»Freut mich zu hören, Herr. Ich habe mich über die Funktionsweise des Apparats in Kenntnis gesetzt und mein neu erworbenes Wissen auf die Probe gestellt, indem ich so lange damit in den Tunnel gefeuert habe, durch den die Zwerge gekommen sind, bis keine brennbare Flüssigkeit mehr vorhanden war. Nur für den Fall, dass noch mehr Zwerge auf der Lauer lagen, Herr. Ich nehme an, das Gebüsch von Nummer fünf ist aus diesem Grund in Brand geraten.«

Mumm hatte Willikins nicht gekannt, als sie beide jung gewesen waren. Die Tollen Jungs von der Unbesonnenheitsstraße hatten durch ein Abkommen mit der Betrug-und-Schwindel-Straße ihrer Flanke keine Beachtung schenken müssen und sich ganz darauf konzentrieren können, den territorialen Aggressionen der Toten Krallenaffen vom Schweinestallhügel zu begegnen. Mumm war froh, dass er es damals nicht mit dem jungen Willikins zu tun bekommen hatte.

»Vermutlich kamen sie dort wegen der Luft nach oben«, sagte er. »Die Jeffersons sind in Urlaub.«

»Wenn sie für so etwas nicht bereit sind, sollten sie keine Rhododendren anpflanzen«, meinte Sybil schlicht. »Was nun, Sam?«

»Wir übernachten im Wachhaus am Pseudopolisplatz«, sagte Mumm. »Keine Widerrede.«

»Die Käsedicks sind nie vor irgendetwas davongelaufen«, erklärte Sybil.

»Die Mumms sind die ganze Zeit wie der Teufel gelaufen«, erwiderte Mumm und hielt es nicht für klug, auf die bereits erwähnten Vorfahren hinzuweisen, die in Stücken nach Hause zurückgekehrt waren. »Das bedeutet: Wir kämpfen dort, wo wir kämpfen wollen. Wir holen die Kutsche und fahren zum Pseudopolisplatz. Und wenn wir dort sind, schicke ich Leute hierher, die unsere Sachen holen. Nur für eine Nacht, in Ordnung?«

»Was soll ich mit den Besuchern machen, Herr?«, fragte Willikins mit einem kurzen Blick auf Lady Sybil. »Einer ist tatsächlich tot, fürchte ich. Vielleicht erinnerst du dich daran, dass ich mich mit dem Eismesser verteidigen musste, das ich zufällig in der Hand hielt, weil ich damit beschäftigt war, Eis für die Küche zu schneiden«, fügte der Butler mit ausdrucksloser Miene hinzu.

»Leg ihn aufs Dach der Kutsche«, sagte Mumm.

»Der andere scheint ebenfalls tot zu sein, Herr. Ich schwöre, dass er noch lebte, als ich ihn fesselte, denn er verfluchte mich auf Zwergisch.«

»Du hast ihn doch nicht so hart geschlagen, dass er…«, begann Mumm, sprach den Satz aber nicht zu Ende. Wenn es Willikins darum gegangen wäre, den Zwerg zu töten, hätte er ihn nicht gefesselt. Es musste eine echte Überraschung gewesen sein, in einen Keller einzubrechen und dort jemandem wie Willikins zu begegnen. Und überhaupt, zum Teufel mit ihnen.

»Er… ist einfach gestorben?«, fragte Mumm.

»Ja, Herr. Haben Zwerge normalerweise grünen Speichelfluss?«

»Was?«

»Sein Mund ist grün verschmiert, Herr. Das könnte ein Hinweis sein, meiner Meinung nach.«

»Na schön, leg ihn ebenfalls aufs Dach der Kutsche. Lasst uns jetzt aufbrechen.«

Mumm musste darauf bestehen, dass Sybil im Innern der Kutsche Platz nahm. Für gewöhnlich setzte sie ihren Willen durch, und Mumm gab sich damit zufrieden, ihn ihr zu lassen, aber die stillschweigende Übereinkunft lautete: Wenn er wirklich darauf bestand, fügte sie sich ihm. Es war eine Verheiratetes-Paar-Sache.

Mumm saß neben Willikins auf dem Kutschbock und veranlasste ihn, auf halbem Wege den Hügel hinunter anzuhalten. Dort verkaufte jemand die druckfrische Abendausgabe der Times.

Das Bild auf der Titelseite zeigte eine Schar Zwerge. Sie zogen eine der großen runden Metalltüren der Mine auf, die schief in den Angeln hing. In der Mitte der Gruppe, die Hände um den Rand der Tür geschlossen und mit deutlich hervortretenden Muskeln, war Hauptmann Karotte zu sehen. Sein nackter Oberkörper glänzte.

Mumm brummte zufrieden, faltete die Zeitung zusammen und zündete sich einen Zigarrenstumpen an. Seine Beine zitterten kaum mehr, und das Feuer, das so schrecklich in ihm gelodert hatte, war mit Asche bedeckt, unter der es aber immer noch glühte.

»Nichts geht über die freie Presse, Willikins« sagte er.

»Du musst es wissen, Herr«, erwiderte Willikins. »Immerhin hast du oft genug versucht, über sie hinwegzugehen.«

 

 

Die Entität glitt durch die regennassen Straßen. Schon wieder Verwirrung! Sie kam durch, sie wusste es! Man hörte sie! Doch wenn sie versuchte, den Worten zu folgen, wurde sie jedes Mal zurückgeworfen. Gitter hatten ihren Weg versperrt; offene Türen hatten sich geschlossen, als sie näher gekommen war. Und was war dies? Eine Art niederer Soldat! Inzwischen hätten Berserker ihre Schilde entzweibeißen sollen!

Doch das war nicht das Hauptproblem. Die Entität wurde beobachtet. Und das geschah zum ersten Mal.

 

 

Vor dem Wachhaus hatten sich viele Zwerge eingefunden. Sie sahen nicht streitlustig aus. Besser gesagt: Sie sahen nicht streitlustiger aus als Leute, die der Tradition gehorchend einen großen Helm, Kettenhemd und eiserne Stiefel tragen sowie immer zumindest mit einer Streitaxt bewaffnet sind. Sie wirkten verloren, desorientiert und verunsichert, schienen gar nicht zu wissen, warum sie sich an diesem Ort aufhielten.

Mumm wies Willikins an, durch den Torbogen für Kutschen zu fahren und Igor die Leichen der Angreifer zu bringen. Igor wusste Bescheid über Leute, die mit grünem Mund starben.

Sybil, Fräulein Reinlich und der kleine Sam wurden in ein sauberes Büro gebracht. Interessant, dachte Mumm, als er beobachtete, wie sich Grinsi und einige Zwergenwächter um das Kind kümmerten: Selbst jetzt – eigentlich sogar gerade jetzt, da die allgemeine Anspannung alle zu alten Gewissheiten zurückkehren ließ – war er nicht sicher, wie viele Zwerge in der Wache weiblichen Geschlechts waren. Eine Zwergin brauchte Mut, um ihre Weiblichkeit zu zeigen, denn sie gehörte zu einer Gesellschaft, in der sie sich durch ein anständiges, bodenlanges Kleid aus Leder und Kettenhemd auf der Karte der Moral eine Position hinter der von Bronzaleh und ihren hart arbeitenden Kolleginnen des Rosaroten Kätzchenklubs sicherte. Aber wenn man ein glucksendes Kleinkind in ein Zimmer brachte, erkannte man sie sofort, trotz klirrender Waffen und Bärte, in denen sich eine Ratte verirren konnte.

Karotte bahnte sich einen Weg durch die Menge und salutierte. »Es ist viel geschehen, Herr!«

»Ach, tatsächlich?«, erwiderte Mumm mit irrer Munterkeit.

»Jaherr. Alle waren sehr… zornig, als wir die toten Zwerge aus der Mine holten, und im Großen und Ganzen war das Öffnen der großen Tür in der Sirupstraße eine recht populäre Aktion. Alle Tiefener sind verschwunden, bis auf…«

»Helmgescheit ist geblieben«, sagte Mumm auf dem Weg zu seinem Büro.

Karotte sah ihn überrascht an. »Das stimmt, Herr. Er sitzt in einer Zelle. Du solltest ihn dir ansehen, wenn du Zeit findest. Er weinte und stöhnte und zitterte in einer Ecke, umgeben von angezündeten Kerzen.«

»Noch mehr Kerzen? Er fürchtet sich wohl vor dem Dunkeln«, bemerkte Mumm.

»Könnte sein, Herr. Igor meint, das Problem stecke in seinem Kopf.«

»Igor soll bloß nicht versuchen, ihm einen neuen zu geben!«, sagte Mumm schnell. »Ich gehe so bald wie möglich hinunter.«

»Ich habe versucht, mit Helmgescheit zu reden, aber er starrt nur ins Leere, Herr. Woher wusstest du, dass er derjenige war, den wir gefunden haben?«

»Ich habe einige Randstücke und andere Teile, die recht interessant aussehen«, sagte Mumm und nahm an seinem Schreibtisch Platz. Als Karotte einen verwirrten Blick auf ihn richtete, fuhr er fort: »Ich meine das Puzzle, Hauptmann. Aber es gibt viele Teile vom Himmel. Dennoch glaube ich, Fortschritte zu machen, denn ich habe jetzt eine Ecke. Was spricht im Boden?«

»Herr?«

»Weißt du, dass die Zwerge dort unten nach etwas gelauscht haben? Du hast dich gefragt, ob jemand eingeschlossen war. Aber gibt es etwas… ich weiß nicht… etwas von Zwergen Gemachtes, das spricht?«

Karotte runzelte die Stirn. »Du meinst doch nicht etwa einen Würfel, Herr?«

»Ich weiß nicht. Meine ich das? Erzähl mir davon!«

»Die Tiefener haben einige in ihrer Mine, Herr, aber ich bin sicher, hier ist keiner vergraben. Normalerweise findet man sie in hartem Felsgestein. Und man würde nicht nach ihnen lauschen. Ich habe noch nie davon gehört, dass sie sprechen, wenn man sie findet. Manche Zwerge haben Jahre damit verbracht, zu lernen, nur einen von ihnen zu benutzen!«

»Ausgezeichnet! Aber was ist ein Würfel?«, fragte Mumm und blickte in seinen Eingangskorb. Gut. Er enthielt keine Mitteilungen von A. E. Pessimal.

»Ein Würfel ist, äh… wie ein Buch, Herr. Ein Buch, das spricht. Man könnte ihn mit deinem Stachelbeer-Modell vergleichen, glaube ich. Die meisten von ihnen enthalten Interpretationen des überlieferten Zwergenwissens von alten Gesetzesmeistern. Es ist sehr alte… Magie, nehme ich an.«

»Das nimmst du an?«, fragte Mumm.

»Nun, technomantische Apparate sehen wie Dinge aus, die konstruiert sind, weißt du…«

»Da komme ich nicht ganz mit, Hauptmann. Was meinst du mit ›Apparate‹, und warum hast du das Wort kursiv gesprochen?«

»Würfel sind eine Art Apparat, Herr. Niemand weiß, wer sie gemacht hat und welchem ursprünglichen Zweck sie dienten. Vielleicht sind sie älter als die Welt. Man hat sie in Vulkanen und dem tiefsten Gestein gefunden. Die Tiefener haben die meisten von ihnen. Es gibt verschiedene Arten…«

»Moment. Du meinst, wenn die Würfel ausgegraben werden, ertönen Millionen Jahre alte Zwergenstimmen? Aber die Geschichte der Zwerge reicht doch nicht so weit zurück.«

»Nein, Herr. Die Stimmen sind erst später in die Würfel hineingesprochen worden. Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, wenn man sie findet, enthalten sie nur natürliche Geräusche, wie das Rauschen von fließendem Wasser, Vogelgezwitscher und das Knirschen von sich bewegenden Felsen, solche Dinge. Die Grags finden heraus, wie man diese Geräusche entfernt, um Platz für Worte zu schaffen. Ich habe von einem gehört, der die Geräusche eines Waldes enthielt. Zehn Jahre von Geräuschen, in einem Würfel mit einem Durchmesser von weniger als fünf Zentimetern.«

»Und sind diese Dinger wertvoll?«

»Unglaublich wertvoll, insbesondere die Würfel. Sie sind es wert, dass man durch einen Berg aus Granit gräbt, wie es bei uns heißt… In diesem Fall meine ich mit ›uns‹ die Zwerge und nicht uns Polizisten, Herr.«

»Es wäre also die Mühe wert, durch einige tausend Tonnen Ankh-Morpork-Schlamm zu buddeln?«

»Für einen Würfel? Ja! Geht es darum? Aber wie sollte ein Würfel hierher gekommen sein? Der durchschnittliche Zwerg bekommt in seinem ganzen Leben nie einen zu Gesicht. Nur Grags und große Oberhäupter benutzen sie! Und warum sollte er sprechen? Würfel mit Zwergenstimmen sprechen nur, wenn man ein Schlüsselwort nennt!«

»Keine Ahnung. Wie sehen sie aus? Abgesehen von ihrer Würfelform, meine ich.«

»Ich habe nur einige wenige gesehen, Herr. Ihre Kantenlänge beträgt bis zu fünfzehn Zentimeter. Sie sehen wie alte Bronze aus und glänzen.«

»Grün und blau?«, fragte Mumm scharf.

»Ja, Herr! Es gab einige in der Sirupstraßenmine.«

»Ich glaube, ich habe sie gesehen«, sagte Mumm. »Und ich glaube, die Zwerge haben noch einen mehr. Stimmen aus der Vergangenheit? Wie kommt es, dass ich bisher nichts davon gehört habe?«

Karotte zögerte. »Du bist ein viel beschäftigter Mann, Herr. Du kannst nicht alles wissen.«

Mumm entdeckte in diesen Worten eine Spur von einem klitzekleinen bisschen Tadel.

»Soll das heißen, dass ich ein Mann mit beschränktem Horizont bin, Hauptmann?«

»O nein, Herr. Du bist an allen Aspekten der Polizeiarbeit und Kriminologie interessiert.«

Manchmal war es unmöglich, Karottes Gesichtsausdruck zu deuten. Mumm versuchte es nicht einmal.

»Es fehlt etwas«, sagte er. »Aber bei dieser Sache geht es ums Koomtal. Das weiß ich. Was ist das Geheimnis vom Koomtal?«

»Da fragst du mich zu viel, Herr. Ich glaube, es gibt gar kein Geheimnis. Vielleicht besteht das große Geheimnis darin, welche Seite zuerst angriff. Du weißt ja, dass beide Seiten behaupten, in einen Hinterhalt geraten zu sein.«

»Klingt das sehr interessant für dich?«, fragte Mumm. »Würde es eine so große Rolle spielen?«

»Wer alles begann? Das will ich meinen, Herr!«, sagte Karotte.

»Aber ich dachte, Trolle und Zwerge kämpfen seit Anbeginn der Zeit gegeneinander!«

»Ja. Aber die erste offizielle Schlacht fand im Koomtal statt, Herr.«

»Wer hat gewonnen?«, fragte Mumm.

»Herr?«

»Das ist doch keine schwierige Frage. Wer hat die erste Schlacht des Koomtals gewonnen?«

»Ich glaube, man könnte sagen, dass sie verregnet endete, Herr«, sagte Karotte.

»Sie hörten wegen ein bisschen Regen auf zu kämpfen?«

»Wegen ziemlich viel Regen, Herr. Es gab ein heftiges Gewitter in den Bergen. Die Folge waren plötzliche Überschwemmungen. Gewaltige Wassermassen rissen Felsen mit sich. Die Kämpfenden wurden von den Beinen gerissen und fortgespült, andere von Blitzen getroffen…«

»Und damit war der ganze Tag ruiniert«, sagte Mumm. »Na schön, Hauptmann, gibt es irgendeinen Hinweis darauf, wohin die Mistkerle verschwunden sind?«

»Sie hatten einen Fluchttunnel…«

»Kann ich mir denken!«

»… und ließen ihn hinter sich einstürzen. Ich habe Männer beauftragt zu graben…«

»Sie sollen damit aufhören. Die Tiefener könnten sich irgendwo in einem sicheren Unterschlupf verkrochen oder die Stadt mit einem Karren verlassen haben. Denkbar wäre sogar, dass sie Helm und Kettenhemd tragen und sich als Stadtzwerge ausgeben. Genug davon. Unsere Leute sind müde und sollen sich ausruhen. Ich glaube, wir finden die Tiefener auch so.«

»Ja, Herr. Die Grags haben sich so überstürzt auf den Weg gemacht, dass einige andere Apparate zurückgeblieben sind. Ich habe sie für die Stadt beschlagnahmt. Sie müssen große Angst gehabt haben, nahmen die Würfel und flohen. Ist alles in Ordnung mit dir, Herr? Du machst einen etwas gehetzten Eindruck.«

»Eigentlich fühle ich mich unerklärlich heiter. Möchtest du wissen, wie mein Tag war?«

 

 

Die Duschen im Wachhaus waren Stadtgespräch. Mumm hatte sie aus eigener Tasche bezahlt, nach einem sehr kritischen Kommentar Vetinaris über die Kosten. Sie waren etwas primitiv und eigentlich nicht mehr als Gießkannenköpfe, verbunden mit zwei Wassertanks im nächsten Stock, doch nach einer Nacht in Ankh-Morporks Unterwelt war die Vorstellung von Sauberkeit sehr verlockend. Trotzdem zögerte Angua.

»Dies ist wunderbar«, sagte Sally und drehte sich langsam im herabströmenden Wasser. »Was ist los?«

»Ich versuche, damit fertig zu werden, klar?«, schnappte Angua, die am Rand des Duschbereichs stand. »Es ist Vollmond, klar? Der Wolf ist ziemlich stark.«

Sally unterbrach ihr Schrubben. »Oh, ich verstehe«, sagte sie. »Es ist die Sache mit dem B.A.D.«

»Das konntest du dir wohl nicht verkneifen?«, erwiderte Angua und zwang sich, auf die Fliesen zu treten.

»Was machst du normalerweise?«, fragte Sally und reichte ihr die Seife.

»Ich nehme kaltes Wasser, und ich tue so, als wäre es Regen. Wag bloß nicht zu lachen! Themawechsel, jetzt sofort!«

»Na schön«, sagte Sally. »Was hältst du von Nobbys Freundin?«

»Bronzaleh? Freundlich. Attraktiv…«

»Wie wär’s mit perfekter physischer Schönheit? Erstaunliche Proportionen? Eine wandelnde Statue?«

»Nun… ja, was in der Art«, räumte Angua ein.

»Und das alles ist Nobby Nobbs Freundin

»Sie scheint das zu glauben.«

»Du willst mir doch nicht sagen, dass sie Nobby verdient?«, fragte Sally.

»Selbst Wilma Schubwagen verdient Nobby nicht, und sie schielt stark, hat Arme wie ein Stauer und verdient sich ihren Lebensunterhalt mit dem Kochen von Schalentieren«, sagte Angua. »So stehen die Dinge.«

»Ist sie seine alte Freundin?«

»Er stellte sie so dar. Soweit ich weiß, bestand die körperliche Seite ihrer Beziehung darin, dass sie mit einem feuchten Fisch nach ihm schlug, wenn er ihr zu nahe kam.«

Angua presste den Rest Schleim aus ihrem Haar. Das Zeug wurde man nur schwer los. Ein Teil davon wehrte sich dagegen, durch den Abfluss gespült zu werden.

Das reichte. Sie mochte es nicht, zu viel Zeit unter der D.U.S.C.H.E. zu verbringen. Fünf oder sechs weitere Male, dann war der Geruch vielleicht weg. Das Wichtige war jetzt, ein Handtuch zu benutzen und sich nicht trocken zu schütteln.

»Du glaubst, ich bin nach unten gegangen, um Hauptmann Karotte zu beeindrucken, nicht wahr?«, fragte Sally hinter ihr.

Angua hielt inne, den Kopf im Handtuch. Na schön, früher oder später musste es dazu kommen…

»Nein«, antwortete sie.

»Dein Herzschlag sagt etwas anderes«, erwiderte Sally ruhig. »Sei unbesorgt. Ich hätte keine Chance. Sein Herz schlägt jedes Mal schneller, wenn er dich sieht, und bei dir setzt der Herzschlag kurz aus, wenn du ihn siehst.«

Also gut, es ist soweit, sagte der Wolf, der nie weit entfernt war. Jetzt klären wir die Sache, Krallen gegen Reißzähne… Nein! Hör nicht auf den Wolf! Aber es wäre nicht schlecht, wenn diese dumme Göre damit aufhören würde, auf die Fledermaus zu hören…

»Lass die Herzen der Leute in Ruhe«, knurrte Angua.

»Das kann ich nicht. Bist du etwa imstande, einfach so deine Nase auszuschalten? Na?«

Der Moment des Wolfes war verstrichen. Angua entspannte sich ein wenig. Sein Herz schlug also schneller.

»Nein«, sagte sie. »Das bin ich nicht.«

»Hat er dich jemals ohne Uniform gesehen?«

Bei den Göttern, dachte Angua und ging zu ihren Sachen.

»Äh… natürlich…«, murmelte sie.

»Ich meine, hat er dich jemals in anderen Klamotten gesehen, zum Beispiel in einem Kleid?«, fuhr Sally fort. »Komm schon. Jeder Polizist verbringt etwas Zeit außerhalb seiner Uniform. So weiß man, dass man nicht im Dienst ist.«

»Wir sind praktisch rund um die Uhr im Dienst«, erwiderte Angua. »Es gibt immer…«

»Du meinst, für ihn ist das so, weil es ihm so gefällt, und deshalb bist du mit dabei?«, fragte die Vampirin, und dem hatte Angua kaum etwas entgegenzusetzen.

