15. Kapitel

D

amit hatte Carlo Frattini nicht gerechnet. Der Sicherheitsbeamte an der Einfahrt zum Palmeraie Golf Palace Hotel & Resort ließ ihn nicht passieren. Gestern war er noch völlig problemlos reingekommen, hatte lediglich gesagt, er sei Hotelgast. Nahezu den ganzen Tag hatte er damit verbracht, sich mit den Örtlichkeiten des mehrere Hektar großen Terrains, mit dem Golfplatz, den Tennisplätzen, Reitställen und den insgesamt neun Restaurants und Bars der Anlage vertraut zu machen. Schnell hatte er erkannt, dass dieses unüberschaubare und von morgens bis abends gut besuchte Resort ideal für seine Pläne war. Niemand achtete hier auf einen Europäer. Um die fünf Swimmingpools herum lagen Urlauber aus aller Welt und marokkanische Stammgäste, die durchweg im Pulk mit vielen Kindern die Liegen bevölkerten. Nein, er als Sarde fiel hier nicht auf. Damit hatte er eine optimale Ausgangsbasis.

Draußen, in Marrakesch, mischte er sich als Gacel Sayah verkleidet, der Targi, unter die einheimische Bevölkerung. In Hotels und Restaurants verhielt er sich wie die Touristen, von denen Tag für Tag Zehntausende durch die Souks, Prachtpalais und weitläufigen Gartenanlagen der Stadt zogen. So unproblematisch hatte er sich das nicht vorgestellt, als er von Italien aus losgeflogen war. Sein südländisches Aussehen erleichterte es ihm, sich völlig frei zu bewegen. Die Stadt begann ihm zu gefallen. Sie hatte ein sehr eigenes Flair, lag wunderschön in der fruchtbaren, von herrlichen Palmenhainen und Gärten geprägten Ebene mit den jetzt schon schneebedeckten Bergen des Atlas-Gebirges im Hintergrund. Es war ein reizvolles Motiv: Die mächtige Stadtmauer, überthront von Palmen und Moscheen, durchsetzt von Palästen und wunderbaren Gärten und im Hintergrund der über viertausend Meter hohe, schneebedeckte Djabal Toubkal. Der Kontrast zwischen dem mittelalterlich-orientalisch anmutenden Treiben auf dem Djemaa el Fna und in der Medina, der Moderne in Marrakesch Nouveau und dem fantastisch-luxuriösen Ambiente in den unzähligen Palästen der Stadt war faszinierend. Das Klima war zudem sehr angenehm. Für Dezember war es noch sehr warm, tagsüber sogar warm genug, um am Pool liegen zu können. In dieser Anlage hier gab es zwei beheizte Schwimmbecken, an denen sich gestern die Gäste aufgehalten hatten. Und genau dort, in einem der dreigeschossigen, roten Wohntrakte an dem größten der insgesamt fünf Swimmingpools, lagen die zwei Zimmer, in denen sich die Araber aufhielten. Einige dieser Männer hatte er bereits identifiziert. Es waren Marokkaner, die zusammen mit ihren Familien hier in Marrakesch lebten. Er hatte bereits damit angefangen, deren Privatleben auszukundschaften. Von jenem Mann, den er in den letzten Tagen nahezu rund um die Uhr observiert hatte, wusste er, dass er einen verhältnismäßig regelmäßigen Tagesablauf hatte. Dazu gehörten der Besuch des Friseurs und der Besuch seiner Freunde hier im Hotel. Ganz offensichtlich war dieser kleine, sehr schmächtige Mann für die Logistik innerhalb der Gruppe zuständig. Er erledigte Botengänge, besorgte Fahrzeuge und schien der Kontaktmann zu bestimmten Behörden zu sein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war er bei dem Überfall auf das Schloss in Deutschland dabei gewesen. Er war ganz eindeutig Marokkaner. Bei den anderen war er sich nicht so sicher. Einer hatte seines Wissens gleich mehrere Identitäten. Nach den ihm von Freunden und Kollegen übermittelten Interpol-Daten hieß er mal Jilani Rezaigui, gelegentlich auch Faisal Ben Ait Haddou und derzeit wohl Abdel Rahman. Vieles sprach dafür, dass er der oder zumindest einer der Anführer war. Seine Nationalität war ebenso unklar wie seine Zugehörigkeit zu einer Terrorgruppe. Carlo Frattini stand noch immer mit seinem Wagen in der Nähe der Zufahrtsstraße zum Schlagbaum des Hotels. Nachdem der Wärter ihn abgewiesen hatte, war er zurückgefahren. Er überlegte, was er tun sollte. Er kannte die Gepflogenheiten hier nicht. Konnte er den Wärter mit einem kleinen Trinkgeld bestechen? Oder würde er mit einem solchen Versuch nur Aufmerksamkeit erwecken? Er war noch nie in Marokko gewesen. Das wenige Arabisch, das er konnte, hatte er in Tunesien gelernt. Diese Sprache war eine echte Herausforderung für jeden Abendländer geschrieben wie gesprochen. Schon allein das Schreiben von rechts nach links stellte alles Gelernte auf den Kopf. Die achtundzwanzig Basiszeichen der Schrift, die nie als Einzelbuchstaben, sondern stets verbunden verwendet werden, waren eine tückische Fehlerquelle für jeden Europäer. Und die gesprochene Sprache hatte sich für ihn schnell als kaum zu bewältigendes Problem herausgestellt.

Die vielen kehligen Laute malträtierten sein italienisches Sprachgefühl. Das Schlimmste war, dass Arabisch weltweit so viele Dialekte hatte, dass zum Beispiel ein Syrer mit einem Marokkaner nicht kommunizieren konnte. Sein gelerntes Hocharabisch nutzte ihm daher hier in Marrakesch nicht sehr viel. Es reichte, um sich mit einigen arabischen Schimpfworten allzu aggressive Souvenirhändler vom Leibe zu halten. Dagegen konnte er fast alles lesen auch das Schild am Schlagbaum des Hotels. Dort stand, dass Hotelgäste unaufgefordert ihre Zimmernummer sowie den Namen nennen sollten.

Verärgert wollte er soeben seinen Wagen zurücksetzen, als hinter ihm ein Auto heranfuhr und direkt hinter ihm stehen blieb. Es war ein Mietwagen. Das konnte er an zwei Querstrichen auf dem Kennzeichen erkennen. Er schaute in den Rückspiel. Am Steuer saß ein Europäer um die fünfzig Jahre. Auf dem Rücksitz konnte Carlo Frattini Golfgepäck erkennen. Der Fahrer hinter ihm hupte verärgert. Carlo Frattini beugte sich aus dem Seitenfenster heraus und rief dem Fahrer ein italienisches Schimpfwort zu. Der andere beugte sich nun ebenfalls aus dem Fenster. Als Frattini den Gang einlegte, um zurück in die Stadt zu fahren, hörte er, wie ihm der Mann in dem Golfdress auf Deutsch »Dummkopf, hier ist Halteverbot « hinterherrief.

 

*

Auf der Terrasse vor dem Zimmer im Erdgeschoss nahe dem Swimmingpool saßen drei Männer in der wärmenden Morgensonne. Sie tranken Tee. Freiherr Georg Ludwig von Hohenstein schob den Vorhang am Fenster seines Zimmers auf der gegenüberliegenden Seite des Pools mit der Waffe ein wenig zur Seite. Vorsichtig schaute er durch die Zieloptik. Zwei Männer waren durch einen Oleanderbusch verdeckt. Der dritte saß mit dem Rücken zur Terrassenwand und hielt ein Handy am Ohr. Das Zielfernrohr war von hervorragender Qualität. Gregor von Hohenstein konnte nahezu jedes Detail im Gesicht des Mannes erkennen. Er war kaum älter als dreißig Jahre, ungewöhnlich breitschultrig und dick. Der Araber trug eine goldene Kette und einen fast monströsen Goldring an der Hand, die das Handy hielt. Diesen Mann hatte er in Deutschland nicht gesehen. Vorsichtig justierte Gregor von Hohenstein die Zieloptik. Das 4-12x50-Zielfernrohr hatte eine fantastische Auflösung. Das MilDot-Absehen besaß auf dem feinen Fadenkreuz kleine Pünktchen zum Vorhalten in der Bewegung, aber das würde er nicht brauchen. Die Männer saßen nahezu bewegungslos da. Ungefähr siebzig Meter mehr waren es nicht zwischen ihm und den Arabern. Die Lochkimme mit dem Leuchtkornvisier hatte ihm soeben ein perfektes Ziel gegeben.

Langsam ließ er den Vorhang wieder zurückgleiten und setzte sich. Geradezu liebevoll strich er über die Waffe in seiner Hand. Sie war sehr leicht. Der modifizierte Schaft aus Aluminium schimmerte matt. Er griff nach der Spannhilfe. Der erste Versuch misslang. Erst jetzt wurde ihm bewusst, welch irrsinnige Kraft hinter den beiden Wurfarmen steckte. Auf neunzig Meter konnte er damit ein faustgroßes Ziel problemlos treffen. Da er sich mit solchen Waffen nicht auskannte, hatte er sich kundig machen müssen, welche Pfeile er am besten verwenden sollte. Seine Wahl war schließlich auf Carbonpfeile gefallen. Sie besaßen eine hervorragende Eigenpräzision. Die Befiederung war leicht gedrallt und ließ damit den Pfeil im Flug rotieren, was zu einer perfekten Stabilisierung führte.

Er griff nach einem der Pfeile, die er samt der zerlegten Armbrust in seinem Golfsack ins Hotel gebracht hatte. Die zwanzig Zoll langen Pfeile wogen laut Hersteller gerade mal fünfundzwanzig Gramm. Sie hatten Jagdspitzen kreiert zum gnadenlosen Töten. In Abschussposition blieben die drei Schneiden an der Spitze des Pfeils nach hinten geklappt und wurden durch einen Gummiring dort gehalten. Beim Auftreffen würden die wie Rasierklingen geschärften Schneiden auseinander klappen. Ein solcher Pfeil würde sich wie eine rotierende Rakete in das Ziel bohren und neben der Schockwirkung erhebliche innere Verletzungen bewirken. Das Opfer würde entweder direkt sterben oder verbluten. Bei der enormen Durchschlagkraft solcher Pfeile war die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Spitze auf der anderen Seite des Körpers wieder austreten würde. Das gäbe nochmals eine tödliche Wunde. Ja, diese Pfeile waren gedacht, zu töten. Deswegen hatte er sie ausgewählt. Was ihn an dieser Waffe besonders begeisterte, war, dass sie lautlos war. Kein Brechen des Schusses, kein verräterisches Mündungsfeuer verrieten den Schützen. Das Opfer würde den rotierenden Pfeil nicht hören, so schnell flogen diese gefiederten Carbon-Dinger bei einem Zuggewicht von hundertzwanzig Kilogramm. Der Tod wäre nur ein leises Surren. Mehr nicht Georg von Hohenstein legte einen Pfeil vorsichtig in die Führung. Mit dem Zeigefinger tippte er sanft gegen die Pfeilspitze, damit das hintere Ende direkt an der Sehne anliegen würde. Er wollte nochmals versuchen, die Wurfarme der Armbrust mit der Spannhilfe in Schussposition zu bringen, entschied sich dann aber, das Zielfernrohr erneut zu justieren. Ein weiterer Blick zwischen den Vorhängen hindurch, durch die Zieloptik hinüber zu den Arabern auf der Terrasse zeigte ihm, dass die Mattscheibe des Zielfernrohrs ihm ein optimales Ziel gab. Der Araber mit dem Handy war jetzt ins Zimmer gegangen, wo er ihn noch sehen konnte. Georg von Hohenstein grinste hämisch. Wenn er jetzt abdrückte, würde der Pfeil wie eine Nadel durch einen solchen Vorhang hindurchsausen. Der Mann im Zimmer würde getroffen umfallen, ohne dass die beiden anderen draußen auf der Terrasse es bemerkten. Vielleicht würde der Getroffene nicht einmal mehr Zeit zum Röcheln haben. Vielleicht würde er sogar die Zeit haben, einen zweiten Pfeil auf einen der Männer auf der Terrasse abzufeuern! Oder wäre es umgekehrt besser? Erst einen Schuss ins Herz einer der Männer draußen, dann die Schockwirkung des zweiten Mannes ausnutzen, seine Sprach- und Handlungsunfähigkeit angesichts seines blutüberströmten, von einem Pfeil durchbohrten Freundes ausnutzen, nachladen und einen zweiten Pfeil auf das nächste Opfer abschießen. Der andere würde bestimmt hochspringen und somit ein perfektes Ziel abgeben. Bei einer solch kurzen Distanz konnte man nicht vorbeischießen! Dann würde der Dritte aus dem Zimmer herauskommen und in Lebensgröße im Türrahmen stehen. Drei auf einen Schlag! Das war nur mit einer solchen Waffe möglich.

Georg von Hohenstein richtete sich abrupt auf. Als wolle er die grausamen Gedanken der letzten Minuten ausmerzen, schüttelte er sich. Er war angewidert von sich selbst, schämte sich plötzlich für das, was ihm durch den Kopf gegangen war. Was war los mit ihm? Wie konnte er nur solch brutale, menschenverachtende und zynische Gedanken haben? Nein, das war er nicht. Er war kein eiskalter Killer, der den Tod mehrerer Menschen plante. Er hatte nicht wirklich Freude an dem, was er hier tat. Er war kein Mörder! Er war immer ein friedliebender Mensch gewesen. Erinnere dich, warum du hier bist, durchfuhr es ihn. Diese Männer da drüben mochten Diebe, Räuber sein, aber sie waren Menschen. Sie hatten ihm nichts getan, auch wenn sie offensichtlich zu einer Bande gehörten. Doch das war Aufgabe der Polizei. Er war nur aus einem einzigen Grund hier und nur aus einem einzigen Grund bereit zu töten: Er wollte den Kleinen, den Schmächtigen, der Klara vergewaltigt hatte! Ihn wollte er töten. Das konnte er nur, weil es seine einzige Hoffnung war, dem Leben wieder einen Hauch von Perspektive zu geben. Wieder schaute Georg von Hohenstein durch das Zielfernrohr. Entsetzt riss er die Augen auf. Was war das auf einmal?

»Verdammte Scheiße! Mist, verfluchter «, zischte er. Die Mattscheibe des Zielfernrohrs begann milchig-trüb zu verlaufen. Das Ziel, die Terrasse, der Oleanderbusch, die Männer hinter dem Busch verschwammen. Er konnte sie nur noch schemenhaft erkennen. Alles verlief sich in Grautönen mit Kreisen um das Fadenkreuz herum. Verwirrt starrte er über das Zielfernrohr hinweg zur gegenüberliegenden Terrasse. Dann sah er, was geschah. Die tief stehende Vormittagssonne lugte langsam über den Giebel des Hauses. Sonnenstrahlen touchierten die Palmenkronen über der Terrasse und schienen nun direkt in sein Zielfernrohr! Er wusste, was nun geschehen würde, er kannte diese Situation von der Jagd. Kein Schütze konnte bei tief stehender Sonne einen halbwegs sicheren Schuss abgeben! Wieder blickte er ins Zielfernrohr und erstarrte!

Schweißtropfen schossen aus seinen Poren hervor. Sein Herz raste. Seine Hand zitterte mitsamt der Armbrust. Da war er!

Der schmächtige Araber, der Mann, der Klara vergewaltigt hatte! Er hatte offensichtlich die ganze Zeit hinter dem Busch gesessen. Jetzt stand er mitten auf der Terrasse. Die Sonne schien immer mehr in das Zielfernrohr. Das Bild jenes Mannes, den er hasste, löste sich auf der Mattscheibe in Grautönen auf. Sein Körper war faktisch nicht mehr zu sehen. Er trug ein rotes Hemd, dessen Farbe sich mit dem Orange in der Zieloptik zu diffusen Prismen und Kreisen einte. Weg war der Körper, aber er sah den Kopf, das Gesicht. Jenes Gesicht, das ihn hämisch angelacht hatte. Ja, ohne Zweifel: Das war er! Und dann war er weg. Die Sonne strahlte in voller Kraft genau in die Linse des Fernrohrs. Er war da, er konnte ihn, das rote Hemd, über das Zielfernrohr hinweg sehr gut und klar und erschreckend nahe sehen. Aber schießen konnte er nicht mehr. Ohne Zielfernrohr war das nicht möglich. Dann verschwand der Schmächtige im Hotelzimmer. Genau in diesem Augenblick klingelte das Handy von Freiherr Georg von Hohenstein. Der Ton riss ihn aus der dumpfen Welt des Tötens und des Hasses. Zitternd klappte er das Handy auf. Mit einem Auge schielte er noch immer hinüber auf die Terrasse. Da war niemand mehr zu sehen. Die Stimme am anderen Ende des Telefons war sehr freundlich und warm. Es war eine Frau. Er kannte sie nicht. Er hörte ihr auch nicht richtig zu. Alles um ihn herum war irreal, verzerrt, ein Albtraum.

