So hatte ich künftig mein Leben zu meistern! Ulli Mackenrodt’s Kontakt nach Leipzig riss mehr und mehr ab, auch der Kontakt zu mir. Mit einer weiteren Festanstellung war es erst einmal aus und vorbei. Weil Ulli Mackenrodt in Roswitha Spangenberg total verschossen war, hat er sie aus dem Rotlichtmilieu befreit und sie ins Berliner Alt-Moabit geholt. Dann unternahm er den Versuch, mit ihr eine Lebensgemeinschaft zu gründen. Diese Frau, oder besser gesagt ehemalige Mutter, die ihren Sohn Konrad auf mysteriöse Art und Weise verlor, fand bei Mackenrodt Obdach, Bleibe und Trost. Das Letztere hatte sie eigentlich nicht nötig, denn Roswitha Spangenberg war durch das Milieu geschmiedet, in dem sie sich bewegte, mit dem sie umging – sie war das Übel in sich selbst und für andere. Dass Mackenrodt dieses Individuum aus dem Dreck zog, sprach wiederum für ihn. Frau Spangenberg verkaufte sich für die beste Gefährtin der Welt und versprach, die Mackenrodt’sche Wirtschaft zu führen, den künftigen Hausherrn zu bekochen und natürlich in allen Lebenslagen als echte Freundin an seiner Seite zu stehen. Mackenrodt fiel auf dieses Geschwafel rein. Er warb wieder mal einen Vertreter für die Leipziger Außenstelle an und schleuste ihn ins Geschäft, als seine rechte Hand sozusagen, aber diese rechte Hand war ziemlich linkshändig, mit Verlaub zu sagen! Der neue Mann besaß zwar eine kaufmännische Ausbildung, verstand aber von der Materie oder besser gesagt vom Antiquitätenhandel nichts. Ein weiteres Handikap war, dass er mit den Leipziger Schlitzöhrchen partout nicht zurechtkam. Der in Leipzig etablierte Antiquitäten- und Trödelhandel landete mit Karacho am nächsten Baum – der neue Vertreter war in gewissem Sinn das Ebenbild des verstorbenen Konrad Spangenberg, dessen Mutter, also Roswitha Spangenberg, die Genickbrecherin Ullis wurde. Alles begann harmlos im stinknormalen Alltag. Um so zu tun als ob, steckte sich Rosi wieder mal ihre Haare nach oben, brannte sie sich einen Glimmstängel an und pflaumte sich in einen Sessel. Kurz darauf kam Ulli mit Blumen heim und überreichte sie feierlich unter der Maßgabe, er brauchte nur in bereitgestellte Pantinen zu kriechen und sich an einen gedeckten Tisch zu setzen. Das Abendmahl befand sich natürlich noch im Supermarkt – Ulli musste mit zwei Scheiben Brot Vorlieb nehmen, auf das ranziges Gänseschmalz gestrichen war. Rosi schmiss die Blumen achtlos auf die verschmutzte Küchenspüle und bewaffnete sich großschnäuzig mit Wischeimer, Schrubber und Scheuerlappen. Sie ließ dann doch alles stehen und liegen mit der Begründung, dass sie sich in der neuen Umgebung erst einmal akklimatisieren müsse. Einige Tage später nahm sie sich nun doch vor, Ullis Dreck im häuslichen Gefilde zu bekämpfen. Dabei ist es geblieben und der Dreck blieb wo er war. Ulli Mackenrodt sah über die Allüren seiner Rosi hinweg, denn das jetzige Verhältnis zu ihr war so gut wie brandneu und noch halbwegs interessant. Er verzieh ihr, dass in ihrem Fall neue Besen verdammt schlecht kehrten. Wenn Ulli abends die Klinke der Wohnungstür in die Hand nahm, um sich ins Wohnzimmer zu begeben, war eben ein weibliches Wesen für ihn da und wenn es sich nur auf dem Kanapee räkelte. Der Einkaufsstress war eben derart hoch und Frau Zangenbergs Knochen bedurften erst einmal dringender Ruhe. Und die halbverkohlte Tütensuppe war einfach im Topf geblieben, weil es ihrer Meinung nach an häuslichen Werkzeugen fehlte, sie daraus zu entfernen. Rosi vergaß im Trubel der umfangreichen Hausarbeiten auch, die Gebrauchsanweisung auf der Verpackung zu lesen. Ulli Mackenrodt konnte sich