»Es ist mein Leben! Warum sollte ich auf den Rat eines Vampirs hören?«

»Weil du ein Werwolf bist! Nur ein Vampir kann es wagen, dir einen Rat zu geben. Du musst nicht immer bei Fuß gehen.«

»Darüber haben wir doch schon gesprochen. Es ist eine Werwolfsache. Wir sind, was wir sind!«

»Ich nicht. Man bekommt das schwarze Band nicht nur für die Unterschrift unter einem Gelübde. Und es bedeutet nicht, dass man das Verlangen nach Blut verliert. Man gibt ihm nur nicht nach. Du kannst nachts wenigstens losziehen und Hühner jagen.«

Es folgte eisige Stille. Nach einigen Sekunden sagte Angua: »Du weißt von den Hühnern?«

»Ja.«

»Ich bezahle für sie.«

»Da bin ich sicher.«

»Und ich bin nicht jede Nacht unterwegs.«

»Bestimmt nicht. Weißt du, dass es dort draußen Leute gibt, die einem Vampir gern beim Essen Gesellschaft leisten würden? Vorausgesetzt, dass alles stilvoll ist? Und wir gelten als seltsam.« Sally schniefte. »Übrigens, womit hast du dein Haar gewaschen?«

»Mit ›Braves Mädchen!‹, einem Flohshampoo der Willard-Brüder«, sagte Angua. »Es lässt das Haar glänzen«, verteidigte sie sich. »Hör mal, ich möchte dies klarstellen: Nur weil wir stundenlang unter der Stadt umhergewatet sind und weil wir uns ein- oder zweimal gegenseitig das Leben gerettet haben… bedeutet das noch lange nicht, dass wir Freundinnen sind! Wir waren nur zufällig… zur gleichen Zeit am gleichen Ort!«

»Du solltest dir ein wenig freie Zeit nehmen«, sagte Sally. »Ich wollte Bronzaleh einen Drink spendieren, um ihr zu danken, und Grinsi möchte mitkommen. Wie wär’s? Wir waren lange genug im Dienst. Zeit für ein bisschen Spaß!«

Angua rang mit einem brodelnden Schlangennest aus Gefühlen. Bronzaleh war recht nett gewesen und weitaus hilfreicher, als man von einer Person erwarten konnte, die fünfzehn Zentimeter hohe Absätze und etwa zwanzig Quadratzentimeter Kleidung trug.

»Komm schon«, drängte Sally sanft. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber bei mir ist einige Mühe nötig, um den Geschmack von Schlamm im Mund loszuwerden.«

»Na schön! Aber dies bedeutet nicht, dass wir irgendwelche Verpflichtungen eingehen.«

»Gut. Gut.«

»Ich lasse mir keine Zwänge auferlegen«, sagte Angua.

»Ja, ja«, erwiderte Sally. »Das sehe ich.«

 

 

Mumm saß am Schreibtisch und starrte auf sein Notizbuch. Er hatte »sprechender Würfel« geschrieben und einen Kreis darum gemalt.

Geistesabwesend hörte er von unten die Geräusche der Wache: das rege Treiben auf dem Hof der alten Limonadenfabrik, wo sich erneut die Hilfspolizisten versammelten, nur für den Fall; das Rasseln des Gefangenenwagens; das durch den Boden dringende Stimmengemurmel…

Nach einigem Nachdenken schrieb Mumm »alter Brunnen« und versah auch diese beiden Wörter mit einem Kreis.

Zusammen mit all den anderen Kindern hatte er in den Gärten der Erfahrungssichel Pflaumen stibitzt. Die Hälfte der Wohnungen stand leer, und niemand scherte sich viel darum. Ja, es hatte einen Brunnen gegeben, aber schon damals war er voller Müll gewesen. Gras wuchs darüber. Sie hatten die Ziegel nur gefunden, weil sie danach gesucht hatten.

Angenommen, ganz unten hatte etwas gelegen, dort, wo die Zwerge auf der Suche gewesen waren. Angenommen, jemand hatte es vor fünfzig oder sechzig Jahren in den Brunnen geworfen…

Noch vor vierzig Jahren hatte man keine Zwerge in Ankh-Morpork gesehen, und sie waren nicht annähernd reich oder mächtig genug gewesen, um einen Würfel zu besitzen. Als einfache Arbeiter hatten sie – vielleicht – nach einem besseren Leben gesucht. Also welcher Mensch würde einen sprechenden Würfel wegwerfen, der einen Berg Gold wert war? Dazu musste man vollkommen verrückt sein…

Mumm saß steif da und starrte auf die geschriebenen Wörter. In der Ferne rief Detritus jemandem einen Befehl zu.

Er kam sich vor wie jemand, der einen Fluss auf Trittsteinen überquerte. Er hatte fast die Hälfte hinter sich, aber der nächste Stein war weiter entfernt, und er konnte ihn nicht ohne eine gewisse Belastung der Leistengegend erreichen. Doch sein Fuß schwebte bereits in der Luft, und wenn er nicht auf den nächsten Stein trat, mit allen Konsequenzen, erwartete ihn das Wasser…

Er schrieb: »Schlingel«. Anschließend umgab er das Wort mit mehreren Kreisen, wobei sich der Stift in das billige Papier bohrte.

Schlingel musste im Koomtal gewesen sein. Angenommen, er findet dort einen Würfel, wer weiß, wie. Liegt er einfach da? Wie dem auch sei, er nimmt ihn mit nach Hause, malt das Bild und wird verrückt. Und irgendwann beginnt der Würfel, zu ihm zu sprechen.

Mumm schrieb: »BESONDERES WORT?«. Er zog mit solchem Nachdruck einen Kreis darum, dass der Stift abbrach.

Vielleicht konnte er nicht das richtige Wort für »Sei endlich still« finden und warf das Ding in einen Brunnen…

Mumm versuchte, »Hat Schlingel jemals in der Erfahrungssichel gewohnt?« zu schreiben, gab es dann auf und merkte sich die Frage.

Und dann stirbt er, und nachher wird dieses verdammte Buch geschrieben. Es verkauft sich nicht besonders gut, aber vor kurzer Zeit kommt eine Neuauflage heraus, und… ah, jetzt gibt es viele Zwerge in der Stadt. Es gab hier nur einige wenige, als ich ein Kind war. Einige von ihnen lesen das Buch, und etwas teilt ihnen mit, dass der Würfel das Geheimnis enthält. Sie stellen fest, wo er sich befindet. Wie? Verdammt. Heißt es in dem Buch nicht, dass das Geheimnis des Koomtals im Gemälde steckt? Na schön. Vielleicht hat Schlingel irgendeinen… Code in das Bild gemalt, um darauf hinzuweisen, wo der Würfel liegt. Aber was sprach das Ding so Schreckliches, dass die armen Teufel umgebracht wurden, die es hörten?

Ich glaube, ich betrachte dies aus dem falschen Blickwinkel.

Es ist nicht meine Kuh. Es ist ein Schaf mit einer Heugabel, und unglücklicherweise macht es »Quak!«.

Mumm wusste, dass er durcheinander kam und die Orientierung verlor, aber er hatte den Fuß auf dem anderen Trittstein und gewann den Eindruck, ein Stück weiter gekommen zu sein. Aber in welche Richtung?

Was würde wirklich geschehen, wenn es einen Beweis dafür gäbe, dass die, sagen wir, Zwerge den Trollen auflauerten? Nichts, was nicht ohnehin schon geschähe. Man kann immer einen Vorwand finden, den die eigene Seite akzeptiert, und wen kümmert’s, was der Feind denkt? In der realen Welt dort draußen würde es keinen Unterschied machen.

An der Tür erklang ein leises Klopfen jener Art, von der man insgeheim hofft, dass es niemand hört. Mumm sprang auf und öffnete.

A. E. Pessimal stand da.

»Ah, A. E.«, sagte Mumm, kehrte zum Schreibtisch zurück und legte den Stift beiseite. »Komm herein. Was kann ich für dich tun? Was macht der Arm?«

»Äh… könntest du einen Moment deiner Zeit für mich erübrigen, Euer Gnaden?«

Euer Gnaden, dachte Mumm. Diesmal brachte er es nicht übers Herz, Einwände dagegen zu erheben.

Er setzte sich wieder. A. E. Pessimal trug noch immer das Kettenhemd mit der Dienstmarke der Hilfspolizei. Er glänzte nicht sehr. Ziegels Hieb hatte ihn wie eine Kugel über den ganzen Platz rollen lassen.

»Äh…«, begann A. E. Pessimal.

»Du musst als Obergefreiter beginnen, aber ein Mann mit deinen Talenten sollte es innerhalb eines Jahrs zum Feldwebel bringen. Und du kannst dein eigenes Büro haben«, sagte Mumm.

A. E. Pessimal schloss die Augen. »Woher wusstest du das?«, hauchte er.

»Du hast einen betrunkenen Troll mit den Zähnen angegriffen«, sagte Mumm. »Das ist ein für die Dienstmarke geborener Mann, dachte ich. Du hast es dir immer gewünscht, nicht wahr? Aber du warst immer zu klein, zu schwach und zu schüchtern, um Wächter zu werden. Große und Starke kriege ich überall. Derzeit brauche ich einen Mann, der einen Stift halten kann, ohne ihn zu zerbrechen. Du wirst mein Adjutant sein und dich um meinen Papierkram kümmern«, fuhr Mumm fort. »Du wirst die Berichte lesen und feststellen, was wichtig ist. Und damit du lernst, was wichtig ist, gehst du mindestens zweimal die Woche auf Streife.«

Eine Träne rollte über A. E. Pessimals Wange. »Danke, Euer Gnaden«, sagte er heiser.

Wenn A. E. Pessimal genug Brust zum Anschwellen gehabt hätte, so wäre sie jetzt angeschwollen.

»Natürlich musst du zuerst deinen Bericht über die Wache fertig stellen«, fuhr Mumm fort. »Das ist eine Sache zwischen dir und Seiner Lordschaft. Und wenn du mich jetzt entschuldigen würdest… Ich muss meine Arbeit fortsetzen. Ich freue mich schon darauf, dich im Dienst der Wache zu sehen, Obergefreiter Pessimal.«

»Danke, Euer Gnaden!«

»Oh, und du wirst mich nicht ›Euer Gnaden‹ nennen«, sagte Mumm. Er überlegte kurz und entschied dann, dass A. E. Pessimal sich dies schon mit seinem ersten Einsatz verdient hatte. »›Herr Mumm‹ genügt.«

Und so machen wir Fortschritte, dachte er, nachdem A. E. Pessimal weggeschwebt war. Und Seiner Lordschaft wird es nicht gefallen. Soweit ich das erkennen kann, gibt es keine Kehrseite. Quis custodiet ipsos custodes, äh, qui custodes custodient? War das richtig für »Wer bewacht den Wächter, der die Wächter bewacht«? Wahrscheinlich nicht. Wie dem auch sei… du bist am Zug, Herr.

Er brütete wieder über seinem Notizbuch, als sich die Tür ohne vorheriges Klopfen öffnete.

Sybil kam mit einem Teller herein.

»Du isst nicht genug, Sam«, verkündete sie. »Und die hiesige Kantine ist schrecklich. Überall Schmalz und dicker Brei!«

»Das mögen die Männer, fürchte ich«, sagte Mumm schuldbewusst.

»Ich habe zumindest den Teekessel sauber gemacht«, fuhr Sybil zufrieden fort.

»Du hast den Teekessel sauber gemacht?«, fragte Mumm dumpf. Genauso gut hätte jemand sagen können, dass er die Patina von einem alten Kunstwerk gewischt hatte.

»Ja, der Belag darin war wie Teer. Die Vorratskammer enthielt kaum geeignete Lebensmittel, aber es ist mir gelungen, dir ein Sandwich mit Schinken, Salat und Tomaten zu machen.«

»Danke, Schatz.« Mumm hob eine Ecke des Brots mit dem zerbrochenen Stift an. Das Sandwich schien zu viel Salat zu beinhalten, was so viel bedeutete wie: Es enthielt Salat.

»Es sind ziemlich viele Zwerge gekommen, die dich sprechen möchten, Sam«, sagte Sybil, als ließe ihr dies keine Ruhe.

Mumm stand so schnell auf, dass der Stuhl umfiel. »Ist mit dem kleinen Sam alles in Ordnung?«, fragte er.

»Ja, Sam. Es sind Stadtzwerge. Du kennst sie alle, denke ich. Sie meinten, sie wollten mit dir über…«

Aber Mumm war bereits auf dem Weg die Treppe hinunter und zog sein Schwert.

Die Zwerge drängten sich nervös am Schreibtisch des wachhabenden Polizisten zusammen. Die Menge an Metall, gepflegten Bärten und Körperumfang wies darauf hin, dass es sich um Zwerge handelte, denen es gut ging. Besser gesagt: denen es bis vor kurzem gut gegangen war.

Mumm erschien wie ein Wirbelwind des Zorns vor ihnen.

Ihr Abschaum, ihr Ratten und Würmer fressender Dreck! Ihr Kriecher im Dunkeln! Was hat euch in meine Stadt gebracht? Was habt ihr nur gedacht? Wolltet ihr die Tiefener hier haben? Habt ihr über das nachgedacht, was Schinkenbrecher gesagt hat, über all die Gehässigkeit und die alten Lügen? Oder habt ihr gesagt: »Nun, ich teile seine Meinung nicht, aber ganz Unrecht hat er nicht«? Habt ihr gesagt: »Oh, da geht er ein wenig zu weit, aber es wurde Zeit, dass es jemand beim Namen nennt«? Und seid ihr gekommen, um mit den Händen zu ringen und zu sagen, wie beklagenswert alles ist und dass ihr nichts damit zu tun habt? Wer waren dann die Zwerge auf dem Hiergibtsalles-Platz? Seid ihr nicht führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens? Habt ihr sie geführt? Und warum seid ihr jetzt hier, ihr hässlichen, greinenden Gräber? Ist es möglich, ist es wirklich möglich, dass ihr nachdem die Leibwächter dieses Mistkerls versucht haben, meine Familie umzubringen gekommen seid, um euch zu beschweren? Habe ich gegen irgendeinen Kodex verstoßen, bin ich vielleicht auf irgendwelche uralten Hühneraugen getreten? Zum Teufel damit. Zum Teufel mit euch.

Mumm spürte, wie die Worte sich anstrengten, ausgesprochen zu werden. Die Mühe, sie zurückzuhalten, füllte seinen Magen mit Säure und ließ es in seinen Schläfen pochen. Nur ein Jammern, dachte er. Nur ein wichtigtuerisches Stöhnen. Na los.

»Nun?«, fragte er.

Die Zwerge waren zurückgewichen. Mumm fragte sich, ob sie seine Gedanken gelesen hatten; in seinem Kopf waren sie laut genug gewesen.

Ein Zwerg räusperte sich. »Kommandeur Mumm…«, begann er.

»Du bist Pors Starkimarm, nicht wahr?«, fragte Mumm. »Die eine Hälfte von Burlich-und-Starkimarm? Ihr stellt Armbrüste her.«

»Ja, Kommandeur, und…«

»Legt eure Waffen ab! Alle Waffen! Ihr alle!«

Es wurde still im Raum. Aus dem Augenwinkel sah Mumm, wie sich zwei Zwergenwächter erhoben, die bisher so getan hatten, als wären sie ganz auf ihre Schreibarbeit konzentriert.

Ein Teil von ihm wusste, dass er gefährlich dumm war, aber derzeit wünschte er sich, einen Zwerg zu verletzen, und mit Stahl durfte er das nicht. Die meisten Waffen, die sie trugen, dienten allein der Schau, aber ein Zwerg zog eher die Hose aus, als dass er seine Axt ablegte. Und dies waren hoch gestellte Stadtzwerge, die Sitze in den Gilden innehatten und so weiter. Bei den Göttern, er ging wirklich zu weit.

»Na schön, behaltet eure Streitäxte«, brummte Mumm. »Alles andere lasst ihr beim Schreibtisch zurück. Ihr bekommt eine Quittung.«

Für einen Moment, für einen ziemlich langen Moment, dachte, nein, hoffte er, dass sie sich weigerten. Aber einer aus der Gruppe sagte: »Ich glaube, wir sind es dem Kommandeur schuldig. Dies sind schwere Zeiten. Wir müssen lernen, uns ihnen anzupassen.«

Mumm ging nach oben zu seinem Büro und hörte unten das Rasseln und Klappern. Er ließ sich so auf seinen Stuhl fallen, dass er bis an die Wand rollte. Das mit der Quittung war gemein. Er freute sich darüber.

Auf seinem Schreibtisch, auf einem kleinen Ständer, den Sybil für ihn angefertigt hatte, stand der offizielle Dienststock. Er war genauso groß wie der Schlagstock eines Polizisten, bestand aber aus Rosenholz und Silber anstatt aus Pockholz oder Eiche. Trotzdem hatte er genug Gewicht, um die Worte

 

BESCHÜTZER DES TEILS DES KÖNIGS

 

rückwärts buchstabiert vorn an einem Zwergenkopf zu hinterlassen.

Die Zwerge kamen herein und wirkten etwas weniger schwer.

Nur ein Wort, dachte Mumm, als die Säure kochte. Ein verdammtes Wort. Na los. Nur ein falscher Atemzug.

»Nun, was kann ich für euch tun?«, fragte er.

»Äh, bestimmt kennst du uns alle«, begann Pors und versuchte zu lächeln.

»Wahrscheinlich. Der Zwerg neben dir ist Schnapptopf Donnerstoß und bietet seit kurzer Zeit ein neues Sortiment an Parfümen und Kosmetika namens ›Damengeheimnisse‹ an. Meine Frau benutzt den Kram die ganze Zeit über.«

Donnerstoß – gekleidet in das traditionelle Kettenhemd, auf dem Kopf ein Helm mit drei Hörnern und auf dem Rücken eine riesige Axt – nickte verlegen. Mumms Blick wanderte weiter. »Und du bist Setha Eisenkruste, Inhaber der Bäckereikette gleichen Namens, und du bist zweifellos Gimlet Gimlet, Inhaber der berühmten Feinkostbude und des kürzlich eröffneten ›Haiho-Ratte!‹ in der Bodenbienenstraße.« Mumm sah sich im Büro um und musterte einen Zwerg nach dem anderen. Schließlich kehrte sein Blick nach vorn zurück und richtete sich auf einen nach Zwergenmaßstäben recht schlicht gekleideten Zwerg, der ihn aufmerksam beobachtete. Mumm hatte ein gutes Gedächtnis für Gesichter und erinnerte sich daran, diesen Zwerg vor nicht langer Zeit schon einmal gesehen zu haben. Aber er wusste nicht mehr, wo, vielleicht irgendwo hinter einem gut geworfenen Ziegel…

»Ich glaube, dich kenne ich nicht«, sagte er.

»Oh, wir sind uns nicht in dem Sinne vorgestellt worden, Kommandeur«, sagte der Zwerg freundlich. »Aber ich bin sehr an der Theorie von Spielen interessiert.«

… oder in Herrn Scheins Klonkakademie?, dachte Mumm. Die Stimme klang wie diejenige, die unten diplomatische Hilfe geleistet hatte. Er trug einen einfachen runden Helm, ein schlichtes Lederhemd mit einem Minimum an Metallbesatz, und sein Bart war gestutzt und sah nicht, wie bei vielen anderen Zwergen, wie ein Stechginsterbusch aus. Im Vergleich mit seinen Artgenossen wirkte dieser Zwerg… modern. Ihm fehlte sogar die Axt.

»Ach?«, erwiderte Mumm. »Nun, ich spiele keine Spiele. Wie lautet dein Name?«

»Scheu Scheusohn, Kommandeur. Grag Scheusohn.«

Mumm nahm den Schlagstock und drehte ihn zwischen seinen Fingern.

»Und du bist nicht unten in der Tiefe?«

»Einige von uns gehen mit der Zeit, Herr. Einige von uns glauben, dass Dunkelheit nicht Tiefe bedeutet, sondern eine Geisteshaltung ist.«

»Wie nett von dir«, sagte Mumm. Jetzt sind wir freundlich und fortschrittlich? Wo bist du gestern gewesen? Aber jetzt habe ich alle Asse! Diese Mistkerle haben vier Stadtzwerge ermordet! Sie brachen bei mir ein und versuchten, meine Frau zu töten! Und jetzt haben sie sich aus dem Staub gemacht! Wo auch immer sie sind, die Dunkelheit kann gar nicht finster genug für sie sein. Ich werde sie finden!

Er legte den Schlagstock wieder auf den Ständer. »Wie ich schon sagte: Was kann ich für euch tun… meine Herren?«

Er spürte, wie sich alle, körperlich und geistig, Scheusohn zuwandten. Ich verstehe, dachte er. Offenbar haben wir hier ein Dutzend Affen und einen Leierkastenmann.

»Wie können wir dir helfen, Kommandeur?«, fragte der Grag.

Mumm starrte ihn an. Wie wärs, wenn ihr sie aufgehalten hättet? Auf diese Weise hättet ihr helfen können. Spart euch den ernsten Blick. Vielleicht habt ihr nicht »ja« gesagt, aber ein »nein« hat man ganz sicher nicht von euch gehört. Ich schulde euch rein gar nichts. Erwartet bloß keine verdammte Absolution von mir.

