Und bei jeder Kurve spürte Mumm, wie sein Zorn zurückkehrte. Man führte sie im Kreis. Nur um sie zu ärgern. Feurig eilte voraus und überließ es Mumm, ihm zu folgen und dabei gelegentlich mit dem Kopf an die Decke zu stoßen.

Mumm geriet immer mehr in Wallung. Man führte sie an der Nase herum! Die Zwerge scherten sich weder um das Gesetz noch um ihn oder die Welt weiter oben. Sie untergraben unsere Stadt und missachten unsere Gesetze, dachte Mumm. Ein verdammter Mord ist geschehen. Er gibt es zu! Warum lasse ich mir dieses… Affentheater gefallen?

Sie kamen an einer weiteren Tunnelöffnung vorbei, aber diesmal verwehrte ein festgenageltes Brett den Zugang. Mumm zog sein Schwert und rief: »Was sich wohl dort drin befindet?« Er zerschlug das Brett und lief los, gefolgt von Angua.

»Ist das klug, Herr?«, fragte sie leise, als sie durch die Dunkelheit eilten.

»Nein. Aber ich habe genug von Herrn Feurig«, knurrte Mumm. »Noch ein kurvenreicher Tunnel, und ich komme mit einer speziellen Einsatzgruppe hierher zurück, und dann wird aufgeräumt, Politik oder nicht.«

»Beruhig dich, Herr!«

»Alles, was er sagt und tut, läuft auf eine Beleidigung hinaus! Ich könnte aus der Haut fahren!« Mumm ging mit energischen Schritten und schenkte den weiter hinten erklingenden Rufen des Zwergs keine Beachtung.

»Dort ist eine Tür, Herr!«

»Ja, ich bin nicht blind!«, sagte Mumm scharf. »Nur halb blind!«

Er streckte die Hand aus. Die große runde Tür hatte ein Rad in der Mitte, und darauf waren mit Kreide Zwergenrunen gemalt.

»Kannst du sie lesen, Feldwebel?«

»Äh… ›Todesgefahr! Überschwemmung! Kein Zutritt!‹«, sagte Angua. »Mehr oder weniger, Herr. Es sind Drucktüren. Ich habe sie in Bergwerken gesehen.«

»Und mit einer Kette gesichert«, sagte Mumm und streckte die Hand aus. »Sieht nach massivem Eisen aus… Au!«

»Herr?«

»Hab mir die Hand an einem Nagel aufgerissen!« Mumm griff in die Tasche, in der, wie nicht anders zu erwarten, ein sauberes Taschentuch steckte – Sybil sorgte täglich dafür.

»Ein Nagel in einer eisernen Tür, Herr?«, fragte Angua und sah genauer hin.

»Dann eben eine Niete. Kann in dieser Düsternis kaum was erkennen. Warum…«

»Ihr müsst mir folgen. Dies ist eine Mine! Hier ist es gefährlich«, sagte Feurig, als er zu ihnen aufschloss.

»Drohen noch immer Überschwemmungen?«, fragte Mumm.

»Das ist nicht auszuschließen! Wir wissen, wie man damit fertig wird! Bleibt in meiner Nähe!«

»Dazu wäre ich eher bereit, wenn wir den direkten Weg nähmen«, erwiderte Mumm. »Andernfalls suche ich vielleicht nach Abkürzungen!«

»Wir sind fast da, Kommandeur«, sagte Feurig und ging wieder los. »Fast da!«

 

 

Ohne Ziel und ohne Hoffnung wanderte der Troll…

Sein Name lautete Ziegel, obwohl er sich derzeit nicht daran erinnerte. Sein Kopf tat weh. Er tat sehr weh. Natürlich am Schramm es liegen. Was sie immer sagen? Wenn sinkt man so tief, dass man zusammenbraut Schramm, selbst die Küchenschaben sich bücken müssen, um zu spucken auf einen.

Gestern Abend… Was war geschehen? Welche Teile hatte er gesehen, welche Teile hatte er getan, welche Teile in dem pochenden, kochenden Kessel seines Gehirns waren real? Die Teile mit dem riesigen Wollelefanten, die waren vermutlich nicht real. Er war ziemlich sicher, dass es in dieser Stadt nicht geben große Wollelefanten, denn wenn es sie geben, dann er sie bestimmt schon einmal gesehen, ebenso wie große dampfende Dunghaufen auf der Straße, so was man wohl kaum übersehen

Er hieß Ziegel, weil er in der Stadt geboren war, und da Trolle aus metaphorischem Fels bestehen, übernehmen sie oft die Natur des lokalen Gesteins. Seine Haut zeigte ein schmutziges Orange, mit einem Netzwerk aus horizontalen und vertikalen Linien. Wenn Ziegel dicht vor einer Wand stand, konnte man ihn kaum sehen. Aber die meisten Leute sahen ihn ohnehin nicht. Er war die Art von Person, deren Existenz allein ein…

Die Mine mit den Zwergen drin, sie real gewesen? Man losgehen und einen Ort suchen, wo betrachten all die hübschen Bilder, und plötzlich sich wiederfinden in Zwergenloch? Das nicht gewesen sein kann real! Aber… auf der Straße es heißen, dass ein Troll gegangen in Zwergenloch, ja, und alle suchten den Troll, und nicht um zu schütteln ihm die Hand… Es heißen, dass die Brekzie wollte herausfinden sehr, und es so klingen, als sind sie nicht sehr glücklich. Nicht sehr glücklich darüber, dass ein Zwerg, der schlecht gesprochen über die Clans, von einem Troll gebracht worden war zum Schweigen? Sie blöd waren? Eigentlich es keine Rolle spielen, ob sie waren blöd oder nicht, denn oft sie stellten Fragen auf Weise, die monatelang nicht heilte, und deshalb er ihnen besser sollte gehen aus dem Weg.

Andererseits… Ein Zwerg einen Troll nicht unterscheiden konnte von anderem. Und niemand ihn gesehen hatte. Also er sich besser ganz normal verhalten sollte. Dann alles gut wurde. Alles gut. Außerdem, es nicht er gewesen sein konnte…

Ziegel – ja, das mein Name ist, wusste es die ganze Zeit über – bemerkte, dass der Beutel noch einen Rest von dem weißen Pulver enthielt. Jetzt brauchte er nur noch eine überraschte Taube und etwas Alkohol zu finden, irgendwelchen Alkohol, dann wäre alles gut. Ja. Gut. Nichts, über das man sich machen müsste Sorgen…

Ja.

 

 

Als Mumm ins helle Tageslicht trat, atmete er erst einmal tief durch. Dann zog er sein Schwert und schnitt eine Grimasse, als die verletzte Hand protestierte.

Frische Luft, genau das brauchte er. Tief unten war ihm schwindelig gewesen, und der winzige Schnitt in seiner Hand schmerzte wie verrückt. Vielleicht sollte er Igor bitten, sich die Wunde anzusehen. In dem Dreck dort unten konnte man sich vermutlich alles holen.

Ah, schon besser. Er fühlte, wie er sich beruhigte. Die Luft dort unten hatte sehr sonderbare Empfindungen in ihm geweckt.

Die Menge war jetzt mehr wie ein Mob, doch beim zweiten Blick sah Mumm, dass es sich mehr um das handelte, was er Rosinenkuchenmob nannte. Man braucht nicht viele Leute, um eine besorgte, bange Menge in einen Mob zu verwandeln. Ein Ruf hier, ein Stoß dort, ein geworfener Gegenstand… und nach und nach wird jedes zögernde, nervöse Individuum in eine Mehrheit gezogen, die eigentlich gar nicht existiert.

Detritus stand noch immer wie eine Statue und schien den steigenden Lärmpegel gar nicht zu bemerken. Aber Ringgießer… verdammt. Er diskutierte hitzig mit den Leuten ganz vorn in der Menge. Man ließ sich nie auf irgendwelche Diskussionen ein! Man ließ sich nie in etwas verwickeln!

»Korporal Ringgießer!«, donnerte Mumm. »Zu mir!«

Der Zwerg drehte sich um, als ein halber Ziegelstein über die Köpfe des Mobs hinwegsauste und ihn am Helm traf. Ringgießer fiel wie ein gefällter Baum.

Detritus bewegte sich so schnell, dass er halb durch die Menge war, bevor der Zwerg auf das Kopfsteinpflaster prallte. Sein Arm tauchte in das Gedränge und hob eine zappelnde Gestalt hoch. Er drehte sich um, stapfte durch die Lücke zurück, die noch keine Zeit gefunden hatte, sich wieder zu schließen, und war neben Mumm, noch bevor Ringgießers Helm aufhörte zu rollen.

»Gut gemacht, Feldwebel«, sagte Mumm aus dem Mundwinkel. »Hast du einen Plan für den nächsten Teil?«

»Ich mehr von der taktischen Art bin, Herr«, antwortete Detritus.

Oh, na schön. Bei solchen Gelegenheiten diskutierte man nicht, und man wich auch nicht zurück. Mumm holte seine Dienstmarke hervor und hob sie.

»Dieser Zwerg ist wegen des Angriffs auf einen Angehörigen der Wache verhaftet!«, rief er. »Lasst uns durch, im Namen des Gesetzes!«

Und zu seinem Erstaunen wurde die Menge still, wie viele Kinder, die spüren, dass der Lehrer diesmal sehr, sehr böse ist. Vielleicht lag es an den Worten auf der Dienstmarke, dachte Mumm. Die konnte man nicht fortwischen.

In der Stille fiel ein weiterer halber Ziegelstein aus der freien Hand des Zwergs, den Detritus in sehr festen Gewahrsam genommen hatte. Jahre später würde Mumm die Augen schließen und sich noch immer an das Knirschen erinnern, mit dem der Stein auf dem Boden auftraf.

Angua stand auf, den bewusstlosen Ringgießer in den Armen. »Er hat eine Gehirnerschütterung«, sagte sie. »Und ich schlage vor, dass du dich umdrehst, Herr, nur für einen Moment.«

Mumm riskierte einen Blick über die Schulter. Feurig – oder ein in Leder gehüllter Zwerg, der wie er aussah – stand im Schatten der Tür. Die Aufmerksamkeit der Menge galt ihm.

»Es ist uns erlaubt, zu gehen?«, wandte sich Mumm an Angua und nickte in Richtung der Gestalt.

»Ich glaube, es kommt nur aufs Gehen an, Herr.«

»Das hast du genau richtig erkannt, Feldwebel. Detritus, halt den kleinen Mistkerl fest. Alle zurück zur Wache.«

Die Menge teilte sich, um sie passieren zu lassen, und es erklang nicht mal ein Murmeln. Die Stille folgte ihnen den ganzen Weg zurück zum Wachhaus…

… wo Otto Chriek von der Times auf der Straße stand, den Ikonographen bereit.

»O nein, kommt nicht infrage, Otto«, sagte Mumm, als sich seine Gruppe näherte.

»Ich stehe auf einer öffentlichen Straße, Herr Mumm«, erwiderte Otto sanft. »Bitte recht frreundlich…«

Und er machte ein Bild von einem Trollpolizisten, der einen Zwerg in die Luft hielt.

Damit wäre die Titelseite klar, dachte Mumm. Und wahrscheinlich auch die verdammte Karikatur.

 

 

Ein Zwerg in der Zelle, ein weiterer in der liebevollen Obhut von Igor, dachte Mumm, als er die Treppe zu seinem Büro hochstapfte. Und bestimmt wird es noch schlimmer. Die Zwerge haben Feurig gehorcht. Zu was wären sie bereit gewesen, wenn dieser Zwerg den Kopf geschüttelt hätte?

Er landete so schwer auf seinem Stuhl, dass er dreißig Zentimeter zurückrollte.

Mumm war schon früher Tiefenern begegnet. Sie waren seltsam, aber er hatte sich mit ihnen einigen können. Der Niedere König zählte zu den Tiefenern, und Mumm war gut mit ihm zurechtgekommen, nachdem er in dem Märchenzwerg mit Schneevaterbart einen scharfsinnigen Politiker erkannt hatte. Er war ein Zwerg mit einer Vision. Er beschäftigte sich mit der Welt. Ha, »er hatte das Licht gesehen«. Aber die Zwerge in der neuen Mine…

Er hatte sie nicht sehen können, obwohl sie in einem Zimmer saßen, das von hundert Kerzen erhellt war. Das war seltsam, denn die Grags blieben vollkommen in ihr spitzes schwarzes Leder gehüllt. Vielleicht handelte es sich um eine mystische Zeremonie, und wer würde da nach einem Sinn suchen? Vielleicht bekam man im Licht eine heiligere Dunkelheit oder so. Je heller das Licht, desto dunkler der Schatten.

Feurig hatte eine Sprache benutzt, die wie Zwergisch klang, und aus den dunklen Kapuzen waren Antworten und Fragen gekommen, alle mit den gleichen kurzen, scharfen Silben gebellt.

Einmal wurde Mumm gebeten, den Inhalt seiner Bemerkung wiederzugeben, die er oben gemacht hatte, an einem Ort, der weit entfernt zu sein schien. Das hatte er getan, und es folgte eine lange Diskussion über seine Vorstellung von einem Tiefen Zwerg. Die ganze Zeit über spürte er die Blicke von Augen, die er nicht sah und die ihn aufmerksam beobachteten. Es half nicht unbedingt, dass es in seinem Kopf hämmerte und ein stechender Schmerz im Arm auf und ab wanderte.

Und das war’s. Hatten sie ihn verstanden? Er wusste es nicht. Feurig hatte gesagt, dass sie mit großem Widerstreben einwilligten. Stimmte das? Mumm hatte nicht den geringsten Hinweis darauf, worüber wirklich gesprochen worden war. Würde Karotte Zugang zu einem unveränderten und nicht manipulierten Tatort bekommen? Mumm brummte. Ha! Was glaubt ihr, Mädchen und Jungs?

Er zwickte sich in die Nase und starrte dann auf seine rechte Hand. Igor hatte ausführlich von »kleinen, unfichtbaren beiffenden Geschöpfen« gesprochen und seltsame Salben aufgetragen, die vermutlich alles töteten, ganz gleich wie groß und sichtbar. Fünf Minuten lang hatte es wie der Teufel gebrannt, aber dann war das Brennen verschwunden und hatte den Schmerz mitgenommen. Wie auch immer: Wichtig war nur, dass die Wache jetzt offiziell in dem Mordfall ermittelte.

Mumms Blick fiel auf das oberste Blatt in seinem Eingangskorb5. Er stöhnte, als er danach griff.

 

An: Seine Gnaden Sir Samuel Mumm, Kommandeur der Wache

 

Von: Herrn A. E. Pessimal, Inspektor der Wache

 

Euer Gnaden,

ich hoffe, du hast nichts dagegen, mir so bald wie möglich folgende Fragen zu beantworten:

1. Welchen Zweck erfüllt Korporal »Nobby« Nobbs? Warum hast dDu einen bekannten Dieb in deinen Diensten?

2. Ich habe bei zwei Polizisten auf dem Breiten Weg die Zeit gemessen und festgestellt, dass sie im Lauf von einer Stunde keine Verhaftungen vorgenommen haben. Warum war dies eine rentable Nutzung ihrer Zeit?

3. Das Ausmaß der von Trollpolizisten gegen Trollgefangene angewendeten Gewalt erscheint mir exzessiv. Könntest du mir die Gründe dafür erläutern?

 

und so weiter. Mumm las mit offenem Mund. Na gut, der Mann war kein Polizist – ganz sicher nicht –, aber er hatte doch sicher ein voll funktionsfähiges Gehirn. Meine Güte, er war auf den monatlichen Fehlbetrag in der Portokasse gestoßen! Konnte A. E. Pessimal Mumms Erklärung verstehen, dass Nobby Nobbs’ Dienste im Lauf der Jahre den gelegentlichen kleinen Griff in die Kasse ausglichen, den man schließlich als ein unbedeutendes Ärgernis hinnahm?

Wäre der Versuch einer solchen Erklärung eine rentable Nutzung meiner Zeit?, dachte Mumm. Ich glaube nicht.

Als er das Blatt Papier in den Korb zurücklegte, entdeckte er darunter ein anderes mit Grinsis Handschrift. Er nahm es und begann zu lesen.

Zwei Zwerge und ein Troll hatten an diesem Morgen ihre Dienstmarken zurückgegeben, angeblich aus »familiären Gründen«. Mist. Damit hatte die Wache in dieser Woche schon sieben Polizisten verloren. Das verdammte Koomtal, es kam überall hin. Bei den Göttern, es machte bestimmt keinen Spaß, ein Troll zu sein, anderen Trollen gegenüberzustehen und einen Zwerg wie den verstorbenen Schinkenbrecher zu schützen. Vermutlich war es nicht viel lustiger, ein Zwerg zu sein und zu hören, dass der Bruder von einer Trollbande zusammengeschlagen worden war, wegen der Dinge, die dieser Idiot gesagt hatte. Manche Leute würden fragen: Auf welcher Seite stehst du? Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns. Ha. Wenn du kein Apfel bist, bist du eine Banane…

Karotte kam leise herein und stellte einen Teller auf den Schreibtisch. »Angua hat mir alles erzählt, Herr«, sagte er. »Bravo, Herr.«

»Was meinst du mit bravo?«, erwiderte Mumm und blickte auf sein gesundes Mittagssandwich. »Ich hätte fast einen Krieg begonnen!«

»Ja, aber sie wussten nicht, dass du geblufft hast.«

»Vermutlich habe ich das gar nicht.« Mumm hob vorsichtig den oberen Teil des Schinken-Salat-und-Tomaten-Sandwichs und lächelte innerlich. Gute alte Grinsi. Sie wusste genau, was ein Mumm-SST auszeichnete: Man musste ziemlich viel knusprigen Schinken heben, bevor man das auf der Lauer liegende Gemüse fand. Am besten, man bemerkte es überhaupt nicht.

»Ich möchte, dass du Angua mit nach unten nimmst«, sagte er. »Und… ja, Obergefreite Humpeding. Unsere kleine Sally. Genau der richtige Job für eine Vampirin, die genau zur richtigen Zeit zu uns gekommen ist. Mal sehen, wie gut sie ist.«

»Nur diese beiden, Herr?«

»Äh, ja. Sie können beide gut im Dunkeln sehen.« Mumm blickte auf das Sandwich hinab und murmelte: »Wir können kein künstliches Licht nach unten mitnehmen.«

»Mordfallermittlungen im Dunkeln, Herr?«

»Mir blieb keine Wahl!«, stieß Mumm hervor. »Ich erkenne einen Knackpunkt, wenn ich ihn sehe. Kein künstliches Licht. Wenn sie Dumme Dussel spielen wollen, bin ich dabei. Du weißt über Minen Bescheid, und die beiden Damen haben ausgezeichnetes Nachtsehvermögen. Das gilt zumindest für die Vampirin, und Angua kann praktisch mit der Nase sehen. Das wär’s. Gib dir alle Mühe. Es wimmelt dort unten von komischen Glühwürmern. Sie sollten eine Hilfe sein.«

»Sie haben Vürmer?«, fragte Karotte. »Da kenne ich den einen oder anderen Trick, Herr.«

»Gut. Die Tiefener behaupten, ein großer Troll habe den Mord begangen und sei dann weggelaufen. Mach daraus, was du willst.«

»Es könnte Proteste wegen Sally geben, Herr«, sagte Karotte.

»Warum? Erkennen die Zwerge dort unten, dass sie Vampirin ist?«

»Nein, Herr, das glaube ich nicht…«

»Dann weise sie nicht darauf hin«, sagte Mumm. »Du bist der… Schmelzer, es liegt bei dir, welche, äh, Werkzeuge du benutzt. Hast du das hier gesehen?« Er winkte mit dem Bericht über die drei Wächter, die er nicht als Deserteure zu sehen versuchte.

»Ja, Herr. Darüber wollte ich mit dir reden. Vielleicht nützt es etwas, wenn wir die Streifen ein wenig verändern«, sagte Karotte.

»Wie meinst du das?«

»Äh, es wäre nicht weiter schwer, die Dienstpläne so zu ändern, dass Trolle und Zwerge nicht zusammen auf Streife gehen müssen, Herr. Äh… einige der Jungs meinen, es wäre ihnen lieber, wenn…«

Karotte ließ den Satz in einem steinernen Blick sterben.

»Bei der Aufstellung des Dienstplans haben wir noch nie auf die Spezies der Wächter geachtet, Hauptmann«, sagte Mumm kühl. »Natürlich abgesehen von den Gnomen.«

»Dann gibt es also einen Präzedenzfall…«, begann Karotte.

»Sei nicht dumm. Ein typisches Gnomzimmer ist ungefähr doppelt so groß wie ein Schuhkarton, Hauptmann! Diese Idee ist Blödsinn. Noch dazu gefährlicher Blödsinn. Wir müssten Trolle mit Trollen auf Streife schicken, Zwerge mit Zwergen, Menschen mit Menschen…«

»Nicht unbedingt, Herr. Menschen könnten mit Trollen und Zwergen auf Streife gehen.«

Mumm zog seinen Stuhl nach vorn. »Nein, das könnten sie nicht! Es geht hier nicht um gesunden Menschenverstand, sondern um Furcht! Wenn ein Troll einen Zwerg und einen Menschen gemeinsam auf Streife sieht, denkt er: ›Da ist der Gegner, zwei gegen einen.‹ Siehst du denn nicht, wohin das führt? Wenn ein Polizist in der Klemme ist und Hilfe herbeipfeift, möchte ich nicht, dass er bei ihrem Eintreffen verlangt, dass sie die richtige Gestalt hat!« Er beruhigte sich ein wenig, öffnete sein Notizbuch und warf es auf den Schreibtisch. »Weißt du, was das hier bedeutet? Ich habe das Zeichen in der Mine entdeckt, und ein Zwerg namens Helmgescheit malte es in verschütteten Kaffee, und ich glaube, er hat es gar nicht richtig bemerkt.«

Karotte nahm das Notizbuch und betrachtete das Zeichen.

