Klonk!

So klang es, als die schwere Keule den Kopf traf. Der Körper zuckte und sackte in sich zusammen.

Und es war vollbracht, ungehört, ungesehen: das perfekte Ende, eine perfekte Lösung, eine perfekte Geschichte.

Aber, wie die Zwerge sagen: Wo es Ärger gibt, findet man immer einen Troll.

Der Troll sah.

 

 

Es war ein perfekter Morgen. Er wusste, dass es bald ein ganz und gar nicht perfekter Tag werden würde, aber für ein paar kurze Minuten konnte er sich etwas anderes vormachen.

Sam Mumm rasierte sich. Es war sein täglicher Akt des Trotzes, eine Bestätigung dafür, dass er der… nun ja, eben der einfache Sam Mumm war.

Zugegeben, er rasierte sich in einer Villa, und während er sich rasierte, las ihm sein Butler aus der Times vor, aber das waren nur die… Umstände. Der Mann, der ihn aus dem Spiegel ansah, blieb Sam Mumm. Es wäre ein wirklich schlechter Morgen, wenn er dort den Herzog von Ankh sähe. »Herzog« war nur eine Tätigkeitsbeschreibung.

»Die meisten Nachrichten betreffen die gegenwärtige… Zwergensituation, Herr«, sagte Willikins, als Mumm die schwierige Stelle unter der Nase in Angriff nahm. Er benutzte noch immer das offene Rasiermesser seines Großvaters. Auch das diente ihm als Realitätsanker. Außerdem war der Stahl viel besser als der, den man heutzutage bekam. Sybil, die sich durch eine seltsame Begeisterung für moderne technische Spielereien auszeichnete, schlug ihm immer wieder vor, sich einen dieser neuen Rasierapparate anzuschaffen, mit einem kleinen magischen Kobold drin, der mit einer Schere ganz schnell schnitt. Aber davon wollte Mumm nichts wissen. Niemand außer ihm selbst durfte eine scharfe Klinge auch nur in die Nähe seines Gesichts bringen.

»Koomtal, Koomtal«, brummte er sein Spiegelbild an. »Gibt es nichts Neues

»Nicht in dem Sinne, Herr«, sagte Willikins und blätterte zur ersten Seite zurück. »Es wird über die Rede von Grag Schinkenbrecher berichtet. Anschließend kam es zu Unruhen, heißt es. Mehrere Zwerge und Trolle wurden verletzt. Führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben zu Ruhe aufgefordert.«

Mumm schüttelte den Seifenschaum vom Rasiermesser. »Ha! Na klar haben sie das. Sag mir, Willikins: Warst du als Junge an vielen Raufereien beteiligt? Warst du Mitglied bei einer Bande oder so was?«

»Ich hatte die Ehre, zu den Unverschämten Jungs der Betrug-und-Schwindel-Straße zu gehören, Herr«, antwortete der Butler.

»Im Ernst?«, erwiderte Mumm beeindruckt. »Das waren ziemlich harte Kerle, wenn ich mich recht entsinne.«

»Danke, Herr«, sagte Willikins sanft. »Ich kann voller Stolz darauf hinweisen, dass ich mehr ausgeteilt als eingesteckt habe, wenn es nötig wurde, mit den jungen Männern von der Seilstraße die Frage umstrittener Revierbereiche zu diskutieren. Stauerhaken waren ihre Lieblingswaffen, soweit ich weiß.«

»Und deine?«, fragte Mumm gespannt.

»Eine Mützenkrempe mit scharf geschliffenen Münzen, Herr. Eine gute Hilfe, wenn es brenzlig wird.«

»Bei den Göttern, Mann! Mit so einem Ding zu hantieren kann schnell ins Auge gehen.«

»Wenn man es geschickt anstellt, ja«, sagte Willikins und faltete sorgfältig ein Handtuch zusammen.

Und hier stehst du jetzt, in deiner Nadelstreifenhose und der Butlerjacke, glänzend wie Schmalz und fett wie Butter, dachte Mumm, während er unter seinen Ohren alles in Ordnung brachte. Und ich bin Herzog. Das Leben ist voller Überraschungen.

»Und hast du jemals gehört, wie jemand zu Unruhe aufgefordert hat?«, fragte er.

»Nie, Herr.«

»Ich auch nicht. So was passiert nur in Zeitungen.« Mumm blickte auf den Verband an seinem Arm. Es war ziemlich unruhig gewesen.

»Steht in dem Artikel, dass ich persönlich eingegriffen habe?«, fragte er.

»Nein, Herr. Aber hier steht, dass rivalisierende Gruppen in den Straßen durch die wackeren Bemühungen der Wache auseinander gehalten wurden.«

»Haben sie wirklich das Wort ›wacker‹ benutzt?«, fragte Mumm.

»Das haben sie tatsächlich, Herr.«

»Gut«, brummte Mumm mit widerstrebender Zufriedenheit. »Wird auch erwähnt, dass zwei Wächter zum Gratishospital gebracht werden mussten und einer von ihnen recht schwer verletzt war?«

»Unerklärlicherweise nicht, Herr«, sagte der Butler.

»Hm. Typisch. Wie dem auch sei… Lies weiter.«

Willikins hüstelte höflich. »Vielleicht möchtest du das Rasiermesser senken, bevor du die nächste Nachricht hörst, Herr. Der kleine Schnitt letzte Woche hat mir Schwierigkeiten mit Ihrer Ladyschaft eingebracht.«

Mumm beobachtete, wie sein Spiegelbild seufzte und das Rasiermesser sinken ließ. »Also gut, Willikins. Ich bin auf das Schlimmste gefasst.«

Hinter ihm wurde professionell mit der Zeitung geraschelt. »Die Schlagzeile auf Seite drei lautet: ›Ein Vampir für die Wache?‹, Herr«, sagte der Butler und wich einen vorsichtigen Schritt zurück.

»Verdammt! Wer hat ihnen davon erzählt?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Hier steht, dass du nichts von Vampiren in der Wache hältst, heute aber mit einem Rekruten sprechen wirst. Es heißt, deswegen gebe es eine große Kontroverse.«

»Blättere bitte zur achten Seite«, sagte Mumm. Hinter ihm raschelte die Zeitung erneut.

»Nun?«, fragte er. »Dort bringen sie meistens ihre dumme politische Karikatur.«

»Hast du das Rasiermesser gesenkt, Herr?«, erkundigte sich Willikins.

»Ja!«

»Vielleicht solltest du außerdem einen Schritt vom Waschbecken zurücktreten, Herr.«

»Sie zeigt mich, nicht wahr?«, fragte Mumm grimmig.

»In der Tat, Herr. Die Karikatur präsentiert einen kleinen, nervösen Vampir und, wenn ich das sagen darf, eine überlebensgroße Darstellung von dir, die sich über den Schreibtisch beugt, mit einem Holzpflock in der rechten Hand. Die Bildunterschrift lautet: ›Hast du das Herz am rechten Fleck?‹ Das soll ein Scherz sein, Herr, denn der Pflock dient dazu…«

»Ja, ich kann den Versuch, humorvoll zu sein, unschwer erkennen«, sagte Mumm müde. »Besteht die Möglichkeit, dass du Sybil zuvorkommst und das Original kaufst? Jedes Mal, wenn die Zeitung eine Karikatur von mir bringt, besorgt sie sich das Original und hängt es in der Bibliothek auf!«

»Herr, äh, Fizz trifft dich sehr gut, Herr«, räumte der Butler ein. »Und leider muss ich sagen, dass Ihre Ladyschaft mich bereits angewiesen hat, für sie das Büro der Times aufzusuchen.«

Mumm stöhnte.

»Das ist noch nicht alles, Herr«, fuhr Willikins fort. »Ihre Ladyschaft hat mir aufgetragen, dich daran zu erinnern, dass sie und der junge Sam dich um Punkt elf im Atelier von Sir Joshua erwarten, Herr. Wie ich hörte, befindet sich das Gemälde in einer wichtigen Phase.«

»Aber ich…«

»Sie hat sich sehr klar ausgedrückt, Herr. Sie meinte, wenn sich der Kommandeur der Polizei nicht einmal freinehmen kann, wer dann?«

 

 

An diesem Tag im Jahr 1802 erwachte der Maler Methodia Schlingel in der Nacht, weil Kriegsgeräusche aus einer Schublade seines Nachtschränkchens drangen.

Schon wieder.

 

 

Ein einzelnes, schwaches Licht erhellte den Keller. Um genau zu sein, verlieh es der Dunkelheit unterschiedliche Qualität und trennte Schatten von tieferen Schatten.

Die Gestalten waren kaum zu sehen. Mit gewöhnlichen Augen ließ sich nicht feststellen, wer sprach.

»Hierüber wird nicht gesprochen, verstanden?«

»Es soll nicht darüber gesprochen werden? Er ist tot

»Dies ist eine Zwergenangelegenheit! Sie soll der Stadtwache nicht zu Ohren kommen! Die Wächter haben hier nichts zu suchen! Möchte jemand von uns, dass die hier herunterkommen?«

»Es gibt Zwerge in der Wache…«

»Ha. Drkza. Zu viel Zeit in der Sonne. Sie sind zu kleinen Menschen geworden. Denken sie wie Zwerge? Und Mumm würde überall herumschnüffeln und mit den lächerlichen Lappen winken, die sie Gesetze nennen. Warum sollten wir solche Störungen zulassen? Außerdem liegt die Sache doch auf der Hand. Nur ein Troll kann das getan haben. Das meint ihr doch auch? Ich habe gesagt: Das meint ihr doch auch

»Genau das ist geschehen«, sagte eine Gestalt. Die Stimme war dünn und alt und eigentlich eher ungewiss.

»Ja, es war ein Troll«, ertönte eine andere Stimme. Sie klang fast genauso wie die erste, brachte aber einen Hauch mehr Gewissheit zum Ausdruck.

Es folgte eine Pause, während der das allgegenwärtige Geräusch der Pumpen anzuschwellen schien.

»Es kann nur ein Troll gewesen sein«, sagte die erste Gestalt. »Heißt es nicht, hinter jedem Verbrechen findet man den Troll?«

 

 

Vor der Wache am Pseudopolisplatz hatte sich eine kleine Menge eingefunden, als Kommandeur Mumm eintraf. Bis dahin war es ein netter, sonniger Morgen gewesen. Er blieb sonnig, wurde aber weniger nett.

Die Leute hielten Schilder und Transparente. »Blutsauger raus!!«, las Mumm – und: »Fangzähne weg!« Gesichter wandten sich ihm zu, mit verdrießlichem, leicht besorgtem Trotz.

Er murmelte einen Fluch, gerade leise genug.

Otto Chriek, der Ikonograph der Times, stand in der Nähe, hielt einen Sonnenschirm und wirkte deprimiert. Er bemerkte Mumms Blick und kam näher.

»Warum bist du hier, Otto?«, fragte Mumm. »Erhoffst du dir ein Bild von einem ordentlichen Durcheinander?«

»Es sind Nachrrichten, Kommandeurr«, sagte Otto und blickte auf seine sehr glänzenden Schuhe hinab.

»Wer hat dir den Tipp gegeben?«

»Ich mache nurr die Bilderr, Kommandeurr«, erwiderte Otto und sah verletzt auf. »Außerrdem könnte ich es dirr ohnehin nicht sagen, wegen derr Prressefrreiheit.«

»Du meinst wohl die Freiheit, Öl ins Feuer zu gießen«, bemerkte Mumm.

»So ist das eben mit derr Frreiheit«, sagte Otto. »Niemand hat gesagt, dass sie schön ist.«

»Aber… du bist ebenfalls ein Vampir!« Mumm deutete auf die Demonstranten. »Gefällt dir, was hier aufgehetzt worden ist?«

»Es sind trrotzdem Nachrrichten, Kommandeurr«, sagte Otto sanftmütig.

Mumm sah erneut zur Menge. Sie bestand zum größten Teil aus Menschen. Ein Troll war dabei, aber vermutlich hatte er sich den Demonstranten einfach deshalb hinzugesellt, weil etwas geschah. Ein Vampir brauchte einen Steinbohrer und viel Geduld, bevor er einen Troll in Schwierigkeiten bringen konnte. Aber diese Sache hatte auch etwas Positives, wenn man so wollte: Die kleine Nebenvorstellung lenkte die Leute vom Koomtal ab.

»Seltsam, dass die Leute offenbar nichts gegen dich haben, Otto«, sagte Mumm und beruhigte sich ein wenig.

»Ich bin nicht offiziell«, erklärte Otto. »Ich habe wederr ein Schwerrt noch das Abzeichen. Ich bin keine Gefahrr und nurr ein arrbeitenderr Langweilerr. Und ich brringe die Leute zum Lachen.«

Mumm starrte ihn groß an. Daran hatte er noch nie gedacht. Aber ja… Der kleine, nervöse Otto in seinem rot abgesetzten Opernmantel voller Taschen für seine Ausrüstung, die glänzenden schwarzen Schuhe, der sorgfältig geschnittene spitze Haaransatz und nicht zuletzt der lächerliche Akzent, der abhängig von seinem Gesprächspartner stärker oder schwächer wurde. Er wirkte sicher nicht bedrohlich. Ganz im Gegenteil. Er sah komisch aus, wie ein Varietévampir. Er war ein Witz, und zum ersten Mal dachte Mumm daran, dass dieser Witz auf Kosten der anderen Leute ging. Bring sie zum Lachen, dann fürchten sie sich nicht.

Er nickte Otto zu, trat ein und sah Feldwebel Grinsi Kleinpo auf einer Kiste am Schreibtisch des wachhabenden Polizisten stehen, die neuen Rangabzeichen blitzblank an ihrem Ärmel. Mumm nahm sich vor, etwas bezüglich der Kiste zu unternehmen. Einigen Zwergen in der Wache gefiel es nicht, darauf stehen zu müssen.

»Ich glaube, wir sollten zwei Wächter draußen postieren, Grinsi«, sagte er. »Keine Provokation. Nur eine kleine Erinnerung daran, dass wir den Frieden bewahren.«

»Ich denke, das wird nicht nötig sein, Herr Mumm«, erwiderte die Zwergin.

»Ich möchte in der Times kein Bild sehen, das den ersten Vampirrekruten der Wache zeigt, wie er von Demonstranten angepöbelt wird, Korp… Feldwebel«, sagte Mumm streng.

»Das dachte ich mir, Herr«, erwiderte Grinsi. »Deshalb habe ich Feldwebel Angua gebeten, sie abzuholen. Sie sind vor einer halben Stunde durch den Hintereingang gekommen. Sie zeigt ihr das Gebäude. Ich glaube, sie sind unten im Umkleideraum.«

»Du hast Angua darum gebeten?«, fragte Mumm und fühlte, wie ihm das Herz in die Hose rutschte.

»Jaherr?«, entgegnete Grinsi und wirkte plötzlich besorgt. »Äh… gibt es da ein Problem?«

Mumm starrte sie groß an. Sie ist eine gute wachhabende Polizistin, dachte er. Ich wünschte, ich hätte mehr von ihrer Sorte. Und sie hat die Beförderung verdient, weiß der Himmel. Aber, erinnerte er sich, sie kommt aus Überwald. Sie hätte sich eigentlich an… die Sache zwischen Vampiren und Werwölfen erinnern müssen. Vielleicht ist es meine Schuld. Ich weise immer wieder darauf hin, dass alle Polizisten Polizisten sind.

»Was? Oh, nein«, sagte Mumm. »Wahrscheinlich nicht.«

Ein Vampir und ein Werwolf im gleichen Zimmer, dachte er, als er die Treppe hinaufging. Nun, sie müssen irgendwie damit fertig werden. Und das ist nur das erste unserer Probleme.

»Und ich habe Herrn Pessimal ins Verhörzimmer geführt!«, rief ihm Grinsi nach.

Mumm blieb abrupt stehen.

»Pessimal?«, wiederholte er.

»Der Regierungsinspektor, Herr?«, erwiderte Grinsi in fragendem Tonfall. »Von dem du mir erzählt hast?«

Oh, ja, dachte Mumm. Das zweite unserer Probleme.

 

 

Es war Politik. Mumm konnte sich einfach nicht an Politik gewöhnen, die für ehrliche Leute voller Fallen steckte. Diese war in der vergangenen Woche zugeschnappt, in Lord Vetinaris Büro, bei einer routinemäßigen täglichen Besprechung

»Ah, Mumm«, sagte Seine Exzellenz, als Mumm eintrat. »Wie nett von dir, dass du gekommen bist. Ist es ein schöner Tag?«

Bis zu diesem Moment, dachte Mumm, als er die anderen beiden Personen im Zimmer bemerkte.

»Du wolltest mich sprechen, Herr?«, fragte er und wandte sich wieder an Vetinari. »Die Liga gegen die Diffamierung von Siliziumleben demonstriert in der Wasserstraße, und der Verkehr staut sich bis zum Geringsten Tor…«

»Das kann bestimmt warten, Kommandeur.«

»Ja, Herr. Das ist das Problem, Herr. Das Warten.«

Vetinari winkte lässig. »Volle Karren, die die Straßen verstopfen, sind ein Zeichen des Fortschritts, Mumm«, erklärte er.

»Nur im übertragenen Sinn, Herr«, sagte Mumm.

»Wie dem auch sei… Ich bin sicher, dass deine Leute damit fertig werden können.« Vetinari deutete auf einen freien Stuhl. »Du hast jetzt so viele. Sie kosten viel Geld. Bitte setz dich, Kommandeur. Kennst du Herrn John Smith?«

Der andere Mann am Tisch nahm die Pfeife aus dem Mund und schenkte Mumm ein Lächeln irrer Freundlichkeit.

»Ich glaube, wwwir hatten noch nicht das Vergnügen«, sagte er und streckte die Hand aus. Es war kaum möglich, ein W zu rollen, aber John Smith brachte es fertig.

Einem Vampir die Hand schütteln? Von wegen, dachte Mumm. Nicht einmal einem, der einen schlecht handgestrickten Pullover trug. Stattdessen salutierte er.

»Freut mich, dich kennen zu lernen, Herr«, sagte er schneidig und nahm Haltung an. Der Pullover war wirklich schrecklich. Er hatte ein Übelkeit erregendes Zickzackmuster in vielen verschiedenen, nicht zueinander passenden Farben. Das Ding sah aus wie etwas, das eine farbenblinde Tante als Geschenk gestrickt hatte. Man wagte nicht, so etwas wegzuwerfen, weil die Leute von der Müllabfuhr gelacht und die Mülltonnen umgestoßen hätten.

»Herr Smith ist…«, begann Vetinari.

»Präsident der überwaldischen Liga der Enthaltsamkeit in Ankh-Morpork«, sagte Mumm. »Und ich glaube, die Dame neben ihm ist Frau Doreen Winkings, Schatzmeisterin derselben. Es geht um einen Vampir in der Wache, nicht wahr, Herr? Schon wieder.«

»Ja, Mumm, das stimmt«, bestätigte Vetinari. »Und ja, schon wieder. Wie wär’s, wenn wir alle Platz nehmen? Mumm?«

Es gab kein Entkommen, begriff Mumm, als er voller Groll auf den Stuhl sank. Und diesmal würde er verlieren. Vetinari hatte ihn in die Enge getrieben.

Mumm kannte alle Argumente dafür, verschiedene Spezies in der Wache zu haben. Es waren gute Argumente. Einige Argumente dagegen waren schlechte Argumente. Es gab Trolle in der Wache, viele Zwerge, einen Werwolf, drei Golems, einen Igor und nicht zuletzt Korporal Nobbs1, warum also keinen Vampir? Und die Liga der Enthaltsamkeit war eine Tatsache. Ebenso Vampire, die das Schwarze Band der Liga trugen (»Nicht einen Tropfen!«). Zugegeben: Vampire, die dem Blut abgeschworen hatten, konnten ein wenig seltsam sein, aber sie waren intelligent und clever und somit ein möglicher Aktivposten der Gesellschaft. Und die Wache war der sichtbarste Arm der Regierung in der Stadt. Warum kein Beispiel geben?

Weil du die verdammten Vampire hasst, antwortete Mumms arg mitgenommene, aber immer noch funktionierende Seele. Kein Drumherumgerede, keine Ausflüchte in der Art von »Die Öffentlichkeit wird es nicht akzeptieren« oder »Die Zeit ist nicht reif«. Du hasst die verdammten Vampire, und es ist deine verdammte Wache.

Die anderen drei sahen ihn an.

»Herr Mumm«, sagte Frau Winkings, »vir müssen zur Kenntnis nehmen, dass du noch immer keins unserer Mitglieder in die Vache aufgenommen hast…«

Warum sagst du nicht »Wache«?, dachte Mumm. Ich weiß, dass du es kannst. Lass den dreiundzwanzigsten Buchstaben des Alphabets in dein Leben eintreten. Frag Herrn Smith nach dem einen oder anderen W, er hat genug davon. Und überhaupt, ich habe ein neues Argument, und es ist todsicher.

»Frau Winkings«, sagte er laut, »kein Vampir hat sich um einen Platz in der Wache beworben. Vampire sind geistig nicht für das Leben eines Polizisten geeignet. Und es heißt Kommandeur Mumm, herzlichen Dank.«

In Frau Winkings’ kleinen Augen glänzte rechtschaffene Bosheit.

»Oh, villst du etva sagen, dass Vampire… dumm sind?«, fragte sie.

