XII

 

Die sechs Jahre alte Fährte von Var dem Stock und Sosa musste von Helicon ausgehen. Er war bei den Nomaden gewesen, und sie in der Unterwelt. Und beide waren sie bei jenem entscheidenden und verheerenden Kräftemessen verschwunden. Wahrscheinlich waren sie längst tot - dann war aber auch er mit seinen Erkundigungen am Ende. Sol und der Waffenlose hatten mit größerer Wahrscheinlichkeit überlebt - aber keiner von ihnen hatte Anteil am Versagen des Herzens von Helicon, nämlich an der Funktionsfähigkeit von Bobs Verstand und Bewusstsein. Denn wenn er nicht ein unschuldiges Kind in den Tod geschickt hätte, hätte die Unterwelt die Belagerung abwehren können. Die Verteidigungsanlagen der Unterwelt waren an sich ausreichend. Warum hatte Bob, ein in jeder Hinsicht fähiger Führer, einen so grausamen und verhängnisvollen Fehler begangen? Würde der nächste Führer ebenso irren? Ja, hier lag der Schlüssel zu allem.

Neq fand Helicon vor, wie er es verlassen hatte: abgeschlossen und leergefegt. Nach einer gründlichen Erkundung der verschiedenen Ausgänge überlegte er, ob eine Frau wohl die Flucht gewagt haben könne. Ja, gewiss, warum auch nicht! Solas Vermutung hatte viel für sich: Sosa, die Sols Absichten sicher kannte, hatte von allen Unterwelt-Bewohnern die größten Fluchtchancen gehabt. Sol war in seine eigene Falle, nämlich das Feuer, getappt, und der Waffenlose konnte sehr gut von aussen eingedrungen sein, in einem letzten, verzweifelten Versuch, Sosa zu finden ... in einem vergeblichen Versuch, der ihn das Leben gekostet hatte.

 Er sah sich daraufhin alle von aussen genau an und machte sogar einen Abstecher zum Mount Muse, um zu sehen, wohin sich ein Krieger gewandt haben mochte, der eben ein Kind getötet hatte. Bis zum Bergplateau hochklettern, das konnte er nicht - und außerdem war Var ohnehin zum Nomadenlager zurückgekehrt, um sich für seine grausame Tat feiern zu lassen. Und von dort her war keine Antwort zu erwarten. Tyl selbst hatte nach dem »Kampf der Kriegshelden« Var noch gesehen, wusste aber nur, daß dieser kurz nachher verschwunden war wie der Waffenlose. Und keiner hatte auch nur andeutungs-

 weise verlauten lassen, was geschehen würde. Es hatte keinen Hinweis auf ein eventuelles falsches Spiel gegeben.

 In diesem Gebiet trieben Gesetzlose ihr Unwesen. Neq und Dick waren schon etlichen begegnet, und keiner hatte ihnen von Var und Sosa etwas sagen können. Natürlich gab es hier ständig Umschichtungen, denn die Gesetzlosen befanden sich untereinander in diesem Land ohne Ehren-Codex in ständigem Kampf, und die Lebenserwartung war allgemein sehr niedrig.

 Die hier Ansässigen zeigten sich nicht gewillt, weitere Fragen zu beantworten. Neqs blankes Schwert überzeugte sie schließlich. Doch sollte auch das nicht viel nützen, er erfuhr wenig.

So zog er weiter hinaus, beschrieb große Krise um Helicon und suchte Menschen und Stämme auf, denen er bislang noch nicht begegnet war. Viele wehrten sich - wenn aber das Blut von seinem Schwert tropfte, wurden seine Fragen beantwortet. Negativ. Sechs Jahre waren erst ins Land gezogen, doch viele dieser Menschen wussten bereits nicht mehr, was er mit Helicon meinte.

 Monate sollten vergehen. Immer größere Kreise zog er und erreichte nichts. Aufgeben wollte er nicht. Seine Fragen wurden immer eindringlicher. »Ist vor sechs, sieben Jahren ein Fremder hier durchgekommen? Ein einzelner Stockkämpfer? Eine kleingewachsene Frau? Einer, der eine Maske trug oder sich versteckt hielt und sonderbare Wunden hatte?

