Darüber hinaus… gab es keinen Plan. Mumm wollte die Zwerge finden, gefangen nehmen und so viele wie möglich von ihnen nach Ankh-Morpork zurückbringen. Doch das war eine Absicht, kein Plan. Immerhin war es eine feste Absicht. Fünf Personen waren ermordet worden. Man konnte nicht einfach mit einem Achselzucken darüber hinweggehen. Er würde sie zurückbringen, ins Gefängnis stecken und feststellen, was er ihnen alles zur Last legen konnte. Viele Freunde hatten sie jetzt bestimmt nicht mehr. Natürlich würde es politisch werden, das wurde es immer, aber die Leute würden wenigstens wissen, dass er alles versucht hatte, und mehr konnte man nicht von ihm verlangen. Mit ein wenig Glück hinderte er alle anderen daran, auf dumme Gedanken zu kommen. Und dann war da noch das verdammte Geheimnis, aber wenn er es tatsächlich fand und es ein Beweis dafür war, dass die Zwerge den Trollen aufgelauert hatten oder die Trolle den Zwergen oder beide Seiten der jeweils anderen, zur gleichen Zeit… Er konnte es einfach in irgendein Loch werfen. Es würde überhaupt nichts ändern. Mit ziemlicher Sicherheit bestand das Geheimnis nicht aus einem Topf Gold. Leute nahmen nicht viel Geld auf ein Schlachtfeld mit, denn dort gab es nur wenig zu kaufen.

Wie dem auch sei, es war ein guter Anfang. Sie hatten etwas Zeit zurückgewonnen. Sie konnten die Reise mit hoher Geschwindigkeit fortsetzen und die Pferde bei jeder Herberge wechseln. Warum versuchte er, sich selbst zu überzeugen? Es war vernünftig, langsamer zu fahren. Hohe Geschwindigkeit bedeutete Gefahr.

»Mit diesem Tempo könnten wir das Ziel übermorgen erreichen«, wandte sich Mumm an Willikins, als sie zwischen jungem Mais dahinrasselten.

»Wenn du meinst, Herr«, sagte Willikins. Mumm hörte den diplomatischen Tonfall.

»Glaubst du nicht?«, fragte er. »Komm schon, sprich ganz offen!«

»Die Zwerge wollen doch so schnell wie möglich zum Koomtal, Herr«, sagte Willikins.

»Ich denke schon. Sie möchten bestimmt keine Zeit verlieren.«

»Deshalb überrascht es mich, dass du glaubst, sie würden die Straße benutzen, Herr. Sie könnten doch Besen einsetzen.«

»Vielleicht«, räumte Mumm ein. »Aber wenn das der Fall wäre, hätte mich der Erzkanzler sicher darauf hingewiesen.«

»Ich bitte um Verzeihung, Herr, aber was hätte er damit zu tun? Es wäre gar nicht nötig, dass sich die Zwerge an den Herrn in der Universität wenden. Es ist allgemein bekannt, dass die Zwerge von Kupferkopf die besten Besen herstellen.«

Die Kutsche rollte weiter.

Nach einer Weile sagte Mumm mit der Stimme von jemandem, der gründlich nachgedacht hat: »Sie müssten nachts reisen. Tagsüber würde man sie sehen.«

»In der Tat, Herr«, sagte Willikins und blickte geradeaus.

Wieder folgte nachdenkliche Stille.

»Glaubst du, dieses Ding kann über Zäune springen?«, fragte Mumm.

»Ich bin bereit, einen Versuch zu wagen, Herr«, sagte Willikins. »Ich glaube, die Zauberer haben sich bei dieser Sache etwas gedacht.«

»Wirklich? Es würde bedeuten, dass wir in zwei Stunden die Hälfte der Strecke schaffen!«

»Du hast schließlich betont, dass du das Ziel schnell erreichen möchtest«, erwiderte Willikins.

Diesmal dauerte die Stille etwas länger, bis Mumm sagte: »Na schön, halt irgendwo an. Alle sollen wissen, was wir vorhaben.«

»Gern, Herr«, sagte Willikins. »Das gibt mir Gelegenheit, meinen Hut festzubinden.«

 

 

Was Mumm von der Reise am deutlichsten in Erinnerung blieb – und es gab viele Dinge, die er vergessen wollte –, war die Stille. Und die Weichheit.

Er fühlte den Wind im Gesicht, aber es war nur eine Brise, selbst dann, als der Boden zu einem flachen grünen Schemen wurde. Die Luft formte sich um sie herum. Als Mumm versuchsweise ein Stück Papier etwa dreißig Zentimeter über seinen Kopf hielt, riss der Fahrtwind es weg.

Auch das Korn explodierte. Wenn sich die Kutsche näherte, fuhren die Triebe aus dem Boden, als zerrte sie etwas heraus, und dann explodierten sie wie Feuerwerksraketen.

Die Getreidefelder wichen Viehweiden, als Willikins sagte: »Weißt du, Herr, die Kutsche steuert sich selbst. Sieh nur.«

Er ließ die Zügel sinken, als sich ein Waldstück näherte. Der Schrei entstand gerade erst in Mumms Kehle, als die Kutsche um das Waldstück herumschwenkte und dann auf den ursprünglichen Kurs zurückkehrte.

»Mach das bitte nicht noch mal!«, sagte Mumm.

»Ja, Herr. Aber die Kutsche steuert sich wirklich selbst. Ich glaube, ich könnte sie gar nicht gegen etwas steuern.«

»Versuch es bloß nicht!«, sagte Mumm schnell. »Und ich könnte schwören, dass ich gesehen habe, wie dort drüben eine Kuh explodiert ist! Halt uns von Orten und Leuten fern!«

Hinter der Kutsche sausten Rüben und Steine empor und sprangen in die entgegengesetzte Richtung. Mumm hoffte, dass sie deswegen keine Schwierigkeiten bekamen.21

Er bemerkte noch etwas anderes: Die vor ihnen liegende Landschaft wirkte seltsam bläulich, während die hinter ihnen einen rötlichen Ton annahm. Er wies nicht darauf hin, denn es erschien ihm zu seltsam.

Sie mussten zweimal anhalten, um sich zu orientieren, und um halb sechs trennten sie nur noch zwanzig Meilen vom Koomtal. Es gab eine Raststätte in der Nähe, und Willikins steuerte die Kutsche auf den Hof. Niemand sprach viel. Abgesehen vom geschwindigkeitssüchtigen Butler war die Reise nur an wenigen anderen Personen spurlos vorübergegangen: an Sybil, dem kleinen Sam, der einen recht fröhlichen Eindruck machte, und Detritus, der mit offensichtlicher Freude die vorbeifliegende Welt beobachtet hatte. Ziegel lag noch immer bäuchlings auf dem Dach der Kutsche und hielt sich krampfhaft fest.

»Zehn Stunden«, sagte Fred Colon. »Mit dem Mittagessen und einer kurzen Kotzpause. Kaum zu fassen…«

»Ich glaube nicht, dass Leute dazu bestimmt sind, so schnell zu reisen«, stöhnte Nobby. »Ich fürchte, mein Gehirn ist noch zu Hause.«

»Wenn wir darauf warten wollen, dass es dich hier einholt, sollte ich besser ein Haus kaufen«, erwiderte Fred.

Nerven lagen blank, Gehirne hinkten hinterher… Deshalb mag ich keine Magie, dachte Mumm. Aber wir sind hier, und es ist erstaunlich, wie sehr das Bier des Rasthauses die Erholung fördert.

»Wir könnten sogar einen kurzen Blick ins Koomtal werfen, bevor es dunkel wird«, sagte er, was allgemeines Stöhnen hervorrief.

»Nein, Sam!«, widersprach Sybil. »Alle brauchen eine Mahlzeit und Ruhe! Lass uns so in den Ort fahren, wie es sich gehört, hübsch langsam, und morgen sind wir alle frisch.«

»Lady Sybil hat Recht, Kommandeur«, sagte Scheusohn. »Selbst um diese Jahreszeit wäre es nicht klug, nach Einbruch der Dunkelheit das Tal aufzusuchen. Man könnte sich leicht verirren.«

»In einem Tal?«, fragte Mumm.

»O ja, Herr«, sagte Grinsi. »Du wirst es sehen, Herr. Und wer sich verirrt, stirbt meistens.«

Während der ruhigen Fahrt zum Ort, und weil es sechs Uhr war, las Mumm dem kleinen Sam Wo ist meine Kuh? vor. Die Lektüre wurde zu einer gemeinsamen Vorstellung. Grinsi half mit den Hühnergeräuschen aus, bei denen es Mumm, wie er glaubte, ein wenig an Talent mangelte, und Detritus fügte ein GRUNZEN! hinzu, das die Fenster klirren ließ. Grag Scheusohn brachte entgegen allen Erwartungen ein recht gutes Schwein zustande. Für den kleinen Sam, der mit großen Augen zusah, war es die Show des Jahres.

 

 

Bunty war überrascht, sie so früh zu sehen, aber Frauen, die organisieren, geraten nicht durcheinander, wenn Gäste unerwartet früh eintreffen.

Bunty hieß eigentlich Berenike Wainsburg, geborene Mausvater; der neue Name war vermutlich eine Erleichterung. Sie hatte eine verheiratete Tochter, die außerhalb von Quirm lebte, und einen Sohn, der wegen eines großen Missverständnisses überstürzt nach Viericks ausgewandert war und jetzt in Schafen machte, und sie hoffte, dass Sybil und natürlich Seine Gnaden bis Samstag bleiben konnten, weil sie praktisch alle eingeladen hatte, und der kleine Sam war einfach entzückend und so weiter, bis zu »… und wir haben einen der Ställe für eure Trolle sauber gemacht«, mit einem fröhlichen Lächeln gesprochen.

Bevor Sybil oder Mumm etwas sagen konnten, nahm Detritus den Helm ab und verbeugte sich.

»Ich dir danken, gnädige Frau«, polterte er. »Manchmal die Leute vergessen, den Stall zuerst zu säubern. Solche kleinen Dinge viel bedeuten.«

»Oh, danke«, sagte Bunty. »Wie reizend. Ich, äh, habe noch nie einen Troll gesehen, der Kleidung trägt…«

»Ich sie ablegen kann, wenn du möchtest«, erwiderte Detritus. An dieser Stelle nahm Sybil Bunty sanft am Arm und sagte: »Ich möchte dir die anderen vorstellen…«

Herr Wainsburg, der Richter, erwies sich nicht als der korrupte Mistkerl, den Mumm erwartet hatte. Er war dünn, groß und nicht sehr redselig, verbrachte seine Zeit daheim in einem mit Gesetzesbüchern, Pfeifen und Angelausrüstung gefüllten Arbeitszimmer. Morgens sprach er Recht, angelte am Nachmittag und verzieh Mumm großzügig sein völliges Desinteresse an Trockenfliegen.

Der Ort namens Koomfurt lebte zum größten Teil vom Fluss. Wo der Koom die Ebene erreichte, wurde er breiter und langsamer und war mit mehr Fisch voll gestopft als eine Büchse Sardinen. Sümpfe erstreckten sich auf beiden Seiten, mit tiefen, verborgenen Seen, die zahlreichen Vögeln Heimat und Nahrung boten.

Und dann gab es da noch die Schädel.

»Ich bin auch der Leichenbeschauer«, teilte Herr Wainsburg Mumm mit, als er seinen Schreibtisch aufschloss. »Jedes Jahr im Frühling werden einige Knochen zu uns geschwemmt. Die meisten stammen von Touristen. Sie wollen einfach nicht hören. Aber manchmal bekommen wir auch Dinge von… historischem Interesse.« Er legte einen Zwergenkopf auf den Tisch.

»Etwa hundert Jahre alt«, sagte er. »Von der letzten großen Schlacht vor einem Jahrhundert. Gelegentlich finden wir auch Rüstungsteile. Wir bringen alles ins Beinhaus. Von Zeit zu Zeit kommen die Trolle mit einem Karren, sortieren den Kram und bringen ihn fort. Sie nehmen dies alles sehr ernst.«

»Irgendwelche Schätze?«, fragte Mumm.

»Ha. Mir hat niemand von einem erzählt. Aber ich würde von einer großen Sache hören.« Der Richter seufzte. »Jedes Jahr kommen Leute und suchen danach. Manchmal haben sie Glück.«

»Finden sie Gold?«

»Nein, aber sie kehren lebend zurück. Irgendwann trägt das Wasser die Reste der anderen aus den Höhlen.« Wainsburg wählte eine Pfeife aus dem Gestell auf dem Schreibtisch und stopfte sie. »Es erstaunt mich, dass es jemand für nötig hält, Waffen ins Tal mitzunehmen. Es tötet ganz nach Laune. Soll euch einer meiner Jungs führen?«

»Ich habe einen eigenen Führer«, sagte Mumm und fügte hinzu: »Aber ich danke dir.«

Der Richter paffte. »Wie du wünschst«, sagte er. »Ich werde auf jeden Fall den Fluss im Auge behalten.«

 

 

Angua und Sally waren im gleichen Zimmer untergebracht. Angua versuchte, sich daran zu gewöhnen. Die Frau sollte nichts erfahren. Es war auf jeden Fall schön, in einem sauberen Bett zu liegen, auch wenn der Raum ein wenig muffig roch. Mehr Muff, weniger Vampir, dachte sie. Wenigstens etwas.

In der Dunkelheit öffnete sie ein Auge.

Jemand hatte sich leise im Zimmer gerührt. Die Luft hatte sich bewegt, und die subtilen Geräusche der Nacht klangen ein wenig anders.

Jemand erreichte das verriegelte Fenster. Ein leises Kratzen verriet, dass der Riegel beiseite geschoben wurde.

Das Öffnen des Fensters ließ sich leicht feststellen: Neue Gerüche schwebten herein.

Es folgte ein Knacken, das vermutlich nur ein Werwolf hören konnte, danach raschelten viele ledrige Flügel. Kleine ledrige Flügel.

Angua schloss das Auge wieder. Dieses Biest! Gab sie die Vorsicht auf? Es hatte keinen Sinn, ihr zu folgen. Angua fragte sich, ob sie das Fenster schließen und die Tür verriegeln sollte, nur um zu sehen, welche Ausrede sich Sally einfallen lassen würde, aber sie schob diesen Gedanken beiseite. Sie entschied sich auch dagegen, Herrn Mumm Bescheid zu geben. Was konnte sie beweisen? Man würde alles auf die Werwolf-Vampir-Sache zurückführen…

 

 

Und jetzt erstreckte sich das Koomtal vor Mumm, und er konnte erkennen, warum er nichts geplant hatte. Für das Koomtal konnte man nichts planen. Es lachte über Pläne. Es drückte sie einfach aus dem Weg, so wie Straßen.

»Natürlich siehst du es jetzt zur besten Zeit des Jahres«, sagte Grinsi.

»Und damit meinst du…?«, fragte Mumm.

»Es versucht nicht, uns umzubringen. Hier sind Vögel. Und wenn die Sonne an der richtigen Stelle steht, entstehen wunderschöne Regenbögen.«

Es gab hier viele Vögel. In den zahlreichen flachen Teichen und Seen vermehrten sich Insekten wie wild. Die meisten Gewässer würden bis zum späten Sommer ausgetrocknet sein, aber derzeit wimmelte es im Koomtal von summenden Geschöpfen. Und die Vögel waren aus der Ebene gekommen, um hier zu schmausen. Mumm wusste nicht sehr gut über Vögel Bescheid, aber die meisten von ihnen sahen wie Schwalben aus, Millionen von ihnen. Sie hatten Nester an der nächsten steilen Felswand gebaut, eine gute halbe Meile entfernt, und Mumm hörte das Gezwitscher von dort. Und wo sich Baumstämme und Felsen zu einem Damm angesammelt hatten, sprossen Schösslinge und grüne Pflanzen.

Unter dem schmalen Pfad, über den Mumm und seine Begleiter schritten, schoss Wasser aus einem halben Dutzend Höhlen und bildete einen großen Wasserfall, dessen Fluten sich zur Ebene ergossen.

»Es ist alles so… lebendig«, sagte Angua. »Ich habe mir eine öde Felslandschaft vorgestellt.«

»Das so ist bei dem Ort, wo stattgefunden hat die Schlacht«, erwiderte Detritus. Sprühwasser glänzte auf seiner Haut. »Mein Vater mich geführt hat ins Tal, als wir kamen zur Stadt. Er mir zeigte den öden Felsenort, schlug mir auf den Kopf und meinte: ›Erinnere dich.‹«

»Woran solltest du dich erinnern?«, fragte Sally.

»Das er nicht sagte. Also ich mich erinnerte ganz allgemein.«

Das habe ich nicht erwartet, dachte Mumm. Es ist so… chaotisch. Oh, wir sollten uns besser von der Felswand entfernen. Diese großen Felsbrocken hier müssen von irgendwo gekommen sein.

»Ich rieche Rauch«, sagte Angua nach einer Weile, als sie über den Geröllweg kletterten.

»Lagerfeuer weiter oben im Tal«, fügte Grinsi hinzu. »Vermutlich Frühankömmlinge.«

»Du meinst, die Leute stellen sich für einen Platz in der Schlacht an?«, fragte Mumm. »Passt bei diesem Felsen auf. Er ist glitschig.«

»Ja. Der Kampf beginnt erst am Koomtaltag. Das ist morgen.«

»Verdammt, das hatte ich ganz vergessen. Wirkt er sich auf uns hier unten aus?«

Scheusohn hüstelte höflich. »Ich glaube nicht, Kommandeur. Dieser Bereich ist zu gefährlich, um darin zu kämpfen.«

»Ja, es wäre natürlich schrecklich, wenn jemand zu Schaden käme«, sagte Mumm und kletterte über einen langen Haufen aus vermoderndem Holz. »Das würde allen den Tag verderben.«

Historische Unterhaltung, dachte er finster, als sie einen Weg über, unter und durch das Chaos aus Felsblöcken und insektenzerfressenen Holzhaufen suchten; praktisch überall flossen kleine Bäche. Bei uns verkleiden sich die Leute und tragen harmlose Waffen, und andere Leute verkaufen heiße Würstchen, und die Mädchen jammern, weil sie sich als Huren verkleiden müssen, einen anderen Job gab es damals für Frauen nicht.

