette rauchen wollen, aber kein Feuer haben, verkauft die alte Frau Ihnen das Streichholz für zehn Cent. Das ist eine Profitmarge, von der wir nur träumen können! So sind die Inder. Und so sind diese Kasliwals mit Sicherheit auch. Also hören Sie auf mit dem Quatsch. Das sind Hirngespinste. Außerdem: Wenn diese Kasliwal-Brüder solche Berge von Diamanten besäßen, würden die mit Sicherheit nicht auf eine solch hirnrissige Idee kommen, Krankenhäuser zu bauen. Ich habe diesen Pappu Kasliwal einmal persönlich kennen gelernt. Der verkauft Ihnen das Nachthemd seiner Mutter, wenn er damit Geld machen kann. Also hören Sie mit Ihren Legenden auf.«

Wütend schaute Jonathan Oppenheimer zu Stuart Brown, dem Leiter der Finanzen von DBCM.

»Stuart, was halten Sie davon rein juristisch und finanztechnisch?«

»Besorgnis erregend ist das Ganze, Mr. Oppenheimer! Mehr noch! Es ist eine Katastrophe!« Der hagere Mann, dessen exzellente Ausbildung und analytischen Fähigkeiten ihm die Position des Leiters der Finanzabteilung des Diamantenkonsortiums eingebracht hatten, stand nun auch auf. Er sprach im Gehen. »Wer Rohdiamanten in diesem Wert per Post durch die Weltgeschichte schickt, hat noch mehr davon. Und zwar viel mehr! Denen ist das, mit Verlaub gesagt, schegal, ob diese Rohdiamanten auf dem Postweg verloren gehen. Die gehen damit um, als seien es Kieselsteine! Davon scheinen die Verfasser dieses Schreibens aber eine ganze Menge zu haben! Das ist die eine Sache. Die andere ist: Juristisch kann ich es nicht als rechtswidrig, also als illegal ansehen, wenn jemand mir signalisiert, dass er seine Berge von Edelsteinen ganz offiziell auf den Markt bringen wird und damit der Weltmarkt für Diamanten in die Knie geht. Das hat nichts mit Erpressung zu tun. Es ist doch unser Problem, wenn die Weltmarktpreise Kopf stehen und unsere Politik, das Angebot an Diamanten knapp zu halten, nicht mehr funktioniert! Nein, juristisch ist da nicht dran zu rütteln. Faktisch ist es so, dass wir eigentlich keine andere Chance haben, als uns auf dieses Spiel einzulassen. Wenn der weltweite Diamantenmarkt durch plötzlich auftauchende Massen von Rohdiamanten in Turbulenzen gerät, gehen die Preise schnell mal um zwanzig bis dreißig Prozent runter. Dann machen wir in einem Jahr eineinhalb Milliarden Dollar weniger Umsatz! Ja, eineinhalb Milliarden Dollar! Was sind da schon zweihundertfünfzigtausend Dollar im Monat für diese verklärten Fantasten, mit denen wir es hier offensichtlich zu tun haben? Meiner Meinung nach ist es besser, sich auf dieses komische Ansinnen einzulassen. Zumindest so lange, bis wir eine Ahnung haben, wer da wirklich dahinter steckt. Und vor allem, bis wir wissen, wo diese unglaublich wertvollen Diamanten herkommen. Und zwar haufenweise herkommen. Dafür muss es eine Erklärung geben.«

Jonathan Oppenheimer mochte diese Einschätzung seines Finanzchefs nicht sehr, aber er ahnte, dass Stuart Brown Recht hatte. Dennoch wollte er die Meinung seiner anderen Manager hören.

»David, Ihre Meinung, bitte!«

David Noko hatte befürchtet, gefragt zu werden. Für ihn, der erst seit drei Jahren beim DeBeers-Diamantenkonzern arbeitete und in dieser Zeit ausschließlich für die Diamantenmine in Kimberly in Südafrika zuständig gewesen war, war diese Situation schwer einzuschätzen. Er konnte die ganze Sache nur unter Imageaspekten beurteilen.