 Und schließlich bekam er eine Antwort, die Hand und Fuß hatte - von einem alten Krieger des vergangenen Imperiums, der schon vor der Belagerung hierher geraten und geblieben war.

»Ja, richtig, damals traf ich einen Krieger, einen bleichen, schlanken Mann, der kein Wort sprach.«

Die Beschreibung passte aber gar nicht auf Var den Stock, der als großer, grotesk gefleckter Jüngling geschildert wurde.

»Was war seine Waffe?«

»Hab' ich nicht gesehen. Er zog einen Karren mit sich, aus dem ein Stab ragte, und er erinnerte mich an -«

»An wen?« bohrte Neq, der sich sehr gut an einen Mann erinnern konnte, der einen Karren zog.

»An Sol aller Waffen. Doch ist das eigentlich unmöglich, da Sol vor etwa sechs Jahren zum Berg ging.«

 Auf der Suche nach Sosa war er auf Sols Spur gestoßen! Auch nicht schlecht, denn die beiden waren sicher gemeinsam aus Helicon entkommen. Die lange Suche hatte sich gelohnt . . . vielleicht.

Und plötzlich wurde die Spur ganz heiß. Er stieß auf Durchgangsstellen und Lager, wo man den Karren-Mann gesichtet hatte, der von einigen sogar zum Kampf im Ring herausgefordert wurde. Damals hatte man von Helicons Sturz noch nicht viel bemerkt, und die Leute hatten noch Ehre im Leibe. Der Mann war jedoch allen Kontakten tunlichst ausgewichen. daß jemand gegen ihn im Ring gekämpft hatte, konnte niemand von sich behaupten.

Das war ein Beweis dafür, daß sie die Wahrheit sprachen. Sol war im Ring der Größte - nur der künstlich zurechtgeschmiedete Waffenlose war ihm überlegen, und der Kampf zwischen diesen beiden war so knapp ausgefallen, daß praktisch der Zufall die Entscheidung herbeigeführt hatte. Sol mochte während der sechs Helicon-Jahre vielleicht einen Teil seiner Kampfkraft eingebüßt haben - aber sehr groß konnte diese Einbuße nicht sein, wenn er mit seiner Tochter regelmäßig trainiert hatte. Wer sich mit Sol in einen Kampf einließ, der musste mit dem Ärgsten rechnen. Überlebt hatten immer nur die, die einem Kampf ausgewichen waren.

 Und warum war Sol selbst diesen Begegnungen ausgewichen? Das war nun klar. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich im Ring zu schlagen. Er hatte ein bestimmtes Ziel vor Augen.

Dieses Ziel verfolgte er allein und nicht gemeinsam mit Sosa, so weit man sehen konnte. Warum?

 Neq wusste es. Sol verfolgte den Mann, der seine Tochter getötet hatte. Er verfolgte Var den Stock.

 

Rache.

 

 Ein einsamer Krieger war nicht weiter auffallend. Aus diesem Grunde konnte sich kein Mensch an Var selbst erinnern. Aber der Mann mit dem Karren, der blieb den Menschen im Gedächtnis, weil es ungewöhnlich war und an den einen Krieger erinnerte, den alle kannten. Und als Neq gezielte Fragen stellte, da kam auch die Erinnerung wieder.

 Sol war fort von Helicon und hatte sich zunächst in nordwestlicher Richtung gehalten. Er war dem Ödland und den eingesessenen Stämmen ausgewichen. Und warum Nordwesten? Weil auch Var diese Richtung eingeschlagen haben musste.

 Ja, tatsächlich, er hatte diese Richtung eingeschlagen. Neq hatte dem allgemeinen Gedächtnis auf die Sprünge helfen können. Ein gefleckter, wortkarger Mann, der mit seinen Stöcken den Tod brachte . . . und der Junge, sein Begleiter.

Ein Junge?

Und ganz plötzlich war auch vom Waffenlosen die Rede. Er war ebenfalls auf dieser Route unterwegs, unglaublich, aber wahr. Verfolgte er Var oder Sol? Wollte er Var vor Sol schützen? Falls Sol und der Waffenlose aufeinandertrafen, würde es zu einem Kampf der Titanen kommen!

Keiner der drei war wiedergekommen. Alle Schlüsselfiguren waren verschwunden. Wohin?