»Ein Minensymbol, Herr«, sagte er. »Es bedeutet ›Die Folgende Dunkelheit‹.«

»Und was bedeutet das

»Äh, dass die Dinge dort unten ziemlich übel beschaffen sind, Herr«, erwiderte Karotte ernst. »Meine Güte.« Er ließ das Notizbuch langsam sinken, als befürchtete er, es könnte explodieren.

»Es ist ein Mord geschehen, Hauptmann«, betonte Mumm.

»Ja, Herr. Aber dies könnte etwas Schlimmeres bedeuten, Herr. Minenzeichen sind ein sehr seltsames Phänomen.«

»Ein solches Zeichen prangte auch über der Tür, aber mit nur einer Linie, und die war horizontal«, fügte Mumm hinzu.

»Oh, das ist die Rune des Langen Dunkels, Herr«, sagte Karotte und winkte ab. »Nur ein Symbol für eine Mine. Nichts, um das man sich Sorgen machen müsste.«

»Im Gegensatz zu dieser anderen Rune? Hat das Zeichen etwas mit Grags zu tun, die in einem Zimmer sitzen, umgeben von brennenden Kerzen?«

Es war immer schön, Karotte zu überraschen, und diesmal wirkte er verblüfft. »Wie hast du das herausgefunden, Herr?«

»Es sind nur Worte, Hauptmann«, sagte Mumm, hob die Hand und ließ sie wieder sinken. »›Die Folgende Dunkelheit‹ klingt nicht sehr gut. Eine Zeit, in der man besser im Licht bleiben sollte? Als ich den Grags begegnete, saßen sie von Kerzen umgeben. Ich hielt es für eine Art Zeremonie.«

»Könnte sein«, pflichtete ihm Karotte vorsichtig bei. »Danke für den Hinweis, Herr. Ich mache mich vorbereitet auf den Weg.«

Als Karotte die Tür erreichte, fügte Mumm hinzu: »Noch eine Sache, Hauptmann.«

»Ja, Herr?«

Mumm sah nicht vom Sandwich auf, während er das T und das eine S von dem anderen, knusprigen S trennte.

»Denk daran, dass du Polizist bist«, sagte er.

 

 

Sally wusste, dass sich etwas anbahnte, als sie mit ihrem glänzenden neuen Brustharnisch und dem Suppenschüsselhelm den Umkleideraum betrat. Polizisten verschiedener Spezies standen herum und versuchten, gleichgültig zu wirken. Das gelingt Polizisten nie sehr gut.

Sie beobachteten, wie Sally zu ihrem Spind ging. Deshalb öffnete sie die Tür mit gebührender Vorsicht. Das Fach war voller Knoblauch.

Ah. Es geht los, und schon so bald. Gut, dass sie vorbereitet war…

Hier und dort hörte Sally hinter sich das leise Hüsteln und Räuspern von Leuten, die nicht zu lachen versuchten. Und es wurde auch gegrinst. Grinsen verursacht ein subtiles Geräusch, wenn man danach lauscht.

Sally griff mit beiden Händen in den Spind und holte zwei dicke Knollen hervor. Alle Polizisten beobachteten sie, als sie langsam durch den Raum schritt.

Von einem jungen Obergefreiten ging ein starker Knoblauchgeruch aus, und sein breites Grinsen nahm etwas Nervöses an, als Sally sich ihm näherte. Er wirkte wie ein Narr, der für einen Lacher zu allem bereit war.

»Entschuldige bitte, Obergefreiter, wie heißt du?«, fragte Sally sanft.

»Äh… Fittli, Fräulein…«

»Hast du das hier in meinen Spind gelegt?«, fragte Sally und ließ dabei ihre Eckzähne sehen.

»Äh, nur ein Scherz, Fräulein…«

»Da ist nichts Komisches dran«, sagte Sally zuckersüß. »Ich mag Knoblauch. Ich liebe Knoblauch. Du auch?«

»Äh, ja«, erwiderte der unglückliche Fittli.

»Gut«, sagte Sally.

So schnell, dass er zusammenzuckte, steckte sie sich eine Knolle in den Mund und biss ordentlich zu. Das Knirschen war das einzige Geräusch im Raum.

Und dann schluckte sie.

»Oh, entschuldige meine schlechten Manieren, Obergefreiter«, sagte sie und streckte die Hand mit der anderen Knolle aus. »Die ist für dich.«

Die übrigen Wächter lachten. Polizisten sind wie alle anderen. Das Blatt hatte sich gewendet und sah lustiger aus. Ein kleiner Scherz, ein bisschen Spaß, nichts Schlimmes passiert.

»Na los, Fittli«, sagte jemand. »Es ist nur gerecht. Sie hat ihre Knolle gegessen!« Und wie immer bei solchen Gelegenheiten begann jemand zu klatschen und zu rufen: »Iss! Iss!« Andere stimmten mit ein, ermutigt von der Tatsache, dass Fittli rot angelaufen war.

»Iss! Iss! Iss! Iss! Iss! Iss! Iss! Issüssüss!«

Fittli begriff, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Er nahm die Knolle, schob sie sich in den Mund und biss zu, von Beifallsrufen begleitet. Einen Moment später sah Sally, wie er die Augen aufriss.

»Obergefreite Humpeding?«

Sie drehte sich um. Ein junger Mann mit göttlichen Proportionen6 stand in der Tür. Im Gegensatz zu den Rüstungen der anderen Wächter funkelte sein Brustharnisch und zeigte überhaupt keinen Rost.

»Ist alles in Ordnung?« Der Mann blickte zu Fittli, der auf die Knie gesunken war und Knoblauch durchs Zimmer hustete, aber irgendwie schien er ihn nicht zu sehen.

»Äh, ja«, erwiderte Sally verwundert, als Fittli sich zu übergeben begann.

»Wir sind uns bereits begegnet. Alle nennen mich Hauptmann Karotte. Bitte komm mit.«

Draußen im Hauptbüro blieb Karotte stehen und drehte sich um. »Na schön, Obergefreite… du hattest eine Knolle vorbereitet, nicht wahr? Mach nicht so ein Gesicht. Heute steht ein Gemüsekarren auf dem Platz, es ist nicht schwer zu erraten.«

»Äh, Feldwebel Angua hat mich gewarnt…«

»Und?«

»Und so habe ich eine Knolle aus Rettich geschnitten, Herr.«

»Und diejenige, die du Fittli gegeben hast?«

»Oh, die bestand ebenfalls aus Rettich, Herr. Ich versuche, Knoblauch zu meiden, Herr«, sagte Sally. Bei den Göttern, dieser Mann war wirklich attraktiv…

»Tatsächlich?«, fragte Karotte. »Nur Rettich? Er scheint ziemlich übel darauf reagiert zu haben.«

»Ich habe einige frische Chilisamen hineingetan, Herr«, fügte Sally hinzu. »Etwa dreißig, denke ich.«

»Ach? Und warum hast du das getan?«

»Oh, du weißt schon, Herr«, sagte Sally und gab sich unschuldig. »Ein kleiner Scherz, ein bisschen Spaß, nichts Schlimmes passiert.«

Der Hauptmann schien darüber nachzudenken.

»Na schön, wir lassen es dabei bewenden«, sagte er. »Und nun, Obergefreite… Hast du jemals eine Leiche gesehen?«

Sally wartete, um festzustellen, ob er es ernst meinte. Das schien der Fall zu sein.

»Genau genommen nein, Herr«, antwortete sie.

 

 

Mumm ärgerte sich durch den Nachmittag. Es gab natürlich Schreibarbeiten. Die gab es immer. Die Körbe waren nur der Anfang. Große Stapel hatten sich anklagend an der einen Wand gebildet und gingen allmählich ineinander über.7 Mumm wusste, dass diese Dinge seine Aufmerksamkeit erforderten. Haftbefehle, Prozesslisten, Anweisungen der Wache, Unterschriften – sie machten die Wache zu einer Polizeitruppe anstatt zu einer Gruppe rauer Burschen, die gern herumschnüffelten. Schreibarbeiten: Es musste viel davon geben, und alles brauchte seine Unterschrift.

Er unterschrieb das Arrestbuch, das Ereignisbuch, selbst das Buch der verlorenen Gegenstände. Das Buch der verlorenen Gegenstände! Damals hatten sie so etwas nicht gehabt. Wenn jemand kam und meinte, er hätte einen kleinen Gegenstand verloren, brauchte man nur Nobby Nobbs mit dem Kopf nach unten zu halten und die Dinge zu inspizieren, die ihm aus den Taschen fielen.

Heute waren Mumm zwei Drittel der Polizisten, aus denen die Wache bestand, unbekannt. Mit anderen Worten: Er kannte sie nicht gut genug, um zu wissen, bis zu welchem Punkt sie stehen blieben und wann sie wegliefen. Er kannte nicht ihre kleinen Zeichen, die ihm verrieten, ob sie logen oder kurz davor waren, sich vor Angst in die Hose zu machen. Eigentlich war es nicht mehr seine Wache. Es war die Stadtwache. Er leitete sie nur.

Er ging die Berichte des Revierwachtmeisters durch, die des Wachoffiziers, die Krankenlisten, die Disziplinarmeldungen, die Kassenberichte…

»Bimmel-bumm-bamm-bimmel-bimm…«

Mumm klatschte das Stachelbeer-Modell auf den Schreibtisch und griff nach dem kleinen Laib Zwergenbrot, den er während der letzten Jahre als Briefbeschwerer benutzt hatte.

»Schalt dich aus oder stirb«, knurrte er.

»Wie ich sehe, bist du ein wenig verärgert«, sagte der Kobold und blickte zu dem drohenden Zwergenbrotlaib auf, »aber darf ich dich bitten, die Dinge auch einmal aus meiner Perspektive zu sehen? Dies ist mein Job. Dies ist, was ich bin. Ich bin, deshalb denke ich. Und ich denke, wir kämen wunderbar miteinander aus, wenn du das Handbu… Bitte nicht! Ich kann dir wirklich helfen!«

Mumm zögerte, das Zwergenbrot zum fatalen Hieb bereit, dann legte er es beiseite.

»Wie?«, fragte er.

»Du hast falsch addiert«, sagte der Kobold. »Manchmal vergisst du, die Zehner zu übertragen.«

»Und woher willst du das wissen?«, fragte Mumm.

»Du brummst vor dich hin«, antwortete der Kobold.

»Du belauschst mich?«

»Es ist mein Job! Ich kann meine Ohren nicht ausschalten! Ich muss zuhören! So erfahre ich von den Terminen!«

Mumm nahm den Kassenbericht und blickte auf die schiefen Zahlenkolonnen. Er war stolz auf das, was er seit seiner Kindheit »rechnen« nannte. Ja, er wusste, dass er sich ein wenig abmühte, aber er schaffte es schließlich.

»Glaubst du, es besser machen zu können?«, fragte er.

»Lass mich raus, und gib mir einen Stift«, sagte der Kobold. Mumm zuckte mit den Schultern – es war ohnehin ein seltsamer Tag gewesen. Er öffnete die kleine Käfigtür.

Der Kobold war lindgrün und durchsichtig, ein Geschöpf aus nur etwas mehr als farbiger Luft, aber er konnte den Stiftstummel entgegennehmen. Dann eilte er an den Zahlenkolonnen im Kassenbuch auf und ab, wobei er vor sich hin brummte, wie Mumm zufrieden feststellte.

»Es gibt einen Fehlbetrag von drei Dollar und fünf Cent«, berichtete der Kobold einige Sekunden später.

»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Mumm.

»Aber es fehlt Geld!«

»Ja, stimmt«, sagte Mumm. »Nobby Nobbs hat es gestohlen. Er steckt immer dahinter. Aber er stiehlt nie mehr als vier Dollar fünfzig.«

»Soll ich einen Termin für ein Disziplinargespräch festlegen?«, fragte der Kobold hoffnungsvoll.

»Natürlich nicht. Ich unterschreibe den Kassenbericht jetzt. Äh, danke. Kannst du auch die anderen Listen addieren?«

Der Kobold strahlte. »Und ob!«

Mumm überließ ihn seinem glücklichen Geschreibsel und ging zum Fenster.

Sie akzeptieren unsere Gesetze nicht und graben Tunnel unter der Stadt. Es sind nicht nur einige Tiefener, die bewirken wollen, dass die anderen Zwerge auf dem rechten Weg bleiben. Wie weit reichen die Tunnel? Zwerge graben wie verrückt. Aber warum hier? Wonach suchen sie? Eins steht fest: Es gibt keinen verborgenen Schatz unter der Stadt, keinen schlafenden Drachen und kein geheimes Königreich. Es gibt dort nur Wasser und Schlamm und Dunkelheit.

Wie weit reichen die Tunnel? Wie viele Moment mal, das lässt sich doch feststellen? In der Wache von heute gibt es reichlich Zahlen

»Kobold?«, fragte er und drehte sich um.

»Ja, Hier Namen Einfügen?«

»Siehst du den großen Stapel Papier dort in der Ecke?« Mumm deutete in die entsprechende Richtung. »Irgendwo dort drin stecken die Torwächterberichte der vergangenen sechs Monate. Kannst du sie mit denen der letzten Woche vergleichen? Kannst du die Anzahl der Stinkekarren, die die Stadt verlassen, miteinander vergleichen?«

»Habe den Ausdruck ›Stinkekarren‹ nicht im Stammwörterbuch gefunden«, sagte der Kobold. »Suche im Slangwörterbuch… mip… mip… mip Stinkekarren, m.: Karren für den Transport von Abtrittsdünger (siehe auch Honigwagen, Sirupwagen, Mitternacht-Spezial, Gongwagen

»Stimmt«, sagte Mumm, der »Mitternacht-Spezial« zum ersten Mal hörte. »Kannst du?«

»Ooh, ja!«, sagte der Kobold. »Danke für die Benutzung des Disorganizers Modell Fünf ›Stachelbeere‹, des modernsten…«

»Ja, schon gut. Sieh dir die Zahlen des Mittwärtigen Tors an. Das ist der Sirupstraße am nächsten.«

»Ich schlage vor, dass du ein wenig zurücktrittst, Hier Namen Einfügen«, sagte der Kobold.

»Warum?«

Der Kobold sprang in den Stapel. Es raschelte, zwei Mäuse flohen… und der Stapel explodierte. Mumm wich hastig zurück, als Papiere in die Luft flogen, getragen von einer sehr blassgrünen Wolke.

Mumm hatte solche Aufzeichnungen nicht aus großem Interesse an den Resultaten eingeführt, sondern um die Jungs auf Trab zu halten. Die Sicherheit spielte dabei keine Rolle – Ankh-Morpork war so offen, dass man von einer klaffenden Stadt sprechen konnte. Die Karren zu zählen diente praktischen Zwecken. Es bewahrte die Wächter davor, auf ihren Posten einzuschlafen, und es gab ihnen einen Grund, neugierig zu sein.

Man musste das Zeug wegschaffen. Darum ging’s. Dies war eine Stadt. Wenn man weit vom Fluss entfernt war, kamen nur Karren infrage. Verdammt, dachte Mumm. Ich hätte dem Kobold auch auftragen sollen, nach gestiegenen Stein- und Holztransporten Ausschau zu halten. Wenn man ein Loch in Schlamm gegraben hat, muss man es offen halten…

Die fliegenden Papiere formten sich wieder zu Stapeln. Der grüne Dunst schrumpfte mit einem Geräusch, das wie zzzzp klang, und dort stand der kleine Kobold, dazu bereit, vor Stolz zu platzen.

»Während der vergangenen sechs Monate gab es pro Nacht eins Komma eins zusätzliche Stinkekarren«, verkündete er. »Danke, Hier Namen Einfügen! Cogito, ergo sum, Hier Namen Einfügen. Ich bin, also summiere ich!«

»Ja, gut, danke«, erwiderte Mumm. Etwas mehr als ein Karren pro Nacht? Sie transportierten jeweils etwa zwei Tonnen. Nicht besonders viel. Vielleicht waren die Leute, die in der Nähe des Tors wohnten, in letzter Zeit sehr krank gewesen. Aber… was hätte er getan, wenn er in der Lage der Zwerge gewesen wäre?

Er hätte den Kram durchs nächste Tor geschickt. Bei den Göttern, wenn sie an genug Stellen Tunnel gruben, konnten sie ihn überall loswerden.

»Kobold, könntest du…« Mumm zögerte. »Hast du nicht eine Art Namen?«

»Einen Namen, Hier Namen Einfügen?«, erwiderte der Kobold verwirrt. »O nein. Ich werde zu Dutzenden geschaffen, Hier Namen Einfügen. Ein Name wäre eigentlich ein bisschen dumm.«

»Dann nenne ich dich Stachelbeere. Nun, Stachelbeere, kannst du mir die gleichen Zahlen für jedes Tor der Stadt nennen? Und auch die Zahlen der Stein- und Holzwagen?«

»Das wird ein wenig dauern, Hier Namen Einfügen, aber ich kann es! Und ich freue mich darauf!«

»Und wenn du schon einmal dabei bist… Achte auf Berichte über Absenkungen, einstürzende Mauern, Risse in Häusern, alles in der Art.«

»Gewiss, Hier Namen Einfügen. Du kannst dich auf mich verlassen, Hier Namen Einfügen!«

»Also los!«

»Ja, Hier Namen Einfügen! Danke, Hier Namen Einfügen. Außerhalb des Kastens kann ich viel besser denken, Hier Namen Einfügen!«

Zzzzp. Papier begann zu fliegen.

Wer hätte das gedacht?, dachte Mumm. Vielleicht konnte das verdammte Ding doch nützlich sein.

Das Sprechrohr pfiff. Er löste es vom Haken und sagte: »Mumm.«

»Ich habe die Abendausgabe der Times, Herr«, ertönte die ferne Stimme von Feldwebel Kleinpo. Sie klang sorgenvoll.

»Gut. Schick sie hoch.«

»Und hier sind zwei Personen, die dich sprechen möchten, Herr.« Bei diesen Worten klang Grinsis Stimme zurückhaltend.

»Und können sie dich hören?«, fragte Mumm.

»Ja, Herr. Trolle. Sie bestehen darauf, mit dir persönlich zu sprechen. Angeblich haben sie eine Nachricht für dich.«

»Sehen sie nach Ärger aus?«

»Mit jedem Zoll, Herr.«

»Ich komme nach unten.«

Mumm hängte das Sprechrohr wieder an den Haken. Trolle mit einer Botschaft. Vermutlich waren sie nicht gekommen, um ihn zu einem literarischen Mittagessen einzuladen.

»Äh… Stachelbeere?«, fragte er.

Aus den blassgrünen Schwaden wurde wieder ein strahlender Kobold.

»Ich habe die Zahlen gefunden, Hier Namen Einfügen! Ich arbeite nur noch an ihnen!«, sagte er und salutierte.

»Gut, aber kehr jetzt in den Kasten zurück. Wir gehen aus.«

»Gewiss, Hier Namen Einfügen! Danke dafür, dass du den…«

Mumm schob den Kasten in die Tasche und ging nach unten.

Im Hauptbüro stand nicht nur der Schreibtisch des Wachoffiziers, sondern auch ein halbes Dutzend kleinere, an denen Wächter saßen, die sich um den wirklich schwierigen Teil der Polizeiarbeiten kümmerten, zum Beispiel die richtige Interpunktion eines Satzes. Vom Hauptbüro aus ließen sich zahlreiche Zimmer und Flure erreichen, was bedeutete: Wenn dort etwas passierte, erhielt es schnell viel Aufmerksamkeit.

Wenn die beiden in der Mitte des Raums deutlich sichtbaren Trolle Ärger machen wollten, so hatten sie einen schlechten Zeitpunkt dafür gewählt. Gerade fand der Schichtwechsel statt. Sie versuchten zu stolzieren, ohne sich von der Stelle zu rühren, beobachtet von sieben oder acht Wächtern verschiedener Spezies.

Sie hatten es selbst so gewollt. Sie waren böööse Trolle. Jedenfalls sollten das alle glauben. Aber sie machten es falsch. Mumm hatte böse Trolle gesehen, aber diese kamen nicht annähernd an jene heran. Sie hatten es versucht. Ja, das hatten sie. Sie trugen Flechten auf Kopf und Schultern. Clangraffiti schmückten die Körper. Einer von ihnen hatte sich für den coolen Look sogar etwas in den Arm gemeißelt, was sicher sehr schmerzhaft gewesen war. Der traditionelle Gürtel aus Zwergen- oder Menschenschädeln hätte dazu geführt, dass die Füße des Trägers Furchen im Boden bis zum nächsten Kittchen hinterlassen hätten. Affenschädel wären ebenfalls riskant gewesen und hätten Zwerge ohne Kenntnisse in forensischer Anthropologie zum Angriff herausgefordert. Diese Trolle… Mumm lächelte. Die Jungs hatten das Beste mit – lieber Himmel – Schaf- und Ziegenschädeln versucht. Wirklich sehr eindrucksvoll und erschreckend.