»Nein, Frau Winkings, ich sage, dass sie intelligent sind. Und genau dort liegt das Problem. Warum sollte eine intelligente Person ihre Eie… Kopf und Kragen riskieren, und zwar täglich, für nur achtunddreißig Dollar plus Zulagen im Monat? Vampire haben Klasse, Kultur und ein ›von‹ im Namen. Für sie gibt es hundert bessere Dinge zu tun, als Polizist zu sein und auf Streife zu gehen. Soll ich vielleicht einen Vampir zwingen, den Dienst in der Wache anzutreten?«

»Böte man ihnen nicht den Rang eines Offiziers an?«, fragte John Smith. Schweiß glänzte in seinem Gesicht, und sein permanentes Lächeln wirkte manisch. Gerüchten zufolge fiel es ihm sehr schwer, enthaltsam zu bleiben.

»Nein, jeder beginnt auf der Straße«, sagte Mumm. Das stimmte nicht ganz, aber die Frage hatte ihn beleidigt. »Und in der Nachtwache. Eine gute Ausbildung. Die beste, die es gibt. Eine Woche verregnete Nächte mit Nebel und Wasser, das einem über den Nacken rinnt, und mit seltsamen Geräuschen in den Schatten… Dann erkennen wir, ob wir einen richtigen Polizisten haben…«

Er wusste es in dem Augenblick, als die Worte seinen Mund verließen. Die Falle war zugeschnappt. Offenbar hatten sie einen Kandidaten.

»Nun, das klingt virklich gut!«, sagte Frau Winkings und lehnte sich zurück.

Mumm wollte sie schütteln und rufen: Du bist kein Vampir, Doreen! Du hast einen geheiratet, ja, aber der wurde erst zu einem Vampir, als es jenseits der menschlichen Vorstellungskraft lag, dass er jemanden beißen könnte. Die echten Schwarzbandler versuchen, sich normal und unauffällig zu verhalten. Keine weiten Umhänge, keine Blutsaugerei und erst recht keine Nachthemden, die jungen Damen vom Leib gerissen werden. Alle wissen, dass John Überhaupt-kein-Vampir Smith früher Graf Vargo St. Grimmig von Grimmelsburg war. Aber jetzt raucht er Pfeife, trägt grässliche Pullover, sammelt Bananen und baut aus Streichhölzern Modelle menschlicher Organe, weil er glaubt, dass ihn ein Hobby mehr zu einem Menschen macht. Und du, Doreen? Du bist in der Unbesonnenheitsstraße geboren. Deine Mutter war Wäscherin. Niemand könnte dir ein Nachthemd vom Leib reißen, nicht ohne einen Kran. Aber du bist so… drin in dieser Sache. Es ist ein verdammtes Hobby. Du versuchst, vampirischer zu sein als Vampire. Übrigens klappern die falschen spitzen Zähne, wenn du sprichst.

»Mumm?«

»Mhm?« Mumm begriff, dass Leute gesprochen hatten.

»Herr Smith hat gute Neuigkeiten«, sagte Vetinari.

»In der Tat, ja«, sagte John Smith und lächelte wie ein Wahnsinniger. »Wwwir haben einen Rekruten für dich, Kommandeur. Einen Vampir, der in der Wwwache dienen möchte!«

»Und die Nacht vird natürlich kein Problem sein«, fügte Doreen triumphierend hinzu. »Vir sind die Nacht!«

»Soll das heißen, ich bin gezwungen…«, begann Mumm.

Vetinari unterbrach ihn schnell. »O nein, Kommandeur. Wir respektieren deine Autonomie als Kommandeur der Wache. Die Entscheidung darüber, wer in der Wache Dienst leistet, liegt natürlich bei dir. Ich bitte dich nur, ein Gespräch mit dem Kandidaten zu führen, um der Fairness willen.«

Ja, natürlich, dachte Mumm. Und die Beziehungen zu Überwald werden ein wenig leichter, wenn du auf einen Schwarzbandler in der Wache hinweisen kannst. Und wenn ich diesen Mann ablehne, so muss ich einen Grund dafür nennen. Und der Hinweis »Ich kann Vampire nicht ausstehen!« genügt vermutlich nicht.

»Natürlich«, brummte er. »Schick ihn zu mir.«

»Er ist eine Sie«, sagte Vetinari und blickte auf seine Unterlagen. »Salacia Deloresista Amanita Trigestatra Zeldana Malifee…« Er zögerte, blätterte einige Seiten weiter und sagte: »Ich glaube, wir können einen Teil davon überspringen. Der Name endet mit ›von Humpeding‹. Sie ist einundfünfzig, aber«, fügte Vetinari hinzu, bevor Mumm an diesem Punkt ansetzen konnte, »das ist überhaupt kein Alter für einen Vampir. Oh, und sie möchte einfach nur Sally sein.«

 

 

Der Umkleideraum war nicht groß genug. Nicht annähernd groß genug. Feldwebel Angua versuchte, nicht zu atmen.

Ein großer Saal wäre gut gewesen. Oder noch besser: draußen, an der frischen Luft. Sie brauchte Platz zum Atmen. Genauer gesagt: Sie brauchte Platz, um keinen Vampirgeruch einzuatmen.

Verdammte Grinsi! Aber Angua hatte nicht ablehnen können, das hätte einen schlechten Eindruck gemacht. Sie konnte nur lächeln, es ertragen und das dringende Verlangen niederringen, dem Mädchen mit den Zähnen die Kehle zu zerfleischen.

Sie muss davon wissen, dachte Angua. Sie alle wussten, dass sie eine Aura von müheloser Zwanglosigkeit umgab, von Selbstsicherheit in jeder Gesellschaft und davon, überall zu Hause zu sein – in allen anderen weckten sie das Gefühl, zweitklassig und unbeholfen zu sein. Nenn mich Sally. Du lieber Himmel!

»Entschuldige bitte«, sagte Angua und versuchte, ihre Nackenhaare daran zu hindern, sich aufzurichten. »Es ist ein wenig eng hier drin.« Sie hüstelte. »Wie dem auch sei… Dies ist der Umkleideraum. Keine Sorge, hier riecht es immer so. Und mach dir nicht die Mühe, deinen Spind abzuschließen. Alle Schlüssel sind gleich, und außerdem springen die meisten Türen auf, wenn man an die richtige Stelle klopft. Bewahre keine Wertsachen darin auf, es gibt hier zu viele Polizisten. Und reg dich nicht zu sehr auf, wenn jemand Weihwasser oder einen Holzpflock hineinstellt.«

»Könnte das passieren?«, fragte Sally.

»Es könnte nicht passieren, es wird passieren«, sagte Angua. »Ich habe in meinem Spind ein Hundehalsband und knochenförmige Kekse gefunden.«

»Hast du dich nicht beschwert?«

»Was? Nein! Man beschwert sich nicht«, schnappte Angua und wünschte sich, sie könnte auf der Stelle mit dem Einatmen aufhören. Sie glaubte bereits, dass ihr Haar völlig durcheinander war.

»Aber ich dachte, die Wache…«

»Es hat nichts damit zu tun, was du… was wir sind, klar?«, sagte Angua. »Wenn du ein Zwerg wärst, würdest du Schuhe mit Plateausohlen oder eine Trittleiter oder etwas in der Art finden, obwohl so was heute nicht mehr sehr oft passiert. Sie versuchen es bei allen. Es ist eine Polizistensache. Und dann beobachten sie, wie du darauf reagierst, verstehst du? Niemand schert sich darum, ob du ein Gnom, Zombie oder Vampir bist.« Zumindest nicht sehr, fügte Angua in Gedanken hinzu. »Aber lass die anderen bloß nicht glauben, dass du ein Jammerer oder Petzer bist. Und die Kekse waren eigentlich nicht schlecht, um ganz ehrlich zu sein… Oh, bist du schon Igor begegnet?«

»Sehr oft«, sagte Sally. Angua rang sich ein Lächeln ab. In Überwald sah man viele Igors. Insbesondere als Vampir.

»Und diesem?«, fragte sie.

»Ich glaube nicht.«

Ah, das war eine Erleichterung. Normalerweise mied Angua Igors Laboratorium, denn der davon ausgehende Geruch war entweder schrecklich chemisch oder grässlich verlockend organisch, aber jetzt hätte sie ihn liebend gern eingeatmet. Sie ging zur Tür, etwas schneller, als es die Höflichkeit erforderte, und klopfte an.

Sie öffnete sich knarrend. Jede von einem Igor geöffnete Tür knarrte. Es gehörte einfach dazu.

»Hallo, Igor«, sagte Sally freundlich. »Lass dir die Hand mit den sechs Fingern schütteln.«

Angua überließ sie sich selbst. Igors waren von Natur aus servil und Vampire nicht, daher passten sie gut zusammen. Endlich bekam Angua Gelegenheit, frische Luft zu schnappen.

 

 

Die Tür öffnete sich.

»Herr Pessimal, Herr«, sagte Grinsi und führte einen Mann in Mumms Büro, der nicht viel größer war als sie. »Und hier ist die fürs Büro bestimmte Ausgabe der Times«

Herr Pessimal war ordentlich, sogar mehr als das. Er schien eine Art faltbare Person zu sein. Sein Anzug war billig, aber sehr sauber, und seine Schuhe funkelten. Auch sein Haar glänzte, noch mehr als die Schuhe. Es war in einen Mittelscheitel gekämmt und klebte so am Kopf, dass es wie aufgemalt wirkte.

Alle Dienststellen der Stadt wurden gelegentlich inspiziert, hatte Vetinari gesagt. Es gab keinen Grund, warum die Wache eine Ausnahme darstellen sollte. Immerhin vergeudete sie einen nicht unbeträchtlichen Teil der städtischen Gelder.

Mumm hatte darauf hingewiesen, dass von Vergeudung nicht die Rede sein konnte.

Trotzdem, hatte Vetinari gesagt. Einfach trotzdem. Trotzdem-Argumenten konnte man nichts entgegensetzen.

Und das Ergebnis war Herr Pessimal, der nun Mumm entgegentrat.

Er glitzerte beim Gehen. Mumm konnte es nicht anders beschreiben. Jede Bewegung war… ordentlich. Bestimmt hat er eine Geldbörse mit Rutschfach und eine Brille an einem Band, dachte Mumm.

Herr Pessimal faltete sich vor Mumms Schreibtisch auf den Stuhl und öffnete die beiden Schnallen seiner Aktentasche mit einem doppelten Klacken des Unheils.

Feierlich setzte er eine Brille auf. Ein schwarzes Band war daran befestigt.

»Mein Akkreditierungsschreiben von Lord Vetinari, Euer Gnaden«, sagte er und reichte Mumm ein Blatt Papier.

»Danke, Herr… A. E. Pessimal«, sagte Mumm, warf einen Blick darauf und legte es beiseite. »Und wie können wir dir helfen? Übrigens heißt es Kommandeur Mumm, wenn ich im Dienst bin.«

»Ich brauche ein Büro, Euer Gnaden. Und Zugang zu allen euren Unterlagen. Wie du weißt, besteht meine Aufgabe darin, Seiner Lordschaft eine komplette Übersicht und eine Kosten-Nutzen-Analyse der Wache zu geben, mit Verbesserungsvorschlägen zu allen Aspekten ihrer Aktivitäten. Deine Kooperation wäre willkommen, ist aber nicht erforderlich.«

»Verbesserungsvorschläge?«, fragte Mumm munter, während Feldwebel Kleinpo hinter A. E. Pessimals Stuhl in Erwartung des Schlimmsten die Augen schloss. »Na wunderbar. Ich bin für meine Kooperationsbereitschaft bekannt. Die Sache mit dem Herzog habe ich doch erwähnt?«

»Ja, Euer Gnaden«, sagte A. E. Pessimal formell. »Trotzdem, du bist der Herzog von Ankh, und es wäre unangemessen, dich anders anzusprechen. Es würde sich respektlos anfühlen.«

»Ich verstehe. Und wie soll ich dich ansprechen, Herr Pessimal?«, fragte Mumm. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich auf der anderen Seite des Zimmers ein Dielenbrett kaum merklich hob.

»A. E. Pessimal genügt, Euer Gnaden«, antwortete der Inspektor.

»Und das A steht für…?«, fragte Mumm und wandte den Blick kurz von dem Dielenbrett ab.

»Es ist einfach nur ein A, Euer Gnaden«, erwiderte A. E. Pessimal geduldig. »A. E. Pessimal.«

»Soll das heißen, du hast keinen Namen bekommen, sondern Initialen?«

»Ganz recht, Euer Gnaden«, sagte der kleine Mann.

»Wie nennen dich deine Freunde?«

A. E. Pessimal sah aus, als enthielte der Satz eine wichtige Annahme, die er nicht verstand, und deshalb hatte Mumm ein wenig Mitleid mit ihm. »Feldwebel Kleinpo wird sich um dich kümmern«, sagte er mit falscher Jovialität. »Besorg ihm irgendwo ein Büro, Feldwebel, und stell ihm alle Unterlagen zur Verfügung, die er anfordert.« Überhäuf ihn mit Papieren, dachte Mumm. Begrab ihn darunter, wenn es ihn von mir fern hält.

»Danke, Euer Gnaden«, sagte A. E. Pessimal. »Ich muss auch mit einigen Angehörigen der Wache sprechen.«

»Warum?«, fragte Mumm.

»Um die Vollständigkeit meines Berichts zu gewährleisten, Euer Gnaden.«

»Ich kann dir alles sagen, was du wissen musst«, entgegnete Mumm.

»Ja, Euer Gnaden, aber so geht man nicht vor bei einer Ermittlung. Ich muss vollkommen unabhängig sein. Quis custodiet ipsos custodes?, Euer Gnaden.«

»Den Spruch kenne ich«, sagte Mumm. »Wer bewacht die Wächter? Ich, Herr Pessimal.«

»Ja, aber wer bewacht dich, Euer Gnaden?«, erwiderte der Inspektor mit einem kurzen Lächeln.

»Das mache ich ebenfalls, die ganze Zeit über«, sagte Mumm. »Glaub mir.«

»In der Tat, Euer Gnaden. Trotzdem muss ich hier das öffentliche Interesse repräsentieren. Ich werde versuchen, nicht aufdringlich zu sein.«

»Sehr freundlich von dir, Herr Pessimal«, sagte Mumm und gab auf. Ihm war nicht klar gewesen, wie sehr er Vetinari in letzter Zeit verärgert hatte. Dies fühlte sich nach einem seiner Spielchen an. »Na schön. Genieß deinen hoffentlich kurzen Aufenthalt bei uns. Bitte entschuldige mich, wir haben heute Morgen viel zu tun, wegen der Sache mit dem Koomtal und all den anderen Dingen. Herein, Fred!«

Das war ein Trick, den er von Vetinari gelernt hatte. Es fiel einem Besucher schwer, zu bleiben, wenn sein Ersatz zugegen war. Außerdem schwitzte Fred sehr, wenn es warm wurde; er war ein Meisterschwitzer. Und in all den Jahren hatte er es nicht herausgefunden: Wenn man vor dem Büro stand, schaukelte das lange Dielenbrett ein wenig am Querbalken und hob sich dort nach oben, wo Mumm es sehen konnte.

Das Dielenbrett kehrte nach unten zurück, und die Tür öffnete sich.

»Ich weiß nicht, wie du es anstellst, Herr Mumm!«, sagte Feldwebel Colon fröhlich. »Ich wollte gerade anklopfen!«

Nachdem du lange genug gelauscht hast, dachte Mumm. Zufrieden stellte er fest, dass A. E. Pessimal die Nase rümpfte.

»Was ist los, Fred?«, fragte er. »Oh, keine Sorge, Herr Pessimal wollte gerade gehen. Weitermachen, Feldwebel Kleinpo. Guten Morgen, Herr Pessimal.«

Als Grinsi den Inspektor weggeführt hatte, nahm Fred Colon den Helm ab und wischte sich Schweiß von der Stirn.

»Draußen wird’s wieder heiß«, sagte er. »Ich schätze, es gibt bald Gewitter.«

»Ja, Fred. Und weshalb genau bist du hier?«, fragte Mumm. Er brachte es fertig, Fred darauf hinzuweisen, dass er immer willkommen war, nur nicht gerade jetzt.

»Äh… etwas Großes bahnt sich in den Straßen an, Herr«, sagte Fred ernst und wie jemand, der sich den Satz eingeprägt hatte.

Mumm seufzte. »Soll das heißen, dass etwas passiert, Fred?«

»Ja, Herr. Es sind die Zwerge, Herr. Ich meine, die Jungs hier. Es wird schlimmer. Sie stecken die Köpfe zusammen, Herr. Wohin man auch sieht, Herr, überall werden Köpfe zusammengesteckt. Aber sie hören damit auf, wenn man sich nähert. Selbst die Feldwebel. Sie hören auf, die Köpfe zusammenzustecken, und sehen einen seltsam an, Herr. Und das macht die Trolle nervös, ganz klar.«

»Wir lassen hier bei uns keine Wiederholung des Koomtals zu, Fred«, sagte Mumm. »Ich weiß, die Stadt ist derzeit voll davon, weil der Jahrestag bevorsteht, aber ich mache jeden Polizisten zur Minna, der sich im Umkleideraum an einer historischen Nachstellung versucht. Die Betreffenden werden sich auf der Straße wiederfinden. Mach das allen klar.«

»Jaherr«, bestätigte Fred Colon. »Aber diese Dinge meine ich nicht. Darüber wissen wir alle Bescheid. Die heutige Sache ist anders. Sie fühlt sich schlimm an; mir richten sich dabei die Nackenhaare auf. Die Zwerge wissen was. Etwas, das sie verschweigen.«

Mumm zögerte. Fred Colon konnte nicht unbedingt als das größte Polizeitalent bezeichnet werden. Er war langsam, stur und nicht sehr einfallsreich. Aber er war so lange durch die Straßen von Ankh-Morpork gestapft, dass er Furchen in ihnen hinterlassen hatte. Irgendwo im Innern des dummen, dicken Kopfes steckte etwas Kluges, das im Wind schnupperte, die Stimmen hörte und das Gekritzel an den Mauern las, wenn auch mit Lippen, die sich dabei bewegten.

»Vermutlich hat der verdammte Schinkenbrecher erneut für Unruhe gesorgt, Fred«, sagte Mumm.

»Ich habe gehört, wie sie in ihrer Sprache seinen Namen erwähnten, ja, aber ich bin sicher, dass mehr dahinter steckt. Ich meine, die Burschen wirken ziemlich nervös, Herr. Es ist etwas Wichtiges, Herr, ich fühle es in meinem Wasser.«

Mumm dachte an die Zulässigkeit von Fred Colons Urin als Beweisstück A. Es war nicht unbedingt etwas, das man in einem Gerichtssaal vorlegen wollte, aber der Instinkt eines alten Straßenmonstrums wie Fred bedeutete viel, unter Polizisten.

»Wo ist Karotte?«, fragte Mumm.

»Er hat dienstfrei, Herr. Er hat die Spätschicht und die Morgenschicht übernommen, unten in der Sirupminenstraße. Alle schieben doppelte Schichten«, fügte Fred Colon vorwurfsvoll hinzu.

»Tut mir Leid, Fred, du weißt, wie es ist. Ich setze ihn darauf an, wenn er zurückkehrt. Er ist ein Zwerg und hört die Gerüchte.«

»Ich fürchte, er ist ein wenig zu groß, um die Gerüchte zu hören, Herr«, sagte Colon, und dabei klang seine Stimme seltsam.

Mumm neigte den Kopf zur Seite.

»Wie kommst du darauf, Fred?«

Fred Colon schüttelte den Kopf. »Es ist nur ein Gefühl, Herr«, sagte er. Erinnerungen und Verzweiflung vibrierten in seiner Stimme, als er hinzufügte: »Es war besser, als die Wache nur aus dir, mir, Nobby und dem jungen Karotte bestand. Damals kannten wir uns alle gut. Jeder von uns wusste, was der andere dachte…«

»Ja, wir dachten: ›Ich wünschte, wir wären wenigstens dieses eine Mal im Vorteil‹, Fred«, sagte Mumm. »Hör mal, dies betrübt uns alle. Aber ihr Führungsoffiziere müsst es durchstehen, klar? Wie gefällt dir dein neues Büro?«

Colons Miene erhellte sich. »Sehr hübsch, Herr. Nur das mit der Tür ist schade.«

Es war ein Problem gewesen, einen Platz für Colon zu finden. Wer ihn zum ersten Mal sah, konnte ihn für jemanden halten, der beim Sturz von einer Klippe vor dem Aufprall nach dem Weg fragen musste. Den richtigen Fred Colon sah nur, wer ihn kannte, und die neuen Angehörigen der Wache kannten ihn nicht. Sie sahen einen dummen Dicken, womit sie zugegebenermaßen der Realität sehr nahe kamen. Aber es gab noch mehr.

Fred hatte dem Ruhestand ins Gesicht gesehen und sich dann von ihm abgewendet. Mumm war dem Problem aus dem Weg gegangen, indem er ihn zur großen Erheiterung aller anderen zum Sonderaufseher2 ernannt und ihm ein Büro im Ausbildungszentrum der Wache auf der anderen Straßenseite gegeben hatte, besser bekannt als die alte Limonadenfabrik. Mumm hatte ihm auch noch die Aufgaben eines Verbindungsoffiziers der Wache übertragen, weil es gut klang und niemand wusste, was es bedeutete. Außerdem hatte er ihm Korporal Nobbs zur Seite gestellt, einen weiteren peinlichen Dinosaurier in der modernen Wache.

Es funktionierte. Nobby und Colon kannten die Stadt fast so gut wie Mumm. Sie schlenderten umher, offenbar ziellos und völlig ungefährlich, und beobachteten und lauschten dem urbanen Äquivalent von Urwaldtrommeln. Und manchmal kamen die Trommeln zu ihnen. Freds verschwitztes kleines Büro war einmal der Ort gewesen, wo Frauen mit nackten Armen große Mengen Sarsaparille, Himbeersaft und Ingwerlimo gemixt hatten. Jetzt gab es dort immer Tee, und alte Kumpel, ehemalige Wächter und Exganoven waren jederzeit willkommen – wobei es sich manchmal um ein und dieselbe Person handelte. Mumm kam gern für die Krapfen auf, wenn diese Besucher eintrafen, um für einige Zeit der Fuchtel ihrer Ehefrauen zu entgehen. Es war die Investition wert. Alte Polizisten hielten die Augen offen und tratschten wie Waschfrauen.

