VII

 

»Ihnen nach!« schrie Yod. »Das Mädchen nicht töten!«

 Männer sprangen auf und fassten nach ihren Waffen. In diesem Augenblick mussten sie ihrem angestammten Führer folgen, denn es war eine plötzliche Krise eingetreten. Wären Neqa und der Käfigmensch unbemerkt entkommen, während Neq kämpfte und wäre es klargewesen, daß es unmöglich war, sie wieder zu fassen, dann wäre die Führerschaft Yods ernsthaft in Frage gestellt worden. Neq hätte ihn rasch töten und die Führung an sich reissen können. Das alles war durch diesen einen unglücklichen Zufall zunichte gemacht.

 Neq sprang aus dem Ring und griff den Führer an. Er hatte immer noch eine Chance. Er konnte nämlich Yod als Geisel gefangennehmen, Zeit gewinnen und vielleicht damit die eigene Freilassung und die der beiden anderen erkaufen. Oder aber er tötete Yod auf der Stelle und ließ dem Stamm keine andere Wahl.

Aber Yod war gerissen. Er trat Neq mit gezogenem Schwert entgegen, brüllte seinen Leuten dauernd Befehle zu und stärkte damit ihre schwankende Treue.

 Und plötzlich war Neq wieder umzingelt. Die Krieger hielten Abstand zu den Kämpfenden, denn es bestand immerhin noch die Möglichkeit, daß er Yod mit einem verzweifelten Sprung an die Kehle fuhr. Die Bogen waren gespannt - aber wieder waren Yod und er flink in ihren Bewegungen und die anderen standen so dicht, daß die Bogenschützen sich zurückhielten.

»Die Feuerwaffe!« rief Yod.

Da packte Neq die Verzweiflung. Er wusste, was dies bedeutete. Tyls Stamm war vom Berg mit Feuerwaffen und mit Granaten zurückgekehrt und hatte ihre Wirkung demonstriert. Man hatte diese Waffen gegen die Unterwelt eingesetzt. Ohne sie wäre der Angriff ganz unmöglich gewesen. Es waren Metallröhren, die mit großer Geschwindigkeit und Kraft Metallteile ausstießen. Die Wirkung war der des Pfeiles ähnlich - aber eine Feuerwaffe konnte weiter und schneller schießen, und es bedurfte weniger Geschick sie zu bedienen. Mit einer solchen Waffe konnte ein Krüppel einen Meisterkrieger töten.

Tyl hatte in weiterer Folge entschieden, daß diese Waffen

nicht der Lebensweise der Nomaden entsprächen. Er hatte alle Waffen einsammeln lasen und sie versteckt. Doch galt seine Autorität nicht im gesamten Imperium, und einige waren verlorengegangen . . .

 Wenn Yods Stamm über eine Feuerwaffe verfügte, dann konnten Neqa und der Chirurg nicht entkommen. Diese Waffe konnte das Metall eines Fahrzeuges durchdringen.

 Da machte Neq einen verzweifelten Ausfall, überrumpelte Yod und brachte ihm eine Wunde am Schenkel bei. Doch als Neq zurückwich, hörte er einen Knall, und etwas prallte gegen sein Bein. Ein Pfeil war es nicht.

Man hatte die Feuerwaffe auf ihn abgeschossen.

 Zuerst war er erleichtert. Man hatte nicht auf Neqa geschossen!

Dann aber wurde ihm klar, daß damit sein Untergang besiegelt war. Die Waffe konnte ihn töten. Er würde nicht zurück zu Neqa können, und sie würde die Rückfahrt allein schaffen müssen. Wenn der Chirurg sie nicht irgendwie beschützte. Aber dieser Mensch hatte sich ja nicht einmal selbst davor bewahren können, in den Käfig gesteckt zu werden!