Und woher war der Junge gekommen - der Junge, der Var begleitete? Hatte Var am Ende einen kleinen Bruder gehabt? Nach vielen Monaten erfolglosen Suchens hatte Neq nun zuviel auf einmal entdeckt.

Er setzte die Verfolgung fort. Seine mit dem Wiederaufbau von Helicon verknüpften Hoffnungen waren irgendwie an dieses Geheimnis gebunden. Er würde nicht rasten noch ruhen, ehe er nicht die Antwort gefunden hatte. Die Personen der Handlung blieben unverändert. Drei Männer und ein Junge, die in nordwestlicher Richtung unterwegs waren. Die Lösung des Rätsels von Helicons Untergang . . . möglicherweise.

An der Nordgrenze des früheren Irren-Einflussbereiches verlor sich die Fährte. Neq stellte noch einen Monat lang trotz des bitterkalten Winters Nachforschungen an, doch die Eingeborenen wussten von nichts. Er musste nun entweder aufgeben oder das Gebiet der Nomaden verlassen, so wie die Verfolgten.

 Weiter nach Norden vorzudringen wagte er nicht. Seine Metallarme waren gut geeignet für Kampf und Jagd, denn er konnte gegen das angeschmiedete Schwert den Bogen stemmen und mit der linken Hand, der Greifklauenhand, recht gut zielen. Gegen Wildnis und Kälte aber war er machtlos, und

 außerdem wusste er, daß in den nördlichen Regionen häufiger Feuerwaffen verwendet wurden. Er selbst konnte damit nicht umgehen und musste sich davor besonders in acht nehmen.

 So setzte er seine vergebliche Suche im Nomadenland noch fort, als seine Hoffnung auf Erfolg längst geschwunden war.

 

*

 

Eines Tages tauchte Tyl von den zwei Waffen auf - allein.

 »Bist du bereit, Hilfe anzunehmen?« fragte Tyl, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt.

 Neqs Stolz war mit dem Fortschreiten des Winters arg in Mitleidenschaft gezogen worden. »Ich begrüsse jede Hilfe«, sagte er.

 Tyl ließ sich über das, was ohnehin klar war, nicht weiter aus: daß ihm nämlich die Kunde von Neqs vergeblicher Suche zu Ohren gekommen war. »Ich möchte mit einem alten Gefährten aus den Tagen des Imperiums nicht feilschen, aber der Irre hat mich ebenso in seiner Gewalt wie dich. Meine Hilfe hat auch ihren Preis.«

Wieder spürte Neq die behutsame, aber kraftvolle Hand von Dr. Jones. »Welchen Preis?«

»Du wirst bei Gelegenheit Näheres darüber erfahren.«

Neq kannte Tyl als Mann von Ehre. »Abgemacht.«

»Es geht in Richtung Norden?«

»Ja.« Gemeinsam mit Tyl war es vielleicht zu schaffen. Die Suche wurde also wieder aufgenommen. »Sol, der Waffenlose, Var und ein Junge, sie alle gingen nach Norden, und keiner ist wiedergekommen. Finden wir auch nur einen von ihnen, erfahren wir vielleicht warum Helicon unterging. Var hatte die Wahrheit vielleicht von Soli erfahren können, ehe er sie tötete. Und Sol von Bob, ehe er diesen tötete. Der Waffenlose . . . der weiß gewiss mehr darüber, weil er mit Bob den Zweikampf der zwei Krieger aushandelte. Und der Junge - nun, ich weiß nicht.«

 Tyl überlegte. »Ja. Das Geheimnis liegt zwischen Bob und Soli. Zu dumm, daß keiner der beiden überlebte . . .« Er verfiel wieder ins Grübeln, ließ jedoch über seine Gedanken nichts laut werden.

 Tyl hatte eine Waffe und konnte damit umgehen. Tyl hatte Hände. Tyl hatte eine gewisse Art, mit Fremden umzugehen, die Neq fehlte. Die Fährte wurde von neuem sichtbar.

Und verlor sich wieder. Sie folgten ihr bis an den nördlichen Ozean, an dem ein abschreckend aussehender Tunnel in die Erde führte. Dort hörte die Spur endgültig auf.