Aber die Zwerge und Trolle… Sie kämpfen wirklich gegeneinander. Als ob sie alles richtig hinbekommen könnten, wenn sie nur oft genug kämpfen.

Mumm sah ein Loch im Weg, halb vom Schutt des Winters blockiert, das noch immer einen ganzen Bach verschlucken konnte. Das Wasser strömte hinein und verschwand in der Tiefe. Von weit unten kam ein dumpfes Donnern. Mumm kniete und berührte das Wasser – es war so kalt, dass es stach.

»Ja, gib auf die Ponore Acht, Kommandeur«, sagte Scheusohn. »Dies ist Kalkstein. Wasser trägt ihn schnell ab. Vermutlich finden wir noch weitaus größere Schlucklöcher. Oft sind sie unter vermoderndem Holz und dergleichen verborgen. Pass gut auf, wohin du trittst.«

»Werden sie nicht verstopft?«

»O doch, Herr. Du hast die Größe der Felsen gesehen, die bis hierher rollen.«

»Dies muss wie ein riesiges Billardspiel sein!«

»Vermutlich etwas in der Art«, erwiderte Scheusohn vorsichtig.

Nach zehn Minuten setzte sich Mumm auf einen Baumstamm, nahm den Helm ab, holte ein großes rotes Taschentuch hervor und wischte sich die Stirn ab.

»Es wird wärmer«, sagte er. »Und an diesem verdammten Ort sieht es überall gleich aus… Au!« Er schlug auf sein Handgelenk.

»Die Mücken können ein echtes Ärgernis sein, Herr«, sagte Grinsi. »Es heißt, wenn sie besonders schmerzhaft stechen, kommt ein Unwetter.«

Sie blickten beide zu den Bergen. Gelblicher Dunst hing über dem Ende des Tals, und Wolken schwebten zwischen den Gipfeln.

»Oh, gut«, sagte Mumm. »Die Mücke eben scheint ihren Stachel bis zum Knochen gebohrt zu haben.«

»Ich würde mir deshalb keine Sorgen machen, Kommandeur«, erwiderte Grinsi. »Das große Koomtal-Unwetter war ein Ereignis, das nur einmal im Leben stattfindet.«

»Das scheint damals bei vielen Ereignissen der Fall gewesen zu sein«, sagte Mumm. »Dieser verdammte Ort geht mir auf die Nerven, ich gebe es zu.«

Die anderen hatten inzwischen zu ihnen aufgeschlossen, Sally und Detritus litten sichtlich unter der Hitze. Die Vampirin nahm wortlos im Schatten eines großen Felsens Platz. Ziegel legte sich neben einen Bach und hielt den Kopf ins eiskalte Wasser.

»Ich fürchte, ich bin hier keine große Hilfe, Herr«, sagte Angua. »Ich rieche Zwerge, aber das ist auch schon alles. Hier gibt es überall zu viel Wasser!«

»Vielleicht brauchen wir deine Nase nicht.« Mumm holte das Rohr mit Sybils Skizze hervor, entrollte die Zeichnung und steckte die Enden zusammen.

»Bitte hilf mir dabei, Grinsi«, sagte er. »Alle anderen ruhen sich aus. Und lacht nicht.«

Er senkte den Kreis aus Bergen auf seinen Kopf hinab. Von Angua kam ein Hüsteln, und er gab vor, es nicht zu hören.

»Na schön«, brummte Mumm und drehte das steife Papier, damit die Berge und ihre Umrisse übereinstimmten. »Da drüben ist Kupferkopf, und dort haben wir Cori Celesti. Sie passen gut zu der Zeichnung. Wir haben das Ziel praktisch schon erreicht!«

»Nicht unbedingt, Kommandeur«, sagte Scheusohn hinter ihm. »Beide Berge sind fast zweihundert Meilen entfernt. Von jedem beliebigen Ort in diesem Tal sehen sie fast gleich aus. Du musst dir die näheren Berge ansehen.«

Mumm drehte sich. »In Ordnung. Wie heißt der Berg, der auf der linken Seite ziemlich steil aussieht?«

»Das ist der König, Herr«, sagte Grinsi. »Er ist etwa zehn Meilen entfernt.«

»Wirklich? Er scheint näher zu sein…«

Mumm fand den betreffenden Berg in der Zeichnung. »Und der kleine dort drüben? Mit den beiden Gipfeln?«

»Den Namen kenne ich nicht, Herr, aber ich sehe ihn.«

»Sie sind zu klein und zu nahe beisammen…«, murmelte Mumm.

»Dann geh auf sie zu, Herr. Achte darauf, wohin du trittst. Setz den Fuß nur auf nackten Fels. Meide vermoderndes Holz. Der Grag hat Recht. Vielleicht liegt es über einem alten Ponor, und du könntest in die Tiefe stürzen.«

»Na schön. Etwa halb zwischen ihnen ist ein komisch geformter Vorsprung. Ich halte genau darauf zu. Du achtest auf das, was vor meinen Füßen liegt.«

Mumm wanderte durch das einsame Tal. Er versuchte, das Papier ruhig zu halten, stolperte über Felsen und platschte durch eisige Bäche…

»Mist und verdammt!«

»Herr!«

Mumm blickte über den Rand des Papiers. »Ich habe den König verloren. Der große Kamm aus Felsblöcken dort ist im Weg. Warte… Ich sehe den Berg, in dessen Seite ein Stück fehlt…«

Es schien so einfach zu sein. Es wäre einfach gewesen, wenn das Koomtal flach gewesen wäre und nicht ausgesehen hätte wie eine Bowlingbahn der Götter. An manchen Stellen mussten sie umkehren, weil ein Wall aus ineinander verkeiltem, stinkendem und voller Mücken steckendem Holz den Weg versperrte. Oder die Barriere bestand aus Felsen so lang wie eine Straße. Oder einem großen, mit Dunst gefüllten Kessel aus tosendem Wasser, der woanders Teufelskessel geheißen hätte, hier aber keinen Namen trug, weil dies das Koomtal war, und für das Koomtal gab es nicht genug Teufel, und sie hatten nicht genug Kessel.

Und die Mücken stachen, und die Sonne brannte vom Himmel, und das verfaulende Holz, die feuchte Luft, die Windstille schufen ein klebriges, sumpfartiges Miasma, das die Muskeln zu schwächen schien. Kein Wunder, dass die Zwerge und Trolle am anderen Ende des Tals gekämpft hatten, dachte Mumm. Dort gab es frische Luft und Wind. Wenigstens hatte man es dort etwas bequemer.

Manchmal gelangten sie in einen offenen Bereich, der wie die von Methodia Schlingel gemalte Szene aussah, aber die nahen Berge passten nicht ganz, und dann kehrten sie zurück in das Durcheinander. Sie mussten Umwege machen, und gelegentlich waren Umwege für die Umwege nötig.

Schließlich setzte sich Mumm auf einen weichen, ausgebleichten Baumstamm und legte die Zeichnung beiseite.

»Wir müssen die Stelle übersehen haben«, sagte er. »Oder Schlingel hat die Berge nicht ganz richtig hinbekommen. Oder vielleicht hat ein Berg während der letzten hundert Jahre ein großes Stück verloren. Das ist nicht auszuschließen. Wir könnten nur ein paar Meter von der richtigen Stelle entfernt sein und sie nicht erkennen.« Er schlug eine Mücke von seiner Hand.

»Kopf hoch, Herr, ich glaube, wir sind dem Ziel recht nahe«, sagte Grinsi.

»Wie kommst du darauf?«, fragte Mumm und wischte sich die Stirn ab.

»Weil ich glaube, dass du vielleicht auf dem Gemälde sitzt, Herr. Es ist sehr schmutzig, aber es sieht ganz nach zusammengerollter Leinwand aus.«

Mumm stand schnell auf und untersuchte den vermeintlichen Baumstamm. Als er eine Ecke von dem hob, was er bisher für gelbgraue Rinde gehalten hatte, kam auf der anderen Seite Farbe zum Vorschein.

»Und das dort…«, begann Grinsi, unterbrach sich aber, als Mumm den Zeigefinger an die Lippen hob.

Einige Kiefernschösslinge lagen in der Nähe, alle Zweige waren entfernt. Ohne das zusammengerollte Gemälde hätten sie sie vermutlich gar nicht bemerkt.

Sie haben getan, was auch wir getan haben, dachte Mumm. Vielleicht war es für sie einfacher, wenn genug Zwerge das Bild hielten. Die Berge sind nicht nur Bleistiftstriche, sondern haben die richtige Farbe, und die Darstellungen des Gemäldes sind genauer. Und sie konnten sich Zeit lassen. Sie dachten, dass sie mir weit voraus sind. Ihre Sorge galt allein dem verdammten mystischen Symbol.

Mumm zog sein Schwert und bedeutete Grinsi, ihm zu folgen.

Hier geht es nicht nur um ein paar Tiefener, dachte er, als er um einige nahe Felsen herumschlich. Die hätten hier nicht im hellen Sonnenschein gestanden. Mal sehen, wie viele als Wächter zurückgeblieben sind…

Nicht ein Einziger, wie sich herausstellte. Es war gewissermaßen eine Enttäuschung. Hinter den Felsen lag die Stelle, die mit einem X markiert gewesen wäre, wenn es ein X gegeben hätte.

Sie müssen sich ihrer Sache sehr sicher sein, dachte Mumm. Offenbar hatten sie Tonnen von Felsen und Holz bewegt – die Brechstangen zeugten davon.

Es wäre gut, wenn Angua und die anderen jetzt zu uns aufschließen würden, dachte er.

Vor ihnen öffnete sich der Boden – das Loch durchmaß knapp zwei Meter. Eine Stahlstange war darüber gelegt worden und ruhte in aus dem Felsgestein gemeißelten Vertiefungen. Ein Seil reichte von der Stange in die Tiefe. Von weit unten kam das Donnern dunklen Wassers.

»Herr Schlingel muss sehr tapfer gewesen sein, als er hier stand«, sagte Mumm.

»Vielleicht gab es vor hundert Jahren einen Stöpsel«, spekulierte Grinsi.

Mumm trat einen kleinen Stein in die Tiefe. »Wie wär’s, wenn du davon ausgehst, dass ich ein Stadtmensch bin und von Höhlen überhaupt keine Ahnung habe?«

»Manchmal wird ein solches Schluckloch verstopft, Herr«, sagte Grinsi geduldig. »Vielleicht brauchte Herr Schlingel nur auf einen Stöpsel aus Schutt hinabzuklettern.«

Dies ist der Ort.

Hier hat er also den sprechenden Würfel gefunden, dachte Mumm. Er schenkte Grinsis Einwänden keine Beachtung, weil er hier der Kommandeur war, und ließ sich ein kleines Stück am Seil hinab.

Dort, dicht unter der Lochöffnung, steckte ein rostiges Stück Eisen im Fels. Einige Glieder einer ebenfalls verrosteten Kette hingen daran.

Es sang in seinen Ketten

»Ich erinnere mich an eine Notiz über das Ding in Ketten«, sagte Mumm. »Hier hängt eine Kette und etwas, das wie das stumpfe Ende eines Messers aussieht.«

»Zwergenstahl, Herr!«, sagte Grinsi vorwurfsvoll. »Sehr dauerhaft.«

»Könnte er all die Zeit überdauern?«

»O ja. Vermutlich ist das Schluckloch nach Schlingels Zeit für eine Weile zu einer Fontäne geworden – das Wasser hat den Stöpsel entfernt. So was passiert ständig im Koomta… Äh, was machst du da, Herr?«

Mumm starrte nach unten in die Dunkelheit. Wasser toste, in der tiefen Finsternis verborgen. Der Zwerg kletterte also in diesem Loch hoch, dachte er. Und er suchte nach einem sicheren Versteck für den Würfel? Warteten oben Trolle auf ihn? Ein kämpfender Zwerg hatte sicher ein Messer dabei, und Zwerge liebten Ketten. Ja… dies war ein guter Ort. Und er würde bald zurückkehren…

»Alte Männer kletterten hier hinab?«, fragte er und blickte am Seil entlang in die Tiefe.

»Alte Zwerge, Herr. Wir sind sehr stark für unsere Größe. Du willst doch nicht etwa nach unten, Herr?«

Da unten gibt es einen Seitentunnel

»Bestimmt gibt es da unten einen Seitentunnel«, sagte Mumm. Donner grollte fern in den Bergen.

»Aber die anderen werden bald hier sein, Herr! Sollten wir nicht besser warten?«

Warte nicht auf die anderen

»Nein. Sag ihnen, sie sollen mir folgen. Wir haben Zeit verloren, und ich kann hier nicht den ganzen Tag herumhängen.«

Grinsi zögerte und holte dann etwas aus einem Beutel an ihrem Gürtel.

»Dann nimm wenigstens das hier mit, Herr«, sagte sie. Mumm fing das kleine Paket auf. Es erwies sich als überraschend schwer.

»Eingewachste Streichhölzer, Herr. Sie werden nicht nass. Und die Hülle brennt mindestens vier Minuten lang wie eine Fackel. Außerdem ist ein kleiner Laib Zwergenbrot drin.«

»Oh… danke«, antwortete Mumm dem besorgten runden Schatten vor dem gelblichen Himmel. »Ich sehe nach, ob dort unten irgendwo Licht ist, und wenn nicht, kehre ich sofort zurück. Ich bin nicht so dämlich.«

Er ließ sich am Seil hinab. In Abständen von etwa dreißig Zentimetern war es mit Knoten versehen. Die Luft war winterkalt nach der Hitze im Tal. Feines Sprühwasser kam von unten.

Es gab einen Tunnel, ein ganzes Stück über dem Kessel. Und er glaubte, in der Ferne Licht zu sehen. Nun, er war nicht dumm. Er musste…

Lass los

Seine Hände lösten sich vom Seil. Ihm blieb nicht einmal Zeit genug für einen Fluch, bevor sich das Wasser um ihn schloss.

 

 

Mumm öffnete die Augen. Nach einer Weile – wegen der Schmerzen bewegte er sich nur sehr langsam – fand seine Hand sein Gesicht, und Mumm vergewisserte sich, dass seine Augenlider tatsächlich geöffnet waren.

Welche Teile seines Körpers taten nicht weh? Er überprüfte es. Offenbar gab es keine. Die Rippen sangen die Melodie des Schmerzes, aber Knie, Ellenbogen und Kopf fügten Triller und Arpeggios hinzu. Wenn sich Mumm bewegte, um die Pein zu lindern, kroch sie woandershin. Sein Kopf schmerzte, als hämmerte ihm jemand gegen die Augen.

Er stöhnte und hustete Wasser.

Er lag auf Sand. Irgendwo in der Nähe rauschte Wasser, doch der Sand war nur ein wenig feucht. Und das schien nicht richtig zu sein.

Mumm riskierte es, sich auf die Seite zu drehen, ein Vorgang, der eine erhebliche Menge an Stöhnen hervorbrachte.

Er erinnerte sich an das eiskalte Wasser. Schwimmen war unmöglich gewesen. Er hatte sich nur zu einer Kugel zusammenrollen können, als ihn das Wasser durch das Tivolispiel des Koomtals warf, schleuderte und schmetterte. Er glaubte, mindestens einmal einen Wasserfall hinuntergestürzt zu sein, und er hatte kurz nach Luft schnappen können, bevor ihn die Fluten erneut mit sich rissen. Und dann kamen Tiefe und Druck, und sein Leben zog vor dem inneren Auge vorbei, und er erinnerte sich an seinen letzten Gedanken: Bitte, können wir den Teil mit Marie Prügel weglassen…

Und jetzt lag er hier auf dem unsichtbaren Strand, nicht mehr im Wasser? Aber hier gab es doch keine Gezeiten.

Also hielt sich jemand in der Dunkelheit auf und beobachtete ihn. Jemand hatte ihn aus dem Wasser gezogen und beobachtete ihn…

Mumm öffnete erneut die Augen. Ein Teil des Schmerzes war verschwunden und hatte Steifheit hinterlassen. Zeit schien verstrichen zu sein. Die Dunkelheit presste sich von allen Seiten an ihn, dicht wie Samt.

Wieder bewegte er sich, was ihn erneut stöhnen ließ, und diesmal gelang es ihm, auf Hände und Knie zu kommen.

»Wer ist da?«, brummte er und stand mühsam auf.

Die aufrechte Haltung schien sein Gehirn wieder in Gang zu bringen.

»Ist jemand da?« Die Dunkelheit verschluckte das Geräusch. Und überhaupt, was hätte er getan, wenn ein »Ja« gefolgt wäre?

Er zog sein Schwert und hielt es ausgestreckt, als er loswankte. Nach zehn Schritten klackte es gegen Felsgestein.

»Streichhölzer«, murmelte er. »Ich habe Streichhölzer!«

Er fand das Wachsbündel, öffnete es mit kalten, halb tauben Fingern und holte ein Streichholz hervor. Mit dem Daumen strich er das Wachs fort und entzündete das Streichholz dann an der Felswand.

Der Schein schmerzte in seinen Augen. Sieh dich schnell um!, dachte er. Fließendes Wasser, glatter Sand, Hand- und Fußabdrücke, die aus dem Wasser kommen, nur von einer Person? Ja. Die Wände sehen trocken aus, kleine Höhle, Dunkelheit dort drüben, ein Weg hinaus…

Mumm hinkte so schnell wie möglich zu der ovalen Öffnung, während das Streichholz in seiner Hand zischte.

