Kapitel 6

 

Kennen Sie auch diese Träume? Es ist so verdammt real, dass man sich völlig sicher ist: es muss Realität sein. Channing Tatum hat sich so toll mit mir unterhalten. Er hat so nett gelächelt und als er nach meiner Hand griff, konnte ich wirklich seine Haut spüren. Ja, dann wacht man auf und er liegt nicht neben einem. Er ist nicht mal im selben Land. Es war ein Traum. Natürlich nicht alles. Die Großfamilie liegt um mich verstreut, irgendwo wird diese blöde Ziege in ihrer schicken Uniform sitzen und Sandwiches verteilen – und ich? Ich sitze hier, nicht in Berlin, und ich bin mir ganz sicher, dass sich, bevor meine Augen zufielen, ein süßer Kerl in meiner Nähe befunden hat. Lukas hieß er. Jetzt ist er weg. Nein, er ist nicht weg. Er war nie da. Das ist das Problem, wenn man eine so wunderbare Fantasie hat. Ich könnte vermutlich sehr erfolgreich Kitsch-Romane schreiben, wenn mein Selbstbewusstsein nur ein bisschen größer wäre.

Ich richte mich auf und ziehe die Kordjacke etwas enger um meinen Körper. Kordjacke? Wie schnell ich wach werden kann, ist doch immer wieder erstaunlich. Woher zum Teufel soll ich eine Kordjacke haben, wenn nicht von dem süßen Kerl Lukas? Aber so sehr ich mich anstrenge und mich umsehe, ich kann ihn nicht entdecken. Er ist nicht hier. Vielleicht ist er nur kurz aufs Klo? Oder was essen? Was trinken? Wie viel Uhr haben wir es denn? Kurz vor sechs. Ja, ich merke, dass ich nicht sehr lange geschlafen haben. Ich fühle mich, als ob mich jemand getoastet hätte. Oder als wäre ich in ein Waffeleisen gepresst worden. Mein Gott, diese Schlafposition ist ausgesprochen unbequem. Ich freue mich auf ein richtiges Bett mit echten Kissen, aber ich möchte ungern diese Jacke zurückgeben. Ganz ehrlich. Ich würde diesen Kerl mit einer dünnen Jeansjacke bis nach Hamburg schicken, nur weil ich diesen Geruch vermissen werde, und zwar von dem Moment an, wenn ich ins Flugzeug steige. Ich stopfe meine Hände in die Jackentasche und stoße auf irgendetwas aus Plastik. Es rutscht zwischen meine Finger und ich ziehe es heraus. Aha ... ein Lippenpflegestift. Stimmt, als wir uns geküsst haben, hätte ich merken müssen, dass er Lippenbalsam benutzt. Keine Frage. Ich schraube den Deckel ab und rieche daran: Erdbeere. Ich muss lächeln, sofort sind die Erinnerungen an unseren ersten Kuss wieder da. Sehr lebendig schieben sich die Bilder von uns im Schnee wieder vor mein inneres Auge.

Gestern war heute noch morgen früh. Aber jetzt wache ich auf und der Tag beginnt mit einem Abschied. Jetzt ist es kurz vor sechs und es ist schon früh morgens. Ich habe wirklich Angst vor dem Abschied. Ich habe noch nie zuvor jemanden getroffen, in den ich mich so schnell, so sehr verliebt habe. Sogar bei Benny hat es ganze vier Wochen gedauert, bis ich wusste, er ist der Richtige. Wie wir inzwischen wissen, war er nicht der Richtige. Lukas ist in mein Leben gestolpert und jetzt fliegt er wieder davon. Kennt jemand einen guten Regisseur, der mir ein Happy-End inszenieren könnte?