»In diesem Augenblick? Indem ihr auf die Straße zurückkehrt, zum nächsten großen Troll geht und ihm herzlich die Hand schüttelt«, schlug Mumm vor. »Oder indem ihr einfach nur auf die Straße zurückkehrt. Ehrlich gesagt, meine Herren, ich bin sehr beschäftigt, und mitten in einem Pferderennen repariert man nicht die Zäune.«

»Sie sind in Richtung der Berge unterwegs«, sagte Scheusohn. »Von Überwald und Lancre werden sie sich fern halten, weil sie nicht sicher sein können, dort auf Freunde zu treffen. Das bedeutet, sie wollen durch Llamedos zu den Bergen. Dort gibt es viele Höhlen.«

Mumm zuckte mit den Schultern.

»Wir wissen, dass du verärgert bist, Herr Mumm«, sagte Starkimarm. »Aber wir…«

»Zwei tote Mörder liegen im Leichenzimmer«, brummte Mumm. »Einer von ihnen starb durch Gift. Was wisst ihr darüber? Und ich bin Kommandeur Mumm, besten Dank.«

»Es heißt, dass sie ein langsam wirkendes Gift nehmen, bevor sie eine wichtige Mission beginnen«, sagte Scheusohn.

»Kein Zurück, wie?«, fragte Mumm. »Das ist interessant. Doch derzeit geht es mir um die Lebenden.« Er stand auf. »Ich muss jetzt los und mit einem Zwerg in der Zelle sprechen, der nicht mit mir reden will.«

»Ah, ja«, erwiderte Scheusohn. »Das dürfte Helmgescheit sein. Er wurde hier geboren, Kommandeur, aber vor drei Monaten ging er gegen den Willen seiner Eltern in die Berge, um dort zu studieren. Ich bin sicher, dass er so etwas nie wollte. Er versuchte, sich selbst zu finden.«

»Er kann in meinen Zellen mit der Suche beginnen«, sagte Mumm.

»Darf ich dabei sein, wenn du ihn verhörst?«, fragte der Grag.

»Warum?«, fragte Mumm scharf.

»Es könnte Gerüchten über eine eventuelle schlechte Behandlung vorbeugen.«

»Oder sie in die Welt setzen«, erwiderte Mumm. Wer beobachtet die Wächter?, fragte er sich. Ich!

Scheusohn bedachte ihn mit einem kühlen Blick. »Es könnte… die Situation entspannen, Herr.«

»Ich neige normalerweise nicht dazu, Gefangene zu schlagen, wenn du das meinst«, sagte Mumm.

»Und heute Abend ist dir bestimmt nicht daran gelegen.«

Mumm öffnete den Mund, um den Grag aufzufordern, das Gebäude auf der Stelle zu verlassen, doch dann überlegte er es sich anders und schwieg. Der freche kleine Kerl hatte genau den wunden Punkt berührt. Mumm war gereizt, seit er das Haus verlassen hatte. Er spürte ein Prickeln auf der Haut und eine Enge im Magen und ein scheußliches Stechen hinter der Stirn. Jemand sollte für all dies… für all diese… für alle diese Diesigkeit bezahlen, und es sollte nicht unbedingt ein armseliger Komparse wie Helmgescheit sein.

Und er war nicht sicher, er war ganz und gar nicht sicher, wie er reagieren würde, wenn der Gefangene eine dicke Lippe riskierte oder versuchte, witzig zu sein. Leute in kleinen Zimmern zu schlagen… Er wusste, wohin das führte. Und wenn man es aus einem guten Grund tat, dann tat man es auch aus einem nichtigen. Man konnte nicht sagen: »Wir sind die Guten«, und dann Böses tun. Manchmal brauchte der wachhabende Wächter ein zusätzliches Paar Augen.

Es musste gesehen werden, wie der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Alles musste seine Richtigkeit haben.

»Meine Herren«, sagte Mumm und sah den Grag an, obwohl seine Worte allen Anwesenden galten, »ich kenne euch, und ihr kennt mich. Ihr seid respektable Zwerge und genießt Ansehen in der Stadt. Ich möchte, dass ihr euch für Herrn Scheusohn verbürgt, denn ich bin ihm nie zuvor in meinem Leben begegnet. Nun, Gimlet? Dich kenne ich seit Jahren. Was meinst du?«

»Sie haben meinen Sohn getötet«, sagte Eisenkruste.

Ein Messer fiel in Mumms Kopf. Es glitt durch die Luftröhre, zerschnitt das Herz, bohrte sich durch den Magen und verschwand. Wo der Zorn gewesen war, herrschte plötzlich eisige Kälte.

»Es tut mir Leid, Kommandeur«, sagte Scheusohn leise. »Es stimmt. Ich glaube kaum, dass sich Gunder Eisenkruste für Politik interessierte. Er nahm einfach nur eine Arbeit in der Mine an, weil er sich wie ein richtiger Zwerg fühlen und ein paar Tage mit einer Schaufel arbeiten wollte.«

»Sie ließen ihn im Schlamm liegen«, sagte Eisenkruste mit einer Stimme, die auf gespenstische Weise ohne Gefühl war. »Du wirst jede Hilfe bekommen, die du brauchst. Jede Hilfe. Aber wenn du die Mörder findest… Bring sie um, sie alle.«

Mumm fiel nichts anderes ein als »Ich werde sie finden«. Er sagte nicht: sie töten. Nein. Nicht, wenn sie sich ergeben, nicht, wenn sie unbewaffnet zu mir kommen. Ich weiß, wohin das führt.

»Dann gehen wir jetzt und überlassen dich deiner Arbeit«, sagte Starkimarm. »Grag Scheusohn ist uns in der Tat bekannt. Er ist vielleicht ein bisschen modern. Und jung. Nicht die Art von Grag, an die wir gewöhnt sind, aber… ja, wir bürgen für ihn. Guten Abend, Kommandeur.«

Mumm blickte auf den Schreibtisch, als die Zwerge hinausgingen. Als er aufsah, war der Grag noch da und lächelte geduldig.

»Du siehst nicht wie ein Grag aus, sondern wie ein gewöhnlicher Zwerg«, sagte Mumm. »Warum habe ich nichts von dir gehört?«

»Vielleicht, weil du ein Polizist bist«, erwiderte Scheusohn sanft.

»Na schön, ich verstehe. Aber du bist kein Tiefener?«

Scheusohn zuckte mit den Schultern. »Ich kann tiefe Gedanken denken. Ich bin hier geboren, Kommandeur, so wie Helmgescheit. Ich glaube nicht, dass ich einen Berg über dem Kopf haben muss, um ein Zwerg zu sein.«

Mumm nickte. Jemand aus der Stadt, kein Graubart aus den Bergen. Und intelligent. Kein Wunder, dass die anderen ihn mögen. »Na schön, Herr Scheusohn, du kannst mitkommen. Aber unter zwei Bedingungen. Erstens: Du hast fünf Minuten, um ein Klonkspiel zu besorgen. Das sollte dir eigentlich möglich sein.«

»Ja, das denke ich auch«, erwiderte der Zwerg und lächelte matt. »Und die zweite Bedingung?«

»Wie lange brauchst du, um mir das Spiel beizubringen?«, fragte Mumm.

»Dir? Hast du noch nie gespielt?«

»Nein. Ein gewisser Troll hat mir das Spiel vor einer Weile gezeigt, aber ich habe nicht mehr gespielt, seit ich erwachsen bin. Als junger Bengel war ich in Beduselte Ratten13 ziemlich gut.«

»Nun, einige Stunden sollten…«, begann Scheusohn.

»So viel Zeit haben wir nicht«, sagte Mumm. »Ich gebe dir zehn Minuten.«

 

 

Das Trinken hatte im Eimer begonnen, in der Schimmerstraße. Es war eine Wächterkneipe. Der Wirt, Herr Käse, verstand Polizisten. Sie tranken gern an einem Ort, wo sie nichts sahen, das sie daran erinnerte, Polizisten zu sein. Spaß war nicht erforderlich.

Bronzaleh schlug die nächste Station vor, eine Taverne namens Geöffnet-den-Göttern-sei-Dank.

Angua war eigentlich nicht in der richtigen Stimmung, aber sie brachte es nicht über sich, Nein zu sagen. Bronzaleh hatte einen Körper, für den sie eigentlich alle anderen Frauen hassen sollten, aber sie war auch recht sympathisch. Das lag daran, dass sie die Selbstachtung einer Raupe hatte und, wie man bei einem Gespräch mit ihr schnell feststellte, auch ebenso viel Hirn. Vielleicht glich sich letztendlich alles aus. Vielleicht hatte ein freundlicher Gott zu ihr gesagt: »Tut mir Leid, Mädchen, du wirst dumm wie Bohnenstroh sein, aber die gute Nachricht lautet: Das macht überhaupt nichts.«

Und sie schien einen Magen aus Eisen zu haben. Angua fragte sich, wie viele hoffnungsvolle Männer versucht hatten, sie unter den Tisch zu trinken. Alkohol schien ihr überhaupt nicht zu Kopf zu steigen. Vielleicht konnte er ihn nicht finden. Aber sie bot angenehme, unbeschwerte Gesellschaft, wenn man Anspielungen, Ironie, Sarkasmus, Schlagfertigkeit, Satire und längere Wörter als »Huhn« vermied.

Angua war gereizt, weil sie sich ein Bier wünschte, doch der junge Mann hinter dem Tresen hielt »ein großes Winkels« für den Namen eines Cocktails. Was angesichts der zur Auswahl stehenden Getränke vielleicht nicht überraschend war.

Angua sah in die Getränkekarte. »Was ist ein Toller Orgasmus?«

»Ah«, sagte Sally. »Offenbar sind wir gerade noch rechtzeitig zu dir gekommen, Mädchen!«

»Nein«, seufzte Angua, als die anderen lachten. Eine solche Antwort war typisch für einen Vampir. »Ich meine, woraus besteht das Getränk?«

»Almonté, Wahlulu, Bärdrückers Whiskey Cream und Wodka«, sagte Bronzaleh, die das Rezept aller jemals erfundenen Cocktails kannte.

»Und wie funktioniert er?«, fragte Grinsi und reckte den Hals, um über die Theke zu sehen.

Sally bestellte vier und wandte sich wieder an Bronzaleh. »Nun… du und Nobby Nobbs? Wie läuft es mit euch?« Drei Paar Ohren gingen auf Empfang.

Etwas anderes, woran man sich in der Gesellschaft von Bronzaleh gewöhnte, war Stille. Wohin sie auch ging, es wurde still. Und die Blicke. Die stummen Blicke. Und manchmal, in den Schatten, ein Seufzen. Es gab Göttinnen, die morden würden, um wie Bronzaleh auszusehen.

»Er ist nett«, sagte sie. »Er bringt mich zum Lachen und lässt die Finger von mir.«

Drei Gesichter zeigten deutliche Anzeichen von konzentriertem Nachdenken. Sie sprachen hier über Nobby Nobbs. Es gab so viele Fragen, die sie nicht stellen würden.

»Hat er dir den Trick mit seinen Pickeln gezeigt?«, fragte Angua.

»Ja. Ich hätte mich vor Lachen fast gekugelt! Er ist so komisch!«

Angua blickte in ihr Glas. Grinsi hüstelte. Sally betrachtete die Karte.

»Und er ist sehr zuverlässig«, sagte Bronzaleh. Als wäre sie sich vage bewusst, dass dies nicht genügte, fügte sie hinzu: »Wenn ihr’s unbedingt wissen wollt: Er ist der erste Junge, der mich jemals gebeten hat, mit ihm auszugehen.«

Sally und Angua atmeten zusammen aus. Licht dämmerte. Das war also das Problem. Und dies war ein schweeerer Fall.

»Ich meine, mein Haar ist immer durcheinander, die Beine sind zu lang, ich weiß, dass mein Busen viel zu…«, fuhr Bronzaleh fort, aber Sally hob die Hand.

»Zuerst einmal, Bronzaleh…«

»Mein richtiger Name lautet Betty«, sagte Bronzaleh und putzte sich so exquisit die Nase, dass der größte Bildhauer auf der Welt geweint hätte, um es für ewig in Stein festzuhalten.

»Zuerst einmal… Betty«, brachte Sally hervor und hatte bei dem Namen besondere Mühe, »keine Frau unter fünfundvierzig…«

»Fünfzig«, korrigierte Angua.

»Ja, fünfzig… Keine Frau unter fünfzig benutzt das Wort ›Busen‹, um irgendetwas zu benennen, das mit ihr zu tun hat. Das macht man einfach nicht.«

»Das wusste ich nicht«, schniefte Bronzaleh.

»Es ist eine Tatsache«, sagte Angua. Und, meine Güte, wie sollte man so etwas wie ein Ich-hab-keine-Chance-Syndrom erklären? Jemandem wie Bronzaleh, einer Person, zu der der Name Betty ebenso gut passte wie die Faust aufs Auge? Dies war nicht nur ein Fall von Ich-hab-keine-Chance-Syndrom. Es handelte sich vielmehr um das essenzielle, klassische und rein platonische Beispiel, das es verdiente, ausgestopft und als Lernhilfe für kommende Generationen von Schülern und Studenten ausgestellt zu werden. Und sie war zufrieden mit Nobby!

»Was ich dir jetzt sagen muss…«, begann Angua und schreckte vor der Aufgabe zurück. »Äh, sollen wir noch was trinken? Wie heißt der nächste Cocktail auf der Karte?«

Grinsi las den Namen. »Rosarot, Groß und Wacklig«, sagte sie.

»Klingt gut! Vier davon!«

 

 

Fred Colon blickte durchs Gitter. Er war, im Großen und Ganzen, ein guter Gefangenenwärter: Es stand immer Tee bereit; er war den meisten Leuten freundlich zugetan und zu schwer von Begriff, um leicht betrogen zu werden; und er bewahrte die Zellenschlüssel in einer Blechdose in der untersten Schublade seines Schreibtischs auf, außer Reichweite eines Stocks, einer Hand, eines Hunds, eines geschickt geworfenen Gürtels oder einer speziell dressierten klatschianischen Affenspinne.14

Der Zwerg besorgte ihn ein wenig. Im Gefängnis bekam man alle Arten zu sehen, und oft schrien sie ein bisschen, aber bei diesem wusste er nicht, was schlimmer war, das Schluchzen oder die Stille. Auf einem Stuhl am Gitter stand eine Kerze, denn der Zwerg geriet außer sich, wenn es nicht hell genug war.

Fred rührte nachdenklich seinen Tee um und reichte Nobby einen Becher.

»Ein komischer Kauz«, sagte er. »Ein Zwerg, der sich vor dem Dunkeln fürchtet? Scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein. Rührt weder Tee noch Keks an. Was hältst du davon?«

»Ich glaube, ich nehme seinen Keks«, sagte Nobby und streckte die Hand nach dem Teller aus.

»Warum bist du überhaupt hier unten?«, fragte Fred. »Es erstaunt mich, dass du nicht draußen bist und junge Frauen anstarrst.«

»Bronzaleh zieht heute Abend mit den anderen Mädchen durch die Kneipen«, sagte Nobby.

»Ah, davor hättest du sie warnen sollen«, meinte Fred Colon. »Du weißt doch, wie’s in der Innenstadt zugeht, wenn die Tavernen schließen. Dann wird gekotzt und geschrien, und es gibt jede Menge undamenhaftes Verhalten, und die Leute ziehen ihre Hemden aus und was weiß ich nicht alles. Man nennt es…« Er kratzte sich am Kopf. »… allgemeines Zuschütten.«

»Sie ist nur mit Angua, Sally und Grinsi ausgegangen, Feldwebel«, sagte Nobby und nahm noch einen Keks.

»Oooh, da solltest du aufpassen, Nobby. Frauen, die sich gegen Männer zusammenschließen…« Fred zögerte. »Ein Vampir und ein Werwolf gemeinsam auf Zechtour? Wenn ich dir einen Rat geben darf, Junge: Bleib heute Abend zu Hause. Und wenn sie sich sonderbar aufführen…«

Er unterbrach sich, als Sam Mumms Stimme die steinerne Wendeltreppe herunterkam, dichtauf gefolgt von ihrem Besitzer.

»Ich muss sie also daran hindern, einen Block zu formen, richtig?«

»Wenn du die Trollseite spielst, ja«, ertönte eine andere Stimme. »Bei einer dichten Gruppe von Zwergen sieht es für Trolle übel aus.«

»Trolle stoßen, Zwerge werfen.«

»Ja.«

»Und niemand kann auf den zentralen Felsen springen, stimmt’s?«, fragte Mumm.

»Ja.«

»Ich habe noch immer das Gefühl, dass die Zwerge im Vorteil sind.«

»Wir werden sehen. Wichtig ist…«

Mumm blieb stehen, als er Nobby und Colon sah. »In Ordnung, Jungs, ich spreche mit dem Gefangenen«, sagte er. »Wie geht es ihm?«

Fred deutete auf den Zwerg in der Eckzelle – mit angezogenen Beinen lag er auf dem schmalen Bett.

»Hauptmann Karotte hat fast eine halbe Stunde lang versucht, mit ihm zu reden, und du weißt ja, wie gut er mit Leuten zurechtkommt«, sagte er. »Aber er bekam nicht einen Satz aus ihm heraus. Ich habe ihm seine Rechte vorgelesen, aber frag mich nicht, ob er sie verstanden hat. Seinen Tee und den Keks wollte er jedenfalls nicht. Das sind die Rechte fünf und fünf b«, fügte Fred hinzu und musterte Scheusohn von Kopf bis Fuß. »Das Recht fünf c hat er nur, wenn wir eine Gebäckmischung-für-den-Tee haben.«

»Kann er gehen?«, fragte Mumm.

»Er schlurft eher, Herr.«

»Hol ihn aus der Zelle«, sagte Mumm. Als er Freds fragenden Blick auf Scheusohn bemerkte, fügte er hinzu: »Dieser Herr ist hier, um sich zu vergewissern, dass wir keine Gummistöcke gebrauchen, Feldwebel.«

»Wusste gar nicht, dass wir welche haben, Herr Mumm«, erwiderte Fred.

»Wir haben keine«, sagte Mumm. »Welchen Sinn hätte es, mit etwas zuzuschlagen, das zurückprallt?« Er sah Scheusohn an, der einmal mehr sein sonderbares kleines Lächeln lächelte.

Eine Kerze brannte auf dem Tisch. Aus irgendeinem Grund hatte Fred es für sinnvoll gehalten, eine zweite auf einen Stuhl am Gitter der Eckzelle zu stellen.

»Ist es hier nicht ein wenig dunkel, Fred?«, fragte Mumm, als er das Durcheinander aus Bechern und alten Zeitungen beiseite schob, das den größten Teil des Tisches bedeckte.

»Jaherr. Die Zwerge kamen und stibitzten einige Kerzen für ihr heidni… für ihr Symbol«, sagte Fred mit einem nervösen Blick auf Scheusohn. »Entschuldige, Herr.«

»Ich weiß gar nicht, warum wir es nicht einfach verbrennen können«, brummte Mumm und legte das Klonkbrett auf den Tisch.

»Das wäre gefährlich, denn inzwischen ist die Rufende Dunkelheit bereits in der Welt«, sagte Scheusohn.

»Glaubst du wirklich an diese Sachen?«, fragte Mumm.

»Ob ich daran glaube? Nein«, antwortete der Grag. »Ich weiß, dass sie existieren. Die Trollfiguren werden um den zentralen Stein aufgestellt«, fügte er hilfsbereit hinzu.

Es dauerte eine Weile, das Spielbrett mit den kleinen Figuren zu bevölkern, aber Ähnliches galt für die Ankunft von Helmgescheit. Fred Colon hielt ihn an der Schulter und zeigte ihm den Weg – der Zwerg ging wie ein Schlafwandler und hatte die Augen so verdreht, dass fast nur noch das Weiße zu sehen war. Seine eisernen Stiefel kratzten über die Steinplatten.

Fred drückte ihn vorsichtig auf einen Stuhl und stellte die zweite Kerze neben ihn. Wie durch Magie richtete sich Helmgescheits Blick auf das Spielbrett mit den beiden steinernen Armeen. Alles andere schien er nicht wahrzunehmen.

»Wir spielen ein Spiel, Herr Helmgescheit«, sagte Mumm ruhig. »Und du kannst deine Seite wählen.«

Helmgescheit streckte die zitternde Hand aus und berührte eine Figur. Einen Troll. Ein Zwerg entschied sich für die Trollseite. Mumm richtete einen fragenden Blick auf Scheusohn und erntete von ihm ein weiteres Lächeln.

Na schön, man drängt möglichst viele der kleinen Burschen in die Defensive, richtig? Mumms Hand zögerte und hob dann einen Zwerg. Es klickte, als er ihn auf ein anderes Feld setzte, unmittelbar darauf gefolgt von einem anderen Klicken, mit dem Helmgescheit einen Troll setzte. Der Zwerg wirkte benommen, aber seine Hand hatte sich blitzschnell bewegt.

»Wer hat die vier Zwerge in der Mine umgebracht, Helmgescheit?«, fragte Mumm sanft. »Wer hat die Jungs aus der Stadt getötet?«

Trübe Augen sahen ihn an, blickten dann demonstrativ aufs Spielbrett. Mumm wählte aufs Geratewohl einen Zwerg und setzte ihn.

»Die dunklen Soldaten«, flüsterte Helmgescheit, als ein kleiner Troll klickte.

»Wer hat es befohlen?« Wieder der Blick. Wieder wurde ein Zwerg aufs Geratewohl gesetzt, und ein Troll folgte so schnell, dass die beiden Figuren fast gleichzeitig das Brett berührten.

»Grag Schinkenbrecher hat es angeordnet.«

»Warum?« Klick/klick.