Der ersten Höhle folgte eine zweite, viel größere, so groß, dass ihre Dunkelheit das Licht des Streichholzes aufzusaugen schien. Die Flamme erreichte Mumms Finger und verschwand.

Schwere Finsternis kehrte zurück, zog sich wie ein Vorhang um ihn herum zusammen. Mumm begriff jetzt, was die Zwerge meinten. Dies war nicht die Dunkelheit einer Kapuze oder eines Kellers, nicht einmal die einer kleinen Kohlenmine. Er befand sich hier tief im Boden, und das Gewicht von so viel Dunkelheit lastete schwer auf ihm.

Dann und wann machte es Plink, wenn ein Tropfen in eine unsichtbare Pfütze fiel.

Mumm wankte weiter. Er wusste, dass er blutete. Er wusste nicht, warum er ging, aber ihm war klar, dass er gehen musste.

Vielleicht fand er irgendwann Tageslicht. Vielleicht fand er einen Baumstamm, der hierher getrieben war, und vielleicht konnte er damit nach draußen schwimmen. Er würde nicht sterben, nicht hier unten im Dunkeln, weit von zu Hause entfernt.

Es tropfte viel Wasser in der Höhle. Eine ganze Menge davon rann ihm über den Nacken, und es machte auf allen Seiten Plink. Ha, Wasser, das einem über den Nacken läuft, und seltsame Geräusche in den Schatten… Unter solchen Umständen findet man heraus, wer ein richtiger Polizist ist. Aber hier existierten keine Schatten. Dafür war es zu dunkel.

Vielleicht war jener arme Zwerg durch diese Höhle gewandert. Er hatte einen Weg nach draußen gefunden. Vielleicht hatte er den Weg gekannt oder ein Seil gehabt. Vielleicht war er jünger und gelenkiger gewesen… Er war nach draußen gelangt, tödlich verletzt, und hatte das Tal durchquert, mit einem Bein bereits im Grab. So etwas konnte mit Leuten geschehen. Mumm erinnerte sich an Frau Altbatt, die nach dem Tod ihres Babys verrückt geworden war. Sie putzte alles in ihrem Haus, jede Tasse und jeden Löffel, Wände, Boden und Decke. Nie empfing sie jemanden zu Besuch, nie hörte sie etwas. Sie arbeitete nur, Tag und Nacht. Etwas im Kopf machte Klick, und man beschäftigte sich mit irgendetwas, nur um nicht mehr zu denken.

Mumm versuchte, nicht daran zu denken, dass der Zwerg diese unterirdische Welt an der Stelle verlassen hatte, an der er in sie hineingefallen war, denn er wusste nicht, wo sich die Stelle befand.

Vielleicht sollte er ins Wasser springen, diesmal mit Absicht, und vielleicht würde es ihn zum Fluss tragen und nicht an irgendwelchen Felsen zerschmettern. Vielleicht…

Warum hatte er das Seil losgelassen? Es war wie die leise Stimme gewesen, die »Spring«, flüsterte, wenn man an einem Abgrund stand, oder »Berühr das Feuer«. Man kam der Aufforderung natürlich nicht nach. Das galt zumindest für die meisten Leute, die meiste Zeit über. Eine Stimme hatte »Lass los« geflüstert, und er hatte losgelassen…

Mumm setzte den Weg fort, blutend und voller Schmerzen, während die Dunkelheit ihren Schweif um ihn wölbte.

 

 

»Er wird bald hier sein, weißt du«, sagte Sybil. »Vielleicht kommt er in der letzten Minute.« Die große Standuhr im Flur hatte gerade halb sechs geschlagen.

»Bestimmt hast du Recht«, erwiderte Bunty. Sie badeten den kleinen Sam.

»Er kommt nie zu spät«, fuhr Sybil fort. »Er meint, wenn man aus einem guten Grund zu spät kommt, kommt man auch aus einem schlechten zu spät. Und es ist erst halb sechs.«

»Es bleibt noch reichlich Zeit«, sagte Bunty.

»Fred und Nobby haben die Pferde ins Tal gebracht, nicht wahr?«, fragte Sybil.

»Ja, Sybil. Du hast gesehen, wie sie aufgebrochen sind«, sagte Bunty. Über Sybils Kopf hinweg blickte sie zur hageren Gestalt ihres Mannes, der in der Tür stand. Er zuckte hoffnungslos mit den Achseln.

»Erst neulich lief er die Treppe hoch, als die Uhr sechs schlug«, sagte Sybil und seifte den kleinen Sam mit einem Schwamm ein, der wie ein Teddybär aussah. »In der letzten Sekunde. Warte es ab.«

 

 

Er wollte schlafen. Nie zuvor war er so müde gewesen. Mumm sank auf die Knie und kippte zur Seite auf den Sand.

Als er die Augen aufzwang, sah er matte Sterne über sich und hatte erneut das Gefühl, dass jemand in der Nähe war.

Er drehte den Kopf und schnitt eine Grimasse, als er damit neuen Schmerz herausforderte. Ein kleiner, hell erleuchteter Klappstuhl stand auf dem Sand. Darauf saß, zurückgelehnt, eine Gestalt, die einen Kapuzenmantel trug und ein Buch las. Neben dem Stuhl steckte eine Sense im Sand.

Eine weiße Knochenhand blätterte um.

»Du bist der Tod, nicht wahr?«, fragte Mumm nach einer Weile.

AH, HERR MUMM, SCHARFSINNIG WIE IMMER, HAST ES SOFORT RICHTIG ERKANNT, sagte Tod und klappte das Buch zu. Ein Finger markierte die Stelle, die er gerade gelesen hatte.

»Ich habe dich schon einmal gesehen.«

ICH WAR OFT MIT DIR UNTERWEGS, HERR MUMM.

»Und jetzt ist es soweit?«

IST DIR DAS KONZEPT GESCHRIEBENER ERZÄHLUNGEN NIE SELTSAM ERSCHIENEN?, fragte Tod.

Mumm wusste, wann Leute etwas zu meiden versuchten, das sie nicht aussprechen wollten. Dies geschah hier.

»Ist es soweit?«, fragte er. »Bin ich dran?«

VIELLEICHT.

»Vielleicht?«, wiederholte Mumm. »Was für eine Antwort ist das?«

EINE SEHR GENAUE. WEISST DU, DU HAST EINE BEINAHETODESERFAHRUNG, WAS UNVERMEIDLICHERWEISE BEDEUTET, DASS ICH EINE BEINAHE-MUMM-ERFAHRUNG HABE. ACHTE NICHT AUF MICH. SETZE DAS FORT, MIT DEM DU BESCHÄFTIGT BIST. ICH HABE EIN BUCH.

Mumm rollte auf den Bauch, biss die Zähne zusammen und stemmte sich erneut auf Hände und Knie. Er schaffte es, einige Meter zurückzulegen, bevor er wieder in den Sand sank.

Er hörte das Geräusch eines Stuhls, der bewegt wurde. »Solltest du nicht woanders sein?«, fragte er.

DAS BIN ICH AUCH, sagte Tod und setzte sich wieder.

»Aber du bist hier!«

ICH BIN AUCHHIER. Tod blätterte und brachte für eine nicht atmende Person einen guten Seufzer zustande. OFFENBAR HAT ES DER BUTLER GETAN.

»Was getan?«

ES IST EINE ERFUNDENE GESCHICHTE. SEHR SELTSAM. MAN BRAUCHT NUR AUF DER LETZTEN SEITE NACHZUSEHEN, DENN DORT STEHT DIE ANTWORT. WELCHEN SINN HAT ABSICHTLICHE UNWISSENHEIT?

Es klang nach Unsinn, deshalb ging Mumm nicht darauf ein. Einige der Schmerzen waren verschwunden, doch es hämmerte noch immer in seinem Kopf. Hinzu kam ein Gefühl umfassender Leere. Er wollte nur schlafen.

 

 

»Geht die Uhr richtig?«

»Ich fürchte ja, Sybil.«

»Ich warte draußen auf ihn und halte das Buch bereit«, sagte Sybil. »Er lässt sich von nichts aufhalten, weißt du.«

»Bestimmt nicht«, erwiderte Bunty.

»Allerdings kann das Wetter im unteren Tal in dieser Jahreszeit sehr tückisch…«, begann ihr Mann. Ein Blick seiner Frau brachte ihn zum Schweigen.

Es war sechs Minuten vor sechs.

 

 

»Glucksbimmel, gluckerbammel.«

Es war ein leises, wässriges Geräusch und kam irgendwo aus Mumms Hose. Nach einigen Momenten – genug Zeit, um sich daran zu erinnern, dass er noch eine Hand und eine Hose hatte – griff er in die Tasche und holte mit Mühe das Stachelbeer-Modell hervor. Das Gehäuse war verbeult, und als Mumm den Deckel hob, kam ein blasser Kobold zum Vorschein.

»Gluckelglucks!«

Mumm starrte darauf hinab. Es war ein sprechender Kasten. Er bedeutete etwas.

»Gluckerglucks gluckel!«

Langsam drehte Mumm den Kasten. Wasser floss heraus.

»Du hast nicht zugehört!«, klagte der Kobold. »Ich habe gerufen, aber du hast nicht zugehört! Es ist fünf Minuten vor sechs! Dem kleinen Sam vorlesen!«

Mumm ließ den protestierenden Kasten auf seine Brust sinken und blickte zu den matten Sternen empor.

»Muss dem kleinen Sam vorlesen«, murmelte er und schloss die Augen.

Die Lider zuckten wieder nach oben. »Muss dem kleinen Sam vorlesen!«

Die Sterne bewegten sich. Es war nicht der Himmel! Wie konnte es der Himmel sein? Dies war eine verdammte Höhle.

Er rollte auf die Seite und versuchte gleichzeitig, auf die Beine zu kommen. Es gab jetzt mehr Sterne, und sie glitten über die Wände. Die zielstrebigen Bewegungen stammten von Vürmern. An der Decke bildeten sie einen glühenden Strom.

Zwar flackerten sie ein wenig, aber auch in Mumms Kopf gingen wieder die Lichter an. Er blickte in etwas, das jetzt keine Schwärze mehr war, nur noch Düsternis, und Düsternis war wie Tageslicht nach der vorherigen Dunkelheit.

»Muss dem kleinen Sam vorlesen…«, flüsterte er in einer Höhle mit riesigen Stalaktiten und Stalagmiten, die alle feucht glänzten. »Muss dem kleinen Sam vorlesen…«

Er stolperte und rutschte durch Pfützen, taumelte über Ansammlungen von weißem Sand und folgte dem Vurmlicht.

 

 

Sybil versuchte, nicht in die besorgten Gesichter von Gastgeber und Gastgeberin zu sehen, als sie durch den Flur eilte. Der Minutenzeiger der großen Standuhr hatte fast die 12 erreicht und zitterte.

Sie stieß die Eingangstür auf. Kein Sam stand draußen, und es ritt auch keiner über die Straße.

Die Uhr begann zu schlagen. Sybil merkte, wie jemand neben sie trat.

»Soll ich dem kleinen Sam vorlesen, gnädige Frau?«, fragte Willikins. »Vielleicht könnte die Stimme eines Mannes…«

»Nein, ich gehe nach oben«, sagte Sybil leise. »Warte du hier auf meinen Mann. Er wird bald kommen.«

»Ja, gnädige Frau.«

»Wahrscheinlich hat er es sehr eilig.«

»Ich schicke ihn sofort nach oben, gnädige Frau.«

»Er wird kommen, das weißt du!«

»Ja, gnädige Frau.«

»Er wird durch Wände gehen!«

Sybil ging die Treppe hoch, als die Uhr zum letzten Mal schlug. Es war die falsche Uhr. Natürlich war sie das!

Der kleine Sam war im alten Kinderzimmer des Hauses untergebracht, einem recht düsteren Raum, in dem Grau- und Brauntöne vorherrschten. Er beherbergte auch ein erschreckend wirkendes Schaukelpferd mit großen Zähnen und irre starrenden Glasaugen.

Der Knabe stand in seinem Kinderbett. Er lächelte, aber das Lächeln verblasste zu Verwirrung, als Sybil einen Stuhl heranzog und sich setzte.

»Papi hat Mami gebeten, dir heute Abend vorzulesen, Sam«, verkündete sie fröhlich. »Wir werden viel Spaß haben!«

Das Herz wurde ihr nur aus dem Grund nicht schwer, weil es bereits das Maximalgewicht für ein schweres Herz erreicht hatte. Aber es schien noch weiter zunehmen zu wollen, als der kleine Junge sie anstarrte, zur Tür sah, erneut den Blick auf sie richtete, dann den Kopf nach hinten neigte und weinte.

 

 

Mumm hinkte im Schnellschritt, stolperte und fiel in einen flachen Tümpel. Er war über einen Zwerg gestolpert. Einen toten. Einen sehr toten. Er war so tot, dass das Tropfwasser einen kleinen Stalagmiten auf ihm gebildet und ihn mit einem Film aus milchigem Stein an den Felsen geklebt hatte, an dem er lehnte.

»Muss dem kleinen Sam vorlesen«, sagte Mumm dem Helm.

Ein kleines Stück entfernt lag die Streitaxt eines Zwergs im Sand. Was derzeit in Mumms Gehirn geschah, hatte mit klarem Denken nur wenig zu tun, aber weiter vorn hörte er leise Geräusche, und ein uralter Instinkt teilte ihm mit, dass es nie zu viel Schneidekraft geben konnte.

Er hob die Axt auf. Nur eine dünne Schicht aus Rost bedeckte sie. Weitere Buckel und kleine Hügel wölbten sich auf dem Höhlenboden, und als Mumm sie genauer betrachtete…

Keine Zeit! Buch lesen!

Am Ende der Höhle neigte sich der Boden nach oben, und das tropfende Wasser hatte ihn glitschig werden lassen. Er setzte sich zur Wehr, aber die Axt half. Ein Problem nach dem anderen. Steigung erklettern! Buch lesen!

Und dann begann das Weinen. Sein Sohn weinte.

Es füllte sein Bewusstsein.

Sie werden brennen

Eine Treppe erschien vor ihm und reichte endlos in die Dunkelheit. Das Weinen kam von ganz oben.

Füße rutschten. Die Axt biss in milchigen Stein. Mumm weinte und fluchte und rutschte bei jedem Schritt, als er die Steigung erklomm und sie schließlich hinter sich brachte.

Auf der anderen Seite breitete sich eine neue große Höhle vor ihm aus, voller Zwerge. Es schien eine Mine zu sein.

Vier Zwerge standen nur wenige Meter vor Mumm, der hüpfende Lämmer sah. Sie starrten die plötzliche, blutige, schwankende Erscheinung an, die verträumt ein Schwert mit der einen und eine Streitaxt mit der anderen Hand schwang.

Sie hatten ebenfalls Äxte. Doch die Erscheinung sah sie an und fragte:

»Wo… ist… meine… Kuh?«

Sie wichen zurück.

»Ist das meine Kuh?«, fragte das Geschöpf und wankte nach vorn. Traurig schüttelte es den Kopf.

»Es macht ›Bäh!‹«, weinte es. »Es ist… ein Schaf…«

Dann sank das Wesen auf die Knie, biss die Zähne zusammen und wandte das Gesicht nach oben wie jemand, der angesichts schrecklicher Qualen den Verstand verloren hatte. Götter des Schicksals und des Sturms riefen:

»Das! Ist!! Nicht!!! Meine!!!! Kuh!!!!!«

Der Schrei hallte durch die Höhle und brach durch das Felsgestein, so groß war die Kraft dahinter. Er schmolz Berge und heulte über die Meilen Und im Kinderzimmer hörte der kleine Sam auf zu weinen und sah sich um, von plötzlicher Freude und Verwirrung erfasst, und zur großen Überraschung seiner verzweifelten Mutter sagte er: »Ku!«

Die Zwerge wichen über den Hang zurück. Oben strömten weitere Vürmer herbei, und in ihrem grünweißen Glühen zeichneten sich die Umrisse der Erscheinung ab.

»Wo ist meine Kuh? Ist das meine Kuh?«, fragte sie und folgte ihnen.

Überall in der Höhle hatten Zwerge mit der Arbeit aufgehört. Zögern lag in der Luft. Dies war nur ein Mann, und viele dachten: Was wird ein anderer gegen ihn unternehmen? Der Gedanke hatte sich noch nicht weiterentwickelt zu: Was soll ich gegen ihn unternehmen? Und wo war die Kuh? Gab es Kühe hier unten?

»Es macht ›Wieäh!‹. Es ist ein Pferd! Das ist nicht meine Kuh!«

Zwerge sahen sich an. Wo war denn das Pferd? Habt ihr ein Pferd gehört? Wer ist sonst noch hier unten?

Die vier Wächter hatten sich in die Höhle zurückgezogen, in der Hoffnung, dort Rat zu finden. Einige Tiefener waren zusammengekommen, sprachen aufgeregt miteinander und beobachteten den sich nähernden Mann.

In Mumms stroboskopischem Blickfeld erschienen auch flauschige Kaninchen und quakende Enten…

Er war erneut auf die Knie gesunken, starrte zu Boden und weinte.

Sechs dunkle Gestalten lösten sich von der Gruppe. Eine von ihnen trug eine Feuerwaffe und näherte sich dem Mann vorsichtig. Die Flamme ganz vorn war die hellste Erscheinung in der Höhle.

Der Mann sah auf, und das Licht spiegelte sich in seinen roten Augen wider. »Ist das meine Kuh?«, knurrte er.

Dann warf er mit gestrecktem Arm die Axt nach den Wächtern. Sie traf die Feuerwaffe, die daraufhin explodierte.