 »Wenn die Gesuchten in den Tunnel gegangen sind«, argwöhnten die hier Ansässigen, »dann bleiben sie für immer verschwunden. Der Maschinen-Dämon verschlingt alle Eindringlinge.«

Tyl misstraute dieser Meinung aus praktischen Gründen.

 »Als der Berg brannte, sah ich seltsame Dinge aus den Tunnels kommen. Tiere mit riesigen Augen und Mäulern. Kein Schwert konnte sie aufhalten. Augenlose Ratten waren darunter. Und etliche meiner Leute starben, nachdem sie diese Lebewesen nur berührt hatten. Jim der Feuerwaffenmann sagt, sie trügen den Strahlentodesgeist in sich. Er hätte es mit Hilfe seiner Klick-Box gehört. In diesen Tunnel da ginge ich allenfalls mit einer ganzen Armee als Rückendeckung, und auch dann nur, wenn triftige Gründe vorlägen.«

 Neq musste ihm recht geben. Er hatte in den Randgebieten jenseits der Brandzone von Helicon merkwürdige tote Tiere gesehen und dazu Strahlungs-Markierungen. Und in der Nacht hatte er Tiere umherstreifen gehört, die den von Tyl beschriebenen ähnlich sein mochten. Ohne sein großes Ziel vor Augen hätte er es nicht fertiggebracht, die Gänge und Höhlen der Unterwelt auszuräumen und zu reinigen. Und es war pure Torheit, sich in den unbekannten Tunnel zu wagen, solange es andere Möglichkeiten gab. Schauermärchen beruhten heutzutage leider auf sehr realen Grundlagen.

 Sie hielten sich weiter an die Nordrichtung und zogen die Küste entlang - und die Fährte tauchte wieder auf! Zwei Männer, einer grau und hochgewachsen, der andere bleich und schweigsam, waren gesichtet worden. Aber kein gefleckter Krieger und kein Junge.

Da entdeckte Tyl ein Nomadenlager. »Sieh mal - hier wurde Feuer gemacht und ein Zelt aufgebaut, mit einer Wasserablaufrinne rundherum. Die Einheimischen machen das nicht. Die hausen in eckigen Häusern.«

 »Diese Spuren hier sind zu frisch. Höchstens fünf, sechs Tage alt, nicht mehr. Das kann nicht das Wild sein, das wir jagen.«

 »Wir müssen die Ansässigen fragen. Jemand müsste die
Nomaden gesehen haben.«

 Tyl nickte nachdenklich. »Sonderbar, daß uns hier niemand etwas von ihnen sagte.«

Sie fragten immer wieder und erfuhren schließlich, daß zwei Nomaden, ein Mann und eine Frau, durchgezogen waren, Richtung Süden.

»Süden?« fragte Neq. »Und woher sind sie gekommen?«

 Er erntete bloß ein Achselzucken. Entweder wussten die Leute es nicht, ober es war ihnen gleichgültig.

 Sol und der Waffenlose waren gegen Norden gezogen. Und diese zwei anderen waren von Norden gekommen. Ihre Wege hatten sich vielleicht gekreuzt.

 Rasch machten sie kehrt und wandten sich nach Süden, immer der Fährte der Unbekannten nach. Dabei verfolgten sie eine Route, die den markierten Strahlungszonen gefährlich nahe kam. Ein großer düsterer Mann und eine hübsche Frau. Beide zurückhaltend und sehr gut zu Fuß. Tyl stellte unter den ansässigen Dörflern Erkundigungen an - unter Dorf war ein an einem festen Ort lebender Stamm zu verstehen, eine für diese Gegend typische Lebensform - während Neq auf der Suche nach weiteren Hinweisen das offene Land durchstreifte.

An einem solchen Nachmittag sah Neq unvermittelt auf und entdeckte einen grotesk aussehenden Mann, der ihn beobachtete, einen großen zottigen Kerl mit Buckel und seltsam knorrigen Händen, in denen er einen selbstgefertigten Kampfstock hielt. Trotz der dicken Winterkluft war die gefleckte Haut zu erkennen - der Mann sah einem Ödland-Ungeheuer ähnlicher als einem Nomaden. Und doch war es ein Nomade, der nun sofort in Kampfstellung ging. Die langen Arme und die gewölbte Brust ließen auf gewaltige Körperkraft schließen. Wenn er seine Stöcke schwang, dann stand gewiss todbringende Wildheit dahinter!