seines bösen Blickes nicht erwehren, sagte aber nichts. Frau Zangenberg nahm es mit der Wahrheit immer sehr genau. Dafür, dass es heute Abend nichts zu essen gab, hatte sie eine rein menschliche Begründung parat. Das bewies sie, indem sie den bereits entsorgten Edelstahltopf einfach aus der Versenkung kramte. Dann fing Ulli doch an zu schimpfen. Daraufhin begann Rosi ein Heulkonzert und bat um Erhöhung des Haushaltsetats. Ulli parierte und steckte seiner neuen Flamme einen Hunderter zu und bearbeitete den Topf mit einem stählernen Topfkratzer. Für den Hunderter kaufte sich Rosi am nächsten Tag ein Fläschel Parfüm von Bogner und ein schickes Damenfeuerzeug aus Walzgolddoublé. Mit dem Geruchsstoff von Bogner überschüttete sie sich, um ihrem neuen Gönner zu beweisen, dass man das Wirtschaftsgeld auch auf moderne Art und Weise anlegen könne und zwar so, dass auch die Umwelt davon profitierte. Vor allem war eine andere Atmosphäre in die vier Mackenrodtwände gekommen. Wieder war der Abend heran. Geplant war eine Brühwürfelsuppe. Um Energie zu sparen, warf Rosi zwei Brühwürfel von Maggi in kaltes Leitungswasser. Damit es auch wirklich Geschmack bekam, verdoppelte sie vorsichtshalber die Menge und vergaß, den Kocher in Gang zu setzten. Als Ulli Mackenrodt gerade an diesem Abend spät heimkam, stand da kaltes Wasser, auf dessen Oberfläche Brühwürfel von Maggi schwammen. Rosi räkelte sich auf dem Sofa herum und rauchte. Außerdem hatte sie einen Schwips, weil sie einen Taschenrutscher von »Jägermeister« geleert hatte. Das war für Ulli zu viel. Er stellte seiner Partnerin anheim, sich eine neue Bleibe zu suchen. Frau Spangenberg war überhaupt der Meinung, dass der Hausherr zusätzlich eine Haushälterin einstellen müsse, um seinen Fraß zu sichern. Ulli zeigte ganz energisch zur Korridortür als Aufforderung für Frau Spangenberg, das Revier zu räumen. Jetzt schrie Rosi aus Leibeskräften und stampfte mit den Füßen wie ein unartiges Kind. Tränen rannen ihr übers Gesicht und vermischten sich mit schwarzer Wimperntusche und Schminke. Dann hörte sie plötzlich auf zu heulen und kicherte laut, als hätte sie den Verstand verloren. Dabei zeigte sie auf Ullis Bauch und fand, dass der Besitzer dessen eine dämliche Figur abgeben würde, na und sonst … Schon hatte Rosi die erste Ohrfeige im Gesicht. Jetzt fing Ulli beinahe an zu flennen, weil ihm sein Jähzorn einer Frau gegenüber unentschuldbar vorkam. So ging es tagein und tagaus. Wenn Mackenrodt die Spangenberg aus dem Haus schmiss, war sie hintenrum wieder drin. Wie ich von Hasan Abdullah erfuhr, ist es Ulli Mackenrodt nie gelungen, die Spangenberg zu bezwingen oder sie gar los zu werden – sie hatte ihm total den Kopf verdreht. Das Verhältnis zu dieser Person zu brechen, gelang ihm nicht, weil Mitleid siegte. Manchmal hatte ich doch ein wenig Hoffnung, dass sich Ulli wieder in Leipzig etablieren würde, aber es geschah nicht. Ich war in seiner Firma zwar mein eigener Herr, doch meist war ich mehr auf mich allein gestellt, als mir lieb war. Mackenrodt als mein Brötchengeber organisierte die Monatsabläufe für mich doch irgendwie – unter seiner Fuchtel bewegte ich mich halbwegs in gesicherter Existenz, das muss ich zugeben! Natürlich balbierte er mich oft über den Löffel. Aus taktischen Gründen gab ich meist klein bei, weil es im Antiquitätengeschäft immer und irgendwie einen finanziellen Ausgleich gab. Wichtig war natürlich die Krankenversicherung, die Mackenrodt für mich bei einer gesetzlichen Kasse trug, wenn es auch nur die Finanzierung allgemeinen Standards war. Ich habe Ulli jedenfalls nie wieder gesehen.