»Es macht ›Hruuuah!‹.«

»Gn!«, sagte der kleine Sam, als seine Mutter ihn umarmte und an die Wand starrte.

Brennendes Öl spritzte durch die Dunkelheit. Etwas davon geriet auf Mumms Arm. Er schlug danach. Es tat sehr weh, aber das wusste er auf die gleiche Weise, wie er wusste, dass der Mond existierte. Er war da, aber ziemlich weit entfernt und ohne großen Einfluss auf ihn.

»Das ist nicht meine Kuh!«, sagte er und stand auf.

Er ging über brennendes Öl hinweg und durch rötlichen Qualm, vorbei an den Zwergen, die verzweifelt auf dem Boden rollten, um die Flammen zu ersticken. Er schien nach etwas zu suchen.

Zwei weitere Wächter liefen auf ihn zu. Mumm schien ihnen kaum Beachtung zu schenken, als er in die Hocke ging und das Schwert im Kreis schwang. Ein kleines Lamm hüpfte vor seinen Augen.

Ein Zwerg mit etwas mehr Geistesgegenwart hatte sich eine Armbrust besorgt und legte damit an, hielt dann aber inne und wich den an ihm vorbeiströmenden Fledermäusen aus. Erneut hob er die Armbrust und sah sich nach einem Geräusch um, das sich anhörte, als schlüge jemand zwei Fleischstücke gegeneinander. Eine nackte Frau hob ihn hoch und warf ihn durch die Höhle. Ein anderer Zwerg schlug mit der Axt nach der lächelnden jungen Dame, die in einer Wolke aus Fledermäusen verschwand.

Inzwischen erhob sich ziemlich viel Geschrei. Mumm achtete nicht darauf. Zwerge liefen durch den Rauch, und er stieß sie einfach beiseite. Er hatte gefunden, was er suchte.

»Ist das meine Kuh? Es macht ›Muuuh!‹«

Mumm griff nach einer anderen auf dem Boden liegenden Axt und begann zu laufen.

»Ja! Das ist meine Kuh!«

Die Grags standen zusammengedrängt in einem Ring aus Wächtern, aber Mumms Augen brannten, und Flammen stoben von seinem Helm. Ein Zwerg ließ seine Waffe fallen und floh.

»Hurra, hurra, es ist ein wunderschöner Tag, denn ich habe meine Kuh gefunden!«

… und vielleicht, so hieß es später, hatte er das tatsächlich. Gegen den Berserker gibt es keine Verteidigung. Die Wächter hatten geschworen, bis zum Tod zu kämpfen, aber nicht bis zu diesem Tod. Die langsamsten vier Wächter fielen Axt und Schwert zum Opfer; die anderen stoben auseinander und ergriffen die Flucht.

Und dann verharrte Mumm vor den sich duckenden alten Zwergen und hob die Waffen über seinen Kopf…

Und er zögerte und schwankte wie eine Statue…

 

 

Nacht, für immer. Aber in ihr eine Stadt wie ein Schemen und real nur in gewisser Weise. Die Entität kauerte in einer Gasse, dort, wo Nebel aufstieg. Dies konnte nicht geschehen sein!

Und doch war es so. Die Straßen hatten sich mit Dingen gefüllt. Mit Tieren! Vögeln! Die ihre Gestalt veränderten und seltsame Geräusche von sich gaben! Und über allem, höher als die Dächer, hüpfte ein Lamm langsam hin und her, donnerte über das Kopfsteinpflaster

Und dann war das Gitter herabgekommen und hatte die Entität zurückgeworfen.

Und sie war dem Ziel so nahe gewesen! Sie hatte das Geschöpf gerettet und begonnen, sich in ihm auszubreiten und es zu kontrollieren und jetzt dies

In der Dunkelheit, über dem Prasseln des nie endenden Regens, hörte sie das Geräusch sich nähernder Schritte.

Eine Gestalt erschien im Nebel.

Sie kam näher.

Wasser strömte von einem metallenen Helm und einem geölten Ledermantel, als die Gestalt stehen blieb, völlig unbesorgt die Hand vor dem Gesicht wölbte und eine Zigarre anzündete.

Dann fiel das Streichholz auf das nasse Kopfsteinpflaster, zischte und erlosch. »Was bist du?«, fragte die Gestalt.

Die Entität bewegte sich wie ein alter Fisch in einem tiefen Teich. Sie war zu müde, um zu fliehen.

»Ich bin die Rufende Dunkelheit.« Es war kein Geräusch, aber wäre es eins gewesen, hätte es sich wie ein Zischen angehört. »Wer bist du?«

»Ich bin der Wächter.«

»Sie hätten seine Familie umgebracht!« Die Dunkelheit sprang und stieß auf Widerstand. »Denk daran, wie viele Leben sie ausgelöscht haben! Wer bist du, dass du es wagst, mich aufzuhalten?«

»Er hat mich erschaffen. Quis custodiet ipsos custodes? Wer bewacht die Wächter? Ich. Ich bewache ihn. Immer. Du wirst ihn nicht zwingen, für dich zu töten.«

»Welcher Mensch erschafft seinen eigenen Polizisten?«

»Der Mensch, der die Dunkelheit fürchtet.«

»Und das sollte er auch«, sagte die Entität zufrieden.

»Ja. Aber ich glaube, du verstehst das falsch. Ich bin nicht hier, um die Dunkelheit auszusperren. Ich bin hier, um sie einzuschließen.« Metall klirrte, als der schemenhafte Wächter eine dunkle Laterne hob und ihre kleine Tür öffnete. Orangefarbenes Licht schnitt durch die Schwärze. »Nenn mich die Wachende Dunkelheit. Und stell dir vor, wie stark ich sein muss.«

Die Rufende Dunkelheit wich verzweifelt in die Gasse zurück, aber das Licht folgte und verbrannte sie.

»Und jetzt«, sagte der Wächter, »verschwinde aus der Stadt.«

 

 

und fiel, als ein Werwolf auf seinem Rücken landete.

Angua geiferte. Das Haar auf ihrem Rückgrat stand wie ein Sägeblatt. Ihre Lippen fuhren wellenförmig zurück, als sie die Zähne bleckte. Ein Knurren kam aus ihrer Kehle wie aus den Tiefen einer grässlichen Höhle. All dies sichere Hinweise für das Gehirn eines jeglichen affenförmigen Geschöpfs, dass Bewegung Tod bedeutete. Und dass Reglosigkeit zwar ebenfalls Tod bedeutete, aber nicht unmittelbaren In-diesem-Augenblick-Tod. Deshalb war sie die kluge Affenwahl.

Mumm bewegte sich nicht. Das Knurren bewirkte, dass sich in ihm alles zusammenkrampfte. Entsetzen übernahm die Kontrolle.

Ich grüße dich, sagte ein Gedanke, der nicht sein eigener war, und er fühlte die plötzliche Abwesenheit von etwas, dessen Präsenz er nicht bemerkt hatte. In der Schwärze hinter seinen Augen glitt eine dunkle Flosse dahin und verschwand.

Er hörte ein Wimmern, und das Gewicht wich von ihm. Als er herumrollte, sah er mitten in der Luft die einfache Darstellung eines Auges mit einem Schweif. Sie verblasste, löste sich auf, und die alles umfassende Dunkelheit machte langsam Platz für das Glühen der Vürmer. Sie kamen die Wände herunter, denn Blut war vergossen worden. Mumm spürte…

Eine gewisse Zeit verstrich. Plötzlich erwachte Mumm.

»Ich habe es ihm vorgelesen!«, sagte er, als müsste er es sich selbst beweisen.

»Das hast du, Herr«, bestätigte Angua hinter ihm. »Und sehr deutlich. Wir waren mehr als zweihundert Meter entfernt. Gut gemacht, Herr. Wir dachten, du hast ein wenig Ruhe verdient.«

»Was habe ich gut gemacht?«, fragte Mumm und setzte sich auf. Die Bewegung füllte seine Welt mit Schmerz, doch ihm gelang ein kurzer Blick, bevor er zurücksank.

Es war viel Rauch in der Höhle, aber er sah hier und dort Fackeln brennen. Und in mittlerer Entfernung bemerkte er recht viele Zwerge. Manche saßen, andere standen in Gruppen.

»Warum sind so viele Zwerge hier, Feldwebel?«, fragte Mumm und sah zur Höhlendecke hinauf. »Anders ausgedrückt: Warum sind so viele Zwerge hier, die nicht versuchen, uns umzubringen?«

»Sie kommen vom Niederen König, Herr. Wir sind ihre Gefangenen… in gewisser Weise… aber, äh, eigentlich nicht…«

»Von Rhys! Verdammt!« Mumm versuchte, auf die Beine zu kommen. »Ich habe ihm einmal das Leben gerettet!« Er schaffte es in die Senkrechte, aber dann drehte sich die Welt um ihn herum, und er wäre gefallen, wenn Angua ihn nicht gestützt und ihm geholfen hätte, auf einem Felsen Platz zu nehmen. Wenigstens saß er jetzt…

»Wir sind nicht in dem Sinne Gefangene«, sagte Angua. »Wir können nirgendwohin gehen. Aber da wir auch gar nicht wissen, wohin wir gehen sollten, spielt das keine Rolle. Tut mir Leid, dass ich nur ein Unterhemd trage, Herr, aber du weißt ja, wie das ist. Die Zwerge haben versprochen, meine Sachen zu holen. Äh… es ist alles politisch geworden, Herr. Der Zwerg, der hier das Sagen hat, ist ein anständiger Bursche, aber die Situation überfordert ihn, und deshalb bleibt er bei den Dingen, mit denen er sich auskennt, Herr. Und, äh, er kennt sich nicht mit vielen Dingen aus. Erinnerst du dich an irgendetwas? Du bist etwa zwanzig Minuten weg gewesen.«

»Ja. Ich erinnere mich an flauschige Lämmer…« Mumms Stimme verklang, und er schwieg eine Weile. Was er gerade gesagt hatte, schien den Klang der Wahrheit zu nehmen und ihn in ein tiefes Loch zu werfen. »Es gab keine flauschigen Lämmer, oder?«

»Mir sind keine aufgefallen«, sagte Angua behutsam. »Ich habe einen dahinschreitenden, heulenden, rachsüchtigen Irren gesehen, Herr. Aber auf gute Weise«, fügte sie hinzu.

Der innere Mumm betrachtete Erinnerungen, die er beim ersten Mal übersehen hatte.

»Ich…«, begann er.

»Eigentlich ist alles… in Ordnung«, sagte Angua schnell. »Aber komm, und sieh dir dies an. Scheusohn meinte, du solltest alles sehen.«

»Scheusohn… er ist der Weiß-alles-Zwerg«, bemerkte Mumm.

»Ah, du erinnerst dich wieder«, sagte Angua. »Gut. Er hat sich deshalb Sorgen gemacht.«

Mumm war jetzt ein wenig sicherer auf den Beinen, aber sein rechter Arm tat höllisch weh, und alle anderen Schmerzen, die sich während des Tages angesammelt hatten, kehrten zurück und winkten. Angua führte ihn vorsichtig durch Pfützen und über Felsen, so glatt wie nasser Marmor, bis sie einen Stalagmiten erreichten, der fast zweieinhalb Meter weit aufragte.

Es war ein Troll, kein trollförmiger Felsen, sondern tatsächlich ein Troll. Sie wurden noch steiniger, wenn sie starben, wusste Mumm, doch dieser trug eine glatte Patina aus milchigem Gestein.

»Und jetzt sieh dir dies an, Herr«, sagte Angua und führte Mumm weiter. »Sie wollten sie zerstören…«

Ein weiterer Stalagmit lag neben einem Tümpel auf der Seite. Man hatte ihn unten abgebrochen, und es war ein… Zwerg.

Zwerge verwesen nach dem Tod, so wie Menschen, aber all die Rüstungsteile, Kettenhemden und das dicke Leder machen für einen unaufmerksamen Beobachter kaum einen Unterschied. Das fließende Gestein hatte ihn in ein glänzendes Leichentuch gehüllt.

Mumm richtete sich auf und sah durch die Höhle. Gestalten ragten in der Düsternis auf, bis zu der nahen Wand, wo Tropfwasser im Lauf vieler Jahre einen perfekten elfenbeinfarbenen Wasserfall geschaffen hatte, in der Zeit erstarrt.

»Gibt es noch mehr?«

»Etwa zwanzig, Herr. Die Hälfte von ihnen wurde zerstört, bevor du… gekommen bist. Sieh nur hier, Herr. Man kann sie gut erkennen. Sie sitzen Rücken an Rücken, Herr.«

Mumm blickte auf die Gestalten unter der Glasur und schüttelte den Kopf. Ein Zwerg und ein Troll, zusammen in Stein miteinander verbunden.

»Gibt es etwas zu essen?«, fragte er. Es war keine besonders ehrfürchtige Bemerkung, aber sie kam vom Magen, mit Gefühl.

»Unsere Rationen sind in all der Aufregung verloren gegangen, Herr. Aber die Zwerge teilen ihre mit uns. Sie sind nicht unfreundlich, Herr. Nur vorsichtig.«

»Sie teilen ihre Rationen mit uns? Haben sie Zwergenbrot?«

»Ich fürchte ja, Herr.«

»Ich dachte, es wäre verboten, Gefangenen so etwas zu geben. Danke, ich warte lieber. Und jetzt, Feldwebel, kannst du mir von der Aufregung erzählen.«

 

 

Es war nicht unbedingt ein Hinterhalt gewesen – die Zwerge hatten sie nur eingeholt. Ihr Hauptmann hatte die Anweisung erhalten, Mumm und seinen Begleitern zu folgen, und es war eine gewisse Frostigkeit entstanden, als sich herausgestellt hatte, dass zwei Trolle zu der Gruppe gehörten. Immerhin war dies noch immer das Koomtal. Mumm brachte ihm Mitgefühl entgegen: Er hatte eine einfache Aufgabe zu erledigen, und plötzlich steckte diese voller Politik. Das hatte er alles schon gesehen und erlebt…

Sie hatten Grag Scheusohn vorgeschickt, der gut mit Worten umgehen konnte. Und da sie alle in der gleichen Richtung unterwegs waren…

Und es war ein langer Weg gewesen. Die fliehenden Zwerge hatten nicht weit vom Zugangstunnel entfernt die Decke geöffnet, und eine Reise, für die Mumm nur wenige Minuten gebraucht hatte, war für die Verfolger fast einen Tag lang gewesen, selbst mit Sally, die den Weg erkundet hatte. Angua sprach von Höhlen, noch größer als diese, von riesigen Wasserfällen im Dunkeln. Mumm sagte, ja, davon wüsste er.

Dann waren die Worte von Wo ist meine Kuh? unter dem Koomtal erklungen, hatten uralten Fels erschüttert und die Stalaktiten voller Anteilnahme vibrieren lassen, und der Rest war nur noch eine Frage des Laufens gewesen…

»Ich erinnere mich, dass ich dem kleinen Sam vorgelesen habe«, sagte Mumm langsam. »Aber da waren… seltsame Bilder in meinem Kopf.« Er unterbrach sich. All die Wut, all der rot glühende Zorn war aus ihm herausgeströmt, ohne einen Gedanken. »Ich habe die Soldaten getötet…«

»Die meisten von ihnen, Herr«, erwiderte Angua munter. »Und zwei andere Zwerge, die dir in den Weg geraten sind, werden monatelang Schmerzen haben.«

Die Erinnerungen kehrten zurück. Was Mumm bedauerte. Ein Teil des menschlichen Gehirns sträubte sich immer, gegen Zwerge zu kämpfen. Sie hatten die Größe von Kindern. Sicher, sie waren mindestens so stark wie ein erwachsener Mensch und zäher, und in einem Kampf nutzten sie jeden Vorteil aus, und man konnte von Glück sagen, wenn man sein Vorurteil überwand, bevor sie einem die Beine in Kniehöhe abhackten, aber es war immer da…

»Ich erinnere mich an die alten Zwerge«, sagte Mumm. »Sie duckten sich voller Furcht. Ich wollte die Axt auf sie herabschmettern…«

»Du hast diesem Wunsch fast vier Sekunden standgehalten, Herr, und dann habe ich dich zu Boden geworfen«, sagte Angua.

»Das war wohl gut so«, sagte Mumm.

»O ja. Deshalb lebst du noch, Kommandeur«, sagte Scheusohn und kam hinter einem Stalagmiten zum Vorschein. »Freut mich, dass es dir besser geht. Dies ist ein historischer Tag! Und du hast noch immer eine Seele, wie es scheint! Ist das nicht schön?«

»Jetzt hör mir mal zu…«, begann Mumm.