»Sie hatten ihn sprechen gehört.«

»Wen meinst du mit ›ihn‹? Vielleicht einen Würfel?« Klick/klick.

»Ja. Er wurde ausgegraben. Es heißt, er sprach mit der Stimme von B’hrian Blutaxt.«

Mumm hörte, wie Scheusohn nach Luft schnappte. Er fing Fred Colons Blick ein, nickte in Richtung der Zellenblocktür und formte einige Worte mit den Lippen.

»War er nicht ein berühmter Zwergenkönig?«, fragte Mumm. Klick/klick.

»Ja«, bestätigte Helmgescheit. »Er hatte den Befehl über die Zwerge im Koomtal.«

»Und was sagte seine Stimme?«, fragte Mumm. Klick/klick. Und hinter Mumm folgte ein drittes Klicken, als Fred Colon die Tür abschloss und gelassen davor stehen blieb.

»Ich weiß es nicht. Feurig meinte, es ginge um die Schlacht. Er meinte, es seien Lügen.«

»Wer hat Grag Schinkenbrecher umgebracht?« Klick/klick.

»Ich weiß es nicht. Feurig rief mich zu einer Versammlung und sagte, es gäbe schreckliche Auseinandersetzungen zwischen den Grags. Er sagte, einer von ihnen hätte Schinkenbrecher im Dunkeln getötet, mit einem Hammer, aber niemand kannte den Täter. Es ging drunter und drüber.«

Und alle waren gleich angezogen, dachte Mumm. Nur dunkle Gestalten, ohne Identität, wenn man die Handgelenke nicht sehen kann…

»Warum wollten sie ihn töten?« Klick/klick.

»Sie mussten ihn daran hindern, die Worte zu zerstören! Er schrie und schlug mit dem Hammer auf den Würfel!«

»Es gibt… empfindliche Stellen an einem Würfel, und wenn man sie in der falschen Reihenfolge berührt, können alle Geräusche verschwinden«, flüsterte Scheusohn.

»Man sollte meinen, dass der Hammer das in jedem Fall bewerkstelligt, ganz gleich, welche Stelle er trifft«, erwiderte Mumm und drehte den Kopf.

»Nein, Kommandeur. Apparate sind sehr widerstandsfähig.«

»Offenbar!«

Mumm wandte sich wieder an Helmgescheit. »Es ist falsch, Lügen zu zerstören, aber es war in Ordnung, die Zwerge umzubringen?«, fragte er. Klick.

Er hörte das Zischen von Scheusohns Atem. Das hätte er vielleicht besser ausdrücken können. Helmgescheit setzte nicht und ließ den Kopf hängen.

»Es war falsch, die Zwerge zu töten«, flüsterte er. »Und warum keine Lügen zerstören? Aber es ist verkehrt, solche Gedanken zu denken, und deshalb… schwieg ich. Die alten Grags waren aufgebracht, zornig und verwirrt, und deshalb ergriff Feurig das Wort. Er meinte, ein Zwerg, der einen anderen tief im Boden tötet… Alle wüssten, dass so etwas die Menschen nichts angeht. Er meinte, alle müssten auf ihn hören. Er wies die dunklen Wächter an, die Leiche zum neuen Außenraum zu bringen. Und… er forderte mich auf, meine Keule zu holen…«

Mumm sah zu Scheusohn und formte mit den Lippen das Wort »Keule?«. Der Zwerg nickte.

Helmgescheit saß stumm da, hob dann langsam die Hand und setzte einen Troll. Klick.

Klick/klick. Klick/klick. Klick/klick. Mumm versuchte, einige Gehirnzellen für das Spiel zu erübrigen, während seine Gedanken rasten, bemüht, die Informationen von Helmgescheit zusammenzusetzen.

Es begann also alles damit, dass sie hierher kamen und nach einem magischen Würfel suchten, der sprechen kann…

»Wieso kamen sie nach Ankh-Morpork? Woher wussten sie, dass sich der Würfel hier befand?« Klick/klick.

»Als ich aufbrach, um in den Bergen zu studieren, nahm ich eine Kodex-Ausgabe mit. Feurig nahm mir das Buch weg, aber dann rief er mich zu einer Versammlung und meinte, es sei sehr wichtig und ich hätte die Ehre, sie nach Ankh-Morpork begleiten zu dürfen. Feurig sprach von einer großen Gelegenheit. Grag Schinkenbrecher hätte eine Mission, sagte er.«

»Sie wussten nichts von dem Gemälde?«

»Sie lebten unter einem Berg. Sie glauben, dass Menschen nicht real sind. Aber Feurig ist klug. Er meinte, es hätte immer Gerüchte gegeben, dass etwas aus dem Koomtal herausgekommen wäre.«

Und ob er klug ist, dachte Mumm. Sie kommen also hierher, leisten ein wenig pastorale Arbeit, wiegeln auf und suchen auf sehr zwergische Weise nach dem Würfel. Sie finden ihn. Aber die armen Kerle, die das Graben erledigen, hören, was er sagt. Es ist allgemein bekannt, dass Zwerge tratschen, deshalb sorgen die dunklen Wächter dafür, dass diese vier keine Gelegenheit dazu bekommen.

Klick/klick. Klick/klick.

Und auch Freund Schinkenbrecher mag nicht, was er hört. Er möchte das Ding zerstören. Während des Kampfes im Dunkeln tut einer der anderen Grags der Welt einen Gefallen und gibt ihm eins auf die Birne. Aber, huch, großer Fehler, denn die Menge wird ihn und seine fröhliche Aufforderung, alle Trolle niederzumetzeln, vermissen. Man weiß, wie Zwerge tratschen, und man kann sie nicht alle töten. Wir brauchen also einen Plan, solange wir hier im Dunkeln noch unter uns sind. Und so tritt Feurig vor und sagt: »Ich habe eine Idee! Wir bringen die Leiche in einen Tunnel, in dem vielleicht gerade ein Troll erschienen ist, und schlagen ihr mit einer Keule auf den Kopf.« Ein Troll hat es getan. Welcher vernünftige Zwerg könnte etwas anderes glauben?

Klick/klick.

»Warum die Kerzen?«, fragte Mumm. »Die alten Grags saßen in hellem Kerzenschein, als ich sie sah.« Klick/klick.

»Die Grags haben es befohlen«, flüsterte Helmgescheit. »Sie fürchteten, was aus der Dunkelheit zu ihnen kommen könnte.«

»Und was hätte zu ihnen kommen können?« Klick

Helmgescheits Hand verharrte mitten in der Luft. Einige Sekunden lang bewegte sich nichts im kleinen Kreis aus gelbem Licht, abgesehen von den Kerzenflammen. In der Dunkelheit dahinter beugten sich die Schatten vor und lauschten…

»Ich… weiß nicht«, flüsterte der Zwerg. Klick Klick/klick Klick Klick

Mumm blickte auf das Spielbrett. Woher war dieser Troll gekommen? Helmgescheit hatte mit einem Zug drei Zwerge vom Brett gefegt!

»Feurig meinte, es gebe immer einen Troll«, sagte Helmgescheit. »Ein Troll kam in die Mine. Die Grags sagten, ja, so muss es gewesen sein.«

»Aber sie kennen die Wahrheit!« Klick/klick Klick Klick. Drei weitere Zwerge erledigt, einfach so…

»Die Wahrheit ist das, was die Grags sagen«, erwiderte Helmgescheit. »Die Welt des Sonnenscheins ist ohnehin ein böser Traum. Feurig meinte, niemand sollte darüber sprechen. Er wies mich an, alle Wächter auf… den Troll hinzuweisen.«

Gib einem Troll die Schuld, dachte Mumm. Zwergen fiel das leicht. Ein großer Troll hat Schinkenbrecher erschlagen und ist dann weggelaufen. Und damit ist alles in Ordnung. Problem gelöst.

Er starrte auf das Spielbrett. Verdammt. Ich laufe hier gegen eine Wand. Was bleibt noch? Ziegel beobachtete, wie ein Zwerg einen anderen Zwerg schlug, aber das war nicht der Mord – das war Feurig oder jemand anderer, der Schinkenbrechers Leiche das typische Von-einem-Troll-erschlagen-Aussehen verlieh. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Verbrechen ist. Der Mord wurde im Dunkeln verübt, und der Täter ist einer von sechs Zwergen, und die anderen fünf kennen vielleicht nicht einmal seine Identität! Na schön, ich könnte ihnen Verschleierung eines Verbrechens zur Last legen… Moment mal…

»Aber es war nicht Feurig, der gesagt hat, die Wache dürfte nichts davon erfahren. Das warst du. Wolltest du, dass ich zornig werde, Herr Helmgescheit?« Mumm setzte einen Zwerg. Klick.

Helmgescheit sah nach unten.

Da keine Antwort kam, nahm Mumm den wandernden Troll und stellte ihn neben das Brett.

»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du kommst.« Helmgescheit sprach ganz leise. »Schinkenbrecher war… Ich dachte… Feurig meinte, du würdest dich nicht darum kümmern, weil der Grag eine so große Gefahr gewesen ist. Er meinte, der Grag hätte die Ermordung der vier Zwerge angeordnet, und damit wäre die Sache geregelt. Aber ich dachte… ich… fand es nicht richtig. Es war falsch! Ich hatte gehört, dass du voller Stolz bist. Ich musste… dein Interesse wecken. Er… er…«

»Du dachtest, ich würde mich nicht darum scheren? Einem Troll wird vorgeworfen, einen Zwerg ermordet zu haben, in einer solchen Situation, und du dachtest, ich würde mich nicht dafür interessieren?«

»Feurig meinte, du würdest nicht eingreifen, weil keine Menschen daran beteiligt sind. Er meinte, dir wäre egal, was mit Zwergen geschieht.«

»Er sollte öfter an die frische Luft gehen!«, sagte Mumm.

Helmgescheits Nase und Augen tropften. Ein Unwetter beendet die Schlacht, dachte Mumm. Dann hob der Zwerg den Kopf und jammerte: »Es war die Keule, die der Troll Herr Schein mir geschenkt hat, weil ich fünf Spiele hintereinander gewonnen habe! Er war mein Freund! Er meinte, ich wäre so gut wie ein Troll, deshalb verdiente ich eine Keule! Ich habe Feurig gesagt, es wäre eine Trophäe! Aber er nahm sie und schlug damit auf die Leiche ein!«

Wasser, das auf einen Stein tropft, dachte Mumm. Und es kommt darauf an, wohin der Tropfen fällt, Herr Schein? Was hat es diesem armen Kerl genützt? Er hatte nicht den richtigen Job, um Zweifel in sein Leben kommen zu lassen!

»Na schön, Herr Helmgescheit, ich danke dir.« Mumm lehnte sich zurück. »Da ist nur noch eine Sache. Weißt du, wer diese Zwerge zu mir nach Hause geschickt hat?«

»Welche Zwerge?«

Mumm blickte in die weinenden, geröteten Augen. Ihr Besitzer sagte entweder die Wahrheit, oder dem Theater war ein enormes Talent verloren gegangen.

»Sie haben mich und meine Familie angegriffen«, sagte Mumm.

»Ich… habe gehört, wie Feurig mit dem Hauptmann der Wache sprach«, murmelte Helmgescheit. »Es ging um eine… Warnung…«

»Eine Warnung? Nennst du…«, begann Mumm und unterbrach sich, als er sah, wie Scheusohn den Kopf schüttelte. Na schön. Lass es nicht an ihm aus, das hat keinen Sinn. Er ist auch so schon fertig genug.

»Sie haben jetzt große Angst«, sagte Helmgescheit. »Sie verstehen die Stadt nicht. Sie verstehen nicht, warum Trolle hier erlaubt sind. Sie verstehen keine Leute, die sie nicht verstehen. Sie fürchten dich. Sie fürchten jetzt alles.«

»Wohin sind sie verschwunden?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Helmgescheit. »Feurig meinte, sie hätten sich ohnehin auf den Weg gemacht, weil sie den Würfel und das Gemälde haben. Er meinte, das Bild zeige ihnen, wo noch mehr Lügen sind, die es zu zerstören gilt. Aber am meisten fürchten sie die Rufende Dunkelheit, Kommandeur. Sie fühlen, dass sie zu ihnen unterwegs ist.«

»Es ist nur eine Zeichnung«, sagte Mumm. »Ich glaube nicht daran.«

»Ich schon«, erwiderte Helmgescheit ruhig. »Sie ist hier in diesem Raum. Wie kommt sie? Sie kommt in Dunkelheit und in Rache und in Tarnung.«

Mumm spürte ein Kribbeln. Nobby blickte über die schmutzigen Steinwände. Scheusohn saß kerzengerade auf seinem Stuhl. Selbst Fred Colon zeigte Unbehagen.

Dies ist nur mystisches Brimborium, dachte Mumm. Und es stammt nicht einmal von Menschen. Ich glaube nicht daran. Aber warum scheint es plötzlich kühler geworden zu sein?

Er hustete. »Wenn es erfährt, dass die Zwerge verschwunden sind, folgt es ihnen vermutlich.«

»Und es kommt zu mir«, sagte Helmgescheit ebenso ruhig wie zuvor. Er faltete die Hände.

»Warum?«, fragte Mumm. »Du hast niemanden umgebracht.«

»Du verstehst nicht! Sie… sie… als sie die vier Zwerge aus der Stadt töteten, war einer von ihnen nicht ganz tot, und, und wir konnten hören, wie er mit den Fäusten an die Tür klopfte, und ich stand im Tunnel und hörte ihn sterben, ich wünschte ihn tot, damit die schrecklichen Geräusche aufhörten, aber, aber als es schließlich still wurde, gingen die Geräusche in meinem Kopf weiter, und ich, und ich hätte das Rad drehen können, aber ich fürchtete mich vor den dunklen Wächtern, die keine Seelen haben, und deshalb wird die Dunkelheit meine holen…«

Die Stimme verklang.

Von Nobby kam ein nervöses Hüsteln.

»Ich danke dir noch einmal«, sagte Mumm. Meine Güte, sie haben ihm wirklich das Gehirn verkorkst, armer kleiner Kerl, dachte er. Und ich habe nichts. Ich könnte Feurig die Fälschung von Beweisen vorwerfen. Aber wenn ich Ziegel als Zeugen aussagen lasse, zeige ich damit nur, dass sich tatsächlich ein Troll in der Mine aufhielt. Ich habe nur den jungen Helmgescheit hier, und der gibt als Zeuge nicht viel her.

Mumm wandte sich an Scheusohn und zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, ich sollte unseren Freund heute Nacht hier behalten, zu seinem eigenen Besten. Wohin könnte er schon gehen? Seine Aussage unterliegt natürlich…«

Jetzt verklang seine Stimme. Er drehte den Kopf und sah erneut den kummervollen Helmgescheit an.

»Welches Gemälde?«

»Das Bild der Schlacht vom Koomtal, gemalt von Methodia Schlingel«, sagte der Zwerg, ohne aufzusehen. »Es ist sehr groß. Sie haben es aus dem Museum gestohlen.«

»Was?«, entfuhr es Fred Colon, der in der Ecke Tee kochte. »Sie waren es?«

»Wie bitte? Du wusstest davon, Fred?«, fragte Mumm.

»Wir… Ja, Herr Mumm, wir haben einen Bericht geschrieben…«

»Koomtal, Koomtal, Koomtal!«, donnerte Mumm und schlug mit der flachen Hand so heftig auf den Tisch, dass die Kerzen hochsprangen. »Ein Bericht? Was zum Teufel nützt ein Bericht? Habe ich etwa Zeit, irgendwelche Berichte zu lesen? Warum sagt mir niemand, was…«

Eine Kerze rollte auf den Boden und erlosch. Mumm griff nach der anderen, als sie den Rand des Tisches erreichte, aber sie drehte sich von seinen Fingern weg und fiel mit dem Docht voran auf die Steinplatten.

Dunkelheit fiel wie eine Axt herab.

Helmgescheit stöhnte, ein von Herzen kommendes, die Seele erschütterndes Stöhnen, wie ein Todesröcheln aus einem noch lebenden Mund.

»Nobby!«, schrie Mumm. »Entzünde sofort ein verdammtes Streichholz, das ist ein verdammter Befehl!«

Geräusche deuteten auf nervöses Suchen hin, und dann verwandelte sich ein Streichholzkopf in eine plötzliche Supernova.

»Hier!«, rief Mumm. »Zünde die Kerzen an.«

Helmgescheit starrte noch immer auf den Tisch, wo die übellaunige Hand die übrigen Spielfiguren umgestoßen hatte.

Mumm sah auf das Spielbrett, als die Kerzenflammen größer wurden.

Wenn man einen Blick dafür hatte, konnte man sagen, dass die umgefallenen Trolle und Zwerge einen Kreis um den zentralen Felsen bildeten, während einige weitere fortgerutschte Zwerge eine Linie formten. Von oben betrachtet, sah es nach einem runden Auge mit einem Schweif aus.

Helmgescheit seufzte leise, kippte zur Seite und sank zu Boden. Mumm stand auf, um ihm zu helfen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig an die Politik. Er zwang sich, mit erhobenen Händen zurückzuweichen.

»Herr Scheusohn?«, fragte er. »Ich darf ihn nicht anrühren. Wenn du bitte so freundlich wärst…«

Der Grag nickte und kniete neben dem Zwerg. »Kein Puls, kein Herzschlag«, sagte er. »Es tut mir Leid, Kommandeur.«

»Mir scheint, ich bin jetzt ganz in deiner Hand«, sagte Mumm.

»Ja, in der Hand eines Zwergs«, erwiderte der Grag und richtete sich auf. »Kommandeur Mumm, ich werde schwören, dass Helmgescheit während meiner Anwesenheit anständig behandelt worden ist. Vielleicht sogar anständiger, als ein Zwerg mit Recht von dir erwarten könnte. Du bist nicht für seinen Tod verantwortlich. Die Rufende Dunkelheit hat ihn geholt. Die Zwerge werden das verstehen.«

»Aber ich nicht! Was hat ihn getötet? Was hat der arme Kerl gemacht?«

»Ich glaube, es wäre richtiger, zu sagen, dass ihn die Furcht vor der Rufenden Dunkelheit getötet hat«, sagte der Grag. »Er ließ einen Zwerg hinter einer verschlossenen Tür allein, hörte seine Schreie im Dunkeln und half ihm nicht. Das ist für alle Zwerge ein schreckliches Verbrechen.«

»So schlimm, wie ein Wort wegzuwischen?«, fragte Mumm verdrießlich. Er war erschütterter, als er zugeben wollte.

»Viel schlimmer, würden manche sagen«, erwiderte Scheusohn. »Die eigene Schuld und Furcht haben Helmgescheit den Tod gebracht. Man könnte sagen, er hatte seine eigene Rufende Dunkelheit im Kopf. In gewisser Weise gilt das für uns alle, Kommandeur. Wir alle tragen so etwas im Kopf.«

»Eure Religion stellt wirklich üble Dinge mit Leuten an«, sagte Mumm.

»Sie sind nicht so schlimm wie manche Dinge, die die Leute unter sich anstellen.« Scheusohn faltete die Hände des toten Zwergs auf der Brust. »Und es ist keine Religion, Kommandeur. Tak schrieb die Welt und die Gesetze, und dann verließ Er uns. Er verlangt nicht, dass wir an Ihn denken, nur dass wir denken.«

Er stand auf. »Ich werde die Situation den anderen erklären, Kommandeur. Übrigens möchte ich dich bitten, mich zum Koomtal mitzunehmen.«

»Habe ich gesagt, dass ich zum Koomtal reisen werde?«, fragte Mumm.

»Na schön«, erwiderte der Grag ruhig. »Sagen wir: Bitte nimm mich mit, falls du auf die Idee kommen solltest, zum Koomtal zu reisen. Ich kenne den Ort und seine Geschichte. Ich weiß auch gut über Minenzeichen Bescheid, insbesondere über die Großen Dunkelheiten. Ich könnte dir von Nutzen sein.«

»Du verlangst das alles nur für die Wahrheit?«, fragte Mumm.

»Nein. Jds basfak ds: Ich handle nicht mit der Axt in der Hand«, antwortete Scheusohn. »Ich sage die Wahrheit, wie auch immer du entscheidest. Aber da du nicht beabsichtigst, dir das Koomtal anzusehen, erübrigt sich dies. Es war nur so ein Gedanke.«

 

 

Spaß. Wozu war das gut?

Es geht nicht um Vergnügen, Freude, Genuss oder Frohlocken. Spaß ist ein hohler, gemeiner, niederträchtiger kleiner Mistkerl, ein Wort für etwas, das man mit zwei lächerlichen wackligen Fühlern auf dem Kopf und den Worten »Ich will’s!« auf dem T-Shirt sucht. Und nachdem man es gefunden hat, neigt man dazu, mit dem Gesicht auf der Straße zu erwachen.

Irgendwie hatte Angua eine magentarote Federboa bekommen. Sie gehörte ihr nicht. Sie gehörte niemandem. Sie war einfach erschienen. Ihre Existenz stimmte Angua noch trübsinniger. Etwas ließ ihr keine Ruhe, und es ärgerte sie, dass sie nicht wusste, was es war.

Sie waren schließlich in der Bahre gelandet, wie Angua geahnt hatte. Die Taverne diente als Treffpunkt für Untote, aber sie hieß jeden willkommen, der nicht zu normal war.

Bronzaleh war hier definitiv willkommen. Sie begriff es einfach nicht. Den Grund dafür, warum Männer sie nicht ansprachen? Das Problem bestand darin, dass Nobby eigentlich kein schlechter… keine schlechte Person war. Nicht in dem Sinne. Soweit Angua wusste, war er Fräulein Schubwagen immer treu gewesen, was bedeutete: Er hatte sich von keiner anderen mit einem Fisch schlagen und dann mit Muscheln bewerfen lassen. Er hatte sogar eine recht romantische Seele, aber sie steckte in etwas, das man nur… Nobby Nobbs nennen konnte.

