12. Überraschungen



Juli 2011

Während die technischen Forschungen und Untersuchungen von Para-Phänomenen und wie man diese vielleicht technisch nachbilden, abschirmen oder verstärken kann, immer weiter fortschreiten, erzielt auch die chemisch-physikalische Forschung rund um das Silatraviat Fortschritte.

Marcus erhält eine Liste aller Pflanzen und Gemüsearten, in denen sich Silatraviat besonders anreichert. Unter der Familie der Cucurbitaceae, Gattung Cucurbita, sind die schalenlosen Kerne des steirischen Kürbis und damit die daraus resultierenden Produkte wie das steirische Kürbiskernöl besonders silatraviatreich, aber auch neuseeländische Varianten, Kürbisse aus Nordamerika und Kürbisse aus einer Reihe von Mittelmeerstaaten sind aufgelistet. Marcus muss lachen: Schon im Zwischenbericht war ja von der »Familie der Cucurbitaceae, Gattung Cucurbita« die Rede gewesen ... Aber er hatte keine Ahnung, dass es sich dabei um Kürbisse handelt und dass davon zehn Arten mit über 500 Sorten existieren!

Marcus hat jetzt auch eine umfangreiche Liste von heißen Quellen der Erde, die besonders silatraviatreich sind: die meisten steirischen Thermen gehören dazu, die Gasteiner Quellen im Salzburgischen, die Römer-Therme in Baden-Baden in Deutschland, die Thermalbäder in Bath in England, die Quellen in Rotorua, aber auch andere heiße Quellen in Neuseeland, auch die im Zentrum von Great Barrier Island, einige heiße Quellen in Nordamerika, wie die Strawberry Springs in Colorado, die Kellerquellen (»Was ist das?«, denkt Marcus, da muss ich noch genauer nachsehen) in Truth-or-Consequences in Neu Mexiko, die Quellen in Banff und Radium Hotsprings in West-Kanada, die meisten Quellen auf der Halbinsel Kamtschatka im östlichsten Sibirien, einige der Quellen auf den nördlichen Inseln Japans und manche Quellen im Niltal! Aber auch negative Beispiele sind interessant: Keine nennenswerte Menge an Silatraviat konnte in der Yellowstone Gegend, im östlichen Kanada, auf Island, nirgends in Australien, aber auch in einigen europäischen Staaten wie Ungarn oder Rumänien gefunden werden.

Das Muster erscheint eindeutig. Dort, wo die Menschen viel mit Silatraviat in Berührung kommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Para-Begabungen entstehen. Maria und er kommen aus der Steiermark, waren oft in den südsteirischen Thermen baden und hatten auf fast jedem Salat Kürbiskernöl. Die Tradition des Kernöls hatten sie auf Great Barrier Island fortgesetzt. Klaus ist aus dem Salzburgischen, war oft in Gastein. Sandra war als Kind mit ihren Eltern oft in Baden-Baden und wuchs in der Nähe von Bath auf. Monika lebte als Teenager in Truth-or-Consequences und schwärmt noch immer von Pumpkin Pies. Barry ist Bademeister in Rotorua gewesen. Aroha ist ein Fan von Kürbissuppen, hat regelmäßig Rotorua besucht und ihr Mindcaller, den sie stets auf der Haut trägt, hat Silatraviat-Flecken. Ann und Richard lebten immer in Rotorua. Eine oberflächliche Recherche ergibt, dass Justo und Jan de Keep ihre Ferien regelmäßig in Griechenland verbrachten und »Passa tempo«-Fans waren, d. h., dort stets geröstete, gesalzene Kürbiskerne kauten und damit ihre latenten Para-Fähigkeiten förderten.

Besonders fasziniert Marcus, was er findet, als er genauer zu den Kellerquellen in Truth-or-Consequences recherchiert: Oppenheimer, einer der führenden Köpfe beim Manhattan Projekt1 in Los Alamos, litt so stark unter Rückenschmerzen, dass diese seine Arbeit gefährdeten. Er konnte aber Los Alamos für eine Kur aus Sicherheitsgründen nicht verlassen. Daher brachte man ihm in Tankwagen Heilwasser aus dem relativ nahe gelegenen Truth-or-Consequences (das damals und bis 1967 Hot Springs hieß): Es half. Beim Abklingen der Rückenschmerzen war Oppenheimer wie verwandelt, er brachte das Projekt mit unglaublicher, fast rätselhafter Energie zum Abschluss, verstand es auf unglaubliche Weise das Letzte aus seinem Team herauszuholen. Offenbar war Oppenheimer ein Para-Motivator gewesen, dessen Para-Fähigkeiten durch das silatraviathaltige Heilwasser (ohne dass das Oppenheimer wahrscheinlich bewusst war) sehr gestärkt wurden!

Natürlich gibt es unzählige Menschen, die auch Kürbis in irgendeiner Form konsumieren, die mit Silatraviat durch Wasser oder sonst irgendwie in Kontakt kommen und die keine Para-Fähigkeit entwickeln. Silatraviat ist »eine notwendige, aber nicht hinreichende« Voraussetzung für das Entfalten von Para-Fähigkeiten, wie das ein Mathematiker formulieren würde, überlegt Marcus. Vermutlich gibt es eine genetische Komponente oder andere Einflüsse. Viel wird noch zu recherchieren sein. Marcus kann sich noch an die Geschichten von russischen Para-Begabungen erinnern. Es muss geklärt werden, ob da eine Verbindung mit Silatraviat nachweisbar ist. Er erinnert sich plötzlich mit einem Anflug von Wehmut an seine Heimat Steiermark und dass dieses Land durch die Kombination von Thermen und Kürbissen geradezu prädestiniert ist, Menschen mit ungewöhnlichen durch Silatraviat ausgelösten Fähigkeiten hervorzubringen. Er denkt an seine Eisenerzer Berge, an das Hochtor im Morgennebel, er erinnert sich plötzlich an Andrea, die Innsbruckerin, mit der er meist zusammen mit ihrem Freund Toni in den steirischen Bergen unterwegs war und die sich beide in das Kürbiskernöl verliebten; auch deren potenzielle Kinder hatten demnach alle chemischen Voraussetzungen, para-begabt zu sein.

1 Beim »Manhattan Projekt« ging es um die Entwicklung der ersten Atombomben, deren Einsatz in Japan den Zweiten Weltkrieg dann abrupt beendete.


Am Abend erzählt Marcus Maria von den Ergebnissen der Silatraviat-Forschung. Seine Erinnerungen an Österreich haben ihn heute so überwältigt, erzählt er Maria, dass er gerne eine längere Reise nach Europa machen würde:

»Wir haben uns genug verändert, dass wir nicht mehr sofort erkannt werden. Die EU hat, glaube ich, die Fahndung nach uns nach dem ,Tod durch das Flugzeugunglück‘ eingestellt. Vielleicht wollen Barry, Monika, Klaus und Sandra auch einmal wieder weg von Neuseeland. Sie könnten sich ein bisschen darum kümmern, was die EU in Para-Angelegenheiten macht. Wir würden hauptsächlich Österreich und unsere Freunde besuchen, oder? Ich möchte mich gerne ein paar Tage in die Nationalbibliothek in Wien setzen, weil ich im Zusammenhang mit Kürbis einige Fragen habe, die ich abklären will.« Maria ist ganz begeistert: »Ja, ich komme gerne mit. Ich weiß, dass sich die Kinder freuen würden, und meine Eltern in Graz besonders, wenn wir einmal zu ihnen kommen. Der Flug nach Neuseeland wird für sie zunehmend beschwerlich.«

Die Familie von Marcus ist leicht zu überreden. Klaus und Sandra sind begeistert, nur besteht Sandra darauf, auch Bath und einige ihrer Verwandten dort ihn der Nähe besuchen zu dürfen, während Klaus in Brüssel bei der PPU spionieren wird. Zwei Vertrauenspersonen hat er dort inzwischen eingeschleust. Barry und Monika kennen Europa nicht gut, aber fliegen gerne wieder dorthin. Und Monika ist sentimental genug, dass sie gleich ein paar kleine Wünsche äußert. Sie möchte mit Barry in Baden-Baden im »Kleinen Prinz« wohnen, im »Erbprinz« in Ettlingen zu Abend essen und im Kupfersaal des Casinos in Baden-Baden ihr Glück versuchen. Barry denkt an die netten Tage mit Hannelore in Baden-Baden, die so unendlich weit zurückzuliegen scheinen, und stimmt ohne große Bedenken zu.