»Nein, hör du mir zu, Kommandeur. Ja, ich wusste, dass du zum Koomtal kommen würdest, denn die Rufende Dunkelheit würde hierher kommen. Sie brauchte dich, um hierher zu gelangen. Nein, hör mir zu, denn wir haben nicht viel Zeit. Das Symbol der Rufenden Dunkelheit gebietet über eine Entität, so alt wie das Universum. Aber diese hat keinen richtigen Körper und nur wenig physische Kraft. In einem Augenblick kann sie eine Million von Dimensionen durchqueren, doch sie schafft es kaum durch ein Zimmer. Sie benutzt lebende Geschöpfe, insbesondere solche, die… zugänglich sind. Sie fand dich, Kommandeur, einen Kessel des Zorns, und auf subtile Weise brachte sie dich dazu, sie hierher mitzunehmen.«

»Ich glaube ihm, Herr«, sagte Angua schnell. »Einer der Zwerge in der Mine beschwor die Entität mit einem Fluch. Weißt du noch? Der Zwerg, der das Zeichen mit seinem eigenen Blut malte? Auf eine verschlossene Tür? Und du…«

»Es gab eine Tür, die stach, als ich sie berührte«, erinnerte sich Mumm. »Soll das heißen, dass hinter dieser Tür… O nein…«

»Zu dem Zeitpunkt war er bereits tot, Herr, da bin ich sicher«, warf Angua rasch ein. »Wir konnten ihn nicht retten.«

»Helmgescheit sagte…«, begann Mumm. Scheusohn musste gesehen haben, wie Panik in seinen Augen zu flackern begann, denn er griff nach Mumms Händen, sprach schnell und mit Nachdruck. »Nein! Du hast ihn nicht getötet! Du hast ihn nicht einmal berührt! Du wolltest ihn nicht anrühren, weil du Angst hattest, dann gewalttätig zu werden, weißt du noch?«

»Er sank tot zu Boden! Wie viel Gewalt ist das?«, rief Mumm. Seine Stimme hallte durch die Höhle, und überall drehten sich Köpfe. »Das Symbol war da.«

»Es stimmt schon, das… Wesen neigt dazu, eine… Signatur auf den Ereignissen zurückzulassen, aber du hättest ihn berühren müssen! Und das hast du nicht! Du hast ihn nicht angefasst! Ich glaube, du hättest selbst dann Widerstand geleistet! Ja, du hättest dich widersetzt – und mit Erfolg! Verstehst du? Beruhig dich. Beruhig dich. Helmgescheit ist an Furcht und Schuld gestorben. Das musst du begreifen.«

»Welchen Grund hatte er, sich schuldig zu fühlen?«

»Jeden Grund, für einen Zwerg. Die Sache in der Mine war eine schwere Last für ihn.« Der Grag wandte sich an Angua. »Könntest du dem Kommandeur Wasser holen, Feldwebel? Sauberer als in diesen Tümpeln kann es gar nicht sein. Vorausgesetzt, es schwimmt keine Leiche drin.«

»Den letzten Satz hättest du dir sparen können«, sagte Mumm. Er setzte sich auf einen Felsen und spürte, wie er zitterte.

»Und dann habe ich das verdammte Ding hierher gebracht?«, fragte er.

»Ja, Kommandeur. Und ich nehme an, es hat auch dich hierher gebracht. Grinsi hat gesehen, wie du eine halbe Meile von diesem Ort entfernt in aufgewühltes Wasser gefallen bist. Selbst ein Meisterschwimmer hätte das nicht überlebt.«

»Ich bin auf einem Strand zu mir gekommen…«

»Die Entität hat dich hierher gebracht. Sie ist für dich geschwommen.«

»Aber ich habe das Bewusstsein verloren!«

»Sie war nicht dein Freund, Kommandeur. Sie musste dich in einem Stück hierher bringen. Aber das eine Stück musste nicht unbedingt gut aussehen. Und dann… Du hast sie enttäuscht, Kommandeur. Du hast sie enttäuscht. Oder vielleicht beeindruckt. Du wolltest nicht auf Unschuldige einschlagen. Du hast dich widersetzt. Ich ließ dich vom Feldwebel hier zu Boden bringen, denn ich fürchtete, dass dir der innere Kampf die Sehnen von den Knochen reißen würde.«

»Es waren nur ängstliche alte Männer…«

»Und so scheint dich die Entität verlassen zu haben«, sagte Scheusohn. »Warum, frage ich mich. Bisher ist jeder, von dem die Rufende Dunkelheit Besitz ergriff, an Wahnsinn gestorben.«

Mumm hob die Hand und nahm einen Becher mit Wasser von Angua entgegen. Es war so kalt, dass seine Zähne schmerzten, und er glaubte, nie zuvor etwas Herrlicheres getrunken zu haben. Und seine Gedanken arbeiteten schnell und holten zusätzliche Ladungen Vernunft, um, wie es für den menschlichen Geist typisch ist, einen großen Anker in die Realität zu werfen und zu beweisen, dass das, was geschehen war, eigentlich gar nicht geschehen war, und wenn doch, dann nur in eingeschränktem Maße.

Es war alles mystisch, darauf lief es hinaus. Vielleicht stimmte es, aber wie konnte man sicher sein? Man musste sich an die Dinge halten, die man sehen konnte. Und man musste sich immer wieder daran erinnern.

Ja, genau. Was war eigentlich passiert? Ein paar Symbole? Alles sieht so aus, wie man will, wenn man aufgedreht genug ist. Dann sieht ein Schaf wie eine Kuh aus. Ha!

Und was den Rest betraf… Scheusohn schien ein anständiger Bursche zu sein, aber man musste seine Weltanschauung nicht teilen. Das galt auch für Herrn Schein. Solche Dinge konnten einen durcheinander bringen.

Er war wegen des kleinen Sam aufgeregt gewesen, und als er die verdammten Wächter gesehen hatte, war er natürlich auf sie losgegangen. In letzter Zeit hatte er nicht viel Schlaf bekommen. Jede Stunde schien ein neues Problem zu bringen. Manchmal bildete man sich Dinge ein. Im unterirdischen Fluss zu überleben war leicht. Irgendwie hatte er sich an der Wasseroberfläche gehalten. Es gab viele Dinge, die der Körper lieber tat, als zu sterben.

Na bitte… einige logische Gedanken, und das Mystische wird… unkompliziert. Man hört auf, sich wie eine Marionette zu fühlen, und wird wieder zu einem zielbewussten Mann.

Mumm setzte den leeren Becher ab und stand auf – zielbewusst.

»Ich sehe nach, wie es meinen Leuten geht«, verkündete er.

»Ich begleite dich«, sagte Scheusohn schnell.

»Ich glaube, ich brauche keine Hilfe«, log Mumm möglichst kühl.

»Ich bin sicher, dass du keine brauchst«, erwiderte der Zwerg. »Aber Hauptmann Gud ist ein wenig nervös.«

»Er wird noch viel nervöser sein, wenn mir nicht gefällt, was ich sehe«, brummte Mumm.

»Ja. Deshalb komme ich mit«, sagte Scheusohn.

Mumm ging mit recht langen Schritten durch die Höhle. Der Grag musste immer wieder laufen, um nicht den Anschluss zu verlieren.

»Glaub nur nicht, dass du mich kennst, Herr Scheusohn«, knurrte er. »Glaub nicht, dass ich Mitleid mit den Mistkerlen hatte. Glaub nicht, dass ich gnädig war. Man tötet keine Hilflosen. Das tut man einfach nicht.«

»Die dunklen Wächter schienen damit keine Probleme gehabt zu haben«, sagte Scheusohn.

»Genau!«, erwiderte Mumm. »Übrigens, Herr Scheusohn: Was für ein Zwerg trägt keine Axt?«

»Nun, als Grag ist meine erste Waffe natürlich die Sprache«, sagte der Grag. »Die Axt ist nichts ohne die Hand, und die Hand ist nichts ohne den Verstand. Ich habe es mir angewöhnt, Äxte zu denken

»Klingt mystisch für mich«, sagte Mumm.

»Das habe ich erwartet«, entgegnete Scheusohn. »Ah, da sind wir.«

Da war der Bereich, den die neu eingetroffenen Zwerge beanspruchten. Sehr militärisch, fand Mumm. Ein Verteidigungsquadrat. Ihr seid nicht sicher, wer eure Feinde sind. Und ich bin es auch nicht.

Der nächste Zwerg musterte ihn mit der Mischung aus Trotz und Unbehagen, die er gut kannte. Hauptmann Gud straffte die Gestalt.

Mumm sah dem Zwerg über die Schulter, was nicht schwer war. Er sah Nobby und Fred Colon und die beiden Trolle und auch Grinsi. Sie saßen dicht beisammen.

»Stehen meine Leute unter Arrest, Hauptmann?«, fragte er.

»Mein Befehl lautet, alle festzuhalten, die ich hier antreffe«, sagte der Hauptmann. Mumm bewunderte die Entschiedenheit der Antwort. Sie bedeutete: Ich bin derzeit nicht an einem Dialog interessiert.

»Was sind deine Befugnisse?«, fragte er.

»Meine Befugnisse sind dreifacher Natur«, antwortete Gud. »Sie kommen vom Niederen König, dem Minengesetz und sechzig bewaffneten Zwergen.«

Zum Teufel auch, dachte Mumm. Ich habe das Minengesetz vergessen. Das ist ein Problem. Ich glaube, ich muss delegieren. Ein guter Kommandeur lernt zu delegieren. Deshalb werde ich das Problem an Hauptmann Gud delegieren.

»Das war eine gute Antwort, Hauptmann«, sagte er. »Und ich respektiere sie.« Er trat an Gud vorbei, ging in Richtung seiner Leute… und blieb abrupt stehen, als er das Geräusch von gezogenem Metall hinter sich hörte. Er hob die Hände. »Grag Scheusohn, bitte erklär dem Hauptmann die Situation. Ich bin in seinen Gewahrsam getreten, nicht aus ihm heraus. Und dies ist weder der richtige Zeitpunkt noch der geeignete Ort für unbesonnenes Handeln.«

Er ging weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. Zugegeben, darauf zu setzen, dass jemand in Schwierigkeiten geriet, wenn er einen tötete, verdiente vermutlich die Bezeichnung »unbesonnenes Handeln«, aber damit musste er leben. Oder auch nicht.

Mumm setzte sich neben Nobby und Colon.

»Tut mir Leid, Herr Mumm«, sagte Fred. »Wir warteten mit einigen Pferden auf dem Weg, und plötzlich erschienen sie. Wir zeigten ihnen unsere Dienstmarken, aber davon wollten sie nichts wissen.«

»Verstanden. Und du, Grinsi?«

»Ich hielt es für besser, zusammenzubleiben, Herr«, sagte sie.

»Ja. Und du, Detr…« Mumm sah auf und spürte, wie ihm die Galle hochkam. Ziegel und Detritus hatten Ketten an den Füßen.

»Ihr habt euch anketten lassen?«, fragte er.

»Es plötzlich alles politisch geworden ist, Herr Mumm«, sagte Detritus. »Aber du nur ein Wort zu sagen brauchst, Ziegel und ich uns sofort befreien können. Es sehr dünne Ketten sind, selbst meine Oma sie könnte zerreißen.«

Mumm spürte Zorn in sich aufsteigen, aber er hielt ihn unter Kontrolle. Derzeit war Detritus vernünftiger als sein Vorgesetzter. »Warte, bis ich dir Bescheid gebe«, sagte er. »Wo sind die Grags?«

»Die werden in einer anderen Höhle bewacht, Herr«, antwortete Grinsi. »Ebenso die Minenzwerge. Es heißt, der Niedere König ist hierher unterwegs, Herr!«

»Zum Glück ist es eine große Höhle, sonst würde es eng«, sagte Mumm. Er kehrte zum Hauptmann zurück und bückte sich.

»Du hast meinen Feldwebel in Ketten gelegt«, sagte er.

»Er ist ein Troll«, erwiderte der Hauptmann. »Und dies ist das Koomtal.«

»Selbst ich wäre imstande, eine so dünne Kette zu zerreißen.« Mumm sah auf. Sally und Angua trugen wieder ihre Kleidung und beobachteten Mumm aufmerksam.

»Diese beiden Wächter sind ein Vampir und ein Werwolf«, sagte Mumm im gleichen ruhigen Tonfall. »Ich weiß, dass du das weißt, und es war klug von dir, sie nicht anzurühren. Und Scheusohn ist ein Grag. Aber du hast meinem Feldwebel eine Kette angelegt, die er mit einem Fingerschnippen zerreißen könnte, damit du ihn töten und dich mit einem Fluchtversuch herausreden kannst. Denk nicht einmal daran, es zu leugnen. Ich erkenne einen schmutzigen Trick, wenn ich ihn sehe. Soll ich dir sagen, was ich tun werde? Ich werde dir eine Chance geben, brüderliche Liebe zu zeigen und die Trolle freizulassen, jetzt sofort. Und die anderen. Wenn nicht, werde ich deine zukünftige berufliche Laufbahn so sehr ruinieren, wie es mir möglich ist. Es sei denn, du tötest mich. Aber du wagst nicht, mich zu töten.«

Der Hauptmann starrte ihn an, aber meisterliches Anstarren beherrschte Mumm schon seit vielen Jahren. Dann fiel der Blick des Zwergs auf Mumms Arm. Er stöhnte leise, wich einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hand.

»Ja! Ich lasse sie frei! Ja!«

»Gut«, sagte Mumm überrascht. Dann sah er auf die Innenseite seines Handgelenks.

»Was zum Teufel ist das?«, fragte er und drehte sich zu Scheusohn um.

»Ah, die Entität hat ein Zeichen an dir hinterlassen, Kommandeur«, sagte der Grag forsch. »Vielleicht so etwas wie eine Austrittswunde?«

An der Innenseite von Mumms Handgelenk zeigte sich eine deutliche Narbe, die aussah wie das Symbol für die Rufende Dunkelheit.

Mumm drehte den Arm hin und her. »Sie war tatsächlich in mir?«, fragte er.

»Ja, aber jetzt ist sie bestimmt fort. Ich spüre, dass du anders bist als vorher.«

Mumm rieb das Symbol. Es tat nicht weh; es war nur ein kleiner Buckel geröteter Haut. »Sie kommt doch nicht zurück?«, fragte er.

»Ich bezweifle, dass sie das riskieren wird!«, sagte Angua.

Mumm öffnete den Mund, um zu fragen, was sie mit diesen sarkastischen Worten meinte, als weitere Zwerge in die Höhle kamen.

Es waren die größten und breitesten Zwerge, die er je gesehen hatte. Im Gegensatz zu den meisten Zwergen trugen sie schlichte Kettenhemden und nur eine Axt: eine gute, große, perfekt ausbalancierte Axt. Andere Zwerge strotzten vor Waffen, bis zu einem Dutzend pro Person. Diese Zwerge strotzten mit nur einer Waffe, und sie schwärmten zielstrebig in der Höhle aus, bezogen Position und bewachten die Schatten. Vier von ihnen traten hinter Detritus und Ziegel.

Als schließlich alle standen, kam eine weitere Gruppe aus dem Tunnel. Mumm erkannte Rhys, den Niederen König der Zwerge. Der blieb stehen, blickte sich um, sah kurz Mumm an und ließ den Hauptmann zu sich kommen.

»Haben wir alles?«

»Majestät?«, fragte Gud nervös.

»Du weißt, was ich meine, Hauptmann!«

»Ja, aber wir haben bei keinem von ihnen etwas gefunden, Majestät! Wir haben sie gründlich durchsucht und uns dreimal den Boden vorgenommen!«

»Bitte um Verzeihung«, sagte Mumm.

»Kommandeur Mumm!« Der König drehte sich und begrüßte Mumm wie einen seit langem verlorenen Sohn. »Wie schön, dich wiederzusehen!«

»Ihr habt den verdammten Würfel verloren?«, fragte Mumm. »Nach all diesem hier?«

»Welchen Würfel meinst du, Kommandeur?«, fragte der König. Mumm musste zumindest seine schauspielerischen Fähigkeiten bewundern.

»Den, nach dem ihr gesucht habt«, sagte er. »Derjenige, der in meiner Stadt ausgegraben worden ist. Um den sich all dies dreht. Sie haben ihn bestimmt nicht weggeworfen, denn sie sind Grags. Man darf keine Worte zerstören. Es ist das schlimmste aller Verbrechen. Also haben sie ihn noch.«

Der Niedere König sah Hauptmann Gud an, der schluckte.

»Er befindet sich nicht in dieser Höhle«, murmelte er.

»Sie würden ihn nicht an einem anderen Ort lassen«, sagte Mumm. »Nicht jetzt! Jemand könnte ihn finden!«

Der arme Hauptmann suchte beim König Hilfe.

»Überall herrschte Panik, als wir eintrafen, Majestät!«, protestierte er. »Leute rannten umher und schrien! Es brannte überall! Vollkommenes Chaos, Majestät! Wir wissen nur, dass niemand hinausgelangt ist! Und wir haben sie alle durchsucht, Majestät. Sie alle!«

Mumm schloss die Augen. Erinnerungen verblassten schnell, als die Vernunft all die Dinge einmauerte, die nicht geschehen sein konnten, doch er entsann sich an die zusammengedrängt dastehenden Grags, die sich über etwas beugten. Hatte etwas blau und grün gefunkelt?

Ihm fiel eine Möglichkeit ein…

»Korporal Nobbs, hierher!«, sagte er. »Lass ihn durch, Hauptmann, ich bestehe darauf!«

Gud erhob keine Einwände. Sein Elan war dahin. Ein widerstrebender Nobby kam zum Vorschein.

»Ja, Herr Mumm?«, fragte er.

»Korporal Nobbs, hast du das wertvolle Objekt, das du für mich in Besitz nehmen solltest?«, fragte Mumm.

»Äh, was meinst du damit, Herr?«, erwiderte Nobby. Mumms Herz schlug schneller. Nobbys Gesicht war wie ein offenes Buch, wenn auch von der Art, die in manchen Ländern verboten war.

»Nobby, manchmal erlaube ich dir, ein wenig herumzualbern«, sagte er. »Aber diesmal nicht. Hast du das Objekt gefunden, nach dem du in meinem Auftrag gesucht hast?«

Nobby sah ihm in die Augen. »Ich… Oh? Oh, ja, Herr«, sagte er. »Ich… ja… wir eilten in die Höhle, weißt du, weißt du, und Leute rannten umher, und überall war Rauch…« Nobbys Augen wurden glasig, und seine Lippen bewegten sich, als er die Geschichte weiterspann. »… und, und ich kämpfte tapfer, als ich ein rollendes, glänzendes Ding sah, das immer wieder einen Tritt bekam, und ich dachte mir, ich wette, das ist das glänzende Ding, das ich für Herrn Mumm suchen soll… und hier ist es, wie neu…« Er holte einen kleinen, glänzenden Würfel aus der Tasche und hob ihn hoch.

