»Es ist mir eine Ehre, den Herrn Untergefreiten kennen zu lernen«, sagte Willikins würdevoll. »Jetzt, da der Herr bei uns ist, werden es sich die Schurken zweimal überlegen, uns anzugreifen. Hat der Herr es schon einmal mit einem Troll zu tun bekommen? Nein? Dann erlaube ich mir, dem Herrn einen kleinen Rat zu geben. Es kommt darauf an, vor dem Troll zu stehen und dem ersten Hieb auszuweichen. Dann geben sie sich immer eine Blöße, Herr, und man kann vortreten und nach Belieben zuschlagen.«

»Äh, was ist, wenn… ich nicht vor dem Troll stehe, während er mich zu schlagen versucht?«, fragte A. E. Pessimal, wie hypnotisiert von der Beschreibung. Er ließ erneut das Schwert fallen. »Was ist, wenn er hinter mir steht?«

»Ah, nun, ich fürchte, in dem Fall muss der Herr zurückkehren und noch einmal von vorn anfangen, Herr.«

»Und, äh, wie macht man das?«

»Der erste Schritt besteht für gewöhnlich darin, geboren zu werden, Herr«, sagte Willikins und schüttelte den Kopf.

Mumm nickte ihm zu und schob den zitternden Pessimal durch die schwatzende Menge, während es regnete, Dunstschwaden wogten und Fackelschein flackerte.

»Guten Abend, Herr!«, ertönte eine fröhliche Stimme, und ja, dort stand Hilfspolizist Hancock, ein freundlicher, bärtiger Mann mit einem freundlichen Lächeln und mehr scharfem Metall an seinem Leib, als für Mumms geistige Gesundheit gut war. Das war das Problem mit einigen Hilfspolizisten. Sie übertrieben ihr Engagement. Einige von ihnen brachten ihre eigene Ausrüstung mit, und die war immer besser als die der Wache. Manche von ihnen klirrten noch mehr als Zwerge und kamen mit patentierten Handschellen, komplizierten Schlagstöcken, bequem gepolsterten Helmen und Stiften, mit denen man unter Wasser schreiben konnte. Hancocks Spezialität waren zwei achatische Krummschwerter auf seinem Rücken. Wer sich auf den Übungshof wagte, während er mit ihnen trainierte, berichtete davon, dass es sehr beeindruckend aussah. Mumm hatte gehört, dass ein achatischer Ninja einer Fliege mitten im Flug den Bart stutzen und das Haar schneiden konnte, aber dadurch fühlte er sich nicht viel besser.

»Oh, hallo… Andy«, sagte er. »Ich glaube…«

»Hauptmann Karotte hat mit mir gesprochen«, sagte Hilfspolizist Hancock und zwinkerte übertrieben. »Ich kümmere mich darum!«

»Oh, gut«, erwiderte Mumm und begriff, dass er sich in eine schwierige Position gebracht hatte, und zwar mit dem Vorschlag, dass vielleicht ein Schwert genügte. »Äh… du wirst es mit Trollen zu tun bekommen, zumindest zu Anfang«, sagte er. »Denk daran, dass unsere Leute in deiner Nähe sind. Erinnerst du dich an Hilfspolizist Piggel?«

»Aber gerechterweise muss man sagen, dass es ein glatter Schnitt war«, erwiderte Hancock. »Igor meinte, das Wiederannähen wäre ihm nie so leicht gefallen.«

»Trotzdem, heute Abend beschränken wir uns auf Schlagstöcke, Andy. Es sei denn, ich gebe andere Befehle, klar?«

»Verstanden, Kommandeur Mumm. Das passt mir gut, denn ich habe mir gerade einen neuen Schlagstock zugelegt.«

Der sechste Sinn ließ Mumm fragen: »Ach, tatsächlich? Kann ich ihn mal sehen?«

»Sofort, Herr.« Hancock holte etwas hervor, das für Mumm nach zwei Schlagstöcken aussah, die durch eine Kette miteinander verbunden waren.

»Das sind achatische Numknuts, Herr. Ganz ohne scharfe Kanten.«

Mumm schwang die Waffe versuchsweise und traf seinen eigenen Ellenbogen. Er gab sie schnell zurück. »Das Ding ist bei dir besser aufgehoben. Ich schätze, wenn ein Troll so etwas sieht, bleibt er stehen und denkt nach.«

Herr Pessimal starrte entsetzt, nicht zuletzt deshalb, weil ihn das eigensinnige Holz nur knapp verfehlt hatte.

»Oh, das ist Herr Pessimal, Andy«, sagte Mumm. »Er findet heraus, wie es bei uns zugeht. Herr Hancock ist einer unserer… eifrigsten Hilfspolizisten, Herr Pessimal.«

»Freut mich, dich kennen zu lernen, Herr Pessimal!«, sagte Hancock. »Wenn du irgendwelche Kataloge brauchst, so bist du bei mir an der richtigen Adresse!«

Mumm ging rasch weiter, nur für den Fall, dass Hancock auf den Gedanken kam, seine Schwerter zu ziehen. Kurz darauf begegnete er einer nicht ganz so beunruhigenden Person.

»Und hier haben wir Herrn Boggis«, sagte er. »Wie schön, dich zu sehen. Herr Boggis ist Präsident der Diebesgilde, Herr Pessimal.«

Herr Boggis salutierte stolz. Er hatte ein Kettenhemd von Fred entgegengenommen, aber keine Macht der Welt hätte ihn veranlassen können, sich von seiner Melone zu trennen. Wenn es dennoch irgendeine Macht versucht hätte, wäre sie mit zwei kühl blickenden und sehr ernsten Männern konfrontiert worden, die rechts und links neben Boggis standen und auf Waffen und Rüstung verzichteten. Einer von ihnen reinigte seine Fingernägel mit einem offenen Rasiermesser. Auf eine seltsame, aber sehr eindeutige Weise wirkten sie viel gefährlicher als Hilfspolizist Hancock.

»Und Vinny ›Ohne Ohren‹ Ludd und Harry ›Erinnert sich nicht an seinen Spitznamen‹ Jones, wie ich sehe«, fuhr Mumm fort. »Du hast deine Leibwächter mitgebracht, Herr Boggis?«

»Vinny und Harry kommen gern an die frische Luft, Herr Mumm«, sagte Herr Boggis. »Und du hast deinen eigenen Leibwächter?« Er sah auf Herrn Pessimal hinab und wandte sich dann mit einem Lächeln an Mumm. »Bei diesen kleinen Bantamkämpfern muss man aufpassen, Herr Mumm, sie können einem im Nu die Nase abschneiden. Ich erkenne einen mörderischen Burschen, wenn ich ihn sehe. Viel Glück, Herr Pessimal!«

Mumm führte den verblüfften Mann fort, bevor Herr Boggis auf der Stelle vom Gott des Übertreibens getötet wurde. Fast wäre er gegen einen Hilfspolizisten gestoßen, der garantiert nicht zu viel sprach.

»Und hier, Herr Pessimal, haben wir den Bibliothekar der Universität«, sagte er. »Ein guter Mann im Handgemenge.«

»Aber das… das ist kein Mann! Das ist ein Orang-Utan, Pongo Pongo, beheimatet auf Bhangbhangduc und anderen Inseln in der Nähe!«

»Ugh!«, sagte der Bibliothekar, klopfte A. E. Pessimal auf den Kopf und reichte ihm eine Bananenschale.

»Ausgezeichnet, A. E.!«, sagte Mumm. »Nur wenige Leute kriegen das richtig hin!«

Mumm zog den Inspektor durch die Menge aus feuchten, bewaffneten Männern und stellte ihn rechts und links vor. Dann drückte er ihn in eine Ecke und zog ihm das Kettenhemd über den Kopf, was leisen, geschockten Protest hervorrief.

»Bleib dicht hinter mir, Herr Pessimal«, sagte er, als der Mann versuchte, sich zu bewegen. »Später könnte es ein bisschen heikel werden. Die Trolle sind auf dem einen Platz, die Zwerge auf dem anderen, und beide trinken sich genug Mut für eine ordentliche Keilerei an. Deshalb beziehen wir im Khan Aufstellung, direkt zwischen ihnen, der dünne braune Streifen, haha. Die Zwerge tragen Streitäxte, die Trolle Keulen. Unsere Waffe der ersten Wahl ist der Schlagstock, und die Waffe der letzten Wahl sind unsere Füße. Mit anderen Worten: Wir rennen wie der Teufel.«

»Aber, aber, ihr habt Schwerter!«, brachte A. E. Pessimal hervor.

»Wir haben Schwerter, Untergefreiter. Ja, das stimmt, aber Löcher in Bürger zu bohren wäre polizeiliche Grausamkeit, und das wollen wir nicht. Gehen wir. Ich möchte nicht, dass du irgendetwas verpasst.«

Er setzte dem Mann erneut zu, zog ihn auf die Straße und in den Strom von Wächtern, die in Richtung Khan eilten. Abgesehen von ihnen war die Straße leer. Die Bürger von Ankh-Morpork hatten einen Instinkt dafür, zu Hause zu bleiben, wenn draußen zu viele Streitäxte und Keulen unterwegs waren.

Der Khan war einfach nur eine sehr breite Straße, einst für zeremoniöse Paraden bestimmt, ein Überbleibsel aus der Zeit, als es in der Stadt viele Gründe für Zeremonien gegeben hatte. Jetzt war der Khan voller Nieselregen, der nur das Pflaster nass machte und das Licht der Fackeln bei den Barrikaden reflektieren ließ.

Barrikaden… mit dieser Bezeichnung waren sie in den Inventarlisten der Wache aufgeführt. Ha! Lange Bretter mit schwarzen und gelben Streifen, auf Tischen angeordnet… So was waren keine Barrikaden, nicht für jemanden, der je hinter einer echten gestanden hatte, die aus Abfällen, Möbeln, Fässern, Furcht und Durchfall verursachendem Trotz bestand. Nein, diese schlichten Gegenstände stellten das physische Symbol einer Idee dar. Sie waren eine Linie im Sand, die sagte: Bis hierher und nicht weiter. Sie verkündeten: Hier ist das Gesetz. Wenn ihr über die Linie tretet, dann steht ihr jenseits des Gesetzes. Tretet über diese Linie, mit euren scharfen Äxten, großen Morgensternen und schweren stacheligen Keulen, und wir, unsere kleine Schar, die hier mit hölzernen Schlagstöcken steht, wir werden… wir werden…

… tretet besser nicht über die Linie, klar?

Die gelben und schwarzen Kanten des Gesetzes waren etwa dreieinhalb Meter voneinander entfernt aufgestellt worden und boten genug Platz für die beiden Reihen aus Wächtern, die Rücken an Rücken standen und in Richtung der beiden Plätze blickten.

Mumm zog Herrn Pessimal in die Mitte des Khan, zwischen die beiden Reihen, und ließ ihn dort los.

»Irgendwelche Fragen?«, fragte er, als Nachzügler an ihnen vorbeihasteten, um ihre Posten zu beziehen.

Der kleine Mann starrte erst zum fernen Platz, wo die Trolle ein großes Feuer entzündet hatten, und dann zum anderen, wo sich die Zwerge bei mehreren Feuern versammelten. Gesang kam von dort herüber.

»O ja, zuerst wird gesungen. Zunächst geht es darum, das Blut in Wallung zu bringen, verstehst du?«, erklärte Mumm. »Lieder über Helden, große Siege, wie sie ihre Feinde töten und aus ihren warmen Schädeln trinken, solche Sachen.«

»Und dann, äh, greifen sie uns an?«, fragte A. E. Pessimal.

»Nicht in dem Sinne«, sagte Mumm. »Sie versuchen, die andere Gruppe anzugreifen, und wir sind im Weg.«

»Gehen sie nicht vielleicht um uns herum?«, fragte A. E. Pessimal hoffnungsvoll.

»Das bezweifle ich. Sie sind nicht in der Stimmung für schmale Gassen und denken in geraden Linien. Angreifen und brüllen, werden sie sagen, das ist der richtige Weg.«

»Äh, dort drüben ist die Universität!«, sagte A. E. Pessimal, als bemerkte er die großen Gebäude der Unsichtbaren Universität jetzt zum ersten Mal. »Die Zauberer könnten doch…«

»… die Waffen aus ihren Händen zaubern und ihnen dabei vielleicht sogar alle Finger lassen? Sie mit Magie in Zellen unterbringen? Sie alle in Frettchen verwandeln? Und was dann, Herr Pessimal?« Mumm zündete sich eine Zigarre an und wölbte die Hand so um das Streichholz, dass die Flamme sein Gesicht glühen ließ. »Sollen wir dorthin gehen, wohin uns die Magie führt? Winke mit dem Zauberstab, um herauszufinden, wer schuldig ist und was getan hat? Sollen wir die Leute mit Magie besser machen? Glaubst du, die Unschuldigen hätten nichts zu befürchten? Darauf würde ich keine zwei Cent wetten, Herr Pessimal. Magie ist ein wenig lebendig und ein wenig knifflig. Wenn man glaubt, sie an der Kehle gepackt zu haben, beißt sie einen in den Hintern. Keine Magie in meiner Wache, Herr Pessimal. Wir verlassen uns auf gute alte Polizeiarbeit.«

»Aber es sind viele, Kommandeur.«

»Zusammen über tausend, denke ich«, sagte Mumm ruhig. »Und vermutlich sind noch viel mehr bereit, sich ins Getümmel zu stürzen, wenn wir zulassen, dass die Sache außer Kontrolle gerät. Derzeit haben wir es nur mit den Hitzköpfen und Banden zu tun.«

»A-aber können wir sie nicht einfach… sich selbst überlassen?«

»Nein, Herr Pessimal, denn dann käme es zu etwas, das wir in der Wache ›vollständiges und totales blutiges Chaos‹ nennen, und es würde nicht aufhören und sehr schnell immer größer werden. Wir müssen die Sache jetzt beenden, damit…«

Ein Pochen kam von dem Platz mit den Trollen, laut genug, dass es von den Gebäuden in der Nähe widerhallte.

»Was war das?«, fragte A. E. Pessimal und sah sich nervös um.

»Oh, das war zu erwarten«, sagte Mumm.

Pessimal entspannte sich ein wenig. »War es das?«

»Ja«, bestätigte Mumm. »Es ist der Gahanka, der Kriegsschlag der Trolle. Wenn man ihn gehört hat, ist man spätestens zehn Minuten später tot, heißt es.« Hinter Pessimal grinste Detritus, und der Fackelschein verwandelte seine Diamantzähne in Rubine.

»Stimmt das?«

»Ich glaube nicht«, sagte Mumm. »Und jetzt entschuldige mich bitte für eine Weile, Untergefreiter Pessimal. Ich lasse dich in den guten Händen von Feldwebel Detritus, während ich mit meinen Männern rede. Ich muss ihnen den Rücken stärken und so.«

Er ging schnell fort. Eigentlich, so sagte er sich, hätte er dies dem Inspektor nicht antun sollen, der vermutlich gar kein schlechter Mann war, nur ein Beamter am falschen Ort. Andererseits waren die Trolle dort draußen auf dem Platz wahrscheinlich keine schlechten Trolle, und die Zwerge auf dem anderen Platz waren auch keine schlechten Zwerge. Leute, die vermutlich nicht schlecht waren, konnten einen töten.

Der trollische Kriegsschlag hallte erneut durch die Stadt, als Mumm Fred Colon erreichte.

»Wie ich höre, geben sie uns den alten Gahanka, Herr Mumm«, sagte der Feldwebel mit nervöser Fröhlichkeit.

»Ja. Ich schätze, sie greifen bald an.« Mumm hielt Ausschau und versuchte, im fernen Feuerschein einzelne Gestalten zu erkennen. Trolle griffen nicht schnell an, aber wenn sie kamen, näherte sich eine Wand. Die Hand zu heben und mit fester, gebieterischer Stimme »Halt!« zu rufen genügte wahrscheinlich nicht.

»Denkst du an eine andere Barrikade, Herr Mumm?«, fragte Fred.

»Hmm?«, erwiderte Mumm und verdrängte ein Vorstellungsbild, das ihn auf der Straße zerquetscht zeigte.

»Barrikaden, Herr«, half Colon nach. »Vor mehr als dreißig Jahren.«

Mumm nickte kurz. O ja, er erinnerte sich an die Glorreiche Revolution. Es war keine richtige Revolution gewesen, und von »glorreich« konnte kaum die Rede sein, es sei denn, man hielt ein frühes Grab für glorreich. Auch bei der Gelegenheit waren Männer durch die Hand anderer Männer gestorben, die vermutlich, bis auf einen oder zwei, nicht schlecht gewesen waren…

»Ja«, sagte er. »Es scheint erst gestern gewesen zu sein.« Jeder Tag schien erst gestern gewesen zu sein, dachte Mumm.

»Erinnerst du dich an den alten Feldwebel Keel? Er hat in jener Nacht tief in die Trickkiste gegriffen!« In Feldwebel Colons Stimme schwang ebenso wie in der von A. E. Pessimal ein seltsam hoffnungsvoller Ton.

Mumm nickte.

»Ich schätze, du hast das eine oder andere Ass im Ärmel, Herr«, fuhr Fred fort, die Hoffnung jetzt nackt und ohne Scham.

»Du kennst mich, Fred, ich bin immer bereit zu lernen«, erwiderte Mumm vage. Er schlenderte weiter, nickte Wächtern zu, die er kannte, klopfte anderen auf den Rücken und achtete darauf, dass niemand seinen Blick einfing. Jedes Gesicht zeigte einen ähnlichen Ausdruck wie das von Fred Colon. Mumm konnte praktisch die Gedanken der Wächter sehen, während das Pochen von fünfhundert Keulen, die gleichzeitig auf das Pflaster prallten, wie ein Hammer gegen die Trommelfelle schlug.

Du hast alles geregelt, nicht wahr, Herr Mumm? Wir laufen doch nicht wirklich Gefahr, hier festzusitzen wie das Fleisch in einem Sandwich, oder? Es ist ein Trick, stimmts? Es ist doch ein Trick, Herr?

Das hoffe ich, dachte Mumm. Aber wie auch immer, die Wache muss hier sein. Das ist die verdammte Wahrheit.

Der Gahanka-Rhythmus veränderte sich leicht. Man musste genau hinhören – einige Keulen trafen kurz vor den anderen auf den Boden. Ah.

Mumm erreichte Grinsi und Karotte, die zu den fernen Feuern der Zwerge blickten.

»Wir glauben, dass wir vielleicht ein Resultat erzielen«, sagte Karotte.

»Das will ich auch verdammt hoffen! Was passiert bei den Zwergen?«

»Nicht mehr viel Gesang, Herr«, berichtete Grinsi.

»Freut mich zu hören.«

»Aber wir könnten mit ihnen fertig werden, nicht wahr, Herr?«, fragte Karotte. »Mit den Golemwächtern auf unserer Seite? Wenn es hart auf hart ginge?«

Natürlich könnten wir das nicht, dachte Mumm. Nicht, wenn sie es wirklich ernst meinen. Wir könnten nur versuchen, tapfer zu sterben. Ich habe gesehen, wie Männer tapfer gestorben sind. So was hat keine Zukunft.

»Ich möchte nicht, dass es dazu kommt, Hauptmann…« Mumm hielt inne. Ein dunklerer Schatten hatte sich inmitten der dunklen Schatten bewegt.

»Parole?«, fragte er schnell.

Die schattenhafte Gestalt – sie trug einen Kapuzenmantel – zögerte.

»Parole? Entschuldige, ich habe fie irgendwo aufgeschrieben…«

»Schon gut, Igor, komm her«, sagte Karotte.

»Woher wuffteft du, daff ich ef bin?«, fragte Igor und duckte sich unter der Barrikade durch.

»Dein Rasierwasser«, sagte Mumm und zwinkerte dem Hauptmann zu. »Wie ist es gelaufen?«

»Genau, wie du gefagt haft, Herr.« Igor schlug die Kapuze zurück. »Übrigenf, Herr, ich habe den Operationftisch gut geschrubbt, und mein Kufin Igor hält fich bereit, um zu helfen. Fallf ef zu unangenehmen Zwischenfällen kommt, Herr…«

»Danke, dass du daran gedacht hast, Igor«, sagte Mumm. Als wenn die Igors jemals an etwas anderes dächten. »Ich hoffe, wir brauchen seine Hilfe nicht.«

Er sah den Khan hinauf und hinunter. Es regnete jetzt stärker. Diesmal war der Polizistenfreund gekommen, als man ihn brauchte. Regen neigte dazu, kämpferische Begeisterung zu dämpfen.

»Hat jemand Nobby gesehen?«, fragte er.

»Hier, Herr Mumm!«, kam eine Stimme aus den Schatten. »Bin seit fünf Minuten hier!«

»Warum hast du dich nicht gemeldet?«

»Konnte mich nicht mehr an die Parole erinnern, Herr! Wollte warten, bis ich sie von Igor höre!«

»Komm her. Hat es geklappt?«

»Besser, als du ahnst, Herr!«, sagte Nobby. Regen strömte über seinen Mantel.

Mumm trat zurück. »Na schön, Jungs, es ist soweit. Karotte und Grinsi, ihr geht zu den Zwergen. Detritus und ich kümmern uns um die Trolle. Ihr wisst, worauf es ankommt. Die Linien langsam vorrücken lassen und keine gefährlichen Waffen. Lasst uns dies wie Polizisten tun. Auf mein Zeichen!«

Er eilte zu den Barrikaden zurück, so schnell, wie die Unruhe durch die Reihen der Wächter ging. Detritus wartete gleichmütig und brummte, als Mumm eintraf.