»Unser Engagement in der Aids-Bekämpfung in Südafrika hat uns nicht nur diese auch in diesem Brief erwähnte internationale Auszeichnung eingebracht. Sie hat unser Image in Südafrika extrem verbessert. Früher sorry, Chef, wenn ich das so offen sage wurde DeBeers in Afrika als Inbegriff der Ausbeutung des Schwarzen Kontinents durch die Weißen zu Lasten der schwarzen Bevölkerung gesehen. Heute sind wir in vielen Gesundheitsbereichen aktiv, im Umweltschutz und bei der Fortbildung der schwarzen Bevölkerung. Nicht zuletzt damit haben wir den Wechsel vom Apartheitsregime hin zu einem von Schwarzen regierten Südafrika unbeschadet überstanden. Viel gekostet haben uns diese Aktivitäten im sozialen Bereich nicht. Wir können sie zudem steuerlich absetzen. Und wenn ich mir vor Augen halte, dass Asien einer der zukunftsträchtigsten Märkte der Welt überhaupt ist, dann wäre es meines Erachtens für unser Image sehr förderlich, wenn wir auf diesen Zug, der uns da aufgezwungen wird, freiwillig aufspringen. Welche Alternative haben wir sonst?«

 

Jonathan Oppenheimer war vor dem Panoramafenster des Penthouse stehen geblieben. Nachdenklich starrte er in die beginnende Nacht über London. Was David da gesagt hatte, entbehrte nicht jeglicher Logik. Stuart, sein Finanzchef, schätzte die Situation ähnlich ein. Und doch sträubte sich tief in seinem Inneren etwas dagegen, sich von diesen Wahnsinnigen erpressen zu lassen. Das hatten schon andere mit DeBeers versucht. Sein Vater Nicky, der die gewaltigen politischen Veränderungen in Südafrika hautnah miterlebt hatte, konnte davon ein Lied singen. Das neue, von Schwarzen dominierte Südafrika hatte auf allen möglichen Wegen versucht, sich das DeBeers-Imperium unter den Nagel zu reißen oder es zumindest zu kontrollieren. Sein Vater hatte viele Zugeständnisse machen müssen, aber er hatte sich nie erpressen lassen. Das konnte stets nur als Schwäche gedeutet werden. Aber die DBCM war alles andere als schwach. Entsprechend selbstbewusst entschied er.

»Wir machen es so: Wir warten einfach ab, was diese indischen Illusionisten machen, wenn wir nicht reagieren! Mal unbenommen der Frage, ob die wirklich solch große Mengen an Rohdiamanten und anderen Edelsteinen haben, ist es ja auch nicht ganz so einfach, Diamanten in großen Mengen auf den internationalen Markt zu bringen. Ohne Zwischenhändler geht das nicht. Ohne Diamantenbörsen auch nicht. Hier geht es ja nicht um Tomaten! Also: Gregory, Sie als Sicherheitschef sind mir dafür verantwortlich, dass wir in nächster Zeit die Entwicklungen auf dem Weltmarkt für Diamanten extrem genau beobachten. Alles will ich wissen alles! Weisen Sie unsere Zwischenhändler und Agenten an, alles Verdächtige zu melden und verbieten Sie ihnen, Rohdiamanten unbekannter Herkunft anzukaufen. Machen Sie mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln den internationalen Diamantenmarkt zu. Keine Anzeige in der International Herald Tribune! Schauen wir mal, was dann passiert.«

*

Vier Wochen nach dieser Entscheidung von Jonathan Oppenheimer, sich nicht erpressen zu lassen, es war Mitte Juni, bekam Dr. Ajay Bapna, leitender Direktor des K.M.S. Mother & Child Hospitals in der T.-Nagar-Straße in Jaipur im indischen Bundesstaat Rajasthan überraschenden Besuch eines Rechtsanwalts aus Neu-Delhi. Der Anwalt wurde begleitet von zwei hochrangigen Regierungsvertretern, die dem nach einer halben Stunde völlig perplexen Arzt bestätigten, dass all das seine Richtigkeit habe und er die Spende des unbekannten Gönners annehmen könne.

Zur gleichen Zeit wählte Pratibha Patii, Provinzgouverneur von Rajasthan im Nordwesten Indiens, die Telefonnummer 2350774 in Jaipur und kündigte dem Chefarzt des Sadhna Nursing Home & Infertility Research Centres in Jaipur kurzfristig seinen Besuch in dem Kinderkrankenhaus an. Als er nach drei Stunden in Begleitung eines Rechtsanwalts und mehrerer Regierungsbeamter aus Neu-Delhi das Krankenhaus in der Khatipura Road verließ, schüttelte er noch immer ungläubig den Kopf. So etwas hatte er in seiner Dienstzeit noch nicht erlebt. Er war sich sicher, dass die Zeitungen und das Fernsehen morgen über diese Sache ganz groß berichten würden.