»Sagen Sie das noch mal «, schrie er plötzlich in sein Handy. Ja, er schrie ungläubig, glücklich, zweifelnd und doch voller Glauben. Dann weinte er hemmungslos.

*

Faisal Jawda hatte ein höchst eigentümliches Gefühl. Er wusste, dass er träumte. Aber er wusste auch, dass er vor Sekunden noch einen Artikel in der Gazette du Maroc gelesen hatte. Solche Halbschlafmomente kannte er mochte sie. Es war ein wunderschönes, zeit- und raumloses Gefühl, so wie auf einem Wattebausch schwebend auf dem Friseursessel unter dem schattigen Baum zu liegen und der realen Welt zu entgleiten. Er sah über sich die Äste und Blätter des sich sanft in der Mittagshitze bewegenden Eukalyptusbaumes. Und doch waren sein Geist und sein Körper entfleucht. Er hatte oft darüber nachgedacht, wie er dieses Gefühl des Schwebens und Dahintreibens erhalten konnte. Entspannter konnten Körper und Geist nicht sein. Nicht einmal wenn er Haschisch rauchte oder den Rauch der Wasserpfeife lange und tief inhalierte, kamen solche Empfindungen zustande.

Heute war es besonders intensiv, was wahrscheinlich damit zu tun hatte, dass er tatsächlich sehr entspannt war. Zu Recht. Die Dinge liefen gut. Seine beiden Freunde hatten ihn heute Morgen wissen lassen, dass sie die Zimmer im Hotel wahrscheinlich in einer Woche aufgeben würden, weil ihre Arbeit erledigt sei. Deshalb war er nach Marrakesch gefahren, hatte sich eine Zeitung gekauft und war zu seinem Freund, dem Friseur gegangen. Moussa war nicht da, aber der Laden war wie immer geöffnet. Er hatte er sich auf dem Sessel im Freien ausgestreckt, seine Zeitung gelesen und war darüber eingeschlummert, bis ihn die Worte in dieser seltsamen Sprache zu stören begannen.

Arabisch war es nicht, was er da hörte. Auch die Stimme kannte er nicht. Sie kam von irgendwo hinter ihm. War es wieder ein Tourist, der hier zufälligerweise vorbeikam und nach dem Weg fragte? Mühsam rappelte er sich hoch. Und drehte sich, auf die Ellbogen gestützt, um. Da war zwar keine Stimme mehr, aber hinter ihm stand ein Mann. Es war ein Targi, in blauem Gewand, das Gesicht und den Kopf mit einem schwarzen Tuch umwickelt. Nur die Augen waren zu sehen. Doch diese Augen waren nicht die jener Männer, die er, Faisal Jawda, so gut kannte. Als Soldat hatte er seinen Dienst im Süden Marokkos absolviert. Vier Jahre lang war er in Guelmim und später in Tarfaya, südlich des Anti-Atlas-Gebirges, stationiert gewesen. Der militärische Konflikt um Spanisch-Sahara war zwar damals schon beendet gewesen, aber in Rabat traute niemand den einstigen Guerillas der Frente Polisario wirklich. Das waren höchst unbeugsame, freiheitsliebende Männer. Mit dem marokkanischen König in Rabat hatten sie ebenso wenig im Sinn wie mit seinen Vorstellungen von einem geeinten Marokko. Diese Männer mochten keine Gesetze und Reglements. Sie mochten keine Fremden. Sie mochten nur die Wüste. Les hommes bleus die blauen Männer, hatten die französischen Kolonialherren sie genannt. Und auch sie hatten die Tuareg wegen ihres extremen Freiheitsdrangs und des Beharrens auf ihren traditionellen Lebensformen gehasst. Die Tuareg in Algerien hassten Unfreiheit ebenso, wie es jeder Targi in Mali, Niger, Mauretanien und auch in Marokko tat. Sie liebten die Wüste. Und sich selbst. Sie fühlten sich als Söhne der Wüste. Sonst nichts. Ihre Heimat lag zwischen den Horizonten der Dünen der Sahara. Grenzen kannten und akzeptierten sie nicht. Und weil dieses Selbstverständnis nicht mit neuzeitlichen Regierungsformen, mit Staatsgrenzen, Schulen und anderen »Unfreiheiten« der Gegenwart in Einklang zu bringen war, waren les hommes bleus Nordafrikas unbeliebt. Dass sie jetzt vermehrt nach Marrakesch kamen, um sich gegen Geld von Touristen fotografieren zu lassen, störte viele hier in der Stadt. Diese Männer waren renitent, streitsüchtig und wehrhaft. Immer hatten sie einen Dolch unter dem Gewand verborgen und trugen diese verfluchten Schwerter mit sich, mit denen sie perfekt umgehen konnten. Der Targi, der jetzt hinter ihm stand, hatte auch so ein Ding: gut einen Meter lang, mit einem Griff aus gegerbtem Ziegenleder. Die Klinge war schmal, hatte zwei Blutablaufrinnen und einige Gravuren. Es handelte sich um einen Skorpion und ein paar Schlangenlinien. Faisal Jawda konnte die Details auf dem Schwert genau erkennen. Es war das Schwert eines Targi. Aber dieser Mann war kein Targi! Seine Augen verrieten ihn. Diese Augen trugen zwar auch dieses Hochmütige, Unbeugsame, von Hass Erfüllte in sich, aber es waren keine Augen, die von der Wüstensonne Afrikas zu Sehschlitzen deformiert worden waren. Der Mann hatte nicht die typischen Falten beidseitig der Augen vom ewigen Zusammenkneifen als Schutz gegen die grellen Reflexe in den Sanddünen. Die Augen dieses Mannes waren sehr klar. Sie sagten etwas. Er konnte lesen, was es war.

Panisch schoss Faisal Jawda hoch und versuchte, sich aufzurichten. Er musste sich dabei mit dem Oberkörper umdrehen und verlor den Mann für Bruchteile von Sekunden aus den Augen. Aber er hörte, was geschah, denn er kannte das Geräusch einer durch die Luft sausenden Klinge, deren Vibration Töne kreiert, die nur kennt, wer sie schon einmal ganz nahe an seinem Kopf gehört hat. Er hatte solche Töne gehört! In der Wüste. Bei einem Streit mit einem Targi, der sich sein Schwert nicht von den Soldaten hatte abnehmen lassen wollen. Wie ein Wahnsinniger hatte er die schmale, dünne Klinge durch die Luft sausen lassen, um sich die Soldaten vom Leibe zu halten. Nur knapp war diese Klinge an seinem Ohr vorbeigesaust. Seither kannte er, Faisal Jawda, diesen Ton. Er trug den Tod in sich. Das wusste er. Und genau diesen Ton hörte er jetzt hinter sich. Er wusste nur nicht, warum

 

*

Oberst Khalid Semouri, Offizier des Geheimdienstes DST von Al-Mamlaka al-Maghrebia, wie Marokko sich offiziell nennt, machte die Anwesenheit europäischer Geheimdienstleute und hochrangiger Polizisten aus Europa nervös. Vom deutschen Bundeskriminalamt war gestern Abend ein Abteilungsdirektor eingeflogen. Die Österreicher hatten ebenfalls einen Beamten geschickt. Aus Rom war gleich ein Stellvertreter des Staatssekretärs mit einem Sonderflugzeug gelandet. Und ein Beamter der Interpol-Sonderkommission aus Lyon war anwesend. Marrakesch war plötzlich zum Treffpunkt hochrangiger Polizisten und Nachrichtendienstler aus Europa geworden. Viele unangenehme Fragen waren gestellt worden. Mit den Antworten waren die ausländischen Kollegen nicht immer zufrieden gewesen. Entsprechend angespannt war die Stimmung. Auch er fühlte sich bei dem Gedanken unwohl, dass sein Land durch die Aktivitäten dieser Terroristen weltweite Aufmerksamkeit erlangen würde. Davon hatte man, seit die Geschehnisse in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla eskalierten, wahrlich genug. Der Flüchtlingsstrom von Tausenden Schwarzafrikanern, die aus den südlich der Sahara gelegenen Staaten nach Marokko einsickerten, um von den beiden zu Spanien gehörenden Küstenstädten nach Europa zu kommen, stellte Marokko vor schier unlösbare Sicherheitsprobleme. Hinzu kamen islamische Fundamentalisten, die Marokko als Stützpunkt nutzten und mit Anschlägen wie dem in Casablanca einen der wichtigsten Wirtschaftszweige Marokkos, den Tourismus, empfindlich trafen. Und jetzt auch noch diese Verbrecher, derentwegen bei Interpol eine eigene Sonderkommission eingerichtet worden war und von denen vermutet wurde, dass sie ebenfalls Mitglieder einer islamisch-fundamentalistischen Terrorgruppe waren. Dass man diese Sonderkommission sinnigerweise Mraksch nannte, hatte Seine Majestät, den König von Marokko, Mohammed VI., außerordentlich erzürnt. Der Geheimdienst DST war angewiesen worden, dieses »Problem auf unkonventionelle Weise« sehr schnell zu lösen. Seit den Geschehnissen am gestrigen Tag schien das jedoch ein höchst schwieriges und gefährliches Unterfangen zu werden. Nach dem dramatischen Zwischenfall gestern waren alle Sicherheitsorgane Marokkos in höchster Alarmstufe versetzt worden. Ausländische Geheimdienstleute und europäische Polizisten waren jetzt nicht mehr sonderlich willkommen. Sein Land war zwar Mitglied von Interpol und legte bei der Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels auf eine enge Kooperation mit den Europäern Wert. Wenn es jedoch um innere Angelegenheiten ging, neigte auch der junge König in all seiner Liberalität und seinen Tendenzen zu mehr Transparenz, zu Wegen, die seinem Vorgänger und Vater schon den Ruf eingebracht hatten, nicht gerade demokratisch zu sein. Seit man wusste, dass hochrangige Beamte des marokkanischen Innenministeriums Kontakte zu dieser Gruppe hatten, ihnen Pässe und Visa lieferten, waren des Königs Berater hoch sensibilisiert. Es galt, das Ansehen Marokkos zu schützen. Mit welchen Mitteln war dabei gleichgültig. »Liquidieren«, hatte der Innenminister gesagt. Oberst Khalid Semouri sah das ebenso. Sollte man solch brutalen Männern etwa mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegentreten? All diese Europäer störten ihn enorm. Zu viele kritische Augen würden beobachten, wie seine Spezialeinheit vorgehen würde. Die Vorabklärung hatte eine gute Lagesituation ergeben. In den beiden Hotelzimmern waren alle Telefonate abgehört, die Zimmer selbst verwanzt worden. Jeder Schritt der Terroristen wurde von Observanten verfolgt. Gestern Nacht war von Seiten der Europäer ein Vorschlag für eine Lösung des Problems gemacht worden, der ihm nicht gefiel. Nur widerwillig hatte er, als Leiter der marokkanischen Antiterroreinheiten, dem zugestimmt. Oberste Maxime, so war er vom Innenminister persönlich angehalten worden, war Schadensbegrenzung. Und keine negativen Schlagzeilen in der Weltpresse! Er schaute auf die Uhr. Es war sieben Uhr. Die Sonne ließ das Zielobjekt erstrahlen. Die Palmen wiegten sich im Wind. Auf der Zufahrtstraße war es auffällig ruhig. Kein einziges Auto befuhr die Straße vom Dar Tunsi zu dem Palast. Alles war weiträumig abgesperrt.

Neben ihm standen Kriminalhauptkommissar Bernhard Kleimann von Interpol und sein deutscher Kollege vom Bundeskriminalamt. Die beiden würde er gleich brauchen. Sie schauten ihn erwartungsvoll an. Die Observation hatte ergeben, dass er noch schlief. Im Objekt befanden sich insgesamt acht Personen. Hinzu kam das Hauspersonal. Oberst Semouri nahm das Funksprechgerät in die Hand. »Zugriff!«, flüsterte er.

 

Freiherr Georg von Hohenstein bekam fast einen Herzinfarkt, als die Tür zu seiner Suite im Palais Rhoul mit einem unvorstellbar lauten Knall, begleitet von grellen Blitzen und gefolgt von dichten Qualmwolken, aus der Angel flog. Er lag im Bett und war von der schlaflosen Nacht völlig erschöpft. Panisch riss er die Arme schützend vor sein Gesicht, wollte sich aus dem Bett aufrichten und fliehen. Mehrere Männer in dunklen Tarnanzügen hechteten auf ihn zu und fixierten ihn mit ihren Körpern. Er konnte ihren Schweiß riechen. Alle waren maskiert. An ihren Augen sah er, dass es Araber waren. Sie waren bereit zu töten. Er hatte solche Augen vor nicht allzu langer Zeit bei sich zu Hause auf seinem Schloss an der Donau gesehen. Solche Augen würde er nie wieder in seinem Leben vergessen. Die Araber pressten ihn aufs Bett. Die Mündungen ihrer Pistolen und Maschinenpistolen waren auf seinen Kopf gerichtet. Er hatte Todesangst und war sich sicher, dass dies sein Ende sein würde. Dann hörte er eine seltsame Stimme.

»Herr Freiherr von Hohenstein Sie brauchen keine Angst zu haben! Kleimann Kriminalhauptkommissar Bernhard Kleimann ist meine Name. Diese Männer werden Sie jetzt loslassen. Dann werden Sie Ihre Koffer packen, werden uns aus diesem wunderschönen Tausendundeine-Nacht-Palast hinausbegleiten und in ein Flugzeug steigen, das wir Ihnen bereitgestellt haben. Sie werden zu Ihrer Frau fliegen und sich um sie kümmern. Sie wissen ja seit dem Anruf gestern, dass ihre Frau aus dem Koma erwacht ist. Sie braucht Ihre Hilfe, Ihre Liebe! Sie braucht keinen Killer an ihrer Seite! Sie, Herr von Hohenstein, werden Ihre höchst eigentümliche Golfausrüstung samt der Carbonpfeile hier lassen! Sie werden mit niemandem über all das hier sprechen. Auch nicht mit Ihrer Frau! Und wir werden auch mit niemandem darüber sprechen, wenn Sie sich an diese Regeln halten. Wenn nicht, verschwinden Sie mindestens zwanzig Jahre in einem marokkanischen Gefängnis irgendwo in der Wüste.«

Georg von Hohenstein war erschüttert. Er brach zusammen.

Er weinte und schüttelte sich vor Entsetzen und vor Freude. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er die Augen wieder öffnen und ein Wort sagen konnte. Die Männer mit den Waffen waren weg. Die aufgesprengte Tür seiner Suite lag mitten im Raum. Es roch nach verbranntem Holz. Es waren nur noch drei Männer anwesend. Der deutsche Kriminalhauptkommissar trat an sein Bett. Ein arabisch aussehender Mann mit sehr grimmigem Gesichtsausdruck stand neben ihm.

»Kennen Sie diesen Mann?«, fragte der Deutsche und hielt ihm ein grausiges Farbfoto entgegen. Der Kopf des Mannes, der da abgelichtet worden war, ließ keine Zweifel aufkommen, dass es ein Toter war. Georg von Hohenstein kannte ihn.