Rein theoretisch war das einzige Problem in Freds Leben die Tür.

»Die Gilde der Historiker meint, wir sollten so viel wie möglich von dem alten Kram bewahren, Fred«, sagte Mumm.

»Ich weiß, Herr, aber… ›Quasselzimmer‹, Herr? Ich muss schon sagen!«

»Aber das Messingschild ist hübsch, Fred«, wandte Mumm ein. »Quassel. So nannte man den Sirup, der zur Herstellung der verschiedenen Limonaden diente. Eine wichtige historische Tatsache. Du könntest das Schild mit einem Stück Papier überkleben.«

»Das habe ich gemacht, Herr, aber die Jungs ziehen es immer wieder ab und kichern.«

Mumm seufzte. »Finde eine Lösung, Fred. Wenn ein alter Feldwebel keine Lösung für so etwas finden kann, ist die Welt zu einem sehr sonderbaren Ort geworden. Ist das alles?«

»Äh, eigentlich schon. Aber…«

»Komm schon, Fred. Es liegt ein arbeitsreicher Tag vor mir.«

»Hast du von Herrn Schein gehört?«

»Benutzt man ihn, um verschmutzte Oberflächen zu reinigen?«

»Äh… wie bitte, Herr?«, erwiderte Fred. Niemand war besser verwirrt als Fred Colon. Mumm schämte sich.

»Entschuldige, Fred. Nein, ich habe nicht von Herrn Schein gehört. Wieso fragst du?«

»Oh, nur so. ›Herr Schein, er Diamant!‹ Das habe ich in letzter Zeit mehrmals an Mauern gesehen. Trollgraffiti, tief ins Gestein gekratzt. Scheint bei den Trollen für Aufregung zu sorgen. Vielleicht ist es wichtig.«

Mumm nickte. Das Gekritzel an den Mauern ignorierte man auf eigene Gefahr. Manchmal teilte einem die Stadt auf diese Weise mit, was sie nicht unbedingt in ihrem viel beschäftigten Sinn hatte, aber doch in ihrem knarrenden Herzen.

»Halte weiterhin die Ohren offen, Fred. Ich verlasse mich auf dich, damit aus Gerüchten keine bittere Realität wird«, sagte Mumm mit zusätzlicher Fröhlichkeit, um den Mann ein wenig aufzumuntern. »Und ich spreche jetzt mit unserem Vampir.«

»Viel Glück, Sam. Ich glaube, es wird ein langer Tag.«

Sam, dachte Mumm, als der alte Feldwebel ging. Die Götter wissen, dass er es verdient hat, aber er nennt mich nur dann Sam, wenn er sich wirklich Sorgen macht. Nun, wir sind alle besorgt.

Wir warten auf den ersten Knall.

Mumm entfaltete die Times, die Grinsi auf seinem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Er las die Zeitung immer im Büro, und dabei galt sein Interesse den Neuigkeiten, die Willikins beim Rasieren für zu gefährlich gehalten hatte.

Koomtal, Koomtal. Wohin Mumms Blick in der Zeitung auch fiel, überall sah er das Koomtal. Das verdammte Koomtal. Sollten die Götter diesen Ort verfluchen, was offenbar bereits geschehen war – sie hatten das Koomtal verflucht und dann vergessen. Eigentlich war es nur irgendein Tal in den Bergen. Rein theoretisch war es weit entfernt, aber in letzter Zeit schien es viel näher zu kommen. Aus dem Koomtal wurde weniger ein Ort, mehr ein geistiger Zustand.

Wenn man die nackten Tatsachen betrachtete, war es der Schauplatz einer historischen Schlacht. An einem unglücklichen Tag unter verhängnisvollen Sternen hatten dort die Zwerge den Trollen aufgelauert, beziehungsweise umgekehrt. Sie hatten seit der Schöpfung gegeneinander gekämpft, soweit Mumm wusste, aber bei der Schlacht im Koomtal war der gegenseitige Hass in gewisser Weise offiziell geworden und hatte eine Art mobile Geographie entwickelt. Wo irgendein Zwerg gegen einen Troll kämpfte, dort befand sich das Koomtal. Selbst bei einer Schlägerei in einer Kneipe war das Koomtal zugegen. Es gehörte zur Mythologie beider Völker und war ein Schlachtruf, der Grund, warum man den kleinen, bärtigen respektive großen, felsigen Mistkerlen nicht trauen konnte.

Seit dem ursprünglichen Koomtal hatte es viele Koomtäler gegeben. Der Krieg zwischen Zwergen und Trollen war eine Auseinandersetzung zwischen Naturkräften, wie der Krieg zwischen dem Wind und den Wellen. Er hatte ein eigenes Bewegungsmoment.

Samstag war Koomtaltag, und in Ankh-Morpork lebten jede Menge Trolle und Zwerge. Und je mehr Trolle und Zwerge aus den Bergen kamen, desto wichtiger wurde das verdammte Koomtal. Die Paraden stellten kein Problem dar. Die Wache hielt die Teilnehmer voneinander fern, und außerdem fanden sie am Morgen statt, wenn die meisten Leute nüchtern waren. Aber wenn sich am Abend die Kneipen der Zwerge und Trolle leerten, brach die Hölle mit hochgerollten Ärmeln zu einem Bummel auf.

In der schlechten alten Zeit hätte sich die Wache mit anderen Dingen beschäftigt, um erst dann einzugreifen, wenn sich die erhitzten und vom Alkohol umnebelten Gemüter abgekühlt hatten. Dann waren die Wächter mit dem Gefangenenwagen losgezogen und hatten all die Trolle und Zwerge verhaftet, die zu betrunken, benommen oder tot gewesen waren, um sich zu bewegen. Ganz einfach.

Heute sah die Sache anders aus. Heute gab es viel mehr Zwerge und Trolle. Geistige Korrektur: Wachsende dynamische Gemeinschaften aus Zwergen und Trollen hatten die Stadt bereichert… und die Atmosphäre enthielt mehr… Gift. Zu viel alte Politik, zu viel alter Groll, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Und zu viele Saufereien.

Und dann, als Mumm schon glaubte, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, erschienen Grag Schinkenbrecher und seine Kumpel. »Tiefener« nannte man sie, Zwerge so fundamental wie Grundgestein. Vor einem Monat waren sie gekommen, hatten ein Haus in der Sirupstraße bezogen und einige Ortsansässige beauftragt, die Keller zu öffnen. Es waren »Grags«. Mumm kannte genug Zwergisch, um zu wissen, dass »Grag« so viel bedeutete wie »namhafter Meister des überlieferten Zwergenwissens«. Aber Schinkenbrecher war ein Meister ganz besonderer Art. Er predigte die Überlegenheit der Zwerge über die Trolle und behauptete, alle Zwerge seien verpflichtet, in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten und die Trolle vom Angesicht der Welt zu tilgen. Offenbar stand es in irgendeinem heiligen Buch geschrieben, und deshalb war es in Ordnung und vermutlich auch obligatorisch.

Junge Zwerge hörten ihm zu, denn er sprach von Geschichte und Schicksal und benutzte all die anderen Worte, mit denen man Gemetzel glanzvoll erscheinen ließ. Es war berauschendes Zeug, obwohl Gehirne überhaupt nicht involviert waren. Bösartige Idioten wie Schinkenbrecher waren der Grund, aus dem man jetzt Zwerge sah, die nicht nur mit der »kulturellen« Streitaxt herumliefen, sondern mit schweren Kettenhemden, Morgensternen und Breitschwertern… mit dummem, provokantem Schwadronieren und lautem Waffengeklirr.

Auch Trolle hörten Schinkenbrechers Worte. Man sah mehr Flechten, mehr Clangraffiti, mehr Körpermeißelungen. Und die Trolle schleppten viel größere Keulen mit sich herum.

So war es nicht immer gewesen. Während der letzten zehn Jahre hatten sich die Dinge gelockert. Zwischen den Völkern der Zwerge und Trolle würde es nie Freundschaft geben, aber die Stadt hatte sie zusammengeworfen, und Mumm glaubte, dass sie mit nicht mehr als Hautabschürfungen davongekommen waren.

Jetzt steckte der Schmelztiegel wieder voller Brocken.

Sollten die Götter Schinkenbrecher verfluchen. Mumm hätte ihn gern verhaftet. Eigentlich hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen, aber das war kein Hindernis für einen erfahrenen Polizisten. Er hätte ihn wegen »Verhalten, das vielleicht den Frieden gefährdet« hinter Gitter bringen können, aber Vetinari war dagegen gewesen. Er hatte gesagt, dies würde Öl ins Feuer gießen, doch wie viel schlimmer konnte es noch werden?

Mumm schloss die Augen und dachte an die kleine Gestalt, die einen dicken Umhang aus schwarzem Leder mit Kapuze trug, damit sie nicht das Verbrechen begehen konnte, das Tageslicht zu sehen. Eine kleine Gestalt, doch mit großen Worten. Er erinnerte sich:

»Hütet euch vor dem Troll. Vertraut ihm nicht. Weist ihn an eurer Tür ab. Er ist nichts, nur ein Zufall der Kräfte, ungeschrieben und unsauber, das blasse, neidische Echo lebender, denkender Geschöpfe in der Mineralwelt. In seinem Kopf ein Felsen, in seinem Herzen ein Stein. Er baut nicht, er ergründet nicht, er pflanzt und erntet nicht. Seine Entstehung war ein Akt des Stehlens, und er stiehlt überall dort, wohin er seine Keule mitnimmt. Wenn er nicht stiehlt, so plant er zu stehlen. Der einzige Zweck seines erbärmlichen Lebens ist sein Ende, denn der Tod befreit den armseligen Felsen von der zu schweren Last des Denkens. Ich sage dies voller Kummer. Es ist kein Mord, den Troll zu töten. Schlimmstenfalls ist es ein Akt der Nächstenliebe.«

Etwa zu jenem Zeitpunkt war der Mob in den Saal gekommen.

So schlimm konnte es werden. Mumm blinzelte, sah wieder in die Zeitung und suchte diesmal nach etwas, das zu behaupten wagte, dass die Bewohner von Ankh-Morpork noch in der realen Welt lebten…

»Oh, verdammt!« Er stand auf und eilte die Treppe hinunter. Unten duckte sich Grinsi, als sie seine donnernden Schritte hörte.

»Haben wir davon gewusst?«, fragte Mumm und klatschte die Zeitung auf das Ereignisbuch.

»Wovon, Herr?«, fragte Grinsi.

Mumm deutete auf einen kurzen, illustrierten Artikel auf der vierten Seite. Sein Finger klopfte darauf. »Siehst du das?«, knurrte er. »Der schwachsinnige Narr vom Postamt hat eine Koomtal-Briefmarke herausgegeben!«

Die Zwergin blickte nervös auf den Artikel. »Äh… zwei Briefmarken, Herr«, sagte sie.

Mumm sah genauer hin. Er hatte nur wenige Details zur Kenntnis genommen, bevor der rote Nebel des Zorns entstanden war. O ja, zwei Briefmarken. Sie waren fast identisch. Beide zeigten das Koomtal, einen von Bergen umgebenen, felsigen Bereich. Beide zeigten die Schlacht. Aber auf der einen jagten kleine Trolle Zwerge von rechts nach links, und auf der anderen jagten Zwerge Trolle von links nach rechts. Das Koomtal, wo die Trolle den Zwergen auflauerten und die Zwerge den Trollen. Mumm stöhnte. Wähle deine eigene dumme Geschichte für nur zehn Cent, mit hohem Sammlerwert.

»Die Koomtal-Gedenkmarken«, las er. »Aber wir wollen doch gar nicht, dass sich die Zwerge und Trolle daran erinnern! Sie sollen es vergessen!«

»Es sind nur Briefmarken, Herr«, sagte Grinsi. »Ich meine, Briefmarken sind nicht verboten…«

»Es sollte ein Gesetz geben, das schwachsinnige Narren verbietet!«

»Wenn es eins gäbe, müssten wir jeden Tag Überstunden machen!«, sagte Grinsi und lächelte.

Mumm entspannte sich ein wenig. »Ja, und niemand könnte schnell genug Zellen bauen. Erinnerst du dich an die Kohlgeruch-Briefmarken im letzten Monat? ›Schickt euren ausgewanderten Söhnen und Töchtern den Geruch der Heimat‹? Sie gingen sogar in Flammen auf, wenn man zu viele von ihnen zusammenpappte!«

»Ich kriege den Geruch noch immer nicht aus meiner Kleidung raus, Herr.«

»Ich schätze, es gibt Leute, die hundert Meilen entfernt wohnen und das gleiche Problem haben. Was haben wir letztendlich mit den verdammten Dingern gemacht?«

»Ich habe sie in den Beweismittelschrank Nummer vier gelegt und den Schlüssel im Schloss gelassen«, sagte Grinsi.

»Aber Nobby Nobbs stiehlt doch alles, was…«, begann Mumm.

»Genau, Herr!«, sagte Grinsi munter. »Ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen.«

Ein Krachen kam von der Kantine, gefolgt von Geschrei. Etwas in Mumm – vielleicht der Teil, der auf den ersten Knall gewartet hatte – trieb ihn durch das Büro, durch den Flur und zur Tür der Kantine, so schnell, dass der Staub Spiralen auf dem Boden bildete.

Dort bot sich seinen Blicken eine dramatische Szene mit verschiedenen Schattierungen von Schuld dar. Einer der Tische war umgestürzt. Essen und billiges Besteck lagen auf dem Boden verstreut. Auf der einen Seite der Kantine stand der Troll Obergefreiter Muskovit, derzeit festgehalten von zwei anderen Trollen, den Obergefreiten Flussspat und Schiefer. Auf der anderen Seite stand der Zwerg Obergefreiter Brackenschild, derzeit über dem Boden gehalten von dem wahrscheinlich menschlichen Korporal Nobbs und dem ganz sicher menschlichen Obergefreiten Haddock.

Die Wächter an den anderen Tischen hatten gerade aufstehen wollen. In der Stille konnten empfindliche Ohren, die danach lauschten, das Geräusch von Händen hören, die einen Zentimeter von den Waffen ihrer Wahl entfernt verharrten und dann ganz langsam gesenkt wurden.

»Na schön«, sagte Mumm in der schallenden Leere. »Wer will mir als Erster eine faustdicke Lüge auftischen? Korporal Nobbs?«

»Nun, Herr Mumm…«, sagte Nobby Nobbs und ließ den stummen Brackenschild auf den Boden hinab, »… äh… Brackenschild hier… nahm Muskovits… ja, er nahm Muskovits Becher, natürlich aus Versehen… und… das haben wir alle bemerkt und sind aufgesprungen, ja…« Nobby sprach schneller, als die wirklich steilen Schwindeleien überwunden waren. »… und dadurch kippte der Tisch um… weil…« Bei diesen Worten zeigte Nobbys Gesicht einen grässlich anzusehenden Ausdruck rechtschaffener Idiotie. »… es ihm sehr schlecht ergangen wäre, wenn er einen Schluck Trollkaffee getrunken hätte, Herr.«

Mumm seufzte innerlich. Was dumme faule Ausreden betraf, war diese nicht einmal so schlecht. Sie hatte zum Beispiel den Vorteil, völlig unglaubwürdig zu sein. Kein Zwerg würde es wagen, einen Becher mit Troll-Espresso zu nehmen, einem geschmolzenen chemischen Eintopf mit Rost darauf. Das wussten alle. Außerdem konnten alle sehen, dass Brackenschild eine Axt über den Kopf gehoben hatte, während Obergefreiter Flussspat bei dem Versuch erstarrt war, Muskovit die Keule abzuringen. Und alle wussten, dass Mumm den ersten verdammten Idioten rausschmeißen würde, der eine falsche Bewegung machte oder auch nur in dessen Nähe stand.

»So hat es sich also zugetragen?«, bemerkte Mumm. »Es hat also niemand eine böse Bemerkung über einen Wächterkollegen und andere Angehörige seines Volkes gemacht? Es kam nicht zu einer kleinen Dummheit, die man den großen Dummheiten draußen in den Straßen hinzufügen könnte?«

»Oh, nein, nichts dergleichen, Herr«, sagte Nobby. »Es war nur… so eine Sache.«

»Sie hätte nur fast zu einem scheußlichen Zwischenfall geführt, nicht wahr?«, fragte Mumm.

»Jaherr!«

»Und wir wollen keine scheußlichen Zwischenfälle, oder, Nobby?«

»Neinherr!«

»Niemand von uns wünscht sich scheußliche Zwischenfälle, denke ich«, sagte Mumm und sah sich im Raum um. Mit grimmiger Zufriedenheit stellte er fest, dass einige der Obergefreiten infolge der Anstrengung, sich nicht zu bewegen, ins Schwitzen kamen. »Und es kann so leicht dazu kommen, wenn man sich nicht ganz auf die Arbeit konzentriert. Verstanden?«

Stimmen brummten leise.

»Ich höre euch nicht!«

Diesmal erklang ein Chor aus »Jaherr!«.

»Gut!«, sagte Mumm scharf. »Geht jetzt raus, und bewahrt den Frieden, denn hier drin tut ihr das nicht, so viel steht fest!« Er richtete einen besonders durchdringenden Blick auf die Obergefreiten Brackenschild und Muskovit, bevor er ins Hauptbüro zurückkehrte und dort fast gegen Feldwebel Angua gestoßen wäre.

»Entschuldigung, Herr, ich wollte gerade…«, begann sie.

»Ich hab’s in Ordnung gebracht, keine Sorge«, sagte Mumm. »Aber es war sehr knapp.«

»Einige der Zwerge sind ziemlich nervös, Herr«, erwiderte Angua. »Ich kann es riechen.«

»Du und Fred Colon«, sagte Mumm.

»Ich glaube nicht, dass es nur um Schinkenbrecher geht, Herr. Es ist etwas… Zwergisches.«

»Nun, ich kann es nicht aus ihnen rausprügeln. Und obwohl der Tag eigentlich nicht mehr schlimmer werden könnte, muss ich jetzt mit einem verdammten Vampir reden.«

Zu spät bemerkte Mumm Anguas warnenden Blick.

»Äh… ich glaube, damit bin ich gemeint«, piepste es hinter ihm.

 

 

Fred Colon und Nobby Nobbs hatten ihre lange Kaffeepause beenden müssen, schlenderten langsam über den Breiten Weg und lüfteten ihre alten Uniformen. Unter den gegenwärtigen Umständen hielten sie es für besser, sich eine Zeit lang vom Wachhaus fern zu halten.

Sie gingen wie Männer, die den ganzen Tag Zeit hatten. Sie hatten den ganzen Tag Zeit. Ihre Wahl war auf diese Straße gefallen, weil sie viel Platz und Verkehr bot und weil man in diesem Teil der Stadt nicht vielen Trollen und Zwergen begegnete. Ihre Schlussfolgerungen waren fehlerlos: In vielen Teilen der Stadt gab es Gruppen von Zwergen und Trollen, die umhergingen oder still an einem Ort standen, für den Fall, dass die umhergehenden Mistkerle in diesem Viertel Ärger machen wollten. Seit Wochen kam es immer wieder zu Streitereien. Nobby und Fred gingen davon aus, dass es in den betreffenden Vierteln nicht sehr friedlich war, deshalb vergeudete man seine Kraft, wenn man versuchte, den wenigen Frieden zu bewahren. Schließlich versuchte man nicht, Schafe an Orten zu halten, wo sie von Wölfen gefressen wurden. Ganz klar. So was wäre dumm. Andererseits gab es auf großen Straßen wie dem Breiten Weg jede Menge Frieden, der ganz offensichtlich bewahrt werden musste. Der gesunde Menschenverstand sagte ihnen, dass das stimmte. Es war klar wie Kloßbrühe.

»Üble Sache«, sagte Colon, während sie schlenderten. »Ich habe die Zwerge nie so erlebt.«

»Vor dem Koomtaltag wird’s immer brenzlig, Feldwebel«, meinte Nobby.

»Ja, aber Schinkenbrecher hat sie richtig in Wallung gebracht, und ob.« Colon nahm den Helm ab und wischte sich Schweiß von der Stirn. »Ich habe Sam von meinem Wasser erzählt, und er war beeindruckt.«

»Na klar«, pflichtete ihm Nobby bei. »Es würde jeden beeindrucken.«

Colon klopfte sich an die Nase. »Ein Sturm zieht auf, Nobby.«

»Der Himmel ist völlig wolkenlos, Feldwebel«, erwiderte Nobby.

»Im übertragenen Sinne, Nobby, im übertragenen Sinne.« Colon seufzte und sah seinen Freund von der Seite an. Als er fortfuhr, sprach er im zögernden Tonfall eines Mannes, der an etwas anderes dachte. »Übrigens, Nobby, es gibt da eine Sache, über die ich mit dir reden wollte, sozusagen von Mann zu…« Er zögerte nur kurz. »… Mann.«

»Ja, Feldwebel?«

»Wie du weißt, Nobby, liegt mir dein moralisches Wohlergehen immer sehr am Herzen. Immerhin hast du keinen Vater, der deine Schritte auf den richtigen Weg lenkt…«

»Das stimmt, Feldwebel. Ohne dich wäre ich dauernd umhergeirrt«, sagte Nobby tugendhaft.

»Du hast mir da von der jungen Frau erzählt, mit der du ausgehst, wie lautet noch ihr Name…«

»Bronzaleh, Feldwebel?«

»Genau die meine ich. Sie arbeitet in einem Klub, nicht wahr?«

»Ja. Gibt es da ein Problem, Feldwebel?«, fragte Nobby besorgt.