»Die Keulen gerade aufgehört haben, Herr«, berichtete er.

»Das habe ich gehört, Feldwebel.« Mumm nahm den geölten Ledermantel ab und hängte ihn an die Barrikade. Er wollte die Arme freihaben.

»Übrigens, wie ist es in der Dreh-dich-wieder-Straße gelaufen?«, fragte er und streckte die Arme.

»Oh, wundervoll, Herr«, antwortete Detritus zufrieden. »Sechs Alchimisten und fünfzig Pfund frisches Schlitt. Hin und rein, schnell und sauber, sitzen jetzt alle im Kittchen.«

»Wussten gar nicht, wie ihnen geschah, was?«, fragte Mumm.

Das schien Detritus ein wenig zu verletzen. »O nein, Herr«, sagte er. »Ich sehr darauf geachtet habe, dass sie wussten, ich ihnen geschah.«

Und dann sah Mumm Herrn Pessimal, der noch immer dort stand, wo er ihn zurückgelassen hatte, sein Gesicht eine blasse Scheibe in der Dunkelheit. Genug mit diesem Spiel. Vielleicht hatte der kleine Narr etwas gelernt, während er dort im Regen stand und darauf wartete, zwischen zwei heulende Mobs zu geraten. Vielleicht hatte er sich gefragt, wie es sein mochte, sein ganzes Leben mit solchen Momenten zu verbringen. Ein bisschen härter als Büroarbeit.

»Du solltest besser hier warten, Herr Pessimal«, sagte Mumm so sanft wie möglich. »Es könnte ein wenig grob werden.«

»Nein, Kommandeur«, sagte A. E. Pessimal und sah auf.

»Was?«

»Ich habe auf das geachtet, was gesagt wurde, und ich bin entschlossen, dem Feind gegenüberzutreten, Kommandeur«, sagte A. E. Pessimal.

»Jetzt hör mal, Herr Pess… äh, hör mal, A. E.«, sagte Mumm, legte dem kleinen Mann die Hand auf die Schulter und stellte fest: A. E. Pessimal zitterte so sehr, dass sein Kettenhemd leise klirrte. Mumm sprach weiter. »Ich schlage vor, du gehst nach Hause. Du gehörst nicht hierher.« Er klopfte ihm einige Male auf die Schulter und fühlte, wie seine Verwirrung wuchs.

»Kommandeur Mumm!«, schnappte der Inspektor.

»Äh, ja?«

A. E. Pessimal wandte Mumm ein Gesicht zu, das feuchter war, als es allein der Regen bewirken konnte. »Ich bin Untergefreiter, nicht wahr?«

»Äh, ich weiß, dass ich das gesagt habe, aber ich habe nicht erwartet, dass du es ernst nimmst…«

»Ich bin ein ernsthafter Mann, Kommandeur Mumm. Und es gibt keinen Ort, an dem ich derzeit lieber sein möchte als hier!« Untergefreiter Pessimal fügte mit klappernden Zähnen hinzu: »Und ich könnte mir keine bessere Zeit als diese vorstellen! Bringen wir es hinter uns.«

»Na schön, wenn du meinst«, erwiderte Mumm hoffnungslos. »Du hast den Inspektor gehört, Feldwebel Detritus. Bringen wir es hinter uns.«

Der Troll nickte und drehte sich zu dem fernen Trolllager um. Er wölbte die Hände um den Mund und rief einige trollische Worte, die von den Gebäuden widerhallten.

»Wie wär’s mit etwas, das wir alle verstehen können?«, sagte Mumm, als die Echos verhallten.

A. E. Pessimal trat vor und holte tief Luft. »Kommt, wenn ihr glaubt, hart genug zu sein!«, heulte er wild.

Mumm hüstelte. »Danke, Herr Pessimal«, sagte er schwach. »Ich glaube, das genügt.«

 

 

Der Mond war irgendwo hinter den Wolken, aber Angua brauchte ihn nicht zu sehen. Karotte hatte ihr einmal eine besondere Uhr zum Geburtstag geschenkt. Sie zeigte einen kleinen Mond, der sich drehte und im Rhythmus von achtundzwanzig Tagen mal die helle und mal die dunkle Seite zeigte. Bestimmt hatte sie ihn viel Geld gekostet, und Angua trug sie um den Hals, das einzige »Kleidungsstück«, das sie den ganzen Monat über tragen konnte. Sie brachte es einfach nicht fertig, ihm zu sagen, dass sie die Uhr nicht brauchte. Sie wusste, was geschah.

Derzeit war es schwierig, viel mehr zu wissen, denn sie dachte mit der Nase. Das war das Problem mit den Wolfszeiten: Die Nase übernahm die Kontrolle.

Angua suchte in den Gassen unweit der Sirupstraße, ausgehend vom Eingang der Zwergenmine. Sie durchstreifte eine Welt aus Farben; Gerüche überlagerten sich gegenseitig, trieben umher und hafteten. Die Nase ist das einzige Organ, das in der Zeit rückwärts sehen kann.

Sie hatte bereits den Haufen auf dem Abladeplatz besucht und dort eine Trollfährte gefunden. Der Troll musste die Mine an dieser Stelle verlassen haben, aber es hatte keinen Sinn, einer so alten Spur zu folgen. Heutzutage trugen hunderte von Trollen Flechten und Schädel. Doch der widerliche ölige Kram – dieser Geruch klebte in ihrer Erinnerung fest. Für die kleinen Teufel gab es sicher andere Wege hinein. Und man musste die Luft in einer Mine umwälzen. Also würde ein wenig von dem Öl zusammen mit der Luft einen Weg nach draußen finden. Der Geruch war bestimmt nicht sehr stark, aber das musste er auch nicht sein. Eine Spur genügte. Das wäre mehr als genug.

Als Angua durch die Gassen lief und über Mauern in mitternächtliche Höfe sprang, hielt ihr Wolfsmaul den kleinen Lederbeutel, den Freund eines jeden denkenden Werwolfs, eines Geschöpfs also, das sich daran erinnerte, dass einem die Kleidung nicht auf magische Weise folgte. Der Beutel enthielt ein leichtes Seidenkleid und eine große Flasche mit Mundwasser, das Angua für die größte Erfindung der letzten hundert Jahre hielt.

Hinter dem Breiten Weg wurde sie fündig und entdeckte einen Geruch, der sich vor den vertrauten organischen Gerüchen der Stadt wie ein dünnes schwarzes Band abzeichnete. Er bildete dort Zickzackmuster in der Luft, wo Windstöße und vorbeirollende Karren an ihm gezerrt hatten.

Angua begann, sich mit größerer Vorsicht zu bewegen. Dieses Viertel war nicht wie die Sirupstraße. Hier lebten Leute mit Geld, und oft gaben sie das Geld für große Hunde und »Bei uns kommt ihr nicht ungeschoren davon«-Schilder an ihren Zufahrten aus. Als sie weiterschlich, hörte sie das Rasseln von Ketten und gelegentliches Jaulen. Sie verabscheute es, von großen, bissigen Hunden angegriffen zu werden. Es blieb immer ein Durcheinander zurück, und das Mundwasser war nie stark genug.

Das Band des Geruchs reichte durch das Geländer der Erfahrungssichel, eines der größten architektonischen Prachtstücke der Stadt. Allerdings war es immer schwierig, Mieter für das Gebäude zu finden, obwohl das Viertel einen guten Ruf genoss. Die meisten Leute wohnten dort nicht länger als einige Monate, bevor sie hastig auszogen und manchmal all ihre Sachen zurückließen.10

Still und elegant setzte Angua über das Geländer hinweg und landete auf allen vieren auf etwas, das einst ein Kiesweg gewesen war. Die Bewohner der Erfahrungssichel arbeiteten kaum im Garten, denn man konnte nie sicher sein, in wessen Garten die Knollen einer Pflanze aufgingen.

Angua folgte ihrer Nase zu einer Ansammlung wuchernder Disteln. Einige alte Ziegel, zu einem Kreis angeordnet, markierten die Öffnung eines Brunnens.

Der ölige Geruch war dort sehr stark, aber es gab noch einen anderen, frischeren und weitaus komplexeren Geruch, der dazu führte, dass sich Anguas Nackenhaare aufrichteten.

Ein Vampir befand sich dort unten.

Jemand hatte Unkraut entfernt und Schutt beiseite geräumt, darunter die unvermeidliche zerrissene Matratze und den demolierten Lehnstuhl.11 Sally? Was machte sie hier?

Angua zog einen Stein aus dem Brunnenrand und ließ ihn fallen. Es platschte nicht; dafür erklang ein hölzernes Pochen.

Na schön. Sie nahm wieder ihre menschliche Gestalt an, um nach unten zu klettern. Krallen waren so weit in Ordnung, aber gewisse Dinge mussten von Affen erledigt werden. Die Seiten erwiesen sich wie erwartet als glitschig, aber im Lauf der Zeit hatten sich so viele Steine aus den Wänden gelöst, dass der Abstieg überraschend leicht war. Und der Brunnen war nur etwa zwanzig Meter tief, angelegt in einer Zeit, als man geglaubt hatte, dass Wasser, in dem so viele kleine Tierchen lebten, gesund sein musste.

Unten stieß Angua auf neue Bretter. Jemand – und es kamen nur Zwerge infrage – hatte sich hier in den Brunnen gegraben und mehrere Bretter darin ausgelegt. Sie waren bis hierher gekommen und nicht weiter. Warum? Weil sie den Brunnen erreicht hatten?

Unter den Brettern schwappte schmutziges Wasser beziehungsweise eine wasserartige Flüssigkeit. Der Tunnel war an dieser Stelle etwas breiter, und Zwerge hatten sich hier aufgehalten – Angua schnupperte –, vor nur einigen Tagen. Zwerge waren hier gewesen, hatten sich umgesehen und waren dann wieder gegangen. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, alles wieder in Ordnung zu bringen. Angua roch es wie ein Bild.

Sie schlich los, und ihre Nase kartographierte die Tunnel. Sie waren nicht so sorgfältig gearbeitet wie die Tunnel, durch die Feurig ging. Diese waren viel einfacher, verliefen im Zickzack und endeten manchmal vor einer Wand. Schlichte Bretter und Balken hielten den stinkenden Schlamm der Ebene zurück, der dennoch hier und dort durch Öffnungen quoll. Diese Tunnel sollten nicht auf Dauer halten, nur lange genug für eine schnelle und mit Sicherheit schmutzige Sache.

Die Gräber hatten also nach etwas gesucht, ohne genau zu wissen, wo es sich befand – bis sie auf etwa sechs Meter herangekommen waren. Dann hatten sie es… gerochen? Entdeckt? Das letzte Stück zum Brunnen verlief gerade. Zu jenem Zeitpunkt schienen sie gewusst zu haben, wohin sie graben mussten.

Angua setzte den Weg fort und musste sich immer wieder ducken, um nicht an die niedrige Decke zu stoßen. Schließlich gab sie auf und verwandelte sich wieder in einen Wolf. Der Tunnel wurde gerade, und gelegentlich zweigten Seitengänge ab, denen Angua keine Beachtung schenkte, obwohl sie lang rochen. Der Vampirgeruch war noch immer ein ärgerliches Thema in der nasalen Symphonie und überlagerte fast den Gestank des schmutzigen Wassers, das aus den Wänden tropfte. An einigen Stellen hatten Vürmer die Decke kolonisiert. Fledermäuse ebenfalls. Sie bewegten sich.

Und dann bemerkte Angua einen weiteren Geruch, als sie an einer Tunnelöffnung vorbeikam. So schwach er auch war, er enthielt eindeutig Fäulnis. Ein frischer Tod…

Vier frische Tode. Am Ende eines kurzen Seitengangs fand sie die Leichen von zwei, nein, von drei Zwergen, halb im Schlamm begraben. Sie glühten. Vürmer hatten keine Zähne, wusste Angua von Karotte. Sie warteten, bis sich die in Aussicht stehende Mahlzeit verflüssigte. Und während sie auf den größten Glücksfall warteten, den sie jemals erlebt hatten, feierten sie. Hier unten, in einer weit von den Straßen entfernten Welt, würden sich die Zwerge in Licht auflösen.

Angua schnüffelte.

Sehr frisch…

»Sie haben etwas gefunden«, sagte jemand hinter ihr. »Und dann hat es sie getötet.«

Angua sprang.

 

 

Der Sprung war keine Absicht. Ihr Hinterhirn arrangierte ihn ganz allein. Das Vorderhirn – der Teil, der wusste, dass ein Feldwebel nicht versuchen sollte, einen Obergefreiten zu zerfleischen, ohne provoziert worden zu sein – versuchte, den Sprung mitten in der Luft zu stoppen, doch in dieser Phase ging es nur noch um Ballistik. Es gelang ihr, sich in der Luft zu drehen, wodurch sie mit der Schulter gegen die Wand stieß.

Flügel schlugen ein Stück entfernt, und ein lang gezogenes organisches Geräusch vermittelte die Vorstellung von einem Schlachter, der Schwierigkeiten mit einem Stück Knorpel hatte.

»Weißt du, Feldwebel«, ertönte Sallys Stimme, als wäre überhaupt nichts geschehen, »ihr Werwölfe habt es leicht. Ihr bleibt ein Geschöpf und habt keine Probleme mit der Körpermasse. Hast du eine Ahnung, auf wie viele Fledermäuse ich mein Gewicht verteilen muss? Mehr als hundertfünfzig. Und natürlich verirrt sich immer eine oder fliegt in die falsche Richtung. Man kann erst wieder klar denken, wenn man alle seine Fledermäuse beisammen hat. Und sich dann wieder zusammenzusetzen… ist wie das größte Niesen, das du dir vorstellen kannst. Rückwärts

So etwas wie Scham hatte hier unten in der Dunkelheit keinen Sinn. Angua zwang sich zurück in menschliche Gestalt – alle Gehirnzellen drängten sich zusammen, um Reißzähne und Krallen niederzuringen. Zorn half.

»Was zum Teufel machst du hier?«, fragte sie, als sie einen funktionierenden Mund hatte.

»Ich habe dienstfrei«, erwiderte Sally und trat vor. »Ich habe beschlossen, mich ein wenig umzusehen.« Sie war völlig nackt.

»So viel Glück kannst du nicht gehabt haben!«, knurrte Angua.

»Deine Nase fehlt mir natürlich, Feldwebel«, sagte Sally mit einem süßen Lächeln. »Aber ich hatte hundertfünfundfünfzig fliegende kleine Nasen zur Verfügung, und die können einen großen Bereich absuchen.«

»Ich dachte, Vampire könnten ihre Kleidung rematerialisieren lassen«, sagte Angua vorwurfsvoll. »Otto Chriek ist dazu imstande!«

»Frauen können das nicht. Wir wissen nicht, woran es liegt, vermutlich an dieser ganzen Nachthemd-Geschichte. Da bist du wieder im Vorteil. Wenn man in den Körpern von hundertfünfundfünfzig Fledermäusen steckt, fällt es schwer, sich daran zu erinnern, dass zwei von ihnen eine Hose tragen sollen.« Sally sah zur Decke hoch und seufzte. »Hör mal, ich weiß, wohin dies führt. Es geht um Hauptmann Karotte…«

»Ich habe gesehen, wie du ihn angelächelt hast!«

»Entschuldige! Wir können sehr charmant sein! Das gehört zur Vampirnatur!«

»Wolltest ihn wohl unbedingt beeindrucken.«

»Und du nicht? Er ist eben ein Mann, den man gern beeindruckt!«

Sie musterten sich wachsam.

»Er gehört mir«, sagte Angua und spürte, wie sich ihre Fingernägel in Krallen verwandeln wollten.

»Du gehörst ihm, meinst du wohl!«, erwiderte Sally. »Du weißt, wie es funktioniert. Du läufst ihm nach.«

»Entschuldige! Das ist eine Werwolfsache!«, rief Angua.

»Halt!« Sally hob beide Hände zu einer Geste des Friedens. »Wir sollten besser etwas klären, bevor dies weitergeht!«

»Ja?«

»Ja. Wir haben beide nichts an, wir stehen beide in einem Tunnel, der sich immer mehr mit Schlamm füllt, wie du vielleicht bemerkt hast, und wir bereiten uns auf den Kampf vor. Na schön. Aber es fehlt etwas.«

»Und das wäre?«

»Ein zahlendes Publikum. Wir könnten ein Vermögen verdienen.« Sally zwinkerte. »Oder sollten wir uns auf das besinnen, das uns hierher geführt hat?«

Angua zwang ihren Körper, sich zu entspannen. Sie hätte das sagen sollen. Sie war schließlich der Feldwebel.

»Na schön«, erwiderte sie. »Wir sind beide hier. Lassen wir es dabei. Wolltest du sagen, dass diese Zwerge von einem… Ding aus dem Brunnen getötet worden sind?«

»Möglich. Aber wenn das stimmt, hat das Ding eine Axt benutzt. Sieh dich um. Kratz etwas von dem Schlamm weg. Seit meiner Ankunft ist noch mehr davon über sie gequollen. Deshalb hast du es vermutlich übersehen«, fügte Sally großzügig hinzu.

Angua zog einen Zwerg aus dem glänzenden Schleim.

»Ich verstehe«, sagte sie und ließ die Leiche zurückfallen. »Dieser ist seit zwei Tagen tot. Wie ich sehe, hat man sich nicht viel Mühe gegeben, sie zu verbergen.«

»Warum auch? Die Zwerge haben damit aufgehört, diese Tunnel auszupumpen. Die Stützen sehen provisorisch aus; der Schlamm kehrt zurück. Wer wäre schon so dumm, hierher zu kommen?«

Ein Stück der Wand glitt nach unten, mit einem klebrigen, organischen, kuhfladenartigen Geräusch. Überall tröpfelte und rann es. Ankh-Morporks Unterwelt forderte verstohlen zurück, was ihr gehörte.

Angua schloss die Augen und konzentrierte sich. Der Gestank des Schleims, der Geruch der Vampirin und des inzwischen knöchelhoch stehenden Wassers – das alles rang um ihre Aufmerksamkeit. Doch hier ging es um Konkurrenz. Sie durfte nicht zulassen, dass ein Vampir die Führung übernahm. Das wäre so… traditionell.

»Es waren noch andere Zwerge hier«, murmelte sie. »Zwei… nein, drei… äh, vier weitere. Ich rieche… schwarzes Öl. Fernes Blut. Weiter den Tunnel hinunter. Und hier liegen nur drei Leichen.« Sie richtete sich so abrupt auf, dass sie fast mit dem Kopf an die Decke gestoßen wäre. »Komm!«

»Es wird hier ein wenig gefährlich…«

»Wir können diese Sache klären! Komm! Du kannst dich doch nicht vor dem Tod fürchten!«

Angua lief los.

»Hältst du es vielleicht für lustig, einige tausend Jahre in Matsch vergraben zu verbringen?«, rief Sally, aber sie sprach nur zu quellendem Schlamm und fauliger Luft. Sie zögerte einen Moment, stöhnte und folgte Angua.

Tiefer im Haupttunnel zweigten mehr Gänge ab. Zu beiden Seiten flossen Ströme aus Schlamm wie kalte Lava daraus hervor. Sally platschte an etwas vorbei, das aussah wie eine große Trompete aus Kupfer, die sich langsam in der Strömung drehte.

Hier war der Tunnel besser gebaut als in der Nähe des Brunnens, und an seinem Ende schien mattes Licht. Angua hockte vor einer der großen runden Zwergentüren. Sally schenkte ihr keine Beachtung und warf nur einen flüchtigen Blick auf den Zwerg, der in sich zusammengesackt auf dem Boden saß, mit dem Rücken an der Tür.

Stattdessen sah sie auf das Symbol, das groß und grob auf das Metall gekritzelt war. Es ähnelte einem runden, starrenden Auge mit einem Schweif, und es glühte mit dem grünweißen Licht von Vürmern.

»Er hat es mit seinem Blut gemalt«, sagte Angua, ohne aufzusehen. »Sie hielten ihn für tot, aber es steckte noch ein wenig Leben in ihm. Er schaffte es hierher, aber die Mörder haben die Tür verriegelt. Er hat daran gekratzt – ich rieche es hier –, und es ist Blut unter seinen Fingernägeln. Dann hat er das Zeichen mit seinem eigenen warmen Blut gemalt, hat dort gesessen, sich die Wunde zugehalten und beobachtet, wie die Vürmer kamen. Ich würde sagen, er ist seit etwa achtzehn Stunden tot.«

»Ich glaube, wir sollten diesen Ort verlassen, jetzt sofort«, sagte Sally und wich zurück. »Weißt du, was das Zeichen bedeutet?«

»Ich weiß nur, dass es ein Minenzeichen ist. Weißt du, was es bedeutet?«

»Nein, aber ich kann mir denken, dass es ein wirklich schlimmes Symbol ist. Es kann kaum gut sein, es hier zu sehen. Was machst du mit der Leiche?« Sally wich noch etwas weiter zurück.

»Ich versuche herauszufinden, wer er war«, sagte Angua und durchsuchte die Kleidung des Zwergs. »So was machen wir in der Wache. Wir stehen nicht herum und machen uns Sorgen wegen irgendwelcher Kritzeleien an den Wänden. Wo ist das Problem?«

»In diesem Augenblick?«, fragte die Vampirin. »Er… leckt ein wenig…«

»Wenn ich es aushalten kann, solltest du es ebenfalls können. In diesem Job sieht man viel Blut. Versuch nicht, davon zu trinken, das ist mein Rat«, sagte Angua, während sie weitersuchte. »Ah… er trägt eine Halskette mit Runen. Und…« Sie zog die Hand aus dem Wams des Zwergs. »Dies kann ich nicht genau erkennen, aber ich rieche Tinte; vielleicht ist es ein Brief. Na schön. Verschwinden wir von hier.« Sie drehte den Kopf und sah zu Sally. »Hast du gehört?«

»Das Zeichen stammt von einem Sterbenden«, sagte Sally und hielt noch immer Abstand.