»Ja«, schluchzte er entsetzt, »ich kenne diesen Mann. Er hat er hat mich und meine Frau auf unserem Schloss überfallen. Und er hat meine Frau «

»Ich weiß, was dieser Mann getan hat, Herr von Hohenstein. Wir alle wissen es. Wir wissen auch, was Sie vorhatten. Der Provinzgouverneur von Ouarzazate hat die Beamten vom marokkanischen DST auf Sie aufmerksam gemacht. Er hat sich gefragt, wieso Sie ein Zielfernrohr für die Jagd auf Niederwild brauchen. Schnepfen schießt man bekanntlich mit Schrot! Seien Sie froh, dass es Ihnen nicht gelungen ist, Ihren Plan durchzuführen. Sie wären hier in einem marokkanischen Gefängnis verrottet. Aber was Sie planten, Herr von Hohenstein, haben gestern andere vollendet! Wer es war, wissen wir nicht genau. Mein marokkanischer Kollege Oberst Semouri geht davon aus, dass es ein persönlicher Racheakt war. Ein Mann in einem blauen Gewand wurde in Tatortnähe gesehen. Solche Gewänder werden von den Tuareg getragen. Und Oberst Semouri sagte mir, dass die Tuareg bekannt sind für ihre brutalen Vorgehensweisen, wenn sich jemand an ihre Frauen heranmacht. Wie auch immer: Fakt ist, dass dieser Mann hier auf dem Bild, vermutlich der Marokkaner Faisal Jawda, tot ist. Seit gestern. Jemand hat ihm mit einem Schwert den Kopf vom Rumpf getrennt. Mit einem Schlag. Es heißt, es sei ein Targi gewesen. Fußabdrücke am Tatort von ledernen Sandalen sprechen für diese These.«

16. Kapitel

F

rancis Roundell war außer sich vor Wut. Und er war im höchsten Maße beunruhigt. Er legte sein Handy zur Seite und starrte aus dem Fenster. Seit Tagen war London von einer grauen Nebeldecke verhüllt. Seine Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Und jetzt auch noch dieser Anruf! Alles lief völlig anders, als es geplant war. Sein kriminalistischer Spürsinn sagte ihm, dass da unbekannte Kräfte am Werk waren. Kräfte, die er absolut nicht einzuschätzen vermochte. Das störte sein Streben nach Perfektion. Mehr noch jedoch beunruhigte ihn die Tatsache, dass er sich die Geschehnisse in Marrakesch überhaupt nicht mit eventuellen Aktivitäten von Polizeiorganisationen oder Geheimdiensten erklären konnte. Es gab keinerlei plausible Erklärungen für die aufgetretenen Probleme. Der Tod eines Mannes aus ihrer Gruppe war eher harmlos gewesen. Jedenfalls waren die Meldungen in der Presse und die kurzen Verlautbarungen seitens der marokkanischen Polizei nicht dazu angetan, nervös zu machen. Irgendein Verrückter, so wie es aussah ein Wüstennomade in blauem Gewand, hatte Faisal Jawda geköpft. Traf es zu, was die marokkanischen Behörden behaupteten, war Faisal Opfer eines Zwistes mit einem Targi, einem Stammesmitglied der Tuareg, geworden. Als Hintergrund vermutete man den persönlichen Rachefeldzug eines eifersüchtigen Mannes. Das war zwar unangenehm, denn dieser Faisal war aufgrund seines Organisationstalents und seiner exzellenten Kontakte zu Behörden eine große Hilfe für die Gruppe gewesen. Er hatte nahezu alle gefälschten Pässe, Visa und legalen Kreditkarten einer marokkanischen Bank auf verschiedene Namen besorgt. Gott sei Dank hatte es sich für ihr ganzes Unternehmen nicht negativ ausgewirkt, dass er in Deutschland so ausgerastet war und diese Frau vergewaltigt hatte. Für den weiteren Verlauf der Aktion war er zu ersetzen. Insofern musste er mit dem Tod Faisal Jawdas seinen Plan nicht ändern.

Mit dem Tod von Ibrahim, von dem er erst heute Nacht erfahren hatte, verhielt es sich allerdings ganz anders. Ein Toter war eine Sache. Zwei Tote innerhalb so kurzer Zeit, das roch nach einem Zusammenhang. Und genau den konnte Francis Roundell beim besten Willen nicht erkennen. Zumal Ibrahim auf höchst ungewöhnliche Weise getötet worden war. Zumindest ungewöhnlich für Marokko! Dieser seltsame Tod war der Grund, warum er in seinem Büro in der Christies-Zentrale so nervös umherlief. Irgendjemand hatte Ibrahim in der Nähe des Hotels Palmeraie aufgelauert und ihn mit einer Drahtschlinge erwürgt. Mit einer Drahtschlinge! In Marokko war das so ungewöhnlich, dass dieser Mord auf den Titelseiten der Zeitungen gestanden hatte. Eine einzige Zeile in einem der Zeitungsberichte hatte ihn ins Grübeln gebracht. Das Töten mit einer Drahtschlinge war ein Modus Operandi, den jeder Polizist in Europa kannte. Die Mafia wandte diese Methode gerne an. Zwischen Täter und Opfer gab es immer eine Beziehung. Täter und Opfer kannten sich. Nur so war es möglich, dass der Täter nahe genug an den zum Tode Verurteilten herankam, um ihn dann von hinten mit einer Drahtschlinge zu strangulieren. Eine grausame Form, denn in vielen Fällen waren diese Drahtschlingen so konstruiert, dass sie sich, waren sie einmal zusammengezogen, nicht mehr mit Muskelkraft öffnen ließen. Der feine Draht schnitt sich in den Hals des Opfers ein und der zum Tode Verurteilte starb unendlich langsam.

Über solchen Todesurteilen schwebte zumeist der Ruch der Vendetta. Diese Vermutung beunruhigte Francis Roundell sehr. Wer, zum Teufel, hatte Ibrahim in Marrakesch getötet? Wer kannte Ibrahim gut genug, um so nahe an ihn heranzukommen, dass er ihn auf diese Art erwürgen konnte? Wer war es, der eine italienische Variante des Fememordes so perfekt kopieren konnte und keine Spuren hinterließ? Abrupt blieb Francis Roundell in seinem Büro stehen. Italien! Florenz! Hastig zog er einen Ordner mit internationalen Pressemeldungen über den Überfall auf den Palazzo Pitti in Florenz aus dem Regal. Sein Blick blieb an einem als Titelstory in einem italienischen Magazin aufgemachten Bericht über den Raub von Florenz hängen. Er konnte nur leidlich Italienisch, aber da er Latein gelernt hatte, konnte er lesen, was dort stand: »Der schnelle Tod des alten Mannes Sardischer Museumswärter in die Luft gesprengt «

Der Museumswärter war ein alter Mann aus Sardinien gewesen, und Sardinien hatte den Ruf, die Insel der Banditen zu sein. Jahrzehntelang war nicht ein Jahr vergangen, in dem auf der italienischen Mittelmeerinsel keine Menschen entführt worden waren. Und jedes Jahr hatte es dort grausame Blutfehden gegeben. Vendetta und Omertá Rache und das ewige Schweigen: Auf jeder Polizeiakademie Europas wurden diese Termini gelehrt.

»Mist, verfluchter!«, murmelte er. Das konnte doch nicht wahr sein, oder doch? Waren die Geschehnisse in Marrakesch nicht, wie er anfänglich gedacht hatte, auf die heimlichen Aktivitäten irgendwelcher Nachrichtendienste, sondern auf den privaten Rachefeldzug eines wild gewordenen sardischen Banditen zurückzuführen? Was steckte dahinter? Francis Roundell konnte sich keinen Reim darauf machen. Und wenn schon!, dachte er schließlich und lächelte in sich hinein. Beim jetzigen Stand der Dinge war das eigentlich kein Problem. Ganz im Gegenteil, es war eher von Vorteil, zumindest für ihn selbst! Wer immer auch seinen Privatkrieg da focht, er schaffte einen Täter nach dem anderen aus dem Weg. Im Grunde brauchte er auch diese Araber nicht mehr. Zumindest nicht die in Marrakesch. Tote Araber musste man nicht mehr bezahlen. Und tote Mitwisser waren weder als Zeugen zu gebrauchen noch konnten sie ihr eigenes Spielchen spielen. Von Vorteil war auch, dass die Ermittlungsbehörden nun völlig andere Spuren verfolgten. Ja, grinste Francis Roundell hämisch, eigentlich entledigt mich das gewisser Probleme. Jetzt muss ich nur noch die Sache mit Marie-Claire in den Griff kriegen. Und das sah nicht schlecht aus, obwohl er sich fragte, warum seine Mitarbeiterin ihm bestimmte Dinge verschwieg.

»Wieso«, murmelte er leise vor sich hin, »wieso hat sie mir nichts von den Gesprächen mit dem Inder in Berlin erzählt? Wieso erfahre ich das nur über die Tonbandaufzeichnungen, die mit dem Richtmikrofon aufgenommen worden waren? Und wieso hat sie mir heute Morgen am Telefon nicht gesagt, dass sie mit Abdel Rahman auf den Weihnachtsmarkt geht?« Auch dass sie das Manuskript dieses Buches besaß, hatte sie mit keinem Wort erwähnt. Ob sie etwas ahnte? Wenige Minuten später verließ Francis Roundell, Sicherheitschef bei Christies, sein Büro. Als er aus dem Gebäude trat, war er fest entschlossen, sich den Deal seines Lebens nicht von Marie-Claire de Vries vermasseln zu lassen. Tote Zeugen sind schlechte Zeugen. Wenn das in Italien und Marrakesch galt, würde das auch in Wien gelten.

 

*

Kriminalhauptkommissar Bernhard Kleimann war sich absolut sicher, diesen Namen schon einmal gelesen oder gehört zu haben.

»Frattini Frattini «, murmelte er schon seit einer halben Stunde vor sich hin und wühlte ständig in Aktenordnern und Zeitungsausschnitten. In dem Büro, das ihm die marokkanischen Kollegen vom DST in ihrem Hauptquartier in Marrakesch eingerichtet hatten, war es stickig. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Türme von Passagierlisten. Langsam begann er, die Arbeitsweise des DST zu bewundern. In jedem europäischen Land, das wusste er, hätte es endlos lange gedauert, bis Fluglinien dazu gebracht worden wären, ihre Passagierlisten herauszurücken, vor allem dann, wenn nur ein Anfangsverdacht bestand. Hier in Marokko dagegen schienen die Sicherheitsdienste allmächtig zu sein. Alles war möglich, es mussten keine bürokratischen Hürden genommen werden. Effizienz nannte man diese Vorgehensweise. Dafür sorgte eine persönliche Direktive des jungen Königs, der den beteiligten Ermittlungsbehörden in dieser Sache absolut freie Hand eingeräumt hatte. Seitdem liefen die Ermittlungen auf Hochtouren, und die Passagierlisten aller von und nach Marokko fliegenden Airlines trudelten prompt bei ihm ein. Es waren Zigtausende von Namen. Zunächst hatte man per Computer ein Raster erarbeitet. Alle Passagiere unter achtzehn Jahren, alle über sechzig Jahre sowie nachgewiesen verheiratete Passagiere waren aus den Listen herausgefiltert worden. Alle anderen wurden direkt mit dem Interpol-Datenbestand abgeglichen. Übrig geblieben waren knapp sechstausend Namen strukturiert nach Herkunftsländern. Aus Italien waren im vorgegebenen Zeitraum nur hundertzwanzig Männer und Frauen nach Marokko eingereist. Siebzig davon waren nach Marrakesch geflogen. Dieser Frattini war einer von ihnen. Woher nur kannte er diesen Namen? Die Datenbestände von Interpol hatten keine positiven Treffer ergeben. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er starrte auf seinen Computer. Hier im Hause gab es keinen öffentlichen Internetanschluss, aber auf dem Weg zu diesem Bürohaus hatte er ein Internetcafé gesehen.

Zehn Minuten später strahlte der bei Interpol Lyon tätige deutsche Kriminalhauptkommissar Bernhard Kleimann. Google-Search! Das Ding des Jahrhunderts. Zehn verschiedene Suchbegriffskombinationen hatte er in dem Internetcafé eingegeben, immer mit dem Namen Frattini. Hunderttausende Treffer hatte er erzielt. Als er diesen Namen schließlich zusammen mit »Florenz« eingegeben hatte, hatte er vor Freude und Überraschung laut aufgeschrien. Das war es! Der tote Aufseher aus dem Palazzo Pitti in Florenz! Leonardo Frattini! Daher kannte er den Namen. Sein tragischer Tod hatte die Titelseiten der italienischen Zeitungen tagelang dominiert. Der alte Mann stammte aus Sardinien. Und jener Frattini, der hier in Marrakesch vor einigen Tagen gelandet war, war laut Auskunft des Hotels, in dem er in den ersten zwei Tagen gewohnt hatte, in Nuoro geboren. Nuoro eine Provinzhauptstadt auf Sardinien.

 

Oberst Khalid Semouri vom marokkanischen Nachrichtendienst DST, dem er das eine halbe Stunde später erzählte, war maßlos beeindruckt und zugleich besorgt.

»Es scheint, als entwickle sich diese ganze Angelegenheit zu einem außergewöhnlich komplizierten Fall. Erst dieser deutsche Adlige, der sich Marokko als Spielwiese für seine Rachefeldzüge aussucht. Jetzt vermutlich noch ein Europäer, der hier in Marrakesch den Racheengel spielt. Und was die Leute um diesen Jilani Rezaigui alias Abdel Rahman beziehungsweise Faisal Ben Ait Haddou betrifft, wissen wir noch immer nicht genau, wie wir sie einzuschätzen haben. Sind es Terroristen oder brutale Kriminelle, einfach Kunsträuber ohne Skrupel?«

»Ich gehe davon aus«, antwortete Bernhard Kleimann, »dass wir es eher mit Kriminellen zu tun haben. Oder haben Sie Erkenntnisse, die einen terroristischen Hintergrund vermuten lassen?«

»Nicht direkt, Kollege Kleimann, nicht direkt! Aber ich habe heute Morgen ein Dossier unseres Auslandsgeheimdienstes bekommen, das mich doch sehr nachdenklich macht.«

Kriminalhauptkommissar Bernhard Kleimann horchte auf. Von solchen Erkenntnissen hatte er bislang nichts gewusst. Er hatte allerdings längst erkannt, dass die marokkanischen Kollegen mit der Weitergabe von Informationen sehr zurückhaltend waren. Es schien da staatsinterne Befindlichkeiten zu geben, die nicht gerade hilfreich waren für eine international koordinierte Aktion wie diese. Oder es ging wieder einmal um Erkenntnisse des marokkanischen Nachrichtendienstes, die den Quellenschutz über alle anderen Aspekte stellten. Entsprechend vorsichtig fragte er nach.

»Neue Erkenntnisse? Können Sie mir ungefähr sagen, um was es geht?«

Oberst Semouri kratzte sich verlegen am Kopf. Es schien ihm schwer zu fallen, diese Frage zu beantworten.

»Ich werde Ihnen sagen, was ich sagen darf. Aber ich muss Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese Erkenntnisse strengstem Quellenschutz unterliegen und in keinerlei Weise zu operativen oder exekutiven Maßnahmen führen dürfen. Können Sie mir das versprechen?«

»Ja, selbstverständlich, Herr Oberst!« Bernhard Kleimann war gespannt auf das, was er nun erfahren würde. Immer noch zögerte der marokkanische Geheimdienstbeamte, sein Wissen preiszugeben. Er sprach auffallend leise.

»Wir beobachten seit geraumer Zeit die Entstehung einer terroristischen Zelle im spanischen Granada. Es gibt auffallende Reiseaktivitäten marokkanischer Staatsbürger, von denen wir wissen, dass sie engen Kontakt zu Al Kaida haben. Sie werden verstehen, dass wir dieses Wissen mit größter Vorsicht handhaben müssen. Seit den fünf terroristischen Anschlägen in Casablanca 2003, dem Anschlag auf der tunesischen Insel Djerba und vor allem seit dem grauenhaften Anschlag von Madrid wissen wir, das hier in Marokko Zellen von Al Kaida aktiv sind. Drei der Täter von Madrid waren Marokkaner! Einer von ihnen hatte Kontakt zu den Tätern von Casablanca. Und jene Leute in Granada, von denen ich jetzt spreche, gehören zum direkten Unterstützerkreis dieser Zellen.«

Plötzlich wusste Kriminalhauptkommissar Bernhard Kleimann, warum die marokkanischen Behörden in dieser Ermittlungssache auf den Codenamen Mraksch so überempfindlich reagierten. Hier ging es nicht nur um den Raub der beiden Sancy-Diamanten, hier ging es um nationale Interessen. Er ahnte, was sein Kollege ihm jetzt sagen würde.