Gefleckte Haut. . .

»Var der Stock!« rief Neq erstaunt aus.

Da setzte auch der andere zum Sprechen an, was herauskam,

war aber einem Knurren viel ähnlicher. Nur mit grösster Mühe konnte Neq den Sinn seiner Worte verstehen. »Du hast mich lange verfolgt. Und jetzt sage mir einen Grund, warum ich dich von hier nicht gewaltsam vertreiben sollte.«

Neq schwang sein Schwert. »Hier hast du den Grund. Aber erst beantworte mir meine Fragen, denn ich habe lange nach dir gesucht!«

»Ein richtiges Schwert!« stieß Var rau hervor, als er Neqs Waffe sah. »Du kennst den Kampf im Ring?«

Da staunte Neq. »Du sprichst vom Ring? Du, ein Kindermörder?«

»Niemals!« brüllte Neq auf und rückte näher. Auch mit seinen Beinen schien etwas nicht zu stimmen. Er trug zwar Stiefel, schritt damit aber nicht aus wie ein Mensch. Nein, viel eher wie ein als Nomade verkleidetes Untier . . . nun war das Geheimnis gelüftet, warum er die kleine Soli getötet hatte. Wahrscheinlich hatte er sie aufgefressen.

 Var holte aus und Neq parierte mit grimmigem Lächeln. Selbstgefertigte Waffen fürchtete er nicht, und einem linkischen Angriff war nicht schwer zu begegnen. Aber zuerst brauchte er die wichtigen Informationen.

Var kämpfte geschickter, als seine plumpe äußere Erscheinung erwarten ließ. Als Neq zur Seite hin auswich, tat auch er einen Seitenschritt, so daß sie sich wieder genau gegenüberstanden. Nun schnellte ein Stock gegen Neqs Gesicht vor, während der andere das Schwert blockierte. Var war bereits gegen viele Klingen angetreten!

Um so besser. Neqs Greifklauenhand blockierte die Stöcke, während er mit der anderen, das Schwert schwang, daß die Luft zischte. Sein Ziel war, die gegnerische Waffe in zwei Stücke zu schlagen. Er wollte dieses Ungeheuer entwaffnen und es unversehrt lassen, bis er die ganze Wahrheit erfahren hatte.

»Ehe ich dich töte«, knurrte Var, »sage mir deinen Namen.«

»Neq das Schwert.« Sogar einem Ungeheuer gegenüber war die Höflichkeitsbezeigung in Form der Namensnennung angebracht.

Var kämpfte recht geschickt weiter, während er hinter seinen buschigen Brauen Überlegungen anstellte. »Ich weiß von dir«,

 knurrte er. Angst zeigte er nicht, nur eine gewisse Wachsamkeit war ihm anzumerken.

 Hier kämpfte kein Krieger der dekadenten Zeit nach dem Untergang des Imperiums, das wurde immer deutlicher erkennbar. Vars Technik war ganz unkonventionell, und er war Jahre jünger als Neq und dazu viel größer, so daß er ihn trotz seines krummen Rückens überragte. Er setzte seine Kraft behende und mit großer Wildheit ein. Seine grob aussehenden Stöcke waren solider, als der erste Eindruck vermuten ließ und blockierten die Schwerthiebe sehr nachdrücklich. Wenn Holz auf Metall traf, dann prallte es nicht ab, sondern schien es geradezu anzuziehen, und das war sehr gefährlich. Die zwei Stöcke schlugen so kräftig gegen seine Metallarme, daß Neq immer weiter zurückwich. Wäre sein Schwert nicht gleichzeitig sein Körperteil gewesen, hätte ihn der Gegner schon längst entwaffnet. So aber konnte Neq weiterkämpfen, wenn auch Schritt um Schritt zurückweichend.

 Vars Angriff war nicht ohne Anmut und einen gewissen Schliff. Sein Gleichgewichtsgefühl war hervorragend. Ohne auch nur eine Sekunde innezuhalten, hatte er seine Stiefel abgestreift, ließ verhornte Füße sichtbar werden und stand wieder in Kampfhaltung da. Er war erstaunlich beweglich für seine große Masse und kämpfte maßvoll und mit kluger Berechnung.