Maria und Marcus fliegen mit den Kindern von Auckland über Singapur direkt nach Wien2. Sandra und Klaus fliegen mit British Airways über Perth nach London. Monika und Barry fliegen Auckland - Tokio - München, eine der schnellsten Routen nach Europa. Jede Gruppe sieht die Reise nach Europa als Urlaub, aber jede hat sich auch etwas vorgenommen. Alle werden am selben Tag nach Auckland zurückkommen und Aroha verspricht, auf Great Barrier Island ein »Welcome Back«-Abendessen vorbereiten zu lassen. Es könnte sein, dass das grade der Tag ist, wo Herbert nach Auckland kommt, da würde sie ihn dann, wenn er will, mitbringen. Bevor sich Marcus von allen verabschiedet, nimmt er noch Sandra auf die Seite:

»Was fühlst du über Aroha und Herbert? Weißt du da etwas?«

Sandra lacht. »Vielleicht bist du zu neugierig. Aber okay, Aroha scheint sich nach dem Tod ihres geliebten Freundes das erste Mal wieder ein bisschen zu verlieben. Ich hoffe, Herbert verdient es. Noch habe ich ihn ja nicht getroffen. Aber so birgt schon jetzt unsere Rückkehr nach Neuseeland in fünf Wochen ein Quäntchen Spannung. Wie wird es mit Aroha und Herbert weitergehen und wie wird er uns gegebenenfalls gefallen?«


Maria fährt nach der Ankunft in Wien mit den Kindern direkt zu ihren Eltern nach Graz. Marcus will in ein paar Tagen nachkommen, dann einige Wanderungen mit der Familie in seiner Eisenerzer Heimat machen. Und dann will er mit Stephan auf seinen seinerzeitigen Lieblingsberg, das Hochtor, sozusagen als Sohn-Vater-Erlebnis, steigen. Maria ist glücklich darüber:

2 Der Flug von Neuseeland nach Europa über Singapur mit Singapore Airlines ist noch immer die beste Verbindung. Außerdem ist der Stopover in Singapur gerade lang genug, um sich im Swimmingpool im Transitbereich des Flughafens - nicht viele Flughäfen bieten diesen Komfort! - etwas vom langen Sitzen zu erholen.

»Ja, das ist sicher gut für dich und Stephan. Du verbringst zu wenig Zeit mit den Kindern. Du solltest dir nur auch noch ein Tochter-Vater-Erlebnis einfallen lassen. Lena verehrt dich und du merkst das gar nicht!«

Marcus versenkt sich in den ersten Tagen in der Nationalbibliothek in die geschichtliche Literatur über Kürbisse. Er entdeckt dabei Fakten, die in sein Bild der Kürbisse passen: Die Geschichten vom »Großen Kürbis«, der ganze Kürbismythos und die Ereignisse um Halloween3, die so eng mit Kürbissen in Nordamerika verbunden sind, haben wohl keltischen Ursprung, wurden aber vermutlich von irischen Einwanderern nach Nordamerika gebracht und dort weiter ausgebaut. Sie fanden dann auch im Westen (Colorado, Neu Mexiko, Alberta) besonders großen Anklang. Marcus findet mehr und mehr Legenden und Geschichten, die man am leichtesten versteht, wenn man davon ausgeht, dass immer wieder (durch das Silatraviat in den Kürbissen ausgelöste) Para-Begabte auftraten, die aber im Allgemeinen ihre Fähigkeiten verbargen, um nicht das Schicksal der Hexen von Salem4 zu erleiden.

Eine noch größere Überraschung bietet die ägyptische Geschichte. Erst um die Wende des Jahres 2000 konnte festgestellt werden, dass die Geschwindigkeit beim Bau mancher Pyramiden nicht rational erklärbar ist. Bei der Khufu-Pyramide in Gizeh wurde pro zwei Minuten ein tonnenschwerer Block hinzugefügt [2], eine Geschwindigkeit, die man nie erklären konnte. Zusammen mit dem schon damals in Ägypten herrschenden Kürbiskult und den silatraviathaltigen Quellen glaubt Marcus, eine ungewöhnliche Erklärung gefunden zu haben: Die Pyramidenbauer beschäftigten eine Anzahl von Telekineten! Dann wäre es auch klar, warum, wie viele Quellen berichten, viele Arbeiter nach der Errichtung der Pyramide getötet wurden. Man hatte einfach Angst vor ihnen und mischte in das Festmahl zur Feier der Fertigstellung ein tödliches Gift.

Marcus lässt diese Vermutung keine Ruhe. Er setzt sich mit dem Institut für Archäologie zusammen und bietet diesem eine substanzielle Summe Geldes an, wenn sie versuchen, die Gräber der nach dem Pyramidenbau offenbar getöteten Arbeiter zu finden. Es wäre besonders wünschenswert, einige Proben von Knochen o. Ä. zu erhalten, da er herausfinden möchte, ob und mit welchem Gift sie getötet wurden oder ob man an den Überresten, wenn man welche findet, die Einwirkung von Gewalt feststellen kann.

3 Halloween ist inzwischen in den USA so kommerzialisiert, dass es nun in wirtschaftlicher Bedeutung schon vor Ostern liegt und im Vergleich zu Weihnachten immer mehr aufholt!

4 Salem ist eine Stadt in Massachusetts, USA, an der Massachusetts Bay nordöstlich von Boston, heute ca. 40.000 Einwohner. Es wurde 1626 als Bauern- und Fischersiedlung gegründet und war 1692 Schauplatz von Hexenprozessen mit 19 Hinrichtungen.

Der konsultierte Universitätsprofessor glaubt nicht so recht daran, dass man Jahrtausende später die Gräber von unbedeutenden Arbeitern finden kann, noch weniger, dass man die Todesursache feststellen können würde. Er deutet dies vorsichtig an: Den einwandfrei Deutsch sprechenden Neuseeländer scheint die geringe Erfolgschance des Unternehmens nicht zu stören und die offerierte Summe ist für ein bescheiden ausgerüstetes Institut gewaltig und wird es ermöglichen, die laufenden Grabungen auch für andere Forschungszwecke weiterzuführen.

»Bitte schicken Sie den Endbericht und etwaige Proben direkt an diese Adresse.«

Marcus gibt die Adresse von Robert bei SR-Inc. an, er wird Robert entsprechend informieren. Weitere Recherchen bestätigen die Vermutung. Es hat anscheinend in sehr alten Zeiten (im südlichen Mexiko schon vor 14.000 Jahren [15] im Cano de Diabolo) Para-Begabte gegeben, deren Begabungen durch Silatraviatkonsum zum Beispiel in Kürbissen ausgelöst, die aber oft als Feinde gesehen und getötet wurden.

»Es hat sich nicht viel geändert«, denkt Marcus, »vielleicht sollten wir das Trinkwasser auf der ganzen Welt nicht gegen Karies fluoridisieren, sondern mit Silatraviat anreichern, um alle latenten Para-Begabungen zu fördern.«

Jedenfalls ist für Marcus durch die historischen Ereignisse die Bedeutung des Silatraviats endgültig bestätigt. Die physikalische Dimension, die »Transformereigenschaft« von Energie in »rasch frequenzvariable Strahlung« und umgekehrt und die Bedeutung dieser Strahlung für Para-Fähigkeiten wird das Forschungsteam noch genauer zu untersuchen haben. Hier könnten neue Erkenntnisse dramatische praktische Anwendungen ergeben.