»Ja?«

»Wahrscheinlich ist es ein Fluch.«

»Und wenn schon«, sagte Angua. »Wir haben ihn nicht getötet.« Mit ein wenig Mühe kam sie auf die Beine.

Sie blickten auf den breiigen Schlamm hinab, der ihnen bis zu den Knien reichte.

»Glaubst du, der Fluch schert sich darum?«, fragte Sally sachlich.

»Nein, aber ich glaube, bei der letzten Abzweigung könnte es einen Weg nach oben geben«, sagte Angua und sah durch den Tunnel zurück.

Sie hob den Arm. Vürmer krochen mit blinder Entschlossenheit über die Decke, fast so schnell, wie unten die Schlammbrühe floss. Als glühender Strom hielten sie auf den Seitengang zu.

Sally zuckte mit den Schultern. »Es ist einen Versuch wert.«

Sie brachen auf, und das Geräusch ihrer platschenden Schritte verklang bald.

Langsam stieg der Schlamm und gluckerte in der Düsternis. Der Strom aus Vürmern an der Decke wurde dünner und verschwand. Die Vürmer, die das Zeichen bildeten, blieben, denn ein solcher Festschmaus war den Tod wert.

Das Glühen ließ nach, als ein Vurm nach dem anderen starb.

Die Dunkelheit unter der Welt umschloss das Zeichen, das rot aufflammte und ebenfalls starb.

Die Dunkelheit blieb.

 

 

An diesem Tag im Jahr 1802 versuchte der Maler Methodia Schlingel, das Ding unter einem Haufen alter Säcke zu verstauen, um zu verhindern, dass es das Huhn weckte. Dann stellte er den letzten Troll fertig und nahm seinen kleinsten Pinsel, um die Augen zu malen.

 

 

Es war fünf Uhr morgens. Regen fiel vom Himmel, nicht sehr stark, aber beharrlich.

Auf dem Hiergibt’salles-Platz und dem Platz der Gebrochenen Monde zischte er auf der weißen Asche der Feuer. An manchen Stellen legte er orangefarbenes Glühen frei, das noch lauter zischte und sprühte.

Eine Gnollfamilie stöberte herum, und jedes Familienmitglied zog seinen oder ihren kleinen Karren. Einige Wächter behielten sie im Auge. Gnolle waren nicht besonders wählerisch bei dem, was sie einsammelten, vorausgesetzt, es zappelte nicht, und selbst dann… Es gab Gerüchte. Aber man tolerierte sie. Nichts säuberte einen Ort gründlicher als ein Gnoll.

Von hier sahen sie aus wie kleine Trolle, jeder von ihnen mit einem großen Beutel auf dem Rücken, der ihre ganze Habe enthielt. Und der größte Teil von dem, was sie besaßen, war faulig.

Sam Mumm verzog das Gesicht, als es in seiner Seite stach. Natürlich hatte es ihn treffen müssen. Nur zwei Polizisten waren bei der ganzen verdammten Angelegenheit verletzt worden, und einer von ihnen musste er sein. Igor hatte sich alle Mühe gegeben, aber gebrochene Rippen blieben gebrochene Rippen, und es würde eine oder zwei Wochen dauern, bis die verdächtige grüne Salbe half.

Dennoch genoss Mumm ein gewisses warmes Glühen an der ganzen Sache. Sie hatten gute alte Polizeiarbeit geleistet, und da gute alte Polizisten immer in der Minderzahl sind, hatte er die gute alte Polizeimethode von Schlauheit, Täuschung und Man-nehme-jede-Waffe-die-man-bekommen-kann angewendet.

Von einem Kampf konnte eigentlich nicht die Rede sein. Die Zwerge hatten größtenteils nur dagesessen und düstere Lieder gesungen, weil sie umfielen, wenn sie aufzustehen versuchten. Oder sie hatten versucht aufzustehen, waren umgefallen und lagen dann da und schnarchten. Die meisten Trolle hingegen standen, kippten aber, wenn man sie anstieß. Ein oder zwei, die ein wenig klarer im Kopf waren als die anderen, hatten auf geradezu lächerlich schwerfällige Weise zu kämpfen versucht, waren jedoch der ältesten Polizeimethode erlegen, dem gut platzierten Stiefel. Wenigstens die meisten von ihnen. Mumm verlagerte das Gewicht, um die Schmerzen in der Seite zu lindern – er hätte es kommen sehen müssen.

Aber Ende gut, alles gut. Es gab keine Toten, und das Tüpfelchen auf dem i war die Morgenausgabe der Times, die er gerade in den Händen hielt. Der Leitartikel bedauerte die durch die Stadt ziehenden Banden und fragte, ob die Wache »ihrer Aufgabe gerecht werden konnte«, für Ordnung zu sorgen.

O ja, ich glaube, das können wir, du aufgeblasener Heini. Mumm rieb ein Streichholz an einer Plinthe und zündete sich eine Zigarre an, um einen kleinen, aber dunkle Genugtuung bringenden Triumph zu genießen. Bei den Göttern, sie hatten diesen Erfolg gebraucht. Während der verdammten Koomtal-Sache war die Wache immer wieder unter schweren Beschuss geraten, und es war gut, den Jungs endlich einmal etwas geben zu können, auf das sie stolz sein konnten. Sie hatten definitiv ein Resultat erzielt…

Mumm starrte auf die Plinthe. Er erinnerte sich nicht daran, welche Statue hier einst gestanden hatte. Generationen von Graffitikünstlern hatten sich an der Plinthe ausgetobt.

Ein Stück Trollgraffiti schmückte sie jetzt und tilgte alles, was von Künstlern geschaffen worden war, die nur Farbe benutzt hatten. Mumm las:

 

 

 

Minenzeichen, Stadtgekritzel, dachte er. Es wird brenzlig, und die Leute nehmen das zum Anlass, an Mauern zu schreiben…

»Kommandeur!«

Er drehte sich um. Hauptmann Karotte, sein Brustharnisch makellos glänzend, eilte auf ihn zu. Wie üblich verriet sein Gesichtsausdruck hundertprozentigen Eifer.

»Ich habe doch alle Wächter, die nicht im Gefangenendienst sind, ins Bett geschickt, Hauptmann«, sagte Mumm.

»Ich bringe nur noch einige Dinge in Ordnung, Herr«, erwiderte Karotte. »Lord Vetinari hat dem Wachhaus eine Nachricht übermittelt. Er möchte einen Bericht. Ich dachte, ich sollte dich besser darauf hinweisen, Herr.«

»Ich habe nachgedacht, Hauptmann«, sagte Mumm aufgeschlossen. »Sollen wir hier eine kleine Gedenktafel anbringen? Etwas Schlichtes? Mit der Aufschrift ›Hier fand am 5. Gruni des Jahrs der Garnele nicht die Schlacht des Koomtals statt‹? Könnten wir vielleicht eine verdammte Briefmarke herausgeben lassen? Was meinst du?«

»Ich glaube, du solltest dich hinlegen und schlafen, Kommandeur«, sagte Karotte. »Und eigentlich ist der Koomtaltag erst am Samstag.«

»Denkmäler für Schlachten, die nicht stattgefunden haben, sind vielleicht ein bisschen übertrieben, aber eine Briefmarke…«

»Lady Sybil macht sich wirklich Sorgen um dich, Herr«, sagte Karotte behutsam.

Das Zischen in Mumms Kopf ließ nach. Der Hinweis auf Sybil ließ die Gläubiger seines Körpers Schlange stehen und mit ihren überfälligen Schuldscheinen winken. Füße: todmüde, brauchten dringend ein Bad; Magen: knurrend; Rippen: brennend; Rücken: schmerzend; Gehirn: trunken von eigenen Giften. Ein Bad, schlafen, essen… gute Ideen. Aber gewisse Dinge erforderten noch immer seine Aufmerksamkeit…

»Wie geht’s unserem Herrn Pessimal?«, fragte er.

»Igor hat ihn in Ordnung gebracht. Er staunt noch immer ein bisschen über all die Aufregung. Nun, ich kann dir nicht befehlen, dich auf den Weg zu Seiner Lordschaft zu machen…«

»Nein, das kannst du nicht, weil ich der Kommandeur bin, Hauptmann«, sagte Mumm, noch immer berauscht vor Erschöpfung.

»… aber er kann das, und er hat es getan, Herr. Und deine Kutsche wird vor dem Palast bereitstehen, wenn du ihn wieder verlässt. Das sind Lady Sybils Befehle, Herr«, sagte Karotte und berief sich auf höhere Autorität.

Mumm sah zu der hässlichen Masse des Palastes auf. Saubere Laken erschienen ihm plötzlich sehr verlockend. »Ich kann ihm nicht so gegenübertreten«, murmelte er.

»Ich habe mit Sekretär Drumknott gesprochen, Herr. Heißes Wasser, ein Rasiermesser und eine große Tasse Kaffee warten im Palast auf dich.«

»Du hast an alles gedacht, Karotte…«

»Das hoffe ich, Herr. Mach dich jetzt besser auf den Weg…«

»Aber ich habe mir etwas einfallen lassen«, sagte Mumm und schwankte zufrieden. »Besser sinnlos betrunken als sinnlos tot.«

»Es war ein klassischer Trick, Herr«, sagte Karotte anerkennend. »Einer für die Geschichtsbücher. Geh jetzt, Herr. Ich mache mich auf die Suche nach Angua. Sie hat nicht in ihrem Bett geschlafen.«

»Um diese Zeit im Monat…«

»Ich weiß, Herr. Aber sie hat auch nicht in ihrem Korb geschlafen.«

 

 

In einem feuchten Keller, der einst eine Mansarde gewesen und jetzt halb mit Schlamm gefüllt war, strömten die Vürmer dort aus einem kleinen Loch, wo Bretter seit langer Zeit vermoderten.

Eine Faust schlug zu. Aufgeweichtes Holz splitterte und gab nach.

Angua zog sich in diese neue Dunkelheit und bückte sich dann, um Sally nach oben zu helfen.

»Oh, noch mehr Durcheinander«, sagte die Vampirin.

»Wollen wir’s hoffen«, erwiderte Angua. »Ich glaube, wir müssen noch eine weitere Etage nach oben. Dort ist ein Bogengang. Komm.«

Sie hatten viele Sackgassen, vergessene stinkende Zimmer, falsche Hoffnungen und eindeutig zu viel Schlamm hinter sich.

Nach einer Weile war der Geruch fast greifbar geworden und dann zu einem weiteren Teil der Dunkelheit. Die Frauen wanderten und kletterten von einem feuchten Raum zum nächsten, tasteten die schmutzigen Wände nach verborgenen Türen ab und suchten nach Licht an Decken, von denen interessante und grässliche Dinge herabhingen.

Jetzt hörten sie Musik. Nach fünf Minuten des Watens und Rutschens gelangten sie zu einem blockierten Zugang, aber da man den moderneren Ankh-Morpork-Mörtel aus Sand, Pferdedung und Gemüseschalen verwendet hatte, waren bereits einige Ziegel herausgefallen. Sally entfernte den Rest mit einem Schlag.

»Entschuldige«, sagte sie. »Es ist eine Vampirsache.«

Der Keller hinter der demolierten Wand enthielt einige Fässer und schien regelmäßig benutzt zu werden. Er hatte auch eine richtige Tür. Dumpfe Musik mit einem sich ständig wiederholenden Rhythmus drang durch die Bretter an der Decke. Angua bemerkte eine Falltür.

»Na schön«, sagte sie. »Dort oben sind Leute. Ich rieche sie…«

»Ich zähle siebenundfünfzig schlagende Herzen«, sagte Sally.

Angua warf ihr einen Blick zu. »Weißt du, über dieses Talent würde ich an deiner Stelle nicht laut reden.«

»Entschuldigung, Feldwebel.«

»So was hören die Leute nicht gern«, fuhr Angua fort. »Ich meine, ich bin durchaus imstande, den Kopf eines Mannes zu zerbeißen, aber ich laufe nicht herum und erzähle das allen.«

»Ich werde daran denken, Feldwebel«, sagte Sally mit einer Demut, die vielleicht geheuchelt war.

»Gut. Und jetzt… Wie sehen wir aus? Wie Sumpfmonster?«

»Ja, Feldwebel. Dein Haar ist in einem schrecklichen Zustand: ein großer Klumpen grüner Schleim.«

»Grün?«

»Ich fürchte ja.«

»Und mein Notfallkleid liegt irgendwo dort unten«, sagte Angua. »Außerdem ist es schon nach Tagesanbruch. Kannst du dich, äh, jetzt in Fledermäuse verwandeln?«

»Bei Tageslicht? Hundertfünfundfünfzig desorientierte Teile von mir? Nein! Aber du könntest als Wolf hinausgehen.«

»Ich möchte lieber nicht als Schleimmonster durch den Boden kommen, wenn du gestattest«, sagte Angua hochmütig.

»Ja, ich verstehe. So was sollte besser nicht offen gezeigt werden.« Sally schnippte etwas Schlamm fort. »Dieses Zeug ist grässlich

»Wir können also nur hoffen, dass uns niemand erkennt, wenn wir loslaufen«, sagte Angua und zog sich wabbeliges Grün aus dem Haar. »Wenigstens sind wir… O nein…«

»Was ist los?«, fragte Sally.

»Nobby Nobbs! Er ist dort oben! Ich rieche ihn!« Angua deutete zu den Brettern empor.

»Du meinst Korporal Nobbs? Den kleinen… Mann mit den Pickeln?«, fragte Sally.

»Wir sind doch nicht unter dem Wachhaus, oder?« Angua sah sich voller Panik um.

»Ich glaube nicht. Jemand tanzt, nach den Geräuschen zu urteilen. Aber wie kannst du einen Menschen inmitten so vieler Leute identifizieren?«

»Nobby Nobbs erkenne ich überall, glaub mir.« Der Geruch von altem Kohl, Aknesalbe und nicht bösartiger Hautkrankheit wurde bei Korporal Nobbs zu einem Duft, der sich so auf die Nase legte wie ein Sägeblatt auf eine Harfe. Er war nicht in dem Sinne übel, ähnelte aber seinem Verursacher. Er war sonderbar, allgegenwärtig und teuflisch schwer zu vergessen.

»Er ist doch ein Kollege«, bemerkte Sally. »Würde er uns nicht helfen?«

»Wir sind nackt, Obergefreite!«

»Nicht unbedingt. Dies ist sehr klebriger Schlamm.«

»Ich meine unter dem Schlamm!«, sagte Angua.

»Ja, aber wenn wir Kleidung tragen würden, wären wir unter ihr nackt!«, erwiderte Sally.

»Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt für Logik! Ich möchte nicht erleben, dass Nobby mich angrinst!«

»Aber er hat dich doch in deiner Wolfsgestalt gesehen?«, fragte Sally.

»Und?«, schnappte Angua.

»Als Wolf bist du doch nackt, streng genommen.«

»Verrat ihm das nie!«

 

 

Nobby Nobbs, ein Schatten in der warmen, roten Schummerigkeit, stieß Feldwebel Colon an.

»Du brauchst die Augen nicht geschlossen zu halten, Feldwebel«, sagte er. »Es ist alles erlaubt. Es handelt sich um eine künstlerische Zelebration des weiblichen Körpers, meint Bronzaleh. Außerdem trägt sie Kleidung.«

»Zwei Troddeln und ein gefaltetes Taschentuch sind keine Kleidung, Nobby«, sagte Fred und sank tiefer in seinen Sessel. Der Rosarote Kätzchenklub! Er war Soldat gewesen und gehörte zur Wache, und man konnte nicht so viel Zeit in Uniform verbringen, ohne ein oder zwei Dinge zu sehen – vielleicht auch drei, wenn man genauer darüber nachdachte. Außerdem hatte Nobby zu Recht darauf hingeweisen, dass die Ballerinen im Opernhaus der Fantasie nicht viel Platz ließen, zumindest nicht der von Nobby, aber man durfte nicht vergessen, dass Ballett Kunst war, auch wenn darin Plinthen und Urnen fehlten, weil sie vermutlich zu aufwändig waren. Und Ballerinen schwirrten nicht mit dem Kopf nach unten umher. Das Schlimmste war: Fred hatte im Publikum bereits zwei Personen bemerkt, die er kannte. Glücklicherweise hatten sie ihn noch nicht gesehen, was bedeutete: Immer dann, wenn er ihnen einen verstohlenen Blick zuwarf, sahen sie in eine andere Richtung.

»Oh, dieser Teil ist wirklich schwer«, flüsterte Nobby im Plauderton.

»Äh… tatsächlich?« Fred Colon schloss erneut die Augen.

»Ja. Das ist der Dreifache Korkenzieher…«

»Hat die Geschäftsführung nichts dagegen, dass du hierher kommst?«, brachte Fred hervor und sank noch tiefer in seinen Sessel.

»O nein«, antwortete Nobby, den Blick weiterhin auf die Bühne gerichtet. »Sie freut sich darüber, dass ein Wächter zugegen ist. Das sorgt angeblich dafür, dass sich die Leute benehmen. Außerdem komme ich nur her, um Betty nach Hause zu bringen.«

»Und Betty ist…?«

»Bronzaleh ist nur ihr Stangenname«, sagte Nobby. »Sie meint, niemand wäre an einer exotischen Tänzerin interessiert, die Betty heißt. Sie meint, dieser Name klänge nach jemandem, der eine Schüssel mit Backmischung in der Hand hält.«

Colon schloss einmal mehr die Augen und versuchte, das Bild von der bronzefarbenen, geschmeidigen Gestalt auf der Bühne und einer Schüssel mit Backmischung in ihren Händen aus seiner Vorstellung zu verbannen. »Ich glaube, ich könnte ein wenig frische Luft gebrauchen«, stöhnte er.

»O nein, Feldwebel, noch nicht. Gleich ist Brokkolieh dran. Sie kann ihren Hinterkopf mit dem Fuß berühren, weißt du…«

»Das glaube ich nicht!«, sagte Fred Colon.

»Sie kann es tatsächlich, Feldwebel, ich habe es selbst gesehen…«

»Ich glaube nicht, dass es eine Tänzerin namens Brokkoli gibt!«

»Früher hieß sie Zucker, aber dann hörte sie, dass Brokkoli besser für die Gesundheit ist…«

»Korporal Nobbs!«

Die Stimme schien aus dem Boden zu kommen.

Nobby starrte Fred Colon an und blickte dann nach unten. »Ja?«, fragte er vorsichtig.

»Hier spricht Feldwebel Angua«, sagte der Boden.

»Oh?«, erwiderte Nobby.

»Was ist dies für ein Ort?«, fuhr die Stimme fort.

»Der Rosarote Kätzchenklub, Feldwebel«, antwortete Nobby gehorsam.

»O ihr Götter.« Unten wurde gesprochen, und dann fragte die Stimme: »Sind Frauen dort oben?«

»Ja, Feldwebel. Äh, was machst du da unten, Feldwebel?«

»Ich gebe dir Befehle, Nobby«, sagte die Stimme von unten. »Sind dort oben Frauen?«

»Ja, Feldwebel. Viele.«

»Gut. Bitte eine von ihnen, in den Bierkeller zu kommen. Wir brauchen zwei Eimer mit warmem Wasser und einige Handtücher, verstanden?«

Nobby merkte, dass die Musiker nicht mehr spielten und Bronzaleh halb um die Stange gewickelt verharrte. Alle lauschten dem sprechenden Boden.

»Ja, Feldwebel«, sagte Nobby. »Ich habe verstanden.«

»Und saubere Sachen. Und…« Unterirdisches Flüstern folgte. »Nicht zwei Eimer Wasser, sondern mehrere. Und eine Scheuerbürste. Und einen Kamm. Und noch einen Kamm. Und mehr Handtücher. Oh, und zwei Paar Schuhe, Größe neununddreißig und… was, siebenunddreißigeinhalb? Wirklich? Na schön. Und ist Fred Colon bei dir, oder ist das eine dumme Frage?«

Fred räusperte sich. »Ich bin hier, Feldwebel«, räumte er ein. »Aber ich bin nur mitgekommen, weil…«

»Gut. Ich möchte mir einen Satz deiner Streifen leihen. Ich habe ein schlechtes Gefühl, was die nächsten Stunden angeht, und niemand soll vergessen, dass ich Feldwebel bin. Verstanden, ihr beiden?«

»Es ist Vollmond«, flüsterte Fred Nobby zu, wie ein Mann einem anderen, und dann sagte er laut: »Ja, Feldwebel. Es könnte eine Weile dauern…«

»Nein! Das wird es nicht. Weil ihr nämlich einen Werwolf und einen Vampir hier unten habt, klar? Ich habe einen wirklich schlimmen haarigen Tag, und sie hat Zahnschmerzen! Entweder kommen wir in zehn Minuten hoch und sehen wie Menschen aus, oder wir kommen trotzdem hoch! Was?« Erneut wurde geflüstert. »Warum Rote Beete? Was? Na schön. Genügt ein Apfel? Nobby, Obergefreite Humpeding braucht einen Apfel, dringend. Oder etwas anderes, in das sie beißen kann. Los, Beeilung!«

 

 

Kaffee war nur eine Möglichkeit, sich etwas zukünftige Zeit zu borgen. Mumm trank zwei Tassen, wusch sich und versuchte, sich so zu rasieren, dass er das Gefühl bekam, wieder einigermaßen menschlich zu sein – abgesehen von dem Gefühl, dass warme Baumwolle einen Teil seines Kopfes füllte. Als es ihm ein wenig besser ging und er glaubte, selbst mit längeren Fragen fertig werden zu können, ließ er sich ins Rechteckige Büro des Patriziers von Ankh-Morpork führen.