Mumm war schneller als der König. Seine Hand schoss vor und einen Sekundenbruchteil später umschloss seine Faust den Würfel.

»Es freut mich, dass du meine Anweisungen so genau befolgt hast, Korporal Nobbs«, sagte Mumm und unterdrückte ein Lächeln, als Nobby auf die für ihn typische schreckliche Art salutierte.

»Ich glaube, dies ist Zwergeneigentum, Kommandeur Mumm«, sagte der König ruhig.

Mumm öffnete die Hand, mit der Innenfläche nach oben. Der nur einige Zoll durchmessende Würfel funkelte blau und grün. Das Metall sah wie Bronze aus, deren Korrosion im Lauf der Zeit wundervolle grüne, blaue und braune Muster gebildet hatte. Ein wahres Prachtstück.

Er ist ein König, dachte Mumm. Ein König auf einem Thron so wacklig wie ein Schaukelpferd. Und er ist nicht nett. In solch einem Job kommt man mit Nettigkeit nicht weit. Er hatte sogar einen Spion in meiner Wache! Ich setze kein großes Vertrauen in Könige. Wem vertraue ich derzeit?

Mir.

Eins weiß ich: Es ist kein verdammter Dämon in meinen Kopf gekrochen, was auch immer sie sagen. Das würde ich ihnen selbst dann nicht abkaufen, wenn ich als Zugabe für den Rest meines Lebens kostenlosen Kohl bekäme! Außer mir kommt niemand in meinen Kopf! Aber man spielt mit den Karten, die man erhält…

»Nimm ihn.« An seinem Handgelenk glühte die Rufende Dunkelheit.

»Ich habe dich gebeten, ihn mir zu geben, Kommandeur«, erwiderte Rhys.

»Nimm ihn«, wiederholte Mumm. Und er dachte: Mal sehen, was du glaubst.

Der König streckte die Hand aus, zögerte und ließ sie wieder sinken.

»Oder…«, sagte er, als wäre ihm dieser Gedanke gerade erst gekommen. »Vielleicht ist es besser, ihn deiner berühmten Obhut zu überlassen, Kommandeur Mumm.«

»Ja«, bestätigte Mumm und ballte die Hand wieder zur Faust. »Ich möchte hören, was er zu sagen hat. Ich möchte hören, was so gefährlich war, dass es nicht bekannt werden durfte.«

»Ich ebenfalls«, sagte der König der Zwerge. »Lass uns den Würfel zu einem Ort bringen, wo…«

»Sieh dich um, Majestät!«, schnappte Mumm. »Zwerge und Trolle sind hier gestorben! Sie kämpften nicht gegeneinander, sie standen beisammen! Sieh dich um! Hier sieht es aus wie auf einem verdammten Spielbrett! War dies ihr Testament? Hören wir uns den Würfel hier an! An diesem Ort! Jetzt!«

»Und wenn er etwas Schreckliches zu sagen hat?«, fragte der König.

»Dann hören wir es uns an!«

»Ich bin der König, Mumm! Du hast hier keine Befugnisse! Dies ist nicht deine Stadt! Du trotzt mir hier mit einigen wenigen Leuten, und deine Frau und dein Sohn sind keine zehn Meilen entfernt…«

Rhys unterbrach sich, und die Echos seiner Worte hallten von fernen Höhlen wider, hüpften übereinander und verklangen in einer Stille, so hart wie Eisen.

Von Sally hörte Mumm ein leises »Ups…«

»Ich freue mich darauf, Lady Sybil wieder zu sehen«, sagte Rhys. »Und natürlich auch deinen Sohn…«

»Gut«, erwiderte Mumm. »Sie wohnen in einem Haus keine zehn Meilen entfernt. Feldwebel Kleinpo?«

»Herr?«, fragte Grinsi.

»Bitte mach dich mit Obergefreiter Humpeding auf den Weg zu dem Ort. Richte Lady Sybil aus, dass ich wohlauf bin«, fügte er hinzu, ohne den Blick vom König abzuwenden. »Brecht sofort auf.«

Als sie forteilten, lächelte der König und sah sich in der Höhle um. Er seufzte. »Ich kann mir keinen Streit mit Ankh-Morpork leisten, nicht gerade jetzt. Na schön, Kommandeur. Weißt du, wie man den Würfel zum Sprechen bringt?«

»Nein. Weißt du es nicht?« Dies ist ein Spiel, dachte Mumm. Ein König würde sich so etwas normalerweise nicht gefallen lassen, erst recht nicht, wenn er dem Widersacher zehn zu eins überlegen ist. Ein Streit mit Ankh-Morpork? Du brauchst nur zu behaupten, ein Unwetter hätte uns im Koomtal heimgesucht, das ein so tückischer Ort ist, wie alle wissen. Man wird ihn sehr vermissen, und natürlich bringen wir seine Leiche zur Stadt, wenn wir sie jemals finden… Aber das versuchst du nicht, weil du mich brauchst. Du weißt etwas über diese Höhle. Und was auch immer geschieht, du möchtest, dass der gute alte Nicht-besonders-helle-aber-ehrliche-Mumm der Welt davon erzählt…

»Jeder Würfel ist anders«, sagte Rhys. »Für gewöhnlich bringt man ihn mit einem Wort zum Sprechen, aber es könnte auch ein Atemhauch sein, ein Geräusch, eine bestimmte Temperatur, eine Stelle auf der Welt, der Geruch von Regen. Irgendetwas. Es gibt viele Würfel, die noch nie gesprochen haben.«

»Tatsächlich?«, erwiderte Mumm. »Aber dieser verdammte Würfel hat geschwatzt. Und wer auch immer ihn aus dem Tal geschickt hat – er sollte gehört werden. Ich bezweifle also, dass er nur dann redet, wenn an einem warmen Dienstag im Februar die Träne einer Jungfrau darauf fällt. Und dieser Würfel sprach zu jemandem, der kein Wort Zwergisch verstand.«

»Aber der Sprecher möchte sicher, dass ihn Zwerge hören!«, wandte der König ein.

»Es ist eine zweitausend Jahre alte Legende!«, hielt ihm Mumm entgegen. »Wer weiß, wer was wollte? Was willst du

Er meinte Nobby, der neben ihm erschienen war und einen interessierten Blick auf den Würfel richtete.

»Wie ist das… wie ist er an meinen Wächtern vorbeigekommen?«, fragte der König.

»Mit dem Nobbs-Geschlängel«, sagte Mumm. Als zwei verlegene Wächter schwere Hände auf Nobbys schmale Schultern sinken ließen, fügte er hinzu: »Nein. Lasst ihn. Komm, Nobby, sag du etwas, das den Würfel zum Sprechen bringt.«

»Äh, raus mit der Sprache, oder es passiert was?«, versuchte es Nobby.

»Nicht schlecht«, räumte Mumm ein. »Vor hundert Jahren kannte vermutlich kaum jemand in Ankh-Morpork viele zwergische oder trollische Worte, Majestät. Vielleicht war die Nachricht für Menschen bestimmt. So viele Vögel und Fische als Nahrung… Bestimmt gab es eine Siedlung in der Ebene.«

»Wie wäre es mit menschlicheren Worten, äh, Nobby?«, sagte der König.

»Na schön. Sprich, sag was, rede, pack aus, heraus mit der Sprache…«

»Nein, Herr Mumm, er macht das falsch!«, rief Fred Colon. »Damals war es die alte Zeit. Da sprachen die Leute anders. Zum Beispiel… Und siehe, öffne dich, fürwahr!«

Mumm lachte, als ihm eine Idee kam. Wer weiß?, dachte er. Vielleicht klappt es. Es geht eigentlich nicht um Worte, sondern um Töne. Geräusche…

Scheusohn reagierte mit Verwunderung auf den Versuch.

»Wie heißt das zwergische Wort für ›öffnen‹, Herr Scheusohn?«, fragte Mumm.

»Wie in ›ein Buch öffnen‹? Das wäre ›dhwe‹, Kommandeur.«

»Hmm. Funktioniert nicht. Was ist mit… ›sag‹?«

»Sagen heißt ›aargk‹, in der Befehlsform ›aork!‹, Kommandeur. Weißt du, ich glaube nicht…«

»Ruhe!«, rief Mumm. Die vielen Stimmen verklangen.

»Gahk!«, sagte er.

Die blauen und grünen Lichter hörten auf zu funkeln, glitten über das Metall und bildeten ein Muster aus blauen und grünen Quadraten.

»Ich dachte, der Maler kannte keine zwergischen Worte«, sagte der König.

»Das stimmt, aber er sprach fließend Huhn«, erwiderte Mumm. »Ich erkläre es später…«

»Hol die Grags, Hauptmann«, sagte der König. »Und auch die Gefangenen, selbst die Trolle. Alle sollen dies hören!«

Die Oberfläche des Würfels schien sich zu bewegen. Einige der grünen und blauen Quadrate hoben sich ein wenig.

Dann begann der Würfel zu sprechen. Eine Art Knattern erklang; es hörte sich nach altem Zwergisch an, obwohl Mumm kein einziges Wort verstand. Es folgte mehrmaliges Pochen.

»Mittländisches Zwergisch der Zweiten Konvokation«, sagte Scheusohn. »Das wäre richtig für die Zeit. Wer auch immer da spricht, er hat gerade gesagt: ›Funktionieret dieses Dinge?‹«

Die Stimme erklang erneut. Scheusohn übersetzte, als ein knattriges Wort dem anderen folgte:

»Das Erste, was Tak tat, er schriebet sich selbst.

Das Zweite, was Tak tat, er schriebet die Gesetze.

Das Dritte, was Tak tat, er schriebet die Welt.

Das Vierte, was Tak tat, er schriebet eine Höhle.

Das Fünfte, was Tak tat, er schriebet eine Geode, ein Ei aus Stein.

Und im dämmrigen Höhleneingang öffnete sich die Geode, und die Brüder waret geboren. Der erste Bruder ging zum Licht und stand unter dem offenen Himmel…«

»Das ist nur die Geschichte von den Dingen, die Tak schrieb«, flüsterte Grinsi Mumm zu. Mumm zuckte mit den Schultern und beobachtete, wie einige Leibwächter des Königs die alten Grags herbeiführten, unter ihnen auch Feurig.

»Das ist nichts Neues?«, fragte Mumm enttäuscht.

»Alle Zwerge kennen die Geschichte, Herr.«

»Er waret der erste Zwerg«, übersetzte Scheusohn. »Er fand die von Tak geschriebenen Gesetze und ward erdunkelt…«

Die knatternde Stimme fuhr fort. Scheusohn hatte die Augen geschlossen, um sich besser zu konzentrieren, aber plötzlich riss er sie verblüfft auf.

»… äh… Dann sah Tak auf den Stein hinab, der versuchte, lebendig zu werden, und Tak lächelte und schrieb: ›Alle Dinge bemühen sich.‹« Der Zwerg hob die Stimme, als es um ihn herum lauter wurde. »Und für den Dienst, den der Stein geleistet hatte, machte er aus ihm den ersten Troll und erfreute sich an dem Leben, das unaufgefordert kam. Dies sind die Dinge, die Tak schrieb!« Inzwischen musste er schreien, um sich verständlich zu machen.

Mumm kam sich wie ein Außenseiter vor. Bis auf ihn schienen alle miteinander zu streiten. Äxte wurden gehoben.

»ICH, DER ICH JETZT ZU EUCH SPRECHE, BIN B’HRIAN BLUTAXT, KRAFT DER STEINSEMMEL WAHRER KÖNIG DER ZWERGE!«, heulte Scheusohn.

Es wurde still in der Höhle, abgesehen von den fernen Echos der letzten Worte.

»Die Fluten schwemmten uns in die Höhlen. Wir suchten einander, Stimmen in der Dunkelheit. Wir starben. Das schreckliche Wasser mit Zähnen… aus Stein zerriss unsere Körper. Wir waren zu schwach, um zu klettern. Wasser umgab uns. Dieses Testament vertrauen wir dem jungen Starkimarm an, der noch immer beweglich ist, in der Hoffnung, dass es das Tageslicht erreicht. Denn die Ereignisse dieses Tages dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Ein solches Resultat war nicht geplant! Wir kamen hierher, um einen Pakt zu unterzeichnen! Es war das Geheimnis, die sorgfältige Arbeit vieler Jahre!«

Der Würfel hörte auf zu sprechen. Mumm hörte fernes Stöhnen und das Rauschen von Wasser.

»Majestät, ich verlange, dass dies nicht gehört wird!«, rief Feurig aus der Gruppe der Grags. »Es sind Lügen, nichts weiter als Lügen. Die Worte enthalten keine Wahrheit! Welchen Beweis haben wir, dass es die Stimme von Blutaxt ist?«

Hauptmann Gud wirkt ein wenig verunsichert, dachte Mumm. Die Leibwächter des Königs? Sie sehen größtenteils aus wie gleichmütige Wächter, die loyal bleiben und den Dingen keine große Aufmerksamkeit schenken. Die Minenzwerge? Sie sind verärgert und verwirrt, weil die alten Grags schreien. Die Situation wird schlimm, und zwar ziemlich schnell.

»Stadtwache, zu mir!«, rief er.

Die Hintergrundgeräusche aus dem Würfel verklangen, und eine andere Stimme begann zu sprechen. Detritus sah auf.

»Das Alttrollisch ist!«, sagte er.

Scheusohn zögerte kurz. »Äh… Ich bin Diamant, König der Trolle«, sagte er und richtete einen verzweifelten Blick auf Mumm. »Ja, wir kamen hierher, um Frieden zu schließen. Doch es senkte sich Nebel auf uns herab, und als er sich lichtete, riefen einige Zwerge und Trolle: Hinterhalt! Sie begannen zu kämpfen und hörten nicht mehr auf unsere Befehle. So kämpfte Troll gegen Troll und Zwerg gegen Zwerg, und Narren machten Narren aus uns allen, als wir versuchten, einen Krieg zu beenden, bis der Himmel uns voller Abscheu fortspülte.

Und doch sagen wir dies. Hier, in dieser Höhle am Ende der Welt, wird Frieden geschlossen zwischen Zwergen und Trollen, und wir marschieren gemeinsam über die Grenzen des Lebens hinaus. Denn der Feind ist nicht der Troll und auch nicht der Zwerg, sondern das Rachsüchtige, Bösartige und Feige, die Träger des Hasses, die Schlimmes tun und es gut nennen. Jene, gegen die wir heute kämpften. Aber der halsstarrige Narr ist ewig und wird sagen…«

»Dies ist nur ein Trick!«, rief Feurig.

»… dies ist nur ein Trick«, fuhr Scheusohn fort. »Und so beschwören wir euch: Kommt in die Höhlen unter diesem Tal, wo ihr uns finden werdet, wo wir einen Frieden teilen, den niemand brechen kann.«

Die grollende Stimme aus dem Würfel hörte auf zu sprechen. Wieder hörte Mumm murmelnde Stimmen im Hintergrund, und ihnen folgte Stille.

Die kleinen Quadrate bewegten sich wie die Stücke eines Schiebepuzzles, und dann ertönten erneut Geräusche. Schreie kamen aus dem Würfel, das Klirren von Stahl…

Mumm beobachtete das Gesicht des Königs. Du hast etwas davon gewusst, dachte er. Nicht alles, aber es hat dich nicht überrascht, dass Blutaxt sprach. Gerüchte? Alte Geschichten? Überlieferungen und Aufzeichnungen? Du wirst es mir nie sagen.

»Hadra«, sagte Scheusohn, und der Würfel wurde stumm. »Das bedeutet ›Halt‹, Kommandeur«, fügte der Grag hinzu.

»Und so sind wir unter dem Koomtal«, höhnte Feurig. »Und was finden wir?«

»Wir finden dich«, sagte Scheusohn. »Wir finden immer jemanden wie dich.«

»Tote Trolle. Tote Zwerge. Und nur eine Stimme«, sagte Feurig. »Ankh-Morpork ist hier. Die Leute aus der Stadt sind verschlagen. Diese Worte könnten gestern gesprochen worden sein!«

Der König beobachtete Feurig und Scheusohn. Und die anderen Zwerge beobachteten sie ebenfalls. Ihr braucht euch nicht mit ihnen auseinander zu setzen!, hätte Mumm am liebsten gerufen. Legt die Mistkerle in Ketten! Wir klären die Sache später!

Aber bei Zwergen ging es um Worte und Gesetze…

»Dies sind ehrenwerte Grags«, sagte Feurig und deutete auf die Kuttengestalten hinter ihm. »Sie haben sich mit unserer Geschichte befasst! Sie kennen die Apparate! Jahrtausende des Wissens stehen vor euch. Und ihr? Was wisst ihr?«

»Ihr seid gekommen, um die Wahrheit zu zerstören«, sagte Scheusohn. »Ihr wagt es nicht, ihr zu vertrauen. Eine Stimme ist nur eine Stimme, aber diese Leichen sind ein Beweis.«

Feurig nahm einem Minenzwerg die Axt ab und hob sie, bevor einer der Leibwächter reagieren konnte. Als sie begriffen, was geschehen war, traten sie wie ein Mann vor.

»Nein!« Scheusohn hob die Hände. »Bitte, Majestät! Dies ist ein Streit zwischen Grags!«

»Warum hast du keine Axt?«, knurrte Feurig.