 »Ergib dich!« keuchte Yod. »Ergib dich, oder wir knallen dich ab!«

 Ihm blieb nichts anderes übrig. Die Gesetzlosen meinten es ernst. Vielleicht würde man ihn auch töten, wenn er sich ergab - aber ganz gewiss war er dem Tode geweiht, wenn er sich nicht ergab. Neqa hatte nun ausreichend Vorsprung. Mehr konnte er ihr nicht mehr verschaffen, indem er weiterfocht.

Neq warf sein Schwert weg und stand da.

 »Klug gemacht«, sagte Yod, während die anderen Neq an den Armen packten. »So hast du dein Leben gerettet.« Er fasste zaghaft nach seinem Bein. »Und du hast bewiesen, wer du bist. Mich hätte kein Geringerer im ehrlichen Kampf verwunden können.«

 Das war zwar übertrieben. Yod war gut, doch im Imperium gab es mindestens zwanzig Schwertkämpfer, die ihn mit Leichtigkeit besiegt hätten. Neq hatte jedoch keine Lust, den Kerl gegen sich aufzubringen, indem er ihm dies sagte. Er war abhängig von Yods Wohlwollen. Je mehr sich dieser als ehrenhafter Sieger fühlte, desto ehrenhafter würde er handeln.

 »Du hast uns eine Menge unnötigen Ärger gemacht, indem du dich nicht eher ergeben hast«, fuhr Yod fort. »Man kann dir nicht trauen. Ich habe dir das Leben versprochen - aber ohne Strafe kommst du nicht davon. Männer, bindet ihn.«

Diesmal gehorchten die Stammesmitglieder blitzartig, und er wurde gebunden: die Arme hinter dem Rücken, ganz fest, und die Fussknöchel so, daß er nur humpeln konnte. So wurde er an einen Pfosten gebunden, während sich die Krieger dann wieder anderen Dingen zuwandten.

 Neqs Wunde verursachte ihm immer größere Schmerzen. Die Öffnung war nur klein, führte aber genau durch den großen Muskel. Das Ding musste irgendwo drinnen sitzen. Die Blutung war nicht stark, eine Schwertwunde wäre viel ärger ausgefallen. Nur wäre das Schwert wieder säuberlich herausgezogen worden, und die Heilung wäre unkomplizierter vor sich gegangen.

Als die Verfolgungstruppe eintraf, gab es viel Lärm und Aufregung. »Wir haben sie!« rief einer.

 Neq sah enttäuscht, daß es stimmte. Neqa wurde von zwei Männern angeschleppt, halbnackt im zerfetzten Gewand. Sie schien unverletzt.

 »Die hatte ein Messer bei sich und hat Baf damit angefallen«, sagte ein anderer. »Eine richtige wilde Hummel. Aber wir bringen sie unversehrt.«

 »Der Irre ist entwischt«, sagte ein dritter. »Aber was kümmert uns das?«

 Yods Wunde, die sich als ungefährlich erwies, wurde versorgt. Wahrscheinlich hatte er ebenso große Schmerzen wie Neq, ließ sich jedoch nichts anmerken. Vor seinem Stamm musste er sein Gesicht wahren. »Hm, hat sie also den Irren befreit und einen der unseren erstochen«, sagte er nachdenklich. »Und ihr Mann hat uns alle hereingelegt und behauptet, er wäre in Irrer. Und er hat Tif getötet.« Er sah Neq abschätzend an. »Na gut - wir werden beiden eine ordentliche Lektion verpassen.«

 Yod trat vor Neqa hin. Während die Männer ihre Arme festhielten, riss er ihr die letzten Fetzen des Gewandes herunter und warf sie in hohem Bogen weg - zum Gaudium der Zuseher. »Mann, das ist ja eine richtige Schönheit!«

 Neq versuchte seine Fesseln zu sprengen, vergebens. Sie sassen zu fest. Einige der Gesetzlosen, die ihn dabei beobachteten, kicherten. Sie wollten ja, daß er sich drehte und wand. Genauso wie sie es bei Yod gewollt hätten, wäre die Sache anders ausgegangen.