»Ah, Kommandeur«, sagte Lord Vetinari, sah nach einigen wohl überlegten Sekunden auf und schob Papiere beiseite. »Danke, dass du gekommen bist. Offenbar ist ein Glückwunsch angebracht. Wie ich hörte.«

»Und warum, Herr?«, fragte Mumm und zeigte seinen neutralen Rede-mit-Vetinari-Gesichtsausdruck.

»Komm schon, Mumm. Gestern deutete alles auf einen Spezieskrieg mitten in der Stadt hin, und plötzlich fällt er aus. Die Banden waren sehr Furcht erregend, wie man mir mitteilte.«

»Die meisten von ihnen schliefen oder zankten sich untereinander, als wir eintrafen, Herr«, sagte Mumm. »Wir brauchten sie nur wegzubringen.«

»Ja, in der Tat«, erwiderte Vetinari. »Eigentlich erstaunlich. Nimm Platz. Es ist wirklich nicht nötig, dass du vor mir stehst wie ein angeklagter Korporal.«

»Ich weiß nicht, was du meinst, Herr«, behauptete Mumm und sank dankbar auf einen Stuhl.

»Tatsächlich nicht? Ich meine die Geschwindigkeit, Mumm, mit der sich beide Seiten gleichzeitig mit Hochprozentigem außer Gefecht setzten…«

»Davon weiß ich nichts, Herr.« Es war eine automatische Reaktion, die das Leben einfacher machte.

»Nein? Mir scheint, Mumm, dass Zwerge und Trolle, während sie sich auf den Kampf vorbereiteten, in den Besitz von etwas gelangten, das sie für Bier hielten…«

»Sie haben den ganzen Tag über getrunken, Herr«, sagte Mumm.

»Ja, Mumm, und vielleicht ließen es die Zwerge deshalb an Vorsicht mangeln, als sie reichlich von Bier tranken, das… ein wenig stärker war? Wie ich hörte, riechen einige Teile des Hiergibt’salles-Platzes noch immer schwach nach Äpfeln, Mumm. Daher könnte man annehmen, dass sie eine Mischung aus starkem Bier und Knieweich getrunken haben. Letzteres wird, wie du weißt, aus Äpfeln hergestellt…«

»Äh, größtenteils aus Äpfeln, Herr«, sagte Mumm.

»Ja. Ich glaube, diesen Cocktail nennt man Fussel. Was die Trolle betrifft… Man könnte glauben, dass es sehr schwer ist, etwas zu finden, das ihr Bier noch gefährlicher machen kann. Aber vielleicht, Mumm, hast du gehört, dass eine Mischung verschiedener metallischer Salze ein Getränk namens Luglarr beziehungsweise ›Großer Hammer‹ ergibt.«

»Davon höre ich zum ersten Mal, Herr.«

»Das Zeug hat einige Steinplatten auf dem Platz der Gebrochenen Monde verätzt, Mumm!«

»Tut mir Leid, Herr.«

Vetinari trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Wie würdest du auf eine direkte Frage von mir reagieren, Mumm?«

»Mit einer direkten Lüge, Herr.«

»Dann werde ich dir keine solche Frage stellen«, sagte Vetinari und lächelte matt.

»Danke, Herr. Dann brauche ich nicht zu lügen.«

»Wo sind deine Gefangenen?«

»Wir haben sie auf die verschiedenen Wachhäuser verteilt«, sagte Mumm. »Wenn sie aufwachen, spritzen wir sie ab, nehmen ihre Personalien auf, geben ihnen eine Quittung für ihre Waffe und ein heißes Getränk und setzen sie dann auf die Straße.«

»Die Waffen haben große kulturelle Bedeutung für sie, Mumm«, sagte Vetinari.

»Ja, Herr, ich weiß. Was mich betrifft: Ich habe starke kulturelle Vorurteile dagegen, mir den Schädel einschlagen und die Knie abschneiden zu lassen.« Mumm unterdrückte ein Gähnen und zuckte zusammen, als seine Rippen protestierten.

»Kann ich mir denken. Irgendwelche Opfer?«

»Nichts, das nicht heilen würde.« Mumm schnitt eine Grimasse. »Ich muss melden, dass Herr A. E. Pessimal einen gebrochenen Arm und zahlreiche Quetschungen erlitten hat.«

Das überraschte Vetinari. »Meinst du den Inspektor? Was hat er gemacht?«

»Äh, er hat einen Troll angegriffen, Herr.«

»Wie bitte? Herr A. E. Pessimal hat einen Troll angegriffen?«

»Jaherr.«

»A. E. Pessimal?«, wiederholte Vetinari.

»Genau der, Herr.«

»Einen ganzen Troll?«

»Jaherr. Mit den Zähnen, Herr.«

»Herr A. E. Pessimal? Bist du sicher? Ein kleiner Mann? Mit sehr sauberen Schuhen?«

»Jaherr.«

Immer mehr Fragen drängten sich zu einem Haufen zusammen, und Vetinari nahm eine davon.

»Warum?«

Mumm hüstelte. »Nun, Herr…«

 

 

Der Troll-Mob war ein Tableau. Trolle standen oder saßen dort, wo sie sich aufgehalten hatten, als der Große Hammer zuschlug. Einige wenige langsame Trinker setzten sich zur Wehr, und einer mit einer erbeuteten Flasche Sherry leistete einen benommenen letzten Widerstand, bis der Golem Obergefreiter Dorfl ihn nahm und ihm eins auf den Kopf gab.

Mumm schritt umher, als seine Leute Trolle in ordentliche Reihen zogen oder rollten, damit die Karren sie abtransportieren konnten. Und dann…

Für Ziegel war der Tag nicht besser geworden. Er hatte ein Bier getrunken. Vielleicht auch noch eins. Was daran so schlimm sein?

Und jetzt, direkt vor ihm, mit einem von den Dingern auf dem Kopf, mit einem Helm, stand ein, ja, es sein konnte ein Zwerg, insofern die zischenden und knisternden Wege in seinem Gehirn überhaupt imstande waren, irgendetwas zu entscheiden. Was Teufel auch, entschieden sie, es kein Troll war, und nur darauf es ankam, oder? Und hier er seine Keule hielt, direkt in Hand

Der Instinkt veranlasste Mumm, sich umzudrehen, als der Troll rote Augen öffnete, blinzelte und die Keule hob. Langsam, zu langsam in der plötzlich gefrorenen Zeit, versuchte er auszuweichen, und er fühlte, wie die Keule seine Seite traf und ihn anhob, wie sie ihn anhob und dann wieder auf den Boden fallen ließ. Er hörte Geschrei, als der Troll nach vorn wankte und erneut die Keule hob, um Mumm mit dem Grundgestein zu vereinen.

Ziegel merkte, dass ihn jemand angriff. Er hielt inne, und noch immer zischten Funken in seinem Gehirn, als er nach unten, zu seinem rechten Knie, sah. Ein Gnom oder etwas in der Art ihn attackierte mit einem stumpfen Schwert, und er schreien wie ein heulendes irres Ding. Ziegel glaubte, dass es lag am Trinken, wie auch das Gefühl, dass seine Ohren standen in Flammen, und er strich fort das Ding mit einer Handbewegung.

Mumm beobachtete hilflos, wie A. E. Pessimal auf den Platz stürzte und sich der Troll erneut ihm zuwandte, die Keule bereit. Aber Detritus trat hinter ihn, drehte ihn mit einer schaufelgroßen Hand um, und dann kam Detritus’ Faust, wie der Zorn der Götter.

Für Ziegel alles dunkel wur

 

 

»Ich soll glauben, dass Herr A. E. Pessimal ganz allein einen Troll angegriffen hat?«, fragte Lord Vetinari.

»Mit seinen Händen, Herr«, sagte Mumm. »Und auch mit den Füßen. Und er versuchte zu beißen, wenn ich mich recht entsinne.«

»Bedeutet das nicht den sicheren Tod?«, fragte Vetinari.

»Das schien ihn nicht zu beunruhigen, Herr.«

Als Mumm A. E. Pessimal zum letzten Mal gesehen hatte, war er von Igor verbunden worden und lächelte auf eine halb bewusste Art und Weise. Immer wieder kamen Wächter zu ihm und sagten Dinge wie »Hallo, großer Mann!« und klopften ihm auf den Rücken. Für A. E. Pessimal hatte sich die Welt verändert.

»Darf ich fragen, Mumm, warum einer meiner gewissenhaftesten und ganz entschieden zivilen Bediensteten in eine Position gelangte, die es ihm erlaubte, sich auf eine solche Weise zu verhalten?«

Mumm verlagerte voller Unbehagen das Gewicht. »Er inspizierte. Er war bestrebt, alles über uns zu erfahren, Herr.« Er bedachte Vetinari mit einem Blick, der sagte: Wenn du darauf beharrst, muss ich lügen.

Vetinari antwortete mit einem Blick, der bedeutete: Ich weiß.

»Und du selbst bist nicht zu schlimm verletzt?«, fragte der Patrizier.

»Nur einige Kratzer, Herr«, sagte Mumm.

Vetinari musterte ihn mit einem Blick, der mitteilte: Gebrochene Rippen, ich bin sicher.

Mumms stumme Antwort lautete: Es ist weiter nichts.

Vetinari ging zum Fenster und sah auf die erwachende Stadt hinab. Er blieb eine Zeit lang still und seufzte dann.

»Eigentlich ein Jammer, dass so viele von ihnen hier geboren wurden«, sagte er.

Mumm beschloss zu schweigen. Für gewöhnlich genügte es.

»Vielleicht hätte ich etwas gegen den verdammten Zwerg unternehmen sollen«, fuhr Vetinari fort.

»Ja, Herr.«

»Glaubst du? Ein kluger Herrscher überlegt gründlich, bevor er Gewalt gegen jemanden anwendet, dessen Worte ihm nicht gefallen.«

Wieder verzichtete Mumm auf einen Kommentar. Er richtete täglich und mit einem gewissen Enthusiasmus Gewalt gegen Leute, deren Worte ihm nicht gefielen. In vielen Fällen sagten sie Dinge wie »Gib mir dein ganzes Geld« oder »Was willst du jetzt machen, Bulle?«. Aber vielleicht mussten Herrscher anders denken. Laut sagte er: »Jemand anderer hat Gewalt angewendet, Herr.«

»Danke für den Hinweis, Mumm«, erwiderte der Patrizier und drehte sich abrupt um. »Hast du den Schuldigen inzwischen gefunden?«

»Die Ermittlungen dauern an, Herr. Die Sache von gestern Abend kam uns in die Quere.«

»Gibt es Hinweise darauf, dass es wirklich ein Troll war?«

»Es gibt… verwirrende Indizien, Herr. Wir… setzen ein Puzzle zusammen, könnte man sagen.« Aber wir haben keine Stücke vom Rand, und es würde helfen, wenn wir den Deckel der Schachtel hätten, dachte Mumm. Und weil Vetinaris Gesicht einen hungrigen Ausdruck angenommen hatte, fügte er hinzu: »Wenn du von mir erwartest, dass ich ein magisches Kaninchen aus meinem Helm ziehe, Herr, so muss ich dich leider enttäuschen. Die Zwerge sind sicher, dass ein Troll dahinter steckt. Tausend Jahre Geschichte sagen es ihnen. Sie brauchen keinen Beweis. Und die Trolle glauben, dass ein Troll nicht als Täter infrage kommt, was sie aber insgeheim bedauern. Es geht hier nicht um Mord, Herr. Etwas in ihnen hat Klick gemacht, und es wird Zeit für alle guten Männer – du weißt, was ich meine –, wieder die Schlacht vom Koomtal auszutragen. Etwas anderes geht in der Mine vor, da bin ich sicher. Etwas Größeres als Mord. All die Tunnel… Welchem Zweck dienen sie? All die Lügen… Ich kann Lügen riechen, und dieser Ort ist voll davon.«

»Viel hängt davon ab, Mumm«, sagte Vetinari. »Mehr, als du ahnst. Heute Morgen habe ich eine Klackernachricht von Rhys Rhysson bekommen, dem Niederen König. Natürlich haben alle Politiker ihre Feinde. Es gibt… Fraktionen, die im Widerspruch zu ihm stehen, seine Politik uns gegenüber ablehnen und nichts von der versöhnlichen Haltung den Trollen gegenüber wissen wollen, von seinem Standpunkt in dieser ganzen verdammten Haak-Sache. Und jetzt kursieren Geschichten von einem Troll, der einen Grag getötet hat, und, ja, dass die Wache Zwerge bedroht hat…«

Vetinari hob eine blasse Hand, als Mumm den Mund öffnete, um zu protestieren.

»Wir müssen die Wahrheit herausfinden, Mumm. Kommandeur Sam Mumms Wahrheit. Sie zählt mehr, als du vielleicht glaubst. Zweifellos in der Ebene, und auch darüber hinaus. Die Leute haben von dir gehört, Kommandeur. Vom Nachkommen eines Wächters, der glaubte: Wenn ein korruptes Gericht einen bösen König nicht hinrichten lässt, dann sollte der Wächter das selbst übernehmen…«

»Es war nur ein König«, wandte Mumm ein.

»Sam Mumm hat einmal mich wegen Verrats verhaftet«, sagte Vetinari ruhig. »Und Sam Mumm hat einmal einen Drachen verhaftet. Sam Mumm hat einen Krieg zwischen verfeindeten Ländern beendet, indem er zwei Oberkommandierende verhaftet hat. Er verhaftet gern, unser Sam Mumm. Sam Mumm tötete einen Werwolf mit bloßen Händen und trägt das Gesetz wie eine Lampe in sich…«

»Woher kommt das alles?«

»Wächter auf dem halben Kontinent sagen, dass Sam Mumm ein durch und durch aufrechter Mann ist, der sich weder bestechen noch irgendwie manipulieren lässt. Hör mir zu. Wenn Rhys fällt, wird der nächste Niedere König nicht jemand sein, der bereit ist, mit den Trollen zu reden. Kann ich es dir möglichst einfach schildern? Die Trollclans, deren Oberhäupter mit Rhys gesprochen haben, werden vermutlich glauben, dass man sie zum Narren gehalten hat. Stelle dir vor, wie sie ihre Anführer stürzen und sie durch Trolle ersetzen, die zu streitlustig und dumm sind, um sich zum Narren halten zu lassen. Es wird einen Krieg geben, Mumm. Er wird hierher kommen. Es wird keine kleine Bandenfehde sein, so wie die, mit der du gestern Abend fertig geworden bist. Wir werden nicht in der Lage sein, die Dinge unter Kontrolle zu halten oder abseits zu stehen. Denn wir haben hier unsere eigenen Narren, Mumm, wie du sehr wohl weißt, und die werden darauf bestehen, eine Seite zu wählen. Das Koomtal wird überall sein. Finde einen Mörder, Mumm. Jag die Schuldigen, und hol sie ans Tageslicht. Ob Troll, Zwerg oder Mensch, es spielt keine Rolle. Dann haben wir endlich die Wahrheit und können sie gebrauchen. Gerüchte und Ungewissheit sind derzeit unsere Feinde. Der Thron des Niederen Königs wackelt, Mumm, und so auch die Fundamente der Welt.«

Vetinari legte eine Pause ein und ordnete die vor ihm liegenden Papiere, als hätte er das Gefühl, ein wenig zu weit gegangen zu sein.

»Natürlich möchte ich dich in keiner Weise unter Druck setzen«, fügte er hinzu.

In Mumms verwirrtem, lauwarmem Hirn kamen zwei Worte an die Oberfläche.

»Kleine Bandenfehde?«

Lord Vetinaris Sekretär beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

»Oh, ich bin sicher, dass ich von einer großen Bandenfehde sprechen wollte«, sagte Vetinari munter.

Mumm versuchte noch immer, die internationalen Nachrichten zu verdauen.

»All dies wegen eines Mords?«, fragte er und bemühte sich erneut, ein Gähnen zu unterdrücken.

»Nein, Mumm. Du hast es selbst gesagt: All dies ist das Ergebnis von Spannungen, Politik und Machtkämpfen im Lauf von Jahrtausenden. In den letzten Jahren haben sich die Dinge auf eine Weise entwickelt, die die Macht verschoben hat. Gewisse Leute möchten, dass sie sich erneut verschiebt, auch wenn dies eine Flut aus Blut auslöst. Wer schert sich um einen Zwerg? Aber wenn sein Tod einen casus belli abgibt…« An dieser Stelle sah Lord Vetinari in Mumms schläfrige Augen und fuhr fort: »… das heißt, einen Grund für einen Krieg, dann ist er plötzlich der wichtigste Zwerg auf der Welt. Wann hast du zum letzten Mal richtig geschlafen, Mumm?«

Mumm murmelte etwas, das nach »vor nicht allzu langer Zeit« klang.

»Geh, und schlaf noch etwas mehr. Und finde anschließend die Mörder für mich. Schnell. Ich wünsche dir einen guten Tag.«

Nicht nur Throne wackeln, dachte Mumm benommen. Auch dein Stuhl zittert ein wenig. Schon bald werden die Leute sagen: Wer hat all die Zwerge hierher gelassen? Sie untergraben unsere Stadt und halten sich nicht an unsere Gesetze. Und die Trolle? Wir haben sie wie Wachhunde angekettet, und jetzt dürfen sie herumlaufen und richtige Leute bedrohen!

Vermutlich bereiteten sie sich schon vor, die Ränkeschmiede, die auf Partys leise in Ecken sprachen und es verstanden, Meinungen in Messer zu verwandeln. Der Krawall der vergangenen Nacht war zu einem Witz gemacht worden, der die Partyleute vermutlich enttäuscht hatte, aber ein zweites Mal gelang so etwas nicht. Andere Dinge begannen, sich auszubreiten, und wenn einige Menschen getötet worden waren, brauchte man nicht mehr hinter geschlossenen Türen zu reden. Dann schrie der Mob für einen.

Sie untergraben unsere Stadt und halten sich nicht an unsere Gesetze

Mumm stieg in die Kutsche, auf Beinen, die ihm nur noch teilweise gehorchten, murmelte das Ziel – Pseudopolisplatz – und schlief ein.

 

 

Es war noch immer Nacht in der Stadt des endlosen Regens. Es war nie nicht Nacht. Hier ging nicht die Sonne auf.

Das Geschöpf lag zusammengerollt in seiner Gasse.

Etwas stimmte nicht. Es hatte mit Widerstand gerechnet. Es erfuhr immer Widerstand, und es gelang ihm immer, ihn zu überwinden. Aber selbst jetzt, als die unsichtbare Geschäftigkeit der Stadt nachgelassen hatte, gab es keinen Weg hinein. Immer wieder war es sicher gewesen, einen Kontrollpunkt gefunden zu haben, eine Woge des Zorns, auf der es reiten konnte, und jedes Mal war es hierher zurückgestoßen worden, in diese dunkle Gasse mit den überlaufenden Rinnsteinen.

Dies war nicht die übliche Art von Geist. Das Geschöpf strengte sich an. Kein Bewusstsein hatte es jemals geschlagen. Es gab immer einen Weg

 

 

Durch die Ruine der Welt schwankt der Troll…

Ziegel torkelte aus dem Wachhaus der Tollen Schwestern, die eine Hand an den Kopf gepresst und in der anderen den Beutel, der so viele Zähne enthielt, wie Detritus hatte finden können. Der Feldwebel sehr anständig gewesen war, dachte Ziegel. Detritus hatte ihm auch erklärt, was mit ihm geschehen wäre, wenn sein zweiter Schlag den Menschen getroffen hätte. In aller Deutlichkeit hatte er betont, dass die Suche nach Ziegels Zähnen weniger wichtig gewesen wäre als die Suche nach einem Kopf dafür.

Anschließend hatte er hinzugefügt, dass es in der Wache vielleicht einen Platz für einen Troll gab, der nach einem Kopf voll mit Großem Hammer noch stehen konnte, und vielleicht sollte Ziegel bei seinem zukünftigen Benehmen diese Möglichkeit im Auge behalten.

Also dachte Ziegel – falls man bei irgendeiner Hirnaktivität zwei Tage nach dem Großen Hammer von Denken sprechen konnte –, die Zukunft war so glänzend, dass er fast mit geschlossenen Augen gehen musste, obwohl das vermutlich wieder am Großen Hammer lag.

Aber…

Er hatte die anderen Trolle reden gehört. Und auch die Wächter. All diese Sachen über einen Troll, der getötet hatte einen Zwerg in der neuen Mine. Ziegel war noch immer sicher, dass er keinen Zwerg getötet hatte, nicht einmal nach vierzig Gramm Schramm. In den derzeitigen Resten seines Geistes war er es immer wieder durchgegangen. Das Problem war, die Wache heutzutage all diese Tricks hatte, sie feststellen konnte, was man zu Mittag gegessen hatte, mit nur einem Blick auf den Teller. Und er dort unten einen Schädel verloren hatte, er sicher war. Sie nur daran riechen mussten, um dann mit dem Finger zu zeigen auf ihn! Aber er es gar nicht gewesen sein konnte. Denn angeblich der Troll hatte zurückgelassen seine Keule, aber Ziegel noch immer seine Keule besaß, er damit den obersten Wächter geschlagen hatte, also das vielleicht war, was man nannte Ah Libie?