»Der Terroristenführer Osama bin Laden hat in einer der Videobotschaften nach dem Anschlag von New York gesagt: Wir werden nicht hinnehmen, dass sich die Tragödie von Andalusien in Palästina wiederholt. Sie wissen sicherlich, Kollege Kleimann, dass Granada als letzte Bastion des Islam auf europäischem Boden im Jahre 1492 fiel, was das Ende des fast fünfhundert Jahre zuvor an der Meerenge von Gibraltar begonnenen islamischen Kreuzzugs nach Europa bedeutete. Die Moslems der Stadt wurden damals gezwungen, zum Christentum zu konvertieren. Das haben viele Moslems nie vergessen! Der spanische Regierungschef hat einmal gesagt, dass die Probleme mit Al Kaida im 8. Jahrhundert begannen, als Spanien von den Mauren erobert wurde.«

»Und was hat das mit dem aktuellen Fall, also mit dieser von uns observierten Gruppe um Abdel Rahman zu tun?«, unterbrach ihn Kriminalhauptkommissar Kleimann.

»Mehr, als mir und Ihnen lieb ist, verehrter Kollege«, erwiderte der marokkanische Geheimdienstbeamte und blickte dabei sehr ernst.

»In den letzten Jahren hat sich Granada zu einem wahren Wallfahrtsort für fundamentalistische Moslems entwickelt. Einer von ihnen ist hier aus Marrakesch! Seit einem Jahr observieren wir ihn rund um die Uhr allerdings ohne den Spaniern das zu sagen! Es ist der Bruder von Jilani Rezaigui, was übrigens sein tunesischer Aliasname ist! Dieser Jilani war sehr oft in Granada. Wir haben viele ihrer Gespräche abgehört. Furcht erregend, sage ich Ihnen! Jilani Rezaigui hat viele Namen, sehr viele. Diese Männer versuchen, fanatische junge Leute für Anschläge zu rekrutieren. Gleichzeitig sind sie damit beschäftigt, große Geldsummen aufzutreiben, ganz egal wie und wo. Wofür, darüber sind wir uns noch nicht ganz im Klaren. Wahrscheinlich haben diese beiden Raubüberfälle in Bayern und Florenz damit zu tun. Zumindest wissen wir aus den hier abgehörten Telefonaten und Gesprächen im Hotel Palmeraie, dass die beiden gestohlenen Diamanten hier in Marokko sind. Und wir wissen, dass da noch irgendetwas mit einem dritten Diamanten abläuft. Sagt Ihnen der Name Florentiner etwas?«

Kriminalhauptkommissar Bernhard Kleimann atmete laut hörbar aus. Vieles von dem, was Oberst Semouri soeben gesagt hatte, stand seit einigen Tagen als Vermutung im Raum. Dennoch überraschte es ihn sehr, dass die Täter von Bayern und Florenz so dicht an islamischen Terroristengruppierungen angesiedelt waren.

»Was sind Ihre Pläne, Ihre Direktiven, Herr Oberst?«, fragte er unverblümt.

Der Marokkaner lächelte. »Sie werden verstehen, dass mein Land alles in seiner Macht Stehende tun wird, diese unheilvolle Konstellation von Terroristen und Räubern zu sprengen. Und Sie werden verstehen, dass wir dabei Mittel und Wege wählen, die in den demokratischen Staaten Europas nicht unbedingt auf Verständnis stoßen werden! Wir müssen verhindern, dass sich unser Land zu einem Sprungbrett für islamische Fundamentalisten entwickelt, die in Europa Anschläge verüben wollen! Marokko lebt maßgeblich vom Tourismus. Wir können kein zweites Madrid oder Casablanca gebrauchen. Bäume kann man fällen, aber sie wachsen nach. Also muss man sie samt Wurzeln vernichten. Das, lieber Kollege, ist unsere Direktive aus Rabat. Und wir werden uns strikt daran halten. Wir lösen dieses Problem. Mit unseren Mitteln.«

Selbstgefällig lächelte der DST-Beamte den deutschen Kriminalhauptkommissar an, wartete, bis dieser sein Büro verlassen hatte und wählte dann eine Telefonnummer in Marokkos Hauptstadt Rabat. Eine Männerstimme meldete sich. Der Geheimdienstmann sprach sehr leise.

»Wir haben ihn lokalisiert! Die Identität steht fest ja, kein Zweifel an der Täterschaft ja, absolut sicher ja, zu Befehl!«

Wenige Minuten später erteilte Oberst Khalid Semouri über Funk einen Befehl an den Leiter der Antiterroreinheit, die seit zwei Tagen einen Renault-Kastenwagen am Stadtrand von Marrakesch observierte. Es war ein Mietwagen angemietet von Carlo Frattini.

Am späten Nachmittag kehrte der Sarde zu seinem Fahrzeug zurück. Er trug das blaue Gewand der Tuareg. Kopf und Gesicht waren verhüllt. Als er den Schlüssel in die Fahrzeugtür stecken wollte, stellte er fest, dass die Tür bereits offen war. Verwundert schaute er auf und starrte beunruhigt zu den Fahrzeugen und Häusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinüber. Er konnte nichts Verdächtiges erkennen, aber intuitiv spürte er die Gefahr. Plötzlich hatte er das Gefühl, als geschehe irgendwo da draußen in den Häusern um ihn herum etwas, was in einem direkten Zusammenhang mit dem Mann zu tun hatte, der sein nächstes Opfer werden würde: Faisal Ben Ait Haddou, der Araber, der mit dem Ambulanzflugzeug aus der Schweiz nach Marrakesch geflohen war. Alles deutete darauf hin, dass er einer der führenden Köpfe der Anschläge war. Aber er war derzeit nicht in Marrakesch. Doch irgendwann würde er zurückkehren, und dann würde er ihn töten! Genau in diesem Augenblick hatte er jedoch das Gefühl, als sei dieser Faisal jetzt irgendwo hier in seiner Nähe. Eigentlich konnte das nicht sein. Langsam zog er den Autoschlüssel heraus und versuchte, sich langsam und unverdächtig umzudrehen.

Die Kugel eines marokkanischen Scharfschützen der DST-Antiterroreinheit traf ihn genau in diesem Moment in die rechte Schläfe. Commissario Carlo Frattini aus Florenz war tot, bevor er in seinem blauen Tuareg-Gewand auf der Straße aufschlug.

 

*

Faisal Ben Ait Haddou alias Jilani Rezaigui alias Abdel Rahman war maßlos beeindruckt von dem prachtvollen Farbenmeer in den Bäumen vor und an den Fassaden des Rathauses von Wien. Tausende Papierlaternen in allen Farben hingen in den riesigen Bäumen des Parks. Alle Fenster und Erker waren festlich beleuchtet. Vom Eingang des Burgtheaters aus sah er hinüber zu den unzähligen Holzbuden auf dem Platz vor dem Rathaus, das ihn, so hell erleuchtet, wie es jetzt im frühen Abendlicht gegen den rötlichen Abendhimmel erstrahlte, irgendwie an Big Ben in London erinnerte. Den hatte er zwar nur ein einziges Mal aus dem Flugzeug heraus beim Landeanflug auf London gesehen, als er Francis Roundell besuchte, aber die Ähnlichkeit schien ihm doch gegeben.

Er sah Marie-Claire de Vries von der gegenüberliegenden Straßenseite auf ihn zukommen. Sie lächelte und sah in dem pelzbesetzten Mantel sehr verführerisch aus. »Quelle femme«, murmelte er vor sich hin und ging auf sie zu.

»Bonsoir, Marie-Claire! Ich darf Sie doch mit dem Vornamen anreden, oder?«

Marie-Claire war froh, dass es bereits ein wenig dunkel war, denn sie errötete leicht. Die Nähe dieses Mannes, seine Stimme und seine Ausstrahlung verwirrten sie. Um davon abzulenken, blickte sie auf das Lichtermeer und die Tannenbäume vor dem märchenhaft schön beleuchteten Rathaus. Auf einmal musste sie mit den Tränen kämpfen. Das romantische Ambiente des Weihnachtsmarktes, die unzähligen Lichter und Kerzen und die Gerüche aus den Würstchen-, Kastanien-, Lebkuchen- und Zuckerbäckerbuden erinnerten sie an glückliche Kindheitstage. Mit großen Augen beobachtete sie das weihnachtliche Treiben im Halbdunkel. Ein wunderbares Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie fühlte sich unendlich wohl. Die Nähe dieses Arabers löste auf eigentümliche Weise eine Flut von Erinnerungen bei ihr aus. Es waren schöne Erinnerungen aus den Zeiten, als sie glücklich und mutig durch Marokko, Tunesien, Syrien und Ägypten gereist war. Es waren die schönsten Jahre ihres Lebens gewesen frei von jeglichen bourgeoisen Zwängen des Elternhauses. Frei von zeitlichen und materiellen Zwängen. Ja, damals war sie frei gewesen, hatte tun und lassen können, was sie wollte. Davon war in den letzten Jahren nicht viel übrig geblieben. Aber sie sehnte sich danach zurück. Und irgendwie spürte sie, dass dieser Abdel Rahman ihr ein bisschen von dieser Sehnsucht erfüllen konnte.

»Kommen Sie, Abdel! Ich entführe Sie heute auf den christlichen Weihnachtsmarkt von Wien. Bald ist Weihnachten. Das Fest des Friedens und der Liebe.«

Der Abend wurde so romantisch, wie Marie-Claire es gehofft, aber auch befürchtet hatte. Was immer sie sich im Laufe des Tages an Strategien, Dialogen und Ablenkungsmanövern vorgenommen und zurechtgelegt hatte, erwies sich plötzlich als pure Illusion. Alles verlief ganz anders. Der Abend strömte dahin wie ein mächtiger Fluss, der zum Meer will und dabei keine Hindernisse akzeptiert. Sie war das Treibholz. Sie hatte sich vorgenommen, ihm mit perfiden Mitteln Geheimnisse über sein Interesse an dem Florentiner zu entlocken. Cool und berechnend hatte sie sein wollen, aber er lachte so unwiderstehlich herzlich, erfreute sich an Kleinigkeiten dieses Weihnachtsmarktes, dass sie sich schließlich schämte, solche Gedanken überhaupt gehabt zu haben. Abdel sprach überhaupt nicht über den Grund seines Aufenthaltes in Wien. Stattdessen lud er sie ein, mit ihm auf dem Kinderkarussel zu fahren.

Den ganzen Abend über wurde sie von ihren Gefühlen und Gedanken drangsaliert. Ratio und Emotion führten in ihrem Inneren Krieg. Dieser Mann, so versuchte sie sich zur Räson zu rufen, ist vielleicht gefährlich! Vergiss nicht, dass er sich für den Florentiner interessiert. Wer weiß, wer ihm den Auftrag dazu gegeben hat. Vielleicht ist auch er nur Handlanger von Leuten, die unentdeckt bleiben wollen. So, wie es bei Gregor letztendlich auch der Fall war. Gregor handelte im Auftrag einflussreicher Leute. Wer hatte Abdel Rahman beauftragt zu versuchen, das Originalmanuskript dieses Buches zu kaufen? Wer war bereit, zweihunderttausend Euro für das Manuskript auszugeben? Und warum? Er hatte im Café ganz offensichtlich heimlich in dem Manuskript geblättert. Er will nichts von dir er will nur den Florentiner! Dann erkannte sie, dass sie schon seit dem ersten Zusammentreffen mit ihm nur einen Gedanken hatte: Sie wollte ihn. Und was danach kam, war ihr vollkommen gleichgültig.

Marie-Claire ließ sich fallen. Und Abdel fing sie auf. Wenn er lachte, sah sie in seinen tiefdunklen Augen die grenzenlose Weite und Freiheit der Wüste. Wenn er sie anschaute, tauchte sie ein in jene Nacht in der syrischen Wüste bei Palmyra, in der sie zwischen den römischen Ruinen eingeschlafen und erst gegen Mitternacht so unglaublich glücklich und frei und so voller Lebenskraft wieder aufgewacht war. Er rief Erinnerungen in ihr wach, es war wie ein Zurückkehren in ihr eigentliches Leben. Damals hatte sie geahnt, dass es andere Inhalte in ihrem Leben sein würden, die den Lauf der Dinge für sie beeinflussen würden. Nicht ihr Beruf, nicht ihre Familie, nicht der Besitz. Damals hatte sie zum ersten Mal gefühlt, dass tief in ihr eine unbändige Sehnsucht schlummerte, die sie nicht näher beschreiben konnte. Männer wie Abdel Rahman gehörten zu dieser Sehnsucht! Er wirkte so frei, ehrlich und herzlich, dass Marie-Claire daran zweifelte, dass ein solcher Mensch Böses in sich tragen konnte. Sie trieb auf ihn zu, unablässig. Da war das kleine Mädchen an der Hand seiner Mutter, das vor der Zuckerwattehütte stand und mit großen Augen zuschaute, wie der Mann die süße Gaze um den Holzstab zauberte. Abdel sah die Kleine, sah ihre Augen, kaufte die Zuckerwatte und einen kandierten roten Apfel dazu, gab beides der Mutter und sagte: »Madame, Sie sollten in die Augen Ihrer Tochter schauen, dann wissen Sie, wovon Ihr Kind träumt.« Da war das alte Ehepaar, das vor dem Luftballonstand verharrte. Sie waren beide sicherlich über siebzig Jahre, gebeugt vom Leben und sehr ärmlich gekleidet. Sie wollten einen Ballon kaufen, aber sie kamen nicht an den Verkäufer heran. Abdel sah es, kaufte zwei Ballons und drückte sie den beiden lächelnd in die Hand. Marie-Claire war verzaubert.

Plötzlich tauchte aus der Menschenmenge Cathrine auf. Sie war allein.

»Hallo, Schwesterchen«, flötete sie so unangenehm schrill, dass Marie-Claire sofort erkannte, dass ihre Schwester zu viel getrunken hatte. Das geschah in letzter Zeit öfters. Der Konflikt mit ihrem Mann, die Unzufriedenheit mit ihrem Dasein hinterließen Spuren.

Cathrine war unglaublich aufreizend gekleidet. Ihr Pelzmantel war geöffnet. Darunter trug sie einen wagemutig kurzen, schwarzen Rock. Marie-Claire ahnte, dass Cathrine an diesem Abend einsam war. Und sie ahnte, dass Cathrine nur hier war, um dies zu ändern. Zumindest für diese Nacht. Missmutig küsste sie ihre Schwester auf beide Wangen.

»Darf ich vorstellen?«, wandte sie sich zu Abdel. »Meine Schwester meine Zwillingsschwester Cathrine.«

Von diesem Moment an verlief der Abend ganz anders. Es dauerte nur eine halbe Stunde, und Marie-Claire empfand wieder diese tiefe Eifersucht ihrer Schwester gegenüber. So gut sie sich verstanden, so innig und vertraut sie schon als Kinder nahezu alle Dinge des Lebens gemeinsam gefühlt und gelebt hatten, so konfliktreich war das Thema Männer stets gewesen. Alles teilten sie. Ängste, Nöte, Freuden, Empfindungen, Gedanken und Träume. Sie waren sich in vielen Dingen extrem ähnlich. Die Natur hatte sie als eineiige Zwillinge nicht nur mit einer frappierenden Ähnlichkeit, sondern auch mit wundersamen Gemeinsamkeiten, was ihr Fühlen und Denken betraf, versehen. Daraus schöpften sie viel Kraft. Streit hatte es in ihrem Leben höchst selten gegeben. Weder Neid noch Missgunst konnte ihre gegenseitige schwesterliche Liebe beeinträchtigen. Doch wenn es um Männer ging, hatte es schon mehrmals heftige Auseinandersetzungen gegeben, bei denen Marie-Claire gelegentlich voller Scham hatte erkennen müssen, dass da ein Gefühl wie Hass in ihr schlummerte. Hass auf ihre Zwillingsschwester.