»Nicht in dem Sinne. Aber als du letzte Woche deinen freien Tag hattest, wurde Obergefreiter Jolson in den Rosaroten Kätzchenklub gerufen, Nobby. Du weißt schon. Dort wird an Stangen getanzt und auf Tischen und so. Und kennst du die alte Frau Spudding aus dem Neuen Flickschusterweg?«

»Die alte Frau Spudding mit den Holzzähnen, Feldwebel?«

»Ja, Nobby«, sagte Colon würdevoll. »Sie macht dort sauber. Und als sie um acht Uhr morgens eintraf und niemanden vorfand, Nobby… Tja, ich sage es nicht gern, aber offenbar versuchte sie sich an der Stange.«

Sie teilten einen Moment des Schweigens, als Nobby dieses Bild im Kino seiner Fantasie betrachtete und hastig einen großen Teil davon auf den Boden des Schneideraums fallen ließ.

»Aber sie muss mindestens fünfundsiebzig sein, Feldwebel!«, sagte er und starrte mit fasziniertem Entsetzen ins Leere.

»Ein Mädchen kann träumen, Nobby. Natürlich vergaß sie, dass sie nicht mehr so gelenkig ist wie früher, außerdem verhedderte sie sich mit dem Fuß in der langen Unterhose und geriet in Panik, als ihr das Kleid über den Kopf fiel. Es ging ihr ziemlich schlecht, als der Geschäftsführer kam, denn zu dem Zeitpunkt hing sie seit drei Stunden mit dem Kopf nach unten, und die Zähne waren ihr aus dem Mund gefallen. Doch die Stange wollte sie einfach nicht loslassen. Kein schöner Anblick – ich hoffe, ich muss dir keine Einzelheiten nennen. Um die Geschichte zu beenden, Obergefreiter Jolson musste die Stange oben und unten losreißen, und dann haben wir Frau Spudding von ihr heruntergezogen. Das alte Mädchen hat Muskeln wie ein Troll, Nobby, ich schwöre es. Und dann, Nobby, als wir sie hinter den Kulissen wieder zu sich brachten, kam diese junge Frau, mit nicht mehr bekleidet als zwei Pailletten und einem Schnürsenkel, und meinte, sie wäre eine Freundin von dir! Mann, ich war völlig von den Socken!«

»Du hattest plötzlich keine Socken mehr?«, fragte Nobby. »Warum?«

»Du hast mir nie gesagt, dass sie an Stangen tanzt, Nobby!«, jammerte Fred.

»Warum klingst du so vorwurfsvoll?« Nobby schien ein wenig gekränkt zu sein. »Dies sind moderne Zeiten. Und Bronzaleh hat Klasse, ja, die hat sie. Sie bringt sogar ihre eigene Stange mit. Keine Mauscheleien.«

»Aber ich meine… sie zeigt ihren Körper auf unanständige Weise, Nobby! Sie tanzt ohne ihr Unterhemd und praktisch ohne Schlüpfer. Ist das etwa richtiges Benehmen?«

Nobby dachte über diese profunde metaphysische Frage nach und prüfte sie aus verschiedenen Blickwinkeln. »Äh… ja«, antwortete er schließlich.

»Außerdem dachte ich, du gehst noch immer mit Wilma Schubwagen. Sie hat einen hübschen kleinen Meeresfrüchteladen«, sagte Colon. Es hörte sich an, als müsste er eine Sache vor Gericht vertreten.

»Oh, Hammerhai ist ein nettes Mädchen, wenn sie einen guten Tag hat, Feldwebel«, räumte Nobby ein.

»Meinst du die Tage, an denen sie nicht sagt, dass du abhauen sollst, dir hinterherrennt und mit Krabben schmeißt?«

»Genau die Tage, Feldwebel. Aber ob sie nun einen guten oder schlechten Tag hat, den Fischgeruch wird man nicht los. Und ihre Augen stehen zu weit auseinander. Ich meine, wie soll man eine Beziehung mit einem Mädchen haben, das einen nicht sieht, wenn man direkt vor ihr steht?«

»Ich bezweifle, dass dich Bronzaleh sehen kann, wenn sie direkt vor dir steht!«, entfuhr es Colon. »Sie ist fast eins achtzig groß und hat einen Busen wie… sie ist ein üppiges Mädchen, Nobby.« Fred Colon wusste nicht weiter. Nobby Nobbs und eine Tänzerin mit üppigem Haar, einem üppigen Lächeln und… allgemeiner Üppigkeit? Sieh dir dieses Bild an, und dann jenes! Wie willst du beide zusammenbringen?

Colon unternahm einen neuen Versuch. »Nobby, sie hat mir gesagt, dass sie Miss Mai auf der Mittelseite von Heiße Mädchen mit coolen Strapsen gewesen ist! Ich meine…«

»Was meinst du, Feldwebel?«, fragte Nobby. »Und überhaupt, sie war nicht nur Miss Mai, sondern auch die erste Woche im Juni. Nur so hatten sie Platz genug.«

»Äh…« Colon suchte nach den richtigen Worten. »Ich frage dich: Ist ein Mädchen, das seinen Körper für Geld zeigt, die richtige Frau für einen Polizisten? Frag es dich selbst!«

Zum zweiten Mal in fünf Minuten bildeten sich tiefe, nachdenkliche Falten dort, wo man bei Nobby das Gesicht vermutete.

»Ist das eine Fangfrage?«, erwiderte er schließlich. »Ich weiß nämlich genau, dass Haddock dieses Bild in seinem Spind hat, und wenn er die Tür öffnet, sagt er jedes Mal: ›Boah, seht euch die…‹«

»Wie hast du sie eigentlich kennen gelernt?«, fragte Colon rasch.

»Was? Oh, unsere Blicke trafen sich, als ich ihr einen Schuldschein unter den Straps schob, Feldwebel«, antwortete Nobby fröhlich.

»Und… sie hatte nicht gerade einen Schlag auf den Kopf bekommen oder so?«

»Ich glaube nicht, Feldwebel.«

»Sie ist doch nicht… krank?«, fragte Colon und erkundete alle Möglichkeiten.

»Nein, Feldwebel!«

»Bist du sicher

»Sie meint, vielleicht sind wir zwei Hälften der gleichen Seele, Feldwebel«, sagte Nobby verträumt.

Colon verharrte mit einem Fuß über dem Pflaster. Er blickte ins Leere, und seine Lippen bewegten sich.

»Feldwebel?«, fragte Nobby verwundert.

»Ja… ja«, sagte Colon mehr zu sich selbst. »Ja. Ich verstehe. Natürlich sind nicht die gleichen Sachen in den beiden Hälften. Ihr Inhalt scheint… gesiebt zu sein…«

Der Fuß traf auf.

»Hallo!«

Es war mehr ein Blöken als ein Ruf, und die Stimme kam aus der Tür des Königlichen Kunstmuseums. Eine große, dünne Gestalt winkte den Wächtern zu, die sich ihr näherten.

»Jaherr?«, fragte Colon und hob die Hand zum Helm.

»Bei uns ist heingebrochen worden!«

»Hein hat sich was gebrochen?«, fragte Nobby.

»Meine Güte, Herr«, sagte Colon und legte eine warnende Hand auf die Schulter des Korporals. »Ist etwas abhanden gekommen?«

»Ja. Ich glaube, deshalb kann man von einem hDiebstahl sprechen«, sagte der Mann. Er hatte die Haltung eines gedankenverlorenen Huhns, aber Fred war beeindruckt. Dieser Mann war so piekfein, dass man ihn kaum verstehen konnte. Seine Sprechweise lief auf moduliertes Gähnen hinaus. »Ich bin Sir Reynold Stichlig, Konservator der schönen Künste. Als ich durch die Lange hGalerie ging… Lieber Himmel, sie haben den Schlingel gestohlen!«

Der Mann blickte in zwei leere Gesichter.

»Methodia Schlingel«, fügte er hinzu. »Die Schlacht vom Koomtal. Es ist ein unschätzbares Kunstwerk!«

Fred hob seinen Bauch. »Ah«, sagte er. »Eine ernste Angelegenheit. Wir sollten sie uns besser ansehen. Äh… ich meine, den Ort, wo sich das Kunstwerk befand.«

»Ja, ja, hnatürlich«, sagte Sir Reynold. »Bitte hier entlang. Soweit ich hweiß, kann die moderne hWache viel herausfinden, indem sie den Ort betrachtet, an dem sich ein Objekt befand, ist das nicht so?«

»Zum Beispiel, dass das fehlende Objekt verschwunden ist?«, fragte Nobby. »Na klar. Darin sind wir gut.«

»Äh… in der Tat«, erwiderte Sir Reynold. »Bitte hier entlang.«

Die Wächter folgten ihm. Natürlich sahen sie das Innere des Museums nicht zum ersten Mal. Die meisten Bürger der Stadt hatten es besucht, an Tagen, wenn sich keine bessere Unterhaltung anbot. Unter der Herrschaft von Lord Vetinari gab es weniger moderne Ausstellungsstücke, da Seine Lordschaft gewisse Ansichten vertrat, aber ein gemütlicher Spaziergang vorbei an den alten Wandteppichen und recht braunen und staubigen Gemälden stellte eine angenehme Möglichkeit dar, den Nachmittag zu verbringen. Außerdem war es immer nett, die Bilder großer rosaroter Frauen ohne Kleidung zu betrachten.

Nobby hatte ein Problem. »Was ist eigentlich los, Feldwebel?«, fragte er leise. »Er klingt so, als gähnt er die ganze Zeit über. Was ist eine Hgalerie?«

»Eine Galerie, Nobby«, erklärte Colon. »Das ist sehr vornehmes Sprechen.«

»Ich verstehe ihn kaum!«

»Was zeigt, wie vornehm es ist, Nobby. Es wäre wohl kaum sehr vornehm, wenn Leute wie du ihn ohne weiteres verstehen könnten, oder?«

»Guter Hinweis«, sagte Nobby. »Das habe ich nicht bedacht.«

»Hast du das Fehlen des Objekts heute Morgen festgestellt, Herr?«, fragte Colon, als sie dem Konservator in eine Galerie voller Leitern und Staubdecken folgten.

»hJa!«

»Also wurde es in der vergangenen Nacht gestohlen?«

Sir Reynold zögerte. »Äh… nicht hunbedingt, fürchte ich. Wir sind dabei, die Lange hGalerie zu renovieren. Das Bild war zu groß, um es woanders unterzubringen, deshalb haben wir es hwährend des letzten Monats mit Staubdecken verhüllt. Als hwir sie heute Morgen abnahmen, war nur noch der Rahmen da! Seht nur!«

Der Rahmen des Schlingels, verdächtig leer, war drei Meter hoch und fünfzehn Meter lang, und eigentlich konnte man schon ihn selbst als Kunstwerk bezeichnen. Jetzt umgab er nichts weiter als unebenen, staubigen Verputz.

»Ich schätze, das Gemälde befindet sich inzwischen bei einem reichen privaten Sammler«, stöhnte Sir Reynold. »Aber wie könnte er es geheim halten? Es zählt zu den bekanntesten Bildern auf der ganzen Welt! Jede zivilisierte Person würde es sofort erkennen!«

»Wie sieht es aus?«, fragte Fred Colon.

Sir Reynold schraubte seine Erwartungen herunter, was häufig geschah, wenn jemand mit den Besten von Ankh-Morporks Wache sprach.

»Vielleicht kann ich euch eine Kopie zeigen«, sagte er schwach. »Aber das Original ist fünfzehn Meter lang! Habt ihr es nie gesehen?«

»Man hat mich damals als Kind hierher gebracht, damit ich es mir ansehe, aber das ist ziemlich lange her. Außerdem konnte man es nicht in dem Sinne sehen. Wenn man das andere Ende erreichte, hatte man schon vergessen, was am Anfang geschah.«

»Das stimmt leider, hFeldwebel«, sagte Sir Reynold. »Und hwas diese Sache so ärgerlich macht: Der Sinn der Renovierung bestand darin, einen speziellen runden Raum zu schaffen, der den Schlingel aufnehmen sollte. Der Besucher sollte hganz von dem Gemälde umgeben sein und sich praktisch mitten in dem Schlachtgetümmel befinden. Er sollte das Gefühl haben, im Koomtal zu sein! Der Künstler sprach in diesem Zusammenhang von panoskopischer Kunst. Wie auch immer man das gegenwärtige Interesse an den historischen hEreignissen bewerten mag: Die zusätzlichen Besucher hätten es uns herlaubt, das Bild so zu präsentieren, wie es gezeigt werden sollte. Und jetzt dies!«

»Wenn beabsichtigt war, das Bild woanders auszustellen… warum habt ihr es dann nicht abgenommen und an einem sicheren Ort untergebracht?«

»Meinst du etwa, wir hätten es zusammenrollen sollen?«, fragte Sir Reynold entsetzt. »Das könnte großen Schaden verursachen. Oh, wie entsetzlich! Nein, hwir hatten für nächste Woche einen Transport geplant, der mit größter Sorgfalt durchgeführt werden sollte.« Er schauderte. »hWenn ich mir vorstelle, dass jemand das Bild aus dem Rahmen geschnitten hat, schwinden mir die Sinne…«

»He, Feldwebel, dies muss eine Spur sein!«, sagte Nobby, der einer alten Angewohnheit folgend umhergelatscht war und Dinge befingert hatte, um festzustellen, ob sie wertvoll waren. »Sieh nur, hier hat jemand stinkenden Müll abgeladen!«

Er stand vor einer Plinthe, auf der etwas lag, das nach einem Lumpenhaufen aussah.

»Bitte fass das nicht an!«, sagte Sir Reynold und eilte zu Nobby. »Das ist Erzähl mir nichts von Montagen!, das umstrittenste hWerk von Daniellarina Schmoller! Du hast doch nichts bewegt, oder?«, fügte er nervös hinzu. »Es ist praktisch unbezahlbar, und sie hat eine spitze Zunge!«

»Es ist doch nur ein Haufen Abfall«, protestierte Nobby und wich zurück.

»Kunst ist größer als die Summe ihrer mechanischen Komponenten, Korporal«, sagte der Konservator. »Du hwürdest doch auch nicht behaupten, dass Caravatis Drei große rosarote Frauen und ein kleiner Schleier nur ›eine Ansammlung alter Farbe‹ ist.«

»Und das hier?«, fragte Nobby und deutete auf die nächste Plinthe. »Ein dicker Pfosten mit einem Nagel drin! Ist das ebenfalls Kunst?«

»Freiheit? Wenn es jemals zum Verkauf stünde, hbrächte dieses Kunstwerk sicher dreißigtausend Dollar ein«, sagte Sir Reynold.

»Dreißigtausend Riesen für etwas Holz mit einem Nagel drin?«, fragte Colon. »Von wem stammt es?«

»Als Lord Vetinari Erzähl mir nichts von Montagen! sah, ließ er Frau Schmoller gnädigerweise am Ohr an den Pfahl nageln«, sagte Sir Reynold. »Am Nachmittag gelang es ihr allerdings, sich zu befreien.«

»Bestimmt war sie fuchsteufelswild!«, warf Nobby ein.

»Nicht, nachdem sie mehrere Preise dafür hgewonnen hatte. Ich glaube, sie hat vor, sich an andere Dinge nageln zu lassen. Es könnte eine sehr aufregende Ausstellung werden.«

»He, da fällt mir etwas ein«, sagte Colon. »Warum lasst ihr den großen leeren Rahmen nicht an Ort und Stelle und gebt ihm einen neuen Namen, zum Beispiel Kunstraub

»Nein«, erwiderte Sir Reynold kühl. »Das wäre dumm.«

Fred Colon schüttelte den Kopf über die Schrullen der Welt und ging zu der Wand, die auf so grausame – oder hgrausame – Weise ihrer Bedeckung beraubt worden war. Jemand hatte das Gemälde ziemlich rücksichtslos aus dem Rahmen geschnitten. Feldwebel Colon war kein Hochgeschwindigkeitsdenker, aber dieser Umstand erschien ihm seltsam. Warum solcher Pfusch, wenn man einen Monat Zeit hatte? Fred sah die Menschheit aus dem Blickwinkel eines Polizisten, der sich in mancher Hinsicht von dem eines Konservators unterschied. Sage nie, dass die Leute etwas nicht machen, wie seltsam auch immer es sein mag. Vermutlich gab es dort draußen irgendwelche reichen Irren, die tatsächlich bereit waren, das Bild zu kaufen, selbst wenn sie es nur allein in ihrer Villa betrachten konnten. Ja, gewisse Leute würden sich auf so etwas einlassen. Das Wissen um ein solches Geheimnis ließ sie innerlich auf angenehme Weise erschauern.

Aber die Diebe hatten das Gemälde aus dem Rahmen geschnitten, als wäre ihnen ein eventueller Verkauf völlig gleich. Es waren einige Fetzen übrig geblieben, und zwar an… Moment mal.

Fred trat zurück. Eine Spur. Dort war sie, deutlich zu sehen. Er erschauerte wohlig. »Dieses Bild«, verkündete er, »dieses Bild, das nicht mehr da ist, ich meine, das ganz offensichtlich abhanden gekommen ist, wurde von einem… Troll gestohlen.«

»Meine Güte, woher weißt du das?«, fragte Sir Reynold.

»Es freut mich sehr, dass du mir diese Frage stellst«, sagte Fred Colon, der sich wirklich freute. »Ich habe festgestellt, dass der obere Teil des Gemäldes ganz dicht am Rahmen abgetrennt wurde.« Er zeigte auf die betreffenden Stellen. »Einem Troll fällt es ganz leicht, mit dem Messer nach oben zu langen, so, und am Rand des Rahmens entlangzuschneiden, und auch ein Stück an den Seiten herunter, siehst du? Aber dem durchschnittlichen Troll fällt das Bücken schwer, deshalb stellte er sich am unteren Rand des Rahmens ungeschickt an und ließ die Fetzen zurück. Außerdem könnte nur ein Troll das Bild forttragen. Der Teppich einer Treppe ist schon schlimm genug, aber ein zusammengerolltes Wandgemälde dieser Größe wäre noch viel schwerer!«

Colon strahlte.

»Ausgezeichnet, Feldwebel!«, sagte der Konservator.

»Gut überlegt, Fred«, fügte Nobby hinzu.

»Danke, Korporal«, erwiderte Fred Colon großzügig.

»Es könnten auch zwei Zwerge mit einer Trittleiter gewesen sein«, fuhr Nobby munter fort. »Die Maler haben einige zurückgelassen. Sie stehen hier überall herum.«

Fred Colon seufzte. »Weißt du, Nobby, solche Bemerkungen, in Anwesenheit eines Vertreters der Öffentlichkeit, sind der Grund, warum ich Feldwebel bin und du nicht. Wenn Zwerge das Bild gestohlen hätten, wäre alles fein säuberlich abgeschnitten, ist doch klar. Wird hier nachts abgeschlossen, Herr Sir Reynold?«

»Natürlich! Nicht nur abgeschlossen, sondern auch verriegelt! Der alte John achtet sehr darauf. Und er wohnt in der Dachstube und kann diesen Ort in eine Festung verwandeln.«

»Meinst du den Hausmeister?«, fragte Fred. »Wir müssen auch mit ihm reden.«

»Das könnt ihr natürlich«, sagte Sir Reynold nervös. »Äh, ich glaube, hwir haben in unserem Lager erläuterndes Material über das Bild. Ich, äh, gehe und, äh, hole es…«

Er eilte in Richtung einer kleinen Tür davon.

»Ich frage mich, wie die Diebe das Bild nach draußen geschafft haben«, sagte Nobby, als sie allein waren.

»Vielleicht haben sie es gar nicht nach draußen geschafft«, erwiderte Colon. »In einem so großen Gebäude gibt es reichlich Mansarden, Keller, Ecken und Winkel. Vielleicht haben die Diebe es irgendwo verborgen, mit der Absicht, zunächst ein wenig abzuwarten. Du kommst eines Tages als Besucher, versteckst dich unter einer Staubdecke, schneidest das Bild nachts aus dem Rahmen, lässt es irgendwo verschwinden und gehst am nächsten Tag zusammen mit den anderen Besuchern wieder nach draußen. Es ist ganz einfach.« Er sah Nobby an und strahlte. »Man muss wie ein Verbrecher denken und ihn überlisten, verstehst du?«

»Die Diebe hätten auch einfach eine Tür aufbrechen und mitten in der Nacht mit dem Gemälde verschwinden können«, sagte Nobby. »Warum einen listigen Plan entwickeln, wenn ein einfacher genügt?«

Fred seufzte. »Mir scheint, uns steht ein schwieriger Fall bevor, Nobby.«

»Du solltest Mummi fragen, ob wir ihn übernehmen können«, sagte Nobby. »Schließlich kennen wir bereits die Fakten.«

In der Luft hingen die unausgesprochenen Worte: Wo möchtest du während der nächsten Tage sein? Dort draußen, wo vermutlich Äxte und Keulen fliegen werden, oder hier drin, damit beschäftigt, all die Mansarden und Keller sehr gründlich zu durchsuchen? Denk darüber nach. Das wäre sicher nicht feige. Denn ein so berühmtes Gemälde gehört bestimmt zum nationalen Erbe. Selbst wenn es nur einen Haufen Zwerge und Trolle abbildet, die aufeinander eindreschen.