Trotz des zerebralen Gurgelns, mit dem der Große Hammer aus den höheren Hirnfunktionen abfloss, vermutete Ziegel, dass dies nicht genügte. Und außerdem, wenn sie suchen nach einem Troll, der getan hat die Tat, und wenn sie herausfinden, dass ich gewesen bin dort und einen Schädel verloren habe und so, und wenn sage ich, in Ordnung, ich da unten gewesen bin, aber ich nicht gegeben habe dem Zwerg eins auf die Rübe, dann sagen sie bestimmt, aber klar, Junge, das kannst du erzählen deinem Großvater.

In diesem Augenblick, hier und jetzt, war Ziegel ein sehr einsamer Troll.

Allein er nicht weiterkam. Es nur eine Person gab, die ihm helfen konnte bei dieser Sache. Dies zu viel Denken erforderte für einen Troll.

Ziegel schlich durch Gassen, drückte sich an Mauern, hielt den Kopf gesenkt und mied alle lebenden Wesen. Er war auf dem Weg zu Herrn Schein.

 

 

Angua beschloss, zum Pseudopolisplatz zu gehen, anstatt ein näheres Wachhaus aufzusuchen. Sie wollte zum Hauptquartier, unter anderem deshalb, weil dort immer eine Reserveuniform in ihrem Spind hing.

Es ärgerte sie, dass Sally so mühelos mit Schuhen ging, die fünfzehn Zentimeter hohe Absätze hatten. So war das mit Vampiren. Sie hatte ihre abgestreift und trug sie in der Hand; andernfalls hätte sie riskiert, mit dem Fuß umzuknicken. Die Auswahl an Schuhen im Rosaroten Kätzchenklub war begrenzt. Auch das Angebot an Kleidung ließ zu wünschen übrig, wenn man unter Kleidung etwas verstand, das den Körper bedeckte.

Angua war überrascht gewesen, als sie in der Bühnengarderobe Wächterinnen-Ausstattung gesehen hatte, allerdings bestehend aus einer knappen Papiermaché-Rüstung und einem Rock, der viel zu kurz war, um Schutz zu bieten. Bronzaleh hatte, recht vorsichtig, erklärt, dass Männer manchmal gern eine Frau in Rüstung sahen. Für Angua, die festgestellt hatte, dass die von ihr verhafteten Männer sich nie sehr darüber freuten, sie zu sehen, war das Anlass zum Nachdenken. Sie hatte schließlich ein mit Pailletten besetztes goldenes Gewand gewählt, das einfach nicht richtig saß. Sally hatte sich für ein schlichtes, bis zu den Oberschenkeln geöffnetes blaues Kleid entschieden, und natürlich sah sie vom ersten Augenblick an blendend darin aus.

Als Angua das Hauptbüro betrat, die große Doppeltür hinter sich zuschlug und einen Pfiff hörte, stellte der unkluge Wächter fest, dass er plötzlich, im wahrsten Sinne des Wortes, mit dem Rücken zur Wand stand. Er fühlte zwei spitze Objekte an seinem Hals und hörte Angua knurren: »Soll ich zubeißen? Sag: Nein, Feldwebel Angua.«

»Nein, Feldwebel Angua!«

»Ach, und was hatte der Pfiff eben zu bedeuten?« Die beiden spitzen Gegenstände übten noch etwas mehr Druck aus. Der Mann dachte an Reißzähne, die sich anschickten, ihm die Halsschlagader zu zerreißen.

»Weiß nicht genau, Feldwebel Angua!«

»Meine Nerven sind derzeit ziemlich angespannt!«, heulte Angua.

»Habe ich nicht bemerkt, Feldwebel Angua!«

»Derzeit sind wir alle ein wenig gereizt, findest du nicht?«

»Da hast du völlig Recht, Feldwebel Angua!«

Angua ließ zu, dass die Stiefel des Mannes wieder den Boden berührten. Sie drückte ihm zwei glänzende schwarze Schuhe mit spitzen Absätzen in die Hände.

»Bitte tu mir einen großen Gefallen, und bring das hier zum Rosaroten Kätzchenklub«, sagte sie zuckersüß. »Ich glaube, sie gehören jemandem namens Scherileh. Danke.«

Sie drehte sich um und sah zum Schreibtisch des wachhabenden Polizisten. Grinsi saß dort und starrte sie mit offenem Mund an. Sich des von ihr verursachten Aufsehens sehr bewusst, schritt Angua zum Schreibtisch, vorbei an einem Publikum aus schockierten Gesichtern, und warf eine schmutzige Halskette auf das offene Ereignisbuch.

»Vier Zwerge sind von einem anderen Zwerg ermordet worden, unten im Langen Dunkel«, sagte sie. »Ich wette meine Nase darauf. Dies gehörte einem von ihnen. Er hat auch dies geschrieben.« Ein schmutziger Umschlag landete neben der Halskette. »Ist ziemlich verdreckt, aber man kann es lesen. Herr Mumm wird durchdrehen.« Sie blickte in Karottes blaue Augen. »Wo ist er?«

»Er schläft auf einer Matratze in seinem Büro«, sagte Karotte und zuckte mit den Schultern. »Lady Sybil wusste, dass er nicht nach Hause zurückkehren würde, deshalb hat sie von Willikins hier ein Bett einrichten lassen. Ist mit euch beiden alles in Ordnung?«

»Mit mir ja, Herr«, antwortete Sally.

»Ich habe mir große Sorgen gemacht…«, begann Karotte.

»Vier tote Zwerge, Hauptmann«, sagte Angua. »Stadtzwerge. Darüber solltest du dir Sorgen machen. Drei davon halb begraben. Der vierte konnte fortkriechen, bevor er starb.«

Karotte nahm die Kette und las ihre Runen. »Lars Beinstark«, sagte er. »Ich glaube, ich kenne die Familie. Bist du sicher, dass er ermordet wurde?«

»Seine Kehle war durchgeschnitten. Selbstmord kommt wohl kaum infrage. Aber es dauerte eine Weile, bis er starb. Er schaffte es zu einer der verdammten Türen, die verriegelt war, und dort schrieb er eins dieser Zeichen mit seinem eigenen Blut. Dann setzte er sich und wartete in der Dunkelheit auf den Tod. In der verdammten Dunkelheit, Karotte! Es waren arbeitende Zwerge! Sie hatten Schaufeln und Schubkarren! Sie machten ihre Arbeit, und als man sie nicht mehr brauchte, wurden sie abgemurkst! Jemand hat sie umgebracht und einfach im Schlamm liegen gelassen! Vielleicht lebte der vierte Zwerg noch, als Herr Mumm und ich in der Mine unterwegs waren. Langsam starb er hinter der verdammten dicken Tür. Und weißt du, was das bedeutet?« Angua zog ein gefaltetes Stück Pappe aus dem Oberteil des Kleids und reichte es Karotte.

»Eine Getränkekarte?«, fragte Karotte.

»Öffne sie«, sagte Angua scharf. »Ich bedauere, dass es mit Lippenstift geschrieben ist. Was anderes konnten wir nicht finden.«

Karotte entfaltete das Stück Pappe. »Ein weiteres dunkles Symbol?«, fragte er. »Ich glaube, dieses kenne ich nicht.«

Andere Zwergenwächter waren zugegen. Karotte zeigte ihnen das Symbol. »Weiß jemand, was dies bedeutet?«

Einige behelmte Köpfe wurden geschüttelt, und mehrere Zwerge wichen zurück. Doch von der Tür her kam eine Stimme. »Ja, Hauptmann Karotte. Ich weiß, was es mit dem Zeichen auf sich hat. Sieht es aus wie ein Auge mit einem Schweif?«

»Ja… äh… Herr?«, sagte Karotte und starrte. Ein Schatten bewegte sich.

»Und das Zeichen wurde im Dunkeln gemalt? Von einem sterbenden Zwerg? Mit seinem eigenen Blut? Es ist die Rufende Dunkelheit, Hauptmann, und sie bewegt sich. Guten Morgen. Ich bin Herr Schein.«

Karottes Kinnlade klappte nach unten, als sich die Wächter umdrehten und den Neuankömmling ansahen. Er ragte in der Tür auf, war fast so breit wie groß, und sein Gesicht blieb unter einer Kapuze verborgen.

»Der Herr Schein?«, fragte Karotte.

»Bedauerlicherweise ja, Hauptmann, und würdest du bitte dafür sorgen, dass für einige Minuten niemand die Wache verlässt, nachdem ich gegangen bin? Mir ist es lieber, wenn meine Bewegungen… privat bleiben.«

»Ich habe nicht gedacht, dass es dich wirklich gibt!«

»Glaub mir, junger Mann, ich würde dich gern in diesem glücklichen Glauben lassen«, erwiderte die Kapuze. »Die Umstände zwingen mich leider, dir meine Realität zu zeigen.«

Herr Schein trat vor und zog eine hoch aufgeschossene Gestalt in den Raum. Es war ein Troll, dessen verdrießlichem Trotz es nicht ganz gelang, über seinen die Knie erweichenden Schrecken hinwegzutäuschen.

»Dies ist Ziegel, Hauptmann. Ich bringe ihn zurück und vertraue ihn der persönlichen Obhut von Feldwebel Detritus an. Er hat nützliche Informationen für euch. Ich habe seine Geschichte gehört und glaube ihm. Ihr müsst schnell agieren. Die Rufende Dunkelheit hat vielleicht schon jemanden gefunden. Was sonst noch… Oh, ja, achtet darauf, das Symbol dort nicht an einem dunklen Ort aufzubewahren. In seiner Nähe muss es immer Licht geben. Und nun, wenn ihr das Theater bitte entschuldigen würdet…«

Die schwarze Kutte zuckte. Hartes, weißes, blendendes Licht erstrahlte kurz. Als es verschwunden war, zählte Herr Schein nicht mehr zu den Anwesenden. Nur ein großer runder Stein blieb auf dem fleckigen Boden zurück.

Karotte blinzelte kurz, riss sich dann aber schnell zusammen. »Na schön, ihr habt es gehört«, wandte er sich an die plötzlich recht aufgeregte Gesellschaft im Raum. »Niemand verfolgt Herrn Schein, verstanden?«

»Ihn verfolgen, Hauptmann?«, erwiderte ein Zwerg. »Wir sind doch nicht verrückt!«

»Das stimmt«, sagte ein Troll. »Es heißen, er kann hineingreifen in Körper und anhalten das Herz!«

»Herr Schein?«, fragte Angua. »Betreffen ihn die Graffitis an den Mauern?«

»So scheint’s«, sagte Karotte. »Und er meinte, dass uns nicht viel Zeit bleibt. Herr… Ziegel, nicht wahr?«

Chrysopras’ Trolle hatten es geschafft, zu stolzieren, während sie stillstanden, und Ziegel gelang es, sich ganz allein zusammenzudrängen. Normalerweise brauchte man dazu mindestens zwei Personen, doch dieser Troll versuchte, sich hinter dem eigenen Körper zu verstecken. Niemand hätte sich hinter Ziegel verstecken können: Für einen Troll war er fast spindeldürr. Seine Flechten waren billig und verfilzt, ganz und gar nicht das Wahre; vermutlich der Kram, den sie in den Seitengassen beim Steinbruchweg aus Brokkolistängeln flochten. Sein Schädelgürtel war jämmerlich. Einige Schädel bestanden ganz offensichtlich aus Pappmaché und stammten vermutlich aus einem Scherzartikelladen. Einer von ihnen hatte eine rote Nase.

Ziegel sah sich nervös um. Die Keule rutschte ihm aus der Hand und landete mit einem dumpfen Pochen auf dem Boden.

»Ich tief in Kopro sitze, wie?«, fragte er.

»Fest steht, dass wir mit dir reden müssen«, sagte Karotte. »Möchtest du einen Anwalt?«

»Nein, ich schon gegessen habe.«

»Du isst Anwälte?«, fragte Karotte.

Ziegel bedachte ihn mit einem leeren Blick, bis es ihm gelang, genug Hirnkapazität zusammenzubringen.

»Wie man die Dinger nennt, sie zerbröckeln, wenn man isst sie?«, erwiderte er schließlich.

Karotte sah zu Detritus und Angua, aber offenbar konnten sie ihm nicht helfen.

»Das könnten Anwälte sein«, sagte er.

»Sie weich werden, wenn man sie in was taucht«, fuhr Ziegel fort, als wäre dies eine forensische Untersuchung.

»Vielleicht eher Kekse?«, spekulierte Karotte.

»Könnte sein. In einem Päckchen mit Papier und so. Ja, Kekse.«

»Ich meine Folgendes«, sagte Karotte. »Wenn wir mit dir reden, möchtest du dann jemanden auf deiner Seite haben?«

»Ja, bitte. Alle«, antwortete Ziegel sofort. Mitten in einem Zimmer voller Wächter zu stehen war sein schlimmster Albtraum. Nein, einen Augenblick, was mit dem Tag war, als er hatte schlechte Platte, verschnitten mit Ammoniumnitrat? Auuuuh! Armes Gehirn! Schlimm! Also dies war der zweitschlimmste Albtraum… Nein, als er genauer nachdachte darüber, da war der Tag, an dem er probiert hatte das andere Zeug, wie Harter Kern es genannt haben, Ein-Auge-Verdammmich, ja, Hiiimmel! Wer wissen, was das gewesen war? All die tanzenden Zähne! Also konnte dies höchstens… He, Moment mal, du dich erinnerst daran, als du dir genehmigt hast ordentliche Portion Schramm, und deine Arme sind geflogen weg? Ja, das schlimm war, also ist dies Warte, natürlich, kannst unmöglich vergessen den Tag, als du genommen hast Splitter und dann hochgezogen hast in die Nase Zinkpulver und dich dann so gefühlt hast, als müsstest du auskotzen deine Füße? Aargh, und dann der Tag, als, aargh, nein, der Tag, an dem, aargh…

Ziegel war bis auf den neunzehnten Platz seiner Hitparade aus schlimmen Albträumen vorgestoßen, als Karottes Stimme durch all die Schlangen schnitt.

»Herr Ziegel?«

»Äh… das noch ich bin?«, fragte Ziegel nervös. Er hätte jetzt wirklich ein wenig Platte gebrauchen können.

»Normalerweise ist der Anwalt nur eine Person«, sagte Karotte. »Wir müssen dir einige schwierige Fragen stellen, und du darfst jemanden bei dir haben, der dir hilft. Hast du vielleicht einen Freund, den wir holen können?«

Ziegel dachte darüber nach. Die einzigen Leute, die ihm in diesem Zusammenhang einfielen, waren Vollkommen Schlacke und Großer Marmor, obwohl sie eigentlich eher in die Kategorie »Leute, die nicht schmeißen Dinge nach mir und mir manchmal geben Platte« gehörten. Derzeit schienen das keine idealen Qualifikationen zu sein.

Er zeigte auf Feldwebel Detritus. »Er«, sagte er. »Er mir geholfen hat mit den Zähnen.«

»Ich weiß nicht, ob ein Angehöriger der Wache…«, begann Karotte.

»Ich melde mich freiwillig dafür, Hauptmann«, erklang eine dünne Stimme. Karotte spähte über die Kante des Schreibtischs hinweg.

»Herr Pessimal? Ich glaube, du solltest noch im Bett sein.«

»Äh… eigentlich bin ich ›Untergefreiter‹, Hauptmann«, sagte A. E. Pessimal höflich, aber fest. Er stützte sich auf Krücken.

»Oh? Äh… gut«, sagte Karotte. »Oh… na schön. Trotzdem glaube ich, dass du im Bett sein solltest.«

»Wir müssen der Gerechtigkeit dienen«, verkündete A. E. Pessimal.

Ziegel beugte sich hinab und musterte den Inspektor aus der Nähe. »Das der Gnom von der letzten Nacht ist«, sagte er. »Den will ich nicht!«

»Fällt dir niemand ein?«, fragte Karotte.

Ziegel überlegte erneut, und seine Miene erhellte sich ein wenig. »Doch, mir einfällt. Jemand, der mir soll helfen, die Fragen zu beantworten, ja?«

»Stimmt.«

»Oh, ganz einfach. Wenn ihr holen könnt den Zwerg, den ich gesehen habe unten in der neuen Mine… Er mir helfen würde.«

Plötzlich war es völlig still im Raum.

»Und warum würde er dir helfen?«, fragte Karotte vorsichtig.

»Er dir sagen könnte, warum er geschlagen hat den anderen Zwerg auf den Kopf«, antwortete Ziegel. »Ich meine, ich es nicht weiß. Aber vielleicht er nicht kommen will, weil ich Troll bin, und deshalb ich lieber nehme den Feldwebel, wenn gestattest du.«

»Ich glaube, dies geht zu weit, Hauptmann!«, sagte A. E. Pessimal.

In der folgenden Stille klang Karottes Stimme sehr laut.

»Ich glaube, wir sollten jetzt besser Kommandeur Mumm wecken, Herr Pessimal.«

 

 

Es gab eine alte militärische Redensart, die Fred Colon benutzte, um völlige Verwirrung zu beschreiben. Jemand in einem solchen Zustand konnte laut Fred nicht unterscheiden, »ob es Arschloch- oder Frühstückszeit war«.

Mumm hatte immer darüber gerätselt und fragte sich, welche Nachforschungen angestellt worden waren. Selbst jetzt, während sein Mund nach aufgewärmtem Gestern schmeckte und er alles mit sonderbarer Schärfe sah, glaubte er, den Unterschied zu erkennen. Zum Beispiel stellte nur eine der beiden Möglichkeiten eine Tasse Kaffee in Aussicht.

Er hatte Kaffee, woraus folgte: Dies war Frühstückszeit. Eigentlich war es fast Mittag, aber das spielte weiter keine Rolle.

Der allen anderen und manchmal auch sich selbst unter dem Namen Ziegel bekannte Troll saß in einer der großen Trollzellen, aber da niemand entscheiden konnte, ob er ein Gefangener war oder nicht, hatte man die Tür unverschlossen gelassen. Es galt die Vereinbarung, dass ihn niemand aufhalten würde, vorausgesetzt, er versuchte nicht, die Zelle zu verlassen. Ziegel verschlang gerade seinen dritten Napf Schramm mit hohem Mineraliengehalt, der für einen Troll wie eine nahrhafte Suppe war.

»Was ist Schramm?«, fragte Mumm, lehnte sich auf dem einen anderen Stuhl in der Zelle zurück und sah Ziegel wie ein Zoologe an, der eine faszinierende, aber sehr unberechenbare neue Spezies beobachtete. Er hatte Herrn Scheins Stein neben dem Napf auf den Tisch gelegt, um festzustellen, wie der Troll darauf reagierte, aber Ziegel achtete gar nicht darauf.

»Schramm? Man es heutzutage nicht oft sieht, weil Platte so billig ist«, polterte Detritus, der sein neues Mündel so beobachtete wie eine Glucke ein Küken, das sich anschickte, das Nest zu verlassen. »Es etwas sein, das man ›zusammenschrammt‹, verstehst du? Ein paar Stücke schlechte Platte, aufgekocht mit Alkohol ein bisschen, und Taubenkot. So was sich zusammenbrauen die Straßentrolle, wenn sie sind knapp bei Kasse und wenn ihnen… Was ihnen fehlt außerdem, Ziegel?«

Der hin und her schwingende Löffel verharrte. »Wenn ihnen fehlt Selbstachtung, Feldwebel«, sagte er wie jemand, dem die Lektion zwanzig Minuten lang ins Ohr gebrüllt worden war.

»Bei Io, er es verstanden hat!«, sagte Detritus und klopfte Ziegel so heftig auf den Rücken, dass der junge Troll seinen Löffel in den dampfenden Brei fallen ließ. »Dieser Bursche mir versprochen hat, dass dies alles liegt hinter ihm, und jetzt issa ganz und gar anständig, wegen meines Ein-Schritt-Programms! Stimmt’s, Ziegel? Für diesen Jungen es nicht mehr gibt Schramm, Schlitt, Schnitt, Splitter, Schlürf, Schleich oder Schlemmer, stimmt’s?«

»Ja, Feldwebel«, sagte Ziegel gehorsam.

»Warum beginnen die Namen der meisten Trolldrogen mit einem S, Feldwebel?«, fragte Mumm.

»Ah, weil sie sich so besser erinnern daran, Herr«, sagte Detritus und nickte weise.

»Oh, natürlich, daran habe ich nicht gedacht«, kommentierte Mumm. »Hat Feldwebel Detritus dir das erklärt, was er Ein-Schritt-Programm nennt, Ziegel?«

»Äh… weil er nicht zulassen wird, dass ich einen falschen Schritt mache?«, antwortete Ziegel, als läse er die Worte irgendwo ab.

»Und Ziegel hier dir noch etwas anderes zu sagen hat, nicht wahr, Ziegel?«, meinte der mütterliche Detritus. »Na los, sag es Herrn Mumm.«

Ziegel blickte auf den Tisch. »Es mir Leid tut, dass ich versuchte habe, zu töten dich, Frau Mumm«, flüsterte er.

»Nun, wir werden sehen«, erwiderte Mumm in Ermangelung einer besseren Antwort. »Übrigens heißt es ›Herr‹ Mumm, und mir ist es lieber, dass nur Leute, die an meiner Seite gekämpft haben, mich Herr Mumm nennen.«

»Nun, eigentlich Ziegel gekämpft hat an…«, begann Detritus, doch Mumm setzte mit einem Ruck seinen Kaffeebecher ab. Seine Rippen schmerzten.