Ein Meister im Stockkampf, soviel stand fest. Neq war erst zwei Stockkämpfern dieser Kraft und Geschicklichkeit begegnet. Der eine war Tyl - raffinierter vom Stil her, aber längst nicht so kraftvoll -, und der andere war Sol. . . dessen Aufenthalt Var kennen musste.

Aber mit dem Schwert konnten sich die Stöcke nicht messen, schon gar nicht mit Neqs Schwert. Seine Hand war unverwundbar. Obgleich nicht mehr jung an Jahren kannte er niemanden, der ihm im Kampf gewachsen war - außer Tyl. Var würde ihn sicher noch eine ganze Weile abwehren, mit der Zeit aber würde Var ermatten, sich übernehmen und Fehler machen. Denn die wahre Kraft eines Stock-Kämpfers lag in seiner Ausdauer und in der Technik. Aber eines hatte Neq ihm eindeutig voraus, und das war Erfahrung.

Neq wehrte die Hiebe ab und arbeitete auf eine Position hin,

die ihm einen Angriff erlaubte. Einfach war dies nicht, weil Var auf seinen Hufen hin und her tänzelte, und seinen zottigen Schädel duckte, ganz tief, sogar bis zum Boden, ohne ihn ungedeckt zu lassen.

»Du bist sehr geübt, Mann mit den Metallhänden«, murmelte Var. »Wie es einem Anführer unter dem Herrn zukommt.«

Neq war sofort ganz Ohr. Er durfte aber nicht zulassen, daß Var ihn mit Worten einlullte. »Auch du bist kämpfgeübt«, sagte er. »Ich hörte, der Waffenlose selbst hätte dich trainiert.«

»Der Herr ist tot«, sagte Var und verlangsamte sein Tempo.

Auch Neq ließ sich mehr Zeit, blieb aber unvermindert auf der Hut. Womöglich lauerte Vars Gefährtin in unmittelbarer Nähe, bereit, heimtückisch einzugreifen, während der Gegner durch Kampf und Worte doppelt abgelenkt war. Dieser Tier-Mensch hatte sicher eine Frau als Gefährtin, die ebenso tierähnlich war.

»Du kannst den Waffenlosen nicht besiegt haben«, meinte Neq.

»Nicht im Ring«, äußerte Var grimmig.

Neq erstarrte in seinen Bewegungen. In diesem Augenblick hätte der andere einen Treffer landen können, wäre ihm der schwache Moment nicht entgangen. Und dann ging es weiter mit Schlag und Gegenschlag. »Sol aller Waffen hat dich verfolgt. Den konntest du auch nicht bezwingen.«

»Nicht mit Stöcken!«

 Diesmal erstarrte Neq mit Absicht und bot dem Gegner scheinbar eine Öffnung in der Verteidigung. Aber Var ließ die Chance ungenützt. Er war zu klug oder zu dumm dazu.

»Du gibst zu, daß du ihn aus dem Hinterhalt getötet hast?«

»Die Strahlung.«

Seine fleckige Haut! Jetzt fiel es Neq wieder ein. Man hatte gemunkelt, der Tier-Junge könne die Strahlung fühlen und den Todeszonen ausweichen, während er andere in die Falle tappen ließ. Also stimmte es, und Var hatte seinen Freund wie seinen Feind ins Unglück gelockt, indem er sie durch eine nicht markierte Zone größerer Strahlenkonzentration führte! Und jetzt war er mit diesem Weib gekommen in der Meinung, seine Untat sei nicht bekannt oder schon vergessen worden!

Neqs Informationsquellen existierten nicht mehr. Aber eines

 musste er unbedingt noch erfahren. »Soli, das Kind aus Helicon?«

Nun lächelte Var. »Soli gibt es nicht mehr.«

Neq war sprachlos. Schließlich flüsterte er. »Strahlung?« Das hätte ironisch klingen sollen.

Var aber wich der Frage aus, als wäre Neq damit auf einen Quell längst vergessener Schuld gestoßen. »Unser Streit ist zu Ende. Ich will dir Vara zeigen.«

Da gab er sich eine Blöße, und Neqs Schwert nützte sie.