Für Cathrine waren Männer kaum mehr als ein Mittel zum Zweck, Spielzeuge, austauschbare Statisten bei ihrer verzweifelten Suche nach innerer Zufriedenheit. Sie interessierte sich bei Männern nur für Äußerlichkeiten. Fesch mussten sie sein, mit einem tollen Körper. Und Geld mussten sie haben. Ja, Marie-Claire hasste Cathrine, wenn diese sich an Männer heranmachte, für die sie selbst tiefe Gefühle hegte. Sicherlich, sie hatten auch schon manch lustige Spielchen mit Männern getrieben. Ihre verblüffende Ähnlichkeit hatten sie gelegentlich für verrückte Abenteuer eingesetzt, hatten das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel in jungen Jahren einmal sogar so weit getrieben, dass sie beide im Laufe eines Abend mit ein und demselben Mann ins Bett gegangen waren, nur um herauszufinden, ob dieser Mann ihre Körper erkennen konnte. Sie hatten wissen wollen, ob dieser Mann bei all ihren körperlichen Übereinstimmungen zumindest den Unterschied ihrer Seelen bemerken würde. Aber das war vor vielen Jahren gewesen. Mittlerweile war ihr Verhältnis, wenn es um Männer ging, eher angespannt. Je frustrierter Cathrine in ihrer verworrenen, gefühllosen Beziehung geworden war, desto deutlicher wurde ihre Missgunst, wenn Marie-Claire in Begleitung eines gut aussehenden Mannes war. So wie an diesem Abend, der so wunderschön begonnen hatte und nun plötzlich von einer unangenehmen Stimmung überlagert wurde. Cathrine himmelte Abdel an. Sie hakte sich scheinbar unbedarft bei ihm ein und presste sich eng an ihn. Marie-Claire kochte vor Wut. Da war es plötzlich wieder, dieses Gefühl des Hasses! Oder hatte sie Angst, Cathrine, hemmungslos und egoistisch, wie sie sein konnte, könnte diesen schönen Abend zerstören? Wieso eigentlich? Schließlich kannte sie diesen Abdel so gut wie gar nicht. Dennoch spürte sie den Kloß in ihrem Magen, als ihre Schwester heftig mit Abdel zu flirten anfing. Die Chance, dem Treiben ein Ende zu bereiten, kam schneller als erhofft. Als Abdel sich kurz entschuldigte, fauchte Marie-Claire ihre Schwester an.

»Was soll das? Wenn du einen Mann fürs Bett brauchst, dann geh nach Hause zu deinem stinkreichen Gatten. Oder such dir deinen Lover irgendwo anders. Aber verschwinde und lass uns in Ruhe!«

Cathrine de Vries starrte ihre Schwester fassungslos an. So hatte Marie-Claire noch nie mit ihr geredet. Ihre Augen glänzten unnatürlich. Plötzlich lachte sie hämisch.

»Übernimm dich nur nicht, Schwesterlein! Hast doch drei Männer zur Auswahl: den Inder, deinen Gregor und nun auch noch einen Araber! Keiner von denen scheint dir gut genug zu sein! Obwohl, für Araber hattest du ja schon immer ein Faible. Bei dem da kann ich dich sogar verstehen.«

Marie-Claire spürte, wie sie vor Erregung zitterte. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie ihre Schwester so abgefertigt! Es war ihr unangenehm, aber es tat auch gut. Dennoch wollte sie ihre Worte relativieren. Sie sah, wie betroffen Cathrine war. Bevor sie etwas sagen konnte, drehte sich Cathrine weg.

»Ich hole mir noch was zu trinken. Verabschieden darf ich mich ja wohl noch von deinem Omar Sharif, oder …?«

Als Cathrine wenige Minuten später mit einem Glas Glühwein zurückkam, stand Abdel wieder neben Marie-Claire.

»Monsieur, ich hoffe, Sie sehen mir nach, wenn ich mich jetzt verabschiede. Ich habe zu Hause einen treuen Ehegatten, der sehnsüchtig auf mich wartet. Aber wenn Sie wieder einmal in Wien sein sollten und meine liebe Schwester Marie-Claire aus irgendwelchen Gründen keine Zeit haben sollte, können Sie mich gerne anrufen. Wäre mir eine große Freude, Ihnen dann mal Wien von seinen schönsten Seiten zu zeigen.«

Wie vom Donner gerührt starrte Marie-Claire ihre Schwester an. Sprachlos sah sie zu, wie Cathrine in ihre Handtasche griff, eine Visitenkarte hervorzog und sie Abdel reichte.

»Rufen Sie mich einfach an. Wann immer Sie möchten. Au revoir, Monsieur Abdel. Ciao, Schwesterchen.«

Wenige Augenblicke später schloss Cathrine de Vries ihren nahe des Volksgartens geparkten Wagen auf. Sie weinte, weil sie sich schämte, ihre Schwester so schlecht behandelt zu haben. Und sie fühlte sich grenzenlos einsam und allein. Die silbergraue Limousine auf der anderen Straßenseite nahm sie kaum wahr. Es war ein Fahrzeug mit Wiener Kennzeichen. Ein Mann und eine Frau saßen in dem Wagen. Dann fuhr Cathrine weg. Der Mann am Steuer des Fahrzeugs nahm ein Funkgerät in die Hand und sagte: »Schwester der Zielperson fährt stadteinwärts. Sollen wir dranbleiben?«

 

Es geschah aus Trotz und aus Verzweiflung. Im ersten Moment nach dem Disput mit ihrer Schwester hatte Marie-Claire de Vries überlegt, sich von Abdel Rahman zu verabschieden. Ihre Laune war auf einem Tiefpunkt angelangt. Sie war stinksauer auf Cathrine. Hin- und hergerissen sah Marie-Claire Abdel an.

Ein wenig enttäuscht war sie schon, dass er so bereitwillig auf Cathrines Flirten eingegangen war. Die Blicke, mit denen er den Körper ihrer Schwester gemustert hatte, waren ihr nicht entgangen. Was wollte dieser Abdel Rahman eigentlich? Ihre Schwester, sie oder doch nur den Florentiner? Zum ersten Mal in ihrem Leben traf Marie-Claire schließlich eine Entscheidung, die sich gezielt gegen ihre Schwester richtete. Sie wusste, dass sie eifersüchtig war und dass ihre Reaktion kindisch war, aber sie wollte nicht zurückstecken, sondern das tun, was sie sich den ganzen Tag über vorgenommen hatte.

»Ich habe Hunger«, leitete sie ihr Vorhaben vermeintlich unbedarft ein, griff nach seiner Hand und schmiegte sich ein wenig an seine Schulter. »Außerdem wird mir der Rummel hier zu viel. Diese Menschenmassen sind grauenhaft. Lass uns irgendwohin gehen, gemütlich essen und plaudern. Erzähl mir ein bisschen von dir.«

Marie-Claire hoffte, dass er ihre versteckte Andeutung richtig deuten würde. Der Platz vor dem Rathaus hatte sich tatsächlich merklich mit Besuchern gefüllt. Die Romantik der ersten Stunde war einem hektischen Treiben gewichen. Abdel reagierte wie erhofft. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie kaum spürbar an sich.

»Ja, lass uns das machen! Auch ich würde gerne mehr von dir erfahren. Ich glaube, dass es viele Dinge gibt, die uns verbinden. Zu viel Zeit haben wir dafür nicht, ich muss bald wieder zurück nach Marokko «

Marie-Claire blieb einen Moment stehen. Sie sah hinauf zu den erleuchteten Fenstern des Rathauses. Jedes Fenster war wie ein Weihnachtskalender verschlossen und mit einer Zahl versehen. Mit jedem Tag, mit dem sich Heiligabend näherte, wurde ein Fenster geöffnet. Es waren noch knapp zwei Wochen. Eine grenzenlose Einsamkeit überfiel sie. Weihnachten! Wo würde sie Weihnachten sein? Wieder allein zu Haus oder, aus Angst davor, bei Cathrine? Oder würde sie noch einmal eine dieser grauenhaften Reisen unternehmen, auf denen sie sich noch einsamer als zu Hause in ihrer Wohnung fühlte?

»Wir gehen zu mir, bestellen uns beim Italiener was zu essen und vergessen, was morgen sein wird okay?«

Abdel Rahman wandte sich langsam zu ihr um und blickte sie an, drang mit seinem Blick tief in ihre Seele. Er griff in ihr langes Haar, schob es zur Seite und gab ihr einen sanften Kuss auf den Halsansatz. Seine Lippen berührten ihre Haut kaum, aber sein warmer Atem ließ sie zittern. Er spürte es.

»Wir können auch später noch essen gehen «

Es gab kein Später. Es gab kein Essen. Und es gab weder Zeit noch Raum. Was geschah, als sie in ihrer Wohnung über dem Donaukanal ankamen, ließ keinen Platz für Worte. Weder sie noch er wollten sprechen. Sie wollten nichts voneinander wissen. Keiner fragte den anderen, wo er herkam und wo er hinwollte. Das Gestern war vergessen und an das Morgen dachten sie nicht, weil sie ihre Vernunft im Aufzug zu Marie-Claires Wohnung zurückgelassen hatten. Marie-Claire fühlte sich wie in Trance. Was um sie herum geschah, nahm sie nur über schemenhafte Bilder wahr: der Aufzug, die Wohnungstür, ihr verdunkeltes Schlafzimmer, das nur von den Sternen diffus erhellt wurde. Ihre Seele war verzaubert, ihr Körper hypnotisiert. Der Gedanke, dass sie noch nie bereit gewesen war, sich einem fremden Mann hinzugeben, huschte wie ein Wetterleuchten an ihr vorbei. Angst durchzuckte sie nur in jenem Augenblick, als er ihr die Bluse mit einem kräftigen Ruck zerriss. Doch sie verflog, als er sie nicht mit seinen starken Händen auf ihr Bett zwang, sondern seine Lippen über ihre Brüste gleiten ließ, sie sanft nach hinten drängte und sie spürte, dass es zärtliche Gewalt war. Nein, es war keine Gewalt! Es war Dominanz. Er bestimmte über sie, ohne es zu sagen. Und sie ließ es geschehen und genoss es. Sein Körper dirigierte sie hin zu jenem Abgrund, an dem es kein Zurück, sondern nur das Fallenlassen gab. Die Umrisse seines nackten Oberkörpers zeichneten sich gegen das von außen erhellte Fenster ab. Sie sah wenig und fühlte mit ihren Händen doch, wie muskulös und männlich sein Körper war. Sie sah seine Augen nicht, aber sie wusste, dass er ihre Augen sehen konnte. Marie-Claire schloss sie. Seine Stimme klang sanft, aber auch fordernd. Sie duldete keinen Widerspruch und erwartete keine Antwort.

»Ich muss Ihnen die Augen verbinden, Marie-Claire! So, wie Sie mich anschauen, bliebe mir nichts anderes, als Ihre Seele zu lieben. Das möchte ich nicht! Nicht heute! Erst morgen.«

Marie-Claire erschauerte. Er siezte sie! Warum? Mit geschlossenen Augen folgte sie den Geräuschen. Sein Hemd raschelte. Sie hörte, wie er es zerriss. Seine Hände hoben ihren Kopf zärtlich an. Er band ihr mit einem Teil seines Hemdes die Augen zu. Um sie herum war die Nacht. Alle Geräusche waren jetzt sehr gedämpft. Sie hörte seinen Atem nicht mehr, aber sie spürte ihn, wie er warm und schnell und gierig von ihrem Hals über die Schulter über ihren nackten Oberkörper glitt. Plötzlich verharrte er. Sie wollte nicht, dass er aufhörte. Sie wollte, dass er dort, wo sein heißer Atem soeben ihren Unterleib zum Beben gebracht hatte, weitermachte, mit seinen Zähnen ihren Rock zerriss. Aber er tat es nicht.

Er saß jetzt kniend auf ihr, presste sie mit seinem Gewicht auf das Bett. Sie erstarrte! Mit festem Griff nahm er ihre linke Hand, hob sie hoch, schnürte Stoff um ihr Handgelenk und band sie mit schnellen, geübten Handgriffen erst an den linken, dann die andere Hand an den rechten Bettpfosten am Kopfende des Metallbettes. Gänsehaut raste von ihrem Bauch hin zu den Händen und über den Rücken zurück zu ihrem Bauch. Sie war hilflos. Und sie erschrak, weil sie es liebte, so hilflos auf ihrem Bett zu liegen, vom Körper eines Mannes zu Bewegungslosigkeit gezwungen, nichts hörend und nichts sehend. Sollte sie schreien? Hatte sie Grund zu schreien? Wer war dieser Mann, der sie so fordernd und doch sanft dirigierte? Plötzlich spürte sie, wie er sich langsam zu ihr hinabbeugte. Sein Atem war jetzt fiebrig und sehr nahe an ihren Lippen. Sie sah nichts, aber sie roch ihn. Da draußen in der Dunkelheit war nur noch er. In ihm einten sich all jene Gerüche, die sie aus Syrien, Ägypten und Tunesien kannte. Gerüche, die Erinnerungen, Sehnsüchte und Begierden weckten: süßklebrige Datteln, betörender Hibiskus, der modrige Geruch des Nils; Minzetee und Apfeltabak aus heißen Shisha-Wasserpfeifen vor den Ziegenhaarzelten in den Dünen von Mezouga; salziges Meerwasser in den Ruinen von Karthago und das herbe Aroma von schwitzenden Männern mit tiefdunklen Augen und düsteren Geheimnissen. All das trug er in sich, atmete es aus, hauchte es ihr über ihren nackten Oberkörper, bis sie bebte vor Gier nach dem Kuss. Aber er kam nicht. Er tat nicht, wonach sie gierte, worum ihr Körper bettelte. Nein, er folgte nicht ihrem Verlangen. Er gab die Regeln vor. Er tat, was er wollte. Er wollte sie quälen. Sanft, liebevoll quälen. Er hauchte ihr seinen Willen über das Gesicht, presste seinen Mund über ihre Scham und ließ die Gluthitze seines Atems durch ihren Rock und durch den Slip hindurch in sie eindringen, bis sie weinte vor Lust und ihm mit ihrem bebenden Körper zeigte, dass sie noch intensiver zärtlich gequält werden wollte. Und wieder tat er, was er wollte. Und sie tat, was er vorgab. Die ganze Nacht hindurch. Er befahl, dass sie sich fallen ließ und sie fiel. Ihre Seele und Körper stürzten ab, dorthin, wo er auf sie wartete, um sie sanft aufzufangen und sie wieder mit seinem Körper dorthin zu drängen, wo sie noch nie in ihrem Leben gewesen war. Sie einten sich im Fall, losgelöst von irdischen Gesetzen. Schwerelos. Er nahm sie, wie er es wollte. Er tat es sehr bestimmend, löste die Fesseln nicht, drehte sie herum, bediente sich ihres Körpers nach seinem Verlangen. Und sie ließ ihn gewähren. In blindem Vertrauen.

Als sie am frühen Morgen die Augen aufschlug, war er weg. Noch immer lag sie an den Händen gefesselt in ihrem Bett und glaubte ihn in sich zu spüren. Aber er war weg. Nur sein Geruch haftete noch an ihr. Und dann war da plötzlich der Gedanke, ob all das nicht doch ihr Karma sei. Was war da heute Nacht geschehen? Sie hatte mit einem Mann geschlafen, den sie nicht kannte. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie bei einem Mann das Gefühl gehabt, dass er alles von ihr wusste! Ja, Abdel schien alles von ihr zu wissen. Er wusste Dinge von ihr, die sie selbst noch nicht wusste. Oder hatte sie es nur verdrängt, dass da in ihr ein Verlangen schlummerte, das er jetzt mit Leben erfüllt hatte? Kein Mann hatte sie jemals zum Höhepunkt gebracht. Aber Abdel hatte es getan. Den Gipfel der ekstatischen Wollust, auf den er sie gezwungen hatte, hatte sie die ganze Nacht hindurch nicht verlassen. Er befahl, sie hatte gehorcht. Er hatte gelockt, sie war ihm gefolgt. Er hatte ihr sanft wehgetan, weil er nicht aufhörte, als sich die Wogen der Lust in ihrem Bauch nicht mehr glätten wollten. Sein Körper, seine Hände, seine Zunge hatten weitergemacht, bis sie jammerte und wimmerte und doch hoffte, es möge nie ein Ende haben. Heute Nacht war sie einem Mann begegnet, der erkannt hatte, dass sie Dominanz liebte, aber er hatte es sehr zärtlich getan. Das hatte sie noch nie zuvor erlebt, nicht einmal geahnt, dass sie es mögen würde. Sie wollte mehr davon. Sie musste ihn wiedersehen.

 

Marie-Claire löste ihre Hände aus den Fesseln. Nur widerwillig wälzte sie sich aus dem Bett und ging ins Bad. Sie dachte an den Florentiner und die seltsamen Dinge, die um ihn herum geschahen. Auch wenn ihr nicht der Sinn danach stand, musste sie sich jetzt um ihre Arbeit kümmern. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen. Ein Wiedersehen mit Abdel musste erst einmal warten.