Sally hatte Bronzaleh zur Damentoilette begleitet, die immer ein Schock war für Leute, die sie zum ersten Mal sahen. Jetzt las Angua eine weitere Getränkekarte, die auf ein Schild über der Theke gemalt war. Die Worte waren sehr zittrig geschrieben, und zwar von Igor.15

Er hatte sich alle Mühe gegeben, dem Zeitgeist zu folgen – oder hätte das getan, wenn ihm die Bedeutung dieses Wortes klar gewesen wäre –, doch ihm fehlte ein Sinn für die Feinheiten einer modernen Cocktailbar, und so lauteten die angebotenen Getränke zum Beispiel:

 

 

 

Die Halsschraube war eigentlich gar nicht so schlecht, musste Angua zugeben.

»‘tschuldigung«, sagte Grinsi und wippte auf einem Barhocker. »Aber was bedeutete das alles mit Bronzaleh? Ich habe gesehen, wie du und Sally euch zugenickt habt!«

»Das? Das betraf das Ich-hab-keine-Chance-Syndrom.« Angua erinnerte sich daran, mit wem sie sprach, und fügte hinzu: »Äh… bei Zwergen gibt es so was vermutlich nicht. Es bedeutet… Manchmal ist eine Frau so schön, dass jeder halbwegs intelligente Mann nicht daran denkt, sie anzusprechen, verstehst du? Weil es offensichtlich ist, dass er nicht die geringste Chance hat. Kannst du mir folgen?«

»Ich denke schon.«

»Nun, so ist es bei Bronzaleh. Und in Bezug auf diese Erklärung ist Nobby nicht halbwegs intelligent. Er ist so sehr daran gewöhnt, dass Frauen Nein sagen, wenn er sie anspricht, dass er überhaupt keine Angst vor einer Abfuhr hat. Er spricht Bronzaleh also an, weil er sich denkt: Warum nicht? Und sie, die inzwischen glaubt, dass mit ihr etwas nicht stimmt, ist so dankbar, dass sie mit ihm ausgeht.«

»Aber sie mag ihn.«

»Ich weiß. An diesem Punkt wird alles seltsam.«

»Für Zwerge ist es viel einfacher«, sagte Grinsi.

»Kann ich mir denken.«

»Aber vermutlich macht es nicht so viel Spaß«, fügte Grinsi niedergeschlagen hinzu.

Bronzaleh kehrte zurück. Angua bestellte drei Halsschrauben, während Grinsi hoffnungsvolle Verhandlungen für einen Tollen Orgasmus führte.16 Und dann, mit gelegentlicher Hilfe von Sally, erklärte Angua Bronzaleh, was es mit… allem auf sich hatte.

Es dauerte eine Weile. Man musste die Form der Sätze ändern, damit sie im Innern von Bronzalehs Kopf in den zur Verfügung stehenden Platz passten. Angua klammerte sich an dem Gedanken fest, dass das Mädchen nicht so dumm sein konnte. Immerhin arbeitete sie in einem Striplokal.

»Ich meine, warum bezahlen Männer dafür, dich auf der Bühne zu sehen?«, fragte sie.

»Weil ich sehr gut tanze«, antwortete Bronzaleh sofort. »Mit zehn habe ich den Tänzerin-des-Jahres-Preis in Fräulein Deviantes Ballett-und-Stepptanz-Klasse bekommen.«

»Stepptanz?«, fragte Sally und lächelte. »He, warum versuchst du das nicht auf der Bühne?«

Angua schloss die Augen und versuchte, sich Bronzaleh beim Stepptanz vorzustellen. Der Klub würde wahrscheinlich niederbrennen.

»Äh, lass es mich anders ausdrücken…«, sagte sie. »Und ich sage dir dies als Fr… als eine Angehörige des weiblichen Geschlechts…«

Bronzaleh hörte aufmerksam zu, und selbst die Art, wie sie Verwirrung zum Ausdruck brachte, war dem Rest der Frauenwelt gegenüber unfair. Schließlich schwieg Angua und beobachtete hoffnungsvoll Bronzalehs engelhaften Gesichtsausdruck.

»Wenn ich dich richtig verstanden habe…«, sagte Bronzaleh.

»Du meinst, mit Nobby auszugehen ist so, wie ein großes feines Restaurant zu besuchen und dann dort nur eine Scheibe Brot zu essen?«

»Genau!«, bestätigte Angua. »Du hast es erfasst!«

»Aber ich habe nie irgendwelche Männer kennen gelernt. Meine Oma hat mir gesagt, ich sollte mich nicht wie ein Flittchen verhalten.«

»Glaubst du etwa, dass die Arbeit in einem…«, begann Angua, aber Sally unterbrach sie.

»Manchmal sollte man ruhig ein bisschen flittern«, sagte sie. »Hast du nie mit einem Mann in einer Bar gesessen und etwas getrunken?«

»Nein.«

»Na schön.« Sally leerte ihr Glas. »Diese Halsschrauben schmecken mir nicht. Lasst uns woanders hingehen und…« Sie legte eine kurze Pause ein. »… deinen Horizont erweitern.«

 

 

Es war seltsam, Sybil im Wachhaus am Pseudopolisplatz zu haben. Es war eins der Familienhäuser der Käsedicks gewesen, bevor sie es der Wache zur Verfügung gestellt hatte. Als Kind war sie hier zu Hause gewesen.

Etwas davon kroch in die schorfigen, fleckigen Seelen der Wächter. Männer, die nicht für ihre guten Manieren bekannt waren, traten sich die Füße ab, und wenn sie hereinkamen, hielten sie respektvoll den Helm in ihren Händen.

Sie sprachen auch anders, langsam und zögernd, suchten in dem vor ihnen liegenden Satz nach Kraftausdrücken, die es rechtzeitig zu entfernen galt. Jemand besorgte sich sogar einen Besen und fegte, was darauf hinauslief, den Schmutz an einen weniger auffälligen Ort zu befördern.

Oben in einem Raum, der bisher das Kassenzimmer gewesen war, schlief der kleine Sam friedlich in einem improvisierten Kinderbett. Mumm hoffte, ihm eines Tages erzählen zu können, dass er in einer besonderen Nacht von vier Trollwächtern behütet worden war. Sie hatten dienstfrei gehabt und sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet, und sie brannten regelrecht darauf, dass die Zwerge irgendetwas versuchten. Sam hoffte, dass der Junge beeindruckt sein würde. Die meisten anderen Kinder konnten sich bestenfalls Schutzengel erhoffen.

Mumm hatte die Kantine mit Beschlag belegt, denn dort stand ein ausreichend großer Tisch, auf dem jetzt eine Karte der Stadt ausgebreitet lag. Seiten aus dem Koomtalkodex beanspruchten einen erheblichen Teil des freien Platzes.

Dies war kein Spiel, sondern eine Art Puzzle. Ein richtiges Puzzle. Und er sollte es eigentlich zusammensetzen können, denn inzwischen hatte er fast alle Randstücke.

»Ättermützenstraße, Geldfallenweg, Weinschatzgasse, Gemunkelhof, Großtritt, Pellikolstufen«, sagte Mumm. »Überall Tunnel! Sie können von Glück sagen, dass sie den Würfel so schnell gefunden haben. Herr Schlingel muss in fast der Hälfte der dortigen Straßen gewohnt haben, auch in der Erfahrungssichel!«

»Aber hwarum?«, fragte Sir Reynold Stichlig. »Ich meine, hwarum überall Tunnel graben?«

»Erklär es ihm, Karotte«, sagte Mumm und zeichnete eine Linie durch die Stadt.

Karotte räusperte sich. »Weil es Zwerge waren, Herr, und Tiefener noch dazu«, sagte er. »Ihnen käme es nicht in den Sinn, nicht zu graben. Und in den meisten Fällen ging es ohnehin darum, verschüttete Zimmer freizulegen. Und sie legten Gleise aus, damit sie den Abraum fortschaffen konnten.«

»Ja, aber…«, begann Sir Reynold.

»Sie suchten nach etwas, das ganz unten in einem alten Brunnen sprach«, sagte Mumm, noch immer über die Karte gebeugt. »Wie groß ist die Chance, dass der Brunnen noch existiert und leicht zu entdecken ist? Und die Leute haben es nicht gern, wenn plötzlich einige Zwerge erscheinen und Löcher im Garten graben.«

»Aber auf diese hWeise kamen sie nur langsam voran«, sagte Sir Reynold.

»Ja, Herr«, bestätigte Karotte. »Aber sie befanden sich im Dunkeln und hatten alles unter Kontrolle. Die Sache blieb geheim, und sie konnten graben, wo es ihnen beliebte. Im Zickzack, wenn sie unsicher waren. Und mit dem Hörrohr konnten sie sich orientieren. Und sie brauchten nie mit einem Menschen zu sprechen oder das Tageslicht zu sehen. Dunkel, kontrollierbar, geheim.«

»Tiefener, kurz gesagt«, brummte Mumm.

»Dies ist sehr aufregend!«, sagte Sir Reynold. »Und sie haben sich in mein Museum gegraben?«

»Jetzt bist du dran, Fred«, sagte Mumm und zeichnete vorsichtig eine zweite Linie auf die Karte.

»Äh, ja«, erwiderte Fred. »Äh… Nobby und ich haben die Stelle erst vor einigen Stunden gefunden«, sagte er und hielt es für klug, nicht hinzuzufügen: »Nachdem Herr Mumm uns angeschrien und aufgefordert hat, ihm alle Einzelheiten zu erzählen, und nachdem er uns zurückgeschickt hat, mit genauen Anweisungen, wonach es Ausschau zu halten gilt.« Stattdessen fügte er hinzu: »Sie waren ziemlich schlau, Herr. Selbst der Mörtel wirkte schmutzig. Ich wette, du sagst jetzt ahah, Herr.«

»Sage ich das?«, entgegnete Sir Reynold verwundert. »Normalerweise hwürde ich ›du meine Güte‹ sagen.«

»Ich wette, du sagst jetzt ahah, Herr, wie konnten sie alles wieder vermauern, nachdem sie das Gemälde fortgeschafft hatten, Herr, und wir nehmen an…«

»Ich schätze, ein Zwerg blieb zurück, um den Rest zu erledigen, und am nächsten Morgen verließ er das Gebäude«, sagte Sir Reynold. »Die ganze Zeit über kamen und gingen Leute. Immerhin haben hwir nach einem Gemälde gesucht, nicht nach einer Person.«

»Jaherr. Wir nehmen an, ein Zwerg blieb zurück, um den Rest zu erledigen, und am nächsten Morgen verließ er das Gebäude. Die ganze Zeit über kamen und gingen Leute. Immerhin habt ihr nach einem Gemälde gesucht, nicht nach einer Person«, sagte Fred Colon. Er war sehr stolz auf diese Theorie und wollte auf keinen Fall darauf verzichten, sie auszusprechen.

Mumm klopfte auf die Karte. »Und hier, Sir Reynold, fiel ein Troll namens Ziegel durch einen Kellerboden in einen der Tunnel«, sagte er. »Er erzählte uns, dass er etwas in der Hauptmine gesehen hat, das wie das Schlingel-Bild aussah.«

»Aber leider habt ihr das Gemälde nicht gefunden«, sagte Sir Reynold.

»Ich bedauere, Herr. Vermutlich befindet es sich längst nicht mehr in der Stadt.«

»Aber hwarum?«, fragte der Museumsdirektor. »Sie hätten es im Museum untersuchen können! Heutzutage sind hwir sehr interaktiv!«

»Interaktiv?«, wiederholte Mumm. »Wie meinst du das?«

»Die Leute können… sich die Bilder so lange ansehen, hwie sie wollen«, sagte Sir Reynold. Er klang ein wenig verärgert. Niemand sollte eine solche Frage stellen.

»Und was machen die Bilder?«

»Äh… sie hängen da, Kommandeur«, sagte Sir Reynold. »Natürlich.«

»Du meinst also: Die Leute können kommen und sich die Bilder ansehen, und die Bilder lassen sich von ihnen ansehen?«

»Etwas in der Art, ja«, erwiderte der Museumsdirektor. Er überlegte kurz, weil er spürte, dass dies nicht ganz genügte, und fügte hinzu: »Aber auf eine dynamische hWeise.«

»Du meinst, die Leute werden von den Bildern bewegt, Herr?«, fragte Karotte.

»Ja!«, bestätigte Sir Reynold mit großer Erleichterung. »Bravo! Genau das geschieht. Und hwir haben den Schlingel jahrelang ausgestellt. Die Besucher konnten sogar eine Trittleiter benutzen, wenn sie sich die Berge aus der Nähe ansehen wollten. Manchmal kommen Leute mit der sonderbaren Idee, dass einer der Krieger auf eine kaum sichtbare Höhle oder dergleichen zeigt. Ehrlich gesagt, hwenn es ein Geheimnis gäbe, hätte ich es inzwischen herausgefunden. Es war nicht nötig, das Bild zu stehlen!«

»Es sei denn, jemand hat das Geheimnis herausgefunden und möchte vermeiden, dass ein anderer es ebenfalls entdeckt«, sagte Mumm.

»Das hwäre ein ziemlich großer Zufall, Kommandeur. Das Bild hat sich in letzter Zeit hwohl kaum verändert. Herr Schlingel ist nicht gekommen, um einen hweiteren Berg zu malen! Und obwohl ich das nicht gern sage, aber es hätte genügt, das Gemälde zu zerstören.«

Mumm trat um den Tisch. Alle Teile, dachte er. Inzwischen müsste ich alle Teile haben.

Beginnen wir mit der Legende von einem Zwerg, der Wochen nach der Schlacht mehr tot als lebendig erscheint und von einem Schatz spricht.

Vielleicht geht es um diese Sache mit den sprechenden Würfeln, dachte Mumm. Er überlebt den Kampf, versteckt sich irgendwo und hat dieses Ding, und es ist wichtig. Er muss es zu einem sicheren Ort bringen… Nein, vielleicht will er, dass sich die Leute anhören, was der Würfel zu sagen hat. Und natürlich hat er ihn nicht bei sich, als er aufbricht, denn wahrscheinlich sind noch Trolle in der Gegend, und derzeit sind sie in der Stimmung, erst mit der Keule zuzuschlagen und anschließend zu versuchen, sich irgendwelche Fragen einfallen zu lassen. Er braucht Leibwächter.

Er erreicht einige Menschen, aber als er sie zu dem Ort zurückführt, wo der Würfel versteckt ist, stirbt er.

Springen wir zweitausend Jahre nach vorn. Könnte ein Würfel eine solche Zeitspanne überstehen? Meine Güte, sie schwimmen in Magma!

Er liegt also da. Methodia Schlingel ist mit dabei und sucht nach… einer schönen Aussicht oder so, und er senkt den Blick und sieht den Würfel? Davon muss ich ausgehen, denn er findet ihn und bringt ihn zum Sprechen, wer weiß, wie. Er kann ihn nicht dazu bringen, mit dem Sprechen aufzuhören. Er wirft ihn in einen Brunnen. Die Zwerge finden ihn. Sie hören sich an, was er zu sagen hat, aber die Worte gefallen ihnen nicht. Sie verabscheuen sie so sehr, dass Schinkenbrecher vier Zwerge aus der Stadt umbringen lässt, nur weil sie die Worte hören. Warum das Gemälde stehlen? Weil es zeigt, worüber der Würfel redet? Wo der Würfel ist? Aber genügt es nicht, ihn in der Hand zu halten?

Wie dem auch sei… Wessen Stimme spricht aus dem Ding? Es könnte irgendwer sein. Und warum sollte man den Worten glauben?

Mumm hörte, wie Sir Reynold mit Karotte sprach…

»… habe ich eurem Feldwebel Colon hier gesagt, dass das Bild die Schlacht an einem Ort darstellt, der mehrere Meilen vom tatsächlichen Schauplatz entfernt liegt. Schlingel hat sie in einem falschen Teil des Koomtals gemalt! Das ist so ziemlich die einzige Sache, bei der beide Seiten die gleiche Ansicht vertreten!«

»Warum entschied er sich für eine andere Stelle?«, fragte Mumm und starrte auf den Tisch, als hoffte er, allein mit Willenskraft eine Antwort zu erhalten.

»Wer weiß? Es ist das Koomtal. Es misst etwa zweihundertfünfzig Quadratmeilen. Vielleicht wählte er einen Ort, der besonders dramatisch auf ihn wirkte.«

»Möchten die Herren vielleicht eine Tasse Tee?«, fragte Lady Sybil von der Tür. »Es gab nichts weiter zu tun, deshalb habe ich Tee gekocht. Und du solltest schlafen, Sam.«

Sam Mumm sah nervös auf – eine Autoritätsperson, die sich plötzlich einer häuslichen Situation gegenübersah.

»Oh, Lady Sybil, man hat den Schlingel gestohlen!«, sagte Sir Reynold. »Ich hweiß, dass er deiner Familie gehörte!«

»Mein Großvater nannte ihn ein verdammtes Ärgernis«, erwiderte Sybil. »Er erlaubte mir, das Gemälde auf dem Boden des Ballsaals zu entrollen. Ich konnte die Namen aller Zwerge nennen. Wir suchten nach dem Geheimnis, denn er meinte, es gäbe einen verborgenen Schatz und das Bild böte einen Hinweis darauf. Natürlich haben wir es nie entdeckt, aber das Bild beschäftigte mich an verregneten Nachmittagen.«

»Oh, es war keine große Kunst«, sagte Sir Reynold. »Und der Maler hwar natürlich verrückt, kein Zweifel. Aber irgendwie sprach das Bild die Leute an.«

»Ich wünschte, es würde mir etwas sagen«, brummte Mumm. »Du brauchst keinen Tee zu kochen, Schatz. Einer der Wächter…«

»Unsinn!«, sagte Sybil. »Wir müssen gastfreundlich sein.«

»Natürlich hat man versucht, das Bild zu kopieren«, sagte der Museumsdirektor und nahm eine Tasse entgegen. »Die Ergebnisse hwaren schrecklich! Ein fünfzehn Meter langes und drei Meter hohes Gemälde lässt sich nicht mit einem Mindestmaß an Genauigkeit kopieren…«

»Es sei denn, es liegt auf dem Boden eines Ballsaals, und man hat einen Pantographen«, sagte Sybil und schenkte Tee ein. »Diese Teekanne ist wirklich eine Katastrophe, Sam. Noch schlimmer als der Kessel. Wird er denn nie sauber gemacht?«

Sie sah in die Gesichter. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte sie.

»Du hast eine Kopie des Schlingel angefertigt?«, fragte Sir Reynold.

»Ja«, sagte Sybil. »Vom ganzen Bild, im Maßstab eins zu fünf. Ich war damals vierzehn, und es war ein Projekt für die Schule. Wir beschäftigten uns mit der Geschichte der Zwerge, und da meine Familie das Gemälde besaß… Eine solche Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ihr wisst doch, was ein Pantograph ist? Er bietet eine einfache Möglichkeit, größere oder kleinere Kopien von einem Bild herzustellen, mithilfe von Geometrie, einigen Holzhebeln und einem spitzen Bleistift. Eigentlich habe ich zuerst eine Kopie in Originalgröße angefertigt, verteilt auf fünf Einzelbilder – ich wollte sichergehen, dass ich alle Details berücksichtige. Anschließend kam die Version im Maßstab eins zu fünf, so wie der arme Herr Schlingel alles darstellen wollte. Fräulein Verworfenheit gab mir dafür eine Eins. Sie war unsere Mathematiklehrerin, trug ihr Haar in einem Knoten und darin einen Zirkel und ein Lineal. Sie meinte, ein Mädchen, das mit einem Zeichendreieck und einem Winkelmesser umzugehen versteht, würde es im Leben weit bringen.«

»Wie schade, dass du die Kopie nicht mehr hast!«, sagte Sir Reynold.

»Wie kommst du darauf, Sir Reynold?«, erwiderte Sybil. »Bestimmt liegt sie noch irgendwo. Eine Zeit lang hing sie in meinem Zimmer an der Decke. Mal überlegen… Haben wir das Bild beim Umzug mitgenommen? Vielleicht…« Sie sah auf und lächelte. »Ah, ja. Bist du hier jemals auf dem Dachboden gewesen, Sam?«

»Nein!«, sagte Mumm.

»Dann wird es jetzt Zeit.«

 

 

»Dies ist mein erster Frauenabend«, sagte Grinsi, als sie, nicht ohne gelegentliches Schwanken, durch die nächtliche Stadt gingen. »Diese letzte Sache… Ist so was normal?«

»Was war die letzte Sache?«, fragte Sally.

»Als die Bar in Brand geriet.«

»So was geschieht normalerweise nicht«, sagte Angua.

»Ich habe noch nie gesehen, wie Männer um eine Frau kämpfen«, fuhr Grinsi fort.

»Ja, das war ziemlich eindrucksvoll«, erwiderte Sally. Sie hatten Bronzaleh nach Hause gebracht. Die junge Tänzerin war recht nachdenklich gewesen.

»Und nur, weil sie einen Mann angelächelt hat«, sagte Grinsi.

»Ja«, bestätigte Angua, die versuchte, sich aufs Gehen zu konzentrieren.

»Es wäre schade für Nobby, wenn sie sich das zu Kopf steigen lässt«, meinte Grinsi.