Dem war so. Am darauf folgenden Tag stand in The Hindu, einer der größten englischsprachigen Zeitungen Indiens, wie auch in der Dainik Bhaskar auf den Titelseiten nachzulesen, dass ein Unbekannter über eine renommierte Anwaltskanzlei beiden Krankenhäusern in Jaipur je einen Rohdiamanten gespendet habe. Die Edelsteine, beide mit etwa hundertzwanzig Karat und einem geschätzten Wert von zirka zwei Millionen Dollar, seien mit Wissen und Genehmigung der Regierung in Neu-Delhi an die Krankenhäuser übergeben worden. Der Fernsehsender NDTV brachte in seiner Acht-Uhr-Morgensendung Yeh Hai India einen ausführlichen Bericht über »das Wunder von Jaipur«. Unter Berufung auf die Anwaltskanzlei, die von dem Unbekannten mit der Abwicklung dieser Spende beauftragt worden war, berichtete der Fernsehsender, dass beide Diamanten zu einem sensationellen Fund außergewöhnlich großer Diamantenvorkommen in einer nicht näher bezeichneten Region von Rajasthan gehörten. Der legitime Eigentümer, so der Fernsehsender, fühle sich aus moralischen, ethischen Gründen und aus einer traditionellen Verbundenheit mit der Bevölkerung dieses indischen Bundesstaates verpflichtet, Bedürftige an seinem neuen Reichtum, den er den »göttlichen Tränen« zu verdanken habe, teilhaben zu lassen. »Der Fluch des Florentiners«, so hieß es im indischen Fernsehen unter Berufung auf eine schriftliche Verlautbarung durch die Rechtsanwälte des Spenders, sei durchbrochen: »Gottes zu Stein gewordene Tränen der göttlichen drei Brüder«, so endete der Fernsehbericht, »sind nach vielen tausend Jahren zu Tränen der Freude für das indische Volk geworden.«

 

Schon am nächsten Morgen, es war Freitag, reagierten die Diamantenbörsen in Antwerpen, wo nahe des Bahnhofs auf etwa einem Quadratkilometer mehr als eintausendfünfhundert Diamantenfirmen und vier Diamantenbörsen angesiedelt sind. In dem streng bewachten Viertel arbeiten Tausende hoch qualifizierter Diamantenexperten, um dem weltweiten Image des seit fünf Jahrhunderten existierenden Qualitätslabels »Cut in Antwerpen« entsprechen zu können. An den Börsen, wo so weltberühmte Schmuckfirmen wie Cartier, Arpels und Van Cleef ihren Vorrat an Diamanten einkaufen, fielen binnen weniger Stunde die Großhandelspreise von Einkarätern in hochfeinem Weiß um bis zu fünfundzwanzig Prozent. Die Meldung von neuen, unvorstellbar großen Diamantenfunden in Indien führte zu Turbulenzen bei den Händlern. Die Börsenaufsicht sah sich kurzfristig gezwungen, keine weiteren »Cachettes« zu akzeptieren, da sich die auf dem Umschlag vermerkten Angebotspreise zwischen Händler und Käufer binnen Kürze dramatisch veränderten. Gegen Mittag beruhigten sich Großhändler und Einkäufer wieder. Solche Meldungen von riesigen Diamantenvorkommen, die Profis in Antwerpen wussten das, gab es immer wieder einmal. Nachhaltige Auswirkungen auf die Preisgestaltung für Diamanten hatten die wenigsten dieser Meldungen, hinter denen sich zumeist miese Spekulanten verbargen.

 

Nur Jonathan Oppenheimer war extrem beunruhigt. Nervös schritt der Sohn des legendären Nicky Oppenheimer durch das Penthousebüro in der DeBeers Diamond Trading Company in London und wartete auf die Ankunft von Gregory Marsh. Der dickliche Sicherheitschef hastete ohne anzuklopfen in das Büro. Er hatte die Tür noch nicht hinter sich geschlossen, als sein Chef bereits zu reden begann.

 

»Was diese Ärsche da in Indien vorhaben, kann uns an den Bettelstab bringen! Nicht nur das, das kann die gesamte Weltwirtschaft in Turbulenzen versetzen! Schon die neusten Nachrichten aus Antwerpen gehört, Greg?«, fauchte er. Seine Nervosität war nicht zu übersehen.