Es war deprimierend. Die alten bösen Trolle hielten sich nicht mit solchen Dingen auf. Sie schlugen einem einfach mit dem eigenen Arm auf den Kopf, so lange, bis man die Botschaft verstanden hatte.

»Meine Herren?«, sagte er. »Ich bin Mumm.«

Die Trolle sahen sich durch den Flechtenvorhang an, und einer von ihnen verlor.

»Herr Chrysopras, er dich sprechen will«, sagte er mürrisch.

»Tatsächlich?«, erwiderte Mumm.

»Er dich sprechen will sofort«, sagte der Troll.

»Nun, er weiß, wo ich wohne«, entgegnete Mumm.

»Ja. Er das wissen.«

Diese Worte knallten wie Blei in die Stille. Es lag an der Art und Weise, wie der Troll sie aussprach. Eine selbstmörderische Art und Weise.

Das Geräusch vorgeschobener Riegel brach die Stille, gefolgt von einem Klicken. Die Trolle drehten sich um. Feldwebel Detritus nahm den Schlüssel aus dem Schloss in der großen, dicken Doppeltür des Wachhauses. Dann drehte er sich um, und seine schweren Hände landeten auf den Schultern der Trolle.

Er seufzte. »Jungs«, sagte er, »wenn es gäbe einen Doktor in Dummheit, wärt ihr nicht imstande, zu finden einen Stift.«

Der Troll, von dem die nicht sehr verschleierte Drohung stammte, machte einen zweiten Fehler. Vielleicht war es Entsetzen, das seine Arme bewegte, oder dämlicher Machismo. Niemand mit einer funktionierenden Gehirnzelle hätte diesen Moment gewählt, um die Arme in das zu bringen, was bei Trollen die Angriffsposition war.

Detritus’ Faust bewegte sich schemenhaft, und das Donnern, mit dem sie den Kopf des Trolls traf, ließ die Möbel im Zimmer klappern.

Mumm öffnete den Mund… und schloss ihn wieder. Trollisch war eine sehr physische Sprache. Und man musste die kulturellen Traditionen respektieren. Sie waren schließlich nicht nur Zwergen erlaubt. Außerdem konnte man den Kopf eines Trolls nicht einmal mit Hammer und Meißel öffnen. Und er hat deine Familie bedroht, fügte eine Stimme in Mumm hinzu. Er hat es herausgefordert

Kurzer Schmerz ging von der Wunde in seiner Hand aus, und es folgte ein Stechen hinter seiner Stirn. Mumm fluchte lautlos. Igor hatte gesagt, seine Salbe würde helfen!

Der geschlagene Troll schwankte ein oder zwei Sekunden lang und kippte dann.

Detritus näherte sich Mumm und gab dem Liegenden dabei einen Tritt.

»Tut mir Leid, Herr«, sagte er, und seine Hand knallte an den Helm, als er salutierte. »Sie keine Manieren haben!«

»Na schön, es reicht.« Mumm wandte sich an den anderen Troll, der sich plötzlich sehr allein fühlte. »Warum möchte mich Chrysopras sprechen?«

»Das er den Gebrüdern Dämlich wohl kaum gesagt, oder…?«, grollte Detritus und grinste grässlich.

Der einsame Troll stolzierte nicht mehr. »Ich nur wissen vom Tod des Horug«, murmelte der Bote und suchte Zuflucht bei Verdrießlichkeit. Als sie das letzte Wort hörten, kniffen alle zuhörenden Zwerge die Augen zusammen. Es war ein sehr schlimmes Wort.

»O Mann, o Mann, o…« Detritus zögerte.

»… Mann«, flüsterte ihm Mumm aus dem Mundwinkel zu.

»… Mann!«, sagte Detritus triumphierend. »Du heute viele Freunde gewinnen!«

»Wo soll das Treffen stattfinden?«, fragte Mumm.

»Im Zukunftsschweinlager«, sagte der Troll. »Du allein kommen…« Er zögerte, schien sich seiner Situation bewusst zu werden und fügte hinzu: »Wenn du nichts hast dagegen.«

»Geh, und sag deinem Boss, dass ich vielleicht dorthin komme«, sagte Mumm. »Und jetzt verschwinde. Lass ihn hinaus, Feldwebel.«

»Und deinen Müll du mitnehmen!«, donnerte Detritus.

Er schlug die Tür hinter dem Troll zu, der sich unter dem Gewicht seines gefallenen Kameraden beugte.

»Na schön«, sagte Mumm, als die Anspannung nachließ. »Ihr habt den Troll gehört. Ein braver Bürger möchte der Wache helfen. Ich gehe und stelle fest, was er zu sagen hat…«

Sein Blick fiel auf die Titelseite der Times auf dem Schreibtisch. Zum Teufel, dachte er müde. So sehen wir aus in diesen Zeiten: ein Trollwächter, der einen Zwerg in die Luft hält.

»Es ist ein gutes Bild von Detritus, Herr«, sagte Feldwebel Kleinpo nervös.

»›Der lange Arm des Gesetzes‹«, las Mumm laut. »Soll das komisch sein?«

»Das ist es vermutlich für Leute, die Schlagzeilen verfassen«, meinte Grinsi.

»Schinkenbrecher ermordet«, las Mumm. »Wache ermittelt.«

»Woher haben sie das?«, fragte er. »Wer informiert sie? Bald muss ich die Times lesen, um zu erfahren, was ich heute mache!« Er warf die Zeitung auf den Schreibtisch zurück. »Gibt es irgendetwas Wichtiges, über das ich Bescheid wissen sollte?«

»Feldwebel Colon erwähnte einen Diebstahl im Königlichen…«, begann Grinsi, aber Mumm winkte ab.

»Wichtigere Dinge als irgendwelche Diebstähle«, sagte er.

»Äh, zwei weitere Wächter haben den Dienst quittiert, seitdem ich dir den Bericht geschickt habe, Herr«, sagte Grinsi. »Korporal Ringgießer und Obergefreiter Schiefer von der Kröselstraße. Beide geben, äh, persönliche Gründe an.«

»Schiefer ein guter Wächter war«, polterte Detritus und schüttelte den Kopf.

»Offenbar hat er beschlossen, stattdessen ein guter Troll zu sein«, sagte Mumm. Er fühlte Bewegung hinter sich und begriff, dass er ein Publikum hatte. Es wurde Zeit für eine Rede.

»Ich weiß, dass es für die Zwerge und Trolle in der Wache derzeit schwierig ist«, wandte er sich an das Zimmer. »Ich weiß, dass ihr das Gefühl haben könntet, euch auf die Seite des Feinds zu stellen, wenn ihr einen Artgenossen euren Schlagstock spüren lasst, weil er euch in die Weichteile zu treten versucht. Für Menschen ist es auch nicht leicht, aber für euch ist es schlimmer. Die Dienstmarke scheint im Augenblick recht schwer zu sein. Eure eigenen Leute sehen euch an und fragen sich, auf welcher Seite ihr steht. Nun, ihr steht auf der Seite der Bürger, wo das Gesetz sein sollte. Auf der Seite aller Bürger, meine ich, die dort draußen hinter dem Mob sind und sich fürchten und sich abends nicht mehr auf die Straße wagen. Komischerweise sind die Idioten, die vor euch stehen und von ihrem Recht auf Notwehr Gebrauch machen wollen, bevor etwas geschieht, ebenfalls Bürger, aber da sie sich offenbar nicht richtig daran erinnern, tut ihr ihnen einen Gefallen, indem ihr sie ein wenig abkühlt. Haltet an diesem Gedanken fest – und haltet zusammen. Ihr glaubt, ihr solltet besser zu Hause bleiben und euch um eure alte Mutter kümmern? Ihr fragt euch, was ihr gegen einen Mob ausrichten könnt? Zusammen können wir verhindern, dass es so weit kommt. Die Ereignisse werden ihren Lauf nehmen. Ich weiß, dass wir alle müde sind, aber ich brauche jeden, den ich bekommen kann, und als Belohnung gibt es morgen Marmelade und auch Freibier. Vielleicht erblinde ich sogar ein wenig, wenn ich die Überstundenquittungen unterschreibe, wer weiß? Verstanden? Aber ich möchte, dass ihr alle, wer auch immer ihr seid, dies wisst: Ich habe keine Geduld mit Idioten, die einen Groll über fünfhundert Meilen und tausend Jahre hegen. Dies ist Ankh-Morpork und nicht das Koomtal. Euch ist klar, dass uns eine üble Nacht bevorsteht. Ich werde im Dienst sein. Wenn ihr ebenfalls im Dienst seid, möchte ich die Gewissheit haben, dass ich mich auf euch verlassen kann und dass ihr mir den Rücken freihaltet, so wie ich euch den Rücken freihalte. Wenn ich mich nicht auf euch verlassen kann, möchte ich euch nicht in meiner Nähe haben. Irgendwelche Fragen?«

Eine verlegene Stille folgte, wie immer bei solchen Gelegenheiten. Dann kam eine Hand nach oben. Sie gehörte einem Zwerg.

»Stimmt es, dass ein Troll den Grag umgebracht hat?«, fragte er. Die Wächter brummten, und der Zwerg fügte etwas weniger zaghaft hinzu: »Er hat uns aufgefordert zu fragen.«

»Hauptmann Karotte ermittelt«, sagte Mumm. »Im Augenblick tappen wir noch im Dunkeln. Aber wenn tatsächlich ein Mord geschehen ist, dann sorgen wir dafür, dass der Mörder vor Gericht gestellt wird, ganz gleich, wie groß er ist, welche Gestalt er hat, wer er ist und wo er sich aufhält. Das garantiere ich. Ihr habt meine persönliche Garantie dafür. Ist das akzeptabel?«

Die Veränderung in der Atmosphäre deutete darauf hin, dass es, ja, akzeptabel war.

»Gut«, sagte Mumm. »Jetzt geht los, und seid Polizisten. Marsch, marsch!«

Das Zimmer leerte sich, bis auf jene, die noch immer mit dem schwierigen Problem beschäftigt waren, wohin das Komma gesetzt werden sollte.

»Äh, bitte um Erlaubnis, reden zu dürfen ganz offen, Herr?«, fragte Detritus und wankte näher.

Mumm sah ihn an. Als ich dir zum ersten Mal begegnete, warst du wie ein Wachhund an die Wand gekettet und hast nur gebrummt. Die Katze lässt das Mausen nicht? Von wegen!

»Ja, natürlich«, sagte er.

»Du es doch nicht ernst meinen, oder? Du doch nicht wirklich zu einem Koprolithen wie Chrysopras gehen wollen, oder?«

»Was ist das Schlimmste, das er mir antun kann?«

»Er könnte abreißen dir den Kopf, dich in Stücke hacken und aus deinen Knochen Suppe machen, Herr«, antwortete Detritus sofort. »Und wenn du wärst ein Troll, er würde dir die Zähne ausschlagen und zu Manschettenknöpfen machen.«

»Warum sollte er so etwas tun? Glaubst du, er will einen Krieg mit uns? Das ist nicht seine Art. Er wird mich wohl kaum bei einer Verabredung umbringen. Er möchte mit mir sprechen. Bestimmt hat es etwas mit diesem Fall zu tun. Vielleicht weiß er etwas. Ich wage es nicht, nicht hinzugehen. Aber du begleitest mich. Stell einen Trupp zusammen.«

Ein Trupp war vernünftig, gestand sich Mumm ein. Derzeit herrschte auf den Straßen zu viel… Nervosität. Er gab sich mit Detritus und einem bunt zusammengewürfelten Haufen aus den Wächtern zufrieden, die zurzeit nichts zu tun hatten. Dies konnte man über die Wache sagen: Sie war repräsentativ. Wenn man seine Politik auf das Aussehen anderer Leute gründete, so konnte man behaupten, dass die Wache auf allen Seiten stand. Das sollte man nicht vergessen.

Draußen schien es stiller zu sein – es waren nicht so viele Leute auf den Straßen unterwegs wie sonst. Mumm sah darin kein gutes Zeichen. Ankh-Morpork ahnte Ärger im Voraus wie Spinnen den Regen des nächsten Tages.

 

 

Was war das?

Das Geschöpf schwamm durch ein Bewusstsein. Seit dem Beginn des Universums hatte es viele davon gesehen, aber an diesem war etwas Seltsames.

Das Bewusstsein sah nach einer Stadt aus. Geisterhafte, zitternde Gebäude erschienen in nieselndem Mitternachtsregen. Natürlich glich kein Bewusstsein einem anderen

Das Geschöpf war alt. Genauer gesagt, existierte es seit langer Zeit. Als sich am Anfang aller Dinge die primordialen Wolken des Geistes zu Göttern, Dämonen und Seelen aller Ebenen verdichtet hatten, war es unter denjenigen gewesen, die sich den großen Akkretionen nie weit genug genähert hatten. Deshalb war es ziellos ins Universum gekommen, ohne Aufgabe, niemandem zugehörig, ein Fetzen von Wesen, der frei umhertrieb und sich überall dort festsetzte, wo sich ihm eine Möglichkeit bot, eine Art komplizierter Gedanke, der nach dem richtigen Bewusstsein Ausschau hielt. Zurzeit das heißt, während der vergangenen zehntausend Jahre hatte es als Aberglauben Arbeit gefunden.

Und jetzt befand sich das Geschöpf in dieser sonderbaren dunklen Stadt. In seiner Nähe bewegte sich etwas. Dieser Ort lebte. Und es regnete.

Für einen Moment spürte es eine offene Tür, kurzen Zorn, der ihm eine Chance eröffnete. Aber als es sprang, um die Gelegenheit zu nutzen, wurde es von etwas Unsichtbarem und Starkem gepackt und fortgeschleudert.

Seltsam.

Es schlug mit dem Schwanz und verschwand in einer Gasse.

 

 

Das Zukunftsschweinlager war… eins von jenen Dingen, die sich in einer Stadt entwickelten, die zu lange mit Magie gelebt hatte. Die okkulte Argumentation, sofern man davon reden konnte, lautete so: Schweinefleisch war eine wichtige Handelsware in Ankh-Morpork. Die Kaufleute handelten routinemäßig mit zukünftigem Schweinefleisch, sogar mit Schweinefleisch, das erst noch geboren werden musste. Also musste es irgendwo existieren. Und so entstand das Zukunftsschweinlager, in dessen eiskaltem Innern das Schweinefleisch rückwärts durch die Zeit glitt. Es war ein beliebter Ort für die Kühllagerung – und für Trolle, die schnell denken wollten.

Selbst hier, abseits der kritischeren Viertel, waren die Leute auf den Straßen… wachsam.

Sie beobachteten, wie Mumm und seine Truppe sich einer Tür des Lagers näherten.

»Ich schätzen, wenigstens einer von uns mit dir hineingehen sollte«, grollte Detritus und benahm sich wie eine Glucke. »Chrysopras bestimmt nicht allein ist, darauf du wetten kannst.« Er nahm den Riemen des Friedensstifters von der Schulter, der Armbrust, die er selbst aus einer umgebauten Belagerungswaffe konstruiert hatte – ihre multiplen Bolzen neigten dazu, durch den enormen Beschleunigungsdruck in der Luft zu zersplittern. Sie konnten eine Tür nicht nur aus ihrem Rahmen entfernen, sondern auch aus der Welt der Objekte, die größer waren als ein Streichholz. Die unglaubliche Ungenauigkeit gehörte zum besonderen Reiz des Friedensstifters. Der Rest der Truppe trat schnell hinter Detritus.

»Nur du, Feldwebel«, sagte Mumm. »Die anderen betreten das Gebäude erst, wenn sie Geschrei hören. Das heißt, mein Geschrei.« Er zögerte und holte dann den Stachelbeer-Kasten hervor, in dem es noch immer summte. »Und keine Unterbrechungen, verstanden?«

»Ja, Hier Namen Einfügen. Hmm, humm, hmm…«

Mumm öffnete die Tür. Tote, kalte Luft strömte ihm entgegen. Dicker Raureif knirschte unter seinen Stiefeln. Sein Atem kondensierte sofort und bildete dichte Wolken.

Er verabscheute das Zukunftsschweinlager. Die halb durchsichtigen Brocken aus noch entstehendem Fleisch, die mit jedem verstreichenden Tag an Realität zunahmen, ließen ihn aus Gründen frösteln, die nichts mit der Temperatur zu tun hatten. Sam Mumm hielt knusprigen Schinken für eine eigene Nahrungsgruppe, und bei dem Anblick, wie dieser rückwärts durch die Zeit reiste, drehte sich ihm der Magen um.

Er trat einige Schritte weit ins Lager und blickte durch das feuchte, kalte Grau.

»Kommandeur Mumm«, sagte er und kam sich ein wenig dumm vor.

Hier, abseits der Türen, lag eiskalter Dunst knietief auf dem Boden. Zwei Trolle wateten hindurch und näherten sich ihm. Noch mehr Flechten, sah Mumm. Noch mehr Clangraffiti und Schafschädel.

»Die Waffen hier lassen«, rumpelte einer von ihnen.

»Bäh!«, erwiderte Mumm und trat zwischen sie.

Hinter ihm klickte es, dazu kam das dumpfe Summen von Stahldrähten, die unter Spannung standen und sich nach Freiheit sehnten. Detritus hielt seine Armbrust bereit.

»Ihr versuchen könnt, mir das hier abzunehmen«, grollte er.

Weiter entfernt im Dunst bemerkte Mumm eine Gruppe von Trollen. Einer oder zwei von ihnen sahen wie Schlägertypen aus. Die anderen jedoch… Er seufzte. Detritus brauchte seine Waffe nur in die entsprechende Richtung abzufeuern, und ein großer Teil des organisierten Verbrechens in der Stadt wäre plötzlich sehr desorganisiert – ebenso wie Mumm, wenn er sich nicht rechtzeitig zu Boden warf. Aber das durfte er nicht zulassen. Es gab hier Regeln, die tiefer gingen als das Gesetz. Außerdem wäre ein zwölf Meter großes Loch in der Lagerhauswand schwer zu erklären gewesen.

Chrysopras saß auf einer von Raureif überzogenen Kiste. Selbst in einer großen Menge konnte man ihn sofort erkennen. Er trug Anzüge, während wenige Trolle nach nicht mehr strebten als einem Stück Leder. Er trug sogar eine Krawatte mit einer diamantenbesetzten Krawattennadel. Und heute hatte er sich einen Pelzmantel über die Schultern geworfen. Was natürlich nur Angeberei war. Trolle mochten niedrige Temperaturen. Mit kaltem Gehirn konnten sie schneller denken. Deshalb fand das Treffen an diesem Ort statt. Na schön, dachte Mumm und versuchte, das Klappern seiner Zähne zu unterbinden. Wenn es mir zusteht, den nächsten Treffpunkt zu bestimmen, wähle ich eine Sauna.

»Herr Mumm! Wie schön von dir, dass du bist gekommen«, sagte Chrysopras jovial. »Diese Herren vornehme Geschäftsleute aus meinem Bekanntenkreis sind. Du sie vermutlich erkennst.«

»Ja, die Brekzie«, sagte Mumm.

»Ich bitte dich, Herr Mumm, du wissen, dass so was nicht existiert«, erwiderte Chrysopras unschuldig. »Wir nur uns zusammenschließen, um mit karitativen Unternehmen zu fördern die Trollinteressen in der Stadt. Du könntest uns bezeichnen als führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Beschimpfungen fehl am Platze sind.«

Führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, dachte Mumm. Von solchen Leuten war in letzter Zeit recht oft die Rede gewesen, wie in »Führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben zu Ruhe aufgefordert« – die Times verwendete diesen Satz so oft, dass die Drucker ihn vermutlich gesetzt ließen. Mumm fragte sich, wer diese führenden Persönlichkeiten waren und wer sie bestimmte. Und manchmal fragte er sich auch, ob »haben zu Ruhe aufgefordert« bedeutete, dass man zwinkerte und sagte: »Benutzt nicht die funkelnagelneuen Streitäxte im Schrank dort drüben… Nein, nicht in dem Schrank, ich meine den anderen.« Schinkenbrecher war eine führende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gewesen.

»Du hast gesagt, dass du allein mit mir sprechen willst«, sagte Mumm und nickte in Richtung der schattenhaften Gestalten. Einige von ihnen verbargen ihre Gesichter.

»Das so ist, ja. Oh, die Herren hinter mir? Sie jetzt gehen werden«, sagte Chrysopras und winkte ihnen. »Sie nur hier sind, um dir zu zeigen: Dieser Troll, meine Wenigkeit, für die vielen spricht. Und gleichzeitig dein Feldwebel, mein alter Freund Detritus, geht nach draußen, um ein bisschen zu rauchen. Dieses Gespräch sich auf dich und mich beschränkt oder es gar nicht stattfindet.«

Mumm drehte sich um und nickte Detritus zu. Der Feldwebel bedachte Chrysopras mit einem finsteren Blick und wankte dann davon. Die anderen Trolle gingen ebenfalls. Stiefel knirschten über den Raureif, und Türen fielen zu.

Mumm und Chrysopras musterten sich in wahrhaft eisigem Schweigen.

»Ich höre deine Zähne klappern«, sagte Chrysopras. »Dies guter Ort für einen Troll, aber für dich es ist saukalt. Deshalb ich habe mitgebracht diesen Pelz.« Er streifte ihn ab und hielt ihn Mumm hin. »Hier nur wir beide sind, klar?«

Stolz war eine Sache, die eigenen Finger nicht mehr zu fühlen eine andere. Mumm hüllte sich in erlesenen, warmen Pelz.