»Ich glaube, ich werde auf angemessene Weise Bericht erstatten und Herrn Mumm vorschlagen, dass er uns mit diesem Fall betraut«, sagte Fred Colon langsam. »Er erfordert die Aufmerksamkeit erfahrener Polizisten. Verstehst du viel von Kunst, Nobby?«

»Wenn es sein muss, Feldwebel.«

»Oh, ich bitte dich, Nobby!«

»Was? Bronzaleh meint, was sie macht, ist Kunst, Feldwebel. Und sie trägt mehr Kleidung als viele der Frauen an den Wänden hier. Warum also darüber die Nase rümpfen?«

»Ja, aber…« Fred Colon zögerte. Tief in seinem Innern wusste er, dass der Tanz an einer Stange in Kleidung, die man als Zahnseide verwenden konnte, keine Kunst war, wohingegen gemalte Frauen, die mit nicht mehr als einem Lächeln und einem Bündel Weintrauben bekleidet auf einem Bett lagen, gute solide Kunst darstellten. Aber es fiel ihm schwer, zu benennen, warum das so war.

»Keine Urnen«, sagte er schließlich.

»Welche Urnen?«, fragte Nobby.

»Nackte Frauen sind nur dann Kunst, wenn auf dem Bild auch eine Urne zu sehen ist«, sagte Fred Colon. Das klang ein wenig schwach, selbst für ihn, deshalb fügte er hinzu: »Oder eine Plinthe. Beides zusammen ist natürlich am besten. Dieses geheime Zeichen weist den Betrachter darauf hin, dass es sich um Kunst handelt und man ruhig hinsehen darf.«

»Was ist mit einer Topfpflanze?«

»Nichts daran auszusetzen, wenn sie in einer Urne steckt.«

»Was ist, wenn das Bild weder eine Urne noch eine Plinthe oder eine Topfpflanze zeigt?«, fragte Nobby.

»Hast du ein bestimmtes im Sinn?«, erwiderte Colon argwöhnisch.

»Ja, Die Göttin Anoia3 erhebt sich vom Essbesteck«, sagte Nobby. »Das Bild hängt hier irgendwo. Gemalt wurde es von einem Burschen mit drei Is in seinem Namen, was für mich sehr künstlerisch klingt.«

»Die Anzahl der Is im Namen ist wichtig, Nobby«, sagte Feldwebel Colon ernst, »aber in solchen Situationen muss man sich fragen: Wo ist der Engel? Wenn es ein dickes, rosarotes Kindlein gibt, das einen Spiegel oder einen Fächer hält, hat alles seine Ordnung. Selbst wenn der kleine Racker grinst. Man kann ja nicht überall Urnen haben.«

»Na schön, aber angenommen…«, begann Nobby.

Die ferne Tür öffnete sich, und Sir Reynold eilte mit einem Buch unter dem Arm über den Marmorboden.

»Ah, ich fürchte, es gibt keine Kopie des Gemäldes«, sagte er. »Es wäre ziemlich schwer, eine Kopie zu erstellen, die dem Original gerecht wird. Doch diese, äh, recht sensationalistische Abhandlung enthält viele detaillierte Skizzen. Heutzutage scheint jeder Besucher ein solches Buch zu haben. Wusstet ihr, dass im Originalbild mehr als zweitausendvierhundertneunzig verschiedene Zwerge und Trolle anhand der Rüstung und von Körpermarkierungen identifiziert werden können? Es trieb Schlingel in den Wahnsinn, der arme Kerl. Er brauchte sechzehn Jahre, um das Bild fertig zu stellen!«

»Das ist gar nichts«, sagte Nobby fröhlich. »Fred hier ist noch nicht damit fertig, seine Küche zu streichen, obwohl er vor zwanzig Jahren begonnen hat!«

»Herzlichen Dank, Nobby«, sagte Colon kühl. Er nahm das Buch vom Konservator entgegen. Der Titel lautete: Der Koomtalkodex. »Was meinst du mit Wahnsinn?«

»Er vernachlässigte seine anderen Arbeiten. Er zog dauernd um, weil er die Miete nicht zahlen konnte, und dabei musste er das riesige Gemälde mit sich schleppen. Stellt es euch vor! Auf der Straße musste er um Farbe betteln, was einen großen Teil seiner Zeit beanspruchte, da nicht viele Leute eine Tube gebrannte Umbra mit sich führen. Außerdem behauptete er, es spräche zu ihm. Es steht alles da drin. In recht dramatisierter Form, fürchte ich.«

»Das Gemälde sprach zu ihm?«

Sir Reynold schnitt eine Grimasse. »Wir glauben, dass er das meinte. Genau wissen wir es nicht. Er hatte keine Freunde und glaubte, dass er sich in ein Huhn verwandeln würde, wenn er abends schlafen ging. Er schrieb kleine Zettel für sich, auf denen geschrieben stand: ›Du bist kein Huhn.‹ Allerdings vermutete er manchmal, dass er log. Man nimmt allgemein an, dass er sich so sehr auf das Gemälde konzentrierte, dass er eine Art Hirnfieber bekam. Am Ende hwar er sicher, dass er den hVerstand verlor. Er meinte, er könnte die Schlacht hören

»Woher weißt du das?«, fragte Fred Colon. »Du hast doch gesagt, er hatte keine Freunde.«

»Ah, der scharfe Intellekt des Polizisten!«, sagte Sir Reynold und lächelte. »Er schrieb sich Zettel, Feldwebel. Die ganze Zeit über. Als die letzte Hauswirtin sein Zimmer hbetrat, fand sie hunderte davon in alten Hühnerfutterbeuteln. Zum Glück konnte sie nicht lesen, und da sie ihren Mieter für eine Art Genie hielt und glaubte, dass er deshalb vielleicht etwas hatte, das sie verkaufen konnte, rief sie ihre Nachbarin Fräulein Adelina Heiter, die Aquarelle malte, und Fräulein Heiter rief einen Freund, der Bilder rahmte, und der hwiederum verständigte rasch Ephraim Dowster, den bekannten Landschaftsmaler. Seitdem rätseln Gelehrte über die Zettel und versuchen, mit ihnen Einblick in den gequälten Geist des armen Mannes zu gewinnen. Die Zettel sind nicht geordnet. Und einige von ihnen sind sehr… seltsam.«

»Noch seltsamer als ›Du bist kein Huhn‹?«, fragte Fred.

»Ja«, bestätigte Sir Reynold. »Oh, es geht um Stimmen, Omen, Geister… Darüber hinaus schrieb er ein Tagebuch – auf anderen Zetteln, die ihm gerade zur Hand waren, und vermerkte dabei nie Datum und Aufenthaltsort, um zu verhindern, dass das Huhn ihn fand. Und er drückte sich sehr vorsichtig aus, um dem Huhn keine verräterischen Informationen zu geben.«

»Entschuldige, aber du hast doch gesagt, dass er glaubte, er wäre ein Huhn…«, sagte Colon.

»hWer kann schon die Überlegungen eines armen Geisteskranken ergründen, Feldwebel?«, erwiderte Sir Reynold matt.

»Äh… hat das Gemälde zu ihm gesprochen?«, fragte Nobby Nobbs. »Es sind schon seltsamere Dinge geschehen.«

»Ahah, nein«, antwortete Sir Reynold. »Zumindest nicht in meiner Zeit. Seit das Buch in einer neuen Auflage erschienen ist, hat hier während der Besuchszeit ein Wächter gestanden, und er meint, das Gemälde hätte nie einen Ton von sich gegeben. Natürlich hat es die Leute immer fasziniert, und man erzählt sich Geschichten über einen verborgenen Schatz. Deshalb gab es eine Neuauflage des Buches. Die Leute mögen das Mysteriöse.«

»Wir nicht«, sagte Fred Colon.

»Ich weiß nicht einmal, wie das Mysteriöse schmeckt«, sagte Nobby und blätterte im Kodex. »Ich habe von diesem Buch gehört. Mein Freund Dave vom Briefmarkenladen hat mir von einer Geschichte über einen Zwerg erzählt, der in einem Dorf unweit des Koomtals aufkreuzte, gut zwei Wochen nach der Schlacht, und er war ganz verletzt, weil ihm Trolle aufgelauert hatten, und er war halb verhungert obendrein, genau, und niemand sprach so richtig Zwergisch, aber die Leute glaubten, dass sie ihm folgen sollten, und er sprach immer wieder ein Wort, und wie sich herausstellte, war es das zwergische Wort für ›Schatz‹, tja, und als sie ihm zurück ins Tal folgten, starb er auf dem Weg dorthin, und die Leute fanden nie was, und dann entdeckte dieser Künstlertyp etwas im Koomtal und verbarg den Fundort in diesem Bild, aber es brachte ihn um den Verstand. Wie ein Spuk, meinte Dave. Die Regierung hat alles vertuscht, meinte er außerdem.«

»Ja, aber dein Kumpel Dave redet dauert davon, dass die Regierung Dinge vertuscht, Nobby«, wandte Fred ein.

»Das tut sie auch.«

»Aber er erfährt immer davon, und ihn bringt niemand zum Schweigen«, sagte Fred.

»Ich weiß, dass du gern spottest, Feldwebel, aber es geschehen viele Dinge, von denen wir nichts wissen.«

»Was denn, zum Beispiel?«, erwiderte Colon. »Nenn mir eine Sache, die geschieht und von der wir nichts wissen. Na bitte, das kannst du nicht.«

Sir Reynold räusperte sich. »Das ist gewiss eine der hTheorien«, sagte er mit der typischen Vorsicht von jemandem, der den Colon-Nobbs-Braintrust in voller Aktion erlebt hatte. »Bedauerlicherweise stützen Methodia Schlingels Aufzeichnungen praktisch jede beliebige Theorie. Ich vermute, das Gemälde verdankt seine gegenwärtige Popularität der Tatsache, dass das Buch auf die alte Geschichte zurückgreift, nach der in dem Bild ein großes Geheimnis verborgen ist.«

»Ach?« Fred Colon sah auf. »Welches Geheimnis?«

»Das hweiß ich nicht. Die Landschaft ist sehr detailliert gemalt. Vielleicht existiert irgendwo ein Hinweis auf eine geheime Höhle. Es gibt viele Theorien. Recht seltsame Leute kamen mit Messbändern und wirkten hbeunruhigend entschlossen, aber ich bezweifle, dass sie jemals etwas entdeckt haben.«

»Vielleicht steckt einer von ihnen hinter dem Diebstahl«, spekulierte Nobby.

»Das glaube ich nicht. Meistens sind es recht heimlichtuerische Leute, die belegte Brote und eine Reiseflasche mitbringen und den ganzen Tag bleiben. Leute, die Anagramme und geheime Zeichen lieben und kleine Theorien und Pickel haben. Sie sind recht harmlos, nur nicht gegenüber ihresgleichen. Außerdem, hwarum das Bild stehlen? Wir möchten, dass sich Leute dafür interessieren. Und wer sich dafür interessiert, denkt wohl kaum daran, es mit nach Hause zu nehmen, denn immerhin passt es dort nicht unters Bett. Wusstet ihr, dass Schlingel von Schreien schrieb, die er manchmal mitten in der Nacht hörte? Die Geräusche der Schlacht, muss man annehmen. Wie traurig.«

»Nichts, was man über dem Kamin haben möchte«, kommentierte Fred Colon.

»Genau, Feldwebel. Selbst hwenn man einen fünfzehn Meter langen Kamin hätte.«

»Danke. Noch eine letzte Sache. Wie viele Türen gewähren Zugang zu diesem Ort?«

»Drei«, antwortete Sir Reynold sofort. »Aber zwei von ihnen sind immer abgeschlossen.«

»Wenn der Troll…«

»… oder die Zwerge«, warf Nobby ein.

»Oder, wie mein jüngerer Kollege meint, die Zwerge versuchten, nach draußen zu gelangen…«

»hWasserspeier«, sagte Sir Reynold stolz. »Zwei beobachten ständig den Haupteingang vom Gebäude auf der anderen Seite aus, und es sitzt auch jeweils einer bei den beiden anderen Türen. Und tagsüber behalten natürlich die Mitarbeiter alles im Auge.«

»Es mag dumm klingen, aber habt ihr wirklich überall nachgesehen?«

»Heute Morgen haben wir alles abgesucht, Feldwebel. Es müsste eine sehr dicke und sehr schwere Rolle sein. Dieses Gebäude ist voller Ecken und Winkel, aber eine solche Rolle hwürde gewiss auffallen.«

Colon salutierte. »Danke, Herr. Wir schauen uns ein wenig um, wenn du gestattest.«

»Ja – nach Urnen«, sagte Nobby Nobbs.

 

 

Mumm ließ sich auf seinen Stuhl sinken und musterte den verdammten Vampir beziehungsweise die Vampirin. Man hätte sie für eine Sechzehnjährige halten können; es fiel schwer zu glauben, dass sie nicht viel jünger war als Mumm. So kurzes Haar hatte er noch bei keinem Vampir gesehen, und wenn sie nicht wie ein Junge wirkte, dann doch wie ein Mädchen, das für einen Jungen durchgegangen wäre.

»Bitte entschuldige meine… Bemerkung von vorhin«, sagte Mumm. »Es ist keine gute Woche gewesen, und sie wird mit jeder verstreichenden Stunde schlimmer.«

»Du brauchst dich nicht zu fürchten«, sagte Sally. »Wenn es dir was nützt: Dies gefällt mir ebenso wenig wie dir.«

»Ich fürchte mich nicht«, erwiderte Mumm scharf.

»Bitte um Verzeihung, Herr Mumm. Du riechst wie jemand, der sich fürchtet. Nicht sehr«, fügte Sally hinzu. »Aber ein wenig. Und dein Herz schlägt schneller. Es tut mir Leid, wenn ich dich beleidigt haben sollte. Ich wollte dir nur Gelegenheit geben, dich zu entspannen.«

Mumm lehnte sich zurück. »Für meine Entspannung sorge ich selbst, Fräulein von Humpeding«, sagte er. »Es macht mich nervös, wenn sich andere darum kümmern wollen. Alles, was mit Spannung zu tun hat, kannst du getrost mir überlassen. Und bitte verkneif dir Kommentare über meinen Geruch. Und es heißt Kommandeur Mumm oder Herr, verstanden? Nicht einfach Herr Mumm.«

»Und ich möchte Sally genannt werden«, sagte die Vampirin.

Sie sahen sich an und wussten beide, dass es nicht gut lief. Und sie waren auch nicht sicher, ob sie es besser machen konnten.

»Nun, Sally… du möchtest also Polizist werden?«, fragte Mumm.

»Ja, das ist mein Wunsch.«

»Hat es in deiner Familie irgendwelche Polizisten gegeben?« Das war eine Standardfrage. Es half immer, wenn neue Kandidaten eine Vorstellung vom Polizeidienst geerbt hatten.

»Nein, nur Halsbeißer«, antwortete Sally.

Wieder folgte eine Pause.

Mumm seufzte.

»Ich möchte nur eins wissen«, sagte er. »Haben dich John Überhaupt-kein-Vampir Smith und Doreen Winkings auf diese Idee gebracht?«

»Nein!«, sagte Sally. »Ich habe mich an sie gewandt. Und wenn du’s ganz genau wissen willst: Ich hätte nicht gedacht, dass es deswegen so ein Trara gibt.«

Das überraschte Mumm.

»Aber du hast dich beworben«, sagte er.

»Ja, aber ich verstehe all das… Interesse daran nicht!«

»Gib nicht mir die Schuld. Dahinter steckt die Enthaltsamkeitsliga.«

»Wirklich?«, erwiderte Sally. »Die Zeitung hat ein Zitat von deinem Lord Vetinari gebracht. Darin hieß es, die Abwesenheit von Rassendiskriminierung gehöre zu den guten Traditionen der Wache.«

»Ha!«, sagte Mumm. »Es stimmt schon, ein Polizist ist ein Polizist, soweit es mich betrifft, aber die guten Traditionen der Wache, Fräulein von Humpeding, bestehen größtenteils darin, einen regengeschützten Platz zu finden, hinten in Kneipen Freibier zu schnorren und immer zwei Notizbücher zu haben!«

»Du willst mich also nicht?«, fragte Sally. »Ich dachte, du brauchst alle Rekruten, die du bekommen kannst. Weißt du, ich bin wahrscheinlich stärker als alle anderen Angehörigen der Wache, abgesehen von Trollen. Ich bin ziemlich clever, habe nichts gegen harte Arbeit und kann nachts sehr gut sehen. Ich kann mich nützlich machen. Ich möchte mich nützlich machen.«

»Kannst du dich in eine Fledermaus verwandeln?«

Sally wirkte schockiert. »Wie bitte? Was ist das denn für eine Frage?«

»Sie gehört vermutlich zu den weniger heiklen«, sagte Mumm. »Außerdem könnte so etwas nützlich sein. Bist du dazu imstande?«

»Nein.«

»Na schön, macht nichts…«

»Ich kann mich in viele Fledermäuse verwandeln«, sagte Sally. »Eine ist schwierig, weil man dabei die Veränderung in der Körpermasse berücksichtigen muss, und das kriegt man für eine Weile nicht hin, wenn man zu den Enthaltsamen zählt. Und überhaupt bekomme ich davon Kopfschmerzen.«

»Was war dein letzter Job?«

»Ich hatte keinen. Ich war Musikerin.«

Mumms Miene erhellte sich. »Im Ernst? Einige der Jungs haben davon gesprochen, eine Wachkapelle zu gründen.«

»Könnten sie ein Cello gebrauchen?«

»Wahrscheinlich nicht.«

Mumm trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. Sie war ihm noch nicht an den Hals gefahren. Dort lag natürlich das Problem. Mit Vampiren war alles in Ordnung, bis mit ihnen plötzlich nicht mehr alles in Ordnung war. Aber er wusste auch, dass Sally Recht hatte. Derzeit benötigte er tatsächlich jeden, der aufrecht stehen und einen Satz zu Ende sprechen konnte. Die jüngsten Entwicklungen strapazierten die Kräfte der Wache. Er brauchte permanent Leute dort draußen, die alles unter Kontrolle hielten. Im Augenblick ging es nur um Raufereien, Steinwürfe und zertrümmerte Fenster, aber der Ärger sammelte sich an, wie Schnee an einem Lawinenhang. In solchen Zeiten musste die Wache ständig präsent sein. Das gab den Bürgern der Stadt die Illusion, dass die Welt nicht völlig verrückt geworden war.

Und die Enthaltsamkeitsliga kümmerte sich sehr um ihre Mitglieder. Es lag in ihrem Interesse, dass sich kein Enthaltsamer in einem seltsamen Schlafzimmer wiederfand, mit einem peinlichen Völlegefühl. Man würde Sally im Auge behalten…

»Wir haben keinen Platz für Drückeberger in der Wache«, sagte Mumm. »Unter den gegenwärtigen Umständen haben wir zu viel zu tun, um dir mehr zu geben als das, was man lächerlicherweise ›praktische Ausbildung‹ nennt. Du wirst vom ersten Tag an auf der Straße Dienst schieben… Äh, wie ist es bei dir mit dem Tageslicht?«

»Mit langen Ärmeln und breiter Krempe kein Problem. Außerdem habe ich die Notausrüstung dabei.«

Mumm nickte. Eine kleine Kehrichtschaufel, eine Bürste, eine Phiole mit Tierblut und eine Karte mit der Aufschrift:

 

Hilfe, ich bin zu Staub zerfallen
und kann nicht mehr aufstehen.
Bitte kehre mich zu einem Haufen zusammen und zerbrich danach die Phiole darüber.
Ich bin ein Schwarzbandler
und werde dir nichts tun.
Vielen Dank im Voraus.

 

Mumms Finger trommelten erneut auf den Schreibtisch. Sally erwiderte seinen Blick.

»Na schön, du bist eingestellt«, sagte er schließlich. »Zunächst auf Probe. So fangen alle an. Klär den Papierkram unten mit Feldwebel Kleinpo, und geh dann zu Feldwebel Detritus, der dir deine Sachen gibt und dich einweist – versuch bitte, dabei nicht zu lachen. Und da du jetzt bekommen hast, was du willst, und dies kein offizielles Gespräch mehr ist… Nenn mir den Grund.«

»Wie bitte?«, fragte Sally.

»Ein Vampir, der Polizist sein möchte?« Mumm lehnte sich zurück. »Das passt irgendwie nicht, ›Sally‹.«

»Ich dachte, es wäre ein interessanter Job an der frischen Luft mit der Möglichkeit, den Leuten zu helfen, Kommandeur Mumm.«

»Hmm«, machte Mumm. »Wenn du das sagen kannst, ohne zu lächeln, hast du vielleicht wirklich das Zeug zu einer Polizistin. Willkommen in der Wache, Obergefreite. Ich hoffe, du hast…«

Die Tür knallte. Hauptmann Karotte trat zwei Schritte ins Zimmer, sah Sally und zögerte.

»Obergefreite von Humpeding hat gerade den Dienst angetreten, Hauptmann«, sagte Mumm.

»Äh… gut… hallo, Fräulein«, sagte Karotte schnell. »Herr, jemand hat Schinkenbrecher umgebracht!«

 

 

Die Besten aus Ankh-Morporks Wache schlenderten zum Pseudopolisplatz zurück.

»Ich würde das Gemälde in kleine Stücke schneiden«, sagte Nobby. »Jeweils mit einem Durchmesser von nur einigen Zoll.«

»Das macht man mit Diamanten, Nobby. So wird man gestohlene Diamanten los.«

»Na schön, wie wär’s hiermit? Man schneidet das Wandgemälde in einzelne Teile, die jeweils so groß sind wie gewöhnliche Bilder. Dann malt man ein Bild auf die Rückseite der Einzelteile, rahmt sie und hängt sie auf. Niemand würde ein paar zusätzliche Bilder bemerken. Und dann lässt man sie verschwinden, wenn sich die Lage beruhigt hat.«

»Und wie würdest du diese Bilder nach draußen schaffen, Nobby?«

»Nimm Klebstoff, einen sehr langen Stock, und dann…«

Fred Colon schüttelte den Kopf. »Nein, das halte ich für ausgeschlossen, Nobby.«

»Na gut, dann nimmt man Farbe in der gleichen Farbe wie die Wände, und man klebt das Gemälde irgendwo dort an die Wand, wo genug Platz ist, und man übermalt es mit der Farbe, damit es wie ein Teil der Wand aussieht.«

»Hast du eine bestimmte Wand im Sinn?«

»Wie wär’s mit der im Rahmen, Feldwebel?«

»Verdammt, Nobby, das ist schlau!«, sagte Fred und blieb stehen.