Für ihn, Marcus, ist es jetzt aber Zeit, sich der Familie zu widmen. Er genießt einen Kletterkurs in Kärnten mit Lena, die sich geschickter als er anstellt und vor allem beim Erlernen von Knoten mit ihrem Vater fast verzweifelt, weil der immer wieder vergisst, wie man einen Doppelachter oder einen Palstek knotet!

Ein Höhepunkt mit Überraschungen wird die Bergtour mit Stephan auf das Hochtor. Maria bringt die beiden zum Ausgangspunkt des Wasserfallwegs im Ennstal. Sie wird von dort aus mit Lena zu den Schwiegereltern nach Eisenerz zurückfahren und am Tag darauf am Nachmittag von der anderen, leichteren Seite - von Johnsbach her - mit Lena den beiden »Männern« entgegenwandern.

Der Wasserfallweg ist ein einfacher Klettersteig. Man braucht keine spezielle Ausrüstung, aber an kritischen Stellen benutzt man in die Wand eingelassene Leitern, Eisenhaken und Stahlseile. Marcus weiß, dass Stephan das schaffen kann und dass ihm das Spaß machen wird. Zudem ist es ein guter Test. Wenn Stephan es ohne größere Probleme zur Hesshütte schafft, wo sie übernachten werden, dann können sie auch am nächsten Tag auf das Hochtor gehen, ja vielleicht sogar die etwas schwierigere (weil nicht abgesicherte) Route durch das Schneeloch absteigen.

Der Gedanke an das Schneeloch weckt in Marcus Erinnerungen. Einen Augenblick ist Marcus unsicher, ob es nicht ein Fehler ist, an eine Stelle zurückzukehren, die so viele Erinnerungen weckt.


Der Beginn der Tour ist in der schwülen Nachmittagsluft etwas mühsam, solche Temperaturen verbunden mit so hoher Luftfeuchtigkeit sind Marcus und Stephan nicht gewöhnt. Selbst auf den Cookinseln war es angenehmer! Sie steigen zuerst durch Wald, queren dann die Geröllrinne, in der ein kleiner Bach fließt, der offenbar manchmal mächtig anschwellen kann, folgen der Rinne steil bergan, bis sie diese wieder nach Osten überqueren. Als sie sich dem Wasserfall nähern, der dem Weg den Namen gegeben hat, wird der Weg etwas schwieriger, man braucht da und dort die Hände. Sie überholen zwei junge Engländerinnen, die größere Ruth und die zierlichere Cindy, und helfen ihnen beim Finden des leichtesten Weges und bei der jetzt dritten und schwierigsten Überquerung des Baches. Mit Missbilligung sieht Marcus, dass die beiden mit einfachen Halbschuhen unterwegs sind, bei dieser Route ein Leichtsinn. Er überlegt, ob er etwas sagen soll. Aber wie weit darf man sich bei fremden Erwachsenen in solche Angelegenheiten einmischen?

Marcus und Stephan gehen zügig weiter. Der Weg verläuft hier entlang des unteren Endes einer fast senkrechten Wand steil bergauf, wodurch ein Teil der Felswand, die an einigen Stellen weit über den Pfad überhängt, umgangen werden kann. Die Sonne ist zwischen dicken Quellwolken verschwunden, ein leichter Wind kommt vom Westen, es ist nicht mehr so heiß.

Als sie die kritische Stelle erreichen, wo man über eine Stahlleiter das erste Mal in die Wand direkt einsteigt, pausiert Marcus und schaut mit Sorgen über das unter ihnen liegende Ennstal nach Westen Richtung Admont. Die Wolkenfelder sind inzwischen sehr dunkel geworden, der auffrischende Wind treibt sie immer näher und in der Ferne legt sich etwas wie ein Nebel übers Tal, dort regnet es schon heftig.

»Stephan, wir müssen ein Stück zurück bis zum letzten Überhang. Es kommt ein starkes Gewitter auf uns zu, ich rechne, es wird in zirka 15 Minuten hier sein. Wir schaffen es in dieser Zeit nicht, die Wand zu durchsteigen. Und in der eisengesicherten Wand in einem Gewitter unterwegs zu sein ist nicht ungefährlich, abgesehen davon, dass wir ganz nass werden. Unter dem Überhang sind wir sicher und bleiben trocken.«

Stephan weiß, dass sich sein Vater hier in den Bergen gut auskennt und akzeptiert die Entscheidung sofort. So gehen die beiden ein kleines Stück zurück und machen es sich unter einem überhängenden Felsen, fast wie in einer Höhle mit Talblick, bequem. Sie werden hier das Unwetter vorbeiziehen lassen. Nur wenig später kommen Ruth und Cindy.

»Schon erschöpft?«, ruft Ruth.

»Nein, nicht wirklich. Aber es kommt ein Gewitter und da ist es nicht gut in der Wand. Ihr solltet unbedingt auch hier abwarten.«

Ruth zuckt die Schultern: »Ach, uns macht ein bisschen Regen nichts.« Die beiden Engländerinnen gehen auch weiter, als Marcus vor Blitzen in der mit vielen Metallleitern, Haken und Drahtseilen gesicherten Wand warnt.

Während Marcus und Stephan das Unwetter erwarten, erzählt Marcus ein wenig über den Wasserfallweg:

»Stell dir vor, Stephan, du gehst hier auf dem ältesten Klettersteig der Steiermark, er wurde schon 1896 gebaut. Diese Gegend hier, die Nördlichen Kalkalpen, waren Trainingsgebiet für viele der besten europäischen Bergsteiger. Freilich gibt es in Österreich, zum Beispiel am Hausberg von Wien, der Rax, Klettersteige die noch älter sind, beispielsweise den sehr schönen Haidsteig5

Das Gewitter kommt schließlich, wie von Marcus vermutet. Nach zwanzig Minuten beginnt es unaufhörlich zu blitzen und zu krachen, der Wind wird fast zu einem Sturm und dann setzt sintflutartiger Regen ein. Stephan kommentiert:

»Ich möchte da jetzt nicht in schwierigem Gelände sein.«

Marcus nickt: »Die beiden jungen Frauen bereuen ihren Beschluss, hier nicht zu warten, bestimmt sehr, denn es gibt, bevor man den Talboden oberhalb der Wand erreicht, dort, wo das obere Ende des Wasserfalls ist, meiner Erinnerung nach keinen guten Unterstand bei so einem Wetter.«

Eine halbe Stunde später sind Regen, Wind und Wolken wie von Geisterhand verschwunden, ziehen weiter nach Osten. Die Sonne scheint wieder, aber es hat etwas abgekühlt und abgesehen davon, dass Boden und Steine nun sehr viel rutschiger sind, ist das Gehen jetzt ein Vergnügen. Sie klettern über die erste Leiter, später über einige ausgesetztere Stellen, wo man die hier eingelassenen Haltegriffe und Stahlseile gut brauchen kann.

Stephan macht es Spaß voranzuklettern und er ist sehr geschickt, wie Marcus mit Stolz und Freude sieht. Als sie zum schwierigsten Felsstück kommen, sehen sie Ruth und Cindy sitzen. Sie schauen mitgenommen aus, sind bis auf die Haut nass, wodurch ihnen auch sichtlich kalt ist. Da bemerkt Marcus, dass sich Ruth verletzt hat.

»Was ist passiert?«

»Wir hätten auf dich hören sollen. Es hat uns hier erwischt. Wir sind noch ein Stück hinauf, aber dann schlug ein Blitz knapp ober mir ein. Im Schreck rutschte ich aus und ein Stück hinunter. Na, ist nicht so schlimm.«

5 Der Haidsteig, einer der bekanntesten Klettersteige im Raxmassiv, gehört zu den kühnsten Steiganlagen in Österreich. Der Steig überwindet in sehr exponierter Linienführung das Preinerwandmassiv und gehört zu den größten Klettersteigabenteuern im Ostalpenraum. Die zwei Steigbäume, schon legendäre Objekte, halten der Witterung schon seit 1913 stand und stammen aus der Hand des Kunstmalers Gustav Jahn, der das künstlerische »Projektmanagement« damals innehatte. Die alten Steigbäume und Eisenklammern sind noch in recht gutem Zustand, was bei manchen anderen Klettersteigen leider nicht mehr der Fall ist. Es ist dies jedenfalls eine Klettersteigbergtour die man auf jeden Fall, sofern man das Können besitzt, gemacht haben muss!