»Ich brauche keine Axt, um ein Zwerg zu sein«, erwiderte Scheusohn. »Und ich brauche auch keine Trolle zu hassen. Welche Art von Geschöpf definiert sich durch Hass?«

»Du schlägst nach unseren Wurzeln!«, stieß Feurig hervor. »Nach den Wurzeln!«

»Dann schlag zurück«, sagte Scheusohn und streckte die leeren Hände aus. »Und lass dein Schwert sinken, Kommandeur Mumm«, fügte er hinzu, ohne den Kopf zu drehen. »Dies ist eine Zwergenangelegenheit. Feurig? Ich stehe noch immer hier. Woran glaubst du? Haak! Ga strak jaada!«

Feurig trat vor, die Axt erhoben. Scheusohn bewegte sich schnell, es pochte, als etwas auf Fleisch traf, und es entstand ein Tableau, so reglos wie die grübelnden Gestalten in der Höhle. Dort stand Feurig, die Axt über den Kopf gehoben. Und dort war Scheusohn, auf ein Knie gesunken, den Kopf fast kameradschaftlich an Feurigs Brust gelehnt, die Handkante an dessen Kehle gepresst.

Feurig öffnete den Mund, aber heraus kam nur ein Krächzen und etwas Blut. Er wankte einige Schritte zurück und kippte nach hinten. Die Axt traf den weißen, feuchten, steinernen Wasserfall und brach durch etwas, das sich in vielen Jahrhunderten angesammelt hatte. Zeit fiel in Scherben zu Boden.

Scheusohn stand auf und rieb sich die Hand. »Es ist, wie eine Axt zu gebrauchen«, sagte er, und seine Worte galten niemandem im Besonderen. »Aber ohne die Axt…«

Das Durcheinander aus Stimmen erhob sich erneut, aber ein tropfnasser Zwerg bahnte sich einen Weg durch die Menge. »Majestät, eine Gruppe von Trollen marschiert durchs Tal! Sie fragen nach dir! Angeblich wollen sie verhandeln!«

Rhys trat über Feurigs Körper hinweg und betrachtete das Loch im Wasserfall aus Stein. Ein weiteres Teil löste sich daraus und fiel, als er es berührte.

»Ist an dem Anführer etwas ungewöhnlich?«, fragte er und starrte noch immer in die neue Dunkelheit.

»Ja, Majestät! Er… funkelt!«

»Ah, gut«, sagte der König. »Er soll seine Verhandlung bekommen. Bring ihn hierher.«

»Handelt es sich vielleicht um einen Troll, der einige sehr mächtige Zwerge kennt?«, fragte Mumm.

Der Niedere König begegnete kurz seinem Blick. »Ja, ich denke schon.« Er hob die Stimme. »Ich brauche eine Fackel! Kommandeur Mumm, bitte sieh dir… das hier an.«

In den Tiefen der Höhle hinter dem steinernen Wasserfall glänzte etwas.

 

An diesem Tag im Jahr 1802 warf der Maler Methodia Schlingel das glitzernde Ding in den tiefsten Brunnen, den er finden konnte. Niemand würde es jemals dort unten hören. Das Huhn jagte ihn nach Hause.

 

Es würde weitaus weniger Probleme geben, wenn dies eine Geschichte wäre, dachte Mumm. Ein Schwert wird aus einem Stein gezogen, ein magischer Ring wird in die Tiefen des Meeres geworfen, und zur allgemeinen Freude dreht sich die Welt. Aber dies ist die Realität. Die Welt dreht sich nicht einfach, sie spielt verrückt. Dies war der Koomtaltag, und es fand keine Schlacht im Koomtal statt. Aber es gab auch keinen Frieden. Etwas anderes passierte, und zwar… Komitees. Verhandlungen. Eigentlich hatten sich die Dinge noch nicht bis zu Verhandlungen entwickelt. Sie steckten noch in den Gesprächen über Versammlungen über Delegationen fest. Andererseits war niemand gestorben, außer vielleicht vor Langeweile.

Ziemlich viel Geschichte musste bewältigt werden, und diejenigen, die nicht mit dieser heiklen Aktivität beschäftigt waren, versuchten sich an der Zähmung des Koomtals. Zwei kulturelle Helden hielten sich unten in der Höhle auf, und erforderlich waren nur ein ordentliches Unwetter und einige Blockaden an den falschen Stellen, um eine zerstörerische Flut durch die Höhle zu schicken, mit Felsen, die alles zermalmten. Noch war das nicht geschehen, aber angesichts der dynamischen Geographie des Koomtals war es nur eine Frage der Zeit. Das Koomtal durfte nicht mehr sich selbst überlassen bleiben.

Wohin man auch sah: Überall arbeiteten Gruppen aus Trollen und Zwergen, vermaßen, lenkten um, bohrten und blockierten. Seit zwei Tagen waren sie damit beschäftigt, aber es würde für immer so weitergehen, denn jeder Winter veränderte das Spiel. Das Koomtal zwang sie zur Zusammenarbeit. Verdammtes Koomtal…

Mumm hielt es für ein wenig übertrieben, aber die Natur konnte so sein. Manchmal gab es so rosarote Sonnenuntergänge, dass sie überhaupt keinen Stil hatten.

Eins war schnell geschehen: der Tunnel. Zwerge hatten sich in kurzer Zeit durch den Kalkstein gegraben. Rein theoretisch konnte man jetzt in die Höhle schlendern. Praktisch musste man sich bei der langen Schlange aus Trollen und Zwergen anstellen.

Diejenigen, die in der nach unten führenden Schlange standen, beäugten sich bestenfalls mit Ungewissheit. Die in der anderen Schlange wirkten zornig oder schienen den Tränen nahe zu sein; einige von ihnen hielten den Blick gesenkt. Draußen bildeten sie Gruppen und sprachen leise miteinander.

Sam, mit dem kleinen Sam in den Armen, brauchte sich nicht anzustellen. Die Neuigkeiten hatten sich herumgesprochen. Er ging geradewegs hinein, vorbei an den Trollen und Zwergen, die mit großer Sorgfalt die zerbrochenen Stalagmiten wieder zusammensetzten – Mumm hatte nicht gewusst, dass so etwas möglich war, aber vermutlich würde man in fünfhundert Jahren keinen Unterschied mehr bemerken. Schließlich betrat er die Königshöhle, wie sie inzwischen hieß.

Und dort waren sie. Sie ließen sich nicht wegreden. Dort saß der Zwergenkönig am Spielbrett, in sich zusammengesunken, unter einer vom Tropfwasser geschaffenen Glasur, der Bart hart und eins mit dem Stein. Der diamantene König war im Tod aufrecht geblieben, und seine Haut hatte einen milchigen Ton angenommen. Man konnte noch immer das Spiel vor ihm sehen. Er war am Zug. Ein gesunder kleiner Stalaktit hing von seiner ausgestreckten Hand herab.

Sie hatten kleine Stalagmiten abgebrochen, um Spielfiguren daraus zu machen, die längst unbeweglich geworden waren. Die gekratzten Linien auf dem steinernen Spielbrett waren mehr oder weniger unsichtbar, aber Klonkspieler aus beiden Völkern hatten sich bereits alles genau angesehen, und eine Skizze des »Spiels der toten Könige« war in der Times erschienen. Der Diamantkönig spielte die Zwergenseite. Offenbar war beides möglich.

Die Höhle sollte versiegelt werden, wenn dies alles vorbei war, hieß es. Zu viele Personen in einer lebenden Höhle konnten diese töten, sagten die Zwerge. Und dann würden die Könige im Dunkeln zurückbleiben und ihr Spiel mit ein wenig Glück in Frieden beenden.

Wasser, das auf einen Stein tropfte und die Gestalt der Welt änderte. Tropfen für Tropfen wurde ein Tal weggewaschen…

Klingt gut, hatte Mumm gedacht. Aber so einfach wird es nicht sein. Für jede neue Generation müssen wir die Höhle öffnen, damit die Leute sehen können, was wahr ist.

Heute war sie für Sam und den kleinen Sam offen, der eine hübsche Bommelmütze aus Wolle trug.

Ziegel und Sally waren im Dienst, zusammen mit einigen Zwergen und zwei weiteren Trollen. Sie alle wachten über den Besucherstrom und über sich gegenseitig. Vürmer glühten an der Decke. Das Spiel glänzte. Woran würde sich der kleine Sam erinnern? Vermutlich nur an das Glitzern. Aber es musste getan werden.

Die Spieler waren echt, stellten beide Seiten fest. Diamants Körpermeißelungen entsprachen genau den historischen Überlieferungen, ebenso die Rüstung und der Schmuck von Blutaxt. Neben ihm lag sogar der lange Laib Zwergenbrot, den er in die Schlacht mitgenommen hatte und der einen Trollschädel zertrümmern konnte. Zwergengelehrte hatten, sehr vorsichtig und mit fünfzehn stumpf gewordenen Sägeblättern, ein kleines Stück davon abgeschnitten. Wie sich herausstellte, war das Zwergenbrot noch genauso essbar wie am Tag, als es gebacken worden war.22

Eine Minute sollte für diesen historischen Moment genügen, fand Mumm. Der kleine Sam war im Alles-wird-befingert-Alter, und Mumm wollte vermeiden, dass sein Sohn ein historisches Monument aß.

»Auf ein Wort, Obergefreite?«, wandte er sich auf dem Rückweg an Sally. »Gleich ist Wachwechsel.«

»Natürlich, Herr«, erwiderte Sally. Mumm schlenderte in eine Ecke der Höhle und wartete, als Nobby und Fred Colon an der Spitze der Ablösegruppe hereinmarschierten.

»Freust du dich darüber, zur Wache zu gehören, Obergefreite?«, fragte Mumm, als Sally zu ihm eilte.

»Sehr, Herr!«

»Gut. Gehen wir nach oben ins Tageslicht.«

Sie folgte ihm in die feuchte Wärme des Koomtals, wo Mumm auf einem Felsen Platz nahm. Er sah sie an, während der kleine Sam zu seinen Füßen spielte.

»Möchtest du mir irgendetwas sagen, Obergefreite?«, fragte er.

»Sollte ich, Herr?«

»Ich kann natürlich nichts beweisen«, fuhr Mumm fort. »Aber du bist eine Agentin des Niederen Königs. Du hast mich ausspioniert.«

Er wartete, während Sally über ihre Möglichkeiten nachdachte. Über ihnen flogen Schwalbenschwärme.

»Ich, äh, würde es nicht so ausdrücken, Herr«, sagte Sally schließlich. »Ich habe Schinkenbrecher beobachtet und hörte von der Mine, und als sich dann alles zuspitzte…«

»… hieltest du es für eine gute Idee, Wächterin zu werden. Weiß die Liga davon?«

»Nein! Herr, es ging mir nicht darum, dich auszuspionieren…«

»Du hast dem Niederen König mitgeteilt, dass ich zum Koomtal wollte. Und in der Nacht nach unserer Ankunft bist du ein wenig herumgeflogen. Wolltest wohl ein bisschen die Flügel strecken.«

»Dies ist nicht mein richtiges Leben, Herr!«, sagte Sally. »Ich gehöre zur neuen Wache in Klonk. Wir versuchen dort, etwas zu bewirken! Ich wollte nach Ankh-Morpork, weil… Nun, das wünschen wir uns alle. Um zu lernen, verstehst du? Um zu sehen, wie du es anstellst. Alle loben dich! Und dann rief mich der Niedere König zu sich, und ich dachte, es kann nicht schaden. Schinkenbrecher hat auch hier für Unruhe gesorgt. Äh… ich habe dich nie direkt belogen, Herr.«

»Rhys wusste bereits von dem Geheimnis, nicht wahr?«, fragte Mumm.

»Nein, Herr, nicht in dem Sinne. Aber ich glaube, er vermutete, dass es dort unten etwas gab.«

»Warum machte er sich dann nicht auf den Weg, um nachzusehen?«

»Zwerge, die im Koomtal graben, Herr? Die Trolle wären durchgedreht, Herr.«

»Aber nicht, wenn die Zwerge nur herauszufinden versuchen, warum ein Polizist aus Ankh-Morpork einigen fliehenden Verbrechern in die Höhlen folgt. Nicht, wenn der Polizist der gute alte Sam Mumm ist, grundehrlich und unbestechlich, wenn auch nicht das schärfste Messer im Schrank. Sam Mumm kann man nicht kaufen, aber warum auch, wenn es möglich ist, ihn hinters Licht zu führen?«

»Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst, Herr, aber… Hier spielt dein kleiner Sohn im Koomtal, in der Nähe von Trollen und Zwergen, die nicht gegeneinander kämpfen. Ich habe nicht gelogen, ich habe nur… gewisse Verbindungen aufrechterhalten. War es nicht die Mühe wert, Herr? Sie waren wirklich besorgt, als du zu den Zauberern gegangen bist! Schein hatte die Stadt noch nicht verlassen! Rhys musste ihn nachts einfliegen lassen! Und sie sind dir nur gefolgt. Die einzige Person, die dich getäuscht hat, war ich, und wie sich jetzt herausstellt, ist mir das offenbar nicht besonders gut gelungen. Sie brauchten dich, Herr. Sieh dich um, und sag, dass es die Mühe nicht gelohnt hat…«

Hundert Meter entfernt rumpelte ein hausgroßer Felsen übers Gestein, von einem Dutzend Trolle geschoben, fiel in einen Ponor und blockierte ihn wie ein Stöpsel. Jubel erklang.

»Darf ich noch etwas anderes erwähnen, Herr?«, fragte Sally. »Ich weiß, dass Angua hinter mir steht.«

»Für dich heißt es Feldwebel Angua«, sagte Angua dicht neben ihrem Ohr. »Auch mich hast du nicht getäuscht. Ich habe dich darauf hingewiesen, dass wir keine Petzen in der Wache mögen. Aber wenn du’s unbedingt wissen willst, Herr: Sie riecht, als ob sie die Wahrheit spricht.«

»Stehst du noch immer mit dem Niederen König in Verbindung?«, fragte Mumm.

»Ja, und ich bin sicher, er…«, begann Sally schnell.

»Dies sind meine Forderungen. Die Grags und ihre restlichen Wächter kehren mit mir nach Ankh-Morpork zurück. Das schließt Feurig mit ein, obwohl ich gehört habe, dass es Wochen dauern wird, bis er wieder sprechen kann. Sie werden vor Vetinari treten. Ich habe Versprechen zu halten, und niemand wird mich daran hindern. Sicher wird es nicht leicht sein, zu beweisen, dass sie für die Morde verantwortlich sind, aber ich werde es verdammt noch mal versuchen. Und da ich die nächste Mahlzeit darauf wette, dass Vetinari über dies alles Bescheid weiß, nehme ich an, dass er sie ohnehin Rhys überlassen wird. Er hat sicher eine Zelle, die tief genug liegt, um ungemütlich zu sein. Verstanden?«

»Ja, Herr. Und die anderen Forderungen?«

»Die gleichen wie diese, mit lauterer Stimme wiederholt«, sagte Mumm. »Verstanden?«

»Absolut, Herr«, erwiderte Sally. »Anschließend quittiere ich natürlich den Dienst.«

Mumm kniff die Augen zusammen. »Du wirst den Dienst erst dann quittieren, wenn ich dich dazu auffordere, Obergefreite. Du hast des Königs Schilling genommen, erinnerst du dich? Und du hast einen Eid geleistet. Geh, und kümmere dich um deine Verbindungen!«

»Du behältst sie?«, fragte Angua und beobachtete, wie die Vampirin in der Ferne verschwand.

»Du hast selbst gesagt, dass sie eine gute Polizistin ist. Wir werden sehen. Und mach nicht so ein Gesicht, Feldwebel. Politik ist in diesen Tagen groß in Mode. Wie ich hörte, kommt es darauf an, seine Freunde auszuspionieren. Wie sie sagte: Sieh dich um.«

»Das sieht dir gar nicht ähnlich, Herr«, sagte Angua und bedachte Mumm mit einem besorgten Blick.

»Ja, da hast du Recht«, erwiderte er. »Ich habe in der vergangenen Nacht gut geschlafen. Es ist ein schöner Tag. Derzeit versucht niemand, mich zu töten, was schön ist. Danke, Feldwebel. Ich wünsche dir einen schönen Abend.«

Mumm trug den kleinen Sam ins Licht des späten Nachmittags. Eigentlich ganz gut, dass die junge Frau für Rhys gearbeitet hatte. Andernfalls wären die Dinge ein wenig schwieriger gewesen. Ganz klar. Sie in der Wache behalten? Vielleicht. Sie war nützlich gewesen, das räumte selbst Angua ein. Außerdem hatten ihn die Umstände praktisch gezwungen, einen Spion einzustellen, in Zeiten eines Beinahekrieges! Wenn er dies richtig ausnutzte, würde nie wieder jemand bestimmen, wen er in die Wache aufnehmen musste. Da konnte Doreen Winkings noch so sehr ihre falschen Eckzähne zeigen!

Hmm… dachte Vetinari die ganze Zeit über auf diese Weise?

Mumm hörte, wie jemand seinen Namen rief. Eine Kutsche rollte heran, und Sybil winkte aus dem Fenster. Das war ein weiterer Schritt nach vorn: Selbst Karren und Kutschen konnten jetzt diesen Ort erreichen.

»Du hast doch nicht das Essen heute Abend vergessen?«, fragte sie mit einem Hauch Argwohn in der Stimme.

»Nein, Schatz.« Mumm hatte es nicht vergessen, aber gehofft, dass es verschwand, wenn er nicht daran dachte. Es war etwas Offizielles, mit beiden Königen und zahlreichen geringeren Königen und Clanoberhäuptern. Und leider musste auch der Sonderbeauftragte von Ankh-Morpork zugegen sein. Das war Sam Mumm, sauber geschrubbt.

Wenigstens gab es keine Strumpfhosen und Federn. Daran konnte nicht einmal Sybil gedacht haben. Aber bedauerlicherweise wohnte im Ort ein guter Schneider, der sich über die Gelegenheit freute, all die goldenen Tressen zu verarbeiten, die er vor ein paar Jahren zufällig gekauft hatte.

»Willikins wird ein Bad vorbereitet haben, wenn wir zurückkehren«, sagte Sybil, als die Kutsche wieder losrollte.

»Ja, Schatz«, sagte Mumm.