Da bekomme ich über Nacht diesen Menschen geschenkt, den ich am Abschluss meines Tages anrufen will, um ihm gute Nacht zu wünchen. Wenn man sich dessen nicht bewusst ist, vermisst man natürlich nichts. Aber jetzt weiß ich, dass es Lukas gibt. Es sind immer die Kleinigkeiten, die einem auffallen. Wie er mit den Fingern knackt, wenn er nervös ist. Wie er seine Brille auf der Nase in die richtige Position bringt, wie er lächelt und sich diese Grübchen bilden, und wie er sich mit einer flüchtigen Bewegung die Haare aus der Stirn streicht. Er hat mir meine Taschen getragen. Er hat mich in ein warmes Hotelzimmer gebracht, ohne Anspruch darauf zu erheben, auch einen Platz in dem Bett zu finden. Er hat mir eine Cola geschickt und aus dem Buch Herr der Ringe vorgelesen. Ich trage seine Jacke und habe die Decke um mich gewickelt, die er bekommen hat. Jetzt ist er irgendwo, seine Tasche noch immer auf dem Wagen vor mir. Er wird wieder kommen aber auch wieder gehen. Ich werde ihn wirklich vermissen, weil ich mich verliebt habe. Natürlich, sowas ist Ihnen ja noch nie passiert. Mir etwa? Machen Sie Witze? Ich habe doch auch nicht geglaubt, dass so etwas passieren kann – und jetzt sitze ich hier, mitten in einem Weihnachtsmärchen.

„Guten Morgen.“

Ich sehe überrascht auf, obwohl ich ganz genau weiß, wer es ist und ich nur darauf gewartet habe, ihn zu sehen.

„Guten Morgen. Ich hab schon gedacht, du hättest deine Fluchtmöglichkeit genutzt.“

„Hätte ich auch fast. Aber ich musste noch schnell was erledigen.“

Er nimmt wieder neben mir Platz und legt direkt den Arm um mich. Ich kuschele mich wieder an seine Seite.

„Musstest du deine Frau anrufen und erklären, wieso du später kommst?“

„Genau. Wollte meinen Töchtern noch schnell frohe Weihnachten wünschen.“

„Das dachte ich mir.“

„Ich musste doch Frühstück organisieren.“

Er hat eine kleine Tüte mit Croissants und Milchkaffee dabei. Dazu noch ein kleiner Schoko-Muffin. Ist dieser Mann vielleicht zu gut, um wahr zu sein?

„Ich habe versucht ein französisches Frühstück zu organisieren. Als Einstimmung.“

„Aber ... das ...“

„ … war nicht nötig. Natürlich nicht. Aber ich wollte es einfach.“

Mein erstes Frühstück mit Lukas. Zum ersten Mal zusammen aufwachen. Zum ersten Mal wissen, wie er seinen Kaffee trinkt. Zum ersten Mal den Tag mit ihm beginnen. Zum ersten Mal oder zum letzten Mal? Er küsst sanft meine Wange und bringt wieder etwas Ordnung in meine Frisur. Ich muss schrecklich aussehen. Ob Sandra Bullock auch so aussieht, wenn sie morgens in den Spiegel sieht? Ich bin mir nicht sicher. Und Julia Roberts? Ganz sicher nicht. Aber ich bin eben nun mal Pippa, nicht Sandra oder Julia.

„Du bist übrigens wunderschön, weißt du?“

Offenbar sieht Lukas das anders. Er will weder Julia noch Sandra. Er will mich und ich beiße mir auf die Innenseite meiner Backen, um sicher zu gehen, dass das alles hier kein Traum ist.

„Der Flug Stuttgart-Berlin geht um 9.45 Uhr nach Verspätung. Wir bitten nochmals um Verzeihung ...“

Diese Durchsage erreicht uns in dem Buchladen, wo wir uns kurze Passagen aus Büchern mit schrecklichen Titeln vorlesen. Der schlechteste Text gewinnt. Es ist kurz nach acht und wir wissen beide, bald heißt es Abschied nehmen. Wir waren wieder mal Pfadfinder und haben der Großfamilie unseren Gepäckwagen überlassen. Es hat sich fast so angefühlt, als würden wir ein liebgewonnenes Haustier abgeben müssen. Aber wir haben keine Verwendung mehr dafür, bald gehen unsere Flüge und es wird Zeit, sich dessen bewußt zu werden.

Na ja, wie auch immer, jetzt sind wir hier und wissen beide, dass unsere Zeit abläuft. Sein Flug nach Hamburg geht erst um kurz nach zwölf, was bedeutet, dass er noch eine ganze Weile hier am Flughafen warten muss, während ich schon weg sein werde. Ja, ich bin dann vermutlich schon in Berlin und er ist noch immer in Stuttgart. Obwohl ich mich freue meine Eltern zu sehen (die ich immer noch nicht angerufen habe), will ich nicht an den Abschied denken. In der letzten halben Stunde haben wir auch kaum noch gesprochen. Ich trage aber noch immer seine Jacke.