»Danke, Feldwebel. Ein solches Lob von dir bedeutet mir viel.«

»Aber es bleibt das Problem, wie man das Bild nach draußen schafft.«

»Erinnerst du dich an all die Staubdecken, Feldwebel? Ich schätze, in einigen Wochen könnten zwei Burschen in Overalls mit einer großen weißen Rolle hinausgehen, ohne dass sich jemand darüber Gedanken macht, denn es würden alle denken, dass das große Wandgemälde schon vor Wochen gestohlen worden ist.«

Es folgten einige Sekunden der Stille, und dann sagte Feldwebel Colon mit gedämpfter Stimme: »Du hast eine sehr gefährliche Fantasie, Nobby. Ja, sehr gefährlich. Wie würdest du die neue Farbe entfernen?«

»Oh, das ist leicht«, sagte Nobby. »Und ich weiß auch, wo ich mir Malerschürzen besorgen kann.«

»Nobby!«, entfuhr es Fred schockiert.

»Schon gut, Feldwebel. Du kannst einem Mann nicht vorwerfen zu träumen.«

»Dies könnte etwas sein, für das wir eine Auszeichnung bekommen, Nobby. Und die könnten wir gut gebrauchen.«

»Meldet sich da erneut dein Wasser, Feldwebel?«

»Du hältst es vielleicht für komisch, Nobby, aber man muss sich nur umsehen«, sagte Fred bedrückt. »Noch sind es nur Bandenkämpfe, aber es wird bald schlimmer, verlass dich drauf. Dieser Streit um etwas, das vor Jahrtausenden geschah! Warum kehren sie nicht dorthin zurück, woher sie kommen, wenn ihnen das so wichtig ist?«

»Inzwischen kommen die meisten von ihnen von hier«, sagte Nobby.

Fred kommentierte diesen geographischen Hinweis mit einem verächtlichen Brummen. »Krieg, Nobby. Ha! Wozu ist Krieg gut?«, fragte er.

»Keine Ahnung, Feldwebel. Vielleicht dazu, Sklaven zu befreien?«

»Absol… Na ja, meinetwegen.«

»Um sich gegen einen totalitären Aggressor zu verteidigen?«

»Zugegeben, aber…«

»Die Zivilisation vor einer Horde zu retten…«

»Langfristig ist er für nichts gut, darauf wollte ich hinaus, Nobby, wenn du mir fünf Sekunden hintereinander zuhören würdest«, sagte Fred Colon scharf.

»Ja, aber was ist schon langfristig für irgendetwas gut, Feldwebel?«

 

 

»Sag das noch einmal, und achte dabei auf jedes einzelne Wort«, wandte sich Mumm an Karotte.

»Er ist tot, Herr. Schinkenbrecher ist tot. Die Zwerge sind ganz sicher.«

Mumm starrte den Hauptmann an. Dann glitt sein Blick zu Sally, und er sagte: »Ich habe dir einen Befehl gegeben, Obergefreite Humpeding. Geh, und tritt deinen Dienst an!«

Als die Vampirin fortgeeilt war, fuhr er fort: »Ich hoffe, du bist dir ebenfalls ganz sicher, Hauptmann…«

»Es breitet sich bei den Zwergen aus wie, wie…«, begann Karotte.

»Alkohol?«, schlug Mumm vor.

»Es breitet sich zumindest sehr schnell aus«, räumte Karotte ein. »Gestern Abend, heißt es. Ein Troll kam in der Sirupstraße zu ihm und erschlug ihn. Ich habe einige der Jungs darüber sprechen gehört.«

»Karotte, wüssten wir nicht davon, wenn so etwas geschehen wäre?«, fragte Mumm, doch im Theater seines Geistes wiederholten Angua und Fred Colon ihre kassandrischen Warnungen. Die Zwerge wussten etwas. Die Zwerge waren besorgt.

»Wissen wir es nicht, Herr?«, erwiderte Karotte. »Ich habe dir gerade davon erzählt.«

»Ich meine, warum schreien die Leute nicht in den Straßen herum? Politischer Mord und so? Sollten sie nicht lautstark darauf hinweisen, dass solch ein Mord geschehen ist? Wer hat dir davon erzählt?«

»Obergefreiter Eisenbieger und Korporal Ringgießer, Herr. Es sind gute Jungs. Ringgießer ist bald für die Beförderung zum Feldwebel vorgesehen. Äh… es gibt da noch etwas, Herr. Ich habe sie gefragt, warum wir keine offizielle Nachricht erhielten, und Eisenbieger meinte… dies wird dir nicht gefallen, Herr… er meinte, die Wache sollte nichts davon erfahren.« Karotte beobachtete Mumm aufmerksam. Die Veränderung im Gesicht des Kommandeurs war kaum zu sehen, aber einige Muskeln spannten sich etwas fester.

»Auf wessen Anweisung geht das zurück?«, fragte Mumm.

»Offenbar auf die eines gewissen Feurig. Er ist Schinkenbrechers… Sprecher, könnte man vielleicht sagen. Er meint, dies sei eine Zwergenangelegenheit.«

»Wir sind hier in Ankh-Morpork, Hauptmann. Und Mord ist Mord.«

»Ja, Herr.«

»Und wir sind die Stadtwache«, fuhr Mumm fort. »So steht es an der Tür.«

»Derzeit steht ›Polizisten sind Bullen‹ an der Tür, aber ich werde jemanden beauftragen, es abzuwischen«, sagte Karotte. »Und ich…«

»Das bedeutet: Wenn jemand ermordet wird, sind wir verantwortlich«, sagte Mumm.

»Ich verstehe, was du meinst«, erwiderte Karotte vorsichtig.

»Weiß Vetinari Bescheid?«

»Ich kann mir kaum vorstellen, dass er keine Kenntnis davon hat.«

»Ich auch nicht.« Mumm überlegte kurz. »Was ist mit der Times? Dort arbeiten viele Zwerge.«

»Es würde mich sehr überraschen, wenn sie solche Informationen an Menschen weitergäben, Herr. Ich habe nur davon gehört, weil ich ein Zwerg bin und Ringgießer großen Wert darauf legt, Feldwebel zu werden, und ehrlich gesagt: Ich habe es zufällig gehört. Die Druckerzwerge würden bestimmt nicht an die Redaktion herantreten.«

»Soll das heißen, dass Zwerge in der Wache einen Mord geheim halten würden?«

Karotte wirkte schockiert. »O nein, Herr!«

»Gut!«

»Sie würden ihn nur vor Menschen geheim halten. Tut mir Leid, Herr.«

Das Wichtige an dieser Stelle ist, nicht zu schreien, dachte Mumm. Nicht… wie nennt man es… ausflippen? Du kannst hier etwas lernen. Finde heraus, warum die Welt nicht deiner Vorstellung entspricht. Sammle die Fakten, verarbeite die Informationen, denk über ihre Konsequenzen nach. Danach kannst du ausflippen. Aber mit Präzision.

»Zwerge waren immer gesetzestreue Bürger, Hauptmann«, sagte Mumm. »Sie bezahlen sogar ihre Steuern. Plötzlich finden sie es in Ordnung, einen möglichen Mord nicht zu melden?«

Karotte sah den stählernen Glanz in Mumms Augen.

»Nun, die Sache ist…«, begann er.

»Ja?«

»Schinkenbrecher ist ein Tiefenzwerg, Herr. Ich meine, ein richtig tiefer Tiefenzwerg. Er verabscheut es, an die Oberfläche zu kommen. Es heißt, dass er weit unter dem Kellerniveau wohnt…«

»Das weiß ich alles. Und?«

»Wie weit nach unten reicht unsere Zuständigkeit, Herr?«, fragte Karotte.

»Was? So weit nach unten, wie wir möchten!«

»Äh, steht das irgendwo geschrieben, Herr? Die meisten Zwerge in der Stadt stammen aus Kupferkopf, Llamedos und Überwald«, sagte Karotte. »Dort gibt es Gesetze für die Oberfläche und andere Gesetze für das Darunter. Ich weiß, dass es hier bei uns anders ist, aber… so sehen sie die Welt. Und Schinkenbrechers Zwerge sind natürlich alle Tiefener, und du weißt, wie gewöhnliche Zwerge von ihnen denken.«

Sie verehren sie praktisch, dachte Mumm, zwickte sich in den Nasenrücken und schloss die Augen. Es wird immer schlimmer.

»Na schön«, sagte er. »Aber dies ist Ankh-Morpork, und wir haben unsere eigenen Gesetze. Es kann doch nicht schaden, nachzusehen, wie es Bruder Schinkenbrecher geht, oder? Wir können bei ihm an die Tür klopfen. Und sagen, dass wir guten Grund haben, uns nach seiner Gesundheit zu erkundigen. Ich weiß, dass es nur ein Gerücht ist, aber wenn genug Leute an ein solches Gerücht glauben, können wir nicht verhindern, dass die Sache herauskommt.«

»Gute Idee, Herr.«

»Geh, und sag Angua, dass sie mich begleiten soll. Und… Haddock. Und vielleicht auch Ringgießer. Du kommst natürlich ebenfalls mit.«

»Äh, das ist keine gute Idee, Herr. Zufälligerweise weiß ich, dass die meisten Tiefener mir ablehnend gegenüberstehen. Sie glauben, dass ich zu sehr Mensch bin, um ein Zwerg zu sein.«

»Tatsächlich?«

Fast eins neunzig in Strümpfen, dachte Mumm. In den Bergen von den Zwergen einer kleinen Zwergenmine adoptiert und großgezogen. Sein zwergischer Name lautet Kzad-bhat, was Kopfstoßer bedeutet. Mumm hüstelte. »Warum in aller Welt sollten sie das glauben?«, fragte er.

»Na schön, ich weiß, dass ich im Grunde ein Mensch bin, Herr, aber die Größe war traditionell nie die zwergische Definition eines Zwergs. Allerdings ist Schinkenbrechers Gruppe nicht glücklich mit mir.«

»Tut mir Leid, das zu hören. Dann nehme ich Grinsi mit.«

»Bist du übergeschnappt, Herr? Du weißt doch, was die Tiefener von Zwerginnen halten, die ihre Weiblichkeit zeigen

»Na gut, dann lasse ich mich eben von Feldwebel Detritus begleiten. Ihm werden sie glauben.«

»Es könnte ein wenig zu provokant sein, Herr…«, begann Karotte skeptisch.

»Detritus ist ein Polizist von Ankh-Morpork, Hauptmann, so wie du und ich«, sagte Mumm. »Ich nehme an, ich bin akzeptabel.«

»Ja, natürlich, Herr. Ich glaube aber, dass du die Tiefener beunruhigst.«

»Tatsächlich?« Mumm zögerte. »Das ist gut. Und Detritus ist ein Vertreter des Gesetzes. Wir haben hier noch Gesetze, und soweit es mich betrifft, reichen sie tief, bis ganz nach unten.«

 

 

Eine verdammt blöde Bemerkung, dachte Mumm fünf Minuten später, als er an der Spitze des kleinen Trupps durch die Straßen ging. Er verfluchte sich dafür, diese Worte ausgesprochen zu haben.

Polizisten blieben durch Klugheit am Leben. So funktionierte das. Man hatte die Wachhäuser mit den großen blauen Lichtern, und man sorgte dafür, dass immer kräftig gebaute Wächter an großen öffentlichen Orten zu sehen waren, und man protzte, als gehörte einem alles. Aber es war falsche Protzerei, denn es gehörte einem nichts. Es war alles Lug und Trug. Man zauberte einen kleinen Polizisten in die Köpfe der Leute. Man verließ sich darauf, dass die Leute die Regeln kannten und nachgaben. Doch in Wirklichkeit hätten hundert gut bewaffnete Kämpfer die Wache auslöschen können, wenn sie entschlossen genug vorgegangen wären. Sobald irgendein Verrückter herausfindet, dass ein überraschter Polizist ebenso stirbt wie alle anderen, ist der Bann gebrochen.

Schinkenbrechers Zwerge glaubten nicht an die Stadtwache? Das konnte zu einem Problem werden. Vielleicht war es provozierend, einen Troll mitzubringen, aber bei den Göttern, Detritus war ein Bürger, wie alle anderen. Wenn man…

»Bimmel-bamm-bimmel-bamm-bimmel-bamm!«

Ah, ja. Wie schlimm die Dinge auch standen, es gab immer die Möglichkeit, dass sie noch schlimmer wurden…

Er holte den klugen braunen Kasten hervor und öffnete ihn. Ein kleiner grüner Kobold mit spitzen Ohren blickte zu ihm auf, und sein Gesicht zeigte jenes sehnsüchtige, hoffnungslose Lächeln, das Mumm in verschiedenen Variationen kannte und fürchtete.

»Guten Morgen, Hier Namen Einfügen! Ich bin der Disorganizer Modell Fünf, ›Die Stachelbeere‹™. Wie kann ich…?«, begann der Kobold und sprach schnell, um möglichst viel zu sagen, bevor es zur unvermeidlichen Unterbrechung kam.

»Ich könnte schwören, dass ich dich ausgeschaltet habe«, sagte Mumm.

»Du hast mich mit einem Hammer bedroht«, erwiderte der Kobold vorwurfsvoll und zog an den kleinen Gitterstäben. »An alle, er bedroht ein hochmodernes Stück Technomantie mit einem Hammer!«, rief er. »Er füllt nicht einmal die Registrierkarte aus! Deshalb muss ich ihn Hier Namen Einfügen nen…«

»Ich dachte, du wärst das Ding losgeworden, Herr«, sagte Angua, als Mumm den Deckel schloss. »Ich dachte, es wäre einem… Unfall zum Opfer gefallen.«

»Ha!«, kam eine gedämpfte Stimme aus dem Kasten.

»Sybil besorgt mir immer einen neuen.« Mumm verzog das Gesicht. »Einen besseren. Aber ich weiß, dass dieses Modell ausgeschaltet war.«

Der Deckel fuhr wieder nach oben.

»Ich erwache, wenn ich an etwas erinnern muss!«, kreischte der Kobold. »Zehn Doppelpunkt fünfundvierzig, Für das verdammte Porträt sitzen

Mumm stöhnte. Das Porträt mit Sir Joshua. Dafür drohte ihm Ärger. Er hatte bereits zwei Termine versäumt. Aber diese Zwergensache war… wichtig.

»Das kann ich unmöglich schaffen«, murmelte er.

»Möchtest du den praktischen Integrierten Bluenose™-Nachrichtendienst benutzen?«

»Was macht der?«, fragte Mumm misstrauisch. Den verschiedenen Disorganizern in seinem Besitz war es recht gut gelungen, fast alle Probleme zu lösen, die sich durch ihren Besitz ergaben.

»Äh, eigentlich laufe ich sehr schnell mit einer Nachricht zum nächsten Klackerturm«, sagte der Kobold hoffnungsvoll.

»Und kehrst du zurück?«, fragte Mumm, in dem ebenfalls Hoffnung keimte.

»Natürlich.«

»Danke, nein«, sagte Mumm.

»Wie wäre es mit einer Partie Splong™, speziell für das Modell Fünf entwickelt?«, flehte der Kobold. »Ich habe die Schläger hier. Nein? Vielleicht ist dir das stets beliebte ›Schätz mein Gewicht in Schweinen‹ lieber. Ich könnte auch eine deiner Lieblingsmelodien pfeifen. Meine iSUMM™-Funktionen geben mir die Möglichkeit, mich an tausendfünfhundert deiner…«

»Du könntest versuchen zu lernen, ihn richtig zu gebrauchen, Herr«, sagte Angua, als Mumm erneut den Deckel schloss. Ein protestierendes Quieken drang aus dem Kasten.

»Ich habe ein Modell benutzt«, sagte Mumm.

»Ja, als Türstopper«, polterte Detritus hinter ihm.

»Ich komme mit Technomantie einfach nicht zurecht«, erwiderte Mumm. »Ende der Diskussion. Haddock, lauf mal schnell zum Mondteichweg. Entschuldige mich bei Lady Sybil, die in Sir Joshuas Atelier sein wird. Sag ihr, dass es mir sehr Leid tut, aber diese Sache hat sich ergeben und erfordert große Vorsicht.«

Das stimmt, dachte er, als sie den Weg fortsetzten. Wahrscheinlich erfordert sie mehr Vorsicht, als mir möglich ist. Ach, zur Hölle damit. Wäre ja noch schöner, wenn man bei der Feststellung, ob überhaupt ein Mord geschehen ist, vorsichtig sein muss.

 

 

Die Sirupstraße war typisch für das Siedlungsgebiet der Zwerge: am Rand der weniger angenehmen Viertel der Stadt, aber nicht ganz Teil davon. Man bemerkte die Außenposten der Zwerge: Ein Flickwerk aus Fenstern verriet ein zweistöckiges Haus, das in ein dreistöckiges verwandelt worden war, ohne an Höhe zuzunehmen. Auffallend viele Ponys, die kleine Karren zogen, und natürlich recht kleine Leute mit Bärten und Helmen boten ebenfalls gute Hinweise.

Zwerge gruben sich auch in den Boden. Es war eine typische Zwergensache. Hier oben, fern vom Fluss, erreichten sie vermutlich das Kellergeschossniveau, ohne bis zum Hals im Wasser zu stehen.

An diesem Morgen waren ziemlich viele Zwerge unterwegs. Sie schienen nicht besonders zornig zu sein, soweit Mumm das feststellen konnte – der zur Mimik fähige Bereich zwischen Augenbrauen und Bart beschränkte sich auf wenige Quadratzoll –, doch es war ungewöhnlich, dass so viele Zwerge einfach nur herumstanden. Meistens arbeiteten sie hart, normalerweise füreinander. Nein, sie waren nicht zornig, aber besorgt. Man brauchte nicht viele Gesichter zu sehen, um das zu spüren. Die Zwerge als Ganzes hielten nicht viel von Zeitungen; solche Nachrichten betrachteten sie in etwa so wie Liebhaber erlesener Weintrauben Rosinen. Sie bezogen ihre Neuigkeiten von anderen Zwergen, um sicher zu sein, dass sie frisch und voller Persönlichkeit waren, und zweifellos erhielten sie beim Erzählen viele Extras. Diese Menge wartete unsicher auf die Nachricht, dass sie sich in einen Aufruhr verwandelte.

Noch wichen die Zwerge beiseite, um sie passieren zu lassen. Die Präsenz von Detritus rief Gemurmel hervor, das der Troll klugerweise überhörte.

»Fühlst du das?«, fragte Angua, als sie über die Straße gingen. »Durch die Fußsohlen?«

»Ich habe nicht deine empfindlichen Sinne, Feldwebel«, sagte Mumm.

»Es pocht ständig unter uns«, sagte Angua. »Ich fühle die Straße zittern. Ich glaube, es ist eine Pumpe.«

»Vielleicht werden weitere Keller ausgepumpt«, sagte Mumm. Klingt nach einem großen Projekt. Wie weit können sie nach unten?, überlegte er. Immerhin ist Ankh-Morpork zum größten Teil auf Ankh-Morpork erbaut. Hier hat es schon immer eine Stadt gegeben.

Wenn man genau hinsah, bemerkte man eine gewisse Ordnung in der Menge. Die Zwerge standen nicht einfach so herum, sondern in einer langen Schlange auf der einen Straßenseite, und näherten sich langsam einer Seitentür. Sie warteten auf eine Gelegenheit, mit den Grags zu reden. Bitte komm, und sprich die Totenworte für meinen Vater Bitte berate mich bei dem Verkauf meines Ladens Bitte geleite mich bei meinen Geschäften Ich bin weit von den Knochen meines Großvaters entfernt; bitte hilf mir, ein Zwerg zu bleiben

Dies war nicht die richtige Zeit, Drkza zu sein. Genau genommen waren die meisten Zwerge von Ankh-Morpork Drkza es bedeutete so viel wie »kein richtiger Zwerg«. Sie lebten nicht tief im Boden und kamen nur nachts nach oben. Sie bauten kein Erz ab, um Metall daraus zu gewinnen. Sie ließen zu, dass ihre Töchter zumindest einige kleine Hinweise auf ihre Weiblichkeit preisgaben. Sie neigten zu Nachlässigkeit, was bestimmte Zeremonien anging. Jetzt lag der Geruch des Koomtals in der Luft, und unter solchen Umständen musste man mehr sein als nur größtenteils ein Zwerg. Deshalb hörte man auf die Grags. Sie sorgten dafür, dass man beim rechten Flöz blieb.

Und bisher hatte Mumm nichts dagegen gehabt. Allerdings hatten sich die Grags bisher auch nicht für Mord zuständig gefühlt.

Er mochte Zwerge. Sie gaben gute Polizisten ab und waren von Natur aus gesetzestreu, zumindest in der Abwesenheit von Alkohol. Doch diese Zwerge starrten ihn alle an. Er fühlte den Druck ihrer Blicke.

Herumzustehen und Leute zu beobachten war natürlich die führende Industrie von Ankh-Morpork. Dieser Ort hätte durchdringende Blicke exportieren können. Aber es waren durchdringende Blicke der falschen Art. Die Straße fühlte sich nicht direkt feindselig an, aber fremd. Und doch war es eine Straße in Ankh-Morpork. Wie konnte Mumm hier ein Fremder sein?