»Nein, ›vor‹ bedeutet nicht dasselbe wie ›neben‹, Feldwebel«, sagte er. »Wirklich nicht.«

»Es nicht seine Schuld ist«, wandte Detritus ein. »Wir hier haben einen Fall von Verwechselung.«

»Soll das heißen, er wusste nicht, wer ich war?«, fragte Mumm. »Das erscheint mir…«

»Nein, Herr. Er nicht wusste, wer er selbst war, Herr. Er sich hielt für einen Haufen Lichter und Feuerwerk. Glaub mir, Herr, ich denke, ich etwas aus ihm machen kann. Er voller Großer Hammer steckte und trotzdem noch gehen konnte!«

Mumm musterte Detritus kurz und sah dann wieder Ziegel an.

»Herr Ziegel, sag uns bitte, wie du in die Mine gelangt bist«, sagte er.

»Ich es dem anderen Polizisten erzählt habe…«, begann Ziegel.

»Und jetzt du es Herrn Mumm erzählst!«, knurrte Detritus. »Na los!«

Es dauerte eine Weile, und es gab immer wieder Unterbrechungen, als sich Teile von Ziegels Erinnerungen in Position schoben, aber Mumm setzte alles so zusammen:

In einem alten Lagerhaus im Gassenlabyrinth hinter dem Parkweg hatte sich Ziegel in Gesellschaft einiger anderer Gossentrolle etwas Schramm zusammengebraut und war dann in den Keller hinuntergewankt, auf der Suche nach einem kühlen Ort, wo er all die bunten Lichter beobachten konnte. Plötzlich hatte der Boden unter ihm nachgegeben. Nach dem Geräusch zu urteilen, war er ziemlich tief gefallen, aber angesichts seines Zustands zu jenem Zeitpunkt hatte es sich vermutlich wie Schweben angefühlt. Er hatte sich in einem Tunnel wiedergefunden, »wie eine Mine, weißt du, mit all dem Holz, das stützt die Decke«, und war in der Hoffnung umhergewandert, irgendwann und irgendwo einen Ausgang zu entdecken oder vielleicht etwas zu essen.

Er hatte sich keine Sorgen gemacht, bis er einen viel größeren Tunnel erreichte und das Wort »Zwerge« den Teil seines Gehirns erreichte, der nur zuhörte.

Ein Troll in einer Zwergenmine beginnt zu toben. Das war eine gegebene Tatsache, wie die Sache mit dem Elefanten im Porzellanladen. Doch Ziegel war erfrischend frei von Hass gegenüber anderen. Solange die Welt genug Dinge zur Verfügung stellte, die mit »S« begannen und seinen Kopf mit »Bzzz!« füllten – und daran herrschte in der Stadt kein Mangel –, kümmerte er sich nicht darum, was andere Leute machten. Unten in der Gosse war Ziegel selbst unter diesen Horizont gesunken. Kein Wunder, dass Chrysopras ihn bei seiner Suche nicht gefunden hatte. Ziegel war etwas, über das man hinwegtrat.

Als Ziegel dort in der Dunkelheit stand und Zwergengeräusche in der Ferne hörte, war es ihm vielleicht in den Sinn gekommen, ein wenig Angst zu haben. Und dann hatte er durch eine große runde Tür einen Zwerg gesehen, der einen anderen Zwerg hochhielt und ihm auf den Kopf schlug. Es war höhlendüster, aber Trolle konnten im Dunkeln gut sehen, und außerdem gab es die Vürmer. Der Troll hatte keine Details gesehen, und das wollte er auch gar nicht. Wer scherte sich darum, was Zwerge machten? Solange sie es nicht auch mit ihm anstellten, sah er kein Problem darin. Doch dann begann der Zwerg, der den anderen geschlagen hatte, zu rufen, und dadurch ergab sich ein Problem, und zwar ein riesengroßes.

Eine große Metalltür direkt neben Ziegel schwang auf und traf ihn im Gesicht. Als er dahinter hervorspähte, sah er mehrere bewaffnete Zwerge vorbeilaufen. Sie interessierten sich nicht für das, was sich hinter der Tür befinden mochte, noch nicht. Sie verhielten sich den Umständen entsprechend, mit anderen Worten: Sie liefen dorthin, woher die Schreie kamen. Ziegel hingegen war nur daran interessiert, sich möglichst weit von den Schreien zu entfernen, und dort war eine offene Tür. Er trat hindurch und lief und blieb erst wieder stehen, als er in der frischen Nachtluft war.

Niemand hatte ihn verfolgt. Das überraschte Mumm nicht. Man brauchte eine bestimmte Geisteshaltung, um Wächter zu sein. Man brauchte ein Bewusstsein, das in einem Körper steckte, der stundenlang dastand und ins Leere blickte. Ein solches Bewusstsein verlangte keinen hohen Lohn. Und es neigte auch nicht dazu, einen Tunnel zu durchsuchen, durch den es gerade gelaufen war. Ein derartiges Bewusstsein war nicht das schärfste Messer im Schrank.

Und so – ziellos, ohne böse Absicht und sogar ohne Neugier – war ein Troll durch eine Zwergenmine gewandert, hatte drogenumnebelt einen Mord beobachtet und die Mine wieder verlassen. Wer konnte so etwas voraussehen? Wo war die Logik darin? Wo der Sinn?

Mumm sah die wässrigen, spiegeleierartigen Augen, die ausgemergelte Gestalt, das dünne Rinnsal aus Die-Götter-wussten-was aus einem verkrusteten Nasenloch. Ziegel log nicht. Er hatte genug Mühe mit Dingen, die nicht erfunden waren.

»Erzähl Herrn Mumm vom Wukwuk«, forderte Detritus sein Mündel auf.

»Oh, ja«, sagte Ziegel. »Da dieses große Wukwuk in der Höhle war.«

»Ich glaube, hier fehlt mir eine Information«, warf Mumm ein.

»Ein Wukwuk etwas ist, das man macht aus Holzkohle und Salpeter und Platte«, erklärte der Feldwebel. »Alles in Papier zusammengerollt, wie eine Zigarre. Er meint, es sah aus wie…«

»Wir sie nennen Wukwuks, weil sie wie ein… Wukwuk aussehen«, sagte Ziegel mit einem verlegenen Lächeln.

»Ja, ich glaube, ich verstehe«, erwiderte Mumm müde. »Und hast du versucht, das Ding zu rauchen?«

»Neinherr. Es groß war«, sagte Ziegel. »Und zusammengerollt in der Höhle, neben dem dreckigen alten Tunnel, in den ich bin gefallen.«

Mumm versuchte, dies seinen Gedanken hinzuzufügen, und beschloss dann, es zunächst dabei zu belassen. Also… ein Zwerg steckte dahinter? Ja. Derzeit glaubte er Ziegel, obwohl ein Eimer voller Frösche einen besseren Zeugen abgab. In diesem Zusammenhang hatte er genug aus ihm herausgeholt.

»Na schön«, sagte Mumm, griff nach unten und hob den mysteriösen runden Stein auf, der auf dem Boden des Hauptbüros zurückgeblieben war. Er maß etwa zwanzig Zentimeter im Durchmesser und stellte sich als überraschend leicht heraus. »Erzähl mir von Herrn Schein, Ziegel. Ein Freund von dir?«

»Herr Schein überall ist!«, sagte Ziegel mit Nachdruck. »Er Diamant!«

»Vor einer halben Stunde hielt er sich in diesem Gebäude auf«, sagte Mumm. »Detritus?«

»Herr?«, erwiderte der Feldwebel und wirkte plötzlich schuldbewusst.

»Was weißt du über Herrn Schein?«, fragte Mumm.

»Äh… er eine Art Trollgott ist…«, murmelte Detritus.

»Normalerweise besuchen uns keine Götter«, sagte Mumm. »Jemand hat das Geheimnis des Feuers gestohlen, habt ihr meinen goldenen Apfel gesehen? Es ist erstaunlich, wie oft wir solche Dinge nicht im Buch des Verbrechens lesen. Er ist ein Troll, nicht wahr?«

»Eine Art… König«, sagte Detritus, als zöge jemand jedes einzelne Wort aus ihm heraus.

»Ich dachte, Trolle hätten heutzutage keine Könige mehr«, sagte Mumm. »Ich dachte, jeder Clan regiert sich selbst.«

»Ja, ja«, brummte Detritus. »Er eben Herr Schein ist, Herr Mumm. Wir reden nicht viel über ihn.« Das Gesicht des Trolls zeigte eine Mischung aus Elend und Trotz.

Mumm wählte ein schwächeres Ziel. »Wo hast du ihn gefunden, Ziegel? Ich möchte nur…«

»Er hierher kam, um dir zu helfen!«, polterte Detritus. »Was du machst, Herr Mumm? Warum du solche Fragen stellst? Bei den Zwergen du leisetreten, man sie nicht verärgern darf, o nein, aber wenn es wären Trolle, was dann? Brich auf die Tür, kein Problem! Herr Schein dir gebracht Ziegel und dir guten Rat gegeben, und du so redest, als wäre er schlechter Troll! Ich höre jetzt Hauptmann Karotte, er den Zwergen sagt, dass er ist die Zwei Brüder. Glaubst du, dies mich glücklich macht? Wir kennen die verlogene alte Zwergenlüge, ja! Wir über die Lüge stöhnen, ja! Wenn du sehen willst Herrn Schein, so du musst sein demütig und zeigen Respekt, ja!«

Dies ist wieder das Koomtal, dachte Mumm. Er hatte Detritus noch nie so aufgebracht gesehen, zumindest nicht ihm gegenüber. Der Troll war einfach da, zuverlässig und vertrauenswürdig. Im Koomtal hatten sich zwei Stämme getroffen, ohne dass eine der beiden Seiten blinzelte.

»Ich entschuldige mich«, sagte Mumm und blinzelte. »Ich wusste nicht, dass es dir so nahe geht. Ich wollte dich nicht beleidigen.«

»Ja!«, sagte Detritus, und seine große Hand knallte auf den Tisch.

Der Löffel sprang aus Ziegels leerem Napf. Die seltsame Steinkugel rollte über den Tisch, mit einem unvermeidlichen zuckelnden Geräusch, und zerbrach auf dem Boden.

Mumm blickte auf die beiden Hälften hinab. »Sie ist voller Kristalle«, sagte er. Dann sah er genauer hin. In einer glitzernden Halbkugel steckte ein Stück Papier.

Er nahm es und las:

 

Zeiger & Zappel, Kristalle, Mineralien & Turnzubehör

Zehntes-Ei-Straße 3, Ankh-Morpork

 

Mumm legte den Zettel vorsichtig beiseite und hob dann die beiden Hälften der Steinkugel auf. Er hielt sie aneinander und stellte fest: Sie passten so genau, dass sich nur eine haarfeine Linie erkennen ließ. Nichts deutete auf Kleber hin.

Er sah Detritus an. »Wusstest du, dass dies passieren würde?«, fragte er.

»Nein, aber ich glaube, Herr Schein es wusste.«

»Er hat mir seine Adresse gegeben, Feldwebel.«

»Ja«, räumte Detritus ein. »Also er vielleicht möchte, dass du ihn besuchst. Das eine Ehre ist. Man findet Herrn Schein nicht, Herr Schein findet dich.«

»Wie hat er dich gefunden, Herr Ziegel?«, fragte Mumm.

Ziegel richtete einen panischen Blick auf Detritus. Der Feldwebel zuckte mit den Schultern.

»Er mich eines Tages aufgenommen hat«, murmelte Ziegel. »Gab mir zu essen. Zeigte mir, wo ich bekommen kann mehr. Sagte mir auch, das sein zu lassen mit dem Zeug. Aber…«

»Ja?«, fragte Mumm.

Ziegel winkte mit zwei vernarbten, knubbeligen Armen, und seine Geste sagte mehr, als er mit Worten hätte ausdrücken können: Das ganze Universum stand auf der einen Seite und Ziegel auf der anderen, und was ließ sich gegen eine solche Übermacht ausrichten?

Und so hat man ihn Detritus’ Obhut übergeben, dachte Mumm. Das gleicht die Sache ein wenig aus.

Er stand auf und nickte Detritus zu. »Sollte ich etwas mitnehmen, Feldwebel?«

Der Troll überlegte. »Nein«, sagte er. »Aber vielleicht du etwas Denken zurücklassen könntest.«

 

 

Ich sollte die Minenrazzia leiten, dachte Mumm. Immerhin beginnen wir vielleicht einen Krieg, und die Leute möchten sicher glauben, dass jemand von oben dabei war, als es geschah. Warum also halte ich es für wichtiger, Herrn Schein zu besuchen?

Hauptmann Karotte war fleißig gewesen. Die Stadtzwerge kannten ihn, deshalb hatte er etwas getan, das Mumm nicht hätte tun können, oder zumindest nicht gut: Er war mit einer schmutzigen Zwergenhalskette zu einer Zwergenfamilie aufgebrochen, die im Flickschusterweg wohnte, und dort hatte er einer Zwergenmutter und einem Zwergenvater erklärt, unter welchen Umständen die Halskette gefunden worden war. Anschließend hatten sich die Dinge schnell entwickelt, und ein weiterer Grund für die Schnelligkeit war, dass die Mine geschlossen war. Wächter, Arbeiter und Zwerge auf der Suche nach dem rechten Weg der Zwergenheit sahen sich plötzlich verschlossenen Türen gegenüber. Ihnen wurde Geld geschuldet, und in dieser Hinsicht waren Zwerge sehr präzise. Ein großer Teil der zwergischen Volkskunde befasste sich mit Verträgen. Arbeit musste bezahlt werden.

Keine Politik mehr, dachte Mumm. Jemand hat vier von unseren Zwergen umgebracht, nicht irgendein irrer Aufwiegler, und sie im Dunkeln zurückgelassen. Ich weiß nicht, wer die Schuldigen sind, aber ich werde sie ans Licht zerren. Hier gilt das Gesetz. Bis ganz nach unten, und bis ganz nach oben.

Aber es muss von Zwergen erledigt werden. Zwerge gehen zu dem Brunnen, entfernen den Schlamm und bringen den Beweis nach oben.

Mumm betrat das Hauptbüro. Karotte war da, zusammen mit einem halben Dutzend Zwergenwächter. Sie wirkten grimmig.

»Alles bereit?«, fragte Mumm.

»Ja, Herr. Wir treffen die anderen bei der Erfahrungssichel.«

»Habt ihr genug Gräber?«

»Alle Zwerge sind Gräber, Herr«, sagte Karotte ernst. »Holz ist unterwegs, und auch Winden. Einige der Grubenarbeiter, die zu uns gekommen sind, haben beim Graben des Tunnels geholfen, Herr. Sie kennen diese Jungs. Sie sind bestürzt und zornig.«

»Kann ich mir vorstellen«, sagte Mumm. »Sie glauben uns doch?«

»Äh… mehr oder weniger, Herr. Wenn wir dort keine Leichen finden, bekommen wir Schwierigkeiten.«

»Kein Zweifel. Wussten deine Jungs, wonach sie gegraben haben?«

»Nein, Herr. Sie bekamen einfach nur Anweisungen von den dunklen Zwergen. Und verschiedene Gruppen gruben in verschiedene Richtungen. Und zwar ziemlich weit. Bis zum Geldfallenweg und zur Ättermützenstraße, glauben sie.«

»Das ist ein großes Stück von der Stadt!«

»Jaherr. Und da gab es etwas Sonderbares.«

»Ich bin ganz Ohr, Hauptmann«, sagte Mumm. »An sonderbare Dinge sind wir inzwischen gewöhnt.«

»Dann und wann mussten alle aufhören zu arbeiten, und die fremden Zwerge lauschten an den Wänden, mit einer Art großem Hörrohr. Sally hat so etwas gefunden, als sie dort unten war.«

»Sie lauschten? An Schlamm? Was hofften sie zu hören? Singende Vürmer?«

»Das wissen die Zwerge nicht, Herr. Vielleicht lauschten sie nach eingeschlossenen Grubenarbeitern. Ich schätze, das ergibt einen Sinn. Beim Graben stoßen die Zwerge immer wieder auf altes Mauerwerk. Es könnte also sein, dass andere Gräber irgendwo festsitzen, wo es Luft gibt.«

»Aber wohl kaum genug Luft für Wochen. Und warum haben sie in verschiedene Richtungen gegraben?«

»Es ist ein Rätsel, Herr. Aber wir kommen der Sache bald auf den Grund. Alle sind voller Eifer.«

»Gut. Aber spiel die Bedeutung der Wache herunter. Dies ist eine Gruppe besorgter Bürger, die versuchen, nach dem Bericht über ein Minenunglück ihre Familienangehörigen zu finden. Die Wächter helfen ihnen nur dabei.«

»Du meinst ›Denk daran, dass du ein Zwerg bist‹, Herr?«

»Ja, genau«, bestätigte Mumm. »Danke dafür, Karotte. Und jetzt gehe ich los, um eine Legende zu besuchen, die einen sehr sauberen Namen hat.«

Als er aufbrach, bemerkte er das Zeichen der Rufenden Dunkelheit. Die Getränkekarte des Rosaroten Kätzchenklubs stand auf einem Regal am Fenster, wo sie maximales Licht bekam. Sie glühte. Vielleicht lag es daran, dass die Glänzende-Rote-Lippen-Brause so abgebildet war, dass man sie selbst bei schlechtem Licht auf der anderen Seite der überfüllten Bar noch sehen konnte, aber sie schien über den ach-so-komischen Cocktailnamen wie Nur Sex, Jede Menge Kätzchen und Hirnspüler zu schweben, die im Vergleich dazu blass und unwirklich erschienen.

Jemand – beziehungsweise mehrere Personen, wie es aussah – hatte Kerzen davor entzündet, um die Karte vor der Nacht zu schützen.

Sie darf nicht im Dunkeln sein, dachte Mumm. Leider gilt das nicht für mich.

 

 

Zeiger & Zappel war staubig. Staub war praktisch das Grundmotiv des Ladens. Mumm glaubte, tausendmal daran vorbeigegangen zu sein. So ein Laden war es – man ging daran vorbei. Staub und tote Fliegen klebten an dem kleinen Fenster, das trotzdem trüben Blick auf große Steine gewährte, die von Staub bedeckt waren.

Die Klingel über der Tür bimmelte staubig, als Mumm den düsteren Laden betrat. Das Geräusch verklang, und es folgte das deutliche Gefühl, dass damit der Spaß für heute vorbei war.

Dann gebar die schwere Stille in der Ferne ein Schlurfen. Wie sich herausstellte, stammte es von einer sehr alten Frau, die kurz darauf erschien und, auf den ersten Blick betrachtet, ebenso staubig wirkte wie die Steine, die sie, vermutlich, verkaufte. Selbst daran zweifelte Mumm. In Läden wie diesem galt der Verkauf von Handelsware als Verrat heiligen Vertrauens. Wie um dies zu betonen, trug die Frau eine Keule mit Nägeln drin.

Als sie nahe genug für ein Gespräch herangekommen war, sagte Mumm: »Ich bin gekommen, um…«

»Glaubst du an die Heilkraft von Kristallen, junger Mann?«, schnappte die Alte und hob drohend die Keule.

»Was? Welche Heilkraft?«, erwiderte Mumm.

Die Frau lächelte verrückt und ließ die Keule sinken.

»Gut«, sagte sie. »Wir legen Wert darauf, dass unsere Kunden ihre Geologie ernst nehmen. In dieser Woche haben wir etwas Trollit.«

»Gut, aber ich…«

»Es ist das einzige Mineral, das rückwärts in der Zeit reist, weißt du.«

»Ich möchte Herrn Schein sprechen«, brachte Mumm hervor.

»Herrn wen?«, fragte die Alte und wölbte eine Hand an ihrem Ohr.

»Herrn Schein«, erwiderte Mumm, dessen Zuversicht nachzulassen begann.

»Hab nie von ihm gehört, junger Mann.«

»Er, äh, gab mir dies«, sagte Mumm und zeigte ihr die beiden Geodenhälften.

»Amethystkristalle, sehr gute Exemplare«, sagte die Alte. »Ich biete dir sieben Dollar.«

»Bist du, äh, Zappel oder Zeiger?«, fragte Mumm und sah darin seinen letzten Ausweg.

»Ich bin Fräulein Zappel, junger Mann. Fräulein Zei…« Sie unterbrach sich. Ihr Gesichtsausdruck erfuhr eine Veränderung, und plötzlich wirkte sie jünger und weitaus wachsamer.

»Und ich bin Fräulein Zeiger, junger Mann«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen um Zappel, sie übernimmt diesen Körper, wenn ich mit anderen Dingen beschäftigt bin. Bist du Kommandeur Mumm?«

Mumm starrte sie groß an. »Soll das heißen, du bist zwei? Mit einem Körper?«

»Ja, mein Bester. Angeblich ist es eine Krankheit, aber ich kann nur sagen, dass wir immer gut miteinander ausgekommen sind. Ich habe ihr nie von Herrn Schein erzählt. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Hier entlang, junger Mann.«

Sie führte Mumm an staubigen Steinen und Kristallen vorbei und durch die Hintertür, an die sich ein breiter Flur mit Regalen an den Wänden anschloss. Kristalle in allen Größen funkelten dort.

»Trolle waren für Geologen natürlich immer interessant, da sie aus metaphorischem Stein bestehen«, sagte Fräulein Zeiger/Zappel im Plauderton. »Du bist nicht zufällig ein Steinliebhaber, Kommandeur?«

»Man hat gelegentlich einen Stein nach mir geworfen«, sagte Mumm. »Ich habe mir nie die Mühe gemacht festzustellen, welche Art von Stein es war.«

»Ha. Wie schade, dass es hier nur Lehm gibt«, sagte die Frau, während das Geräusch leiser Stimmen näher kam. Sie öffnete eine Tür und trat beiseite. »Ich habe ihnen das Zimmer vermietet«, erklärte sie. »Geh nur hinein.«

Mumm blickte auf die ersten Stufen einer nach unten führenden Treppe. Toll, dachte er. Es geht schon wieder in die Tiefe. Aber warmes Licht kam von unten, und die Stimmen wurden lauter.