Bewahre mich vor redseligen Betreffen… Betroffenen… Besoffenen, dachte Angua. »Ja, aber was ist mit Fräulein Schubwagen? Im Lauf der Jahre hat sie recht teure Fische nach Nobby geworfen.«

»Wir haben uns für hässliche Frauen eingesetzt«, erklärte Sally laut. »Schuhe, Männer, Särge… Akzeptiere nie den Ersten, den du siehst.«

»Oh, Schuhe«, sagte Grinsi. »Über Schuhe rede ich gern. Hat jemand die neuen Yan-Felshammer-Sandaletten aus massivem Kupfer gesehen?«

»Äh, wir kaufen unsere neuen Schuhe nicht bei Metallarbeitern, meine Liebe«, sagte Sally. »Äh… ich glaube, ich muss mich übergeben…«

»Das hast du nicht anders verdient, weil du… Wein getrunken hast«, kommentierte Angua boshaft.

»Oh, haha«, erwiderte die Vampirin aus den Schatten. »Ich vertrage sarkastische Pause Wein, kein Problem! Was ich nicht hätte trinken sollen, waren… klebrige Getränke mit Namen, die von jemandem stammen, der weniger Humor hat als… oh, neeeiiin…«

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Grinsi.

»Ich habe gerade einen kleinen, lustigen Papierschirm ausgewürgt…«

»Meine Güte.«

»Und eine Wunderkerze…«

»Bist du das, Feldwebel Angua?«, fragte eine Stimme aus der Düsternis. Eine Laterne wurde geöffnet, und Licht fiel auf das sich nähernde Gesicht von Obergefreiter Besuch. Als er näher kam, bemerkte Angua das dicke Druckschriftbündel unter seinem Arm.

»Hallo, Waschtopf«, sagte sie. »Was liegt an?«

»… dies sieht nach einer Zitronenscheibe aus…«, ertönte eine feuchte Stimme aus den Schatten.

»Herr Mumm hat mich beauftragt, in den Tavernen der Sünde und den niederen Orten des Lasters nach euch zu suchen«, sagte Besuch.

»Und die Druckschriften?«, fragte Angua. »Übrigens: Du hättest deinem Satz die Worte ›Das ist nicht persönlich gemeint‹ hinzufügen können.«

»Ich dachte mir: Wenn du schon durch die Tempel des Frevels ziehen musst, kannst du die Gelegenheit nutzen, um Oms heilige Arbeit zu verrichten«, sagte Besuch mit dem unermüdlichen religiösen Eifer, der über alle Missgeschicke triumphiert.17 Manchmal legten sich in einer vollen Taverne alle Leute auf den Boden und löschten das Licht, wenn sie ihn auf der Straße kommen hörten.

Würgende Geräusche kamen aus der Dunkelheit.

»Verflucht sei, wer trinket zu viel vom Weine«, sagte Obergefreiter Besuch. Er bemerkte Anguas Gesichtsausdruck und fügte hinzu: »Das ist nicht persönlich gemeint.«

»Der Fluch wirkt bereits«, stöhnte Sally.

»Was will er, Waschtopf?«, fragte Angua.

»Es geht wieder ums Koomtal. Er möchte, dass ihr zum Wachhaus zurückkehrt.«

»Aber wir haben dienstfrei!«, klagte Sally.

»Bedauere«, sagte Besuch fröhlich. »Ich schätze, ihr seid gerade in den Dienst zurückgerufen worden.«

»Ohne uns zu fragen?«, fragte Angua.

»Wer fragt mich schon?«, sagte Grinsi. »Das ist die Geschichte meines Lebens.«

»Na schön, wir sollten besser gehen«, meinte Angua und versuchte, ihre Erleichterung zu verbergen.

»Wenn ich ›die Geschichte meines Lebens‹ sage, so meine ich natürlich nicht die ganze Geschichte«, sagte Grinsi vor allem zu sich selbst, als sie den anderen in eine Welt folgte, in der es glücklicherweise keinen Spaß gab.

 

 

Die Käsedicks warfen nie etwas weg. Ihre Dachböden hatten etwas Beunruhigendes, und nicht nur deshalb, weil es dort nach lange toten Tauben roch.

Die Käsedicks etikettierten Dinge. Mumm hatte den großen Dachboden des Hauses in der Teekuchenstraße aufgesucht, um das Schaukelpferd, das Kinderbett und eine Kiste mit älteren, aber innig geliebten weichen Spielzeugen zu holen, die nach Mottenkugeln rochen. Nichts, das noch einmal nützlich sein konnte, wurde weggeworfen.

Mumm strich mit einer Hand Spinnweben beiseite und hielt mit der anderen eine Laterne hoch. Sybil ging voraus, vorbei an Kartons mit Aufschriften wie »Männerstiefel, verschiedene«, »Lustige Puppen, an Schnüren und für die Hand« und »Kleines Theater mit Bühnenbildern«. Vielleicht war das der Grund für ihren Reichtum: Sie kauften haltbare Dinge, und inzwischen brauchten sie kaum mehr etwas zu kaufen. Natürlich abgesehen von Lebensmitteln, und Mumm wäre trotzdem nicht überrascht gewesen, wenn er Kartons mit den Aufschriften »Apfelkerne, verschiedene« und »Überbleibsel, müssen aufgegessen werden« gesehen hätte.18

»Ah, da haben wir’s«, sagte Sybil und schob ein Bündel mit Floretten und Lacrosseschlägern beiseite. Zum Vorschein kam ein langes, dickes, röhrenförmiges Objekt.

»Natürlich habe ich es nicht ausgemalt«, sagte sie, als sie die Kopie des Gemäldes zur Treppe trugen. »Das hätte eine Ewigkeit gedauert.«

Es kostete ziemlich viel Mühe, das schwere Bündel zur Kantine hinunterzubringen, aber schließlich wurde es auf den Tisch gehoben und von der Rolle befreit.

Während Sir Reynold die jeweils drei Meter langen Teile entrollte, holte Mumm die kleinere Kopie hervor, die Sybil damals angefertigt hatte. Sie war gerade klein genug, um auf den Tisch zu passen – er beschwerte ein Ende mit einem verkrusteten Becher und das andere mit einem Salzstreuer.

Schlingels Notizen boten eine traurige Lektüre. Und eine schwere noch dazu, denn viele waren halb verbrannt, und die Handschrift ähnelte etwas, das eine Spinne auf einem Trampolin während eines Erdbebens erzeugte.

Der Mann war zweifellos völlig verrückt gewesen und hatte Notizen geschrieben, die er vor dem Huhn geheim halten wollte. Manchmal hatte er mittendrin aufgehört zu schreiben, weil er sich von einem Huhn beobachtet fühlte. Er schien keinen besonders guten Anblick geboten zu haben, bis er zum Pinsel griff, woraufhin er still arbeitete, mit einem seltsamen Glühen im Gesicht. Und das war sein Leben: ein großes Leinwandrechteck. Methodia Schlingel: geboren, ein berühmtes Bild gemalt, hielt sich für ein Huhn, gestorben.

Wenn man bedachte, dass Schlingel nicht einmal mit einem langen Stock auf Grund stoßen konnte: Wie sollte man irgendetwas verstehen, das er geschrieben hatte? Die einzige Notiz, die, wenn auch schrecklich, so doch präzise war, schien seine letzte gewesen zu sein, denn man fand sie neben seiner Leiche:

 

Gahk! Gahk! Es kommt! ES KOMMT!

 

Er war mit dem Mund voller Federn erstickt. Und auf der Leinwand trocknete der letzte Pinselstrich.

Mumms Blick fiel auf die Mitteilung Nummer 39: »Ich habe es für ein leitendes Omen gehalten, aber es schreit in der Nacht.« Ein Omen wofür? Und dann Nummer 143: »Das Dunkle, im Dunkeln, wie ein Stern in Ketten.« Mumm hatte sich diese Worte notiert, ebenso wie viele andere. Das Schlimmste an ihnen – oder das Beste, wenn man solche Rätsel mochte – war, dass sie praktisch alles bedeuten konnten. Sie ließen sich mit jeder beliebigen Theorie in Verbindung bringen. Der Mann war halb verhungert und außer sich vor Angst vor einem Huhn in seinem Kopf gewesen. Ebenso konnte man versuchen, Regentropfen zu verstehen.

Mumm legte die Zettel beiseite und sah sich die sorgfältige Bleistiftzeichnung an. Selbst in dieser Größe war sie verwirrend. Vorn waren die Gesichter so groß, dass man die Poren in der Nase eines Zwergs erkennen konnte, und hinten hatte Sybil Gestalten gezeichnet, deren Größe nicht über einen Zentimeter hinausging.

Äxte und Keulen wurden geschwungen, Speere gehoben. Es gab Angriffe, Gegenangriffe und einzelne Kämpfe. Überall auf dem Gemälde waren Zwerge und Trolle damit beschäftigt, wütend aufeinander einzuschlagen…

Mumm dachte: Wer fehlt?

»Sir Reynold, könntest du mir bitte helfen?«, sagte er leise, um zu verhindern, dass der entstehende Gedanke erschrak und floh.

»Ja, Kommandeur?«, erwiderte der Museumsdirektor und eilte herbei. »Hat Lady Sybil nicht eine hervorragende«

»Die Kopie ist sehr gut, ja«, sagte Mumm. »Äh… woher wusste Schlingel von all diesen Dingen?«

»Es gab viele Zwergenlieder darüber und auch einige Trollgeschichten. Und einige Menschen waren als Augenzeugen dabei.«

»Schlingel hätte also darüber lesen können?«

»Ja. Abgesehen davon, dass er die falsche Stelle im Tal wählte, hat er alles sehr genau gemalt.«

Mumm wandte den Blick nicht von der Schlacht auf dem Papier ab.

»Weiß jemand, warum er den falschen Ort gewählt hat?«, fragte er.

»Es gibt mehrere Theorien. Eine geht davon aus, dass er sich von der Geschichte täuschen ließ, nach der die toten Zwerge am Ende des Tals verbrannt wurden – dort endeten die meisten Leichen nach dem Unwetter, zusammen mit viel Holz für die Feuer. Aber ich glaube, dass er das Ende gewählt hat, weil die Aussicht dort besser ist. Die Berge wirken sehr dramatisch.«

Mumm setzte sich, starrte auf die Skizze und verlangte, dass sie ihr Geheimnis preisgab.

In einigen Wochen werden alle das Geheimnis kennen, hatte Herr Schein gesagt. Warum?

»Sir Reynold, sollte in den nächsten Wochen irgendetwas mit dem Bild geschehen?«, fragte er.

»O ja«, bestätigte der Museumsdirektor. »hWir wollten es im neuen Zimmer ausstellen.«

»Hat das Zimmer etwas Besonderes?«

»Ich habe es dem Feldwebel erklärt, Kommandeur«, sagte der Direktor ein wenig vorwurfsvoll. »Das Zimmer ist rund. Schlingel hat das Bild für die Rundumansicht gemalt. Damit der Betrachter das Gefühl bekommt, mitten in der Schlacht zu stehen.«

Ich bin fast da, dachte Mumm.

»Ich glaube, der Würfel teilte den Zwergen etwas über das Koomtal mit«, sagte er, und sein Blick reichte in die Ferne, als befände er sich bereits im Tal. »Er wies sie darauf hin, dass der Ort, an dem er gefunden wurde, wichtig ist. Selbst Schlingel hielt ihn für wichtig. Sie brauchten eine Karte, und Schlingel hatte eine gemalt, selbst wenn er sich dessen nicht bewusst war. Fred?«

»Jaherr?«

»Die Zwerge waren beim unteren Teil des Bilds nicht sehr vorsichtig, weil es dort nichts Wichtiges enthielt. Nur Leute, weiter nichts. Leute bewegen sich.«

»Bei allem Respekt, Kommandeur, aber die Felsblöcke haben sich ebenfalls bewegt«, sagte Sir Reynold.

»Sie spielen keine Rolle«, erwiderte Mumm. »Ganz gleich, wie sehr sich das Tal verändert hat – dieses Bild funktioniert trotzdem.« Das Glühen des Verstehens traf sein Gehirn.

»Aber im Lauf der Jahre ändern sich sogar die Flussläufe, und bestimmt sind zahlreiche Felsen von den Bergen gerollt«, gab Sir Reynold zu bedenken. »Ich habe gehört, dass dieser Teil des Tals heute ganz anders aussieht.«

»Trotzdem«, sagte Mumm mit verträumter Stimme. »Diese Karte funktioniert über tausende von Jahren. Sie markiert keinen Felsen und keine Höhle, sie markiert einen Ort. Mit einer Nadel kann ich ihn bestimmen. Wenn ich eine Nadel hätte.«

»Ich habe eine!«, sagte Sir Reynold triumphierend und griff nach seinem Revers. »Gestern habe ich eine auf der Straße gesehen, und natürlich kennen hwir alle die alte Redensart: ›Siehst du eine Nadel und hebst sie auf, hast du Glück an diesem Tag zuhauf…‹«

»Ja, danke«, sagte Mumm und nahm die Nadel entgegen. Er ging zum Ende des Tisches, nahm ein Ende des Bilds und zog es über die Länge des Tisches. Papier folgte ihm.

Er steckte die beiden Enden zusammen, hob den Kreis, den das Bild jetzt formte, und senkte ihn auf seinen Kopf herab.

»Die Wahrheit liegt in den Bergen«, sagte er. »Jahrelang hast du eine Bergkette betrachtet. Aber in Wirklichkeit formen die Berge einen Kreis.«

»Das hwusste ich!«, erwiderte Sir Reynold.

»In gewisser Weise, aber vermutlich hast du es bis heute nicht verstanden

»Nun, ja. Aber es war eine Höhle, Kommandeur. Er erwähnt ausdrücklich eine Höhle. Deshalb haben die Leute an den Talwänden gesucht. Der Ort des Bilds ist direkt in der Mitte, in der Nähe des Flusses.«

»Dann gibt es da noch etwas, das wir nicht kennen«, sagte Mumm. »Ich werde herausfinden, was es ist, wenn ich das Tal erreiche!«

Na bitte. Damit war es ausgesprochen. Wie lange hatte er schon gewusst, dass er sich auf die Reise machen würde? Er schien immer dazu entschlossen gewesen zu sein, aber vermutlich war er es erst seit… gestern? Heute Nachmittag? Er sah den Ort vor seinem inneren Auge. Mumm im Koomtal! Er roch praktisch die Luft dort! Er hörte das Donnern des Flusses, sein Wasser eiskalt!

»Sam…«, begann Sybil.

»Nein, dies muss zu Ende gebracht werden«, sagte Mumm. »Das dumme Geheimnis ist mir gleich! Diese Tiefener haben vier von unseren Zwergen ermordet, erinnerst du dich? Sie halten das Bild für eine Karte, die sie benutzen können, deshalb reisen wir zum Tal. Ich muss ihnen folgen.«

»Sam, wenn…«, begann Sybil erneut.

»Wir können uns keinen Krieg zwischen Trollen und Zwergen leisten, Schatz. Die Sache am vergangenen Abend war nur ein Bandenzwist. Ein richtiger Krieg würde Ankh-Morpork zerstören! Und irgendwie hängt alles hiermit zusammen!«

»Das denke ich auch!«, rief Sybil. »Ich will mitkommen!«

»Außerdem droht mir keine Gefahr, wenn… Was?« Mumm starrte seine Frau an, während sein geistiges Getriebe in den Rückwärtsgang schaltete. »Nein, es ist zu gefährlich!«

»Sam Mumm, ich habe mein ganzes Leben davon geträumt, einmal das Koomtal zu besuchen, und glaub bloß nicht, du könntest jetzt auf Trebe gehen und mich zu Hause lassen!«

»Ich gehe nicht auf Trebe! Ich bin nie auf Trebe gegangen! Ich weiß gar nicht, was das bedeutet! Und ich habe überhaupt kein Trebe! Aber es wird dort bald einen Krieg geben!«

»Dann werde ich die Zwerge und Trolle darauf hinweisen, dass wir nichts mit ihrem Krieg zu tun haben«, sagte Sybil ruhig.

»Das nützt nichts!«

»Dann nützt es hier in Ankh-Morpork ebenfalls nichts«, sagte Sybil mit der Schläue eines Spielers, der mit einem Zug vier Zwerge vom Spielbrett fegte. »Sam, du weißt, dass du nachgeben musst. Es hat keinen Sinn, dass du versuchst, es mir auszureden. Außerdem spreche ich Zwergisch. Und wir nehmen auch den kleinen Sam mit.«

»Nein!«

»Dann ist ja alles klar«, sagte Sybil, die offenbar an plötzlicher Taubheit litt. »Wenn du die Zwerge einholen möchtest, sollten wir so schnell wie möglich aufbrechen.«

Sir Reynold wandte sich ihr mit offenem Mund zu. »Aber Lady Sybil, dort bilden sich bereits Armeen. Das ist kein Ort für eine Lady!«

Mumm verzog das Gesicht. Sybil hatte einen Beschluss gefasst. Dies erinnerte ihn an den Zwerg, der zur Zielscheibe von Drachenfeuer geworden war.

Lady Sybils Busen, den sie haben durfte, schwoll an, als sie Luft holte. Sie schien etwas vom Boden aufzusteigen.

»Sir Reynold«, sagte sie mit einer Beilage Eis, »im Jahr der Läuse hat meine Urgroßmutter einmal persönlich ein volles Essen für achtzehn Personen zubereitet, in einer von blutdürstigen Klatschianern eingeschlossenen militärischen Redoute, und sie hat dabei auch an Fruchteis und an Nüsse gedacht. Im Jahr des Stillen Affen hat meine Großmutter unsere Botschaft in Pseudopolis gegen einen Mob verteidigt, nur mit der Hilfe eines Gärtners, eines dressierten Papageis und mit einem Topf, der heißes Pommes-frites-Öl enthielt. Als unsere Kutsche einmal von zwei Wegelagerern gestoppt wurde, hielt ihnen meine verstorbene Tante eine solche Standpauke, dass sie fortgingen und nach ihren Müttern riefen, Sir Reynold, nach ihren Müttern. Gefahr ist uns nicht unbekannt, Sir Reynold. Darf ich dich außerdem daran erinnern, dass vermutlich die Hälfte der Zwerge, die im Koomtal kämpften, Frauen waren? Niemand hat ihnen gesagt, sie sollten zu Hause bleiben!«

Dann ist ja alles klar, dachte Mumm. Wir… Verdammt!

»Hauptmann«, sagte er, »schick jemanden zum Zwerg Grag Scheusohn. Lass ihm ausrichten, dass Kommandeur Mumm ihn grüßt und morgen früh aufbricht.«

»Äh, in Ordnung, Herr«, sagte Karotte. »Sofort.«

Woher wusste er, dass ich mich auf den Weg machen werde?, fragte sich Mumm. Vermutlich war es unvermeidlich. Aber wir wären in große Schwierigkeiten geraten, wenn er in Bezug auf den Zwerg von Misshandlungen gesprochen hätte. Und ich wette, er zählt zu Herrn Scheins Schülern. Vielleicht ist es gar keine schlechte Idee, ihn im Auge zu behalten…

 

 

Wann schlief Lord Vetinari eigentlich? Irgendwann musste selbst er sich mal hinlegen, dachte Mumm. Alle schliefen. Mit dem einen oder anderen Nickerchen konnte man eine Weile weitermachen, aber früher oder später brauchte man acht Stunden Schlaf.

Es war fast Mitternacht, und Vetinari saß an seinem Schreibtisch, quicklebendig und kühl wie der Morgentau.

»Ich brauche dich hier, Mumm.«

»Karotte kann sich um die Dinge kümmern. Es ist jetzt ohnehin etwas ruhiger geworden. Ich glaube, die meisten Unruhestifter sind auf dem Weg zum Koomtal.«

»Für dich ein guter Grund, nicht dorthin zu reisen, sollte man meinen. Mumm, ich habe… Leute dafür.«

»Weitere Morde im Dunkeln, meinst du?«, fragte Mumm. »Nein, Herr. Dies ist eine ganz normale Polizeiangelegenheit.«

»Keine Morde, Mumm«, sagte Vetinari. »Man könnte von… einem angemessenen Maß an Vergeltung sprechen.«

»Nenn es, wie du willst. Es gefällt mir nicht. Ich habe vor, die Verdächtigen lebend zurückzubringen. So etwas versuchen wir in der Wache.«

»Nein, Mumm. Diese Sache betrifft den Niederen König. Ich werde ihm sofort eine Klackernachricht schicken.«

»Er hat wohl ebenfalls seine Leute«, bemerkte Mumm verdrießlich.

»Ja. Auch in dieser Stadt. Und ich habe Leute bei ihm. Man nennt dies Politik, Mumm. So etwas versuchen wir in der Regierung.«

»Hier bei uns? Leute, die uns bespitzeln? Ich dachte, wir wären mit dem Niederen König befreundet!«

»Natürlich sind wir das. Und je mehr wir übereinander wissen, desto bessere Freunde sind wir. Warum sollten wir unsere Feinde bespitzeln? Welchen Sinn hätte das?«

»Wenn du mich nicht mit einer Gruppe zum Koomtal aufbrechen lässt…«, knurrte Mumm.