Marcus schaut sich Ruth genauer an. Sie hat sich ärger verletzt, als sie noch unter Schock stehend wahrhaben will. Am Oberarm hat sie einige kleine Abschürfungen. Aber als er ihren rechten Unterschenkel durch die Jeans abtastet, zuckt sie zusammen und er merkt eine Erhebung, die nicht da sein sollte.

»Ruth, raus aus der Hose, ich muss schauen, was dir da unten passiert ist.«

Ruth gehorcht, ohne zu zögern. Marcus ignoriert den kleinen Slip, den Ruth trägt und der durch die Nässe ganz durchsichtig ist. Während Stephan den Mädchen heißen Tee gibt, den sie dankbar trinken, sieht Marcus, was sich Ruth getan hat. Sie muss bei ihrem kleinen Unfall mit dem Schienbein seitlich hart auf einen Stein gefallen sein. Dadurch ist irgendwo ein größeres Blutgefäß geplatzt, das nun einen ständig größer werdenden Bluterguss verursacht. Die Beule ist schon fast kinderfaustgroß und wächst weiter. Ruth sieht die Verletzung, die sie bisher noch gar nicht registriert hat, mit Entsetzen.

Marcus beruhigt sie: »Das ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, und handelt rasch. Er holt aus seiner Erste-Hilfe-Packung eine Binde und legt damit einen starken Druckverband an, damit der Bluterguss nicht weiterwächst. Dann verarztet er den Arm..

»Habt ihr etwas Trockenes zum Anziehen?«, fragt Marcus. Die Ausbeute ist bei beiden gering, die Mädchen hatten ihre Reservekleidung ohne weiteren Schutz im Rucksack, sodass sie nun auch feucht bis ganz nass ist. Marcus, nun ganz in der Samariterrolle, nimmt aus seinem Rucksack ein trockenes Flanellhemd und eine trockene Trainingshose.

»Raus aus den nassen Sachen. Zieh das an, auch wenn es nicht neueste Damenmode ist. Du musst alles Nasse ausziehen, auch die Unterwäsche und was du sonst anhast, sonst wird es zu kalt. Zum Weitergehen reichen die Trainingshose und das Hemd, wenn es oben ebener wird, musst du vielleicht noch einen Pullover überziehen.«

Stephan gibt wortlos und unaufgefordert der zierlicheren Cindy seine Trainingshose und ein Hemd. Jetzt geht es Ruth und Cindy besser. Sie bekommen noch eine Hand voll »Studentenfutter« und einen Schluck Tee zur Stärkung.

»Wir müssen weiter, sonst wird es spät. Von hier aus hinauf zur Hütte ist es leichter als zurück hinunter. Wir haben nur diesen einen Felsen zu bezwingen und dann einige steile Leitern. Dann gibt es nur noch eine sanfte Hochtal- und Almenwanderung bis zur Hesshütte. Stephan, du leitest uns, ganz langsam. Nach dir kommt Cindy, hilf ihr ein bisschen, mit ihren Schuhen wird sie jetzt sehr rutschen. Nach Cindy kommst du, Ruth, und ich werde ganz knapp hinter dir bleiben und auf dich aufpassen.«

Marcus und Stephan nehmen jeder zwei Rucksäcke, damit die Mädchen ungehindert klettern können. Das nächste Stück, keine hundert Höhenmeter, man braucht dafür im Normalfall nur eine Viertelstunde, wird schwierig. Obwohl Marcus mit seiner T-Kraft verstohlen versucht, die Schuhe von Ruth und Cindy zu stützen, rutschen beide immer wieder aus, werden dadurch noch unsicherer und verzweifelter. Als sie schließlich die letzten sehr steilen Leitern vor sich sehen, verlieren beide endgültig die Nerven.

»Wir schaffen das nicht«, schluchzen sie. Marcus weiß, dass sie nur mehr eine gute Stunde Licht haben. Sie müssen bis dahin bei der Hesshütte sein! Er meint zu Stephan: »Ich glaube ich muss eingreifen.« Stephan versteht.

»Steig du zügig hinauf. Wenn du oben bist, schicke ich die Mädchen. Gib ihnen dann oben einen Schluck von deinem Tee, aber lass mich noch ein bisschen Pulver hineingeben ... Du kannst dann besser von meinem trinken«, sagt Marcus.

Stephan kennt das Pulver. Er klettert nun die Leitern rasch und geschickt wie eine Katze hinauf, während Ruth und Cindy noch immer nicht verstehen, was Marcus vorhat. Als dieser weiß, dass Stephan oben ist, sagt er: »So, jetzt gibt es ein wenig Zauberei. Bitte die Augen fest zumachen und wundert euch nicht.« Die beiden schauen ihn verständnislos an.

»Die Augen zu, habe ich gesagt. Und erst aufmachen, wenn euch das gesagt wird.«

Ruth und Cindy sind hinreichend verzweifelt, dass sie nicht weiter fragen. Da packt sie Marcus mit seiner T-Kraft und lässt sie durch die Luft hinaufschweben, wo er sie oberhalb der Leitern auf einer Bank6 hinsetzt.

»Augen auf«, ruft Stephan. Ruth und Cindy verstehen die Welt nicht mehr. Sie sitzen auf einmal auf einer Bank oberhalb der Leitern.

»Wie sind wir hierher gekommen?«, stottert Cindy. »Mein Vater kann ein bisschen zaubern. Ich übrigens auch. Aber das solltet und werdet ihr wieder vergessen. Hier, einen Schluck Tee, dann langsam weiter zur Hütte.«

Die beiden Engländerinnen trinken den Tee mit dem »Vergessenspulver« der PM. Dann brechen sie auf. Der Weg ist jetzt nur leicht steigend, auf weichem Almboden, durch ein herrliches Hochalmgebiet.

Marcus wundert sich wieder einmal über seine T-Kraft. Wie ist es möglich, dass er ein Mehrfaches seines Körpergewichtes einfach durch die Luft fliegen lassen kann? Ja, es kostete schon eine gewisse Anstrengung, weshalb er Stephan nicht auch so beförderte. Aber trotzdem: Wie ist das möglich? Würde man das je erklären können?

Marcus steigt grübelnd die Leitern hoch. Aber dann genießen er und Stephan den herrlichen späten Sommerabendspaziergang - mehr ist es ab hier nicht. Die Mädchen sind noch so mit sich beschäftigt, dass sie kaum auf die Umgebung achten. Aus dem, was sie sagen, ist bald klar, dass sie inzwischen glauben, die Leitern nach einer Rast selbst erstiegen zu haben.

Als die Hütte in Sicht kommt, fragt Marcus. »Stephan, würdest du vorlaufen und ein bisschen was organisieren?«

»Ja, natürlich, was soll ich tun?«

»Schau, ob du für die Mädchen und für uns noch ein Zimmer bekommst, notfalls eines zusammen - ich liebe die Matratzenlager nicht mehr sehr. Hier ist mein Alpenvereinsausweis, der sollte helfen. Dann häng die nassen Sachen der Mädchen in den Trockenraum und bestell für uns alle eine heiße Suppe und einen Tee, für die Mädchen und mich einen Jagatee, bitte. Bis du das erledigt hast, sind wir dann fast dort. Dann sollen Ruth und Cindy rasch die Suppe essen, heiß duschen7 und ab ins Bett. Ruth und Cindy: Ist das okay?« Die beiden nicken dankbar und begeistert. Stephan läuft los.

Als die drei Nachzügler in der Abenddämmerung zur Hütte kommen, hat Stephan alles organisiert. Zimmer hat es nur mehr eines gegeben, aber sonst ist alles erledigt. Suppen und Tee werden serviert, kaum dass sie die Gaststube betreten.