»Han!« schrie Yod.

 Ein junger Dolchkämpfer trat nervös hervor. Neq schätzte den Kerl auf höchstens vierzehn.

»Du hast es noch nie mit einer Frau getrieben, wie?« fragte Yod.

»Nein - nein«, sagte Han und vermied dabei, Neqas Nacktheit anzusehen.

»Jetzt ist deine Stunde gekommen. Los.«

Han wich zurück. »Ich verstehe nicht.«

 »Diese Puppe da, mit der glatten Haut und der reizenden Brust- du kriegst sie als erster. Gleich jetzt.«

 Han warf nun Neqa einen Blick zu und sah schuldbewusst wieder weg. »Aber - aber sie trägt doch seinen Reif!«

»Ja, das ist ja das Komische daran. Lasst ihn ran.«

»Aber -«

»Er soll sehen, was wir mit seiner Frau machen. Das ist seine Strafe. Und die ihre - teilweise.«

Han zitterte am ganzen Leibe. »Das ist unrecht. Ich kann es nicht tun.«

 Neq kämpfte wie wild und rieb sich dabei die Haut an den Fesseln auf. »Ich töte jeden, der sie anfasst!« rief er.

 Neqa stand, die Augen geschlossen, noch immer von den zwei Männern festgehalten. Es sah aus, als ginge sie das alles nichts an. Ihr Körper war schlank und fein und völlig fehl am Platz unter dieser grobschlächtigen Horde. Neq sah wie die Gesetzlosen sie begutachteten und sich die Lippen leckten.

Yod lachte laut. »Dann musst du uns alle töten, du Irren-Liebhaber. Weil jeder sie anfassen wird, gleich jetzt, damit du zusehen kannst!«

»Nein!« schrie Han. Er lief auf Yod zu.

 Yod warf ihn mit einem Handrückenschlag zu Boden. »Du hast deine Chance vertan, Rotznase. Jetzt bin ich dran.«

Han war in Neqs Nähe zu Boden gegangen. Er blutete an der Lippe. Einer seiner Dolche schleifte über den Boden.

 Yod machte die Hosen auf. Die Gesetzlosen röhrten vor Lachen. Neqa schlug die Augen auf, wollte sich loswinden, wortlos, und stieß mit den füßen um sich.

»Ihr müsst auch ihre Beine halten«, wies Yod die anderen an. Zwei Mann sprangen vor und packten ihre Beine.

Neq stieß Han mit gebundenen Beinen an. Und als der Junge ihn benommen ansah, wies Neq mit einer Kopfbewegung auf den knapp außer seiner Reichweite liegenden Dolch.

 Han sah hinüber zu den vier Männern die Neqa an Armen und Beinen festhielten und sie auf den Boden drückten. Dann schob er die Klinge Neq zu. Aber sie lag noch immer außer Reichweite, denn Neq konnte nicht nach ihr fassen.

Und nun schrie Neqa auf. Neq sah nicht hin. Er musste das Messer sofort in die Finger kriegen. Er wölbte seinen Körper so, daß er die Schultern hochziehen und seine Arme über den Pfosten heben konnte. Er fiel seitlich um, rollte sich weiter und fasste zu. Die Klinge schnitt ihm in die Hand, aber er hatte sie.

 Niemand hatte etwas bemerkt. Alle sahen gespannt zu, was Yod machte.

 Wieder schrie Neqa auf, schneidend, als Yods Leib sich auf ihr zu bewegen begann. Sie wand sich auf dem Boden, bekam eine Hand frei, aber Yod drückte sie grunzend nieder. Die Männer grinsten und drückten ihr die Beine auseinander.

 Neq drehte und wendete das Messer, er schaffte es aber nicht, es im richtigen Winkel zum Seil anzusetzen. Seine Hände waren glitschig vom eigenen Blut. Endlich gaben die Fasern langsam nach, als die stumpfe Seite der Klinge unablässig an ihnen schürfte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Seil nachgab.