»Gut. Man nicht reden kann mit einem Mann, dessen Ohren sind gefroren«, sagte Chrysopras und holte ein großes Zigarrenetui hervor. »Zunächst einmal: Ich gehört habe, dass einer meiner Jungs gewesen ist respektlos zu dir. Er dir zu verstehen gegeben hat, dass ich bin ein Troll, der persönlich werden könnte, der wäre imstande, zu heben die Hand gegen deine liebe Frau und deinen kleinen Jungen, der so aufwächst prächtig. Manchmal ich verzweifle bei den jungen Trollen von heute. Sie zeigen keinen Respekt. Sie haben keinen Stil. Es ihnen mangelt an Finesse. Wenn du möchtest einen neuen Steingarten, du brauchst es nur zu sagen.«

»Was? Sorg nur dafür, dass er mir nicht noch einmal unter die Augen tritt«, sagte Mumm knapp.

»Das kein Problem sein wird«, erwiderte der Troll. Er deutete auf einen kleinen Kasten neben der Kiste, der einen Durchmesser von nicht mehr als zwanzig Zentimetern hatte. Er war viel zu klein, um einen ganzen Troll zu enthalten.

Mumm bemühte sich, dem Kasten keine Beachtung zu schenken, aber es fiel ihm schwer. »Wolltest du nur deshalb mit mir sprechen?«, fragte er und versuchte, seine Fantasie daran zu hindern, Horrorbilder zu malen.

»Du rauchen möchtest, Herr Mumm?«, fragte Chrysopras und klappte das Etui auf. »Die auf der linken Seite für Menschen geeignet sind. Sehr gute Zigarren.«

»Ich habe meine eigenen«, sagte Mumm und holte ein zerbeultes Päckchen hervor. »Worum geht es? Ich bin ein viel beschäftigter Mann.«

Chrysopras entzündete eine silbrige Trollzigarre und nahm einen langen Zug. Es roch nach heißem Zinn.

»Es mir geht um den toten Zwerg«, sagte er, ohne Mumm anzusehen.

»Ja?«

»Kein Troll es getan«, sagte Chrysopras.

»Woher willst du das wissen?«

Daraufhin richtete Chrysopras den Blick auf Mumm. »Wenn ein Troll es gewesen wäre, ich es inzwischen herausgefunden hätte. Ich mich umgehört habe.«

»Wir auch.«

»Ich Fragen lauter gestellt habe«, sagte der Troll. »Und ich viele Antworten bekomme. Manchmal ich bekomme Antworten auf Fragen, die ich gar nicht gestellt habe.«

Kann ich mir gut vorstellen, dachte Mumm. Ich muss Regeln beachten. »Warum sollte es dich interessieren, wer einen Zwerg ermordet hat?«

»Herr Mumm! Ich ein ehrlicher Bürger bin und der Öffentlichkeit verpflichtet!« Chrysopras beobachtete Mumms Gesicht, um zu sehen, wie dieser darauf reagierte. Dann lächelte er. »Diese dumme Sache mit dem Koomtal schlecht fürs Geschäft ist. Die Leute nervös werden, schnüffeln herum, stellen Fragen. Ich da sitze und ebenfalls nervös werde. Und dann ich höre, dass mein alter Freund Herr Mumm ermittelt, und da ich denke, dieser Herr Mumm, er vielleicht nicht immer wahrnehmen alle Nuancen der Trollkultur, aber der Mann ist so gerade wie ein Pfeil, ihn man legt nicht so schnell aufs Kreuz. Er sehen wird die Stelle, an der angeblich der Troll zurückgelassen hat seine Keule, und er sich kaputtlachen und alles durchschauen wird! Ein Zwerg dahinter steckt und möchte die Trolle schlecht dastehen lassen, Kuh Eh Deh.« Er lehnte sich zurück.

»Welche Keule?«, fragte Mumm ruhig.

»Was?«

»Ich habe keine Keule erwähnt. In der Zeitung stand nichts von einer Keule.«

»Lieber Herr Mumm, das die Rasenschmucke sagen«, erwiderte Chrysopras.

»Und die Zwerge reden mit dir?«, erkundigte sich Mumm.

Der Troll sah nachdenklich zur Decke und blies noch mehr Rauch von sich. »Schließlich«, sagte er. »Aber das nur ein Detail ist. Gesprochen unter uns, hier und jetzt. Wir diese Dinge verstehen. Vielleicht bei den Zwergen es kam zu einem Streit, oder der alte Zwerg starb an einem zu langen Leben, oder…«

»… oder du hast ihm einige Fragen gestellt?«

»Bitte, Herr Mumm, keine Unterstellungen. Die Keule nur ein falsch lenkendes Ding ist, ein Ablenkungsmanöver. Der Zwerg sie dorthin gelegt hat.«

»Oder ein Troll hat den Mord begangen und sie vor seiner Flucht fallen gelassen«, sagte Mumm. »Oder er war clever und dachte: Niemand würde einen Troll für so dämlich halten, dass er seine Keule zurücklässt, deshalb lasse ich sie zurück, und dann fällt der Verdacht auf die Zwerge.«

»He, zum Glück es hier drin so kalt ist, sonst ich dir nicht folgen könnte!«, lachte Chrysopras. »Ich dich frage: Ein Troll ins Nest der lausigen Tiefener kommt und bringt nur einen um? Aber nie nich und nimmer! Er würde so viele wie möglich erledigen, klonk, klonk!«

Er bemerkte Mumms Verwunderung und seufzte.

»Jeder Troll, der aufsucht jenen Ort, ein irrer Troll sein müsste. Du weißt ja, dass alle aufgedreht sind ziemlich. Hören dauernd von Ehre und Ruhm und Schicksal und so, solcher Koprolith das Gehirn schneller verdirbt als Platte, sogar noch schneller als Schlitt. Nach dem, was gehört habe ich, der Zwerg forensisch erledigt wurde, still und heimlich. So was wir nicht machen, Herr Mumm. Du dich auskennst und Bescheid weißt. Ein Troll unter vielen Zwergen ist wie ein Fuchs in… bei den Dingern mit Flügeln, legen Eier…«

»Wie ein Fuchs im Hühnerstall?«

»Ja, genau da das… Langohr im Salz liegt.«

»Ich nehme an, du meinst den Hasen im Pfeffer.«

»Stimmt! Einem Zwerg eins geben über die Rübe und dann verschwinden? Kein Troll sich damit zufrieden geben würde, Herr Mumm. Es so ist wie bei euch Menschen und Erdnüssen. Das im Spiel richtig ist.«

»Welches Spiel meinst du?«

»Hast du nie Klonk8 gespielt?«

»Oh, das meinst du«, sagte Mumm. »Ich spiele nicht. Und was Platte betrifft… Du bist der größte Lieferant. Nur unter uns gesprochen, hier und jetzt.«

»Nein, ich raus aus dieser Sache bin«, sagte Chrysopras und winkte mit der Zigarre ab. »Man sagen könnte, dass ich eingesehen habe meinen Fehler. Von jetzt an ich sauber bleibe, von oben bis unten. Immobilien und Finanzdienstleistungen der Weg nach vorn sind.«

»Freut mich, das zu hören.«

»Außerdem immer mehr junge Leute kommen«, fuhr Chrysopras fort. »Sedimentgesindel. Und sie Platte mit Sulfiden verschneiden und es aufkochen mit Eisenchlorid und so einem Mist. Du Platte hältst für schlimm? Warte ab, bist du siehst Schlitt. Platte einen Troll veranlasst, sich zu setzen und zu betrachten all die schönen Farben. Er niemanden stört, ganz ruhig und friedlich ist. Aber Schlitt ihn fühlen lässt wie der größte, stärkste Troll auf der Welt, braucht keinen Schlaf und kein Essen. Nach einigen Wochen er auch nicht mehr braucht Leben. So was nichts für mich ist.«

»Ja, warum seine Kunden töten?«, meinte Mumm.

»Das ein Tiefschlag, Herr Mumm, ein Tiefschlag. Nee, die neuen Jungs die Hälfte der Zeit selbst auf Schlitt sind. Zu viele Streitereien, zu wenig Respekt.« Chrysopras kniff die Augen zusammen und beugte sich vor. »Ich Namen und Orte kenne.«

»Dann ist es als ehrlicher Bürger deine Pflicht, sie mir zu nennen«, sagte Mumm. Bei den Göttern, für wen hält er mich? Aber ich möchte die Namen. Schlitt klingt grässlich. Derzeit brauchen wir kampfverrückte Trolle ebenso dringend wie ein Loch im Kopf, womit wir vermutlich enden werden.

»Kann dir keine Auskunft geben, das ist das Problem«, sagte Chrysopras. »Dies nicht der richtige Zeitpunkt. Du weißt, was geschieht dort draußen. Wenn die dummen Zwerge wollen kämpfen, wir brauchen jeden Troll. Das ich sage. Ich darauf hinweise meine Leute, dass wir geben sollten Mumm eine Chance. Seid gute Bürger, nicht aufwirbeln Staub. Die Leute noch immer hören auf mich und meine… Mitarbeiter. Aber nicht mehr viel länger. Ich hoffe, du untersuchst den Fall, Herr Mumm?«

»Hauptmann Karotte ermittelt derzeit«, sagte Mumm.

Chrysopras kniff erneut die Augen zusammen. »Karotte Eisengießersohn? Zwergenname. Das hier ein Problem ist. Aber der Name Mumm… Der Name bedeutet viel. Kann nicht bestochen werden, hat einmal den Patrizier verhaftet. Nicht das schärfste Messer im Schrank, aber durch und durch ehrlich, und er nicht aufhören wird, nach der Wahrheit zu suchen.« Chrysopras bemerkte Mumms Gesichtsausdruck. »Das die Leute sagen. Ich wünschte, Mumm sich kümmern würde um diesen Fall, denn er wie ich ist, fasst die Dinge an. Er bald herausfindet, was geschah. Und diesem Mann sage ich: Kein Troll es getan hat, nicht so.«

Vergiss, dass er Straßentrollisch spricht, dachte Mumm. Auf diese Weise will er wie ein guter alter Troll erscheinen. Dies ist Chrysopras. Er hat die meisten alten Gangster aus dem Geschäft gedrängt, und diese Typen waren nicht ohne. Mit einer Hand hält er die Diebesgilde auf Abstand. Und dabei sitzt er nicht in einem Schneehaufen. Du weißt, dass er intelligent ist. Aber… nicht das schärfste Messer im Schrank? Herzlichen Dank!

Doch Hauptmann Karotte glänzte. Mumms Geist suchte immer nach Verbindungen, und ihm fiel dies ein: »Wer ist Herr Schein?«

Chrysopras blieb absolut reglos. Die einzige Bewegung kam von dem grünlichen Rauch, der von der Zigarre ausging und nach oben strebte. Als er sprach, klang seine Stimme ungewöhnlich jovial.

»Er? Oh, eine Geschichte für Kinder«, sagte er. »Eine Trolllegende aus der fernen Zeit weit vor uns.«9

»Wie ein Volksheld?«

»Ja, in der Art. Ein dummes Ding, über das reden die Leute in schwerer Zeit. Ein… Phantom, nichts Wirkliches. Dies moderne Zeiten sind.«

Und das schien es zu sein.

Mumm stand auf. »Na schön, ich habe gehört, was du zu sagen hattest«, brummte er. »Ich muss jetzt zur Wache zurück.«

Chrysopras paffte an seiner Zigarre und schnippte die Asche in den Raureif, wo sie zischte. »Du zurückkehrst zur Wache durch die Dreh-dich-wieder-Straße?«, fragte er.

»Nein, das wäre ein Um…« Mumm unterbrach sich. In der Stimme des Trolls schwang ein Hinweis mit.

»Grüß die alte Dame neben Kuchenladen von mir«, sagte Chrysopras.

»Äh, das mache ich«, erwiderte Mumm. »Feldwebel!«

Die Tür am anderen Ende des Lagers flog auf, und Detritus stürmte herein, die Armbrust bereit. Mumm wusste, dass einer der Fehler des Trolls darin bestand, die Bedeutung der »Sicherung« nicht zu kennen, und er kämpfte gegen den schrecklichen Drang an, sich zu Boden zu werfen.

»Es kommt die Zeit, da wir alle wissen, wo wir stehen«, sagte Chrysopras nachdenklich und schien zu dem geisterhaften Schweinefleisch zu sprechen. »Und wer neben uns steht.«

Als Mumm zur Tür ging, fügte der Troll hinzu: »Gib den Mantel deiner Frau, Herr Mumm. Mit meinen besten Wünschen.«

Mumm blieb plötzlich stehen und sah auf den Mantel, den er sich über die Schultern geschlungen hatte. Er bestand aus silbrigem Pelz und war herrlich warm, aber nicht so warm wie der in ihm aufsteigende Zorn. Er wäre fast mit ihm nach draußen gegangen. So nahe war er der Sache gekommen.

Er streifte ihn ab und knüllte ihn zu einer Kugel zusammen. Vermutlich hatten mehrere Dutzend recht kleine Quiektiere dafür sterben müssen, doch er konnte dafür sorgen, dass ihr Tod nicht ganz und gar umsonst gewesen war.

Er warf das Bündel in die Luft und rief: »Feldwebel!« Dann warf er sich zu Boden. Ein Pochen kam von der Armbrust, und danach ein Summen wie von einem Schwarm irrer Bienen. Diesem Geräusch folgte das Pinkplinkplink von Bolzensplittern, die einen runden Teil des metallenen Daches in ein Sieb verwandelten, und es roch nach verbranntem Haar.

Mumm kam wieder auf die Beine. Um ihn herum fiel eine Art haariger Schnee.

Er begegnete Chrysopras’ Blick. »Der Versuch, einen Wächter zu bestechen, ist ein schweres Vergehen«, sagte er.

Der Troll zwinkerte. »Ehrlich durch und durch, das ich den Leuten gesagt habe. Es mich freut, dass wir geführt haben dieses kleine Gespräch, Herr Mumm.«

Als sie das Lager ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatten, zog Mumm Detritus in eine Gasse – sofern es möglich war, einen Troll irgendwohin zu ziehen.

»Was weißt du über Schlitt?«, fragte er.

Die roten Augen des Trolls glühten. »Ich Gerüchte gehört.«

»Geh zur Sirupminenstraße und stell einen gut bewaffneten Trupp zusammen. Begib dich mit ihm zur Dreh-dich-wieder-Straße hinter der Rennerei. Dort gibt es eine Hochzeitskuchenbäckerei, glaube ich. Du hast eine Nase für Drogen. Schnüffel dort ein wenig herum, Feldwebel.«

»Jawohl!«, erwiderte Detritus. »Du etwas erfahren hast?«

»Sagen wir, es ist ein Zeichen des guten Willens.«

»Das gut ist, Herr«, sagte der Troll. »Wie das Zeichen aussieht?«

»Ich meine, jemand möchte uns zeigen, dass er ein guter Bürger ist. Kümmere dich darum.«

Detritus schlang sich den Riemen der Armbrust um die Schulter, damit er sie leichter tragen konnte, und wankte im Eiltempo davon. Mumm lehnte sich an die Wand. Dies war ein langer Tag, und er war noch lange nicht zu Ende. Jetzt musste er…

Ein wenig über Kopfhöhe hatte ein Troll die Darstellung eines Diamanten in die Mauer gekratzt. Trollgraffiti konnte man leicht erkennen: Sie kratzten mit dem Fingernagel mehr als zwei Zentimeter tief ins Mauerwerk.

Neben dem Diamanten prangten Buchstaben: SCHEIN.

»Ähem«, ertönte eine leise Stimme in Mumms Tasche. Er seufzte und holte das Stachelbeer-Modell hervor, während er auf das Wort starrte.

»Ja?«

»Du hast gesagt, du wolltest nicht gestört werden…«, sagte der Kobold defensiv.

»Und? Was hast du mir mitzuteilen?«

»Es ist elf Minuten vor sechs, Hier Namen Einfügen«, antwortete der Kobold unterwürfig.

»Lieber Himmel! Warum hast du mir nichts gesagt?«

»Weil du nicht gestört werden wolltest!«, erwiderte der Kobold mit zitternder Stimme.

»Ja, aber…« Mumm hielt inne. Elf Minuten. So schnell er auch lief: Er konnte es nicht schaffen, nicht um diese Zeit. »Sechs Uhr ist… wichtig

»Das hast du mir nicht gesagt!«, verteidigte sich der Kobold und hielt seinen Kopf mit beiden Händen. »Du wolltest nicht gestört werden! Es tut mir wirklich Leid…«

Mumm vergaß Schein und sah sich verzweifelt um. Hier, wo das Schlachthausviertel an die Docks reichte, gab es keine große Nachfrage nach Klackertürmen, aber er sah den großen Semaphorturm auf dem Büro des Dockdirektors.

»Flitz dort hinauf!«, befahl er und öffnete den Kasten. »Sag den Leuten, dass du von mir kommst und dies höchste Priorität hat, klar? Sie sollen dem Pseudopolisplatz mitteilen, von wo ich aufbreche! Ich werde den Fluss auf der Schlechten Brücke überqueren und dann den Kühnen Weg nehmen! Die Wächter im Wachhaus werden verstehen, worum es geht! Los!«

Der Kobold schaltete innerhalb eines Augenblicks von Verzweiflung auf Begeisterung um. Er salutierte. »Sofort, Herr. Der Integrierte Bluenose™-Nachrichtendienst wird dich nicht enttäuschen, Hier Namen Einfügen. Ich werde mich sofort in ein Interface verwandeln!« Er sprang und verschwand als grüner Schemen. Mumm lief zu den Docks hinunter und wand sich stromaufwärts an den Schiffen vorbei. Bei den Docks ging es immer sehr beengt zu, und die Straße war eine Hindernisstrecke aus Ballen, Stricken und Kistenstapeln, mit einem Streit alle zehn Meter. Doch Mumm war von Natur aus ein Läufer und kannte alle Möglichkeiten, in den verkehrsreichen Straßen der Stadt voranzukommen. Er wich aus und sprang, schlängelte und wand sich durch Lücken, drängelte und rempelte. Ein Seil brachte ihn zu Fall, und nach einer schnellen Rolle vorwärts stand er wieder. Ein Stauer stieß gegen ihn. Mumm streckte ihn mit einem Kinnhaken nieder und lief noch schneller, für den Fall, dass Kumpel des Mannes in der Nähe weilten.

Dies war wichtig

Ein glänzender Vierspänner bog auf die Affenstraße; zwei Diener hielten sich hinten fest. Mumm legte einen verzweifelten Sprint ein, streckte die Hand nach einem Griff aus und zog sich zwischen den beiden erstaunten Lakaien nach oben auf das schwankende Dach. Auf der anderen Seite kletterte er hinunter und sank neben dem jungen Fahrer auf die Sitzbank.

»Stadtwache«, sagte er und zeigte seine Dienstmarke. »Fahr weiter, geradeaus!«

»Aber ich muss gleich links abbiegen…«, begann der junge Mann.

Mumm achtete nicht auf ihn. »Und lass sie ein bisschen die Peitsche spüren. Dies ist wichtig!«

»Oh, gut! Eine todesmutige Hochgeschwindigkeitsjagd?«, fragte der Kutscher mit steigendem Enthusiasmus. »Gut! Dafür bin ich genau der Richtige! Du hast den rechten Mann gefunden, Herr. Weißt du, dass ich diese Kutsche fünfzig Meter weit auf zwei Rädern rollen lassen kann? Aber die alte Frau Robinson hat das nicht gern. Die rechte oder linke Seite, wie du willst! Hüah! Hüah!«

»Es genügt, wenn du…«, begann Mumm, als die Peitsche knallte.

»Der Trick besteht darin, die Pferde dazu zu bringen, auf zwei Beinen zu laufen. Eigentlich ist es mehr ein Hüpfen, könnte man sagen«, fuhr der Kutscher fort und drehte die Mütze, um den Luftwiderstand zu verringern. »He, möchtest du mein Wheelie sehen?«

»Nicht unbedingt«, sagte Mumm und blickte nach vorn.

»Bei meinem Wheelie lassen die Hufe ordentlich Funken sprühen, das kann ich dir sagen! Hüah!«

Die Umrisse verschwammen. Weiter vorn führte normalerweise eine Drehbrücke zum Zwei-Halbe-Dock auf der anderen Seite.

Normalerweise…

Diesmal war die Drehbrücke zur Seite gedreht. Mumm sah die Masten eines Schiffes, das aus dem Dock in den Fluss gelassen wurde.

»Oh, mach dir darüber keine Sorgen, Herr!«, rief der Kutscher neben ihm. »Wir sausen am Kai entlang und springen!«

»Mit einem Vierspänner kann man keinen Zweimaster überspringen, Mann!«

»Ich wette, zwischen den Masten geht das, Herr! Hüah! Hüah!«

Vor der Kutsche liefen Männer umher und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Mumm schob den jungen Mann beiseite, griff nach den Zügeln, trat mit beiden Füßen auf den Bremshebel und zog.

Die Räder blockierten. Die Pferde begannen sich zu drehen. Die Kutsche rutschte; von den Metallbeschlägen der Räder flogen Funken, und es kreischte gequält. Die Pferde drehten sich noch etwas mehr. Die Kutsche geriet ins Schleudern und zog die Pferde mit sich – es sah fast aus wie bei einem Rummelplatzkarussell. Die Hufe hinterließen Spuren aus Feuer auf dem Kopfsteinpflaster. An dieser Stelle ließ Mumm alles los, hielt sich mit der einen Hand an der Sitzbank fest, mit der anderen an der Armlehne, schloss die Augen und wartete darauf, dass der Lärm aufhörte.