»Ja?«, fragte Lord Vetinari. »Was machst du dann?«

»Dann kommt Sybil und bittet dich darum.«

Vetinari sah Mumm staunend an. »Lady Sybil lässt dich gehen?«

»Sie begleitet mich. Ebenso Fred und Nobby. Und ich möchte Angua, Sally, Detritus und Grinsi mitnehmen. Multispezies, Herr. Das hilft immer.«

»Und die Rufende Dunkelheit? Was ist damit, Mumm? Sieh mich nicht so an. Die Zwerge sprechen ganz offen darüber. Wie ich hörte, hat einer der sterbenden Zwerge alle verflucht, die sich in der Mine befanden.«

»Davon weiß ich nichts, Herr«, sagte Mumm und zeigte den hölzernen Gesichtsausdruck, der ihn oft weiterbrachte. »Es ist mystisch. In der Wache befassen wir uns nicht mit Mystik.«

»Es ist kein Scherz, Mumm. Soweit ich weiß, handelt es sich um sehr alte Magie. So alt, dass die meisten Zwerge vergessen haben, dass es Magie ist. Und es ist mächtig. Es wird sie verfolgen.«

»Dann sollte ich vielleicht nach einem großen fliegenden Auge mit einem Schweif Ausschau halten«, entgegnete Mumm. »So sollten die Zwerge leicht zu finden sein.«

»Mumm, dir dürfte klar sein, dass das Symbol nicht das Ding selbst ist«, sagte der Patrizier.

»Jaherr. Ich weiß. Aber Magie hat im Leben eines Polizisten nichts verloren. Wir benutzen sie nicht, um Täter zu finden. Wir benutzen sie auch nicht, um Geständnisse zu erhalten. Weil man der verdammten Magie nicht trauen kann, Herr. Sie hat ihren eigenen Willen. Wenn es einen Fluch gibt, der den Mistkerlen folgt, ist das ihre Sache. Aber wenn ich sie zuerst erreiche, Herr, werde ich sie verhaften, und dann muss der Fluch an mir vorbei.«

»Mumm, Erzkanzler Ridcully hat mir gesagt, dass wir es vielleicht mit einer quasidämonischen Entität zu tun haben, die viele Millionen Jahre alt ist!«

»Ich habe dargelegt, wie ich dazu stehe«, meinte Mumm und blickte auf eine Stelle dicht über Lord Vetinaris Kopf. »Es ist meine Pflicht, diese Leute einzuholen. Ich glaube, sie könnten mir bei meinen Ermittlungen helfen.«

»Aber du hast keine Beweise, Mumm. Und du brauchst hieb- und stichfeste Beweise.«

»Ja. Deshalb werde ich sie hierher zurückbringen, ob mit dem Auge an einer Schnur oder nicht. Sie und ihre verdammten Wächter. Damit ich die Ermittlungen fortsetzen kann. Jemand wird mir etwas sagen.«

»Und es dient auch deiner persönlichen Genugtuung?«, fragte Vetinari scharf.

»Ist das eine Fangfrage, Herr?«

»Gut, gut«, sagte Vetinari leise. »Lady Sybil ist eine bemerkenswerte Frau, Mumm.«

»Jaherr. Das ist sie.«

Mumm ging.

Nach einer Weile kam Vetinaris Sekretär Drumknott auf samtenen Füßen heran und stellte eine Tasse Tee vor Vetinari auf den Schreibtisch.

»Danke, Drumknott. Hast du alles gehört?«

»Ja, Herr. Der Kommandeur erschien mir sehr geradeheraus.«

»Seine Familie wurde angegriffen, Drumknott. In ihrem Haus.«

»In der Tat, Herr.«

Vetinari lehnte sich zurück und sah an die Decke. »Sag mir, Drumknott… Wettest du gern?«

»Ich bin dafür bekannt, gelegentlich einen kleinen Betrag zu riskieren, Herr.«

»Stell dir einen Wettkampf zwischen einem unsichtbaren und sehr mächtigen quasidämonischen Ding aus reiner Rachsucht auf der einen Seite und dem Kommandeur auf der anderen Seite vor. Auf wen würdest du, sagen wir… einen Dollar setzen?«

»In diesem Fall würde ich auf keine der beiden Seiten setzen, Herr. Es sieht ganz nach einer Sache aus, über die die Kampfrichter entscheiden müssen.«

»Ja«, sagte Vetinari und blickte nachdenklich zur geschlossenen Tür. »Ja, in der Tat

 

 

Ich verwende keine Magie, dachte Mumm, als er im Regen zur Unsichtbaren Universität ging. Aber manchmal lüge ich.

Er mied den Haupteingang und ging so vorsichtig wie möglich zum Zauberergang, wo immer wieder Reihen gelockerter Ziegel allen Zugang zur Universität gewährten. Generationen betrunkener Zaubererstudenten hatten sie gelöst, um spätabends zurückkehren zu können. Später waren sie zu sehr wichtigen und mächtigen Zauberern geworden, mit Vollbärten und noch volleren Bäuchen, aber sie gaben nie die Anweisung, die Mauer zu reparieren. Immerhin war es eine Tradition. Normalerweise patrouillierten dort nicht einmal die Hummer19, die noch mehr als Zauberer an Tradition glaubten.

Doch diesmal wartete einer von ihnen in den Schatten und zuckte zusammen, als Mumm ihm auf die Schulter tippte. »Oh, du bist’s, Kommandeur Mumm, Herr. Ich bin’s, Herr, Wigglich, Herr. Der Erzkanzler wartet in der Gärtnerhütte auf dich, Herr. Folge mir, Herr. Von mir erfährt keiner was, Herr.«

Mumm folgte Wigglich über den dunklen, regennassen Rasen. Seltsamerweise war er gar nicht so müde. In der letzten Zeit hatte er kaum geschlafen, und doch fühlte er sich recht frisch, auf eine benommene Art und Weise. Es lag an dem Geruch der Jagd. Er würde später dafür bezahlen.

Als er die Gartenhütte erreichte, blickte Wigglich erst nach rechts und dann nach links, mit einem verschwörerischen Gebaren, das eventuellen Beobachtern sofort aufgefallen wäre. Danach öffnete er die Tür.

Eine große Gestalt wartete drinnen. »Kommandeur!«, donnerte sie fröhlich. »Welch ein Spaß! Alles geheim!«

Vermutlich hätte nur sehr starker Regen die Stimme von Erzkanzler Ridcully ein wenig dämpfen können, wenn er in guter Stimmung war.

»Könntest du ein bisschen leiser sprechen, Erzkanzler?«, fragte Mumm und schloss die Tür rasch.

»Entschuldigung! Ich meine, Entschuldigung«, sagte der Zauberer. »Nimm Platz. Die Kompostsäcke sind recht bequem. Nun, äh… wie kann ich dir helfen, Sam?«

»Können wir zunächst einmal übereinkommen, dass du mir nicht helfen kannst?«, fragte Mumm.

»Interessant. Bitte fahr fort«, sagte Ridcully und beugte sich näher.

»Du weißt, dass ich keine Magie in der Wache haben will«, erklärte Mumm. Als er im Halbdunkel Platz nahm, geschah etwas, das unter solchen Umständen oft geschieht: Ein zusammengerollter Schlauch griff ihn von oben an, und er musste ihn zu Boden ringen.

»Das weiß ich, und ich respektiere dich dafür, aber es gibt Leute, die dich deshalb für einen dummen Narren halten.«

»Nun…« Mumm versuchte, das mit dem dummen Narren zu übergehen. »Tatsache ist, dass ich sehr schnell zum Koomtal muss. Äh… wirklich sehr schnell.«

»Man könnte sagen… magisch schnell?«, fragte Ridcully.

»Ja, das könnte man sagen«, bestätigte Mumm und rutschte unruhig hin und her. Er hasste es, dass dies nötig wurde. Und auf was hatte er Platz genommen?

»Mhm«, erwiderte Ridcully. »Aber ohne großen Hokuspokus, nehme ich an? Du scheinst es nicht sehr bequem zu haben.«

Mumm hob triumphierend eine große Zwiebel. »Entschuldigung«, sagte er und warf sie beiseite. »Nein, definitiv kein Pokus. Vielleicht ein bisschen Hokus. Ich brauche einen kleinen Vorteil. Die Zwerge haben einen Tag Vorsprung.«

»Ich verstehe. Reist du allein?«

»Nein, wir sind insgesamt elf. Zwei Kutschen.«

»Meine Güte! Und in einer Rauchwolke verschwinden und woanders erscheinen…«

»So was kommt nicht infrage. Ich brauche nur…«

»Einen kleinen Vorteil«, sagte der Zauberer. »Ja. Etwas Magisches bei der Ursache, nicht aber bei der Wirkung. Nichts, das zu offensichtlich wäre.«

»Und ohne die Gefahr, dass sich irgendjemand in einen Frosch verwandelt oder etwas in der Art«, fügte Mumm schnell hinzu.

»Natürlich«, sagte Ridcully. Er klatschte in die Hände. »Nun, Kommandeur, ich fürchte, wir können dir nicht helfen. In solche Dinge mischt sich die Zauberei nicht ein!« Er senkte die Stimme und fuhr fort: »Wir können dir insbesondere nicht helfen, wenn die beiden Kutschen in, oh, einer Stunde leer hinter dem Gebäude stehen.«

»Äh… gut«, sagte Mumm und versuchte zu verstehen. »Du willst sie doch nicht fliegen lassen oder so?«

»Wir stellen überhaupt nichts mit ihnen an, Kommandeur!«, sagte Ridcully jovial und klopfte ihm auf den Rücken. »Darüber waren wir uns doch einig! Und ich glaube, du solltest jetzt besser gehen, obwohl du natürlich gar nicht hier gewesen bist. Und ich auch nicht. Diese Spionagesachen sind wirklich raffiniert, was?«

Als Mumm gegangen war, lehnte sich Mustrum Ridcully zurück, stopfte seine Pfeife und nutzte dann das Streichholz, um die Laternenkerze auf dem Tisch anzuzünden. Der Gärtner konnte ziemlich sauer werden, wenn jemand seine Hütte durcheinander brachte. Vielleicht sollte er ein wenig aufräumen…

Ridcully starrte auf den Boden, wo der heruntergefallene Schlauch und die Zwiebel auf den ersten Blick wie ein großes Auge mit Schweif aussahen.

 

 

Der Regen kühlte Mumm ab. Und auch die Straßen. Für einen Aufruhr im Regen musste man wirklich übereifrig sein. Außerdem hatte sich die Sache vom letzten Abend herumgesprochen. Natürlich war niemand sicher; Fussel und Großer Hammer wirkten so, dass die Beteiligten kaum sicher sein konnten, welche Ereignisse sich tatsächlich zugetragen hatten. Sie waren aufgewacht und hatten sich schlecht gefühlt. Etwas musste geschehen sein. Und heute Abend regnete es, also blieb man am besten in der Taverne.

Mit brennenden Gedanken ging Mumm durch die nasse, flüsternde Dunkelheit.

Wie schnell konnten diese Zwerge reisen? Einige von ihnen schienen recht alt zu sein. Aber bestimmt waren sie nicht nur alt, sondern auch zäh. Trotzdem, die Straßen in jene Richtung waren nicht besonders gut, und ein Körper konnte nur ein bestimmtes Maß an Durchgeschütteltwerden ertragen.

Und Sybil nahm den kleinen Sam mit. Das war dumm, wenn man einmal davon absah, dass es so dumm eigentlich nicht war, denn die Zwerge waren ins Haus eingebrochen. Daheim musste man sich sicher fühlen. Wenn man sich nicht sicher fühlte, so war man nicht daheim. Entgegen aller Vernunft pflichtete er Sybil bei. Ihr Zuhause war dort, wo sie beide sich aufhielten. Sie hatte bereits eine dringende Klackernachricht an eine alte Freundin geschickt, die in der Nähe des Tals wohnte; sie schien in dieser Sache so etwas wie einen Familienausflug zu sehen.

An einer Ecke standen mehrere schwer bewaffnete Zwerge. Vielleicht waren alle Tavernen voll, oder diese Leute brauchten ebenfalls Gelegenheit, sich ein wenig abzukühlen. Es war schließlich nicht verboten, an einer Ecke zu stehen.

Falsch, dachte Mumm, als er sich näherte. Kommt schon, Jungs. Sagt ein falsches Wort. Hebt eine Waffe. Nur ganz leicht. Atmet laut. Gebt mir etwas, das ich als Vorwand für »Notwehr« nutzen kann. Mein Wort stünde gegen das eure, und glaubt mir, Jungs, ich werde euch nicht in einem Zustand zurücklassen, der es euch ermöglicht, irgendetwas zu sagen.

Die Zwerge warfen nur einen Blick auf die Vision im Fackelschein und Dunst, drehten sich um und stoben davon.

Das ist auch besser für euch!

 

 

Die unter der Bezeichnung Rufende Dunkelheit bekannte Entität huschte durch die Straßen ewiger Nacht, vorbei an nebelhaften Erinnerungsgebäuden, die neben ihr erzitterten. Sie kam ihrem Ziel näher. Sie musste die Angewohnheiten von Jahrtausenden ändern, aber sie fand Wege, auch wenn diese nicht größer waren als Schlüssellöcher. So hart hatte sie nie zuvor arbeiten müssen, und es war auch nie nötig gewesen, so schnell zu sein. Wie aufregend.

Doch wenn sie an einem Gitter oder einem unbewachten Schornstein verharrte, hörte sie den Verfolger. Er war langsam, verfolgte sie aber stetig. Früher oder später würde er sie erreichen.

 

 

Grag Scheusohn wohnte in einem unterteilten Keller in der Billigen Straße. Die Miete war kaum der Rede wert, leider galt das auch für den Komfort: Wenn er auf seinem schmalen Bett lag, konnte er alle vier Wände berühren, besser gesagt, drei Wände und einen dicken Vorhang, der ihn von der neunzehnköpfigen Zwergenfamilie trennte, die den Rest des Kellers beanspruchte. Aber Mahlzeiten waren inbegriffen, und man respektierte seine Privatsphäre. Es bedeutete etwas, einen Grag als Untermieter zu haben, auch wenn dieser recht jung war und sein Gesicht zeigte. Man konnte die Nachbarn damit beeindrucken.

Auf der anderen Seite des Vorhangs stritten Kinder, ein Baby weinte, und es roch nach Ratte-und-Kohl-Kasserolle. Jemand schärfte eine Axt. Und jemand schnarchte. Für einen Zwerg in Ankh-Morpork war Einsamkeit etwas, das man in seinem Innern kultivieren musste.

Bücher und Papiere füllten den Platz aus, den das Bett freiließ. Scheusohns Schreibtisch war ein Brett auf seinen Knien. Er las in einem abgenutzten Buch, der Einband rissig und schimmelig, und die Runen, über die sein Blick glitt, lauteten: »Sie hat keine Kraft in dieser Welt. Um irgendeinen Zweck zu erfüllen, muss die Dunkelheit einen Kämpfer finden, ein lebendes Geschöpf, dem sie ihren Willen aufzwingen kann…«

Scheusohn seufzte. Er hatte die Sätze oft gelesen, in der Hoffnung, zusätzliche Bedeutung in ihnen zu erkennen. Trotzdem schrieb er die Worte in sein Notizbuch. Anschließend legte er das Notizbuch in seinen Ranzen, schwang sich den Ranzen auf den Rücken, zahlte Toin Fußstampfer die Miete für zwei Wochen im Voraus und trat dann nach draußen in den Regen.

 

 

Mumm erinnerte sich nicht daran, schlafen gegangen zu sein. Er erinnerte sich nicht an den Schlaf. Er kam aus Dunkelheit, als Karotte ihn weckte.

»Die Kutschen stehen auf dem Hof, Herr Mumm!«

»Wsnlos?«, murmelte Mumm und blinzelte im Licht.

»Ich habe die Leute aufgefordert, sie zu beladen, Herr, aber…«

»Aber was?« Mumm setzte sich auf.

»Ich glaube, du solltest es dir besser selbst ansehen, Herr.«

 

 

Mumm trat in den feuchten Morgen und sah tatsächlich zwei Kutschen auf dem Hof stehen. Detritus beobachtete, wie sie beladen wurden, auf seine riesige Armbrust gestützt.

Karotte eilte herbei, als er den Kommandeur bemerkte. »Die Zauberer, Herr«, sagte er. »Sie haben irgendetwas mit den Kutschen angestellt.«

Für Mumm sahen sie ganz normal aus, und das sagte er auch.

»Oh, es scheint alles in Ordnung mit ihnen zu sein«, sagte Karotte. Er bückte sich und griff nach dem Tritt. »Aber man kann dies mit ihnen machen.«

Er hob die beladene Kutsche über seinen Kopf.

»Dazu solltest du eigentlich nicht imstande sein«, sagte Mumm.

»Da hast du Recht, Herr«, bestätigte Karotte und ließ die Kutsche vorsichtig auf das Kopfsteinpflaster sinken. »Selbst mit Passagieren darin wird sie nicht schwerer. Und wenn du dir das hier ansiehst, Herr… Sie haben auch etwas mit den Pferden gemacht.«

»Hast du eine Ahnung, was die Zauberer getan haben, Hauptmann?«

»Absolut keine, Herr. Die Kutschen standen bei der Universität. Haddock und ich haben sie hierher gebracht. Natürlich sind sie sehr leicht. Das Geschirr besorgt mich. Sieh nur, Herr.«

»Das Leder ist ziemlich dick«, sagte Mumm. »Und was hat es mit den Kupferknöpfen auf sich? Sind sie magisch?«

»Vielleicht, Herr. Etwas passiert bei einer Geschwindigkeit von dreizehn Meilen die Stunde. Ich weiß nicht, was.« Karotte klopfte auf die Seite der Kutsche, die daraufhin fortglitt.

»Um ganz ehrlich zu sein, Herr: Ich weiß nicht, wie groß der Vorteil ist, den wir hierdurch bekommen.«

»Was? Eine fast gewichtslose Kutsche könnte doch…«

»Es würde helfen, Herr, besonders bei den Steigungen. Aber Pferde können nicht beliebig schnell laufen, Herr, und wenn eine Kutsche erst einmal in Bewegung ist, stellt sie ein rollendes Gewicht und somit kein großes Problem mehr dar.«

»Dreizehn Meilen in der Stunde«, überlegte Mumm. »Hmm. Das ist ziemlich schnell.«

»Heutzutage schaffen viele Postkutschen neun oder zehn Meilen im Schnitt«, sagte Karotte. »Aber wenn ihr euch dem Koomtal nähert, werden die Straßen sehr schlecht.«

»Du rechnest doch nicht damit, dass sie fliegen?«

»Ich glaube, die Zauberer hätten darauf hingewiesen, wenn das geschehen könnte, Herr. Aber es ist interessant, dass du es erwähnst, denn unter jeder Kutsche sind sieben Besen festgenagelt.«

»Was? Und warum steigen sie dann nicht auf?«

»Magie, Herr. Ich glaube, sie kompensieren das Gewicht.«

»Meine Güte, ja. Warum habe ich nicht daran gedacht?«, erwiderte Mumm verdrießlich. »Und deshalb mag ich keine Magie, Hauptmann. Weil sie magisch ist. Es hat keinen Sinn, Fragen zu stellen, denn es ist Magie. Es wird nichts erklärt, denn es ist Magie! Man weiß nicht, wie es geschieht, es ist Magie! Das mag ich nicht an Magie: Sie macht alles mit Magie!«

»Das dürfte der zentrale Punkt sein, Herr, kein Zweifel«, sagte Karotte. »Ich kümmere mich jetzt um das restliche Gepäck. Wenn du mich bitte entschuldigen würdest…«

Mumm richtete den Blick auf die beiden Kutschen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sich nicht an die Zauberer zu wenden, aber er hatte keine andere Möglichkeit gesehen. Wahrscheinlich wären sie in der Lage gewesen, Sam Mumm in einer Rauchwolke verschwinden und am Ziel erscheinen zu lassen, aber wer würde im Koomtal eintreffen, und wer würde zurückkehren? Konnte er sicher sein, dass er es wirklich selbst war? Mumm glaubte fest daran, dass Leute wie er nicht in irgendwelchen Rauchwolken verschwinden sollten.

Sam Mumm war von Natur aus immer ein Fußgänger gewesen. Deshalb nahm er auch Willikins mit, der wusste, wie man eine Kutsche fuhr. Außerdem hatte er Mumm gezeigt, dass er es verstand, ein gewöhnliches Fischmesser mit solcher Wucht zu werfen, dass es sich kaum aus der Wand ziehen ließ. Unter den gegenwärtigen Umständen konnte Mumm einen Butler mit solchen Fähigkeiten gut gebrauchen…

»Entschuldigung«, sagte Detritus hinter ihm. »Ich dich sprechen könnte persönlich?«

»Ja, natürlich«, erwiderte Mumm.

»Ich, äh, was ich gestern gesagt habe bei den Zellen, ich hoffe, es nicht…«

»Kann mich an kein Wort davon erinnern«, sagte Mumm.

Detritus wirkte erleichtert. »Danke, Herr. Ich, äh, möchte mitnehmen den jungen Ziegel, Herr. Er hier keine Verwandten haben und nicht einmal weiß, zu welchem Clan er gehört. Wenn ich ihn lasse aus den Augen, er bestimmt wieder gerät in Schwierigkeiten. Und er noch nie die Berge gesehen hat. Er immer nur in der Stadt gewesen ist!«

Der Blick des großen Trolls hatte etwas Flehentliches. Mumm erinnerte sich daran, dass seine Ehe mit Rubin zwar glücklich, aber kinderlos war.

»Offenbar haben wir kein Gewichtsproblem«, sagte er. »Na schön. Aber pass gut auf ihn auf, klar?«

Der Troll strahlte. »Jaherr! Ich dafür sorgen werden, dass du es nicht bereust, Herr!«

»Frühstück, Sam!«, rief Sybil von der Tür. Ein schrecklicher Verdacht suchte Sam heim, und er eilte zur anderen Kutsche, wo Karotte den letzten Beutel festband.