 Der Anführer der Gesetzlosen kam schweratmend hoch. Neqa schluchzte stoßweise.

 »He - die war ja noch Jungfrau!« rief Yod aus. »Seht euch das an!«

 Die Männer drängten näher. Neq, der keine körperlichen Schmerzen mehr spürte, so benommen war er, sägte weiter an dem Teufelsseil.

»Warum hat sie dann seinen Reif getragen?« fragte einer.

»Man sagt, daß er außerhalb des Ringes nicht sehr männlich war!«

 Noch immer hatten die Fesseln nicht nachgegeben. Han der Dolch war aufgestanden und hatte sich davongemacht. Ihm war übel geworden.

 »Na schön - also, der Reihe nach antreten. Jeder kommt dran«, sagte Yod. »Sie ist verteufelt gut.«

 Die Männer bildeten eine Reihe. Neqa hatte zu weinen aufgehört. Noch immer wurde sie von dreien festgehalten. Drei weitere fielen über sie her, ehe Neq seine Hände endlich frei hatte. Er schnitt die Fußfessel durch und sprang auf. Blitzschnell stieß er die Klinge in den Rücken des vierten Mannes, der auf Neqa lag. Einer war erledigt - blieben noch vier.

»He! Er hat sich befreit!«

Alle stürzten sich auf ihn. Neq kämpft verzweifelt, doch der Dolch war nicht seine angestammte Waffe, und die Übermacht des Feindes zu groß. Nach kurzem Handgemenge war er wieder gefangen.

 Hilflos musste er mit ansehen, wie vierundvierzig Männer seine Frau vergewaltigten.

Aber damit nicht genug.

 »Er hat noch einen getötet - und etliche verwundet«, stieß Yod wütend hervor.

»Tötet ihn!« schrien einige.

»Nein. Ich habe ihm das Leben versprochen. Ich möchte, daß er leidet.« Yod überlegte. »Schneidet ihm die Hände ab.« Er schwang sein Schwert.

 Neqa, die man im Augenblick vergessen hatte, erhob sich langsam. Sie starrte blicklos vor sich hin. Der Dolch, den Neq eben noch in der Hand gehabt hatte, lag neben ihr auf dem Boden. Sie bückte sich danach.

 Und dann sprang sie Yod an, lautlos. Ihre Klinge durchschnitt sein Gesicht senkrecht und nahm einen Teil eines Auges samt Augapfel mit.

Yod schwang sein Schwert ganz automatisch. Er traf sie im Nacken und stieß die Spitze tief hinein.

»Verdammt!« schrie Yod, dem die Schwere seiner eigenen Verletzung nicht klar zu sein schien. »Ich wollte sie nicht töten! Wir brauchen Frauen!«

 Neqa sank zu Boden. Neq stieß seine Gegner von sich und lief zu ihr.

 Es war zu spät. Sie lag da, die Zähne im Todeskampf entblößt. Rotes Blut sammelte sich als Lache im Staub.

»Verdammt!« rief Yod aus. »Es ist seine Schuld! Haltet ihn!«

 Sie hielten Neq fest. Wieder wurden ihm die Hände gebunden, diesmal vorne. Vier Mann hielten ihn fest, während zwei an jedem Seil zogen und seine Arme so zusammengeschnürt wurden.

 Yod ging in Stellung, sein Schwert hochschwingend, als wolle er Holz spalten.

 Neq spürte einen schrecklichen Schmerz und verlor das Bewusstsein.

Und kam sofort wieder zu sich, so schien es ihm jedenfalls. Der Schmerz hatte sich ins Unerträgliche gesteigert. Süßlicher Rauch stieg ihm in die Nase. Man hielt Fackeln an seine Armstümpfe und brannte sie aus, so daß das Fleisch Blasen warf und verschmorten.

Dann versank alles in Dunkelheit.