»Mer wissen scho, wo ßä herkemma! Se sin aus ‘m Osten, göll?«
Mehr denn je ließ ich mir den Wind um die Nase pfeifen und flohmarktete in Berlin mindestens zwei Mal pro Monat und trieb mich zusätzlich in der Gegend um Hof, Braunschweig und München herum. Um meinen Handel als Hobby zu deklarieren, arbeitete ich inzwischen zu professionell. Außerdem hatte ich keine Lust, mich mit dem Finanzamt anzulegen. Ich fasste also den Entschluss, ein Reisegewerbe zu beantragen, ging zum Gewerbeamt und füllte ein Formular aus. Ich setzte alle gängigen Waren dort hinein und entrichtete meine Gebühr. Daraufhin erhielt ich einen Gewerbeschein, der Ähnlichkeit mit einem Reisepass besaß. Nun machte ich mich publik, indem ich in mehreren Tageszeitungen inserierte. Dabei gab ich einige Mehrfachschaltungen in den z. Zt. noch existierenden Leipziger und Hallenser Stadtanzeigern in Auftrag. Besonderen Erfolg beim Inserieren hatte ich jedoch nie. Der erste Anrufer gedachte mich nach Hof an der Saale zu locken. Dazu fehlte mir natürlich auf Grund der Entfernung der Antrieb. Eine Frauenstimme am anderen Ende der Strippe informierte mich auf Bayrisch, dass für die Teilauflösung eines Haushaltes Eile geboten sei. »Hier is Holzenbecher am Dellefon! Wenn’s Ihnen nix ausmacht – komm’s doch emol nach Hof, göll?!« Anfangs fragte ich mich, um welches Hof es sich handeln würde, weil es 59 Hofs gab. Natürlich fiel dann bei mir der Groschen, als ich den bayrischen Dialekt vernahm. Ich dachte dabei erst einmal an das Hof in Franken und lag richtig. »Sagen Sie, Frau Holzbecher, um welche Gegenstände handelt es sich bei dieser Teilauflösung?« »Holzenbecher, Holzenbecher!«, plärrte es am anderen Ende der Leitung. Die Teilnehmerin gab mir zu verstehen, dass sie den wichtigsten Familiennamen der Welt trüge und wiederholte den ,Holzenbecher‘ noch einige Male. Im Nu waren fünf Minuten herum und das Unwesentlichste erörtert. »Was soll’s!«, dachte ich mir, schließlich war ich ja nicht der Anrufer. Dann erkundigte ich mich nach der genauen Adresse. »Also, mer wohnen nicht ßo direkt in Hof!«, gab mir die Dame zu verstehen. Dann trat eine längere Pause ein. Ich nahm an, die Teilnehmerin hätte kapituliert. »Halloo!«, rief ich, »Wie erreiche ich Sie?« »Jaa, ße mössen sich noch e por Killometer in Richtung Süden bewegen, also ... dör Ort heißt Oberkotzau! Kennen ße dös?« Die Anruferin schämte sich wohl des Ortsnamens wegen. Ich fragte noch einmal nach Straße und Hausnummer. »ße bewegen sich in die Hofer Straße!«, bekam ich zur Antwort. »Endlich!«, dachte ich und erkundigte mich noch einmal nach den Dingen, die da wohl zum Verkauf stünden. »Alßo, mer homm echtes Porzellan, wissen ße? Un donn kemmer Ihn’ noch e Bissl wos onneres onbieten!« Ich fragte, worum es sich da wohl handeln würde. Anscheinend begriff die Frau aus Bayern nicht recht, worauf es ankam. Insgesamt hätte ich um die vierhundertfünfzig Kilometer zurück zu legen. »Ach ßo, mer hom e wos on Ölgemälden, owwer die wollmer beholten!« »Ach du grüne Neune!«, dachte ich, »unter diesen Umständen kann ich diese Reise nie und nimmer antreten!« Wiederum plagte mich die Neugier und hätte diesen Haushalt liebend gern inspiziert. »Meine Dame!«, sagte ich, »auf Grund der Entfernung benötige ich schon nähere Angaben zu Ihren Haushaltsgegenständen, denn wie Sie Wissen ... »Ach geh!