»Wer hat den Proviant zusammengepackt?«, fragte er. »Hat Sybil das übernommen?«

»Ich glaube schon, Herr.«

»War… Obst dabei?«, fragte Mumm und erkundete den Schrecken.

»Ja, Herr. Ziemlich viel. Und Gemüse.«

»Aber doch auch etwas Schinken, oder?« Mumm bettelte fast. »Schinken ist sehr gut für eine lange Reise.«

»Ich glaube, der Schinken bleibt diesmal daheim«, sagte Karotte. »Ich muss dich darauf hinweisen, Herr, dass Lady Sybil die Sache mit dem Schinkensandwich herausgefunden hat. Ich soll dir ausrichten, das Spiel ist aus, Herr.«

»Ich bin hier der Kommandeur«, sagte Mumm mit so viel Hochmut, wie er mit leerem Magen aufbringen konnte.

»Ja, Herr. Aber Lady Sybil kann auf recht ruhige Weise hart sein, Herr.«

»Ja, das kann sie«, erwiderte Mumm, als sie zum Wachhaus gingen. »Ich bin ein sehr glücklicher Mann«, ergänzte er für den Fall, dass Karotte den falschen Eindruck gewann.

»Ja, Herr. Zweifellos.«

»Hauptmann!«

Sie drehten sich um. Jemand eilte durchs Tor. Auf dem Rücken trug er zwei Schwerter.

»Ah, Hilfspolizist Hancock«, sagte Karotte und trat vor. »Hast du etwas für mich?«

»Äh, ja, Hauptmann.« Hancock sah Mumm nervös an.

»Dies ist eine offizielle Angelegenheit, Andy«, beruhigte ihn Mumm.

»Es ist nicht sehr viel, Herr. Ich habe mich umgehört: Eine junge Frau hat in der letzten Woche mindestens zwei speziell verschlüsselte Mitteilungen nach Klonk in Überwald geschickt. Sie gehen zum Hauptturm und werden dort der Person ausgehändigt, die nachweisen kann, dass sie zum Empfang der Nachrichten ermächtigt ist. Wir müssen nicht wissen, wer die Betreffenden sind.«

»Ausgezeichnet«, sagte Karotte. »Irgendwelche Beschreibungen?«

»Eine junge Frau mit kurzem Haar, das ist alles. Sie hat die Mitteilungen mit ›Aicalas‹ unterschrieben.«

Mumm lachte. »Alles klar. Danke, Hilfspolizist Hancock, vielen Dank.«

»Das Problem der Kriminalität bei den Klackern wächst«, sagte Karotte traurig, als sie wieder allein waren.

»Ja, Hauptmann«, bestätigte Mumm. »Aber wir wissen jetzt, dass unsere Sally nicht ganz ehrlich zu uns ist.«

»Wir können nicht sicher sein, dass sie dahinter steckt«, wandte Karotte ein.

»Glaubst du?«, fragte Mumm fröhlich. »Dies muntert mich wirklich auf. Es ist eine der weniger bekannten Schwächen von Vampiren. Niemand kennt den Grund dafür. Es ist wie die Sache mit den großen Fenstern und leicht zerreißenden Vorhängen. Eine Art Untotenwunsch, könnte man sagen. Wie schlau sie auch sind: Sie glauben immer, niemand könnte ihren Namen erkennen, wenn sie ihn rückwärts buchstabieren. Gehen wir.«

Mumm drehte sich zum Wachhaus um und bemerkte eine kleine, ordentliche Gestalt, die geduldig neben der Tür stand. Sie wirkte wie eine Person, die sich damit zufrieden gab, zu warten. Mumm seufzte. Ich handle nicht mit der Axt in der Hand.

»Frühstück, Herr Scheusohn?«, fragte er.

 

 

»Das macht Spaß«, sagte Sybil eine Stunde später, als die Kutschen durch die Stadt rollten. »Erinnerst du dich an unseren letzten Urlaub, Sam?«

»Es war eigentlich gar kein Urlaub, Schatz«, erwiderte Mumm. Über ihnen schwang der kleine Sam in einer Hängematte hin und her und gluckste.

»Aber es war trotzdem interessant«, sagte Sybil.

»Ja, Schatz. Werwölfe wollten mich fressen.«

Mumm lehnte sich zurück. Die Kutsche war gut gepolstert und gefedert. Derzeit, im Verkehr von Ankh-Morpork, machte sich der magische Gewichtsverlust kaum bemerkbar. Bedeutete er überhaupt etwas? Wie schnell konnte eine Gruppe alter Zwerge reisen? Wenn sie einen großen Wagen genommen hatten, würden die Kutschen am nächsten Tag zu ihnen aufschließen, wenn die Berge noch ein ganzes Stück entfernt waren. Bis dahin bekam Mumm wenigstens Gelegenheit, ein wenig auszuruhen.

Er holte ein abgegriffenes Buch mit dem Titel Wandern im Koomtal von Erik Kreuzschlüssel hervor – der Mann schien auf allem gewandert zu sein, das mehr Platz bot als ein Schafspfad in den Nahen Spitzhornbergen.20 Das Buch enthielt eine Kartenskizze, die einzige Mumm bekannte Karte des Tals. Erik war gar kein schlechter Skizzenzeichner.

Das Koomtal war… eigentlich ein großer Abfluss, darauf lief es hinaus: fast dreißig Meilen weicher Kalkstein, umgeben von Bergen aus festerem Gestein – es hätte eine Schlucht sein können, wenn es nicht so breit gewesen wäre. Das eine Ende lag nahe der Schneegrenze, das andere ging in die Ebene über.

Es hieß, selbst die Wolken hielten sich von der Einöde des Koomtals fern. Vielleicht stimmte das, aber es spielte keine Rolle. Das Tal bekam trotzdem Wasser ab, von schmelzendem Schnee und Eis und von hunderten von Wasserfällen, deren Fluten aus den Bergen kamen und über die Talwände strömten.

Der Fluss namens Koom entstand nicht einfach in diesem Tal. Er sprang und tanzte darin. Auf halbem Wege hindurch bildete er ein Gewirr aus zahlreichen Läufen, die sich immer wieder vereinten und voneinander trennten. Das Wasser riss Felsen mit sich und spielte mit entwurzelten Bäumen, die von den Geröllhalden an den Talhängen stammten. Gurgelnd verschwand es in Löchern und kam Meilen entfernt in Form von Fontänen wieder zum Vorschein. Der Versuch, den Verlauf des Flusses und seiner vielen Seitenarme zu kartographieren, hatte keinen Sinn. Ein ordentliches Gewitter höher in den Bergen konnte hausgroße Felsen und ein halbes Waldland mit einer plötzlichen Flut nach unten spülen, verstopfte Ponore und schuf Dämme. Einige davon überdauerten und wurden im Lauf der Jahre zu Inseln im brodelnden Wasser. Kleine Wälder und Wiesen bildeten sich darauf, lockten Kolonien großer Vögel an. Und dann rutschte irgendwo ein Felsen beiseite, und alles verschwand innerhalb von nur einer Stunde.

Was nicht fliegen konnte, überlebte nicht in diesem Tal, zumindest nicht lange. Damals, vor der ersten Schlacht, hatten die Zwerge erfolglos versucht, es zu zähmen. Hunderte von Zwergen und Trollen waren bei der berühmten Überflutung fortgeschwemmt worden, und viele von ihnen hatte man nie wiedergesehen. Das Koomtal hatte sie in seine Ponore und Höhlen geholt und sie dort behalten.

Es gab Stellen im Tal, wo man einen bunten Korken in einen Ponor werfen konnte, der dann zwanzig Minuten später kaum ein Dutzend Meter entfernt von einer Fontäne nach oben getragen wurde.

Mumm las, dass Erik diesen Trick bei einem Führer beobachtet hatte, der sich dafür einen Dollar geben ließ. Leute besuchten das Tal, menschliche Touristen, Dichter und Künstler, die in der zerklüfteten, unbeugsamen Wildnis nach Inspiration suchten. Und menschliche Führer geleiteten sie für viel Geld durchs Tal. Für ein paar zusätzliche Dollar berichteten sie auch von der Geschichte des Ortes. Sie erzählten, wie der Wind zwischen den Felsen und das Rauschen des Wassers vom alten Kampf berichteten, der im Tod weiterging. Sie erzählten, dass all die Trolle und Zwerge, die das Tal damals zu sich geholt hatte, noch immer kämpften, unten im dunklen Labyrinth aus Höhlen und donnernden Strömen.

Ein Besucher teilte Erik mit, dass er als Kind und während eines kühlen Sommers mit nur wenig Schmelzwasser an einem Seil in einen Ponor hinabgeklettert war (denn wie alle derartigen Geschichten wäre die vom Koomtal ohne einen in die Dunkelheit geschwemmten Schatz nicht vollständig gewesen), und dort unten hatte er im Rauschen des Wassers Kampfgeräusche und die Rufe von Zwergen gehört, nein, Herr, ganz ehrlich, Herr, es lief mir kalt über den Rücken, Herr, vielen Dank, Herr…

Mumm setzte sich auf.

Stimmte das? Wenn dieser Mann noch etwas weiter in die Tiefe geklettert wäre, hätte er dann den kleinen sprechenden Würfel gefunden, den Methodia Schlingel unglücklicherweise mit nach Hause genommen hatte? Erik schien darin nur einen Versuch gesehen zu haben, einen weiteren Dollar zu ergattern, und vielleicht war es tatsächlich so gewesen, aber… Nein, zu jener Zeit musste der Würfel längst fort gewesen sein. Trotzdem, ein faszinierender Gedanke.

Die Kutscherklappe öffnete sich.

»Wir sind außerhalb der Stadt, Herr«, sagte Willikins. »Niemand ist vor uns auf der Straße.«

»Danke.« Mumm sah zu Sybil. »Jetzt finden wir es gleich heraus. Halt den kleinen Sam gut fest.«

»Mustrum hat bestimmt nichts Gefährliches getan, Sam«, erwiderte Sybil.

»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Mumm und öffnete die Tür. »Ich glaube nur, dass er nichts Gefährliches beabsichtigte

Er schwang sich nach draußen und kletterte, mit Detritus’ Hilfe, auf das Dach der Kutsche.

Sie machten gute Fahrt. Die Sonne schien, und die Kohlfelder zu beiden Seiten der Straße erfüllten die Luft mit ihrem sanften Geruch.

Mumm nahm neben dem Butler Platz. »Na schön«, sagte er. »Halten sich alle an etwas fest? Gut. Treib die Pferde an!«

Willikins ließ die Peitsche knallen. Es gab einen kurzen Ruck, als sich die Pferde streckten, und Mumm spürte, wie die Kutsche schneller wurde.

Und das schien es auch schon gewesen zu sein. Er hatte mit etwas Eindrucksvollerem gerechnet. Sie fuhren schneller, aber das schien nicht sehr magisch zu sein.

»Ich schätze, es sind jetzt etwa zwölf Meilen in der Stunde, Herr«, sagte Willikins. »Das ist ziemlich gut. Die Pferde laufen ohne…«

Etwas geschah mit dem Geschirr. Funken stoben von den Kupferknöpfen.

»Sieh dir an den Kohl, Herr!«, rief Detritus.

Auf beiden Seiten der Straße gingen Kohlköpfe in Flammen auf und schnellten aus dem Boden. Und die Pferde wurden noch schneller.

»Es ist Energie!«, rief Mumm, um das Fauchen des Fahrtwinds zu übertönen. »Wir fahren mit Kohlkraft! Und…«

Er unterbrach sich. Die beiden hinteren Pferde stiegen langsam auf, und dann kamen auch die beiden vorderen nach oben.

Mumm riskierte es, sich umzudrehen. Die andere Kutsche blieb hinter ihnen. Ganz deutlich sah er Fred Colons rosarotes und entsetzt starrendes Gesicht.

Als Mumm wieder nach vorn blickte, hatten sich alle vier Pferde vom Boden gelöst.

Und da war ein fünftes Pferd, größer als die anderen vier und transparent. Sichtbar war es nur wegen des Staubs und weil gelegentlich Licht an einer unsichtbaren Flanke glänzte. Dies erhielt man, wenn man nur die Bewegung des Pferds betrachtete: seine Geschwindigkeit… die Essenz eines Pferds, jenen Teil eines Pferds, der im brausenden Wind zum Leben erwacht. Den Teil des Pferds, der Pferd war.

Es gab jetzt kaum noch Geräusche. Vielleicht waren Geräusche nicht schnell genug, um ihnen zu folgen.

»Herr?«, fragte Willikins leise.

»Ja?«, erwiderte Mumm mit tränenden Augen.

»Für die letzte Meile haben wir weniger als eine Minute gebraucht. Ich habe die Zeit zwischen den Meilensteinen gemessen, Herr.«

»Sechzig Meilen in der Stunde? Sei nicht dumm, Mann! So schnell kann keine Kutsche sein!«

»Wie du meinst, Herr.«

Ein Meilenstein flog vorbei. Willikins hörte, wie Mumm leise zählte, und es dauerte nicht lange, bis ein zweiter Meilenstein hinter ihnen zurückblieb.

»Zauberer, wie?«, fragte Mumm schwach und blickte nach vorn.

»In der Tat, Herr«, sagte Willikins. »Darf ich vorschlagen, dass wir die Reise nach Quirm übers Grasland fortsetzen?«

»Aber die Straßen dort sind ziemlich schlecht.«

»Das habe ich gehört. Aber ich glaube, es wird keine Rolle spielen, Herr«, sagte der Butler, ohne den Blick von der dahinhuschenden Straße abzuwenden.

»Warum nicht? Wenn wir versuchen, auf holprigen Wegen schneller zu fahren…«

»Ich habe mich indirekt auf den Umstand bezogen, dass wir gar nicht mehr den Boden berühren, Herr.«

Mumm hielt sich vorsichtig am Geländer fest, als er über die Seite blickte. Die Räder drehten sich im Leeren. Die Straße dicht unter ihnen war ein Schemen. Vorn galoppierte ruhig der Geist des Pferds.

»Es gibt viele Raststätten in der Nähe von Quirm«, sagte Mumm. »Vielleicht könnten wir bei einer, äh, anhalten und zu Mittag essen?«

»Eher ein spätes Frühstück, Herr! Postkutsche voraus, Herr! Halt dich gut fest!«

Ein kleines Viereck auf der Straße wurde recht schnell größer. Willikins bewegte die Zügel, und Mumm glaubte kurz zu sehen, wie sich die Pferde aufbäumten, und dann war die Postkutsche nur noch ein Punkt hinter ihnen, halb verborgen im Rauch brennenden Kohls.

»Die Meilensteine sehr schnell kommen vorbei«, bemerkte Detritus im Plauderton. Hinter ihm lag Ziegel flach auf dem Dach der Kutsche und hielt die Augen geschlossen – nie zuvor hatte er sich in einer Welt befunden, in der der Himmel bis zum Boden reichte. Er hinterließ Fingerabdrücke in den Messingstangen am Rand des Daches.

»Könnten wir versuchen zu bremsen?«, fragte Mumm. »Pass auf, ein Heukarren!«

»Wenn wir bremsen, hören nur die Räder auf, sich zu drehen!«, rief Willikins, als der Karren mit einem Wrumm vorbeirauschte und in der Ferne verschwand.

»Und wenn du die Zügel ein wenig anziehst?«

»Bei dieser Geschwindigkeit, Herr?«

Mumm öffnete die Klappe hinter ihm. Sybil hatte den kleinen Sam auf den Knien und zog ihm eine Spielhose aus Wolle an.

»Ist alles in Ordnung, Schatz?«, fragte er behutsam.

Sybil sah auf und lächelte. »Eine angenehm ruhige Reise, Sam. Aber sind wir schnell genug?«

»Äh, könntest du bitte mit dem Rücken zu den Pferden Platz nehmen?«, fragte Mumm. »Und halt den kleinen Sam fest. Es könnte ein wenig… ungemütlich werden.«

Er beobachtete, wie sie den Platz wechselte. Dann schloss er die Klappe und rief Willikins zu: »Jetzt!«

Nichts schien zu passieren. In Mumms Vorstellung machten die Meilensteine bereits Zipp zipp, als sie vorbeiflogen.

Dann wurde die fliegende Welt langsamer, während auf den Feldern zu beiden Seiten hunderte von Kohlköpfen gen Himmel sprangen und Rauch hinter sich herzogen. Das Pferd aus Licht und Luft verschwand, und die echten Pferde sanken sanft zu Boden. Ohne ein Stolpern verwandelten sich schwebende Statuen in voll galoppierende Tiere.

Mumm hörte einen kurzen Schrei, als die zweite Kutsche vorbeikam und über ein Blumenkohlfeld raste, wo sie schließlich mit einem Geräusch zum Stehen kam, das nach akuten Blähungen klang. Stille folgte, abgesehen von einem gelegentlichen leisen Pochen, das von herabfallendem Gemüse stammte. Detritus tröstete Ziegel, der keinen guten Tag für seinen Entzug gewählt hatte; Delirien konnten kaum schlimmer sein.

Eine Feldlerche flog hoch über dem Kohlregen und sang am blauen Himmel. Unten herrschte bis auf Ziegels leises Wimmern Stille.

Mumm zog geistesabwesend ein halb gares Kohlblatt von seinem Helm und schnippte es fort.

»Das hat Spaß gemacht«, sagte er mit einer Stimme, die aus der Ferne zu kommen schien. Er stieg vorsichtig ab und öffnete die Tür der Kutsche. »Noch alle drin?«, fragte er.

»Ja«, sagte Sybil. »Warum haben wir angehalten?«

»Weil wir, äh… weil wir angehalten haben«, sagte Mumm. »Ich sollte besser nachsehen, ob alle o. k. sind…«

Der Meilenstein in der Nähe behauptete, dass es nur noch zwei Meilen bis nach Quirm waren. Mumm holte das Stachelbeer-Modell hervor, als ein rot glühender Kohlkopf hinter ihm auf die Straße klatschte.

»Guten Morgen!«, grüßte er munter den überraschten Kobold. »Könntest du mir bitte sagen, wie spät es ist?«

»Äh… neun Minuten vor acht, Hier Namen Einfügen«, antwortete der Kobold.

»Das ergibt eine Geschwindigkeit von etwas über einer Meile pro Minute«, überlegte Mumm. »Sehr gut.«

Er ging wie ein Schlafwandler, betrat das Feld auf der anderen Straßenseite und folgte der Spur aus dampfendem Gemüse bis zur anderen Kutsche. Leute stiegen aus.

»Alle wohlauf?«, fragte er. »Zum Frühstück gibt es gekochten Kohl, gebackenen Kohl, gebratenen Kohl…« Er wich beiseite, als ein weiterer Kohlkopf vom Himmel fiel, auf den Boden prallte und explodierte. »… und Blumenkohlüberraschung. Wo ist Fred?«

»Er sucht nach einer Stelle, wo er sich übergeben kann«, sagte Angua.

»Ausgezeichnet. Ich glaube, wir machen hier für ein oder zwei Minuten Rast.«

Mumm kehrte zum Meilenstein zurück, nahm daneben Platz, schlang die Arme darum und hielt sich fest, bis er sich besser fühlte.

 

 

Wir könnten die Zwerge einholen, lange bevor sie das Koomtal erreichen. Meine Güte, bei der Geschwindigkeit, mit der wir unterwegs sind, müssen wir aufpassen, dass wir nicht von hinten gegen sie prallen!

Dieser Gedanke ließ Mumm keine Ruhe, als die Kutsche langsam Quirm hinter sich ließ. Als dann vor ihnen die Straße frei war, hob Willikins die Zügel und setzte die verborgene Pferdekraft frei, bis sie mit etwa vierzig Meilen pro Stunde dahinsausten. Das schien schnell genug zu sein.

Immerhin kam niemand zu Schaden. Du könntest heute Abend im Koomtal sein!

Ja, aber das sah der Plan nicht vor.

Na schön, dachte er, was ist eigentlich unser Plan? Es half, dass Sybil mehr oder wenige alle Leute kannte oder zumindest alle, die weiblichen Geschlechts sowie in einem gewissen Alter waren und das Internat für junge Damen in Quirm zur gleichen Zeit wie sie besucht hatten. Es schienen hunderte zu sein. Offenbar hatten sie alle Namen wie Bunni oder Bubbel; sie achteten sehr darauf, immer in Kontakt zu bleiben; sie hatten einflussreiche oder mächtige Männer geheiratet; sie umarmten sich und sprachen dann von der guten alten Zeit in Klasse 3 b oder so; und wenn sie zusammen agierten, konnten sie vermutlich die Welt regieren oder taten das schon, dachte Mumm.

Sie waren Frauen, die organisierten.

Mumm gab sich alle Mühe, aber es gelang ihm nicht, die Übersicht zu behalten. Ein Netz aus Korrespondenz hielt sie alle zusammen, und er staunte über Sybils Fähigkeit, an den Problemen eines Kinds Anteil zu nehmen, das sie gar nicht kannte, Sohn oder Tochter einer Frau, die sie vor fünfundzwanzig Jahren zum letzten Mal gesehen hatte. Es war eine Frauensache.

Sie würden in einem Ort unweit des Tals übernachten, bei einer Dame, die Mumm derzeit unter dem Namen Bunty kannte und deren Mann Richter war. Laut Sybil hatte er seine eigene Polizei. In der Privatsphäre seines Kopfes übersetzte Mumm das in »Er hat eine Bande aus hinterhältigen, zahnlosen, übel riechenden Diebesfängern«, denn das war in den kleinen Orten meistens der Fall. Trotzdem, sie konnten nützlich sein.