Auf ihrem Schreibtisch lagen Stapel von Unterlagen und mehrere Bücher, die sie lesen musste alles Material zum Florentiner. Niemand erwartete von ihr, dass sie den Florentiner aufstöbern, den derzeitigen Besitzer ausfindig machen würde. Nein, ihre Aufgabe war lediglich, die Historie des Diamanten zu recherchieren, herauszufinden, worin das Interesse von Gregor, Abdel und vielleicht auch von Sanjay an diesem Diamanten lag. Die Geschichte des Diamanten sollte sie eruieren. Mehr nicht. Bislang war sie nur von einem Abenteuer ins nächste gestolpert. Jetzt galt es, endlich den Bericht zu schreiben, den Francis von ihr erwartete. Morgen früh würde sie in die Schweiz fliegen. Dort hoffte sie, die Ruhe zu finden, die sie für das Schreiben des Berichts brauchte. Francis Roundell hatte ihr eine E-Mail geschickt und ihr einen Abgabetermin gesetzt. In einer Woche musste ihr Bericht dem Board of Directors in London vorliegen. Danach erst würde sie darüber nachdenken, wann sie Abdel Rahman wiedersehen wollte und ob es gut für sie sein würde, ihn wiederzusehen. Über Nacht war etwas hinzugekommen, das sie nur schwer einordnen konnte. Gestern noch hatte sie sich vorgenommen, egoistisch zu sein, sich zu nehmen, von Abdel Rahman zu nehmen, was sie haben wollte. Für eine Nacht haben wollte. Das war misslungen. Dieser Araber war näher an ihr wahres Ich heran gekommen, als ihr das lieb war.

Als sie gegen zehn Uhr ihren Computer ausschaltete, fiel ihr Blick auf einen Stapel Dokumente auf ihrem Schreibtisch. Hatte sie den Umschlag mit der Kopie der handschriftlichen Aufzeichnungen von Alphonse de Sondheimer gestern Morgen nicht verschlossen? Gestern hatte sie noch nicht gewusst, dass Abdel Rahman in ihre Wohnung kommen würde. Aber er war da gewesen. Die ganze Nacht. Sie hatte nicht einmal bemerkt, wann er aufgestanden und aus der Wohnung gegangen war. Plötzlich bekam Marie-Claire de Vries Angst. Auf dem Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer lag nicht nur das Manuskript zum Buch über die Vitrine XIII. Da lagen auch die Bücher über Marie-Antoinette, über die Medici und über Karl den Kühnen und die Ritter vom Goldenen Vlies. War Abdel in ihrem Arbeitszimmer gewesen? Hatte er …?

»Merde, Merde!«, fluchte sie. »Der Typ hat dir den Verstand aus dem Hirn ge …! Der Scheißkerl hat schon wieder in deinen Unterlagen geschnüffelt. Was, verdammt noch mal, will er?«

17. Kapitel

C

hâteau de Vaumarcus war in dichten Nebel gehüllt. Vom Lac de Neuchâtel konnte Marie-Claire de Vries nur erahnen, dass es rechts von ihr lag. Sie war müde und mürrisch. Ihre Freundin Christiane saß auf dem Beifahrersitz und starrte angespannt auf die Fahrbahn, von der mit Einbruch der Dunkelheit kaum mehr etwas zu sehen war. Eine unwirtliche Ruhe umgab sie.

»Ich habe die Nase gestrichen voll!«, murrte Marie-Claire.

»Für die zweihundert Kilometer von Zürich bis hierher haben wir jetzt fast fünf Stunden gebraucht. Von Bern habe ich außer einem Autobahnschild nichts gesehen. Dass es hier Berge gibt, weiß ich nur aus Büchern. Und außerdem habe ich unglaublichen Hunger.«

Christiane Schachert blickte missmutig in die in Nebel gehüllte Umgebung.

»Und mir ist schlecht! Ich hasse es, im Nebel Auto zu fahren. Dieses verfluchte Schloss muss doch jetzt irgendwann kommen. Eben sind wir an Grandson vorbeigefahren. Laut Karte sind es bis zur Schlossauffahrt dann noch drei Kilometer. Ich hoffe nur, dass wir die nächsten Tage nicht so ein mieses Wetter haben. Dann kündige ich dir die Freundschaft.«

»Und ich werde nie wieder ad hoc Kurzurlaub auf einem Schloss in der Schweiz machen jedenfalls nicht im Dezember!«

Marie-Claire meinte das ernst. Längst bereute sie, all ihre Bücher und Unterlagen über den Florentiner eingepackt und nach Zürich geflogen zu sein. Aber diese verwirrend-schöne Nacht mit Abdel Rahman hatte sie völlig aufgelöst zurückgelassen. Das Einzige, zu dem sie noch fähig gewesen war, war zu fliehen. Ihre Entscheidung, nach Grandson zu fliegen, war innerhalb weniger Stunden gefallen. Sie war nur froh, dass Chrissie ohne lange zu überlegen bereit gewesen war mitzukommen. Doch die Reise hin zu jenem Ort in der Schweiz, an dem der Florentiner, aber auch der Kleine und der Große Sancy zum ersten Mal in der Geschichte des Abendlandes offiziell genannt worden waren, hatte sich schnell als schwierig herausgestellt. Der Abflug von Wien hatte sich um eine Stunde verspätet. In Zürich musste das Flugzeug ewig wegen Nebels Warteschleifen fliegen. Und während der gesamten Fahrt zum Lac de Neuchâtel hatte sich das Wetter und damit auch ihrer beider Stimmung immer mehr verschlechtert. Seit sieben Stunden war sie nun schon unterwegs. Ihre anfängliche euphorische Stimmung war tiefer Nachdenklichkeit gewichen. Vor mehr als fünfhundert Jahren hatten hier um den See herum in Grandson, Murten und Nancy Schlachten stattgefunden, die die politische Landkarte Europas maßgeblich verändert hatten. Am 2. März 1476 waren die Heere des bis dahin als unschlagbar geltenden Burgunderherzogs Karls des Kühnen von Schweizer Truppen hier in Grandson erstmals besiegt worden. Und hier war jener Diamant erstmals aufgetaucht, der seit einiger Zeit ihr Leben völlig auf den Kopf stellte.

Der Florentiner, darüber war sich Marie-Claire im Klaren, hatte ihr Leben verändert. Dass dem Edelstein seit jeher angedichtet wurde, von einem Fluch belegt zu sein, hatte sie selbst noch vor wenigen Wochen als eine jener Legenden abgetan, deren es einige in Verbindung mit berühmten Schmuckstücken und Edelsteinen gab. Aber längst nagten Zweifel an ihrer beruflich bedingten, sehr pragmatischen und rationalen Einstellung zu solchen Legenden. Wann immer sie in letzter Zeit in all der Hektik darüber nachgedacht hatte, ob an solchen mystischen Überlieferungen nicht doch etwas Wahres dran sei, waren ihr die Worte von Sanjay Kasliwal eingefallen, der Diamanten mehr oder minder eine Seele zugestand. Früher hätte sie so etwas nur belächelt, aber in letzter Zeit waren Dinge geschehen, die sie nur schwerlich mit Zufall abtun konnte. Der seit Jahrhunderten zitierte »Fluch des Florentiners« schien auch sie erfasst zu haben. Nicht auf tragische oder tödliche Weise. Nicht so wie bei Marie-Antoinette, der Königin von Frankreich, und bei Kaiserin Sisi von Österreich. Oder wie bei Karl dem Kühnen, hier in Grandson. Sie alle hatten den Florentiner besessen und waren auf geheimnisvolle Weise ums Leben gekommen. Die ruhmreichen Herrschergeschlechter der Medici und Habsburgs, die ebenfalls den Florentiner besessen hatten, waren dramatisch schnell untergegangen. Kaiser Napoleon, einst Besitzer des Florentiners, starb in Verbannung auf St. Helena. Der letzte österreichische Kaiser, der auch der letzte Besitzer des Florentiners gewesen war, starb in Verbannung auf Madeira. Wer sollte angesichts solch tragischer Geschehnisse nicht an einen Fluch glauben?

Was immer auch in den letzten Wochen in ihrem Leben geschehen war, barg Dimensionen in sich, die sie ängstigten. Alles war anders geworden. Nichts schien mehr Bestand zu haben. Magische Kräfte schienen sie erfasst zu haben. Nicht sie bestimmte ihr Leben, nein, die Impulse kamen von außen. Am Tag und, wie bei Abdel, auch in der Nacht. Rational war das nicht mehr erklärbar, aber all das dem Fluch des Florentiners zuzuschreiben widerstrebte ihrer Art des Denkens. Wissenschaftlich betrachtet waren solche Überlieferungen zum Unheilscharakter eines Diamanten zwar absurd, Blödsinn. Aber

»Hey, du! Marie-Claire.« Die Worte ihrer Freundin Christiane rissen sie aus ihrer Versunkenheit. »Hoffentlich ist das Schloss genauso romantisch, wie es auf den Bildern aussieht. Ich habe nämlich schon immer davon geträumt, in einem von Nebel verhüllten, von gruseligen Untieren und lüsternen Schweizer Landsknechten belagerten Schloss zusammen mit einer Frau in einem Himmelbett zu liegen.«

Beide Frauen schauten sich kurz an und lachten dann lauthals los. Sie lachten so heftig, dass Marie-Claire am rechten Fahrbahnrand anhalten musste.

»Weißt du was, Marie-Claire«, presste Christiane hervor, »wir eliminieren für die nächsten Tage das Thema Männer ganz einfach aus unseren Gedanken! Ein Hoch auf das Leben! Zwei der tollsten Frauen Wiens in einem Himmelbett in einem Schloss an einem See, der leider nicht zu sehen ist. Genau! So machen wir es: lesen, essen, trinken schlafen. Ich hoffe nur, dass dieses Himmelbett breit genug ist.«

Kurz darauf erreichten sie die links der Straße auf einer Anhöhe unterhalb der Rehberge gelegene Burg. Die drei Zinnen der einstigen Festungsanlage ragten in den hier oben auf den Hügeln sternenklaren Nachthimmel. Madame Thalmann, über die Marie-Claire die Reservierung des einzigen in diesem Privatschloss zu mietenden Zimmers arrangiert hatte, begrüßte sie herzlich und führte sie durch die kalt und düster wirkenden Gemäuer hinauf zu dem Zimmer. Ein kleines Schild an der Tür wies darauf hin, dass hier in dem gleichnamigen Zimmer einst Charles le Téméraire, eine der schillerndsten Persönlichkeiten des 15. Jahrhunderts, residiert hatte. Chrissie verdrehte die Augen und flüsterte: »Buuuh, hier gibt es bestimmt Gespenster männliche Gespenster.«

Das Bett, in dem der Burgunderherzog und Souverän des Ordens vom Goldenen Vlies, Karl der Kühne, im März des Jahres 1476 genächtigt hatte, verschlug ihnen beiden die Sprache. Ein purpurfarbener Baldachin überspannte, von vier Holzpfosten getragen, das aus Eichenholz gezimmerte Hochbett, das schräg gegenüber eines traumhaft schönen, mit gelblichem Sandstein eingefassten, fast mannshohen Kamins stand. Die Gastgeberin hatte bereits ein Feuer gemacht. Der Geruch von brennendem Buchenholz durchzog den großen, mit Holzparkett ausgelegten Raum, in dessen Mitte ein antiker Holztisch mit sechs Stühlen stand. Neben dem mit rotem Samt bezogenen Sessel am Erkerfenster stand eine Ritterrüstung. Im Zwielicht des Feuers und der spärlichen Beleuchtung zweier Wandlampen waren in Deckenhöhe mittelalterliche Wandmalereien zu erkennen. Eine alte, handkolorierte Landkarte des einstigen burgundischen Reiches hing neben der Eingangstür. Marie-Claire war fasziniert. Die wohlige Wärme des Feuers und das gespenstisch-romantische Ambiente dieses Raums ließen ihr Gänsehaut über den Rücken laufen.

»Ist das nicht toll, Chrissie? Wunderschön! Wie im Mittelalter! Ein Bett wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht in einem verwunschenen Schloss! Genau der richtige Ort, um sich in alte Bücher über kühne Ritter zu vergraben und von mystischen Prinzen und legendären Diamanten aus dem Morgenland zu träumen! Es ist «

Ihr Handy läutete. Wie elektrisiert schaute Marie-Claire fragend ihre Freundin an. Dann blickte sie auf die Armbanduhr. Es war fast zehn Uhr. Wer rief sie so spät am Abend noch an? Die Nummer auf dem Display kannte sie nicht, aber es war eine Schweizer Vorwahl.

»Warum nimmst du das Gespräch nicht an?«, zischte Chrissie. Marie-Claire konnte die großen, fragenden Augen ihrer Freundin im Schein des Feuers sehen. Dann verstummte das Läuten des Handys. Marie-Claire stand noch immer wie angewurzelt neben dem Kamin. Nervös fingerte sie nach einer Zigarette und zündete sie zitternd an.

»Was ist denn los?« Chrissie sprach ungewöhnlich leise.

»Abdel …?«

»Nein, viel schlimmer!«, antwortete Marie-Claire. »Es war mein personifiziertes Karma! Ich bin mir sicher. Ich spüre, dass er es war. Und ich frage mich, ob es solche Zufälle geben kann, Chrissie! Hier, in diesem Raum, schlief vor mehr als fünfhundert Jahren jener legendäre Burgunderherzog, der vermutlich als erster Europäer den Florentiner besessen hat. Den Kleinen und den Großen Sancy auch! Er trug den Florentiner nicht seines unvorstellbaren Wertes wegen, sondern im Glauben, dass ein solcher Edelstein seinen Besitzer unschlagbar und unsterblich machen würde. Denn die Bezeichnung Diamant, das wusste Karl der Kühne, kommt aus dem Griechischen adamas der Unbezwingbare! Aber der Stein brachte ihm, dem bis dahin unschlagbaren Feldherrn, dem Herausforderer des französischen Kaisers und des deutschen Kaisers Friedrich III., kein Glück! Die mystische Macht der göttlichen drei Brüder, wie er den Kleinen Sancy, den Großen Sancy und den späteren Florentiner nannte, ließ seine Macht nach den drei Schlachten von Grandson, Murten und Nancy binnen weniger Monate zerbrechen. Die Legende sagt, dass er die drei Diamanten hier unterhalb dieses Schlosses verlor auf der Flucht vor Schweizer Heeren. Wenige Monate später gab es kein Burgund mehr. Er selbst war tot: von Schweizer Lanzen bei Nancy durchbohrt, sein im See eingefrorener Leichnam von Wölfen zerfleddert. Und kaum bin ich hier in diesem Raum, ruft er an.«

Christiane Schachert unterbrach ihre Freundin. »Hörst du jetzt auf, so mystischen Quatsch zu reden! Kein Auge mache ich hier in diesem Bett zu, wenn du so redest. Sag mir lieber, wer da angerufen hat.«

»Das ist kein mystischer Quatsch, meine Liebe! Das ist Furcht erregender Ernst! Hier, in diesem Château de Vaumarcus, begann die Legende des Florentiner-Diamanten. Der Edelstein hieß damals noch nicht so. Aber der Fluch jenes Diamanten, hinter dem ich und offensichtlich auch andere nun her sind, begann genau hier in diesem Zimmer. Hier in diesem Zimmer lagen wahrscheinlich damals auch die beiden Sancy-Diamanten. Drei unvorstellbar wertvolle Diamanten im Besitz eines Mannes, der zudem noch Souverän der Vlies-Ritter war! Alle drei Edelsteine sind jetzt verschwunden. Stattdessen sind nun gleich drei Männer in meinem Leben aufgetaucht. Alle interessieren sie sich für diese Diamanten. Keiner von ihnen sagt mir die Wahrheit, aber alle drei stellen mein Leben auf den Kopf. Mein Leben ist eine einzige Katastrophe. Das sind die Fakten, Chrissie! All das ist kein Zufall! Es ist eine Fügung, dass ich jetzt hier stehe. Es ist mein Karma, dass er jetzt anruft.«

»Wer denn, verflixt noch mal?« Christiane Schachert spürte, wie sie von der eigentümlichen Stimmung ihrer Freundin angesteckt wurde. Noch nie zuvor hatte sie Marie-Claire so erlebt. Erneut läutete das Handy der Freundin. Wie paralysiert nahm Marie-Claire das Telefon in die Hand. Sie blickte nicht auf das Display. Sie wusste, wer anrief. Ohne Chrissie anzuschauen flüsterte sie: »Das ist jener Mann, aus dessen Land der Große Sancy, der Kleine Sancy und der Florentiner geraubt wurden – vor ewigen Zeiten. Diese Diamanten gehörten seinem Volk. Deswegen ist er hier in Europa. Und glaub mir, Chrissie: Dass er genau jetzt anruft, ist göttliche Allmacht, Karma Fügung. Es ist alles, aber kein Zufall!«

Hektisch schritt Marie-Claire auf das flackernde Feuer des Kamins zu. Ihr Schatten hob sich überdimensional gegen die holzgetäfelte Decke und das Bett mit dem roten Baldachin ab. Sie nahm den Anruf an.