«, plärrte es zurück, Se sin jo nich groad geschäftstichtig! Also, wenn Se mich scho’ onrufen, doa wärs doch in Ihrm Intresse, doss ße mit Ihren Dellefongebihrn nich zu hoch kemma! Ich hoab Ihn’ olles gesoggt!« Da hatte diese komische Person doch tatsächlich vergessen, dass sie die Anruferin war. Nun machte ich mir einen Jux aus dem Gespräch und nannte wahnsinnig hohe Preise für Dinge, die ich nie gesehen hatte oder die in meinen Vorstellungen mit großer Wahrscheinlichkeit in jedem Haushalt existierten. Jetzt biss die Fernsprechteilnehmerin an und spielte vermutlich mit dem Gedanken, sich nun doch von einigen ihrer Bilder zu trennen. Dabei wurde sie zusehends freundlicher. Dann kam ich auf eventuell vorhandene Signaturen zurück und entlockte der Dame höchst unwichtige Angaben. »Kruzitürken noch emol, mer homm Ihn’ doch oalles gesoggt!«, schnauzte eine Männerstimme durch die Leitung – vermutlich war es die des Oberhauptes der Familie. »Word’n ße mol! Wos zohl’n ße denn für’n Büld?«, fragte dieser Herr jetzt, nachdem er seiner besseren Hälfte den Telefonhörer entriss. Mein Gehirn arbeitete fieberhaft an der Beantwortung dieser Frage. »Es soan schöne Bilder, wissen’s?! Hoammer geörbt von unsen Vorfohrn und donn sin se ooch teuer!« Wieder trat eine Pause ein. »Owwer Se missen doch wissen, wos so Bilder kosten wirdn!« »Mein Herr, schön wärs, wenn Sie den Namen des Malers auf der Leinwand ablesen, dann könnte ich ... »‘S sin olles berihmte Moler, unse Vorfoahrn hom koan Dreck gekooft!« In der Stimme des Gesprächsteilnehmers machte sich jetzt Entrüstung breit. »Woher wissen Sie das so genau?«, fragte ich und erschrak vor mir selbst. Möglicherweise hat Holzenbecher meine Provokation nicht mitbekommen und rasselte wie auswendig gelernt, die ganze Ahnentafel der Familie herunter. »Mer wissen scho, wo ßä herkemma –
Se sin aus ‘m Osten, göll?«, fragte Holzenbecher, um mich zu provozieren. »Kennen Sie Leipzig?«, war meine Gegenfrage. Jetzt trat schon wieder eine Pause ein. Holzenbecher hatte mit Sicherheit vergessen, dass er dieses Gespräch auf eigene Kosten führte und versuchte, ebenso wie ich, das Gespräch weiter in die Länge zu ziehen. Um sich auf meine Kosten aus der Affäre zu ziehen, klärte er mich darüber auf, dass es bei Leipzig eine Völkerschlacht gegeben haben muss. »Wissen Sie’s genau?«, fragte ich. Das Manko bei Holzenbecher war, das diese Schlacht für ihn erst 1913 stattfand. Inzwischen waren fünfundvierzig Telefonminuten draufgegangen und nichts Konkretes besprochen. In der weiteren Vorstellung, ich hätte in Hof angerufen, zog Holzenbecher das Telefonat noch um eine Ewigkeit in die Länge. Zum Schluss dauerte unsere Konversation weit über eine Stunde. »Also, in Ihrm Intresse – kumm ‘S mol zum Obschluss, ober ‘s sin joa Ihre Tellefongebihrn!« Jetzt riss mir der Geduldsfaden. »Sie müssen doch wissen was Sie woll’n, verdammt noch mal! Übrigens bin ich angerufen worden! Wenn Sie sich entschieden haben, dann können Sie sich gern wieder melden!« Am anderen Ende der Strippe hörte ich ein unverständliches Geschimpfe auf »Bayrischplatt«, dann knackte es im Hörer und das Gespräch war zu Ende. Dieses Telefonat war dennoch ein gutes Geschäft , weil es viel billiger war, als vierhundert km auf der Landstraße sinnlos herunterzuschrubben.