Zum Glück hörte er tatsächlich auf. Nur ein kleines Geräusch blieb: ein hartnäckiges Pochen gegen das Kutschendach, verursacht vermutlich von einem Gehstock. Die nörgelnde Stimme einer älteren Frau erklang. »Johnny? Bist du wieder zu schnell gefahren, junger Mann?«

»Ein Schmugglerdreher!«, hauchte Johnny und blickte zu den vier dampfenden Pferden, deren Köpfe nun in die Richtung zeigten, aus der sie gekommen waren. »Ich bin beeindruckt

Er wandte sich Mumm zu, der nicht mehr da war.

Die Männer beim Schiff hatten beim Anblick des heranrasenden Vierspänners ihre Seile fallen lassen und waren weggelaufen. Der Zugang zum Dock war schmal. Ein Mann konnte leicht an einem Seil emporklettern, übers Deck laufen und sich auf der anderen Seite zum Kopfsteinpflaster hinunterhangeln. Und das hatte ein Mann gerade getan.

Mumm lief wieder und sah, dass die Schlechte Brücke ein Problem darstellte. Ein überladener Heuwagen hatte sich zwischen den schiefen Häusern zu beiden Seiten der Brücke festgekeilt, ein Obergeschoss aufgerissen und dabei einen Teil seiner Ladung verloren. Zwischen dem Fuhrmann und dem unbeeindruckten Eigentümer des neuen Bungalows gab es eine Auseinandersetzung. Wertvolle Sekunden gingen verloren, als sich Mumm über und durch das Heu mühte, und dann lief er durch den zum Stehen gekommenen Verkehr zur anderen Seite der Brücke. Vor ihm erstreckte sich die breite Durchgangsstraße namens Kühner Weg – sie war voller Karren, und es ging die ganze Strecke bergauf.

Er würde es nicht schaffen. Inzwischen musste es bereits fünf vor sechs sein. Die Vorstellung von dem kleinen Gesicht…

»Herr Mumm!«

Er drehte sich um. Eine Postkutsche war hinter ihm auf die Straße abgebogen und näherte sich. Karotte saß neben dem Kutscher und winkte.

»Aufs Trittbrett, Herr!«, rief er. »Dir bleibt nicht mehr viel Zeit!«

Mumm lief erneut los, und als die Kutsche zu ihm aufschloss, sprang er aufs Trittbrett vor der Tür und hielt sich fest.

»Ist dies nicht die Postkutsche nach Quirm?«, rief er, als der Kutscher die Pferde zum kurzen Galopp antrieb.

»Das stimmt, Herr«, antwortete Karotte. »Ich habe erklärt, dass es eine extrem wichtige Angelegenheit ist.«

Mumm hielt sich noch entschlossener fest. Die Postkutschen hatten sehr gute Pferde. Die nicht weit von ihm entfernten Räder waren nur noch Schemen.

»Wie bist du so schnell hierher gekommen?«, rief er.

»Ich habe eine Abkürzung durch den Apothekergarten genommen, Herr!«

»Was? Meinst du den kleinen Weg am Fluss? Der ist nicht breit genug für eine Kutsche wie diese!«

»Es war ein wenig eng, Herr, ja. Besser wurde es, als die Kutschenlampen abgekratzt waren.«

Mumm nahm dies zum Anlass, die Seite der Kutsche zu betrachten. Überall sah er tiefe Kratzer.

»Na schön!«, rief er. »Sag dem Kutscher, dass ich für alles aufkomme! Aber es hat keinen Zweck, Karotte. Um diese Zeit gibt es immer einen Stau auf dem Parkweg!«

»Keine Sorge, Herr! Ich rate dir, dich gut fest zu halten, Herr!«

Mumm hörte das Knallen der Peitsche. Dies war eine echte Postkutsche. Postsäcken ist es egal, ob sie es bequem haben oder nicht. Er fühlte die Beschleunigung.

Es war nicht mehr weit bis zum Parkweg. Mumm konnte nicht viel sehen, denn der Fahrtwind trieb ihm Tränen in die Augen, aber er wusste, was weiter vorn lag: einer der schlimmsten Verkehrsstaus in der Stadt. Zu jeder beliebigen Tageszeit herrschte dort Chaos, aber der frühe Abend war besonders schrecklich, was an dem in Ankh-Morpork weit verbreiteten Glauben lag, dass das schwerste Fahrzeug oder der am lautesten fluchende Fahrer Vorfahrt hatte. Dauernd kam es zu irgendwelchen kleineren Zusammenstößen, was stets dazu führte, dass die betreffenden Fahrzeuge die Kreuzung blockierten, während die Fahrer Fragen der Verkehrssicherheit erörterten, mithilfe der ersten Waffe, die sie in die Hand bekommen konnten. Und diesem Mahlstrom aus drängelnden Pferden, hastenden Fußgängern und fluchenden Fahrern näherte sich die Postkutsche im vollen Galopp.

Mumm schloss die Augen – und riskierte es, sie wieder zu öffnen, als sich das Geräusch der Räder veränderte.

Die Kutsche flog über die Kreuzung. Mumm sah kurz eine endlose Schlange, die wütend und schreiend hinter zwei reglosen Trollwächtern wartete, und dann raste die Kutsche in Richtung Teekuchenstraße.

»Du hast die Straße gesperrt? Du hast die Straße gesperrt!«, rief er im Heulen des Fahrtwinds.

»Und die Königsstraße«, erwiderte Karotte. »Nur für den Fall.«

»Du hast zwei Hauptstraßen gesperrt? Zwei verdammte Hauptstraßen? Während der Hauptverkehrszeit?«

»Ja, Herr«, bestätigte Karotte. »Es war die einzige Möglichkeit.«

Mumm hielt sich sprachlos fest. Hätte er so etwas gewagt? Eigentlich war es typisch für Karotte. Es gab ein Problem, und jetzt gibt es keins mehr. Vermutlich stockt inzwischen der Verkehr in der ganzen Stadt, aber das ist ein neues Problem.

Er würde es rechtzeitig nach Hause schaffen. Hätte eine Minute eine Rolle gespielt? Wahrscheinlich nicht, obgleich der kleine Sam eine sehr genau gehende innere Uhr zu haben schien. Selbst zwei Minuten Verspätung wären vielleicht noch in Ordnung gewesen. Oder sogar drei. Man konnte eventuell bis fünf gehen. Aber das war’s. Wenn man bis zu fünf Minuten gehen konnte, würden daraus schnell zehn, eine halbe Stunde, zwei Stunden… und dann sah man den Sohn den ganzen Abend nicht. Deshalb musste er pünktlich sein. Sechs Uhr. Jeden Tag. Dem kleinen Sam vorlesen. Keine Ausreden. Er hatte es sich versprochen. Keine Ausreden. Auf keinen Fall. Wenn man eine gute Ausrede hatte, öffnete man die Tür für eine schlechte.

Er hatte Albträume davon, zu spät zu kommen.

Mumm hatte viele Albträume, in denen der kleine Sam vorkam. Darin ging es um leere Kinderbettchen und Dunkelheit.

Es war alles… zu gut gelaufen. In einigen wenigen Jahren war er, Sam Mumm, wie ein Ballon in der Welt aufgestiegen. Er hatte es zum Herzog und Kommandeur der Wache gebracht. Er hatte Macht und eine Frau, von deren Anteilnahme, Liebe und Verständnis er wusste, dass ein Mann wie er sie nicht verdiente. Und er war reich wie Krösus. Das Glück hatte seinen Bratensaft herabregnen lassen, und er war der Mann mit der großen Schüssel gewesen. Und es war alles so schnell gegangen.

Und dann hatte der kleine Sam das Licht der Welt erblickt, und zuerst war alles gut gewesen. Das Baby war, nun, ein Baby, das mit dem Kopf wackelte, Bäuerchen machte und ihn nicht sah – ganz und gar die Domäne der Mutter. Und dann, eines Abends, hatte sein Sohn den Kopf gedreht und Mumm angesehen, mit Augen, die für den Vater heller strahlten als alles Licht der Welt, und daraufhin war die Furcht mit einer schrecklichen Welle in sein Leben geschwappt. All das Glück, seine Freude… es war falsch. Das Universum würde einem einzelnen Mann gewiss nicht so viel Freude gönnen, ohne die Rechnung zu präsentieren. Irgendwo wuchs eine Woge aus großer Dunkelheit, und wenn sie sich über ihm brach, würde sie alles fortspülen. Manchmal glaubte er, in der Ferne ihr Donnern zu hören…

Mumm rief ein kaum verständliches »Danke!« und sprang ab, als die Kutsche langsamer wurde. Es gelang ihm nicht, auf den Beinen zu bleiben, und er rutschte auf die Zufahrt vor dem Haus. Die Eingangstür öffnete sich bereits, als er wieder lief und Kies verstreute, und dort stand Willikins mit dem Buch. Mumm ergriff es und raste die Treppe hoch, als die Uhren in der Stadt ihre individuellen Annäherungen von sechs Uhr schlugen.

Sybil hatte sich mit allem Nachdruck gegen ein Kindermädchen ausgesprochen, und dieses eine Mal hatte Mumm mit noch größerem Nachdruck darauf bestanden, dass sie eins einstellten und außerdem eins, das sich um die Zuchtdrachen in den Pferchen kümmerte. Immerhin konnte sich eine einzelne Person nicht um alles kümmern. Schließlich hatte er sich durchgesetzt. Fräulein Reinlich leistete gute Dienste und hatte den kleinen Sam gerade in sein Bettchen gelegt, als Mumm hereinwankte. Sie begann mit einem Knicks, erinnerte sich dann an den Vortrag in der vergangenen Woche über die »Rechte des Mannes« und eilte hinaus. Es durfte niemand sonst zugegen sein. Dieser Moment blieb allein den beiden Sams vorbehalten.

Der kleine Sam zog sich am Gitter des Bettes hoch und sagte: »Da!« Die Welt wurde weich.

Mumm strich seinem Sohn übers Haar. Eigentlich komisch. Er verbrachte den Tag damit, zu rufen und zu schreien, zu reden und zu brüllen… aber hier, in diesem ruhigen Moment, der (dank Fräulein Reinlich) nach Seife roch, wusste er nie, was er sagen sollte. Er war sprachlos in der Gegenwart eines vierzehn Monate alten Kleinkinds. All die Dinge, die ihm einfielen – zum Beispiel »Wer ist Papis kleiner Liebling?« –, klangen schrecklich falsch, als hätte er sie aus einem Buch. Es gab nichts zu sagen, und in diesem Zimmer mit den weichen Pastellfarben musste auch nichts gesagt werden.

Ein Brummen kam unter dem Bett hervor. Der Drache Sabberer döste dort. Uralt, ohne Feuer, mit fransigen Flügeln und ohne Zähne… aus irgendeinem Grund kletterte er jeden Tag die Treppe hoch und bezog Posten unter dem Kinderbett. Niemand wusste, warum. Im Schlaf gab er leise pfeifende Geräusche von sich.

Glückliche Stille umhüllte Mumm, aber sie konnte nicht andauern. Er musste das Bilderbuch lesen. Das war die Bedeutung von sechs Uhr.

Jeden Tag las er aus dem gleichen Buch vor. Die Seiten des Buches waren dort rund und weich, wo der kleine Sam sie in den Mund genommen hatte, aber für eine Person in diesem Kinderzimmer war es das Buch der Bücher, und es enthielt die größte Geschichte, die jemals erzählt worden war. Mumm brauchte es gar nicht mehr zu lesen. Er kannte es auswendig.

Das Buch hieß Wo ist meine Kuh?

Der unbekannte Beschwerdeführer hatte seine Kuh verloren. Das war die Geschichte, im Großen und Ganzen.

Die erste Seite begann vielversprechend:

 

Wo ist meine Kuh?

Ist das meine Kuh?

Es macht »Bäh!«.

Es ist ein Schaf!

Das ist nicht meine Kuh!

 

Dann begann der Autor, sich ernsthaft mit seinem Stoff auseinander zu setzen:

 

Wo ist meine Kuh?

Ist das meine Kuh?

Es macht »Wieäh!«.

Es ist ein Pferd!

Das ist nicht meine Kuh!

 

An dieser Stelle begann für den Autor die Agonie der Schöpfung, und er schrieb aus den gequälten Tiefen seiner Seele:

 

Wo ist meine Kuh?

Ist dies meine Kuh?

Es macht »Hruuuah!«

Es ist ein Flusspferd!

Das ist nicht meine Kuh!

 

Dies war ein guter Abend. Der kleine Sam strahlte bereits und versuchte, die Geräusche nachzuahmen.

Schließlich wurde die Kuh gefunden. Das Buch las sich wie von selbst. Natürlich kam Spannung auf, weil viele andere Tiere auf eine Weise vorgestellt wurden, die vielleicht ein Kätzchen verwirrt hätte, das in einem dunklen Zimmer aufgewachsen war. Das Pferd stand vor einem Hutständer, wie so oft, und das Flusspferd fraß aus einem Trog, an dem eine umgedrehte Heugabel lehnte. Aus der falschen Richtung gesehen, hätte es möglicherweise, für eine Sekunde, mit einer Kuh verwechselt werden können…

Doch der kleine Sam liebte die Geschichte. Es musste das am meisten geschmuste Buch auf der ganzen Welt sein.

Dennoch war Mumm ein wenig beunruhigt, obwohl er die Geräusche inzwischen recht gut beherrschte und beim »Hruuuah!« des Flusspferds keine Konkurrenz fürchtete. Aber eignete sich dieses Buch wirklich für ein Stadtkind? Wann hörte es jemals solche Geräusche? Die einzigen Geräusche, die solche Tiere in der Stadt verursachten, waren ein Brutzeln. Doch das Kinderzimmer war voll von der Verschwörung: Bäh-Lämmer und Teddybären und flaumige Entchen, wohin man blickte.

Eines Abends, nach einem anstrengenden Tag, hatte es Mumm mit der Straßenversion probiert:

 

Wo ist mein Papi?

Ist das mein Papi?

Er macht: »Mistundverflucht! Jahrtausendhand und Krevetten!«

Er ist der Stinkende Alte Ron!

Das ist nicht mein Papi!

 

Es war recht gut gelaufen, bis Mumm ein bedeutungsvolles Hüsteln von der Tür hörte, in der Sybil stand. Am nächsten Tag hatte der kleine Sam mit dem sicheren Instinkt von Kindern für diese Dinge zu Fräulein Reinlich gesagt: »Mistverfluch!« Und damit hatte es sich, obwohl Sybil das Thema nie ansprach, wenn sie allein waren. Von dem Zeitpunkt an hielt sich Mumm streng an die autorisierte Version.

Er las aus dem Buch vor, während Wind an den Fenstern rüttelte und diese kleine Kinderzimmerwelt mit ihrem rosaroten und blauen Frieden, ihren Geschöpfen, die so weich und wollig und flauschig waren, sie beide zu umhüllen schien. Auf der Kinderuhr schaukelte ein kleines wolliges Lamm die Sekunden fort.

Als er im Zwielicht nicht ganz erwachte, mit zerfransten Resten von dunklem Schlaf in seinem Geist, starrte Mumm verwirrt durch den Raum. Panik stieg in ihm auf. Was war dies für ein Ort? Was bedeuteten all die grinsenden Tiere? Was lag auf seinem Fuß? Wer stellte diese Fragen, und warum trug er ein blaues Schultertuch mit Enten drauf?

Dann kehrten glückliche Erinnerungen zurück. Der kleine Sam schlief, neben sich Mumms Helm, den er wie einen Teddybär umarmte, und Sabber – immer auf der Suche nach einer warmen Stelle, auf die er plumpsen konnte – hatte den Kopf auf Mumms Stiefel gelegt. Das Leder war bereits schleimbedeckt.

Vorsichtig zog Mumm seinen Helm aus den Armen des Kindes, rückte das Schultertuch zurecht und ging nach unten in die große Diele. Er sah Licht unter der Tür der Bibliothek und trat benommen ein.

Zwei Wächter standen auf. Sybil drehte sich im Sessel am Kamin um. Mumm fühlte, wie ihm die Enten über die Arme glitten und einen Haufen auf dem Boden bildeten.

»Ich habe dich schlafen lassen, Sam«, sagte Lady Sybil. »Heute Morgen bist du erst um drei Uhr nach Hause gekommen.«

»Alle schieben doppelte Schichten, Schatz«, erwiderte Sam und warnte Karotte und Sally mit einem Blick davor, jemandem davon zu erzählen, dass ihr Chef ein Schultertuch mit Enten getragen hatte. »Ich muss ein gutes Beispiel geben.«

»Das ist sicher deine Absicht, Sam, aber du siehst wie eine schreckliche Warnung aus«, sagte Sybil. »Wann hast du zum letzten Mal etwas gegessen?«

»Heute Mittag, ein Sandwich mit Salat, Tomaten und Schinken, Schatz«, antwortete Mumm und versuchte mit dem Tonfall anzudeuten, dass der Schinken nur eine Art Gewürz gewesen war und kein gerade so vom Brot bedecktes dickes Stück.

»Ja, das kann ich mir denken«, erwiderte Sybil mit dem unüberhörbaren Hinweis darauf, dass sie kein Wort glaubte. »Hauptmann Karotte hat dir etwas zu sagen. Setz dich jetzt, und ich stelle fest, was mit dem Abendessen passiert ist.«

Als sie in Richtung Küche fortgeeilt war, wandte sich Mumm den beiden Wächtern zu und fragte sich kurz, ob er verlegen lächeln und mit den Augen rollen sollte, was unter Männern so viel bedeutete wie »Frauen, nicht wahr?«. Er entschied sich wegen der Identität der beiden Wächter dagegen: Obergefreite Humpeding wäre vermutlich bereit gewesen, ihn für einen Narren zu halten, und Hauptmann Karotte hätte gar nicht gewusst, was er meinte.

Er begnügte sich mit einem »Nun?«.

»Wir haben uns alle Mühe gegeben, Herr«, sagte Karotte. »Ich hatte Recht. Die Mine ist ein sehr unglücklicher Ort.«

»Das sind Orte, wo ein Mord verübt wurde, meistens.«

»Eigentlich glaube ich gar nicht, dass wir den Tatort gefunden haben, Herr.«

»Habt ihr nicht die Leiche gesehen?«

»Doch, Herr. Ich denke schon. Du hättest dabei sein sollen…«

 

 

»Ich glaube nicht, dass ich dies ertragen kann«, flüsterte Angua, als sie erneut durch die Sirupstraße gingen.

»Was ist denn los?«, fragte Karotte. Angua deutete mit dem Daumen über die Schulter.

»Sie! Vampire und Werwölfe: keine gute Gesellschaft!«

»Aber sie ist ein Schwarzbandler«, wandte Karotte sanft ein. »Sie beißt niemanden…«

»Darum geht es nicht! Sie ist einfach nur das, was sie ist! In der Nähe eines Vampirs zu sein… Für jemanden wie mich bedeutete das den schlimmsten denkbaren haarigen Tag. Und glaub mir: Ein Werwolf weiß, was ein wirklich schlimmer haariger Tag ist!«

»Liegt es am Geruch?«

»Der ist nicht gerade angenehm, aber es steckt noch mehr dahinter. Vampire sind so… souverän. So perfekt. In Sallys Nähe fühle ich mich… haarig. Ich kann nicht anders, es reicht Jahrtausende zurück! Es ist das Image. Vampire sind immer so… cool, so beherrscht, wohingegen Werwölfe kaum mehr sind als watschelnde Tiere, schwach und unterlegen.«

»Aber das stimmt nicht. Viele Schwarzbandler sind vollkommen neurotisch, und du bist so elegant und…«

»Nicht, wenn ich in der Nähe von Vampiren bin! Sie lösen etwas in mir aus! Hör auf, logisch an die Sache heranzugehen. Ich verabscheue es, wenn du mir logisch kommst. Wäre Herr Mumm doch nur bei seiner Ablehnung geblieben! Schon gut, ich habe es unter Kontrolle. Aber es ist schwer.«

»Bestimmt ist es auch für sie nicht leicht…«, begann Karotte.

Angua bedachte ihn mit einem Blick. Es ist typisch für ihn, dachte sie. Er denkt wirklich so. Er weiß nur nicht, dass es manchmal eine sehr schlechte Idee ist, so etwas zu sagen. Nicht leicht für sie? Wann ist es jemals leicht für mich gewesen? Die Vampirin musste wenigstens keine Kleidung zum Wechseln in der Stadt verstecken! Na schön, das mit dem Entzug ist sicher nicht sehr angenehm, aber uns erwischt es einmal im Monat, und zerfleische ich dann irgend jemandem die Kehle? Ich jage Hühner. Und ich bezahle im Voraus für sie. Leidet sie an PLT? Wohl kaum! Bei den Göttern, der Mond ist schon übers Konvexe hinaus und nimmt weiter zu. Ich fühle, wie mein Haar wächst! Verdammte Vampire! Sie machen eine so große Sache daraus, keine mörderischen Blutsauger mehr zu sein. Sie kriegen das ganze Mitleid! Selbst seins!

All dies ging Angua in einer Sekunde durch den Kopf. »Lass uns hinuntergehen, es hinter uns bringen und nach oben zurückkehren«, sagte sie.

Es wartete noch immer eine Menge beim Eingang. Unter den Leuten befand sich Otto Chriek, der Karotte ansah und kurz mit den Schultern zuckte.