»Good evening, Mister Kasliwal , hallo Sanjay, wie geht es Ihnen?«

 

Marie-Claire telefonierte eine halbe Stunde mit Sanjay Kasliwal. Kaum hatte er sich gemeldet, hatte sich das vertraute Gefühl für ihn wieder eingestellt. Es kam ihr so vor, als kenne sie ihn seit ewigen Zeiten aus einem früheren Leben. Dennoch konnte sie ihrer Freundin nicht erklären, was sie dazu bewogen hatte, den Inder nach Grandson einzuladen. Sanjay hatte aus Genf angerufen, wo er sich zusammen mit seinem Bruder aufhielt. Von dort wollten sie zusammen weiter nach St. Moritz reisen. Er hatte sie angerufen, weil er Marie-Claire zum Geburtstag gratulieren wollte. An jenem schönen Abend in Berlin hatte sie ihm aus irgendwelchen Gründen ihr Geburtsdatum genannt. Ihr Geburtstag war ein weiterer Grund dafür gewesen, dass sie sich so kurzfristig entschlossen hatte, nach Grandson zu fliegen. Seit einigen Jahren hasste sie ihren Geburtstag, denn er erinnerte sie daran, dass sie älter wurde. Deswegen hatte sie Chrissie gebeten, mit nach Grandson zu kommen. Mit der Frohnatur Christiane zu fliehen, schien ihr ein Ausweg zu sein. Sie hoffte, dort die frustrierenden Erlebnisse ihrer Ägyptenreise, das Zusammentreffen mit Gregor, die Nacht mit Abdel Rahman und die mehr als turbulenten Geschehnisse rund um den Florentiner für eine Weile vergessen zu können. Hier wollte sie sich ganz auf den Bericht für Francis Roundell konzentrieren. Konnte es dafür einen besseren Ort geben als Grandson?

Gegen Mitternacht, Chrissie und sie hatten vor dem flackernden Kaminfeuer im Zimmer Charles le Téméraire des Château de Vaumarcus schweigend eine Flasche Rotwein getrunken, unterbrach Marie-Claire die Stille.

»Frag mich nicht, warum ich das gemacht habe. Frag mich bitte nicht! Ich weiß, dass mein Leben derzeit sehr chaotisch ist. Aber ich muss auch zugeben, dass ich mich unglaublich wohl fühle und erleichtert bin, seit ich weiß, dass Sanjay kommt! Von Genf nach hier ist es mit dem Auto über Lausanne kaum mehr als eine Stunde Fahrt. Er wird übermorgen gegen Mittag hier sein. Und ich freue mich wie ein kleines Kind vor dem Weihnachtsbaum auf ihn. Bist du mir deswegen böse?«

Christiane Schachert hatte ein wenig das Verlangen zu heulen. So nahe hatte sie sich Marie-Claire schon lange nicht mehr gefühlt. Dieses Zimmer, die unglaubliche Ruhe hier auf dem Hügel über dem See, das Kaminfeuer und das wunderschöne Schweigen der letzten Stunde bewirkten seltsamerweise nicht Schwermut, vielmehr fühlte sie sich gelöst und befreit. Kichernd schaute sie ihrer Freundin in die Augen.

»Du bist süß! Ich könnte dich knuddeln. Ich fühle ganz genau, dass dieser Inder in deinem Leben eine große Rolle spielt spielen wird. Ich habe nur ein einziges Problem damit.«

Marie-Claire schaute verwundert auf. »Was meinst du damit? Was für ein Problem?«

»Nun ja, Süße: Fakt ist, dass es in diesem Schloss nur ein einziges Gästezimmer gibt. Und zwar dieses hier. Um uns herum ist, glaube ich, nur Wald. Kein Hotel! Du wirst mir die sehr pragmatische Frage verzeihen, aber schlafen wir beide ab übermorgen im Bett Karls des Kühnen zusammen mit einem Inder, mit einem Märchenprinzen aus dem Morgenland? Du rechts, ich links er in der Mitte? Oder muss ich vor dem Kamin schlafen?«

Die Augen ihrer Freundin funkelten schelmisch. Sie starrten sich gegenseitig liebevoll an. Dann lachten sie los, laut und sehr glücklich.

Am nächsten Tag regnete und schneite es abwechselnd. Noch immer hüllte dichter Nebel den See und das Schloss ein. Das Wetter war so trist, das Kaminfeuer flackerte so romantisch und das Frühstück, das ihnen Madame Thalmann auf dem Zimmer servieren ließ, war so üppig, dass beide beschlossen, das Bett und das Zimmer nicht zu verlassen. Marie-Claire nahm das Manuskript über die Vitrine XIII aus ihrem Aktenkoffer und las im Bett. Chrissie dagegen saß im Sessel vor dem Feuer und stöberte in Unterlagen und Büchern über Marie-Antoinette, die Tochter des österreichischen Kaiserpaars und einstige Besitzerin des Florentiners. Um die Beziehungen mit Frankreich zu festigen, war sie im Alter von vierzehn Jahren mit dem französischen König Ludwig XVI. verheiratet worden. Als Hochzeitsgeschenk nahm die Braut auch eine prachtvolle Halskette mit nach Paris. Der große, gelbliche hundertsiebenunddreißigkarätige Edelstein, der die Kette zierte, sollte ihr kein Glück bringen. Der Fluch des Florentiners erfasste auch Marie-Antoinette. Am 16. Oktober des Jahres 1793 wurde sie in Paris wegen angeblichen Hochverrats auf dem Schafott hingerichtet.

Marie-Claire arbeitete sich durch das Manuskript über die Flucht des letzten österreichischen Kaiserehepaares in die Schweiz im Jahre 1919 durch. Die Memoiren des Schmuckhändlers Alphonse de Sondheimer, die auch einige Zeichnungen enthielten, wühlten sie auf.

»Irgendwo in diesem Manuskript muss etwas stehen, was das Verschwinden des Florentiners damals in Genf erklärt«, murmelte sie nach mehr als zwei Stunden des Lesens vor sich hin.

»Seit damals ist dieser Diamant verschwunden. Aber vieles spricht dafür, dass er irgendwo auf der Welt noch existiert. Francis Roundell lässt mich sicherlich kein Phantom suchen. Schließlich wittert er ein großes Geschäft für Christies. Gregor, Abdel und letztendlich auch Sanjay glauben ebenfalls an die Existenz des Diamanten! Zumindest Gregor und Abdel scheinen zu glauben, dass in diesen Memoiren die Erklärung zu finden ist, wer den Stein damals erwarb oder auch stahl! Weißt du, wenn du dir dieses Manuskript durchliest, dann wird eines klar: Dieser Sondheimer war ein Pedant! Der hat alles genau aufgeschrieben. Nur im Fall des Florentiners hat er das nicht gemacht jedenfalls steht darüber nichts Genaues in dem Buch! Da gibt es vage Andeutungen, dass geplant wurde, ihn in zwei oder gar mehrere Teile zu zerschneiden. Eine handschriftliche Zeichnung für diesen Plan liegt diesen Memoiren auch bei. Übrigens steht auf dieser Zeichnung oben der Name Ostier vermerkt. Irgendwo habe ich den Namen schon einmal gelesen, ich weiß nur nicht mehr, wo. Ich denke nicht, dass der Plan, den Diamanten zu teilen, durchgeführt wurde. Ich habe mit unseren Fachleuten gesprochen. Der berühmte Edelsteinexperte Jean Baptiste Tavernier hat den Florentiner für die Medici vermessen, geschätzt und dokumentiert. Damals hieß dieser Diamant noch der Toskaner und war übrigens zusammen mit den beiden Sancys im Besitz von Maria de Medici. Daher wissen wir sehr genau, wie dieser in Form eines Brioletts mit neunfacher Anordnung der Facetten geschliffene Stein aussah. Weißt du, man kann einen Diamanten nicht einfach so in der Mitte spalten oder, wie es ab dem 17. Jahrhundert gemacht wurde, mittels eines feinen Eisendrahtes, der mit durch Öl gebundenem Diamantenpulver beschichtet war, zersägen. Jeder Diamant hat eine unverwechselbare innere Struktur, eine Wachstumsrichtung und damit ein so genanntes inneres Feuer, das allerdings erst durch das perfekte Schleifen und das Polieren richtig zur Geltung kommt. Rohdiamanten sind, mit Verlaub gesagt, ziemlich unscheinbar. Jeder Diamant ist einzigartig! Wenn du ihn einfach zerschneidest, wird er fast wertlos. Besonders dann, wenn er schon wie der Florentiner geschliffen wurde. Aus den Aufzeichnungen dieses Tavernier wissen wir daher, dass der Florentiner, wenn überhaupt, nur in zwei Teile hätte zerschnitten werden können, um zwei neue, halbwegs wertvolle Edelsteine daraus zu fertigen. Daraus wären dann ungefähr ein Achtzigkaräter und ein Fünfzigkaräter geworden. Aber jedem Edelsteinliebhaber würde solch eine brachiale Tat Tränen in die Augen treiben.

Zudem liegt der Wert eines Edelsteins ja nicht nur im Materiellen. Damals in Genf schätzte man den Florentiner auf rund vier Millionen Schweizer Franken, was eine unglaubliche Summe war. Angeblich hat der österreichisch-ungarische Exkaiser Karl I. ihn ja dann für 1,2 Millionen über Sondheimer beliehen.

Nein, meine Liebe, dieser Florentiner wurde nicht zerstückelt! Glaube mir. Der wahre Wert dieses Steins ergibt sich für einen Edelsteinexperten aus seiner fantastischen Geschichte. Nur wenige Diamanten sind im Besitz so vieler edler, aristokratischer Häupter des Abendlandes gewesen. Genau das macht den Florentiner so unschätzbar wertvoll. Darin besteht ja auch meine jetzige Arbeit. Ich recherchiere die Geschichte dieses Edelsteins, damit, falls er jemals wieder auftaucht, seine Historie einwandfrei dokumentierbar ist und damit sein Preis ins schier Unermessliche steigen kann. Nein, einen solchen Diamanten teilt man nicht einfach auf. Den gibt es noch! Die Frage ist nur: Wo? Im Buch steht darüber nichts. Aber vielleicht hier in diesem Manuskript? Und vielleicht ist es eine versteckte Nachricht.«

Chrissie schaute zu ihr hinüber. »Ist das Manuskript denn nicht identisch mit dem veröffentlichten Buch?«

»Nein, absolut nicht. Wenn ich davon ausgehe, dass das, was ich hier lese, wirklich die originalgetreue Abschrift des von Sondheimer verfassten Gedächtnisprotokolls ist, dann gibt es in vielen Passagen enorme Abweichungen zwischen dem Buch und diesem Manuskript.«

»Ach so, das ist gar nicht das Original?«, blickte Christiane Schachert ihre Freundin erstaunt an.

»Nein, es ist eine Abschrift. Und wie immer, wenn es um den Florentiner geht, ist das alles sehr verworren! Einer jener Leute, die Sondheimer bei der Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen halfen, war der Schriftsteller Max-Hermann Neiße. Er lebte damals in London. Als er 1941 starb, heiratete Sondheimer seine Witwe, die, so habe ich herausgefunden, diese Abschrift verfasst hat. Sie war meines Wissens Ausländerin, was die vielen Rechtschreibfehler in dem Manuskript erklärt. Soweit ich informiert bin, gab es eine handschriftliche Version, ein Original und eine Abschrift.«

»Und warum war dieses Buch eine so geheimnisvolle Sache?«

Christiane Schachert hatte ihr eigenes Buch zur Seite gelegt und schaute ihre Freundin erwartungsvoll an. Marie-Claire blätterte kurz in ihren Unterlagen.

»Da gab es sicherlich eine ganze Menge Gründe. Zum einen hat dieser Schmuckhändler, zumindest nach seinen eigenen Angaben, geradezu unvorstellbar wertvolle Schmuckstücke im, wie er vorgibt, persönlichen Auftrag des österreichischen Exkaisers und im Auftrag seines Sekretärs verschachert, was im Zweifelsfalle nichts anderes als gewerbsmäßige Hehlerei, also eine Straftat war. Denn die neue österreichische Regierung hatte behauptet, dass große Teile des vom Kaiser in die Schweiz verbrachten Schmuckes aus den Vitrinen XII und XIII der Wiener Schatzkammer nicht Privateigentum der Habsburger, sondern Staatseigentum waren. So gesehen hätte Alphonse de Sondheimer also Diebesgut verscherbelt. Zusammen mit dem Exkaiser! Und das ist der eine heikle Punkt. Du kannst dir sicher vorstellen, dass eine solche Behauptung die Nachfahren des Hauses Habsburg zu gerichtlichen Schritten veranlasst hätte. Also hat der Verlag beziehungsweise haben Verlag und der anonyme Herausgeber wichtige Passagen des Buches mit Kommentaren und Fußnoten relativiert und juristisch entschärft. Warte, ich lese dir eine Passage vor.«

Marie-Claire blätterte in dem Buch mit dem schwarzen Schutzumschlag und der rosa-weißen Aufschrift.

»Hier ist es, auf Seite vierundzwanzig! Da werden seitenweise die mitgenommenen Schmuckstücke aufgelistet. Also: Wie man merkt, mehren sich die Hinweise auf toskanischen Staatsschmuck, bei welchem es noch weniger als beim österreichischen Staatsschmuck zu begründen gewesen sein mochte, wieso er auf einmal habsburgischer Privatschmuck geworden wäre! Das ist so eine Passage. Und was den Florentiner betrifft, findest du auf Seite siebenundzwanzig des Buches auch eine Stelle, die es in sich hat. Als Franz Stephan von Lothringen das Großherzogtum Toskana im Jahre 1736 als Ersatz erhielt, kam der Florentiner in den Besitz des neuen Großherzogs, wodurch sich der Stein als typisches Staatseigentum charakterisierte woselbst er eine von uns nicht näher zu untersuchende Transmutation in ein habsburgisches Privatschmuckstück erfuhr! Du siehst also, meine liebe Chrissie, dieses Buch wimmelt vor versteckten Andeutungen darauf, dass der Exkaiser letztendlich geklaut hat! Und ein wenig schwingt auch die Vermutung mit, dass die im Exil lebende kaiserliche Familie nicht unerhebliche Wertgegenstände und Gelder irgendwo heimlich in Tresoren versteckt hat, weil sie fürchten musste, dass ihr ganzes Vermögen konfisziert werden würde. Du kannst dir ja vorstellen, welche Empörung eine solche Behauptung im immer noch k.u.k. verliebten Österreich ausgelöst hätte, wenn sie an die breite Öffentlichkeit gelangt wäre. Am Ruf des letzten österreichischen Kaisers darfst du nicht rütteln, erst recht nicht, seit ihn der Papst seliggesprochen hat. Der andere Punkt ist der, dass Sondheimer sehr akribisch Buch darüber geführt hat, wohin er einzelne Schmuckstücke der Kronjuwelen aus der Wiener Schatzkammer verkaufte beziehungsweise verschleuderte. Er hat minuziös und detailliert aufgeschrieben, wie er Schmuckstücke bis zur Unkenntlichkeit zerstört, Edelsteine brachial aus ihren Fassungen herausgebrochen hat, damit keiner herausfinden konnte, welchem Kaiser- oder Fürstenhaus die Schmuckstücke gehörten. Den bankrotten Monarchen war wohl peinlich, dass sie plötzlich wie das gemeine Volk mit Pfandleihern zu tun hatten.«

Marie-Claire legte das Manuskript zur Seite, rutschte vom Bett, zog aus einem Stapel von Unterlagen ein Buch heraus, ging zum Kamin, streckte Wärme suchend ihren Rücken dem Feuer entgegen und blätterte in dem Buch.