Vielleicht hätte ich keinen Troll mitbringen sollen, dachte er. Doch wohin sollte das führen? Wähl deinen eigenen Polizisten aus?

Zwei Zwerge hielten vor Schinkenbrechers Haus Wache. Sie waren schwerer bewaffnet als der durchschnittliche Zwerg – wenn sich das überhaupt bewerkstelligen ließ –, aber vermutlich waren es die schwarzen Lederschärpen der beiden Wächter, die für gedämpfte Stimmung sorgten. Sie wiesen diejenigen, die ihre Bedeutung kannten, darauf hin, dass diese Zwerge in den Diensten der Tiefener standen, und trugen damit bei zu der Mischung aus Magie, Mana, Ehrfurcht und Sorge bei den gewöhnlichen Zwergen.

Sie schenkten Mumm den typischen Blick aller Wächter, und der besagte: Normalerweise wärst du bereits tot; nur meine Geduld hält dich am Leben. Doch darauf war Mumm vorbereitet. Jede der fünf Höllen, deren Namen jemand nennen konnte, wusste: Er hatte ihn oft genug selbst benutzt. Er konterte mit dem distanzierten Gesichtsausdruck eines Mannes, der keine Wächter zur Kenntnis nahm.

»Kommandeur Mumm, Stadtwache«, sagte er und hob seine Dienstmarke. »Ich muss sofort mit Grag Schinkenbrecher sprechen.«

»Er empfängt niemanden«, sagte einer der beiden Wächter.

»Oh. Er ist also tot?«, fragte Mumm.

Er fühlte die Antwort und brauchte nicht einmal Anguas kurzes Nicken zu sehen. Die Zwerge hatten die Frage gefürchtet und schwitzten.

Zu ihrem schockierten Entsetzen und auch zu seiner eigenen Überraschung setzte er sich zwischen ihnen auf die Stufen und holte ein Päckchen mit billigen Zigarren hervor.

»Ich biete euch Jungs keine an, denn ich weiß, dass ihr im Dienst nicht rauchen dürft«, sagte Mumm gemütlich. »Meinen Jungs erlaube ich es auch nicht. Ich komme nur deshalb damit durch, weil es niemanden gibt, der mich verpetzt, haha.« Er blies blauen Rauch aus. »Ihr wisst, dass ich das Oberhaupt der Stadtwache bin?«

Die beiden Zwerge starrten geradeaus und nickten kaum merklich.

»Gut«, sagte Mumm. »Und das bedeutet, dass ihr beide mich bei der Ausübung meiner Pflicht behindert. Was mir eine ganze Reihe von Möglichkeiten eröffnet. Diejenige, an die ich gerade denke, ist die, den Obergefreiten Dorfl zu rufen. Er ist ein Golem. Nichts hindert ihn an der Ausübung seiner Pflicht, glaubt mir. Ihr werdet wochenlang Teile dieser Tür vom Boden aufsammeln. Und an eurer Stelle würde ich ihm nicht in den Weg treten. Und es wäre rechtens, was bedeutet: Wenn sich jemand zur Wehr setzt, wird die Sache richtig interessant. Ich sage euch das, weil ich im Lauf der Jahre selbst oft Wache gestanden habe, und daher weiß ich: Manchmal funktioniert es, stark zu wirken, doch bei anderen Gelegenheiten – und ich versichere euch, dies ist eine davon – geht man besser hinein und fragt die Leute drinnen, was man tun soll.«

»Wir dürfen unseren Posten nicht verlassen«, sagte einer der Zwerge.

»Macht euch darüber keine Gedanken.« Mumm stand auf. »Ich halte für euch Wache.«

»Das geht nicht!«

Mumm beugte sich zum Ohr eines der Zwerge hinab.

»Ich bin der Kommandeur der Wache«, zischte er, jetzt nicht mehr Herr Freundlich. Er deutete auf das Kopfsteinpflaster. »Dies ist meine Straße. Ich kann stehen, wo ich will. Du stehst auf meiner Straße. Sie ist ein öffentlicher Ort. Was mir ungefähr zwei Dutzend Gründe gibt, dich zu verhaften. Das würde Ärger geben, ja, aber du wärst mittendrin. Ich habe einen guten Rat für dich, von einem Wächter zum anderen: Lauf los, und sprich mit jemandem, der… weiter oben auf der Leiter steht.«

Er sah besorgte Augen zwischen den wuchernden Brauen und dem üppigen Bart. Und er entdeckte die kleinen, subtilen Hinweise, die er zu erkennen gelernt hatte. »Na los, Verehrteste.«

Die Zwergin hämmerte an die Tür. Die Klappe darin öffnete sich. Es wurde geflüstert. Die Tür wurde geöffnet. Die Zwergin trat ein. Die Tür schloss sich. Mumm drehte sich um und nahm Haltung an, etwas theatralischer als nötig.

Hier und dort lachte jemand. Es mochten Zwerge sein, aber in Ankh-Morpork wollten die Leute immer sehen, was als Nächstes geschah.

Der übrig gebliebene Zwerg sagte leise: »Wir dürfen im Dienst nicht rauchen!«

»Oh, Entschuldigung.« Mumm nahm die Zigarre aus dem Mund und schob sie sich für später hinters Ohr. Das brachte ihm einige weitere Lacher ein. Sollen sie lachen, dachte er. Wenigstens werfen sie nicht mit irgendwelchen Dingen.

Die Sonne schien. Die Menge stand still. Feldwebel Angua beobachtete den Himmel und achtete darauf, dass ihr Gesicht leer blieb. Detritus wartete mit der absoluten, felsartigen Reglosigkeit eines Trolls, für den es derzeit nichts zu tun gab. Nur Ringgießer wirkte nervös. Dies war vermutlich weder der richtige Ort noch ein geeigneter Zeitpunkt, um ein Zwerg mit einer Dienstmarke zu sein, dachte Mumm. Aber warum? Während der letzten beiden Wochen haben wir doch nur versucht, zwei Gruppen von Idioten daran zu hindern, sich gegenseitig umzubringen.

Und jetzt dies. Für diesen Morgen würde er etwas zu hören bekommen, obgleich Sybil nie laut wurde, wenn sie ihn tadelte. Sie sprach nur traurig, was viel schlimmer war.

Das verdammte Familienporträt – dort lag das Problem. Es schien viele Sitzungen zu erfordern, aber in Sybils Familie gehörte es zur Tradition, basta. Es war in jeder Generation mehr oder weniger das gleiche Porträt: die fröhliche Familiengruppe vor dem Hintergrund ihrer weiten Ländereien. Mumm hatte keine weiten Ländereien, nur schmerzende Füße, aber als Erbe des Käsedick-Vermögens war er auch, wie er erfahren hatte, Eigentümer von Crundells, einem herrschaftlichen Anwesen auf dem Land. Er war noch nicht einmal dort gewesen. Mumm hatte nichts gegen das Land, solange es friedlich blieb und nicht angriff, aber er mochte Pflaster unter seinen Füßen und legte keinen besonderen Wert darauf, dass man ihn als eine Art Gutsherr darstellte. Bisher waren seine Entschuldigungen dafür, nicht zu den endlosen Sitzungen zu erscheinen, vernünftig gewesen, aber allmählich wurde es eng…

Mehr Zeit verstrich. Einige Zwerge in der Menge gingen fort. Mumm bewegte sich nicht, nicht einmal dann, als er hörte, wie sich die Klappe in der Tür kurz öffnete und dann wieder schloss. Sie versuchten, die Sache auszusitzen.

»Bimmel-bimmel-bimm-bumm-bamm-bimmel-bimm!«

Mumm sah nicht nach unten und behielt seinen gleichmütigen, tausend Meilen weit reichenden Wächterblick, als er den Disorganizer hervorholte und ihn an die Lippen hob.

»Ich weiß, dass du ausgeschaltet warst«, brummte er.

»Ich schalte mich selbst wieder ein, um dich an bestimmte Dinge zu erinnern«, erwiderte der Kobold.

»Wie kann ich das verhindern?«

»Die korrekte Wortfolge steht im Handbuch, Hier Namen Einfügen«, antwortete der Kobold steif.

»Wo ist das Handbuch?«

»Du hast es weggeworfen«, sagte der Kobold vorwurfsvoll. »Das machst du immer. Deshalb benutzt du nie die richtigen Befehle, und das ist der Grund, warum ich gestern nicht losgegangen bin, um ›meinen Kopf in einen Entenhintern zu stecken‹. Du hast in einer halben Stunde einen Termin bei Lord Vetinari.«

»Ich habe zu tun«, brummte Mumm.

»Möchtest du, dass ich dich in zehn Minuten noch einmal daran erinnere?«

»Sag mir, welchen Teil von ›Geh und steck deinen Kopf in einen Entenhintern‹ du nicht verstehst«, erwiderte Mumm und ließ das Ding wieder in seiner Tasche verschwinden.

Es war also eine halbe Stunde vergangen. Eine halbe Stunde genügte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als drastische Maßnahmen zu ergreifen. Er hatte bemerkt, auf welche Weise die Zwerge Detritus ansahen – Gerüchte waren ein gefährliches Gift.

Als er vortrat, dazu bereit, Dorfl zu holen und damit eine Menge Probleme zu verursachen, für die Zwerge ebenso wie für ihn selbst, öffnete sich hinter ihm die Tür.

»Kommandeur Mumm? Du kannst hereinkommen.«

Ein Zwerg stand im Eingang. Mumm konnte in der Düsternis nur seine Umrisse erkennen. Und zum ersten Mal bemerkte er das mit Kreide gemalte Symbol über der Tür: ein Kreis mit einer horizontalen Linie.

»Feldwebel Angua wird mich begleiten«, sagte er. Das Symbol bereitete Mumm vages Unbehagen. Es schien nachdrücklicher einen Besitzanspruch zu vermitteln als ein Schild mit der Aufschrift »Mon Repos«.

»Der Troll bleibt draußen«, sagte die Gestalt kategorisch.

»Feldwebel Detritus hält Wache, zusammen mit Korporal Ringgießer«, sagte Mumm.

Diese neue Formulierung einer Tatsache schien einer Überprüfung standzuhalten, was darauf hindeutete, dass der Zwerg zwar viel von hartem Eisen verstand, aber nur wenig von harter Ironie.

Abgesehen von einigen aufeinander gestapelten Kisten war der Flur leer, und die Luft roch nach… Was? Verdorbenen Lebensmitteln. Alten leeren Häusern. Verschlossenen Zimmern. Dachböden.

Das ganze Haus ist ein Dachboden, dachte Mumm. Hier hörte er das Bumm-bumm, Klonk-klonk in der Tiefe. Es klang wie ein Herzschlag.

»Bitte hier entlang«, sagte der Zwerg und führte Mumm und Angua in einen Nebenraum. Auch dort bestand die einzige Einrichtung aus Holzkisten. Hier und dort standen einige abgenutzte Schaufeln.

»Wir empfangen hier nicht oft Gäste. Bitte habt Geduld.« Der Zwerg verließ das Zimmer. Ein Schlüssel klickte im Schloss.

Mumm nahm auf einer der Kisten Platz.

»Höflich«, sagte Angua. Mumm hob eine Hand an sein Ohr und deutete mit dem Daumen auf den feuchten, fleckigen Verputz. Angua nickte, formte mit den Lippen das Wort »Leiche« und zeigte nach unten.

»Bist du sicher?«, fragte Mumm.

Angua klopfte sich an die Nase. »Ja!« Der Nase eines Werwolfs konnte man nicht widersprechen.

Mumm lehnte sich an eine größere Kiste. Sie bot einem Mann Bequemlichkeit, der gelernt hatte, an eine Mauer gelehnt zu schlafen.

Der Verputz an der gegenüberliegenden Wand war bröckelig, voll grünem Schimmel und alten, staubigen Spinnweben. Aber jemand hatte ein Symbol hineingekratzt, so tief, dass sich der Verputz gelöst hatte. Es war ein weiterer Kreis, diesmal mit zwei diagonalen Linien. Es strahlte Leidenschaft aus; so etwas erwartete man nicht unbedingt bei Zwergen.

»Du nimmst dies erstaunlich gut auf, Herr«, sagte Angua. »Du weißt doch, dass es absichtliche Unhöflichkeit ist.«

»Unhöflichkeit verstößt nicht gegen das Gesetz, Feldwebel.« Mumm zog sich den Helm über die Augen.

Die kleinen Teufel! Spielen Dumme Dussel mit mir. Versuchen, mich zu ärgern. Die Wache darf nichts erfahren? Es gibt keine Sperrgebiete in dieser Stadt. Ich werde dafür sorgen, dass sie das herausfinden.

In der letzten Zeit gab es immer mehr Tiefener in der Stadt, obwohl man sie nur selten außerhalb der Zwergenviertel sah. Selbst dort sah man sie nicht direkt, sondern nur ihre staubigen schwarzen Sänften, von vier anderen Zwergen durch die Menge getragen. Sie hatten keine Fenster – draußen gab es nichts, das ein Tiefener sehen wollte.

Die Stadtzwerge begegneten ihnen mit Ehrfurcht, Respekt und auch, das musste gesagt werden, mit einer gewissen Verlegenheit, wie einem zwar ehrenvollen, aber auch ein wenig durchgedrehten Verwandten. Denn irgendwo im Kopf eines jeden Stadtzwergs gab es eine leise Stimme, die sagte: Du solltest in einer Mine leben, du solltest in den Bergen sein, du solltest nicht unter dem offenen Himmel gehen, du solltest ein richtiger Zwerg sein. Mit anderen Worten: Du solltest eigentlich nicht in der Farbstoffe-und-Farben-Fabrik deines Onkels bei den Tollen Schwestern arbeiten. Aber da du dort arbeitest, könntest du wenigstens versuchen, wie ein richtiger Zwerg zu denken. Und dazu gehört es, sich von den Tiefenern leiten zu lassen, den Zwergen der Zwerge, die in Höhlen Meilen unter der Oberfläche leben und nie die Sonne sehen. Irgendwo dort unten im Dunkeln lag die wahre Zwergenhaftigkeit. Die Tiefener wussten davon und konnten einem den Weg zeigen…

Mumm hatte damit überhaupt keine Probleme. Es ergab ebenso viel Sinn wie die Dinge, an die die meisten Menschen glaubten, und die meisten Zwerge waren vorbildliche Bürger, wenn auch nur zwei Drittel so groß.

Aber zu entscheiden, dass Mord in der Familie bleibt?, dachte Mumm. Nicht in meiner Wache!

Nach zehn Minuten wurde die Tür aufgeschlossen, und ein anderer Zwerg kam herein. Er trug die Kleidung, die Mumm als »Standard-Stadtzwerg« einordnete: Helm, Leder, Kettenhemd, Streitaxt beziehungsweise Spitzhacke, minus die mit Spitzen besetzte Keule. Hinzu kam eine schwarze Schärpe. Der Zwerg wirkte nervös.

»Kommandeur Mumm! Was soll ich sagen? Ich entschuldige mich für die Art und Weise, wie man dich behandelt hat!«

Oh, natürlich. Laut sagte Mumm: »Und wer bist du?«

»Ich entschuldige mich erneut! Ich bin Helmgescheit und so etwas wie… das passende Wort heißt vielleicht ›Tagesgesicht‹. Ich erledige die Dinge, die über dem Boden erledigt werden müssen. Bitte kommt in mein Büro!« Er eilte fort und überließ es Mumm und Angua, ihm zu folgen.

Das Büro lag weiter unten, zwischen den steinernen Wänden des Kellers. Es wirkte recht heimelig. An der einen Wand waren Kisten und Säcke gestapelt. Für Nahrungsmittel blieb in tiefen Höhlen nicht viel Platz; das schlichte Leben der Zwerge in der Tiefe konnte nur existieren, weil viele Zwerge an der Oberfläche ein recht komplexes Leben führten. Helmgescheit schien kaum mehr zu sein als ein Bediensteter, der dafür sorgte, dass seine Herren genug zu essen hatten, obwohl er seine Aufgaben für wichtiger hielt. Der Vorhang in einer Ecke verbarg vermutlich ein Bett; Zwerge hielten nichts von einer luxuriösen Lebensweise.

Papiere lagen auf einem Schreibtisch. Daneben, auf einem kleinen Tisch, ruhte ein achteckiges Brett mit kleinen Spielfiguren. Mumm seufzte. Er hasste Spiele. Sie ließen die Welt zu einfach aussehen.

»Oh, spielst du, Kommandeur?«, fragte Helmgescheit mit dem begierigen Blick des wahren Enthusiasten. Mumm kannte den Typ. Wenn man höfliches Interesse zeigte, kam man die ganze Nacht nicht mehr davon los.

»Lord Vetinari spielt. Mich hat es nie interessiert«, sagte Mumm.4 »Helmgescheit ist kein gewöhnlicher Zwergenname. Bist du zufälligerweise mit den Helmgescheits in der Talgstraße verwandt?«

Er hatte nur ein wenig Konversation treiben und das Eis brechen wollen, aber genauso gut hätte er fluchen können. Helmgescheit senkte den Blick. »Äh, ja… aber für einen Grag, selbst für einen Novizen, ist die ganze Zwergenheit seine… Familie. Es wäre nicht… nein, es wäre nicht…« Er unterbrach sich, und ein anderer Teil seines Gehirns sprang ein. »Möchtet ihr Kaffee? Ich hole welchen.«

Mumm öffnete den Mund, um abzulehnen, überlegte es sich dann aber anders. Zwerge kochten guten Kaffee, und ein entsprechender Duft kam aus dem Nebenzimmer. Außerdem verriet Helmgescheits Nervosität, dass er heute schon ziemlich viel Kaffee getrunken hatte. Es konnte nicht schaden, ihm Gelegenheit zu geben, noch mehr davon zu trinken. Er wies die Angehörigen seiner Wache immer wieder darauf hin: Viele wurden nervös in der Nähe von Polizisten, die ihren Job verstanden, und nervöse Leute verrieten viel.

Während der Abwesenheit des Zwergs sah sich Mumm noch einmal in dem Raum um und entdeckte die Worte Der Koomtalkodex auf dem Rücken eines halb zwischen den Papieren verborgenen Buches.

Schon wieder das verdammte Tal, diesmal noch seltsamer. Sybil hatte es gekauft, wie der größte Teil der lesenden Bevölkerung von Ankh-Morpork, und ihn zum Königlichen Kunstmuseum geschleppt, um ihm dort das scheußliche Bild des armen Kerls zu zeigen. Ein Gemälde mit Geheimnissen? Ach ja? Und wie konnte ein irrer menschlicher Künstler vor hundert Jahren das Geheimnis einer Schlacht kennen, die vor tausenden von Jahren stattgefunden hatte? Sybil meinte, in dem Buch hieße es, dass der Künstler etwas auf dem Schlachtfeld gefunden hatte, aber irgendein Spuk steckte darin, und Stimmen redeten ihm ein, er wäre ein Huhn.

Als Helmgescheit die Becher hereinbrachte und nur ein wenig ihres Inhalts auf dem Schreibtisch verschüttete, weil seine Hand zitterte, sagte Mumm: »Ich muss zu Grag Schinkenbrecher.«

»Tut mir Leid, das ist nicht möglich.«

Die Antwort kam mit ruhiger Entschiedenheit, als hätte der Zwerg geübt. Aber es flackerte in seinen Augen, und Mumm bemerkte ein recht großes Gitter in der Wand.

Angua hüstelte leise. Na schön, dachte Mumm. Jemand hört zu.

»Herr Helm…gescheit«, sagte er. »Ich habe Grund zu der Annahme, dass auf dem Boden von Ankh-Morpork ein schweres Verbrechen begangen wurde.« Er fügte hinzu: »Unter dem Boden, meine ich. Aber jedenfalls in Ankh-Morpork.«

Erneut war es die seltsame Ruhe, die Helmgescheit verriet. Ein gehetzter Blick lag in seinen Augen. »Ich bedauere sehr, das zu hören. Wie kann ich helfen, den Fall zu lösen?«

Okay, dachte Mumm. Ich habe ja gesagt, dass ich nicht spiele.

»Indem du mir die Leiche weiter unten zeigst«, antwortete er.

Es bereitete ihm große Genugtuung, zu beobachten, wie Helmgescheit in sich zusammensackte. Mumm beschloss, den Vorteil auszunutzen. Er holte seine Dienstmarke hervor.

»Meine Autorität, Herr Helmgescheit. Ich werde diesen Ort durchsuchen. Es wäre mir lieber, mit deiner Erlaubnis.«

Der Zwerg zitterte, aus Furcht oder Sorge. Vermutlich war beides der Grund. »Du willst in unsere Räumlichkeiten eindringen? Ausgeschlossen! Das Zwergengesetz…«

»Dies ist Ankh-Morpork«, sagte Mumm. »Bis ganz nach oben und bis ganz nach unten. Von Eindringen und dergleichen kann nicht die Rede sein. Willst du wirklich behaupten, es stünde mir nicht zu, die Keller zu durchsuchen? Bring mich jetzt zu Grag Schinkenbrecher oder zu wem auch immer, der hier das Sagen hat! Sofort!«

»Ich… weigere mich, auf deine Bitte einzugehen!«

»Es war keine Bitte!«

Und jetzt erreichen wir unser eigenes kleines Koomtal, dachte Mumm, als er Helmgescheit in die Augen sah. Keiner gibt nach. Wir glauben beide, Recht zu haben. Aber er irrt sich!

Eine Bewegung veranlasste ihn, den Blick zu senken. Helmgescheits zitternde Hand hatte aus dem verschütteten Kaffee einen Kreis gemalt, und Mumm beobachtete, wie die zitternden Finger des Zwergs dem Kreis zwei Linien hinzufügten. Er sah in Augen voller Zorn und Furcht… Und es lag noch etwas anderes in ihnen.