»Sei nicht so niedergeschlagen! Denk daran, dass du die Ehre von Ankh-Morpork hochhältst!«

»Wirklich, Schatz? Und was mache ich mit der anderen Hand?«, fragte Mumm und lehnte sich zurück.

»Ach, Sam! Heute Abend bist du in Gesellschaft von Königen!«

Lieber wäre ich ganz allein auf der Sirupminenstraße um drei Uhr nachts, dachte Mumm. Im Regen, die Rinnsteine voll rauschendem Wasser. Aber es war eine Ehefrauensache. Sie war so… stolz auf ihn. Der Grund dafür blieb ihm ein Rätsel.

Mumm blickte auf seinen Arm hinab. Wenigstens das hatte er in Ordnung gebracht. Austrittswunde, von wegen! Ihm war nur etwas von dem brennenden Öl auf die Haut gespritzt. Es mochte ein wenig nach dem verdammten Symbol aussehen, genug, um die Zwerge zu erschrecken, aber kein fliegendes Auge kam an ihm vorbei. Vernunft und Fakten, allein das funktionierte!

Nach einer Weile dämmerte ihm, dass sie nicht zum Ort fuhren. Sie hatten fast die Seen ganz unten erreicht, aber jetzt ging es über den Klippenweg wieder nach oben. Er konnte sehen, wie sich das Tal unter ihm öffnete.

Die Könige ließen ihre Untertanen hart arbeiten, in der Annahme, dass müde Krieger weniger bereit sind zu kämpfen. Gruppen schwärmten wie Ameisen über die Felsen. Vermutlich gab es einen Plan. Aber die Berge würden ihn in jedem Winter verspotten. Die ganze Zeit über mussten Leute hier sein, die die Berghänge beobachteten und große Felsblöcke entdeckten und zerschlugen, bevor sie Schaden anrichten konnten. Denk ans Koomtal! Denn wenn du nicht daran denkst, wird deine Geschichte zu… Geschichte.

Und dann hörst du vielleicht, hinter dem Donnern des tief unten strömenden Wassers, das Lachen der toten Könige.

Die Kutsche blieb stehen. Sybil öffnete die Tür. »Steig aus, Sam«, sagte sie. »Keine Widerrede. Zeit für dein Porträt.«

»Hier draußen? Aber…«, begann Mumm.

»Guten Tag, Kommandeurr«, sagte Otto Chriek fröhlich und erschien an der Tür. »Ich habe eine Sitzbank aufgestellt, und das Licht ist genau rrichtig fürr Farrbe!«

Das stimmte, musste Mumm zugeben. Gewitterlicht gab den Bergen den Glanz von Gold. Nicht allzu weit entfernt stürzten die Tränen des Königs in einer Linie aus glitzerndem Silber in die Tiefe. Bunte Vögel flogen, und weiter oben im Tal wölbten sich Regenbögen.

Das Koomtal, am Koomtaltag. Er hatte dort sein müssen.

»Wenn Ihrre Ladyschaft den kleinen Jungen bitte auf den Schoß nimmt, und du, Kommandeurr, stellst dich neben sie, mit derr Hand auf ihrrerr Schulterr…« Otto Chriek hantierte an seinem großen Ikonographen.

»Er macht hier Bilder für die Times«, flüsterte Sybil. »Und ich dachte mir: Jetzt oder nie. Von der Porträtmalerei zur Porträtfotografie.«

»Wie lange dauert es?«, fragte Mumm.

»Oh, nurr einen Moment, Kommandeurr«, sagte Otto.

Mumms Miene erhellte sich. Das war schon eher nach seinem Geschmack.

Natürlich dauert es nie nur einen Moment. Aber es war ein warmer Nachmittag, und Mumm fühlte sich noch immer gut. Sie saßen da, mit dem starren Lächeln von Leuten, die sich wundern, warum ein Moment eine halbe Stunde dauert, während Otto versuchte, das Universum so zu ordnen, dass es ihm gefiel.

»Havelock fragt sich bestimmt, wie er dich belohnen soll«, flüsterte Sybil, während der Vampir herumfuhrwerkte.

»Da kann er sich lange fragen«, sagte Mumm. »Ich habe alles, was ich mir wünsche.«

Er lächelte.

Klick!

 

 

»Sechzig neue Wächter?«, fragte Lord Vetinari.

»Der Preis des Friedens, Herr«, erwiderte Hauptmann Karotte ernst. »Ich bin sicher, dass sich Kommandeur Mumm nicht mit weniger zufrieden gibt.«

»Sechzig Männer – womit ich natürlich auch Zwerge und Trolle meine – sind mehr als ein Drittel der gegenwärtigen Mannschaft«, sagte der Patrizier und klopfte mit seinem Gehstock auf das Kopfsteinpflaster. »Der Frieden präsentiert eine ziemlich hohe Rechnung, Hauptmann.«

»Und er bringt auch einige Dividenden, Herr«, entgegnete Karotte.

Sie betrachteten das Kreis-und-Linie-Symbol über der Tür der Mine, hinter dem gelben und schwarzen Band, mit dem die Wache Neugierige fern hielt.

»Die Mine fällt an uns?«, fragte Vetinari.

»Offenbar ja, Herr. Ich glaube, hier kommt das Enteignungsrecht des Staates zum Tragen.«

»Ah, ja. Das bedeutet Diebstahl durch die Regierung«, meinte Vetinari.

»Die Grags haben für das Eigentumsrecht an diesem Grundbesitz bezahlt, Herr. Sie werden sich wohl kaum auf einen Rechtsstreit einlassen.«

»In der Tat. Und die Zwerge können Tunnel wirklich wasserdicht machen?«

»Ja. Der Trick ist fast so alt wie der Bergbau. Möchtest du hineingehen und es dir ansehen? Ich fürchte allerdings, dass der Lift derzeit nicht funktioniert.«

Lord Vetinari inspizierte die Gleise und kleinen Karren, mit denen die Zwerge den Abraum fortgebracht hatten. Er betastete die trockenen Wände. Schließlich ging er wieder nach oben und runzelte die Stirn, als eine tausend Kilogramm schwere Eisenplatte durch die Wand brach, an seinem Gesicht vorbeisauste, die gegenüberliegende Wand durchschlug und sich in die Straße dahinter bohrte.

»Sollte so etwas passieren?«, fragte er und strich Mörtelstaub von seinem Ärmel.

Hinter ihm rief eine aufgeregte Stimme: »Das Drehmoment! Es ist unmöglich! Unglaublich!«

Eine Gestalt kletterte durch die Wand und hielt etwas in der Hand. Sie eilte zu Hauptmann Karotte und zitterte vor Aufregung.

»Sie dreht sich einmal in 6,9 Sekunden, aber das Drehmoment ist immens! Sie hat die Klammer zerbrochen! Was treibt sie an?«

»Das scheint niemand zu wissen«, sagte Karotte. »In Überwald…«

»Entschuldigung, worum geht es hier?«, fragte Lord Vetinari und hob gebieterisch die Hand.

Der Mann sah ihn kurz an und wandte sich dann wieder an Karotte. »Wer ist das?«

»Lord Vetinari, Herrscher der Stadt, darf ich dir Herrn Pony von der Handwerkergilde vorstellen?«, sagte Karotte schnell. »Bitte zeig Seiner Lordschaft die Welle, Herr Pony.«

»Danke«, sagte Lord Vetinari und nahm das Ding entgegen. Es sah aus wie zwei Würfel, jeder mit einer Kantenlänge von etwa fünfzehn Zentimetern und an einer Seite miteinander verbunden, wie zwei Spielwürfel, die sich an den Sechsen trafen. Einer drehte sich in Relation zu dem anderen – ganz langsam.

»Oh«, sagte der Patrizier. »Ein Mechanismus. Wie hübsch.«

»Hübsch?«, wiederholte Pony. »Verstehst du nicht? Er hört nicht auf, sich zu drehen.«

Karotte und Pony sahen Lord Vetinari erwartungsvoll an, der fragte: »Und das ist gut

Karotte hüstelte. »Ja, Herr. Ein solcher Apparat treibt eine der größten Minen in Überwald an. Alle Pumpen, alle Ventilatoren, die die Luft bewegen, die Karren mit dem Erz, die Blasebälge der Schmieden, die Lifte… alles. Nur ein solches Ding. Es ist eine andere Art Apparat, wie die Würfel. Wir wissen nicht, wie sie gemacht sind. Sie sind sehr selten, und die drei anderen, von denen ich gehört habe, arbeiten seit Jahrhunderten. Sie brauchen keinen Treibstoff, sie brauchen gar nichts. Sie scheinen Millionen Jahre alt zu sein. Niemand weiß, von wem sie stammen. Sie erscheinen einfach.«

»Wie interessant«, erwiderte Vetinari. »Sie ziehen Karren? Unter Tage, sagst du?«

»Ja«, bestätigte Karotte. »Selbst mit Minenzwergen drin.«

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Vetinari und schenkte Herrn Ponys ausgestreckter Hand keine Beachtung. »Und was könnte dieser Apparat hier in Ankh-Morpork vollbringen?«

Der Patrizier und Karotte wandten sich an Herrn Pony, der mit den Schultern zuckte und sagte: »Alles!«

 

 

Plink!, machte es, als ein weiterer Tropfen auf den Kopf des seit langem toten Königs namens Blutaxt fiel.

»Wie lange ist dies noch nötig, Feldwebel?«, fragte Nobby, als sie die Schlange aus Besuchern beobachteten, die langsam an den toten Königen vorbeizogen.

»Herr Mumm lässt eine weitere Gruppe von zu Hause hierher kommen«, sagte Fred Colon und trat von einem Fuß auf den anderen. Es schien recht warm zu sein, wenn man in die Höhle kam, aber nach einer Weile machte einem die Feuchtigkeit zu schaffen. Er dachte daran, dass Nobby nicht daran litt, weil er von Natur aus feucht war.

»Es wird mir immer unheimlicher, Feldwebel«, sagte Nobby und deutete auf die Könige. »Wenn sich die Hand dort bewegt, schreie ich.«

»Denk daran, dass du hier bist, Nobby.«

»Ich bin immer irgendwo gewesen, Feldwebel.«

»Ja, aber wenn man die Geschichtsbücher schreibt, wird es heißen…« Fred Colon zögerte und überlegte. Er musste zugeben, dass die Geschichtsbücher ihn und Nobby vermutlich nicht erwähnen würden. »Deine Bronzaleh wird stolz auf dich sein.«

»Ich glaube nicht, Feldwebel«, sagte Nobby traurig. »Sie ist sehr nett, aber ich fürchte, ich muss mich von ihr trennen.«

»Nicht doch!«

»Leider ja, Feldwebel. Neulich hat sie für mich gekocht. Sie hat versucht, Kummervollen Pudding für mich zu machen, wie meine alte Mutter.«

Plink!

Fred Colon lächelte von seinem Bauch aus aufwärts. »Ah, ja. Bei deiner alten Mutter war der Pudding immer besonders kummervoll.«

»Das Zeug hat grässlich geschmeckt«, sagte Nobby und ließ den Kopf hängen. »Und was Bauchvoll betrifft… Darüber möchte ich lieber nicht reden. Bronzaleh weiß mit einem Herd nicht viel anzufangen.«

»Sie kennt sich eher mit Stangen aus, Nobby, das stimmt.«

»Ja. Und ich dachte, Wilma Schubwagen… Nun, man weiß nie genau, in welche Richtung sie sieht, aber ihre Venusmuscheln mit Butter…« Er seufzte.

»Das ist ein Gedanke, der einen Mann in einer kalten Nacht warm hält«, pflichtete Fred ihm bei.

»Und weißt du, wenn sie mich heutzutage mit einem nassen Fisch schlägt, tut es nicht mehr so weh wie früher«, fuhr Nobby fort. »Ich glaube, wir werden uns allmählich einig.«

Plink!

»Sie kann einen Hummer mit der Faust knacken«, bemerkte Colon. »Das ist eine sehr nützliche Fähigkeit.«

»Deshalb habe ich daran gedacht, mit Angua zu sprechen«, sagte Nobby. »Sie kann mir vielleicht den einen oder anderen Rat geben. Ich möchte es Bronzaleh ganz vorsichtig beibringen, damit sie nicht zu enttäuscht ist.«

»Das ist eine gute Idee, Nobby«, sagte Fred. »Nicht berühren, Herr, sonst muss ich dir die Finger abschneiden.« Diese Worte, freundlich gesprochen, galten einem Zwerg, der die Hand voller Ehrfurcht nach dem Spielbrett zwischen den beiden Königen ausgestreckt hatte.

»Natürlich bleiben wir Freunde«, sagte Nobby, als der Zwerg zurückwich. »Solange ich im Rosaroten Kätzchenklub keinen Eintritt bezahlen muss, werde ich immer für sie da sein, wenn sie einen Helm braucht, an dem sie sich ausweinen kann.«

»Das ist sehr modern von dir, Nobby«, kommentierte Fred. Er lächelte in der Düsternis. Irgendwie war die Welt wieder auf Kurs.

Plink!

 

 

Er wanderte durch die Welt, der ewige Troll…

Ziegel folgte Detritus und zog seine Keule hinter sich her.

Es mit ihm aufwärts ging in der Welt, und wie! Die Leute sagten, er wehtat, der Entzug, aber bei Ziegel hatte das ganze Leben wehgetan, und derzeit fühlte es sich gar nicht so schlecht an. Wie seltsam, er jetzt konnte einen Gedanken zu Ende denken, ohne zu vergessen den Anfang. Und er zu essen bekam, und es ihm bestimmt gefallen würde, wenn er hörte auf damit, alles wieder auszukotzen. Feldwebel Detritus, der alles wusste, ihm gesagt hatte, wenn er blieb sauber und kam auf Zack, er es eines Tages bringen konnte bis zum Obergefreiten und verdienen einen Haufen Geld.

Er nicht genau wusste, wie es gekommen war zu alldem. Es sah so aus, als ob er wäre nicht mehr in der Stadt, und es gegeben hatte ein bisschen Kampf, und Feldwebel Detritus ihm gezeigt hatte diese toten Leute, und er ihm auf den Kopf geschlagen und gesagt hatte: »Erinnere dich!« Und er sich alle Mühe gab mit dem Erinnern, doch man ihm oft auf den Kopf geschlagen hatte, und viel stärker, dies war gar nichts. Aber Feldwebel Detritus meinte, es alles ginge darum, nicht mehr zu hassen die Zwerge, und das für Ziegel in Ordnung war, denn er nie hatte vergeudet Kraft mit Hassen. Unten im Loch sie gemacht hatten die Welt zu einem besseren Ort, meinte Feldwebel Detritus.

Und als Ziegel das Essen roch, wusste er, dass Feldwebel Detritus damit völlig Recht hatte.

 

 

Trolle und Zwerge hatten ein großes Rundhaus im Koomtal errichtet, mit großen Felsblöcken für die Wände und einem halben entwurzelten Wald für das Dach. Drinnen brannte ein dreißig Meter langes Feuer. Darum herum, auf niedrigen Bänken, saßen die Könige von mehr als hundert Zwergenminen und die Oberhäupter von achtzig Trollclans zusammen mit ihren Gefolgsleuten, Dienern und Leibwächtern. Es ging ziemlich laut zu, die Luft war voller Rauch und die Hitze kaum auszuhalten.

Ein guter Tag ging zu Ende. Man hatte Fortschritte erzielt. Die Gäste blieben unter sich, zugegeben, aber wenigstens versuchten sie nicht, einander umzubringen. Das war eine vielversprechende Entwicklung. Der Frieden hielt.

An der erhöhten Speisetafel lehnte sich König Rhys auf seinem improvisierten Thron zurück und sagte: »Man fordert nichts von Königen. Man bittet sie um etwas, und manchmal werden die Bitten wohlwollend erfüllt. Versteht er das nicht?«

»Ich glaube, er schert sich einen Traka darum, Herr, wenn ich es so grob ausdrücken darf«, sagte Grag Scheusohn, der respektvoll neben ihm stand. »Und bestimmt genießt er die Unterstützung der einflussreichen Zwerge aus der Stadt. Es steht mir nicht zu, Herr, aber ich rate dir einzuwilligen.«

»Und mehr will er nicht? Kein Gold, kein Silber, keine Bergwerkskonzessionen?«

»Das ist alles, was er will, Majestät. Aber ich vermute, du wirst bald von Lord Vetinari hören.«

»Oh, da bin ich sicher!« Der König seufzte. »Es ist eine neue Welt, Grag, aber manche Dinge ändern sich nicht. Äh… das… Ding hat ihn doch verlassen?«

»Ich glaube schon, Majestät.«

»Bist du nicht sicher?«

Der Grag lächelte ein mattes, inneres Lächeln. »Sagen wir, dass wir besser auf seine durchaus vernünftige Forderung eingehen sollten, Majestät.«

»Ich verstehe, Grag. Danke.«

König Rhys drehte sich auf seinem Thron, beugte sich über die beiden leeren Plätze und sagte zum diamantenen König: »Glaubst du, ihnen ist etwas zugestoßen? Es ist nach sechs!«

Schein lächelte und füllte den Saal mit Licht. »Ich glaube, eine sehr wichtige Angelegenheit hat sie aufgehalten.«

»Wichtiger als dies?«, fragte der Zwergenkönig.

… und weil manche Dinge wichtig sind, stand die Kutsche vor dem Haus des Richters im Ort. Die Pferde scharrten ungeduldig mit den Hufen. Der Kutscher wartete. Drinnen stopfte Lady Sybil lächelnd eine Socke, denn manche Dinge sind wichtig.

Und Sam Mumms Stimme kam oben aus einem offenen Fenster. »Es macht ›Hruuuah!‹. Es ist ein Flusspferd! Das ist nicht meine Kuh!«

Doch das genügte vorerst.