»Hier, in diesem Standardwerk über Juwelen und Preziosen steht genau beschrieben, welche Schmuckstücke Graf Berchtold, seines Zeichens der Oberstkämmerer der Wiener Schatzkammer, auf Befehl des Kaisers am 1. November 1918 aus den Vitrinen XII und XIII entnahm. Den Großteil davon hat der Schmuckhändler Alphonse de Sondheimer, wie bereits gesagt, in der Schweiz verscherbelt. Irrsinnige Werte waren das! In Zahlen kann man das kaum benennen. Jedes einzelne dieser aufgeführten Schmuckstücke war damals weltbekannt, letztendlich unveräußerlich und jedes für sich Millionen wert! Alles weg, verhökert! Das müssen schon verrückte Zeiten gewesen sein, damals, im Jahre 1919 bis 1921, hier in der Schweiz. Die Zentralmächte waren zusammengebrochen und mit ihnen die Landeswährungen. Geld war nur mehr das Papier wert, auf dem es einst gedruckt wurde! Der Schweizer Franken war die Währung überhaupt. Jeder wollte Franken haben. Die aber hast du nur bekommen, wenn du Wertgegenstände und Immobilien hattest. In Bern, Zürich und Luzern ging es damals wohl sehr hoch her. Alle Staaten hatten ihre Vertreter dort. Die Hocharistokratie Europas scharte sich um die Schweizer Banken herum. Der griechische König lebte in Luzern, ebenso wie der Maharadscha von Kapurtala. In Lugano residierten Prinz Nikolaus und die anderen Griechen, in Montreux Prinzessin Palays, die ehemalige Großfürstin von Russland. Im Hotel Dolder in Zürich hielt sich die Großfürstin Anastasia auf. Und Kaiser Karl von Österreich wohnte mit seinem unglaublichen Hofstaat in der Villa Pragins zwischen Lausanne und Genf. Ich sage dir, Chrissie, damals sind in der Schweiz eine ganze Menge Leute sehr reich geworden an der neuen Armut der Fürsten und Könige. Denen blieb nämlich nichts anderes übrig, als ihre Schätze in Franken umzuwandeln. Alle berühmten Schmuckhändler-Dynastien und Bankiers hatten damals ihre Repräsentanten in der Schweiz. Wo Aas ist, sind auch Geier! Tiffany, Rosenheim, Cartier alle waren sie hier und haben den geflohenen Kaisern, Königen und Fürsten ihre Dienste angeboten. Und die haben verscherbelt, was sie hatten beiseite schaffen können. Oder sie haben alle Wertgegenstände bei Banken oder Juwelierhändlern gegen einen Apfel und ein Ei verpfändet, was meistens eine fatale Angelegenheit war. Denn zurückzahlen konnten die meisten ihre Kredite nicht mehr. Mit wahnwitzigen Summen wurde da jongliert! Nicht mit ein paar Millionen! Mit Milliarden! Diamanten, Brillanten, Königskronen und weiß der Teufel welche Kunstschätze noch verschwanden auf Nimmerwiedersehen. So auch der Florentiner. Wer immer ihn damals erworben hat: Für denjenigen ist es das Geschäft des Jahrtausends gewesen.«

Marie-Claire schwieg eine ganze Weile. Sie war wie gebannt von den detaillierten Schilderungen über die Zustände hier in der Schweiz in den Jahren 1919 bis 1921, nach dem Untergang des monarchistischen Europa und Russlands. Für Momente erinnerte sie sich an den Tag am Wörthersee in Gregors Villa. Die Rede, die sie heimlich gelesen hatte, zeigte mehr als deutlich, dass es ganz offensichtlich noch immer eine nicht unerhebliche Zahl einflussreicher Menschen gab, die weiterhin von einer Monarchie träumten und bereit waren, dafür zu kämpfen. In Österreich gab es dafür sogar eine sehr banale Erklärung. Die Erste Republik hatte sehr schnell jegliche Adelstitel verboten. Aus Aristokraten mit uralten Adelstiteln waren über Nacht titellose Staatsbürger geworden. Viele von ihnen trauerten seither jenen Zeiten nach, da ihr adliger Stand schon über den Namen sichtbar wurde. Der Enkel des letzten österreichischen Kaisers hieß jetzt Karl Habsburg und nicht Karl von Habsburg. Gregor gehörte ebenfalls zu diesen ihres Adelstitels beraubten Dynastien. Er träumte wohl auch davon, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können. Zweifelsohne saßen diese ewiggestrigen Monarchisten in ganz Europa so wie die Ritter vom Goldenen Vlies! Waren das jene Leute, die Gregor erwähnt hatte? Waren es seine Auftraggeber, für die er bei Christies in Erscheinung getreten war? War deren Interesse an dem Florentiner letztendlich machtpolitisch motiviert? Lag der Fluch des Florentiners darin begründet, dass dieser Diamant immer nur machtgierige Potentaten europäische Potentaten ins Unglück stürzte? War der Untergang des einflussreichen Templer-Ordens, eingeleitet durch die grausamen Verfolgungen durch Papst Clemens V. im Jahre 1307 und den Tod des letzten Großmeisters, Jacques de Molay, auf dem Scheiterhaufen, auf diesen Fluch zurückzuführen? Angeblich war der Florentiner über die Templer nach Europa und an die Ritter vom Goldenen Vlies gelangt. Historisch belegt war das jedoch nicht.

Es hatte schon etwas sehr Faszinierendes und Geheimnisvolles mit diesem Diamanten auf sich und mit den beiden Sancys! Jeder Europäer, jeder Fürstenhof und jedes Königreich des Abendlandes, die mit dem Florentiner zu tun gehabt oder ihn besessen hatten, waren untergegangen. Das war ein Fakt! Aber war es Zufall?

Marie-Claire versuchte die Erinnerung an Gregor abzuschütteln. Seit ihrem letzten Telefonat hatte er sich nicht mehr gemeldet. Wenn es stimmte, dass er und seine Auftraggeber kein Interesse mehr am Florentiner hatten, dann würden sie sich wahrscheinlich nie mehr wieder sehen.

Es irritierte sie, dass sie ausgerechnet hier in diesem Schloss an ihn denken musste. Karl der Kühne war hier in diesem Zimmer und in der ganzen Region allgegenwärtig. Auch er war ein Ritter vom Goldenen Vlies gewesen. Auch er hatte die edelsten und einflussreichsten Männer des damaligen Europas um sich geschart, sie über den Vliesorden moralisch und politisch an sich gebunden, weil auch er, von Größenwahn beseelt, von einem Mittelreich in Europa träumte mit ihm an der Spitze. Einem mächtigen Pendant zum französischen und zum deutschen Kaiser. Sein Traum war hier bei Grandson zum ersten Mal von eidgenössischen Heeren zerschlagen worden. Und damit hatte der Fluch des Florentiners begonnen. Zumindest hier im Abendland.

»Und, was erschüttert dich so, dass du dauernd so stöhnst und dein Gesicht verziehst beim Lesen?«, versuchte sie auf andere Gedanken zu kommen und griff nach einem Buch, das auf einem Tisch neben Christiane lag. Ihre Freundin hatte es mitgebracht, aber noch nicht erzählt, um was es in dem Buch ging. Der Titel ließ sie aufmerken: »Sanson Die Henker von Parisi Was liest du denn für gruselige Geschichten? Reichen dir unser Spukschloss und all die Geschichten um den Florentiner herum noch nicht? Mir jedenfalls brummt der Kopf! Noch nie in meinem Leben bin ich so zwischen historischen Fakten und Legenden hin und her gewankt. Ich weiß schon nicht mehr, was Wahrheit und was Mythos ist. Ich wills, ehrlich gesagt, auch bald nicht mehr wissen. Ich schreibe jetzt einfach meinen Bericht für Francis Roundell und dann mache ich Urlaub. Soll er damit machen, was er will. Aber jetzt sag: Was ist das für ein Buch?«

»Fürchterlich blutrünstig und bedrückend ist es! Wenn du dich mit den Abgründen der Menschen beschäftigen willst, wenn du wissen möchtest, wie grausam Menschen sein können und was sie sich alles einfallen lassen, um zu quälen und zu foltern, dann musst du es lesen! Aber es ist schwer verdaulich, ehrlich! Es sind die Memoiren der französischen Henkersfamilie Sanson! Als sechsbändiges Werk erstmals im Jahre 1862 in Paris erschienen.«

»Und so was liest du freiwillig?«

»Was heißt hier freiwillig, meine Liebe? Du hast mich doch gebeten, mich mit Literatur rund um den Florentiner zu beschäftigen, oder etwa nicht?«

Marie-Claire riss erstaunt die Augen auf. »Du meinst, das da ist die Geschichte des Henkers von «

»Erraten! Das hier wurde herausgegeben von Henri-Clément Sanson dem letzten männlichen Mitglied dieser Henkersdynastie, die über mehrere Generationen in Frankreich das schaurige Amt des Scharfrichters ausübte. Auch in Paris zu Zeiten der Revolution.«

»Und genau der hat …?«

»Nein, nicht er selbst! Aber sein Sohn Charles-Henri genannt der Schöne, was ziemlich skurril ist. Der schöne Henker von Paris! Dieser schöne Henker hat tatsächlich Königin Marie-Antoinette geköpft! Die aus dem Hause Habsburg stammende österreichische Frau des französischen Königs. Jene Frau, die den Florentiner einst von Wien nach Paris brachte.«

Marie-Claire de Vries schluckte betroffen. Das war noch so ein Beispiel dafür, dass der vermeintliche Fluch des Florentiners offensichtlich ausschließlich machthungrige europäische Adelige einholte. Marie-Antoinette war bekannt gewesen für ihre politischen Intrigenspielchen und für ihren zynischen Dünkel: »Sollen sie doch Kuchen fressen, wenn sie kein Brot haben«, soll sie über das französische Volk während der großen Hungersnot im Jahre 1788 gesagt haben.

»Die Legende sagt, dass Marie-Antoinette den Florentiner zusammen mit anderen Schmuckstücken während ihrer Haft in ihrem Rocksaum eingenäht hatte. Sie soll ihn dem Henker Charles-Henri Sanson übergeben haben, bevor der sie am 16. Oktober 1793 geköpft hat«, fuhr Christiane fort.

Marie-Claire lächelte. »Na, das ist ja wohl eine jener Legenden, die ich lieber nicht in meinen Bericht erwähne, oder? Das ist doch eher unglaubwürdig: Die Königin schleppt ihre Preziosen mit in den Kerker und schenkt sie dann ihrem Henker? Klingt ziemlich absurd.«

»Nein, ist es keineswegs, liebe Marie-Claire. Wenn du dieses Buch hier liest, kommst du schnell zu dem Schluss, dass es früher wohl gang und gäbe war, sich beim Henker einen schmerzlosen Tod oder andere Annehmlichkeiten zu erkaufen. Bei der Lektüre läuft es dir eiskalt den Rücken runter. Das ist nämlich so etwas wie eine historische Abhandlung über die grausamsten Foltermethoden, die sich Henker über die Jahrtausende hinweg haben einfallen lassen. Von der Schandsäule über den Pranger hin zu Männern, die verkehrt auf einem Esel sitzend durch die Stadt reiten mussten, wenn sie sich von ihrer Frau haben schlagen lassen. Immer waren es Henker, die solche Urteilsvollstreckungen durchführen mussten. Die rissen Menschen Zungen raus, blendeten sie mit glühenden Stangen, rissen ihre Körper bei lebendigem Leibe mit Pferden auseinander. Und wenn der Delinquent sicher sein wollte, dass der Henker beim Köpfen nicht, wie es wohl oft geschah, ein halbes Dutzend Mal mit dem Schwert zuschlagen musste, bis der Kopf ab war, hat er dem Henker vorher ein ansehnliches Sümmchen zukommen lassen. Das gleiche Spielchen haben sie beim Tod auf dem Scheiterhaufen praktiziert. Wenn du als Hexe keine Lust hattest, langsam von den Flammen aufgefressen zu werden, hat der Henker heimlich eine Lanze in dem Scheiterhaufen versteckt, deren Spitze genau auf das Herz zielte. Wenn du Geld hattest, hat der Henker, während die Flammen loderten, die Lanze mit einem Hammerschlag in dein Herz gerammt. Dann hast du nicht mehr gespürt, wie dein mit Schwefel getränktes Kleid in Flammen aufging.«

»Hör bloß auf! Solche Geschichten kann ich absolut nicht gebrauchen. Nicht hier in so einem alten Schloss, in dem überall mittelalterliche Rüstungen herumstehen und alles an Karl den Kühnen erinnert. Der war nämlich ebenfalls für seine äußerst brutalen Methoden bekannt. So genial er wohl als Feldherr war, so grausam war seine Rache, wenn sich Widerspruch oder Widerstand regte. In der Nähe von Lüttich, in einem Ort namens Dinant, hatten einige Bürger Karl verspottet. Der zog mit einem Heer dorthin, brandschatzte die Stadt, ließ alle Kinder und Frauen totschlagen. Achthundert Männer wurden paarweise zusammengebunden und wie Katzen in der Maas ertränkt. Das also zu solch grausigen Dingen, liebe Chrissie. Der Mann, der das angeordnet hat, lag nämlich einst in dem Bett hier, in dem wir jetzt nächtigen! Hoffen wir, dass wir es nicht auch noch mit einem Fluch Karls des Kühnen zu tun kriegen. Mir reicht es nämlich langsam mit Flüchen.«

»Mich interessiert dieses Henkerslexikon eigentlich nur, weil es tatsächlich heißt, dass Marie-Antoinette dem Henker von Paris in der Nacht vor ihrer Hinrichtung den Florentiner gab. Sie hatte in der Conciergerie, dem Gefängnis, immer ihre schwarze Trauerkleidung getragen, weil sie ja ihren Mann schon hingerichtet hatten. Für ihre Hinrichtung zog sie aber sehr früh am Morgen in Gegenwart des Henkers ihr weißes Totenkleid und die weiße Kopfhaube mit dem schwarzen Band an. Im Saum des schwarzen Kleides, so heißt es, waren Schmuckstücke versteckt. Darunter der Florentiner. Das zu den Legenden, an denen angeblich ja immer etwas Wahres dran ist. Kannst es ja in deinem Bericht erwähnen.«

Marie-Claire des Vries hatte sich an den Tisch gesetzt. Der Laptop stand vor ihr. Es fiel ihr schwer, sich auf den bereits angefangenen Bericht für Francis Roundell zu konzentrieren. Die Flut der historischen und kunsthistorischen Informationen auf die für solche Berichte üblichen zehn Seiten zu bringen, schien ihr unmöglich. Schließlich entschied sie sich, die harten Fakten von den Legenden und den Mythen zu trennen.

Im Lauf des Tages hatte sich der Nebel draußen wieder verdichtet. Die eigentümliche Stille im und außerhalb des Schlosses machte sie plötzlich nervös. Die makabren Dinge, die ihr Chrissie aus dem Buch über den Henker vorgelesen hatte, verstärkten ihre zunehmend schwermütigen Gedanken. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde sich Unheilvolles anbahnen. Es war nur ein Gefühl, durch nichts erklärbar, aber es ängstigte sie. Zu oft in den letzten Wochen hatte sie ähnliche Gefühle gehabt, und immer waren tatsächlich dramatische Dinge geschehen. Was würde als Nächstes passieren? Morgen würde Sanjay Kasliwal kommen. Barg auch er ein Geheimnis in sich? Wusste der sanftmütige Inder mehr über den Florentiner, als er ihr gesagt hatte? Unruhig richtete sich Marie-Claire auf und schaute hinüber zu Christiane. Ihre Freundin hatte das Buch beiseite gelegt. Auch sie schien in Gedanken vertieft zu sein, starrte in die Glut des Feuers und nippte an dem Glas Rotwein.

»Chrissie «

»Ja …«

»Glaubst du an solche Sachen wie Karma und Flüche? Glaubst du daran, dass es keine Zufälle gibt, dass die Dinge des Lebens vorbestimmt sind?«

»Nun ja, was soll ich sagen? Ich bin Kunsthistorikerin. Ich tendiere dazu, mich an Fakten zu orientieren.«

»Chrissie!«

»Ja?«

»Weich meiner Frage nicht aus! Glaubst du an Karma an Flüche?«

»Nun ja, wenn du mich so nachdrücklich fragst, Marie-Claire was soll ich dazu sagen. Also «

»Danke! Das reicht mir als Antwort.«