6 Nachdem man die Leitern des Wasserfallwegs bezwungen hat, ist man plötzlich in Wander-, nicht in Kletteratmosphäre. Bis hin zu einer Bank, die man nur nach Regen braucht. Sonst sitzt man im weichen Moos besser. Seite 243

7 Ja, die Hesshütte ist eine der komfortableren Hütten mit Zimmern und einem Waschraum inklusive heißer Duschen!


Nachdem sich Ruth und Cindy geduscht haben, überprüft Marcus noch einmal die Verletzungen. Die Abschürfungen sind harmlos und auch die Schwellung durch den Bluterguss geht schon zurück. Marcus legt noch einen frischen Druckverband an.

»Ruth, du hast Glück gehabt. Es ist dir nicht viel passiert und auch die Schwellung wird ohne Schmerzen und Behandlung verschwinden.« Trotzdem ziehen sich Ruth und Cindy bald zurück.

Stephan und Marcus bleiben noch ein Weilchen: Stephan gefällt die für ihn noch unbekannte Hüttenstimmung, im zweiten Raum singen einige Bergsteiger bekannte Lieder.

Marcus fühlt sich hier wie zu Hause. Obwohl alles modernisiert wurde, ist das noch immer die Hesshütte, wie er sie in etwa in Erinnerung hat. Auch der Hüttenwirt, der Reinhard, ist noch immer derselbe. Er erinnert sich aber zum Glück nicht an Marcus. Draußen ist es inzwischen fast ganz dunkel.

Da geht noch einmal die Tür auf und ein Mann, etwa im Alter von Marcus, kommt mit einem hübschen, vielleicht achtjährigen Mädchen herein.

»So, haben wir es doch noch geschafft. Wir haben in Johnsbach das Unwetter abgewartet, drum ist es so spät geworden«, ruft er laut. Er setzt sich an einen Tisch schräg vor Marcus, mit dem Rücken zu Marcus, wofür dieser sehr dankbar ist. Das Mädchen auf der anderen Seite schaut sich neugierig um. Ihr Blick bleibt einige Zeit auf Stephan und Marcus hängen.

Marcus ist zutiefst verwirrt, er kann an einen solchen Zufall nicht glauben: Der Mann ist Toni, der Freund von Andrea, mit beiden hatte er vor Jahren mehrere Bergtouren gemacht, und das Mädchen, das muss wohl die Tochter von Andrea und Toni sein! Toni darf ihn nicht erkennen, er wird sich gleich zurückziehen müssen.

Zu Stephan sagt er: »Ich hab ziemliche Kopfschmerzen. Vielleicht war es der ,Hebeakt‘, du weißt schon. Ich habe gehört, der Wirt will noch ein Feuer draußen machen. Wenn du willst, kannst du gerne noch mitmachen. Komm nur nicht zu spät! Wir brechen morgen ganz früh zum Gipfel auf.«

Stephan ist überrascht. Gerade war sein Vater noch in so guter Stimmung, jetzt will er sich schon ausruhen? Er ist jedenfalls noch nicht müde und wird noch etwas aufbleiben ... und von den Feuern vor den Berghütten hat sein Vater immer sehr geschwärmt. Schade, dass er heute nicht dabei sein wird.

Als Marcus gerade aufbrechen will, hört er, wie Toni sagt: »Alina, was willst du noch essen?«

Alina heißt sie also, registriert Marcus. Er schaut sie lange an, während er gemütlich aufsteht. »Wem schaut sie ähnlich?«, denkt er, »sie ist ein hübsches Mädchen und irgendwie vertraut.«

Alina merkt die Aufmerksamkeit des Mannes, der im Begriff ist zu gehen. Er gefällt ihr irgendwie, er hat etwas, das sie nicht ganz versteht. Und ein bisschen hat das wohl auch sein Sohn, denkt sie, und schaut Stephan an.

»Dass der Zufall so würfelt«, denkt Marcus. Aber alle vier - er, Stephan, Alina und Toni - haben keine Ahnung von der Wahrheit: dass Alina die Tochter von Marcus ist. Und nur drei der vier werden das je erfahren.


Marcus duscht sich. Im Zimmer mit den zwei Stockbetten ist es ruhig und finster. Ruth und Cindy scheinen schon zu schlafen. Marcus findet die Hose seines Trainingsanzugs und sein Flanellhemd auf seinem Bett - Ruth hat das also zurückgegeben. Er zieht sie anstelle seiner Wanderkleidung an.

Da dreht Cindy das kleine Licht an: »Nein, wir schlafen noch nicht«, sagt sie.

»Marcus, Ruth und ich möchten dir danken. Du warst wirklich toll. Sind alle Österreicher - oder bist du ein Neuseeländer - so nett?«, fragt sie kokett. Marcus lacht. Er bemerkt erst jetzt, dass nackte Arme und nackte Schultern unter Cindys Decke hervorschauen ... Ja, sie hat vermutlich nicht viel Trockenes zum Anziehen, schießt es ihm durch den Kopf.

»Marcus, kannst du mir noch in einem Punkt helfen? Mir ist so kalt. Kommst du zu mir, um mich zu wärmen?« Marcus ist über diese sehr offene Einladung erstaunt.

»So viel sind also die Gerüchte über die zurückhaltenden Engländerinnen wert«, denkt er amüsiert.

»Cindy, tät ich schon ganz gerne, aber ich bin ein verheirateter Mann ...«

»Was denkst du von mir, Marcus?«, unterbricht Cindy empört, »ich will doch nichts, als dass du mich ein bisschen wärmst. Da ist doch wirklich nichts dabei.«

Marcus schießt das Blut nicht nur in den Kopf. Seit bald acht Jahren ist er nun mit Maria zusammen und ist immer treu geblieben. Aber ein wenig schmusen und sich gegenseitig massieren? Da ist doch wirklich nichts dabei.

Marcus wird auf einmal übermütig. Er hebt kurz die Decke von Cindy hoch, grade lange genug, dass sie »Was machst du?« aufschreit und er sieht, dass sie verlockend nackt ist.

»Ich wollte nur sehen, ob du was anhast. Wenn du nichts anhast, dann brauche ich auch nichts.«

Mit der Rückseite zu Cindy, aber so, dass die im Bett gegenüber liegende Ruth ihn gut sehen kann, zieht er genussvoll sein Hemd und dann die Trainingshose aus.

»Interessant«, kommentiert Ruth, die sich aufgestützt hat, um besser sehen zu können.

»Ja, was macht man nicht alles für Touristen«, sagt Marcus und schlüpft dann zu Cindy. Sie umarmen sich zuerst ganz ruhig, Haut auf Haut. Cindy riecht verführerisch, Marcus fühlt ihre harten Brustspitzen gegen sich gepresst, die zierliche Cindy kuschelt ihren Kopf gegen den Hals von Marcus und küsst diesen vorsichtig. Als sie noch ein bisschen tiefer rutscht, um noch besser mit ihm zusammenzupassen, wehrt sich Marcus.

»Das ist gegen die Vereinbarung.« Als Cindy merkt, dass er es - zumindest noch - ernst meint mit dem Treusein, beginnt sie Marcus liebevoll zu streicheln und leicht zu massieren.

Obwohl sie nie hingreift, sondern nur ab und zu wie zufällig streift, merkt sie die Erregung von Marcus.

Aber sie denkt: »Wenn er jetzt was will, dann muss schon er mir das jetzt zeigen.« Sie liegen schon lange ohne Decke. Ruth schaut erregt zu, wie Marcus am Rücken liegt und ihn Cindy gekonnt streichelt, ab und zu ein Küsschen auf seinen Hals oder seine Stirn gibt.

»Jetzt bist du dran«, meint Marcus. Er dreht Cindy zuerst auf den Bauch und lässt seine Hände über ihren makellosen Rücken, über den Po und die Oberschenkel streichen. Cindy öffnet die Beine ungefragt, aber Marcus fährt nie tief hinein. Ruth wird immer erregter. Cindy und Marcus wissen, dass Ruth zusieht, irgendwie erhöht das den Reiz noch weiter. Ruth deckt sich ab, sodass Marcus nun zwischendurch auch ihren Körper sehen kann und wie eine ihrer Hände nach unten rutscht.