»Ah. Kommandeur Mumm, nicht wahr?«, sprach eine Gestalt in der Tür.

Die Worte hätten von Lord Vetinari stammen können. Es war der gleiche Tonfall, der darauf hinwies, dass der Sprecher einen bemerkt hatte und dass man nur eine kleine zu erledigende Aufgabe darstellte. Aber die Worte stammten vermutlich von einem anderen Zwerg, der eine steife, spitz zulaufende schwarze Kapuze trug, die ihn auf eine Höhe mit einem durchschnittlichen Menschen brachte.

Sich überlappende Schuppen aus Leder verhüllten ihn vollkommen, ließen nur einen schmalen Schlitz für die Augen offen. Wäre nicht die stille Autorität in der Stimme gewesen, hätte man die Gestalt vor Mumm für eine sehr düstere Silvesterdekoration halten können.

»Und du bist…?«, fragte Mumm.

»Mein Name lautet Feurig, Kommandeur. Helmgescheit, geh deinen Pflichten nach!«

Das »Tagesgesicht« huschte fort, und Mumm drehte sich im Sitzen, wischte dabei mit einer Hand das klebrige Symbol auf dem Schreibtisch weg. »Möchtest du mir ebenfalls helfen?«, fragte er.

»Wenn ich kann«, sagte der Zwerg. »Bitte folge mir. Es wäre besser, wenn der Feldwebel dich nicht begleitet.«

»Warum?«

»Aus dem offensichtlichen Grund«, sagte Feurig. »Sie ist ganz klar eine Frau.«

»Na und?«, erwiderte Mumm. »Feldwebel Angua ist definitiv keine Zwergin. Du kannst nicht erwarten, dass sich alle an eure Regeln halten!«

»Warum nicht?«, fragte der Zwerg. »Du erwartest das von allen anderen. Aber könnten wir nicht zusammen, nur für den Moment, zu meinem Büro gehen und die Dinge dort besprechen?«

»Mach dir keine Sorgen um mich, Herr«, sagte Angua. »Wahrscheinlich ist es besser so.«

Mumm versuchte, sich zu entspannen. Er wusste, dass er sich langsam in Rage bringen ließ. Die stummen Beobachter auf der Straße hatten ihm zugesetzt, und der Blick, den er von Helmgescheit erhalten hatte, erforderte einiges Nachdenken. Aber…

»Nein«, sagte er.

»Du bist nicht zu diesem kleinen Zugeständnis bereit?«

»Ich mache bereits einige große Zugeständnisse, glaub mir«, erwiderte Mumm.

Die verborgenen Augen unter der spitzen Kapuze starrten ihn einige Sekunden lang an.

»Na schön«, sagte Feurig. »Bitte folgt mir.«

Der Zwerg drehte sich um, öffnete eine Tür und trat in einen kleinen, quadratischen Raum. Mit einem Wink forderte er sie auf, sich ihm hinzuzugesellen, und als sie bei ihm waren, zog er einen Hebel.

Der Raum erzitterte ein wenig, und dann glitten die Wände nach oben.

»Dies ist…«, begann Feurig.

»… ein Lift«, sagte Mumm. »Ja, ich weiß. Ich habe sie gesehen, als ich beim Niederen König in Überwald gewesen bin.«

Der Name erzielte nicht die gewünschte Wirkung.

»Der Niedere König wird hier… nicht respektiert«, sagte Feurig.

»Ich habe ihn für das Oberhaupt aller Zwerge gehalten«, meinte Mumm.

»Ein weit verbreitetes Missverständnis. Ah, wir sind da.«

Der Lift hielt mit einem kaum wahrnehmbaren Ruck.

Mumm machte große Augen.

Ankh-Morpork war auf Ankh-Morpork erbaut. Das wussten alle. Schon vor zehntausend Jahren hatte man hier mit Steinen gebaut. Die jährliche Überschwemmung des Ankh brachte immer mehr Schlick, und so wuchs die Stadt auf ihren eigenen Mauern, bis aus Dachböden Keller wurden. Es hieß, dass ein Mann mit Spitzhacke selbst heute die Stadt auf dem Kellerniveau durchqueren konnte, indem er unterirdische Mauern durchbrach – vorausgesetzt, er konnte auch Schlamm atmen.

Was war dieser Ort einst gewesen? Ein Palast? Der Tempel eines inzwischen in Vergessenheit geratenen Gottes? Es war ein großer Ort, dunkel wie Ruß, aber ein Glühen erhellte die wundervoll gewölbte Decke. Ein sonderbares Glühen.

»Spezielle Vürmer«, sagte Feurig. »Aus den tiefen Höhlen in den Bergen um Llamedos. Wir haben sie mitgebracht, und hier vermehren sie sich schnell. Sie finden euren Schlick recht nahrhaft. Ich bin sicher, sie leuchten auch mehr.«

Das Glühen bewegte sich. Es war nicht sehr hell, ließ Umrisse hervortreten, und es näherte sich dem Lift, strömte über die wundervolle Decke.

»Wärme und Bewegung locken sie an, selbst jetzt«, sagte der Zwerg mit der Kapuze.

»Äh… warum?«

Feurig lachte kurz. »Für den Fall, dass du stirbst, Kommandeur. Sie glauben, dass du eine Ratte oder ein anderes Tier bist, das in diese Höhle gefallen ist. Nahrung ist knapp in der Tiefe. Und wenn du schließlich stirbst… dann kommen sie herab. Sie sind sehr geduldig und lassen nur die Knochen übrig.«

»Ich habe nicht vor, hier mein Leben zu beenden«, sagte Mumm.

»Natürlich nicht. Bitte folgt mir«, sagte Feurig und führte Mumm und Angua an einer großen, runden Tür vorbei. Auf der anderen Seite des Raums gab es weitere Türen dieser Art und mehrere leere Tunnelöffnungen.

»Wie weit unten sind wir hier?«

»Nicht sehr weit. Etwa zwölf Meter. Wir sind gut im Graben.«

»In dieser Stadt?«, fragte Mumm. »Warum versuchen wir nicht, unter Wasser zu atmen? Sofern man dabei überhaupt von Wasser sprechen kann.«

»Wir sind auch sehr gut darin, Wasser fern zu halten. Was uns bei Samuel Mumm leider weniger gut zu gelingen scheint.« Der Zwerg trat in einen kleineren Raum, an dessen Decke viele Vürmer glühten, und deutete auf zwei ganz offensichtlich für Zwerge bestimmte Stühle. »Bitte nehmt Platz. Kann ich euch Erfrischungen anbieten?«

»Nein, danke«, sagte Mumm. Vorsichtig sank er auf einen der beiden Stühle und stellte fest, dass seine Knie fast bis zum Kinn reichten. Feurig setzte sich hinter einen kleinen Schreibtisch aus Steinplatten und nahm zu Mumms Überraschung seine Kopfbedeckung ab. Er wirkte recht jung, und sein Bart war gepflegt.

»Wie weit reichen all die Tunnel?«, fragte Mumm.

»Ich beabsichtige nicht, dir das zu sagen«, erwiderte Feurig ruhig.

»Ihr untergrabt also meine Stadt?«

»Ach, Kommandeur! Du bist in den Höhlen von Überwald gewesen. Du hast gesehen, wie Zwerge bauen. Wir sind Könner. Befürchte nicht, dass dein Haus einstürzt.«

»Aber ihr baut nicht nur Keller!«, sagte Mumm. »Ihr habt hier… Bergwerke eingerichtet!«

»In gewisser Weise. Man könnte sagen, dass unsere Bergwerksarbeit Löchern gilt. Platz, Kommandeur, darum geht es. Ja, wir graben nach Löchern. Zwar haben wir bei unseren Bohrungen tiefen Sirup gefunden, aber es interessiert dich vielleicht, zu erfahren…«

»Das könnt ihr nicht machen!«

»Können wir nicht? Aber wir machen es trotzdem«, sagte Feurig gelassen.

»Ihr wühlt unter dem Eigentum anderer Leute?«

»Kaninchen wühlen, Kommandeur. Wir graben. Und ja, wir graben unter dem Eigentum anderer Leute. Wie weit nach unten reicht das Eigentumsrecht? Und wie weit nach oben?«

Mumm musterte den Zwerg. Beruhig dich, dachte er. Hiermit wirst du nicht fertig. Die Sache ist zu groß für dich. Vetinari muss darüber entscheiden. Bleib bei dem, was du weißt. Bleib bei dem, womit du fertig werden kannst.

»Ich ermittle wegen Berichten über einen Todesfall«, sagte er.

»Ja. Grag Schinkenbrecher. Ein schreckliches Unglück«, sagte Feurig mit wütend machender Ruhe.

»Ich habe gehört, dass er einem gemeinen Mord zum Opfer gefallen ist.«

»Das wäre eine angemessene Beschreibung.«

»Du gibst es also zu?«, fragte Mumm.

»Ich nehme an, damit meinst du: ›Gebe ich zu, dass ein Mord geschehen ist?‹, Kommandeur. Ja. Es ist ein Mord geschehen. Und wir kümmern uns darum.«

»Wie?«

»Wir denken an die Ernennung eines Zadkrdga«, antwortete Feurig und faltete die Hände. »Das ist ›jemand, der schmelzt‹. Jemand, der in der Schlacke der Verwirrung das reine Erz der Wahrheit findet.«

»Ihr denkt daran? Habt ihr den Tatort abgeriegelt?«

»Der Schmelzer könnte eine solche Anweisung erteilen, Kommandeur, aber wir wissen bereits, dass die Tat von einem Troll begangen wurde.« Feurigs Gesicht zeigte eine amüsierte Verachtung, die Mumm gern daraus entfernt hätte.

»Woher wisst ihr das? Gibt es Zeugen?«

»Nicht in dem Sinne. Aber neben der Leiche hat man die Keule eines Trolls gefunden«, sagte der Zwerg.

»Und weitere Beweise habt ihr nicht?« Mumm stand auf. »Mir reicht’s. Feldwebel Angua!«

»Herr?«, meldete sich Angua an seiner Seite.

»Lass uns gehen. Wir suchen den Tatort auf, solange es dort noch irgendwelche Spuren gibt!«

»In den unteren Bereichen habt ihr nichts verloren!«, sagte Feurig scharf und erhob sich ebenfalls.

»Wie willst du mich aufhalten?«

»Wie willst du durch verschlossene Türen gehen?«

»Wie wollt ihr herausfinden, wer Schinkenbrecher umgebracht hat?«

»Wie ich schon sagte, man hat eine Trollkeule neben ihm gefunden.«

»Und das ist alles? ›Wir haben eine Keule gefunden, also ist der Täter ein Troll‹? Und das soll jemand glauben? Mit solch einem Unsinn wollt ihr in meiner Stadt einen Krieg beginnen? Denn das passiert, wenn dies herauskommt, glaub mir. Versuch es, und ich verhafte dich!«

»Und willst du damit einen Krieg in deiner Stadt riskieren?«, fragte Feurig.

Zwerg und Mensch starrten sich an, während sie nach Luft schnappten. An der Decke über ihnen versammelten sich Vürmer und labten sich an einem Festmahl aus Speichel und Zorn.

»Warum sollte jemand anderer als ein Troll einen Grag töten?«, fragte Feurig.

»Gut! Du stellst Fragen!« Mumm beugte sich über den Schreibtisch. »Wenn du wirklich Antworten möchtest, schließ die Türen auf!«

»Nein! Du kannst nicht nach unten, Tafelwart Mumm!«

Selbst das Wort »Kindermörder« hätte nicht giftiger klingen können.

Mumm riss die Augen auf.

Tafelwart. Das war er tatsächlich gewesen, in der kleinen Schule vor mehr als fünfundvierzig Jahren. Seine Mutter hatte darauf bestanden. Allein die Götter wussten, woher sie den täglichen Cent für dieses Amt genommen hatte, obwohl Lehrerin Windig auch bereit gewesen war, Naturalien zu akzeptieren, zum Beispiel alte Kleidung, Feuerholz und vorzugsweise Gin. Zahlen, Buchstaben, Gewichte und Maße; von einem großen Lehrplan konnte kaum die Rede sein. Mumm hatte die Schule neun Monate lang besucht, bevor die Straßen von ihm verlangten, dass er viel härtere und schärfere Lektionen lernte. Aber für eine Weile hatte er die kleinen Schiefertafeln verteilt und die große Tafel gesäubert. Ein berauschendes Gefühl der Macht für einen Sechsjährigen!

»Leugnest du es?«, fragte Feurig. »Du zerstörst geschriebene Worte. Das hast du dem Niederen König von Überwald gegenüber zugegeben.«

»Es war ein Scherz!«, erwiderte Mumm.

»Ach? Du streitest es also tatsächlich ab?«

»Was? Nein! Er war von meinen Titeln beeindruckt, und diesen habe ich aus… Spaß hinzugefügt.«

»Leugnest du das Verbrechen?«, beharrte Feurig.

»Verbrechen? Ich habe die Tafel abgewischt, damit neue Worte darauf geschrieben werden konnten! Ist das ein Verbrechen?«

»Ist es dir gleich, wohin du jene Worte geschickt hast?«, fragte Feurig.

»Wohin ich sie geschickt habe? Sie waren nur Kreidestaub!«

Feurig seufzte und rieb sich die Augen.

»Hast du eine lange Nacht hinter dir?«, erkundigte sich Mumm.

»Kommandeur, ich weiß, dass du jung warst und dir vielleicht nicht klar war, was du getan hast, und du musst jetzt verstehen: Für uns hat es den Anschein, dass du stolz auf deine Komplizenschaft beim schrecklichsten Verbrechen aller Verbrechen bist: der Zerstörung von Worten.«

»Wie bitte? Wer ›A wie Apfel‹ wegwischt, begeht ein Kapitalverbrechen?«

»Ein Verbrechen, das für einen wahren Zwerg undenkbar wäre«, sagte Feurig.

»Im Ernst? Aber ich genieße das Vertrauen des Niederen Königs«, hielt ihm Mumm entgegen.

»Das habe ich gehört. Es gibt sechs ehrenwerte Grags unter uns, Kommandeur, und ihrer Meinung nach sind der Niedere König und die Seinen vom rechten Flöz abgekommen. Er ist…« Es folgte ein Satz auf Stakkato-Zwergisch, zu schnell, als dass Mumm irgendetwas verstehen konnte. Dann übersetzte Feurig. »… wischiwaschi. Gefährlich liberal. Seicht. Er hat das Licht gesehen.«

Feurig musterte ihn aufmerksam. Denk nach, forderte sich Mumm auf. Er hatte den Niederen König und seine Getreuen als ziemlich verkrustete Burschen kennen gelernt. Und diese Leute hielten sie für nachsichtige Liberale.

»Wischiwaschi?«, wiederholte er.

»Ja. Ich fordere dich auf, aus dieser Bemerkung auf die Einstellungen derjenigen zu schließen, denen ich tiefer unten diene.«

Ah, dachte Mumm. Hier ist etwas, ein kleiner Hinweis. Freund Feurig ist ein Denker.

»Wenn du sagst, ›er hat das Licht gesehen‹… Das klingt so, als wolltest du sagen, er ist korrupt.«

»Etwas in der Art, ja«, bestätigte Feurig. »Es sind verschiedene Welten, Kommandeur. Dort unten wäre es unklug, deinen Metaphern zu vertrauen. Das Licht zu sehen… Es bedeutet, geblendet zu sein. Weißt du nicht, dass sich in der Dunkelheit die Augen weiter öffnen?«

»Bring mich zu den Leuten in der Tiefe«, sagte Mumm.

»Sie würden dich nicht anhören. Sie würden dich nicht einmal ansehen. Sie haben nichts mit der Oberen Welt zu tun. Sie halten sie für eine Art bösen Traum. Ich habe es nicht gewagt, ihnen von euren ›Zeitungen‹ zu erzählen, die jeden Tag gedruckt und wie Abfall weggeworfen werden. Der Schock würde sie umbringen.«

Aber Zwerge hatten die Druckmaschine erfunden, dachte Mumm. Offenbar die falsche Art von Zwergen. Ich habe gesehen, wie Grinsi Dinge in den Papierkorb warf. Allem Anschein nach gehören fast alle Zwerge zur falschen Art.

»Was genau ist deine Aufgabe, Herr Feurig?«, fragte Mumm.

»Ich bin der erste Verbindungsmann mit der Oberen Welt. Gewissermaßen der Verwalter.«

»Ich dachte, das wäre Helmgescheits Job.«

»Helmgescheit? Er bestellt die Lebensmittel, gibt meine Anweisungen weiter und bezahlt die Leute, die die Tunnel graben und so. Er kümmert sich um die gewöhnlichen Arbeiten«, fügte Feurig abfällig hinzu. »Er ist ein Novize, und seine Aufgabe besteht darin, das zu tun, was ich ihm sage. Ich spreche für die Grags.«

»Du sprichst für sie mit den bösen Träumen?«

»Ich schätze, so könnte man es ausdrücken. Sie würden nicht zulassen, dass ein stolzer Wortzerstörer zu einem Schmelzer wird. Die Vorstellung wäre unerträglich.«

Sie starrten sich gegenseitig an.

Und erneut enden wir im Koomtal, dachte Mumm. »Sie werden…«

»Bitte um Erlaubnis, einen Vorschlag machen zu dürfen«, sagte Angua.

Zwei Köpfe drehten sich. Zwei Münder sagten: »Ja?«

»Der… Schmelzer. Der Sucher nach der Wahrheit. Muss er ein Zwerg sein?«

»Natürlich!«, erwiderte Feurig.

»Wie wäre es dann mit Hauptmann Karotte? Er ist ein Zwerg.«

»Wir kennen ihn. Er ist… eine Anomalie«, sagte Feurig. »Sein Anspruch auf Zwergigkeit ist diskutabel.«

»Aber die meisten Zwerge in der Stadt akzeptieren ihn als Zwerg«, sagte Angua. »Und er ist auch Polizist.«

Feurig lehnte sich zurück. »Für eure Zwerge hier ist er ein Zwerg, ja. Aber für die Grags wäre er inakzeptabel.«

»Kein Zwergengesetz verbietet es Zwergen, größer als eins achtzig zu werden.«

»Die Grags sind das Gesetz, Frau!«, schnappte Feurig. »Sie legen Gesetze aus, die mehr als zehntausend Jahre alt sind.«

»Nun, so alt sind unsere Gesetze nicht«, sagte Mumm. »Aber Mord ist Mord, überall. Die Sache ist bekannt geworden. Bei den Zwergen und Trollen brodelt es bereits, und dies wird alles zum Kochen bringen. Willst du einen Krieg?«

»Mit den Trollen? Das ist…«

»Nein, mit der Stadt. Ein Ort innerhalb der Mauern, wo das Gesetz nicht gilt? Das wird Seine Lordschaft nicht hinnehmen.«

»Du würdest es nicht wagen!«

»Sieh mir in die Augen«, sagte Mumm.

»Es gibt hier viel mehr Zwerge als Wächter«, sagte Feurig, aber sein amüsierter Gesichtsausdruck war verschwunden.

»Soll das heißen, beim Gesetz kommt es vor allem auf die Zahl an?«, fragte Mumm. »Ich dachte, ihr Zwerge verehrt das Konzept des Gesetzes. Ist es nur von der Zahl abhängig? Dann nehme ich mehr Leute in die Wache auf. Auch Trolle. Sie sind Bürger der Stadt, so wie ich. Bist du sicher, dass alle Zwerge auf deiner Seite sind? Ich werde Regimenter bilden. Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich weiß, wie die Dinge in Llamedos und Überwald laufen, aber hier laufen sie anders. Ein Gesetz, Herr Feurig. Das haben wir hier, und darum geht es. Wenn ich zulasse, dass irgendwer es nicht beachtet, könnte ich genauso gut die Wache dichtmachen.«

Mumm ging zur Tür. »Das ist mein Angebot. Ich gehe jetzt zum Pseudopolisplatz zurück…«

»Warte!«

Feurig starrte auf den Schreibtisch und trommelte mit den Fingern darauf.

»Ich kann dies nicht… entscheiden«, sagte er.

»Lass mich mit den Grags reden. Ich verspreche, keine Worte wegzuwischen.«

»Nein. Sie werden nicht mit dir sprechen wollen. Sie sprechen nicht mit Menschen. Sie warten unten. Sie haben von deiner Ankunft gehört und sind besorgt. Sie trauen Menschen nicht.«

»Warum?«

»Weil ihr keine Zwerge seid«, sagte Feurig. »Weil ihr… eine Art Traum seid.«

Mumm legte dem Zwerg die Hände auf die Schultern. »Dann lass uns nach unten gehen, wo wir mit den Grags über Albträume sprechen können«, sagte er. »Dann kannst du ihnen zeigen, welcher davon ich bin.«

Eine lange Pause folgte, und dann sagte Feurig: »Na schön. Aber nur unter Protest, wie dir klar sein sollte.«

»Ich nehme das gern zur Kenntnis«, sagte Mumm. »Danke für deine kooperative Einstellung.«

Feurig stand auf und holte einen Ring mit komplexen Schlüsseln unter seiner Kutte hervor.

Mumm versuchte, sich den Weg einzuprägen, aber das war sehr schwierig. Es gab zahlreiche Kurven und Abzweigungen in den düsteren Tunneln, die alle gleich aussahen. Nirgends war Wasser zu sehen. Wie weit reichten die Tunnel? Wie weit in die Tiefe? Wie weit in die Ferne? Zwerge gruben sich durch Granit. Wahrscheinlich konnten sie durch Flussschlamm schlendern.

An vielen Orten hatten die Zwerge nicht gegraben, sondern Häuser gesäubert, den Schlick entfernt und Tunnel zwischen alten, feuchten Zimmern angelegt. Und irgendwie war das Wasser verschwunden.