„Bist du sicher, dass du hier alleine warten willst?“

„Klar. Ich werde mir eine Zeitschrift kaufen und dann klappt das schon. Keine Sorge“

„Ich mache mir keine Sorgen.“

Was natürlich gelogen ist. Ich werde mir den Kopf darüber zerbrechen, was er wohl jetzt gerade macht, wie es ihm geht, ob er an mich denkt. Ich will nur noch diesen Flug überleben. In Berlin wird es dann einfacher, weil ich meine Mutter umarmen und etwas Gutes essen kann. Natürlich verheimliche ich meine Beziehung zu Lukas zunächst einmal. Klingt das nicht toll? Eine Beziehung. Eigentlich ziehe ich an Stellen wie diesen die Notbremse und wehre mich gegen ernste Gefühle, aber mein Herz ist viel zu laut.

„Weißt du schon, wo du Silvester feiern wirst?“

„In Freiburg mit einem Tischfeuerwerk, glaube ich. Und du?“

„Weiß ich noch nicht.“

Ich kann mir nur vage vorstellen, wieviel Facebook-Event-Einladungen er über das Jahr verteilt erhält, aber zum Jahresende sind es bestimmt dreimal so viel wie ohnehin schon. Jeder möchte mit einem Mann wie ihm ins neue Jahr rutschen, das kann ich niemanden übel nehmen.

Er nimmt noch ein Buch mit schrecklichem Cover aus dem Regal vor uns. Wir schütteln beide den Kopf und Lukas stellt es schnell zurück an seinen Platz. Ich komme mir vor, wie in einem dieser John-HughesFilme aus den 80er Jahren mit Andrew McCarthy oder Judd Nelson. The Breakfast Club oder so.

„Du muss unbedingt Herr der Ringe lesen, das hast du mir versprochen.

„Aber du musst mir unbedingt diese Geschichte schicken, an der du schreibst.“

„Wird gemacht.“

Immerhin ist genau diese Geschichte die Bedingung für einen Flug in die Stadt der Liebe.

„Vielleicht steht ja bald dein Buch hier.“

Er sieht sich in der Abteilung um und zuckt die Schultern. An einen Erfolg als Schriftsteller scheint er nicht zu glauben, aber das muss er auch nicht. Das übernehme ich schon für ihn.

„Wirst du mich anrufen?“

Wenn mein Mund manchmal mehr auf meinen Kopf und weniger auf mein Herz hören würde, müsste ich jetzt nicht rot anlaufen. Aber zu spät, die Frage ist schon gestellt. Das habe ich mich nämlich die ganze Zeit heimlich gefragt und wollte es eigentlich auch nicht aussprechen, aber jetzt konnte ich es nicht ein weiteres Mal runterschlucken. Er sieht mich an. Kein Lächeln, kein Grinsen. Nur seine Augen.

„Was denkst du denn?“

Meine Gedanken überschlagen sich, aber ich lasse die Frage im Raum stehen und entscheide mich für die Antwort meines Herzens, nicht meines Kopfes.

 

Wir schlurfen zusammen Richtung Abflug-Gate. Er trägt meine Tasche und ich muss an seine Sportverletzung denken, die Schulter. Aber er wehrt mein Angebot einfach ab, auch etwas zu übernehmen. Er würde das schon schaffen. Ich trage nur meinen Rucksack. Mit jedem Schritt, den ich vorwärts gehe, wird mir schlechter. Und das hat ganz sicher nichts mit dem Muffin zu tun. Ich erspähe aus dem Augenwinkel auch wieder die Tussi am Schalter. Obwohl ich sie gerne angrinsen würde, bleibt mein Gesicht regungslos. Ich werde fliegen. Weg von hier und Lukas. Er stellt meine Taschen auf den Boden und sieht mich an. Ich muss wirklich los. Wir haben den Abschied bis zum letzten Moment hinausgezögert. Jetzt wünschte ich mir, wir hätten früher damit angefangen, dann hätte ich jetzt nicht so viel zu sagen. Zuerst reiche ich ihm seine Jacke, die er über die Jeansjacke zieht. Alles dreht sich in meinem Kopf. Er spielt wieder mit seiner Brille und lässt die Finger knacken. Ich trete von einem Bein aufs andere und überlege mir, welcher Film die schönste Abschieds-Szene hat. Ich will einfach wirklich etwas besonders für einen solchen Tag. Doch jetzt greift er einfach nach meinen Händen und zieht mich ein kleines Stück näher an sich heran.