Marcus dreht Cindy auf den Rücken. Er fühlt ihre sehr hart gewordenen Nippel, ihren Bauch, berührt leicht die Haare ihres kleinen, wohlgetrimmten Dreiecks zwischen den Beinen, verfolgt verführerisch die Innenseite ihrer offen auseinander liegenden Schenkel weit hinauf. Aber wenn sich Cindy ihm entgegenstreckt, weicht seine Hand zurück. Als sie versucht, seine Hand mit ihrer zwischen die Beine zu führen, gelingt ihr das nicht. Stattdessen führt Marcus ihre Hand an die richtige Stelle.

»Mach nur«, sagt er. Während Marcus sie weiter streichelt, ihre Brustwarzen küsst, ihr Ohrläppchen mit den Lippen berührt, reibt sich Cindy, atmet sie immer schneller. Einmal drückt Marcus ihre Hand ganz kurz fester hinein und Cindy versinkt in einer ersten Welle.

Marcus merkt, dass Ruth am Nebenbett auch recht aktiv ist. Mit Mühe hält er sich zurück oder schwindelt er sich doch selbst an, als er sich zum Beispiel einmal an der offenen Hand von Cindy reibt und dort und etwas später auf ihrer Brust eine Spur Feuchtigkeit zurücklässt? Als Marcus ihr plötzlich einen Finger in den Mund steckt und sagt »sauge, fest«, da gibt es für Cindy kein Halten mehr. Marcus hält sie, während sie noch bebt, fest in seinen Armen. Sie spürt, wie hart er ist, aber er entzieht sich ihr mit einem flüchtigen Kuss.

Er kniet sich zu den offenen Schenkeln von Ruth und beobachtet lächelnd ihre Finger. Einmal nimmt er ihre beiden Hände und zieht sie zu sich, murmelt »kurze Pause« und dann »weiter«. Ruth hat noch nie erlebt, dass ein Mann so genau zusieht und mit ihr spielt, und sie fühlt sich auf einer Gratwanderung, die so schön ist, dass sie noch weiter, weiter gehen will.

Marcus wechselt seine Position. Er liebkost, nur mit der Zunge, die Brüste von Ruth, seine Zunge klettert dann den Hals hinauf zum Kinn, zur Wange, Ruth versucht die verrückt machende Zunge mit ihrem Mund einzufangen, aber Marcus weicht aus, spielt das Spiel weiter, rutscht dann mit der Zunge bis zum Nabel und bis er die ersten Härchen spürt. Ruth bewegt sich jetzt in einem immer stärker werdenden Rhythmus.

Cindy beobachtet fasziniert, fühlt schon wieder Erregung in sich hochkommen, ist so neugierig, dass sie aus dem Bett herausrutscht, um ganz genau zusehen zu können.

»Cindy, nur Zuschauen gilt nicht. Ruth will geküsst werden, küsse sie, aber anständig.«

Cindy zögert, aber sie ist nicht in einem Normalzustand, Marcus drückt ihren Kopf in Richtung Ruth: »Küsse!« Cindy berührt mit ihren Lippen die Lippen von Ruth. Mit einer Hand presst Marcus jetzt die Brustwarzen von Ruth. Mit der anderen schlägt er fest auf den Po von Cindy: »Fester Küssen.«

Die beiden Münder gehen auf, die Zungen berühren sich, Ruth und Cindy küssen sich wie wild. Mit einer Hand spielt Marcus mit den Brüsten von Ruth, mit der anderen mit denen von Cindy. Er beobachtet dabei mit Faszination, wie sich die beiden Freundinnen küssen und mit den Zungen spielen. Er dreht den Kopf von Cindy ein bisschen zur Seite, macht genug Platz, dass er im Getümmel der Münder ein wenig mitspielen kann. Ruth und Cindy erbeben fast gleichzeitig.

Die drei liegen kurz zu dritt beieinander, dann schlüpfen sie brav in ihre Betten zurück.

»Du bist zu kurz gekommen«, meint Ruth.

Marcus lacht: »Ich sehe das nicht so. Es war ein Spaß und sehr anregend. Ich werde mich noch oft daran erinnern.«

»Übrigens«, fährt er fort, »wird es euch in eurer Erinnerung stören, dass ihr euch geküsst habt? Wenn ja, ich kann euch hypnotisieren8, dass ihr es vergesst.«

Die beiden denken lange nach. Schließlich meint Cindy:

»Ich glaube nicht, dass es mich je stören wird. Ich glaube auch nicht, dass ich je das Bedürfnis haben werde, Ruth wieder zu küssen und umgekehrt. Da warst schon du der Katalysator, denke ich.«

Ruth stimmt zu. »Ja, ich glaube, besser kann man es nicht sagen. Zu dem Zeitpunkt war es wild und richtig. Aber was du mit uns angestellt hast, war schon irr.«

»Nicht ich habe angefangen«, verteidigt sich Marcus, »es war Cindy, die mit ihrer sehr direkten Einladung mutig war.«

Cindy entgegnet: »Wir haben, bevor du kamst, über dich gesprochen, wie liebevoll du zu uns warst, obwohl wir zuvor gar nicht auf dich gehört haben. Und da haben wir uns ein bisschen heiß geredet. Und nachdem ich hoffentlich ganz appetitlich aussehe und Ruth heute nicht voll einsatzfähig ist, haben wir alles Mögliche besprochen, wie ich dich verführen werde. Wir waren also schon ganz schön aufgeheizt, bevor du kamst, und hatten nur eine große Sorge: dass du mit Stephan kommen würdest. Übrigens ... hattest du keine Angst, dass Stephan auf einmal hereinkommt?«

8 Marcus kann nicht hypnotisieren, aber er kann das Vergessenspulver einsetzen.

»Nicht wirklich. Seht ihr den Feuerschein? Da hat der Wirt ein Feuer vor dem Haus gemacht, da sitzt er wohl noch, das lässt er sich nicht entgehen.« Marcus verschweigt, dass er mit seiner T-Kraft die Tür versperrt und inzwischen wieder entriegelt hat.

»Übrigens, was wäre geschehen, wenn Stephan zuerst gekommen wäre?«

»Dann hätten wir eben Pech gehabt.«

»Marcus, wieso bist du eigentlich nicht bei Stephan geblieben?«

»Sehnsucht nach euch.«

»Ha, Ha!«, aber sie wissen nicht genau, ob es nicht doch stimmt.

Sie plaudern noch kurz. »Achtung, Stephan kommt jetzt. Licht aus, gute Nacht, schöne Zeit ... Morgen sehen wir uns nicht mehr, Stephan und ich brechen sehr früh auf. Wir treffen uns später mit dem Rest der Familie.«

»Schade. Du musst eine tolle Frau haben. Gute Nacht.«

Stephan und Marcus sind die Ersten in der Hütte, die aufstehen. Draußen ist es noch dämmrig und nebelig.

»Es wird ein schöner Tag«, sagt Marcus, »der Nebel wird bald aufreißen.« Tatsächlich lichtet sich der Nebel zusehends, während sie höhersteigen. Als sie zu den ersten schwierigeren Stellen kommen, haben sie bereits einen herrlichen Ausblick. Stephan geht unbeschwert und leichtfüßig und hat noch genug Luft, die ganze Zeit Fragen zu stellen und zu reden. Er erzählt mit Begeisterung vom gestrigen Abend mit dem Feuer, schwärmt von Alina, die ein wirklich nettes Mädchen ist und sehr schön singt. Als Marcus erfährt, dass Stephan und Alina Adressen ausgetauscht haben, wird er hellhörig:

»Ob das gut ist? Vielleicht ist es besser, wenn ich den Zettel mit der Adresse von Alina verschwinden lasse und hoffe, dass sie nicht von sich aus schreibt?«

Stephan ist fast enttäuscht, als sie den Gipfel erreichen.