Der Keller war groß und kühl. Überall standen Tische, und an jedem saßen zwei Personen, über ein kariertes Brett gebeugt. Ein Spielzimmer? Die Spieler waren Zwerge, Trolle und Menschen, und das verbindende Element war Konzentration. Unbesorgte Gesichter wandten sich Mumm zu, der auf halbem Weg nach unten stehen geblieben war, und dann kehrten die Blicke zu den Spielen zurück.

Mumm setzte den Weg nach unten fort. Dies musste wichtig sein. Herr Schein wollte, dass er es sah. Leute – Menschen, Trolle und Zwerge – spielten Spiele. Gelegentlich sahen zwei Spieler auf, wechselten einen Blick und schüttelten sich die Hände. Anschließend ging einer von ihnen zu einem neuen Tisch.

»Was fällt dir auf, Herr Mumm?«, erklang eine tiefe Stimme hinter ihm. Mumm drehte sich ganz langsam um, was ihm nicht leicht fiel.

»Sie sind alle jung?«, vermutete er und fügte hinzu: »Herr Schein?«

»Genau! Abends kommen noch mehr junge Leute hierher. Bitte nimm Platz.«

»Warum bin ich zu dir gekommen, Herr Schein?«, fragte Mumm und setzte sich.

»Weil du herausfinden möchtest, warum du zu mir gekommen bist«, antwortete die dunkle Gestalt. »Weil du im Dunkeln tappst. Weil Herr Mumm mit seiner Dienstmarke und dem Schlagstock voller Zorn ist. Noch voller als sonst. Gib gut auf den Zorn Acht, Herr Mumm.«

Mystisch, dachte Mumm. »Ich möchte sehen, mit wem ich spreche«, sagte er. »Was bist du?«

»Du würdest mich nicht sehen, wenn ich diese Kapuze abnähme«, sagte Herr Schein. »Und was ich bin… Ich frage dich dies: Wäre es richtig, zu sagen, dass sich Hauptmann Karotte damit zufrieden gibt, Wächter zu sein, obwohl er der rechtmäßige König von Ankh-Morpork ist?«

»Ich habe Probleme mit dem Wort ›rechtmäßig‹«, sagte Mumm.

»Davon habe ich gehört«, erwiderte Herr Schein. »Das könnte einer der Gründe dafür sein, warum er sich noch nicht offenbart hat. Wie auch immer. Ich bin der rechtmäßige – verzeih – und unumstrittene König der Trolle.«

»Wirklich?«, fragte Mumm. Als Antwort taugte das nicht viel, aber derzeit waren seine Möglichkeiten begrenzt.

»Ja. Und wenn ich unumstritten sage, so meine ich das auch, Herr Mumm. Verborgene menschliche Könige müssen zu magischen Schwertern oder legendären Heldentaten greifen, um Anspruch auf ihr Geburtsrecht zu erheben. Ich nicht. Ich brauche einfach nur zu sein. Bist du mit dem Konzept des metaphorischen Steins vertraut?«

»Du meinst die Art, wie Trolle gewissen Steinsorten ähneln?«

»Ja. Schiefer, Muskovit, Bauxit und so weiter. Selbst Ziegel, der arme Ziegel. Niemand weiß, warum das so ist, und das ist in tausenden von Worten zum Ausdruck gebracht worden. Ach, zur Hölle damit, wie du sagen würdest. Du verdienst es, einen Blick auf mich werfen zu können. Schütz deine Augen. Ich, Herr Mumm…«

Ein von schwarzem Stoff umhüllter Arm wurde ausgestreckt, ein Handschuh aus schwarzem Samt entfernt. Mumm schloss rechtzeitig die Augen, doch die Innenseiten seiner Lider loderten rot.

»… bin Diamant«, sagte Herr Schein.

Das Gleißen ließ ein wenig nach, und Mumm riskierte es, die Augen ein wenig zu öffnen. Er sah eine Hand, an der jeder Finger wie ein Prisma funkelte. Die Spieler blickten auf, waren aber nicht überrascht. Sie hatten dies schon gesehen.

»Es bildet sich schnell Raureif«, sagte Herr Schein. Als Mumm erneut hinzusehen wagte, glitzerte die Hand wie das Herz des Winters.

»Verbirgst du dich vor Juwelieren?«, brachte er verblüfft hervor.

»Ha! Eigentlich ist diese Stadt ein guter Ort für Leute, die nicht gesehen werden wollen, Herr Mumm. Ich habe Freunde hier. Und ich habe Talente. Ich bin sehr schwer zu sehen, wenn ich nicht gesehen werden möchte. Ich bin auch, offen gesagt, intelligent, und zwar permanent. Das Zukunftsschweinlager brauche ich dazu nicht. Ich kann die Temperatur meines Gehirns regulieren, indem ich Wärme reflektiere. Diamanttrolle sind sehr selten, und wenn sie erscheinen, macht sie das Schicksal zu Königen.«

Mumm wartete. Herr Schein, der nun wieder den Handschuh überstreifte, hatte vermutlich etwas vor. Das Klügste war, ihn reden zu lassen, bis alles einen Sinn ergab.

»Und weißt du, was passiert, wenn wir König werden?«, fragte Herr Schein, jetzt wieder sicher verhüllt.

»Koomtal?«, vermutete Mumm.

»Bravo. Die Trolle schließen sich zusammen, und wir haben den gleichen alten, langweiligen Krieg, gefolgt von Jahrhunderten der Geplänkel. Das ist die traurige, dumme Geschichte der Trolle und Zwerge. Und diesmal wird Ankh-Morpork darin verwickelt. Du weißt, dass unter Vetinaris Herrschaft die Bevölkerungsgruppen der Trolle und Zwerge in der Stadt stark gewachsen sind.«

»Na schön, aber wenn du König bist… Kannst du dann nicht Frieden schließen?«

»Einfach so? Dazu ist weitaus mehr erforderlich.« Die Kapuze der Kutte neigte sich traurig hin und her. »Du weißt nur wenig über uns, Herr Mumm. Du siehst, wie wir in der Ebene umherwanken, und du uns so reden hörst. Du weißt nichts vom Historiengesang, dem Langen Tanz oder Steinmusik. Du siehst den gebeugten Troll, der seine Keule hinter sich herzieht. Das haben die Zwerge vor langer Zeit geschafft. Sie haben uns, in eurer Vorstellung, in jämmerliche, hirnlose Ungeheuer verwandelt.«

»Sieh mich nicht so an, während du das sagst«, wehrte sich Mumm. »Detritus zählt zu meinen besten Leuten!«

Stille folgte. Dann sagte Herr Schein: »Möchtest du wissen, was die Zwerge meiner Ansicht nach suchten, Herr Mumm? Etwas, das ihnen gehört. Ein Ding, das spricht. Die Zwerge haben es gefunden, und ich glaube: Was es zu sagen hatte, löschte fünf Leben aus. Ich glaube, ich weiß, wie man das Geheimnis des Koomtals finden kann. In einigen Wochen werden alle dazu fähig sein. Doch ich fürchte, dann ist es zu spät. Du musst das Rätsel lösen, bevor der Krieg über uns alle hereinbricht.«

»Woher weißt du das alles?«, fragte Mumm.

»Weil ich magisch bin«, antwortete die Stimme aus der Kapuze.

»Oh, wenn das so ist…«, begann Mumm.

»Geduld, Kommandeur«, sagte Herr Schein. »Ich habe es nur… vereinfacht. Akzeptiere stattdessen, dass ich sehr… gescheit bin. Ich denke analytisch. Ich habe mich mit Historie und dem überlieferten Wissen meines Erbfeinds befasst. Ich habe Freunde, die Zwerge sind. Gut unterrichtete Zwerge. Recht… einflussreiche Zwerge, die sich ebenso sehr wie ich ein Ende dieser dummen Fehde wünschen. Und ich liebe Spiele und Rätsel. Der Kodex war keine große Herausforderung.«

»Wenn es mir hilft, die Mörder der Zwerge in der Mine zu finden, solltest du mir sagen, was du weißt!«

»Und warum solltest du meinen Worten trauen? Ich bin ein Troll, ich bin parteiisch. Vielleicht möchte ich deine Gedanken in eine falsche Richtung lenken.«

»Vielleicht hast du das schon!«, erwiderte Mumm heftig. Er wusste, dass er einen Narren aus sich machte, und das ließ ihn noch zorniger werden.

»Gut, so ist es richtig!«, sagte Herr Schein. »Überprüfe all das, was ich dir gesagt habe! Wohin kämen wir, wenn sich Kommandeur Mumm auf Magie verlassen würde? Nein, das Geheimnis des Koomtals muss mithilfe von Beobachtung, Befragung und Fakten, Fakten, Fakten gelüftet werden. Vielleicht helfe ich dir dabei, die Fakten ein wenig schneller zu finden, als es dir sonst möglich wäre. Denk über das nach, was du weißt, Kommandeur. Und in der Zwischenzeit… Wie wäre es mit einem kleinen Spiel?«

Herr Schein griff nach einem Kasten neben seinem Stuhl und drehte ihn über dem Tisch um.

»Dies ist Klonk, Herr Mumm«, sagte er, als kleine Steinfiguren über das Brett tanzten. »Zwerge gegen Trolle. Acht Trolle und zweiunddreißig Zwerge, die für immer ihre kleinen Schlachten austragen, in einem Koomtal aus Pappe.« Er begann damit, die Figuren aufzustellen. Seine Hände in den schwarzen Handschuhen bewegten sich untrollisch schnell.

Mumm schob seinen Stuhl zurück. »Danke für das Gespräch, Herr Schein, aber du gibst mir nur weitere Rätsel…«

»Setz dich, Kommandeur.« Auf den Schullehrerklang in der ruhigen Stimme reagierten Mumms Beine sofort – sie gaben nach, wodurch er wieder auf den Stuhl sank. »Gut«, sagte Herr Schein. »Acht Trolle, zweiunddreißig Zwerge. Die Zwerge beginnen immer. Ein Zwerg ist klein und schnell und kann in jeder Richtung eine beliebige Anzahl von Feldern weit laufen. Ein Troll kann in jeder Richtung nur ein Feld weit gehen – weil wir dumm sind und die Keule hinter uns herziehen, wie man weiß. Es gibt noch andere mögliche Züge, aber was erkennst du bisher?«

Mumm versuchte, sich zu konzentrieren. Es fiel ihm schwer. Dies war ein Spiel, nicht die Wirklichkeit. Und die Antwort war so offensichtlich, dass es nicht die richtige sein konnte.

»Es sieht so aus, als müssten die Zwerge jedes Mal gewinnen«, sagte er.

»Ah, natürlicher Argwohn, das gefällt mir«, erwiderte Herr Schein. »Bei den besten Spielern sind die Trolle ein wenig im Vorteil. Das liegt vor allem daran, dass ein Troll unter den richtigen Umständen erheblichen Schaden anrichten kann. Übrigens, was machen deine Rippen?«

»Jetzt geht es ihnen besser, herzlichen Dank«, sagte Mumm verdrießlich. Er hatte sie für zwanzig angenehme Minuten vergessen; jetzt taten sie wieder weh.

»Gut. Ich bin froh, dass Ziegel bei Detritus ist. Er hat ein gutes Gehirn, wenn man ihn dazu bringen kann, es nicht jede halbe Stunde mit irgendetwas zu schmoren. Zurück zu unserem Spiel… Vorteile für eine Seite sind nicht weiter wichtig, denn ein vollständiges Spiel besteht aus zwei Schlachten. In der einen übernimmt man den Part der Zwerge, in der anderen den der Trolle. Wie nicht anders zu erwarten, fällt es Zwergen leicht, in die Rolle der Zwerge zu schlüpfen, und Ähnliches gilt für die Trolle. Aber um zu gewinnen, muss man beide Seiten spielen. Anders ausgedrückt: Man muss imstande sein, wie der alte Feind zu denken. Ein wirklich geschickter Spieler… Sieh dich um, Kommandeur. Dort drüben spielt mein Freund Phyllit gegen Nils Maushammer.«

Mumm drehte den Kopf. »Worauf soll ich achten?«, fragte er.

»Auf alles.«

»Nun, der Troll dort scheint einen großen Zwergenhelm zu tragen…«

»Ja, den hat er von einem Zwergenspieler bekommen. Und er spricht einigermaßen Zwergisch.«

»Er trinkt aus einem Horn, wie Zwerge…«

»Er hat sich eins aus Metall anfertigen lassen! Trollbier würde sich durch gewöhnliches Horn fressen. Nils kann einen großen Teil des trollischen Historiengesangs singen. Sieh dir Gabbro an, dort. Ein guter Trolljunge, aber er weiß praktisch alles über das Kampfbrot der Zwerge. Ich glaube, auf dem Tisch vor ihm liegt ein Bumerang-Croissant. Das natürlich rein zeremoniellen Zwecken dient. Kommandeur?«

»Hmm?«, fragte Mumm. »Was?« Ein zart gebauter Zwerg an einem der Tische beobachtete ihn, als wäre er eine Art faszinierendes Ungeheuer.

Herr Schein lachte leise. »Um den Feind zu studieren, muss man unter seine Haut kriechen. Wenn man unter seiner Haut steckt, beginnt man damit, die Welt durch seine Augen zu sehen. Gabbro spielt die Zwergenseite so gut, dass sein Trollspiel darunter leidet. Er möchte nach Kupferkopf, um dort von einem der Klonkmeister der Zwerge zu lernen. Ich hoffe, dass er seine Absicht in die Tat umsetzt; die Meister werden ihn lehren, wie ein Troll zu spielen. Keiner dieser Jungs war gestern Abend betrunken auf der Straße, um zu kämpfen. Und so tragen wir Berge ab. Wasser tropft auf Stein, löst und entfernt. Es verändert die Welt, Tropfen für Tropfen. Wasser tropft auf einen Stein, Kommandeur, Wasser fließt tief im Boden und sprudelt an unerwarteten Stellen empor.«

»Ich glaube, ein Tropfen genügt nicht, um die Welt zu verändern«, sagte Mumm. »Dazu braucht man einen ziemlich großen Schwall. Und ich bezweifle, dass einige Leute, die irgendein Spiel spielen, in absehbarer Zeit einen Berg abtragen können.«

»Es kommt darauf an, wohin der Tropfen fällt«, sagte Herr Schein. »Mit der Zeit könnte zumindest ein Tal ausgewaschen werden. Du solltest dich fragen, warum du unbedingt in die Mine wolltest.«

»Weil dort ein Mord geschehen ist!«

»Und das war der einzige Grund?«, fragte der verhüllte Herr Schein.

»Natürlich!«

»Und alle wissen, wie gern Zwerge tratschen«, sagte Herr Schein. »Nun, ich bin sicher, dass du dir alle Mühe gibst, Kommandeur. Ich hoffe, du findest die Mörder, bevor die Dunkelheit sie erreicht.«

»Herr Schein, einige meiner Wächter haben Kerzen neben dem verdammten Symbol angezündet!«

»Sehr vernünftig, würde ich sagen.«

»Glaubst du wirklich, dass es eine Gefahr ist? Wieso weißt du so viel über Zwergenzeichen?«

»Ich habe mich mit ihnen befasst. Ich akzeptiere die Tatsache ihrer Intelligenz. Einige deiner Wächter glauben an sie. Die meisten Zwerge glauben daran, irgendwo tief in ihren krummen kleinen Seelen. Das respektiere ich. Man kann einen Zwerg aus dem Dunkeln nehmen, aber man kann nicht die Dunkelheit aus einem Zwerg nehmen. Die Symbole sind sehr alt. Sie haben echte Macht. Wer weiß, welches alte Unheil in der tiefen Dunkelheit unter den Bergen existiert? Es gibt kein finstereres Dunkel.«

»Willst du dich über mich lustig machen?«, fragte Mumm.

»Ach, Herr Mumm, du hast einen anstrengenden Tag hinter dir. So viel ist geschehen, und du hattest nur wenig Zeit, um darüber nachzudenken. Lass dir alles gründlich durch den Kopf gehen. Ich denke immer gründlich nach.«

»Kommandeur Mumm?« Die Worte stammten von Fräulein Zappel/Zeiger auf der Treppe. »Ein Troll fragt nach dir.«

»Schade«, sagte Herr Schein. »Ich nehme an, das ist Detritus. Vermutlich bringt er keine guten Nachrichten. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, die Trolle haben ihre Taka-taka geschickt. Du musst gehen, Herr Mumm. Ich sehe dich wieder.«

»Aber vielleicht sehe ich dich nicht wieder«, sagte Mumm. Er stand auf und zögerte.

»Eine Frage«, sagte er. »Und bitte keine komischen Antworten. Erklär mir, warum du Ziegel geholfen hast. Warum scherst du dich um einen völlig heruntergekommenen Gossentroll?«

»Warum scherst du dich um einige tote Zwerge?«, fragte Herr Schein.

»Jemand muss sich darum kümmern!«

»Genau! Auf Wiedersehen, Herr Mumm.«

Mumm eilte die Treppe hinauf und folgte Fräulein Zappel/Zeiger in den Laden. Detritus stand bei einigen ausgestellten Gesteinen und schien sich so unwohl zu fühlen wie ein Mensch in einer Leichenhalle.

»Er meint, er müsste sich darum kümmern«, sagte Mumm.

»Wie bitte, Herr?«

»Oh, ich habe nur laut gedacht. Was ist los?«

Detritus verlagerte voller Unbehagen das Gewicht. »Entschuldige, Herr Mumm, aber ich der Einzige war, der wusste, wo…«, begann er.

»Ja, in Ordnung. Geht es um die Taka-taka

»Woher du darüber Bescheid weißt?«

»Ich weiß gar nicht darüber Bescheid. Was ist die Taka-taka

»Es die berühmte Kriegskeule der Trolle ist«, sagte Detritus.

Mumm konnte der Versuchung nicht widerstehen. »Ach, die gewöhnlichen Keulen der Trolle dienen dem Frieden?«, fragte er. Doch so etwas war bei Detritus vergeudet. Er behandelte Humor wie eine menschliche Verirrung, die man überwand, indem man langsam und geduldig sprach.

»Nein, Herr«, sagte er. »Wenn die Taka-taka geschickt wird von Clan zu Clan, sie werden aufgerufen zum Krieg.«

»Verdammt! Koomtal?«

»Ja, Herr. Und ich gehört habe, dass der Niedere König und die Überwaldzwerge bereits sind auf dem Weg zum Koomtal. Man überall davon spricht.«

»Äh… bimmel, bimmel, bimmel…?«, ertönte eine leise und sehr nervöse Stimme.

Mumm holte das Stachelbeer-Modell hervor und starrte darauf hinab. Ausgerechnet jetzt…

»Ja?«, fragte er.

»Es ist neunundzwanzig Minuten nach fünf, Hier Namen Einfügen«, sagte der Kobold nervös.

»Und?«

»Zu Fuß und um diese Tageszeit musst du jetzt aufbrechen, wenn du um sechs zu Hause sein willst«, erklärte der Kobold.

»Der Patrizier dich sprechen möchte, und Klacker eintreffen und so«, gab Detritus zu bedenken.

Mumm starrte weiter auf den Kobold, der verlegen wirkte.

»Ich gehe nach Hause«, erwiderte er und setzte sich in Bewegung. Dunkle Wolken ballten sich am Himmel zusammen und kündigten ein weiteres Sommergewitter an.

»Man hat gefunden die drei Zwerge beim Brunnen, Herr«, sagte Detritus, der hinter ihm herwankte. »Es ganz danach aussieht, dass sie getötet wurden von anderen Zwergen. Hauptmann Karotte hat postiert Wächter an allen Ausgängen, die er konnte finden…«

Aber sie graben, dachte Mumm. Wer weiß, wohin all die Tunnel führen?

»… und er um Erlaubnis bittet, zu öffnen die große eiserne Tür in der Sirupstraße«, fuhr Detritus fort. »Dadurch sie erreichen können den letzten Zwerg.«

»Was sagen die Zwerge dazu?«, fragte Mumm über die Schulter hinweg. »Die lebenden, meine ich?«

»Viele von ihnen gesehen haben, wie heraufgebracht wurden die toten Zwerge«, antwortete Detritus. »Ich glaube, die meisten von ihnen ihm geben würden eine Brechstange.«

Das sollte der Mob hören, dachte Mumm. Pack ihn an seinem sentimentalen Herzen. Außerdem beginnt der Sturm bereits. Warum sich wegen eines zusätzlichen Regentropfens Sorgen machen?

»Na schön«, sagte er. »Sag ihm dies: Ich weiß, dass Otto mit seinem verdammten Bilderkasten da sein wird, deshalb sollen es Zwerge sein, die die verflixte Tür öffnen, klar? Ein Bild voller Zwerge.«

»Ja, Herr!«

»Wie geht es dem jungen Ziegel? Ist er bereit, den Eid abzulegen? Kann er überhaupt verstehen, was der Eid bedeutet?«

»Ich denke schon, Herr.«

»Vor Zwergen?«

»Er den Eid ablegen wird, wenn ich ihn dazu auffordere«, sagte Detritus. »Das ich versprechen kann.«

»Gut. Und jemand soll eine Nachricht zu den Klackern bringen, an alle Stadtwachen und Dorfpolizisten von hier bis zu den Bergen. Sie sollen nach einer Gruppe dunkler Zwerge Ausschau halten. Die kleinen Burschen haben erledigt, wozu sie hierher gekommen sind, und jetzt hauen sie ab.«

»Möchtest du, dass sie werden aufgehalten?«, fragte der Feldwebel.