„Kennst du das ... Menschen, die sind schon seit Ewigkeiten Teil deines Lebens, aber man wird nie einen Kreis mit ihnen bilden? Ich meine, man wird nie etwas Ganzes ergeben. Und dann wiederum ... andere Menschen, die trifft man einmal und weiß: es passt! Es ist rund, wie ein Ring. Weißt du, was ich sagen will? Ich hoffe es nämlich, weil ich keine Ahnung habe, was ich da eigentlich rede.“

Ich fahre ihm kurz über die Wange und gebe ihm somit zu verstehen, dass ich ganz genau weiß, wie er sich fühlt und was er sagen will. Ich nicke.

„Das ist absurd.“

„Ich weiß nur, dass ich dich wiedersehen will, Lukas. Weißt du auch wieso?“

Er schüttelt schüchtern den Kopf.

„Weil du mit einem Feuerzeug meine Cola-Flasche aufgemacht hast, weil du mir deine Jacke gegeben hast, weil du mir ein Sandwich geholt hast, weil du zurückgekommen bist und weil du nach Erdbeere schmeckst.“

Er lacht kurz und ich lächele. Ausgesprochen klingen so viele Dinge blöd, aber in meinem Kopf ergeben sie Sinn. In meinem Herzen klingen sie sogar wunderschön. Deswegen sind sie ja so herrlich schön, weil es die Kleinigkeiten sind. Andere verdrehen die Augen, wenn du erzählst, dass dein Freund nach Erdbeere schmeckt – aber du selbst kriegst Herzrasen, wenn du nur daran denkst.

„Und weil du mich nach Paris bringen willst.“

„Das werde ich auch! Weißt du, wieso ich mir ganz sicher bin? Weil du so unbeholfen gewirkt hast und es gar nicht bist, weil du alles alleine kannst, es aber nicht glauben willst, weil du Star Wars Fan bist, weil ich dich küssen durfte und eine wahnsinnige Angst hatte. Wirklich. Ich habe gedacht ich sterbe da draußen im Schnee. Wenn du da nein gesagt hättest, dann wäre ich ein kompletter Idiot gewesen. Aber du hast mich dich küssen lassen.“

„Ich habe erst einmal bis zehn zählen müssen, bevor ich ja gesagt habe.“

„Ich habe bis tausend gezählt, bevor ich den Mut hatte. Ich glaube, ich habe mich verliebt.“

Das klingt komisch: er hat sich verliebt. In wen? In mich? Das glaubt mir doch kein Mensch. Das erlebt man doch nie. Das läuft in Kinos oder steht in den Büchern, die es auf die Bestsellerlisten schaffen, aber ich erlebe es gerade! Das ist unglaublich. Unglaublich schön. Das beste an dieser Geschichte: er ist kein Vampir oder Werwolf oder sonst eine absurde Kreatur. Er ist Lukas.

„Muss ich wieder bis tausend zählen?“

Wir sehen uns einen kurzen Moment an. Nichts existiert mehr, alles verschwindet. Für mich gibt es nur noch ihn. Wenn das Herz zerspringen will und am ganzen Körper Gänsehaut entsteht, dann ist man verliebt. Das habe ich früher immer geglaubt und jetzt weiß ich, dass es wahr ist. Er beugt sich etwas zu mir runter und küsst erst meine Wange, dann meine Lippen. Ich werde in meinem ganzen Leben nie wieder Erdbeeren essen können oder auch nur riechen, ohne an ihn zu denken. Es fühlt sich an, als würde er mich mitnehmen, weg von hier. Ich spüre, wie sich der Boden unter meinen Füßen aufzulösen scheint, und ich das Gefühl habe, mich an ihm festhalten zu müssen, weil ich sonst mein Gleichgewicht verliere. Wir stehen da, eng umschlungen – und küssen uns. Ich will ihn nicht loslassen, er mich auch nicht. Seine Hand liegt auf meiner Wange, ich spüre seine Haut ganz nah an meiner und bin mir für den Bruchteil einer Sekunde sicher, dass mir nie wieder kalt sein kann. Diese Wärme kommt von Innen. Wir verlassen diesen Flughafen, springen zusammen durch den Hyperraum und landen in Lichtgeschwindigkeit irgendwo in Mittelerde.

Wir lösen uns nur zögerlich voneinander und spüren die Blicke der anderen. Lukas grinst frech.