»Papa, das war ja viel leichter, als du erzählt hast!« Marcus gibt Stephan insgeheim Recht: Entweder hat er sich die Schwierigkeiten falsch gemerkt oder der Weg wurde inzwischen stark verbessert, jedenfalls gibt es keinen Grund, den ungesicherten Weg durchs Schneeloch hinunter nicht zu wagen. Dabei kommt Stephan auf seine Rechnung. Es gibt mehr als eine Stelle, wo Marcus merkt, dass es Stephan nicht sehr geheuer ist!

Als sie aus dem Schneeloch auf den Hauptweg kommen, warten dort schon Maria und Lena auf sie. Sie sind weiter heraufgekommen als erwartet. Maria hat eine Überraschung.

»Sandra und Klaus kommen morgen nach Bad Gastein.9 Wollen wir sie dort treffen?«

Marcus freut sich auf das Wiedersehen. Mit einigen Telefonaten disponieren sie um und reservieren im schönen Hotel »Sonngastein« ein Apartment. Sie brauchen wegen der noch relativ jungen Ennstalautobahn und der Bischofshofen-Kitzbühel-Schnellstraße nur zwei Stunden, um Gastein zu erreichen.

»Österreich ist durch die neuen Straßen noch kleiner geworden«, stimmt Maria mit Marcus überein. Ihr erster Besuch gilt dem Kern dieser ungewöhnlichen Stadt. Diese liegt am Ende eines Tals, am felsigen Berghang angebaut, weil dort dutzende Heilquellen aus dem Berg austreten. Mitten im Zentrum stürzt die Gasteiner Ache über drei Wasserfälle. Weil so wenig Platz ist, hat man hier schon während der Monarchie Hochhäuser gebaut, und zum Teil so nahe am Wasserfall, dass man die Fenster nicht öffnen kann, ohne dass Wasser hereinstäubt!

»Das Manhattan der Alpen«, sagt Marcus. Obwohl sie mit Klaus ab dem nächsten Tag einen guten Führer haben, gehen sie in das Informationsbüro am Hauptplatz. Kaum sind sie draußen, ist Lena ganz aufgeregt: »Papa, Mama, die Frau, die uns gerade bedient hat, ist eine Para-Begabung. Sie ist auch sehr traurig.« Maria erklärt sich bereit, noch eine Broschüre aus dem Informationslokal zu holen und dabei ein Gespräch mit der Frau zu beginnen. Marcus setzt sich inzwischen mit den Kindern in ein Kaffeehaus in unmittelbarer Nähe. Als Maria kommt, ist sie recht aufgekratzt.


9 Bad Gastein war um 1900 einer der vornehmsten Kurorte der österreichisch-ungarischen Monarchie. Selbst der schnellste Zug Salzburg-Italien machte und macht dort einen Stopp! Gegen Ende des 20. Jahrhunderts war Bad Gastein im Winter noch gut besucht, machte aber im Sommer trotz der herrlichen Bergwelt mit überalteter Klientel und Hotellerie einen zunehmend weniger eindrucksvollen Eindruck. Erst um 2004 ging es durch einen Investitionsschub und durch Rückbau einiger Wildbach- und Lawinenverbauungen und andere aktive Naturschutzmaßnahmen allmählich wieder aufwärts.



»Wir haben vielleicht Zuwachs auf Great Barrier Island. Die Frau, sie heißt Cynthia, hört sich recht nett an. Mit Sandra können wir ja morgen noch mehr herausfinden. Cynthia wäre gerne bereit, zumindest einmal auf einige Zeit ins Ausland zu gehen, sie spricht gut Englisch, wurde hier gerade gekündigt, ihr Freund ist ihr vor kurzem ,abhanden‘ gekommen und sie hat kaum Angehörige.«

»Und hast du eine Ahnung, welche Para-Begabung sie hat?«

»Nein, mir kommt vor, sie weiß selber gar nicht, dass sie so etwas hat, ja dass es so etwas gibt!«


Die Tage mit Sandra und Klaus werden hektisch. Als wichtigster Punkt wird zunächst »der Fall Cynthia« genauer untersucht. Nach einem Abendessen können Klaus und Sandra nur bestätigen und ergänzen, was Maria schon in Erfahrung gebracht hatte. Cynthia ist para-begabt. Wofür, weiß sie nicht, ja sie weiß nicht einmal, dass sie eine solche Begabung hat. Klaus hat eine solche Aura noch nie getroffen.

»Das Einzige, was mir sicher scheint, ist, dass es sich um eine sehr spezielle Begabung handelt, die irgendwie mit der Vergangenheit zu tun hat, und zwar irgendwie entgegengesetzt der Begabung von Aroha. Bei Aroha, wo wir ja noch immer nicht verstehen, was sich genau abspielt, gibt es eine Verquickung mit der Vergangenheit. Aroha kann in gewisse Vergangenheiten sehen, doch scheint sie selbst wenig Kontrolle darüber zu haben, wann das passiert und was sie sieht. Bei Cynthia spüre ich, dass sie im Prinzip die Kontrolle hat, aber ihre Begabung eher die Vergangenheit beseitigt. Ich weiß, das klingt alles dumm, aber so spüre ich das. Mehr weiß ich zurzeit nicht. Noch haben wir Arohas Begabung nicht im Griff, da kommt eine neue, die jedenfalls im Moment noch rätselhaft erscheint: Unserer Forschungsabteilung scheint die Arbeit nicht auszugehen!«

Sandra erklärt, dass Cynthia offenbar eine einfache, grundehrliche und freundliche junge Frau ist und sich freuen würde, zunächst auf drei Monate - denn das geht ohne Visum - nach Neuseeland zu kommen.

»Also, dann soll sie mit uns mitkommen. Wir besorgen ihr ein Flugticket und geben ihr einen schönen Vorschuss, offiziell anstellen dürfen wir sie ja ohne Visum und Arbeitsgenehmigung ohnehin nicht. Sie soll die wachsende Büroarbeit auf Great Barrier Island erledigen. Wer hat Einwände, dass wir ihr das morgen vorschlagen?« Niemand hat Einwände. Als Marcus Cynthia am nächsten Tag das Angebot macht, nimmt sie sofort erfreut an.

»Sie war ehrlich erfreut und will sich sehr anstrengen«, erzählt Sandra, die Cynthias Gefühle para-belauschte.

Während Klaus nun alle zu den schönsten Stellen in Gastein schleppt, zum »Grünen Baum« mit dem Spaziergang zum »Malerwinkel«, auf eine Wanderung ins Anlauftal, durch das der Fußweg auf den Ankogel führt, durchs Rauristal nach Sportgastein und vieles mehr, erzählt Marcus von seinen Recherchen zu Kürbissen und Silatraviat.

Umgekehrt berichtet Klaus von der PPU aus Brüssel.

»Sie können inzwischen sehr große Para-Schirmfelder erzeugen. Das werden wir auch bald können. Sie arbeiten aber nach bereits ersten Erfolgen an zwei weiteren streng geheimen Entwicklungen. Bei der ersten dürfte es sich um ein Gerät zum Orten von Para-Begabungen handeln. Dabei bin ich weder sicher, ob das stimmt, noch ob dieses Gerät mehr oder weniger kann als etwa ich. Ich hoffe, dass wir hier in einigen Wochen mehr wissen. Die zweite Entwicklung ist eine ,Para-Waffe‘, aber was diese ist und kann, scheint sehr schwer erfahrbar zu sein. Das Positivste ist: Man rechnet nicht mit einem praktischen Einsatz vor mehreren Jahren.«


Die Tage in Europa vergehen für alle viel zu schnell. Bald sitzt man wieder im Flugzeug Richtung Auckland, die Gruppe von Maria, Marcus und den Kindern um eine Person, Cynthia, vergrößert. Als Maria und Marcus mit ihren Begleitpersonen auf Great Barrier Island ankommen, sind sie die Letzten: Barry und Monika sind schon da, genau wie Klaus und Sandra. Aroha hat Herbert mitgebracht und sich um ein »Willkommensessen« gekümmert.