»Nein! Das soll niemand versuchen! Betone in der Nachricht, dass die dunklen Zwerge Waffen haben, die Feuer spucken! Ich möchte nur wissen, wohin sie unterwegs sind!«

»Ich ihnen das sage, Herr.«

Und ich gehe nach Hause, wiederholte Mumm in Gedanken. Alle wollen etwas von Mumm, obwohl ich nicht das schärfste Messer im Schrank bin. Meine Güte, wahrscheinlich bin ich ein Löffel. Nein, ich werde Mumm sein, und Mumm liest dem kleinen Sam um sechs Uhr Wo ist meine Kuh? vor. Mit allen richtigen Geräuschen.

Mit forschem Schritt kehrte er heim, überall die kleinen Abkürzungen, während sein Geist wie dünne Suppe hin und her schwappte. Gelegentlich meldeten sich seine Rippen: Ja, wir sind noch hier und tun weh.

Mumm erreichte die Tür, als Willikins sie öffnete.

»Ich habe Ihrer Ladyschaft gesagt, dass du zurück bist, Herr«, rief er Mumm nach, der die Treppe hinaufeilte. »Sie mistet die Drachenställe aus.«

Der kleine Sam stand in seinem Kinderbettchen auf und sah zur Tür. Mumms Welt wurde weich und rosarot.

Auf dem Stuhl lag sein derzeitiges Lieblingsspielzeug: ein Stoffball, ein kleiner Reif, eine Wollschlange mit nur einem Knopfauge. Mumm strich sie beiseite, und sie fielen auf den Läufer. Er setzte sich und nahm den Helm ab. Dann zog er die feuchten Stiefel aus. Man brauchte ein Zimmer nicht mehr zu heizen, nachdem Sam Mumm seine Stiefel ausgezogen hatte. An der Wand tickte die Kinderuhr, und mit jedem Ticktack sprang ein kleines Schaf von einer Seite des Zauns zur anderen.

Sam öffnete das angekaute und recht feuchte Buch.

»Wo ist meine Kuh?«, verkündete er, und der kleine Sam gluckste. Regentropfen klatschten ans Fenster.

 

Wo ist meine Kuh?

Ist das meine Kuh?

 

Ein »Ding«, das spricht, dachte er, während sich Mund und Augen um die aktuelle Aufgabe kümmerten. Ich muss mehr darüber herausfinden. Warum bringt es Zwerge dazu, sich gegenseitig umzubringen?

 

Es macht »Bäh!«.

Es ist ein Schaf!

 

Warum haben wir die Mine aufgesucht? Weil wir gehört haben, dass dort jemand ermordet worden ist, deshalb!

 

Das ist nicht meine Kuh!

 

Alle wissen, dass Zwerge tratschen. Es war dumm von ihnen, sie aufzufordern, uns nichts zu verraten! Komische Tiefener. Sie glauben, nur etwas sagen zu müssen, damit es wahr wird!

 

Wo ist meine Kuh?

 

Wasser, das auf einen Stein tropft…

 

Ist das meine Kuh?

 

Wo habe ich kürzlich ein Klonkbrett gesehen?

 

Es macht »Wieäh!«.

 

O ja, Helmgescheit. Er war sehr besorgt.

 

Es ist ein Pferd!

 

Er hatte ein Brett und bezeichnete sich selbst als eifrigen Spieler.

 

Das ist nicht meine Kuh!

 

Der Zwerg stand mächtig unter Druck, kein Zweifel. Er sah aus, als brannte er darauf, mir etwas zu sagen…

 

Wo ist meine Kuh?

 

Sein Blick…

 

Ist dies meine Kuh?

 

Ich war so zornig. Der Wache nichts sagen? Was haben sie erwartet? Er hätte es eigentlich wissen müssen…

 

Es macht »Hruuuah!«.

 

Er wusste, dass ich durchdrehen würde!

 

Es ist ein Flusspferd!

 

Er wollte, dass ich zornig werde!

 

Das ist nicht meine Kuh!

 

Verdammt, er wollte mich zornig machen!

Mumm schnaubte und krähte sich durch den Rest des Zoos, ließ kein Bellen oder Quieken aus und deckte seinen kleinen Sohn mit einem Kuss zu.

Unten im Erdgeschoss klirrte es. Jemand hatte ein Glas fallen gelassen, meinte Mumms Vorderhirn. Doch das Hinterhirn, das ihn mehr als fünfzig Jahre sicher durch die gefährlichen Straßen von Ankh-Morpork gesteuert hatte, flüsterte: Von wegen!

Die Köchin hatte den Abend frei. Fräulein Reinlich hielt sich in ihrem Zimmer auf. Sybil fütterte die Drachen. Damit blieb Willikins übrig. Und Butler ließen nichts fallen.

Von unten kam ein leises Ugh, und es folgte ein Pochen von etwas, das auf Fleisch traf.

Und Mumms Schwert hing unten auf der anderen Seite der Eingangshalle, denn Sybil wollte nicht, dass er es im Haus trug.

So leise wie möglich suchte er nach irgendetwas, das sich als Waffe verwenden ließ. Bedauerlicherweise hatten sie bei der Auswahl von Spielzeug für den kleinen Sam den Bereich von harten Gegenständen mit scharfen Kanten völlig außer Acht gelassen. Häschen, Glucken und Schweinchen gab es reichlich, aber… Ah. Mumm entdeckte einen nützlichen Gegenstand und zog ihn an sich.

Lautlos auf dicken, übertrieben gestopften Socken schlich er die Treppe hinunter.

Die Tür zum Weinkeller stand offen. Mumm trank nicht mehr, aber seine Gäste schon, und Willikins erfüllte seine Butlerpflicht gegenwärtigen Generationen gegenüber und ungeborenen noch dazu, indem er gelegentlich den einen oder anderen vielversprechenden Jahrgang kaufte. Knirschten dort Glassplitter, auf die jemand trat? Knarrten die Treppenstufen? Mumm beschloss, es herauszufinden.

Er erreichte das Kellergewölbe und mied vorsichtig das aus dem Flur hereinfallende Licht.

Jetzt roch er ihn… den schwachen Geruch von schwarzem Öl.

Die kleinen Mistkerle! Und sie konnten auch im Dunkeln sehen.

Mumm griff in die Tasche und tastete nach Streichhölzern, während sein Herzschlag in den Ohren dröhnte. Die Finger schlossen sich um ein Streichholz, er holte tief Luft…

Eine Hand schloss sich um sein Handgelenk, und als er wild herumschwang, um mit dem Hinterbein eines Schaukelpferds nach der Dunkelheit zu schlagen, wurde auch dieser Gegenstand fortgezerrt. Instinktiv trat er zu, und ein Stöhnen kam aus der Finsternis. Seine Arme wurden losgelassen, und irgendwo dicht über dem Boden erklang die recht gepresst klingende Stimme des Butlers. »Entschuldige bitte, Herr, offenbar bin ich gegen deinen Fuß gestoßen.«

»Willikins? Was zum Teufel ist hier los?«

»Einige Zwergenherren kamen, während du oben warst, Herr«, sagte der Butler und entfaltete sich langsam. »Durch die Kellerwand. Ich bedauere zu sagen, dass ich es für erforderlich hielt, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Ich fürchte, einer von ihnen könnte tot sein.«

Mumm sah sich um. »Könnte tot sein? Atmet er noch?«

»Ich weiß nicht, Herr.« Willikins entzündete ein Streichholz und hielt es vorsichtig an eine Kerze. »Ich habe ihn gurgeln gehört, aber jetzt ist er still. Leider muss ich sagen, dass er mich angriff, als ich den Eisraum verließ, und mir blieb keine andere Wahl, als mich mit dem ersten zur Verfügung stehenden Gegenstand zu verteidigen.«

»Und das war…?«

»Das Eismesser, Herr«, antwortete Willikins ruhig. Er hob eine mehr als fünfzig Zentimeter lange gezackte Stahlklinge, dazu bestimmt, Eis in kleine Würfel zu schneiden. »Den anderen Herrn habe ich an einen Fleischhaken gehängt.«

»Du hast…«, begann Mumm entsetzt.

»Nur durch die Kleidung, Herr. Es tut mir Leid, Hand an dich gelegt zu haben, aber ich befürchtete, das verflixte Öl könnte leicht entzündlich sein. Ich hoffe, dass ich sie alle erwischt habe. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich für das Durcheinander zu entschuldigen, das…«

Mumm war bereits halb die Kellertreppe hoch. Im Flur glaubte er, dass sein Herz stehen blieb.

Eine kleine dunkle Gestalt erreichte oben das Ende der Treppe und verschwand im Kinderzimmer.

Die breite, imposante Treppe ragte vor Mumm auf, eine Treppe zum Himmel. Er lief nach oben und hörte sich schreien: »Ich bringe dich um bringedichum bringedichum bringedichumum ich bringe dich um bringe dichum umumum« Schrecklicher Zorn erstickte ihn halb, Wut und grässliche Angst setzten seine Lungen in Brand, und noch immer ragte die Treppe vor ihm auf. Sie schien endlos zu sein. Sie wuchs weiter in die Höhe, während er nach unten fiel, in die Hölle. Doch die Hölle trug ihn nach oben, verlieh seinem Zorn Flügel, hob ihn hoch, schickte ihn zurück…

Und dann, sein Atem nur noch ein langer, gottloser Schrei, erreichte er die oberste Stufe…

Der Zwerg kam rückwärts aus dem Kinderzimmer, und zwar ziemlich schnell. Er stieß gegen das Geländer, durchbrach es und prallte im Erdgeschoss auf den Boden. Mumm lief weiter, rutschte auf gewienertem Holz, schlitterte bei der Kurve ins Kinderzimmer und fürchtete dort den Anblick von…

Der kleine Sam schlief friedlich. An der Wand wackelte das Lamm die Nacht fort.

Sam Mumm hob seinen Sohn hoch, wickelte ihn in seine blaue Decke und sank auf die Knie. Während des Sprints die Treppe hinauf hatte er nicht einmal Luft geholt, und jetzt löste sein Körper die Schecks ein, saugte sich schluchzend voll Luft und Erlösung. Tränen strömten ihm über die Wangen, und er bebte am ganzen Leib…

Durch den feuchten Schleier sah er etwas auf dem Boden. Dort auf dem Läufer lagen der Stoffball, der Reif und die Wollschlange.

Der Ball war, mehr oder weniger, in die Mitte des Reifs gerollt. Die Schlange lag halb entrollt da, den Kopf am Rand des Reifs.

Im matten Licht des Kinderzimmers sah es, auf den ersten Blick, wie ein großes Auge mit Schweif aus.

»Herr? Ist alles in Ordnung?«

Mumm blickte auf und bemerkte das rote Gesicht von Willikins.

»Äh… ja… was? Ja… alles in Ordnung… danke«, brachte er hervor und versuchte, seine verstreuten Sinne einzusammeln. »Ja, es ist alles in Ordnung. Danke, Willikins.«

»Einer muss in der Dunkelheit an mir vorbeigeschlüpft sein…«

»Was? Ja, sehr nachlässig von dir«, sagte Mumm. Er stand auf, drückte noch immer seinen Sohn an sich. »Ich wette, jedem anderen Butler wäre es gelungen, alle drei mit einem Schlag seines Putztuchs zu erledigen.«

»Fühlst du dich gut, Herr? Weil…«

»Aber du hast die Butlerschule in der Betrug-und-Schwindel-Straße besucht!« Mumm kicherte. Ihm zitterten die Knie. Nach dem Entsetzen kam ein trunkenes Gefühl: Man lebte und fand plötzlich alles komisch. »Ich meine, andere Butler wissen, wie man Leute mit dem Blick durchbohrt, aber du, Willikins, du durchbohrst sie mit…«

»Hör mir zu, Herr!«, sagte Willikins in drängendem Tonfall. »Er ist draußen, Herr. So wie Lady Sybil!«

Mumms Grinsen erstarrte.

»Soll ich den jungen Mann nehmen, Herr?«, fragte Willikins und streckte die Hände nach dem Knaben aus.

Mumm wich zurück. Selbst einem Troll mit einer Brechstange und einem Topf mit Schmierfett wäre es nicht gelungen, ihm seinen Sohn abzunehmen.

»Nein! Aber gib mir das Messer! Und sieh nach, ob mit Fräulein Reinlich alles in Ordnung ist!«

Er hielt den kleinen Sam an sich gedrückt, als er die Treppe hinuntereilte, durch die Eingangshalle und nach draußen in den Garten lief. Es war dumm, dumm, dumm. Das sagte er sich später. Aber derzeit dachte Mumm nur in Primärfarben. Es war sehr schwer gewesen, das Kinderzimmer trotz der Schreckensvisionen zu betreten, die ihn gequält hatten. So was wollte er nicht noch einmal durchmachen. Der Zorn kehrte zurück, und diesmal kontrollierte er ihn. Er war glatt wie ein Strom aus Feuer. Er würde sie finden, sie alle, und dann sollten sie brennen

Um den Hauptstall der Drachen zu erreichen, musste er drei großen gusseisernen Flammschutzschilden ausweichen, die vor zwei Monaten aufgestellt worden waren. Die Drachenzucht war kein Hobby für Weichlinge oder Leute, die es nicht mochten, gelegentlich eine Seite des Hauses neu zu streichen. Auf beiden Seiten des Stalles gab es große Eisentüren. Mumm hielt auf eine davon zu, lief ins Gebäude und verriegelte die Tür hinter sich.

Es war immer warm im Stall, denn die Drachen rülpsten die ganze Zeit über. Andernfalls drohten Explosionen, zu denen es manchmal kam. Und dort war Sybil, in voller Drachenmontur. Ruhig ging sie zwischen den Pferchen, einen Eimer in jeder Hand, und hinter ihr öffnete sich die Tür am anderen Ende des Stalls, und eine kleine dunkle Gestalt erschien, und er sah die Stange mit einer kleinen Bereitschaftsflamme an ihrem Ende, und…

»Pass auf!«, rief Mumm. »Hinter dir!«

Seine Frau sah ihn groß an, drehte sich um, ließ die Eimer fallen und rief etwas.

Und dann kam die Flamme. Sie traf Sybil an der Brust, breitete sich über die Pferche aus… und erlosch abrupt. Der Zwerg senkte den Blick und begann, wie verzweifelt zu pumpen.

Die brennende Säule namens Sybil sagte mit gebieterischer Stimme, die keinen Ungehorsam duldete: »Leg dich hin, Sam. Jetzt sofort.« Und Sybil sank auf den sandigen Boden, als in den Pferchen Drachenköpfe auf langen Drachenhälsen in die Höhe fuhren.

Ihre Nüstern blähten sich auf, als sie Luft holten.

Sie waren herausgefordert und beleidigt worden. Und sie hatten gerade gefressen.

»Brave Jungs«, sagte Sybil vom Boden aus.

Sechsundzwanzig Ströme aus Drachenfeuer reagierten auf die Herausforderung. Mumm lag auf dem Boden und schirmte den kleinen Sam mit seinem Körper ab. Er spürte, wie seine Nackenhaare verkohlten.

Dies war nicht das qualmende Rot der Zwergenflamme. Dies war etwas, das nur ein Drachenmagen erzeugen konnte. Die Flammen waren praktisch unsichtbar. Mindestens eine von ihnen musste die Waffe des Zwergs getroffen haben, denn es gab eine Explosion, und etwas flog durchs Dach. Man hatte die Drachenpferche nach dem Prinzip einer Fabrik für Feuerwerkskörper gebaut: Die Wände waren sehr dick und das Dach so dünn wie möglich, damit sich der Himmel schneller erreichen ließ.

Als der Geräuschpegel bis zu einem aufgeregten Schluckauf gesunken war, riskierte es Mumm, den Kopf zu heben. Sybil stand auf, ein wenig schwerfällig wegen der speziellen Kleidung, die jeder Drachenzüchter trug.12

Das Eisen der fernen Tür glühte um den schwarzen Umriss eines Zwergs. Ein wenig davor kühlten zwei weiß glühende Stiefel in einer Lache aus geschmolzenem Sand ab.

Metall machte Plink.

Lady Sybil hob die Hände in schweren Handschuhen und klopfte auf einige noch immer brennende Stellen an ihrer Schürze. Dann nahm sie den Helm ab und ließ ihn fallen. Mit einem Pochen landete er im Sand.

»Oh, Sam…«, sagte sie sanft.

»Ist alles in Ordnung mit dir? Der kleine Sam ist unverletzt. Wir müssen hier raus!«

»Oh, Sam…«

»Bitte nimm du ihn, Sybil!«, sagte Sam. Er sprach langsam und deutlich, damit sie ihn trotz des Schocks verstand. »Es könnten noch andere dort draußen sein!«

Sybils Blick richtete sich auf ihn. »Gib ihn mir«, befahl sie. »Und du nimmst Raja!«

Mumm sah in die Richtung, in die seine Frau deutete. Ein junger Drache mit Schlappohren und einem Gesicht, das eine Mischung aus Benommenheit und guter Laune zeigte, begegnete seinem Blick und blinzelte. Er war ein Goldener Wouter, eine Rasse mit einer so starken Flamme, dass Diebe einmal mit einem von ihnen den Tresor einer Bank aufgeschweißt hatten.

Mumm nahm ihn vorsichtig.

»Bekohl ihn«, befahl Sybil.

Es liegt im Blut, dachte Mumm, als er Anthrazit in Rajas hungrigen Schlund stopfte. Sybils weibliche Vorfahren hatten tapfer ihren Ehemännern geholfen, als ferne Botschaften belagert wurden. Sie hatten ihre Kinder auf dem Rücken eines Kamels oder im Schatten eines verwundeten Elefanten zur Welt gebracht. Sie hatten die kleinen goldenen Pralinen verteilt, als Trolle ins Lager vorstießen. Oder sie waren daheim geblieben und hatten sich um die Teile ihrer Ehemänner und Söhne gekümmert, die es von endlosen kleinen Kriegen zurück nach Hause geschafft hatten. Das Resultat war eine Spezies von Frauen, die sich in massiven Stahl verwandelten, wenn die Pflicht rief.

Mumm zuckte zusammen, als Raja rülpste.

»Das war ein Zwerg, nicht wahr?«, fragte Sybil und hielt den kleinen Sam in den Armen. »Einer von den Tiefenern?«

»Ja.«

»Warum wollte er mich töten?«

Wenn die Leute versuchten, einen zu töten, dann hatte man etwas richtig gemacht. Das war eine Regel, nach der Sam lebte. Aber dies… Selbst ein eiskalter Killer wie Chrysopras hätte so etwas nicht versucht. Es war verrückt. Sie werden brennen. Sie werden brennen.

»Ich glaube, sie fürchten sich vor dem, was ich herausfinden könnte«, sagte Mumm. »Ich glaube, für sie ist alles schief gelaufen, und sie wollen mich aufhalten.«

Können sie so dumm sein?, fragte er sich. Eine tote Ehefrau? Ein totes Kind? Konnten sie auch nur für einen Moment geglaubt haben, dass ich deshalb aufhören würde? Von wegen! Wenn ich den erwische, der dies angeordnet hat, und ich werde ihn erwischen… dann hoffe ich, dass mich jemand zurückhält. Sie werden brennen für das, was sie getan haben.

»Oh, Sam…«, murmelte Sybil und ließ die eiserne Maske kurz sinken.

»Es tut mir Leid«, sagte Mumm. »Mit so etwas habe ich nicht gerechnet.« Er setzte den Drachen ab und umarmte seine Frau vorsichtig, fast furchtsam. Der Zorn war so stark gewesen. Es hatte sich angefühlt, als wüchsen ihm Stacheln oder als könnte er zerbrechen. Der Kopfschmerz kehrte zurück wie ein dickes Stück Blei, direkt über seinen Augen festgenagelt.

»Was ist mit alldem, du weißt schon, Haihi-haiho und der Hilfsbereitschaft gegenüber verirrten Waisen im Wald geschehen, Sam?«, flüsterte Sybil.

»Willikins ist im Haus«, sagte er. »Und Fräulein Reinlich.«

»Gehen wir zu ihnen«, meinte Sybil. Dann lächelte sie, ein wenig feucht. »Ich wünschte, du würdest deine Arbeit nicht mit nach Hause bringen, Sam.«

»Diesmal ist sie mir gefolgt«, erwiderte Mumm grimmig. »Aber ich habe vor, sie zu erledigen.« Sie sollen bren Nein! Sie sollen bis zum letzten Loch gejagt werden, in dem sie sich verkriechen, um dann vor Gericht gestellt zu werden. Es sei denn, sie (oh, bitte!) leisten Widerstand…

Fräulein Reinlich stand in der Eingangshalle, zusammen mit Willikins. Sie hielt, ohne große Überzeugung, ein erbeutetes klatschianisches Schwert in der Hand. Der Butler hatte seiner Bewaffnung zwei Hackbeile hinzugefügt und bewies im Umgang damit Besorgnis erregendes Geschick.

»Bei den Göttern, Mann, du bist voller Blut!«, entfuhr es Sybil.

»Ja, Euer Ladyschaft«, erwiderte Willikins glatt. »Bitte gestatte mir, mildernde Umstände anzuführen und darauf hinzuweisen, dass es nicht mein Blut ist.«

»Ein Zwerg kam ins Drachenhaus«, sagte Mumm. »Sind noch andere hier?«

»Nein, Herr. Der im Keller hatte einen Apparat zur Projektion von Flammen, Herr.«

»Der Zwerg, mit dem wir es zu tun bekommen haben, ebenfalls«, sagte Mumm und fügte hinzu: »Es hat ihm nichts genützt.«