Es waren auch Wächter zugegen, aber offenbar hatte jemand mit ihnen gesprochen. Sie nickten den drei Neuankömmlingen zu, und einer von ihnen öffnete sehr höflich die Tür.

Karotte winkte seine Begleiter näher.

»Man wird alles hören, was wir sagen, verstanden?«, meinte er. »Alles. Seid also vorsichtig. Und denkt daran: Die anderen wissen nicht, dass ihr im Dunkeln sehen könnt.«

Er ging hinein und näherte sich Helmgescheit, der nervös lächelte.

»Willkommen, Kopfstoßer«, sagte der Zwerg.

»Äh, wenn wir Morporkianisch sprechen, ist mir Hauptmann Karotte lieber«, erwiderte Karotte.

»Wie du wünschst, Schmelzer«, sagte der Zwerg. »Der Lift wartet auf uns!«

Auf dem Weg nach unten fragte Karotte: »Was treibt dies an, bitte?«

»Ein Apparat«, antwortete Helmgescheit, und Stolz verdrängte einen Teil der Nervosität.

»Wirklich? Und woraus besteht der Apparat?«, fragte Karotte.

»Aus einer Achse und einer Stange.«

»Eine Achse und eine Stange? Davon habe ich gehört.«

»Ja, wir können von Glück sagen, dass wir so gut ausgestattet sind«, plapperte Helmgescheit. »Unten haben wir auch einige Würfel unterschiedlicher Stärke. Nichts soll dem Schmelzer verborgen bleiben. Ich bin angewiesen, dir alles zu zeigen, was du sehen möchtest, und dir alles zu sagen, was du wissen willst.«

»Danke«, erwiderte Karotte, als der Lift hielt, umgeben von einer Dunkelheit, in der sich hier und dort das Glühen von Vürmern zeigte. »Wie groß sind eure hiesigen Grabungen?«

»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete Helmgescheit sofort. »Ich weiß es nicht. Ah, hier ist Feurig. Ich gehe wieder nach oben…«

»Nein, Helmgescheit, bitte bleib bei uns«, sagte ein dunklerer Schatten in der Düsternis. »Du solltest dies ebenfalls sehen. Guten Tag, Hauptmann Karotte und…« Feurig rang sich so etwas wie ein Lächeln ab. »… die Damen. Bitte folgt mir. Ich bedauere den Mangel an Licht. Vielleicht gewöhnen sich eure Augen an die Finsternis. Ich bin gern bereit, euch jedes Objekt zu beschreiben, das ihr berührt. Jetzt führe ich euch zu dem Ort, an dem das schreckliche Geschehen… geschah.«

Angua sah sich um, als Feurig sie durch den Tunnel führte, und stellte fest, dass Karotte mit gebeugten Knien gehen musste. Kopfstoßer? Komisch, dass du das den Jungs gegenüber nie erwähnt hast!

Jeweils nach etwa zwölf Metern blieb Feurig vor einer runden Tür stehen, jede von Vürmern umgeben, und drehte ein Rad. Die Türen quietschten, wenn sie sich öffneten, und sie schwangen mit einer Schwere auf, die hohes Gewicht vermuten ließ. Hier und dort zeigten sich in den Tunneln… mechanische Dinge, die an den Wänden hingen und offenbar irgendeinem Zweck dienten. Vürmer glühten neben ihnen. Angua wusste nicht, was es mit den Objekten auf sich hatte, aber Karotte begegnete ihnen mit großer Freude; er wirkte dabei fast wie ein Schuljunge.

»Ihr habt Luftblasen und Wasserstiefel, Herr Feurig! Ich habe nur von ihnen gehört!«

»Du bist im guten Fels von Kupferkopf aufgewachsen, nicht wahr, Hauptmann? Der Bergbau in dieser feuchten Ebene ist wie das Tunnelgraben im Meer.«

»Und die Eisentüren sind wasserdicht?«

»Ja, das sind sie. Und auch luftdicht.«

»Erstaunlich! Ich würde gern noch einmal zu Besuch kommen, wenn diese grässliche Angelegenheit vorüber ist. Eine Zwergenmine unter der Stadt! Kaum zu glauben!«

»Ich bin sicher, dass ein zweiter Besuch arrangiert werden kann, Hauptmann.«

Das war Karotte bei der Arbeit. Er konnte so unschuldig klingen, so freundlich, so… dumm, auf eine hündchenartige Weise, und dann verwandelte er sich plötzlich in einen großen Stahlblock, und man stieß gegen ihn. Nach dem Geruch zu urteilen, beobachtete Sally ihn interessiert.

Sei vernünftig, sagte sich Angua. Lass dich von der Vampirin nicht durcheinander bringen. Fang nicht an, dich für dumm und haarig zu halten. Denk klar. Du hast ein Gehirn.

Konnte man nicht verrückt werden, wenn man dauernd in dieser Düsternis lebte? Angua fand es leichter, als sie die Augen schloss. Hier unten funktionierte ihre Nase besser ohne Ablenkung. Dunkelheit half. Mit geschlossenen Augen tanzten mehrere blasse Farben durch ihr Gehirn. Ohne den Gestank der verdammten Vampirin wäre sie in der Lage gewesen, noch viel mehr wahrzunehmen. Dieser Geruch vergiftete ihre Sinne. Hör auf, denk nicht in solchen Bahnen, du überlässt es deinem Geist, für dich zu denken Moment mal, das ist verkehrt

In der Ecke des nächsten Raums erkannten sie vage einen recht großen Umriss. Es sah nach einem… Umriss aus. Nach einem mit Kreide gezeichneten Umriss. Einem mit glühender Kreide gezeichneten Umriss.

»Das ist doch die übliche Methode?«, fragte Feurig. »Du kennst Nachtkreide sicher, Hauptmann. Sie besteht aus zerriebenen Vürmern. Das Glühen hält etwa einen Tag an. Auf dem Boden hier siehst du beziehungsweise fühlst du die Keule, die bei dem tödlichen Schlag verwendet wurde. Direkt unter deiner Hand, Hauptmann. Es klebt Blut daran. Ich bedauere die Dunkelheit, aber wir haben die Vürmer von hier fern gehalten. Für sie wäre es ein Festschmaus gewesen, versteht ihr?«

Angua »sah« den für Karotte typischen Seifenduft und »beobachtete«, wie er sich durch den Raum tastete. Seine Hand berührte eine weitere Metalltür.

»Wohin führt diese?«, fragte er und klopfte dagegen.

»Zu den äußeren Räumen.«

»War die Tür geöffnet, als der Troll den Grag angriff?«

Gehst du bereits davon aus, dass ein Troll die Verantwortung trägt?, fragte sich Angua.

»Ich glaube schon«, sagte Feurig.

»Dann öffne sie.«

»Auf diese Bitte kann ich leider nicht eingehen, Hauptmann.«

»Ich habe keine Bitte an dich gerichtet, Herr Feurig. Nachdem die Tür geöffnet worden ist, muss ich wissen, wer sich in der Mine befand, als der Troll hierher kam. Ich muss mit allen sprechen, die hier gewesen sind, und auch mit jenen, die die Leiche gefunden haben. Harag, jkargra

Für Angua veränderte sich Feurigs Geruch. Unter all seinen Schichten war der Zwerg plötzlich unsicher. Er hatte es nicht anders gewollt.

Feurig zögerte einige Sekunden, bevor er antwortete.

»Ich werde mich… bemühen, dir deine… Wünsche zu erfüllen, Schmelzer«, sagte er. »Ich gehe jetzt. Komm mit, Helmgescheit.«

»Grz davaj?«, fragte Karotte. »Kzakraj? Dj hragna radj!«

Feurig trat mit wachsender Unsicherheit vor und streckte beide Hände aus, die Handflächen nach unten. Für einen Moment, bevor der Ärmel darüber rutschte, sah Angua ein schwach glühendes Symbol an seinem rechten Handgelenk. Jeder Tiefener hatte einen Drath als unverwechselbares Identitätsmerkmal in einer Welt verhüllter Gestalten. Angua hatte gehört, dass sie aus unter die Haut tätowiertem Vurmblut bestanden. Es klang schmerzhaft.

Karotte nahm Feurigs Hände kurz und ließ sie dann wieder los. »Danke«, sagte er, als hätte das zwergische Zwischenspiel gar nicht stattgefunden. Die beiden Zwerge eilten fort.

Die Wächter blieben allein in der Dunkelheit zurück.

»Was hatte das alles zu bedeuten?«, fragte Angua.

»Ich habe ihn nur beruhigt«, erwiderte Karotte heiter. Er griff in die Tasche. »Da wir jetzt am richtigen Ort sind, sollten wir ein wenig Licht machen.«

Angua roch, wie seine Hand über die Wand strich, als malte er etwas. Sie nahm den Duft von… Schweinefleisch wahr.

»Gleich wird’s hell«, sagte er.

»Hauptmann Karotte, dies ist nicht der Ort, wo…«, begann Sally.

»Alles zu seiner Zeit, Obergefreite«, sagte Karotte mit fester Stimme. »Derzeit beschränken wir uns darauf, zu beobachten.«

»Aber ich muss dir sagen…«

»Später, Obergefreite«, sagte Karotte etwas lauter. Vürmer krabbelten an der offenen Tür, durch die sie hereingekommen waren, und auch auf dem Boden. »Übrigens, äh, Sally… ist es für dich in Ordnung, wenn wir uns die Leiche ansehen?«

Na klar, dachte Angua. Mach dir Sorgen um sie. Ich bekomme es jeden Tag mit Blut zu tun. Geh eine Meile mit meiner Nase!

»Altes Blut ist kein Problem, Herr«, erwiderte Sally. »Hier gibt es welches. Aber…«

»Ich schätze, sie haben eine Art Leichenschauhaus eingerichtet«, sagte Karotte schnell. »Die Todesriten sind recht komplex.«

Ein Leichenschauhaus? Eine Heimat fern der Heimat für dich!, knurrte Anguas innerer Wolf.

Die Vürmer breiteten sich aus und krochen zielstrebig über die Wand.

Angua ging in die Hocke, um ihre Nase näher an den Boden heranzubringen. Ich rieche Zwerge, viele Zwerge, dachte sie. Trolle sind schwer zu riechen, vor allem tief im Boden. Blut an der Keule, wie eine Blume. Zwergenblut an der Keule, aber der Zwergengeruch ist hier überall. Ich rieche… Moment mal, das erscheint vertraut…

Der Boden roch hauptsächlich nach Schlamm und Lehm. Sie nahm Karottes Fußspuren wahr und ihre eigenen. Es gab jede Menge Zwergengeruch, und trotzdem konnte sie den Geruch ihrer Sorge erkennen. Dies war also der Ort, wo man die Leiche gefunden hatte. Aber diese Stelle Matsch hier war anders. Sie war festgetreten, roch aber ebenso wie der schwere Ton oben beim Steinbruchweg. Wer wohnte im Steinbruchweg? Die meisten Trolle von Ankh-Morpork.

Eine Spur.

Angua lächelte in der schwindenden Dunkelheit. Und das Problem mit Spuren, wie Herr Mumm immer sagte, bestand darin, dass sie so leicht hinterlassen werden konnten. Man konnte praktisch mit einem ganzen Eimer voll Spuren herumlaufen.

Die Dunkelheit schwand, weil es heller wurde. Angua sah auf.

Dort, wo Karotte die Wand berührt hatte, zeigte sich ein großes, helles Symbol. Er hat mit Fleisch darüber gestrichen, dachte Angua. Und die Vürmer sind gekommen, um sich daran zu laben…

Feurig kehrte zurück, mit Helmgescheit dicht auf den Fersen.

»Die Tür hier kann erneut geöffnet werden, aber leider…«, begann er und unterbrach sich dann.

Die Vürmer waren glücklich. Sie strahlten hell, nach den Maßstäben des grünweißen Glühens. Hinter Karotte sahen sie jetzt einen matt glühenden Kreis mit zwei diagonalen Linien, die ihn kreuzten. Beide Zwerge starrten wie schockiert darauf.

»Nun, sehen wir uns die Sache an«, sagte Karotte, der überhaupt nichts zu bemerken schien.

»Wir, äh, das Wasser… Wasser… nicht ganz wasserdicht… die anderen Türen… der Troll verursachte eine Überschwemmung…«, murmelte Feurig, ohne den Blick vom Glühen abzuwenden.

»Aber wir können wenigstens hier durchgehen, oder?«, fragte Karotte höflich und deutete auf die geschlossene Tür.

»Äh, ja. Natürlich.«

Der Verwalter eilte nach vorn und holte einen Schlüssel hervor. Das entriegelte Rad ließ sich leicht drehen. Angua nahm sehr deutlich wahr, wie die Muskeln in Karottes nackten Armen glänzten und arbeiteten, als er die schwere Metalltür aufzog.

O nein, es konnte doch nicht schon so weit sein! Es musste noch mindestens einen Tag dauern! Bestimmt lag es an der Vampirin, die dort stand und so unschuldig wirkte. Teile von Anguas Körper wollten zu einem Wolf werden, jetzt sofort, um sich zu verteidigen…

Auf der anderen Seite der Tür lag ein Raum mit Säulen. Er roch feucht und unfertig. An der Decke krabbelten Vürmer, doch der Boden war matschig und patschte bei jedem Schritt.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums bemerkte Angua eine weitere Tür – und noch zwei in den Wänden auf der rechten und linken Seite.

»Wir bringen Schutt nach draußen«, sagte Feurig. »Wir, äh, nehmen an, dass der Troll auf diesem Weg hereinkam. Das war ein unverzeihlicher Fehler.« In seiner Stimme erklang noch immer Unbehagen.

»Und niemand hat den Troll gesehen?«, fragte Karotte und trat nach dem Schlamm.

»Nein. Diese Räume sind fertig. Die Gräber arbeiten woanders, aber sie kamen so schnell wie möglich hierher. Wir glauben, dass der Grag diesen Ort aufsuchte, um allein zu sein. Durch die zufällige Hand einer Abscheulichkeit zu sterben!«

»Glück für den Troll«, bemerkte Angua scharf. »Er kam zufälligerweise hierher und stolperte zufälligerweise über Schinkenbrecher?«

Karottes Stiefel stieß gegen etwas Metallisches. Er trat noch etwas mehr Schlamm beiseite. »Ihr habt Schienen ausgelegt?«, fragte er. »Offenbar befördert ihr ziemlich viel Schutt.«

»Es ist leichter, ihn zu schieben, als ihn zu tragen«, erwiderte Feurig. »Nun, ich habe dafür gesorgt, dass…«

»Warte, was ist dies?«, fragte Karotte. Er ging in die Hocke und zog an einem hellen Gegenstand. »Scheint ein Knochen zu sein. An einer Schnur befestigt.«

»Es gibt viele alte Knochen«, sagte Feurig. »Lasst uns jetzt…«

Mit einem Glubb löste sich der Knochen aus dem Boden und grinste sie im fahlen Licht an.

»Er sieht nicht sehr alt aus«, stellte Karotte fest.

Ein Atemzug genügte Angua.

»Ein Schafschädel«, sagte sie. »Etwa drei Monate alt.« Eine weitere Spur, dachte sie. Und wir finden sie genau an der richtigen Stelle.

»Könnte von dem Troll zurückgelassen worden sein«, sagte Karotte.

»Von einem Troll?«, brachte Feurig hervor und wich zurück.

Mit einer solchen Reaktion hatte Angua nicht gerechnet. Feurig war bereits nervös gewesen unter seiner dicken Hülle, aber jetzt schien er der Panik nahe.

»Du hast doch gesagt, dass ein Troll den Grag angriff«, entgegnete Karotte.

»Aber wir haben nie… Das sehe ich zum ersten Mal! Warum haben wir den Schädel nicht gefunden? Ist der Troll zurückgekehrt?«

»Alle Türen sind geschlossen und verriegelt«, sagte Karotte geduldig. »Das sind sie doch, oder?«

»Aber haben wir den Troll hier bei uns eingesperrt?« Feurigs Stimme war jetzt fast ein Kreischen.

»Das solltet ihr eigentlich wissen«, sagte Karotte. »Trolle fallen auf.«

»Ich muss Wächter holen!« Feurig wich zu der einen offenen Tür zurück. »Der Troll könnte überall sein!«

»Vielleicht näherst du dich ihm gerade jetzt«, sagte Angua.

Feurig verharrte für einen Moment, wimmerte dann leise und lief durch die Dunkelheit davon. Helmgescheit folgte ihm.

»Na, was sollen wir denn davon halten?«, fragte Angua mit einem grässlichen Lächeln. »Und was hast du ihm auf Zwergisch gesagt? ›Du weißt, dass ich ein Zwerg in der Bruderschaft aller Zwerge bin‹?«

»Ähm, ›Mit empathischer Gewissheit kennst du mich. Ich beachte die Riten des Zwergs. Was/wer bin ich? Ich bin die vereinten Brüder‹«, sagte Sally vorsichtig.

»Ausgezeichnet, Obergefreite!«, lobte Karotte. »Das ist eine gute Übersetzung!«

»Ja, hast du einen Schlauen gebissen?«, fragte Angua.

»Ich bin ein Schwarzbandler, Feldwebel«, sagte Sally sanft. »Und ich habe ein natürliches Sprachtalent. Während wir unter uns sind, Hauptmann… Darf ich noch etwas anderes erwähnen?«

»Natürlich!«, sagte Karotte und versuchte, neben einer der geschlossenen Türen das Rad zu drehen.

»Ich glaube, hier ist viel verkehrt, Herr. Feurig hat sehr seltsam auf den Schädel reagiert. Warum sollte er glauben, dass nach all der Zeit noch immer ein Troll hier ist?«

»Ein Troll, der in eine Zwergenmine gerät, kann viel Unheil anrichten, bevor man ihn aufhält«, sagte Karotte.

»Mit dem Schädel hat Feurig nicht gerechnet«, fuhr Sally fort. »Ich habe gehört, wie sein Herz sehr schnell schlug. Der Schädel hat ihn erschreckt. Äh… und da ist noch mehr, Herr. Hier gibt es viele Stadtzwerge. Hunderte. Ich höre auch ihre Herzen. Sechs Grags halten sich hier auf. Ihre Herzen schlagen sehr langsam. Und es sind noch andere Zwerge hier. Seltsame, und nur wenige. Vielleicht zehn.«

»Das sind nützliche Hinweise, Obergefreite, vielen Dank.«

»Ja, und ich weiß nicht, wie wir bisher ohne deine Hilfe zurechtgekommen sind«, sagte Angua. Rasch ging sie zur anderen Seite des feuchten Raums, um nicht das Gesicht der Vampirin zu sehen. Sie brauchte frische Luft, nicht den allgegenwärtigen, an allem haftenden modrigen Kellergeruch. Ihr Kopf war voller lauter Stimmen. Die Enthaltsamkeitsliga? »Nicht ein Tropfen«? Glaubte das irgendjemand auch nur für eine Sekunde? Aber alle wollten es glauben, weil Vampire so charmant waren. Natürlich waren sie das! Es gehörte zu ihrer Vampirnatur! Damit brachten sie Leute dazu, im schrecklichen Schloss zu übernachten! Die Katze lässt das Mausen nicht, ist doch ganz klar! Aber nein, schmück dich mit einem dämlichen schwarzen Band, und lerne die Worte »Lippen, die Blut berühren, sollen nie auf meine treffen«, und sie fallen jedes Mal darauf herein. Doch Werwölfe? Das waren nur traurige Ungeheuer. Was spielte es für eine Rolle, dass das Leben ein täglicher Kampf mit dem inneren Wolf war? Was spielte es für eine Rolle, dass man sich zwingen musste, an jedem Laternenpfahl vorbeizugehen? Was spielte es für eine Rolle, dass man bei jeder kleinen Auseinandersetzung mit dem Drang kämpfte, alles mit einem Biss zu entscheiden? Es spielte keine Rolle, denn alle wussten, dass ein Geschöpf halb Wolf und halb Mensch eine Art Hund war. Man erwartete von solchen Geschöpfen, dass sie sich ordentlich benahmen. Ein Teil von Angua rief, dass dies nicht so war, dass es sich einfach nur um PLT und die bekannten Auswirkungen einer Vampirpräsenz handelte, aber angesichts der Gerüche um sie herum, deren Intensität etwas Massives gewann, wollte sie nicht auf diese Stimme hören. Sie wollte die Welt riechen und kletterte praktisch in ihre eigene Nase.

Aus diesem Grund gehörte sie schließlich der Wache an. Wegen ihrer Nase.

Ein neuer Geruch, ein neuer Geruch

Scharfes Blaugrau von Flechten, die braunen und violetten Töne von altem Aas, Zwischentöne von Holz und Leder… selbst als voller Wolf hatte sie die Luft nie so forensisch wahrgenommen wie jetzt. Und noch etwas, etwas Scharfes und Chemisches… Die Luft war erfüllt vom Geruch nach Moder und Zwergen, aber diese kleinen Spuren stießen so durch sie hindurch wie die Klänge einer Pikkoloflöte durch ein Requiem, und sie formten etwas…

»Troll«, krächzte Angua. »Troll. Ein Troll mit Schädelgürtel und Haarbüscheln. Auf Platte oder so! Ein Troll!« Angua bellte fast die Tür an. »Tür öffnen! Dort!«

Sie brauchte kaum mehr ihre Augen, aber dort auf dem Metall… Jemand hatte mit Holzkohle einen Kreis mit zwei diagonalen Linien gemalt.