„Das wird nicht reichen, bis wir uns wiedersehen.“

„Ich muss los.“

„Komm gut nach Hause, E.T.“

„Bis bald, Elliott.“

 

Als ich in den Sitz gedrückt werde und der Flieger vom Boden abhebt, will ich lachen und weinen zu gleich. Bis zum gestrigen Tag war ich mir sicher, dass mein Leben an Langeweile nicht zu übertrumpfen ist – aber jetzt lehne ich mich entspannt zurück, spüre das große Lächeln in meinem Gesicht und schließe die Augen. Wie verrückt das Leben auch manchmal ist, wie oft es dir auch mit voller Wucht ins Gesicht schlägt, es schenkt dir auch immer wieder solche Momente. Irgendwo über den Wolken weiß ich genau: ich habe mein Herz bei Lukas gelassen.

Um mich von der anrollenden Welle der Emotionen abzulenken, greife ich in meine Tasche und ziehe ein Buch heraus: Lukas' Buch. Ich gebe es zu, ich bin gespannt wie die Geschichte um die Gruppe der Hobbits ausgehen mag. Meine Handschrift führt zu einer abrupten Bruchlandung meiner Gefühle. Ich starre auf meine Telefonnummer auf der ersten Seite des Buches, dort wo ich sie hingeschmiert habe. Ich erkenne meine typische geschwungene Neun und meine dickbäuchige Acht. Ich bin eine Idiotin! Wieso habe ich nicht geschaltet, als er mir sein Buch gegeben hat? Mein erster Impuls ist es, den Piloten zu einem Rückflug zu überreden. Vielleicht würde er es verstehen, wenn ich ihm erkläre, dass er unbedingt wenden müsste, weil meine neue Liebe ohne meine Nummer in Stuttgart sitzt. Kennt er meinen Nachnamen? Habe ich ihm jemals meinen vollen Namen genannt? Schlimmer noch, weiß ich wie er heißt? Lukas … Lukas aus Hamburg. Verdammt! Ich hätte ihn fragen müssen, hätte mir seinen Ausweis zeigen lassen und eine Kopie des polizeilichen Führungszeugnisses ausstellen lassen müssen. Ganz toll, Pippa, wirklich großartig. Da schenkt man dir einen Weihnachtsengel und du bist zu dumm, um seinen Namen, seine Telefonnummer oder seine Adresse zu erfragen. Sicher, ich kann beschreiben, wie sich seine Schulter anfühlt und wie er riecht – aber ich habe keine Ahnung, wie er heißt und wie um alles in der Welt ich ihn erreichen soll. Es fehlt doch nur noch, dass dieses Flugzeug abstürzt, ausbrennt und man meine Leiche nie identifizieren wird. Somit würde Lukas niemals erfahren, was mit mir passiert ist. Das ist wirklich eine überaus bescheuerte Art und Weise, diese Geschichte enden zu lassen. Wo ist die Rettung, die aus dem Nichts kommt? Wo ist das verdiente Happy End, wenn man es sich wünscht. Mir schießen die Tränen in die Augen. Pippa Wunsch, du Dussel!

 

Die Feiertage laufen einfach so an mir vorbei. Meine Familie merkt nicht, dass ich in meinem Inneren zerbrochen bin. Zwar lasse ich mir den Braten schmecken und lache ein bisschen über die albernen Witze meines Bruders. Auch beobachte ich einmal mehr fasziniert, dass eine Frau wie das Tier einen Mann wie meinen Bruder beeindrucken kann. Aber ich nehme nicht am Leben teil. Ich fahre auf Autopilot durch den Tag und drücke mein Gesicht nachts in ein Kissen. Paris kann ich mir ebenso abschminken wie die Hoffnung, ihm eines Tags durch Zufall wieder über den Weg zu laufen.

Alle Versuche, ihn bei Facebook zu finden, haben nicht gefruchtet. Lukas! Es gibt unendlich viele Personen mit dem Namen Lukas in Hamburg, und keiner sieht meinem Lukas auch nur im entferntesten ähnlich. Die wenigen ohne klar definierbares Profilfoto habe ich angeschrieben – und keine oder die falsche Antwort bekommen. In Stuttgart am Flughafen war leider niemand an Weihnachten. So schnell verliert man den potenziellen Traumprinzen. So etwas kann auch nur mir passieren.