»Ja, habe ich. In Antwerpen haben sie mal wieder die Flöhe husten gehört, aber es hat sich wieder alles beruhigt. Die Frage ist nur, wie lange. Denn dahinter stecken mit Sicherheit die Verfasser des Briefes, diese Fantasten!«

»Sorgen Sie dafür, Greg, dass morgen früh in der Samstagsausgabe der International Herold Tribune eine Anzeige in genau jenem Wortlaut erscheint, wie sie damals gefordert wurde! Und nächsten Samstag auch. Und in drei Wochen noch einmal! Und danach, Gregory, lassen Sie alles andere stehen und liegen und gehen Sie auf die Suche!«

»Was soll ich suchen, Mr. Oppenheimer?«

»Suchen besuchen Sie die Brüder Kasliwal! Suchen Sie diese Akuti Asha oder wie die heißt. Diese Prinzessin der Hoffnung. Ich lasse mich doch nicht von einer indischen Prinzessin auf der Erbse verarschen! Und, Greg: suchen Sie, und zwar mit allem, was Sie an Leuten zusammentrommeln können, Informationen über die Geschehnisse von Florenz und Bayern. Besorgen Sie mir alles, absolut alles, was verfügbar ist. Ich will wissen, was es mit diesen beiden Sancys auf sich hat. Und mit diesem Florentiner! Zwischenzeitlich werde ich veranlassen, dass unsere Rechtsabteilung die Gründung einer Stiftung vorbereitet. Und unsere PR- und Presseabteilung sollen eine Verlautbarung vorbereiten, dass DeBeers sich aus Verbundenheit mit dem indischen Volk veranlasst fühlt, Not leidenden Menschen in Indien über eine Stiftung zu helfen, so nach dem Motto: Indische Diamanten waren die Basis für den Erfolg des Diamantenkonzerns DeBeers dafür möchten wir die Armen Indiens an unserem Erfolg partizipieren lassen.«

»Chef?«

»Ja?«

»Wollen Sie wirklich …?«

»Ja, verdammt noch mal! Was bleibt uns anderes übrig? Wir werden sehen, wie sich das weiter entwickelt. Für Sie, Gregory, gilt fortan allerdings höchste Geheimhaltungsstufe! Finden sie den Florentiner, Greg! Wie auch immer das alles zusammengehört, weiß ich nicht. Finden Sie ihn schnell! Sein Fluch entwickelt sich zum Fluch für das Haus DeBeers. Aber ich glaube nicht an Flüche. Ich glaube nur an Diamanten schnöder Kohlenstoff, der ein paar Millionen Jahre alt ist. Aber an jeder neuen Legende verdiene ich gut. Dann haben wir jetzt eben die Legende von der sagenumwobenen indischen Prinzessin der Hoffnung und ihrem Gemahl.«

Danksagung

Die Geschichte des legendären Florentiner-Diamanten zu recherchieren, hat mir unendlich viel Freude bereitet. Es war eine faszinierende Herausforderung, historisch gesicherte Fakten und Legenden zu einem spannenden Buch zusammenzufügen. Ohne die Mithilfe kompetenter Helferinnen wäre dies kaum möglich gewesen.

Mein ausdrücklicher Dank gilt meiner Frau Béatrice, die viele noch als Frau Mag. Keminger kennen. Als gebürtige Wienerin und historisch versierte Archäologin und als Kennerin der Geschichte des Hauses Habsburg hat sie mir mit ihrer wissenschaftlichen Betrachtungsweise und ihren Insidertipps aus Wien viele tolle Anregungen gegeben.

Mein besonderer Dank gilt der intensiven Unterstützung durch das Auktionshaus Christies, allen voran Herrn Frederik Schwarz, Experte für historischen Schmuck des Auktionshauses Christies, sowie Angela Baillou vom Christies-Büro in Wien.

Mein Dank auch an Herrn Dipl.-Ing. Alexander Pachta-Reyhofen, Grevier des Ordens der Ritter vom Goldenen Vlies in Wien. Herrn Dr. Franz Kirchweger, Kustos der Kunstkammer, Weltliche und Geistliche Schatzkammer des Kunsthistorischen Museums Wien, möchte ich für die historisch gesicherten Informationen über den Florentiner-Diamanten im Zusammenhang mit dem Hause Habsburg danken. Dank auch an Frau Mag. Irina Kubadinow, Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Kunsthistorischen Museums Wien, die mir ermöglichte, meine intensiven Recherchen in der Schatzkammer Wien problemlos durchzuführen.

Herbert Ohrlinger vom Zsolnay Verlag Wien hat mir mit seinen sehr aufschlussreichen Hintergrundinformationen über das Buch Vitrine XIII sehr geholfen. Allen Experten, die mich unterstützt haben, möchte ich nochmals in Erinnerung rufen: Es ist ein Roman.