Plötzlich stand Karotte neben ihr. Wenigstens hatte er den Anstand, nicht »Bist du sicher?« zu fragen, bevor er versuchte, das Rad zu drehen. Vergeblich – die Tür war verriegelt.

»Ich glaube nicht, dass Wasser dahinter ist«, sagte er.

»Ach, tatsächlich?«, brachte Angua hervor. »Wir sollten nur daran… gehindert werden, den Weg fortzusetzen!«

Karotte drehte sich um – eine Gruppe aus Zwergen näherte sich, hielt auf die Tür zu und schien das Trio von der Stadtwache überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen.

»Lass sie nicht als Erste hindurch!«, presste Angua zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Die Spur ist… schwach!«

Karotte zog mit der einen Hand sein Schwert und hob mit der anderen die Dienstmarke.

»Stadtwache!«, donnerte er. »Bitte lasst die Waffen sinken! Danke!«

Die Zwerge wurden langsamer, was in dieser Situation wie üblich bedeutete, dass die weiter hinten Laufenden gegen die vorn Zögernden stießen.

»Hier ist ein Verbrechen geschehen!«, verkündete Karotte. »Ich bin noch immer der Schmelzer! Herr Feurig, bist du da? Stehen Wächter auf der anderen Seite dieser Tür?«

Feurig schob sich durch das Gedränge nach vorn. »Nein, ich glaube nicht«, sagte er. »Ist der Troll noch dahinter?«

Karotte sah zu Sally, die kurz mit den Schultern zuckte. Vampire hatten nie die Fähigkeit entwickelt, das Schlagen von Trollherzen zu hören. »Bitte schließ die Tür auf. Vielleicht können wir noch eine Spur finden.«

»Hauptmann Karotte, du weißt, dass die Sicherheit der Mine immer an erster Stelle steht!«, erwiderte Feurig. »Natürlich musst du die Verfolgung aufnehmen. Aber zuerst öffnen wir die Tür und vergewissern uns, dass auf der anderen Seite keine Gefahr droht. Das musst du uns zugestehen.«

»Lass sie«, flüsterte Angua. »Dann ist der Geruch klarer. Kein Problem für mich.«

Karotte nickte und antwortete ebenso leise: »Bravo!«

Angua hätte am liebsten mit dem Schwanz gewedelt und Karottes Gesicht geleckt. Der Hundeteil von ihr erledigte das Denken. Du bist ein guter Hund. Es war wichtig, ein guter Hund zu sein.

Karotte zog sie beiseite, als sich zwei Zwerge entschlossen der Tür näherten.

»Aber der Troll ist längst fort«, murmelte sie, als den ersten beiden Zwergen zwei weitere folgten. »Die Fährte ist mindestens zwölf Stunden alt…«

»Was haben sie vor?«, fragte sich Karotte selbst. Die beiden anderen Zwerge trugen von Kopf bis Fuß Leder, wie Feurig, aber darüber noch ein Kettenhemd. Die Helme waren nicht verziert, bedeckten den ganzen Kopf und auch das Gesicht, ließen nur einen Schlitz für die Augen. Jeder Zwerg hatte einen großen schwarzen Kasten auf dem Rücken und hielt eine Lanze in der Hand.

»O nein«, sagte Karotte. »Doch nicht hier unten…«

Auf einen knappen Befehl hin wurde die Tür geöffnet, und dahinter erstreckte sich nur Dunkelheit.

Die Lanzen spuckten Flammen, lang und gelb, und die schwarzen Zwerge gingen langsam hinter ihnen her. Dichter, schmieriger Rauch füllte die Luft.

Angua verlor das Bewusstsein.

 

 

Dunkelheit.

Sam Mumm mühte sich den Hügel hinauf, müde bis in die Knochen.

Es war warm, wärmer, als er erwartet hatte. Schweiß brannte in seinen Augen. Wasser platschte unter seinen Füßen, und die Stiefel rutschten immer wieder. Und weiter oben am Hang schrie ein Kind.

Er wusste, dass es schrie. Mumm hörte sich keuchen und fühlte, wie sich seine Lippen bewegten, aber er verstand nicht die Worte, die er immer wieder sprach.

Die Dunkelheit fühlte sich wie kalte Tinte an. Ranken von ihr zerrten an seinem Geist und seinem Körper. Sie ließen ihn langsamer werden, zogen ihn zurück…

Und jetzt näherten sie sich mit Flammen…

Mumm blinzelte und stellte fest, dass er in den Kamin starrte. Die Flammen züngelten friedlich.

Kleidung raschelte, als Sybil ins Zimmer zurückkehrte, Platz nahm und nach ihren Stopfsachen griff.

Er beobachtete sie benommen. Sie stopfte seine Socken. Es gab Bedienstete, aber sie stopfte seine Socken. Nicht dass es ihnen an Geld mangelte und er sich nicht jeden Tag ein neues Paar Socken leisten konnte. Aber Sybil sah darin eine ihrer ehelichen Pflichten, und deshalb stopfte sie die Socken. Es war tröstlich, auf eine sonderbare Art und Weise. Schade nur, dass sie sich nicht sonderlich gut aufs Sockenstopfen verstand – Mumm bekam Sockenfersen, die aus einer dicken Ansammlung von kreuz und quer verlaufenden Wollfäden bestanden. Er trug sie trotzdem und kam nie darauf zu sprechen.

»Eine Waffe, die Flammen abfeuert«, sagte er langsam.

»Ja, Herr«, bestätigte Karotte.

»Zwerge haben Waffen, die Flammen schleudern.«

»Die Tiefener benutzen sie, um Ansammlungen von Grubengas zu verbrennen«, erklärte Karotte. »Hier habe ich sie nicht erwartet!«

»Es ist eine Waffe, wenn irgendein Mistkerl sie auf mich richtet!«, sagte Mumm. »Mit wie viel Methan haben sie in Ankh-Morpork gerechnet?«

»Herr? Manchmal, in einem heißen Sommer, fängt sogar der Fluss Feuer!«

»Na schön, zugegeben«, räumte Mumm widerstrebend ein. »Sorg dafür, dass alle Bescheid wissen. Wenn jemand mit einem solchen Ding an der Oberfläche erscheint, wird zuerst geschossen, und es hat keinen Sinn, später Fragen zu stellen. Meine Güte, das hat uns gerade noch gefehlt. Hast du noch etwas zu berichten, Hauptmann?«

»Anschließend haben wir uns Schinkenbrechers Leiche angesehen«, fuhr Karotte fort. »Was soll ich sagen? Am Handgelenk fanden wir den Drath, der ihn identifiziert, und die Haut war sehr blass. An seinem Hinterkopf hatte er eine schreckliche Verletzung. Es soll Schinkenbrecher gewesen sein, aber ich kann es nicht beweisen. Was ich sagen kann, ist dies: Er starb nicht dort, wo die Tat begangen worden sein soll, und er starb auch nicht zum angegebenen Zeitpunkt.«

»Warum?«, fragte Mumm.

»Das Blut, Herr«, sagte Sally. »Es hätte überall Blut sein müssen. Ich habe mir die Wunde angesehen. Als die Keule den Kopf traf, war der Zwerg bereits tot, und er wurde nicht in dem Tunnel umgebracht.«

Mumm atmete mehrmals tief durch. Es gab hier so viel üblen Kram, dass man einen Schrecken nach dem anderen parieren musste.

»Ich bin besorgt, Hauptmann«, sagte er. »Und weißt du, warum? Weil ich das Gefühl habe, dass man mich bald auffordern wird, zu bestätigen, dass alles nach einem Troll als Täter aussieht. Und wenn ich das sage, mein Freund, verkünde ich praktisch den Beginn eines Krieges.«

»Du hast uns aufgefordert zu ermitteln, Herr«, sagte Karotte.

»Ja, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass du mit dem falschen Resultat zurückkehrst! Die ganze Sache stinkt! Der Ton vom Steinbruchweg wurde dort platziert.«

»Das muss der Fall sein. Trolle reinigen ihre Füße kaum, aber dass sie nach einem so weiten Weg immer noch Erdbrocken zurücklassen, halte ich für sehr unwahrscheinlich.«

»Und Trolle trennen sich auch nicht einfach so von ihrer Keule«, knurrte Mumm. »Ein abgekartetes Spiel. Und dann stellt sich heraus, dass tatsächlich ein Troll dahinter steckt! War Angua sicher

»Kein Zweifel, Herr«, antwortete Karotte. »Wir haben ihrer Nase immer getraut. Tut mir Leid, Herr, sie brauchte frische Luft. Sie hat ihre Sinne sehr angestrengt und bekam die Lungen voll Rauch.«

»Kann ich mir denken«, sagte Mumm. Teufel, dachte er. Wir waren dicht vor der Stelle, an der ich Lord Vetinari gesagt hätte: Irgendein Dilettant scheint versucht zu haben, den Mord einem Troll in die Schuhe zu schieben. Und jetzt stellt sich heraus, dass wirklich ein Troll dahinter steckt. Da kann man mal sehen, wie sehr man sich auf Beweismittel verlassen kann.

Sally hüstelte höflich. »Feurig war schockiert und voller Angst, als der Hauptmann den Schädel fand, Herr«, sagte sie. »Seine Reaktion war nicht gespielt. Da bin ich sicher. Er schien vor Entsetzen dem Zusammenbruch nahe zu sein. Und das galt auch für Helmgescheit.«

»Danke für den Hinweis, Obergefreite«, sagte Mumm ernst. »Vermutlich werde ich ähnlich empfinden, wenn ich mit einem Megafon nach draußen gehe und rufe: ›Hallo, Jungs, willkommen bei der Wiederaufführung des Koomtals! Lasst es hier in Ankh-Morpork stattfinden!‹«

»Ich glaube, du solltest es nicht auf diese Weise ausdrücken, Herr«, wandte Karotte ein.

»Na schön, wenn du meinst… Ich werde versuchen, meine Worte mit etwas mehr Zurückhaltung zu wählen«, sagte Mumm.

»Und es wäre mindestens der sechzehnte nach dem Koomtal benannte Kampf«, fügte Karotte hinzu. »Beziehungsweise der siebzehnte, wenn man den am Grimmigpass mitzählt, der eigentlich nur ein Tumult gewesen ist. Nur drei davon fanden im ursprünglichen Koomtal statt, das Schlingel auf seinem berühmten Gemälde verewigt hat. Die Darstellung soll sehr genau sein. Natürlich hat er Jahre dafür gebraucht.«

»Ein bemerkenswertes Werk«, kommentierte Sybil, ohne vom Sockenstopfen aufzusehen. »Das Gemälde befand sich im Besitz meiner Familie, bevor wir es dem Museum gegeben haben.«

»Ist der Fortschritt nicht eine wundervolle Sache, Hauptmann?«, sagte Mumm und legte möglichst viel Sarkasmus in seine Worte, da Karotte diesen nur schwer erkannte. »Wenn wir unser Koomtal haben, braucht unser Freund Otto nur den Bruchteil einer Sekunde, um eine Farbikonographie davon anzufertigen. Toll. Es ist lange her, seit diese Stadt zum letzten Mal niedergebrannt wurde.«

Er hätte sofort in Aktion treten sollen. Früher wäre er dazu bereit gewesen. Aber jetzt sollte er vielleicht diese wertvollen Momente nutzen, um herauszufinden, in welche Art von Aktion er hätte treten sollen.

Mumm versuchte nachzudenken. Stell dir nicht alles als einen großen Eimer voller Schlangen vor. Nimm dir jeweils eine Schlange. Versuch zunächst, Klarheit zu schaffen. Was muss als Erstes getan werden?

Alles.

Na schön. Versuch es auf andere Weise.

»Was hat es mit den Minenzeichen auf sich?«, fragte er. »Helmgescheit hat eins gezeichnet. Und ich habe eins an der Wand gesehen. Und du hast eins gemalt.«

»›Die Folgende Dunkelheit‹«, sagte Karotte. »Ja. Das Symbol war überall.«

»Was bedeutet es?«

»Furcht, Herr«, antwortete Karotte ernst. »Eine Warnung vor schrecklichen Dingen, die bevorstehen.«

»Es wird Schreckliches passieren, wenn einer der kleinen Kerle mit einer Flammenwaffe nach oben kommt. Aber du meinst, sie kritzeln es an die Wände?«

Karotte nickte. »Du musst eine Zwergenmine verstehen, Herr. Es ist eine Art…«

… emotionales Treibhaus, wie es Mumm verstand, obwohl ein Zwerg es nie so beschreiben würde. Menschen würden verrückt werden, wenn sie auf solche Weise leben müssten: zusammengepfercht, ohne Privatsphäre, ohne Stille, jeden Tag die gleichen Gesichter, über Jahre. Und da es in der Nähe viele scharfe und spitze Gegenstände gab, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Blut von der Decke tropfte.

Zwerge schnappten nicht über. Sie blieben nachdenklich, melancholisch und auf die Arbeit konzentriert. Aber sie kritzelten Minenzeichen.

Es war wie eine inoffizielle Wahl, bei der man mit Graffiti abstimmte und auf diese Weise seine Ansichten über die Ereignisse kundtat. In der Enge einer Mine wurden kleine Probleme zu den Problemen aller, und Stress sprang wie ein Blitz von Zwerg zu Zwerg. Die Zeichen leiteten ihn ab. Sie waren ein Ventil, eine Möglichkeit zu zeigen, was man fühlte, ohne jemanden herauszufordern (wegen der spitzen und scharfen Gegenstände).

Die Folgende Dunkelheit: Wir erwarten das, was folgt, mit Furcht. Eine andere Übersetzung könnte lauten: Bereut, ihr Sünder!

»Es gibt hunderte von Runen für Dunkelheit«, sagte Karotte. »Einige davon gehören zum gewöhnlichen Zwergischen, wie das Lange Dunkel. Davon gibt es jede Menge. Aber einige sind…«

»Mystisch?«, vermutete Mumm.

»Unglaublich mystisch, Herr. Viele Bücher beschreiben sie. Und die Art und Weise, in der Zwerge von Büchern, Worten und Runen denken… Du würdest es nicht glauben, Herr. Sie glauben, die Welt sei geschrieben worden, Herr. Alle Worte haben große Macht. Ein Buch zu zerstören ist schlimmer, als einen Tiefener zu ermorden.«

»Das ist mir bereits klar geworden«, sagte Tafelwart Mumm.

»Manche Tiefener glauben, dass die dunklen Zeichen real sind«, fuhr Karotte fort.

»Wenn man die Zeichen an der Wand sehen kann…«, begann Mumm.

»Real im Sinne von lebendig, Herr«, sagte Karotte. »Als existierten sie irgendwo im Dunkeln unter der Welt. Und sie bewirken, dass sie geschrieben werden. Es gibt die Wartende Dunkelheit… das ist die Dunkelheit, die ein neues Loch füllt. Die Schließende Dunkelheit… darüber weiß ich nichts, aber es gibt auch eine Öffnende Dunkelheit. Die Atmende Dunkelheit ist recht selten. Die Rufende Dunkelheit ist sehr gefährlich. Die Sprechende Dunkelheit, die Fangende Dunkelheit. Die Geheime Dunkelheit, das Zeichen dafür habe ich schon einmal gesehen. Sie sind alle soweit in Ordnung. Aber die Folgende Dunkelheit ist ein sehr schlimmes Symbol. Ich habe gehört, wie die älteren Zwerge darüber sprachen. Sie meinten, es könnte Lampen ausgehen lassen und noch viel Schlimmeres zur Folge haben. Wenn Zwerge damit beginnen, dieses Symbol zu zeichnen, ist die Situation außerordentlich ernst.«

»Das ist alles sehr interessant, aber…«

»In der Mine liegen die Nerven blank, Herr. Die Spannung ist enorm. Angua meinte, sie konnte es riechen, und ich habe es gefühlt, Herr. Ich bin in einer Mine aufgewachsen. Wenn etwas verkehrt ist, steckt es alle an. An solchen Tagen stellte mein Vater alle Bergbauarbeiten ein. Sonst gibt es zu viele Unfälle. Die Zwerge sind außer sich vor Sorge, Herr. Die Zeichen der Folgenden Dunkelheit sind überall. Wahrscheinlich stammen sie von den Zwergen, die die Tiefener in ihre Dienste genommen haben. Sie spüren, dass etwas vollkommen falsch läuft, aber das Einzige, das sie tun können, ist, dieses Symbol zu zeichnen.«

»Jemand hat den obersten Grag ermordet…«

»Ich spüre die Atmosphäre in der Mine, Herr. Jeder Zwerg kann das. Und in diesem Fall ist die Atmosphäre ranzig vor Furcht und schrecklicher Verwirrung. Und es gibt schlimmere Dinge in den Tiefen als die Folgende Dunkelheit.«

Vor seinem inneren Auge sah Mumm rachsüchtige Finsternis, die wie eine Flutwelle durch Tunnel strömte, schneller, als jemand laufen konnte…

… was natürlich dumm war. Man konnte Dunkelheit nicht sehen.

Moment mal… manchmal war das doch möglich. Damals in der alten Zeit, während der langen nächtlichen Streifengänge und als niemand Geld für Laternen gehabt hatte, waren ihm alle Schattierungen von Dunkelheit vertraut gewesen. Manchmal erlebte man eine so dichte Dunkelheit, dass man fast das Gefühl hatte, sich durch sie schieben zu müssen. In solchen Nächten wurden Pferde unruhig und Hunde jaulten, und drüben im Schlachthausviertel brachen die Tiere aus den Pferchen aus. Sie waren unerklärlich, ebenso wie die Nächte, die erstaunlich hell und silbrig wirkten, selbst ohne Mond am Himmel. Damals hatte Mumm gelernt, seine kleine Wächterlaterne nicht zu benutzen. Licht behinderte das Sehvermögen nur, indem es blendete. Man starrte in die Dunkelheit, bis sie zwinkerte. Man rang sie mit dem Blick nieder.

»Ich fürchte, ich verstehe dies nicht ganz, Hauptmann«, sagte Mumm. »Ich bin nicht in einer Mine aufgewachsen. Zeichnen Zwerge die Symbole, weil sie glauben, dass schlimme Dinge geschehen könnten, und weil sie diese Ereignisse verhindern möchten? Oder glauben sie, dass die Mine schlimme Dinge verdient hat? Oder geht es vielleicht darum, mit den Zeichen Schlimmes herbeizurufen?«

»Alle drei Möglichkeiten sind denkbar, gleichzeitig«, sagte Karotte und verzog das Gesicht. »Es kann sehr leidenschaftlich zugehen, wenn es in einer Mine schlimm wird.«

»Meine Güte!«

»Es kann richtig schrecklich sein, Herr. Glaub mir. Aber niemand würde jemals das schlimmste aller Symbole zeichnen und es geschehen lassen wollen. Das Zeichnen allein genügt ohnehin nicht. Man müsste es mit dem allerletzten Atemzug wollen.«

»Und welches Symbol ist das?«

»Das möchtest du nicht wissen, Herr.«

»Doch, ich habe danach gefragt«, erwiderte Mumm.

»Nein, du möchtest es nicht wissen, Herr. Wirklich nicht.«

Mumm wollte schreien, überlegte es sich dann anders und dachte nach.

»Nein, ich glaube, ich möchte es wirklich nicht wissen«, pflichtete er Karotte bei. »Diese Sache dreht sich um Hysterie und Mystizismus. Es ist nichts weiter als sonderbare Volkskunde. Zwerge glauben daran, ich nicht… Wie hast du die Vürmer dazu gebracht, das Zeichen zu formen?«

»Ganz einfach, Herr. Man wischt mit einem Stück Fleisch über die Wand. Das ist ein Festschmaus für die Vürmer. Ich wollte Feurig ein wenig durcheinander bringen. Ihn nervös machen, so wie du es mich gelehrt hast. Ich wollte ihm zeigen, dass ich über Zeichen Bescheid weiß. Immerhin bin ich ein Zwerg.«

»Hauptmann, dies ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, dich darauf hinzuweisen, aber…«

»Oh, ich weiß, dass die Leute lachen, Herr. Ein eins achtzig großer Zwerg! Aber ein Mensch zu sein bedeutet einfach nur, dass man menschliche Eltern hat. Das ist leicht. Ein Zwerg zu sein bedeutet nicht unbedingt, dass man Zwergeneltern hat, obwohl das ein guter Anfang ist. Es bedeutet auch nicht, klein zu sein. Es geht dabei um gewisse Dinge, die man tut. Um gewisse Zeremonien. Ich habe sie vollzogen. Deshalb bin ich ein Mensch und ein Zwerg. Den Tiefenern fällt es ein wenig schwer, damit klarzukommen.«

»Wird es hier wieder mystisch?«, fragte Mumm müde.

»Ja, Herr.« Karotte hüstelte. Mumm erkannte dieses besondere Hüsteln. Es bedeutete, dass der Hauptmann schlechte Nachrichten hatte und überlegte, welche Form er ihnen geben sollte, damit sie in Mumms bedrängten Kopf passten.

»Heraus damit, Hauptmann.«

»Äh, dieser kleine Bursche erschien«, sagte Karotte und öffnete die Hand. Der Stachelbeer-Kobold setzte sich auf.

»Ich bin den ganzen Weg gelaufen, Hier Namen Einfügen«, verkündete er stolz.

»Wir haben ihn bemerkt, als er durch den Rinnstein lief«, sagte Karotte. »Er war nicht schwer zu sehen, mit dem hellgrünen Glühen und so.«

Mumm holte den Stachelbeer-Kasten hervor und legte ihn auf den Boden. Der Kobold kletterte hinein.

»Oh, das tut gut«, sagte er. »Fragt mich bloß nicht nach Ratten und Katzen!«

»Sie haben dich gejagt? Aber du bist doch ein magisches Geschöpf«, sagte Mumm.

»Das wissen die Ratten und Katzen nicht!«, erwiderte der Kobold. »Nun, worum ging es noch…? Oh, ja. Du hast mich nach den Stinkekarren gefragt. Während der vergangenen drei Monate betrug die zusätzliche Honigwagenladung im Durchschnitt vierzig Tonnen pro Nacht.«

»Vierzig Tonnen! Die würden ein großes Zimmer füllen! Warum haben wir nichts davon erfahren?«

»Ihr habt davon erfahren, Hier Namen Einfügen!«, sagte der Kobold. »Aber die Wagen rollten durch alle Tore hinaus, und vermutlich hat kein Wächter mehr als ein oder zwei zusätzliche Karren bemerkt.«

»Ja, aber sie haben jede Nacht Berichte geschickt! Warum ist uns nichts aufgefallen?«

Eine peinliche Pause folgte. Der Kobold hüstelte. »Äh, niemand liest die Berichte, Hier Namen Einfügen. Sie scheinen das zu sein, was wir vom Fach Nur-geschrieben-Dokumente nennen.«

»Sollte sie nicht jemand lesen?«, fragte Mumm.

Wieder entstand eine laute Stille.

»Ich glaube, sie sollten von dir gelesen werden, Schatz«, sagte Sybil, während sie weiterstopfte.

»Aber ich bin der Kommandeur!«, protestierte Mumm.

»Ja, Schatz. Darum geht es ja.«

»Ich kann doch nicht meine ganze Zeit damit verbringen, Papiere hin und her zu schieben!«

»Dann stell jemanden ein, der das für dich erledigt, Schatz«, sagte Sybil.

»Kann ich das?«, fragte Mumm.

»Ja, Herr«, antwortete Karotte. »Du bist der Kommandeur.«

Mumm sah den Kobold an, der ihm ein bereitwilliges Lächeln schenkte.

»Kannst du meinen ganzen Eingangskorb…«

»… Boden…«, murmelte Sybil.

»… durchgehen und mir sagen, was wichtig ist?«

»Sehr gern, Hier Namen Einfügen! Ich habe nur eine Frage, Hier Namen Einfügen. Was ist wichtig?«

»Die Tatsache, dass die Stinkekarrenfahrer viel mehr… Zeug aus der Stadt bringen, ist doch verdammt wichtig.«

»Das weiß ich nicht, Hier Namen Einfügen«, entgegnete der Kobold. »Ich denke nicht viel. Aber ich vermute dies: Wenn ich dich vor einem Monat darauf hingewiesen hätte, wäre ich von dir aufgefordert worden, meinen Kopf in einen Entenhintern zu stecken.«

»Das stimmt vermutlich.« Mumm nickte. »Hauptmann Karotte?«

»Herr!«, sagte Karotte und saß gerade.

»Wie ist die Lage auf der Straße?«

»Trollgruppen sind den ganzen Tag durch die Stadt gewandert. Und auch Zwerge. Derzeit halten sich ziemlich viele Zwerge auf dem Hiergibt’salles-Platz auf, und die Trolle versammeln sich auf dem Platz der Gebrochenen Monde.«

»Von wie vielen sprechen wir hier?«, fragte Mumm.

»Von etwa tausend insgesamt. Natürlich haben sie getrunken.«

»Also sind sie genau in der richtigen Stimmung für einen Kampf.«

»Ja, Herr«, bestätigte Karotte. »Sie sind betrunken genug, um dumm zu sein, aber noch zu nüchtern, um umzufallen.«

»Interessante Beobachtung, Hauptmann«, sagte Mumm nachdenklich.

»Ja, Herr. Es heißt, dass sie um neun beginnen wollen. Wie ich hörte, sind Vorbereitungen getroffen worden.«

»Dann denke ich, dass sich vor der Dämmerung Polizisten im Khan einfinden sollten, direkt zwischen ihnen«, sagte Mumm. »Gib den Wachhäusern Bescheid.«

»Das habe ich bereits, Herr«, erwiderte Karotte.

»Und organisiere Barrikaden.«

»Schon erledigt, Herr.«

»Und hast du auch die Hilfspolizisten benachrichtigt?«

»Vor einer Stunde, Herr.«

Mumm zögerte. »Ich muss zur Stelle sein, Hauptmann.«

»Wir sollten eigentlich genug Leute haben, Herr«, sagte Karotte.

»Aber ihr habt nicht genug Kommandeure«, hielt ihm Mumm entgegen. »Wenn mich Vetinari morgen fertig macht, weil es im Stadtzentrum zu einem Tumult kam, so möchte ich ihm nicht sagen müssen, dass ich einen ruhigen Abend daheim verbracht habe.« Er wandte sich seiner Frau zu. »Entschuldige bitte, Sybil.«

Lady Sybil seufzte. »Ich glaube, ich sollte mit Havelock darüber reden, dass er dich zu lange arbeiten lässt«, sagte sie. »Es ist nicht gut für dich, weißt du.«

»Der Job verlangt es, Schatz.«

»Zum Glück habe ich die Köchin angewiesen, eine Reiseflasche mit Suppe vorzubereiten.«

»Das hast du?«

»Natürlich. Ich kenne dich, Sam. Und es liegt ein Beutel mit Broten bereit. Hauptmann Karotte, du wirst dafür sorgen, dass er den Apfel und die Banane isst. Dr. Rasen meint, er muss mindestens fünf Stück Obst oder Gemüse jeden Tag essen!«

Mumm richtete einen durchdringenden Blick auf Karotte und Sally und versuchte, diese Warnung zu übermitteln: Der Erste von ihnen, der zu lächeln wagte oder dies jemals irgendjemandem verriet, würde es bitter bereuen.

»Und übrigens, Tomatenketchup ist kein Gemüse«, fügte Lady Sybil hinzu. »Nicht einmal der trockene Teil ganz oben an der Flasche. Worauf wartet ihr noch?«

 

 

»Es gibt da etwas, das ich im Beisein Ihrer Ladyschaft nicht erwähnen wollte«, sagte Karotte, als sie zum Wachhaus am Pseudopolisplatz eilten. »Äh, Holper ist tot, Herr.«

»Wer ist Holper?«

»Obergefreiter Horatio Holper. Er bekam gestern einen Stein an den Kopf. Als wir bei der Versammlung waren. Als es zu dem, äh, ›Aufruhr‹ kam. Er wurde zum Gratishospital gebracht.«

»Bei den Göttern…«, sagte Mumm. »Es scheint eine Woche her zu sein. Er war erst seit zwei Monaten bei uns!«

»Im Hospital heißt es, sein Gehirn ist gestorben, Herr. Ich bin sicher, dass man sich dort alle Mühe gegeben hat.«

Haben wir uns alle Mühe gegeben?, fragte sich Mumm. Aber es war ein verdammtes Durcheinander gewesen, und der Ziegelstein war aus dem Nichts gekommen. Er hätte auch mich treffen können oder Karotte. Stattdessen hatte er einen jungen Burschen getroffen. Was soll ich seinen Eltern sagen? Dass er in Erfüllung seiner Pflicht starb? Aber es hätte nicht seine Pflicht sein dürfen, eine Gruppe blöder Bürger daran zu hindern, über eine andere Gruppe blöder Bürger herzufallen.

Es gerät außer Kontrolle. Wir sind nicht genug. Und jetzt sind wir noch weniger.

»Morgen spreche ich mit seiner Mutter und seinem Va…«, begann er, und dann fiel es ihm endlich ein. »Hat er nicht… Hatte er nicht einen Bruder in der Wache?«

»Jaherr«, sagte Karotte. »Obergefreiter Hektor Holper, Herr. Sie sind zusammen zu uns gekommen. Er ist unten in der Kröselstraße.«

»Sprich mit seinem Feldwebel, und sag ihm, dass Hektor heute Nacht nicht auf die Straße darf, klar? Ich möchte, dass er die Freuden der Büroarbeit kennen lernt. Möglichst in einem Keller. Und mit einem großen Helm auf dem Kopf.«

»Ich verstehe, Herr«, sagte Karotte.

»Wie geht es Angua?«

»Ich glaube, es wird ihr besser gehen, wenn sie sich ein wenig ausgeruht hat, Herr. Die Mine hat sie arg mitgenommen.«

»Das tut mir sehr, sehr Leid…«, begann Sally.

»Es ist nicht deine Schuld, Obergefreite… Sally«, sagte Mumm. »Es war meine. Ich kenne die Sache mit Vampiren und Werwölfen, aber ich habe euch beide dort unten gebraucht. Es war eine von diesen Entscheidungen. Ich schlage vor, du nimmst dir den Abend frei. Nein, ich befehle es. Du hast an deinem ersten Tag sehr gute Arbeit geleistet. Geh jetzt. Leg dich hin… oder was auch immer.«

Sie sahen ihr nach und setzten den Weg erst fort, als sie außer Sicht war.

»Sie ist sehr gut, Herr«, sagte Karotte. »Sie lernt schnell.«

»Ja, sehr schnell«, erwiderte Mumm nachdenklich. »Ich kann deutlich erkennen, dass sie uns von Nutzen sein wird. Kommt dir das nicht ein wenig seltsam vor, Hauptmann? Plötzlich ist sie da, genau zum richtigen Zeitpunkt.«

»Sie ist schon seit zwei Monaten in Ankh-Morpork«, sagte Karotte. »Und die Liga bürgt für sie.«

»Zwei Monate«, wiederholte Mumm. »Genauso lange wie Schinkenbrecher. Und wenn man Dinge herausfinden möchte, ist man bei uns an der richtigen Adresse. Wir sind offizielle Schnüffler.«

»Herr, du glaubst doch nicht…«

»Ich bin sicher, dass sie zu den Schwarzbandlern gehört, aber ich bezweifle, dass ein Vampir den ganzen weiten Weg von Überwald hierher kommt, um Cello zu spielen.« Mumm sah kurz ins Leere und fragte dann nachdenklich: »Arbeitet nicht einer der Hilfspolizisten bei den Klackern?«

»Andy Hancock, Herr«, sagte Karotte.

»Lieber Himmel. Du meinst ›Zwei Schwerter‹?«

»Das ist er, ja. Sehr eifriger Bursche.«

»Ja, ich habe die Berichte gelesen. Normalerweise hält eine Übungspuppe mehrere Monate. Wir erwarten nicht, dass drei von ihnen in einer halben Stunde in Stücke gehauen werden!«

»Er müsste jetzt im Wachhaus sein, Herr. Möchtest du mit ihm reden?«

»Nein. Rede du mit ihm.«

Mumm senkte die Stimme. Genauso Karotte. Sie flüsterten. Dann fragte Karotte: »Ist das legal, streng genommen?«

»Wahrscheinlich nicht. Finden wir es heraus. Dieses kleine Gespräch hat nicht stattgefunden, Hauptmann.«

»Verstanden, Herr.«

Bei den Göttern, es war viel besser, als es nur vier von uns gab und wir gegen den verdammten Drachen kämpfen mussten, dachte Mumm, als sie weitergingen. Zugegeben, einige Male wären wir fast bei lebendigem Leib verbrannt worden, aber wenigstens war es damals nicht kompliziert. Es war ein verdammt großer Drache. Man konnte ihn kommen sehen. Er wurde nicht politisch.

Als sie den Pseudopolisplatz erreichten, fiel ein leichter, beharrlicher Regen. Eins musste Mumm Karotte zugestehen, wenn auch widerstrebend. Er verstand es, zu organisieren. Überall herrschte rege Betriebsamkeit. Ganze Wagenladungen gelber und schwarzer Absperrungen kamen aus der alten Limonadenfabrik. Wächter eilten von allen Straßen herbei.

»Ich habe mich sehr bemüht, alles in Bewegung zu setzen, Herr«, sagte Karotte. »Weil ich es für wichtig hielt.«

»Gute Arbeit, Hauptmann«, erwiderte Mumm, während sie wie Inseln in der Flut standen. »Aber ich glaube, du hast da beim Vorausplanen einen kleinen Aspekt übersehen…«

»Tatsächlich, Herr? Ich dachte, ich hätte alles berücksichtigt«, sagte Karotte verwundert.

Mumm klopfte ihm auf den Rücken.

»Diese eine Sache vermutlich nicht«, sagte er. Und in Gedanken fügte er hinzu: Weil du Hauptmann bist und kein Mistkerl.

 

 

Verwirrt und ziellos wandert der Troll durch die Welt…

In Ziegels Kopf hatte es gegongt. Eigentlich wollte er dies alles gar nicht, aber er war in schlechte Gesellschaft geraten. Er geriet oft in schlechte Gesellschaft, obwohl er manchmal einen ganzen Tag nach ihr suchen musste, denn Ziegel war ein Verlierer unter Verlierern. Ein Troll ohne Clan oder Bande, der selbst von anderen Trollen für dumm gehalten wurde… Solch ein Troll musste sich mit jeder schlechten Gesellschaft begnügen, die er finden konnte. In diesem Fall hatte er Vollkommen Schlacke, Harter Kern und Großer Marmor gefunden, und es einfacher gewesen war, sich ihnen anzuschließen, als nicht bleiben bei ihnen, und sie sich jetzt zusammengeschlossen mit noch mehr Trollen…

Du es so sieh, dachte Ziegel, als er dahinwankte und Bandenlieder mit einer gewissen Verzögerung sang, weil er den Text nicht kannte… Na schön, zu sein in der Mitte dieses Trollmobs kein Verkriechen, das feststeht. Aber Vollkommen Schlacke gesagt haben, dass auch die Wache sucht nach dem, der unten in Mine gewesen ist. Und wenn man es überlegt sich, für einen Troll es ein besseres Versteck gibt als mitten unter Trollen? Denn die Wache sucht in den Kellern, wo herumhängen die wirklich fiesen Trolle, sie nicht suchen würde hier. Und wenn doch, und wenn sie zeigt mit dem Finger auf mich, dann mir alle diese Trollbrüder helfen werden.

Was den letzten Teil betraf, war er tief in seinem Herzen nicht ganz sicher. Sein vermutlich negativer IQ, das komplette Fehlen von Anerkennung bei seinen Artgenossen sowie die permanente Neigung, alles zu schnupfen, zu lutschen oder zu kiffen, das versprach, sein Gehirn ein wenig auf Vordermann zu bringen, bedeuteten, dass ihn sogar die Zehntes-Ei-Straße-uns-fällt-kein-Name-ein-Bande zurückgewiesen hatte, deren Mitglieder selbst bei blöden Trollen als überaus blöd galten. Nein, es war schwer, sich Trolle vorzustellen, die an Ziegels Situation Anteil nahmen. Aber derzeit dies waren Brüder, die einzigen in der Stadt.

Ziegel stieß den Troll an, der neben ihm wankte. Er trug eine Halskette aus Schädeln, Graffitiverzierungen, schmückende Flechten und eine riesige Keule.

»Reschpeck, Bruder!«, sagte er.

»Warum du nicht gehst und dich selbst ghuhg, Ziegel, du kleines Stück Koprolith…«, brummte der Troll.

»Ja, danke!«, erwiderte Ziegel.

 

 

Das Hauptbüro war voller Leute, aber Mumm bahnte sich einen Weg durch das Gedränge, bis er den Schreibtisch des Wachoffiziers erreichte, der belagert zu werden schien.

»Es sieht schlimmer aus, als es ist, Herr!«, rief Grinsi im Lärm. »Detritus und Obergefreiter Flussspat sind im Khan, zusammen mit den drei Golemwächtern! Wir haben dort Aufstellung bezogen! Die beiden Gruppen haben noch nichts bemerkt – sie sind zu sehr damit beschäftigt, sich in Schwung zu bringen!«

»Gute Arbeit, Feldwebel!«

Grinsi beugte sich herab und senkte die Stimme. Mumm musste sich an dem hohen Schreibtisch festhalten, um nicht von der Menge fortgedrängt zu werden.

»Fred Colon verpflichtet die Hilfspolizisten in der alten Limonadenfabrik, Herr. Und Herr de Worde von der Times sucht dich.«

»Tut mir Leid, Feldwebel, den letzten Teil habe ich nicht verstanden!«, sagte Mumm laut. »Die Limonadenfabrik? In Ordnung!«

Er drehte sich um und fiel fast über Herrn A. E. Pessimal, der ein Klemmbrett in der Hand hielt.

»Ah, Euer Gnaden, es gibt da einige kleine Angelegenheiten, die ich mit dir besprechen möchte«, sagte der glänzende kleine Mann.

Mumms Mund klappte auf.

»Und du hältst dies für den geeigneten Zeitpunkt?«, brachte er hervor. Ein Wächter, der ein Bündel Schwerter trug, stieß gegen ihn.

»Nun, ja, ich bin auf einige finanzielle und verfahrensrechtliche Probleme gestoßen«, sagte A. E. Pessimal ruhig, »und ich glaube, es ist sehr wichtig, dass ich genau verstehe, was…«

Mumm lächelte furchtbar und ergriff ihn an der Schulter. »Ja! Genau! Absolut!«, rief er. »Mein lieber Herr Pessimal, was habe ich nur gedacht? Du musst verstehen! Bitte komm mit mir!«

Er zog den verwirrten Mann halb durch die Hintertür, hob ihn aus der Bahn eines rollenden Wagens, zerrte ihn über den Platz und auf den Hof der alten Fabrik, wo die Hilfspolizisten ausgerüstet wurden.

Eigentlich bildeten sie die Stadtmiliz, aber wie Colon es ausgedrückt hatte: »Sie sollen besser hier bei uns mit sich selbst Scheiße bauen, als dort draußen mit uns.« Die Hilfspolizisten waren Männer – die meisten von ihnen –, die im Notfall zum Polizeidienst herangezogen werden konnten, sich aber aufgrund von Gestalt, Beruf, Alter oder manchmal auch Intelligenz nicht dafür eigneten, offizielle Angehörige der Wache zu werden.

Viele der regulären Wächter mochten sie nicht, aber Mumm hatte sich letztens zu der Ansicht durchgerungen: Wenn es hart auf hart ging, war es besser, die anderen Bürger an seiner Seite zu wissen, und in dem Fall sollten sie ein Schwert richtig in der Hand halten können, damit sie einem nicht versehentlich den Arm abschlugen.

Mumm zog A. E. Pessimal durch das Gedränge, bis er Fred Colon fand, der Eine-Größe-passt-nicht-allen-Helme verteilte.

»Hier habe ich einen neuen Mann für dich, Fred«, sagte er laut. »Herr A. E. Pessimal, A. E. falls er jemals Freunde finden sollte. Er ist der Regierungsinspektor. Rüste ihn voll aus, und vergiss nicht den Schutzschild. A. E. hier möchte den Polizeidienst verstehen, deshalb hat er sich freundlicherweise bereit erklärt, uns als Untergefreiter bei der Barrikade Gesellschaft zu leisten.« Über A. E. Pessimals Kopf hinweg zwinkerte er Fred zu.

»Oh, äh, in Ordnung«, erwiderte Colon, und im flackernden Schein der Fackeln zeigte sein Gesicht das unschuldige Lächeln eines Mannes, der sich anschickte, das Leben eines anderen in einen kleinen Topf brodelndes Entsetzen zu verwandeln. Er beugte sich über den Tisch.

»Weißt du, wie man mit einem Schwert umgeht, Untergefreiter Pessimal?«, fragte er und ließ einen Helm auf den Kopf des Mannes fallen, wo dieser sich drehte.

»Nicht genau…«, begann der Inspektor, als ein ziemlich altes Schwert über den Tisch geschoben wurde, gefolgt von einem schweren Schlagstock.

»Und ein Schild? Kannst du was mit einem Schild anfangen?«, fragte Colon und fügte dem Schwert und dem Schlagstock einen solchen Gegenstand hinzu.

»Eigentlich wollte ich gar nicht…«, sagte A. E. Pessimal und versuchte, sowohl das Schwert als auch den Schlagstock zu halten, worauf beide Objekte zu Boden fielen. Er hob Schwert und Schlagstock auf und mühte sich, auch den Schild zu nehmen, mit dem Ergebnis, dass alle drei Gegenstände auf dem Boden landeten.

»Kannst du hundert Meter in zehn Sekunden laufen? Hier drin?«, fuhr Fred fort. Ein Mantel aus rostigem Kettenhemd rutschte langsam über die Kante des Tisches, wie ein Paket aus Schlangen, und landete auf A. E. Pessimals glänzenden Schuhen.

»Äh, ich glaube nicht…«

»Still stehen und ganz, ganz schnell zur Toilette gehen?«, fragte Fred. »Na, du wirst es bald lernen.«

Mumm drehte den Mann, hob fünfunddreißig Pfund rostzerfressenes Kettenhemd auf und drückte es A. E. Pessimal in die Arme, der sich daraufhin zusammenkrümmte. »Ich stelle dich einigen Bürgern vor, die heute Abend an deiner Seite kämpfen werden«, sagte er, als ihm der kleine Mann hinterherhoppelte. »Dies ist Willikins, mein Butler. Heute keine scharf geschliffenen Münzen in der Mütze, Willikins?«

»Nein, Herr«, sagte Willikins und sah den sich abplagenden A. E. Pessimal an.

»Freut mich zu hören. Dies ist Untergefreiter Pessimal, Willikins.« Mumm zwinkerte.