Unmittelbar nach der Begrüßung bittet Klaus Marcus um ein Gespräch.

»Marcus, es ist unglaublich. Aber Herbert ist auch para-begabt. Aroha weiß noch nichts davon, er selber auch nicht! Es ist fast wie bei Cynthia: Wir wissen nur, dass er begabt ist, nicht wofür. Soweit wir uns auf die Fähigkeiten von Sandra verlassen können, ist er als Person absolut in Ordnung.«

»Sandra hat sich noch nie geirrt«, sagt Marcus.

Marcus, noch müde vom Flug, kommt nicht zur Ruhe. Jeder will auf einmal einen Geheimtermin haben.

Sandra erklärt: »Ich bin ja die große Schnüfflerin vom Dienst, drum fühle ich mich doch verpflichtet, dir das Wichtigste zu berichten. Also: Herbert ist als Mensch in Ordnung, er hat Aroha sehr gern und wäre bereit bei SR-Inc. mitzuarbeiten. Aroha wird dich bitten, ihm einen Job zu geben. Die PM will mit dir reden: Ich habe nur herausbekommen, dass sie besorgt ist über Para-Entwicklungen in Europa. Barry und Monika hatten eine Superzeit in Europa, aber auch ein Erlebnis, das ihre Gefühle etwas durcheinander gebracht hat.«

»Ist es etwas Ungewöhnliche, etwas, das uns als Gruppe gefährdet?«

»Ungewöhnlich ist es nicht. Die Gruppe gefährdet es vielleicht insofern, als Eifersucht oder andere starke Gefühle entstehen könnten und das kann natürlich sehr schaden, bis zum Auseinanderbrechen der Gruppe.«

»Was meinst du genau?« Sandra überlegt diesmal länger.

»Nun, auch du hast ja offenbar ein Erlebnis gehabt, wo deine Loyalität Maria gegenüber gefährdet war. Bei Barry und Monika gab es etwas Ähnliches, auch bei mir und Klaus. Es scheint ferner, dass in allen drei Fällen die betroffenen Paare nach diesen Erlebnissen eher mehr als vorher zueinander stehen. Nur, wird das immer so sein?«

Marcus ist nach dieser Unterhaltung fast etwas verstimmt gegenüber Sandra. Sie ist sicher eine sehr wichtige Person, weil nur sie die Loyalität von Freunden und Mitarbeitern überprüfen kann. Aber soll sie sich wirklich so weit in sehr menschliche Belange einmischen, wie sie es offenbar tut?

Wie von Sandra vorhergesagt, kommt kurz nachher Aroha mit ihrer Bitte, Herbert bei SR-Inc. einzustellen. Sie ist sehr erleichtert, als Marcus zusagt.

Das erste gemeinsame Essen nach der Rückkehr wird ein großes Fest. Herbert und Cynthia, beide wissen noch nichts von ihren Para-Begabungen, fühlen sich vom Anfang an in der Gruppe wohl. SR-Inc. freut sich über einen neuen Mitarbeiter, Herbert. Dieser und Aroha strahlen: Sie freuen sich, nun in derselben Stadt leben zu können. Sandra freut sich für die beiden. Nichts ist noch zwischen beiden »passiert«, sie sind gute Freunde, sie spüren eine tiefe gegenseitige Zuneigung. Aber Aroha war nie jemand, der von sich aus drängte, und von Herbert geht Ruhe und Gelassenheit aus, ein Gefühl wie: »Wenn was stimmt, dann passiert es schon.« Sandra erinnert das ein wenig an das Buch »Die Entdeckung der Langsamkeit« [16].

Das Gespräch zwischen Marcus und der PM verläuft freundschaftlich, aber ohne große Ergebnisse. Die PM warnt Marcus vor Aktivitäten der PPU im Bereich Para-Begabungen, von denen sie gehört hat. Marcus berichtet, was er weiß. Beide wollen sie auf der Hut bleiben und weiter versuchen, mehr herauszufinden.

In den darauf folgenden Wochen werden nach genauer Prüfung Cynthia und Herbert allmählich eingeweiht, dass sie para-begabt sind. Wie Aroha gehen sie nun regelmäßig zu Sitzungen zur Forschungsgruppe der SR-Inc., um etwas über die Art der Begabung herauszufinden.

Aus dem Archäologischen Institut von Wien kommt ein Zwischenbericht: Es wurden tatsächlich Skelettreste von den Bauarbeitern der Pyramide gefunden und einige Gramm konnten aus Ägypten hinausgeschmuggelt werden; sie liegen bei. Marcus ist auf das Untersuchungsergebnis sehr gespannt. Es ist überraschend klar: Die fraglichen Personen (das gesandte Material stammt von drei verschiedenen Skeletten) wurden vergiftet. Die Knochenreste enthalten überdurchschnittlich viel Silatraviat. Damit steht wohl endgültig fest: Erstens, Silatraviat fördert oder ist vielleicht sogar notwendig für das Auftreten von Para-Begabungen. Zweitens, es scheint schon seit tausenden von Jahren immer wieder solche Begabungen gegeben zu haben, aber viele wurden so gefürchtet, dass man sie oft tötete, sofort oder wenn man sie nicht mehr unbedingt brauchte. Marcus wird einen entsprechenden Bericht auch der PM übermitteln, um zu belegen, dass sie weiterhin nur im Verborgenen handeln können.

Es ist aber gerade das Gespräch, bei dem Marcus der PM den Bericht übergibt, das ganz dunkle Wolken am Horizont sichtbar macht. Diesmal hat die PM konkrete Unterlagen: Die PPU ist im Begriff, ein Para-Ortungssystem fertig zu stellen, mit dem man alle Para-Begabungen in einem Umkreis von 20 km feststellen kann. Es ist beabsichtigt, damit alle Para-Begabungen weltweit aufzuspüren und sie in Para-Gefängnissen zu einer Zusammenarbeit zu überreden. Mögen die USA die mächtigsten Atomwaffen, der Nahe Osten die mächtigsten chemischen und biologischen Waffen haben, Europa wird mit einer Armee von Para-Begabungen allen überlegen sein. Zusätzlich arbeitet man an einer »Para-Waffe«, die überhaupt ein ultimates, aber humanes Kampfmittel sein wird.

»Marcus, was wirst du machen? Die werden auch euch aufspüren und euch legal oder illegal zur Kooperation zwingen. Kann ich helfen?« Jenny, die PM, ist echt besorgt.

»Du bist unsere beste Freundin, aber mach dir keine Sorgen. Wir haben schon Vorbereitungen getroffen.«

Die PM ist etwas beruhigt. Marcus aber nicht: Er hat übertrieben. Gelingt der europäischen PPU tatsächlich eine Para-Ortung im behaupteten Ausmaß, dann wird es schwierig werden. Marcus tröstet sich damit, dass dieselbe Möglichkeit in den Händen anderer Länder wohl noch viel schlimmer wäre. Immerhin hat Europa eine einigermaßen vernünftige Regierung, na ja, nur vergleichsweise und nach vielen Geburtswehen.

Marcus berichtet nur Maria und Klaus von der Unterredung. Er will nicht alle anderen auch beunruhigen. Klaus, Maria und Marcus wissen auch nach langen Gesprächen keine Lösung des Problems.

Klaus meint abschließend: »Unsere einzige Hoffnung ist, dass wir rasch weitere Erfolge bei der Para-Forschung und Durchbrüche bei der Technologieentwicklung haben.« Marcus nickt.

Sie wissen nicht, dass sie mit Cynthia und Herbert die Lösung schon gefunden haben!


Nachwort


Ich hoffe, das Buch hat Ihnen gefallen. Ich möchte besonders gerne wissen, was Ihnen gut und was Ihnen gar nicht gefallen hat. Vielleicht kann ich den übernächsten Band dadurch besser schreiben. Der nächste, »Xperten - 3: Die Para-Kämpfer«, ist jedoch schon fertig, sodass ich da nichts mehr ändern kann.

Schreiben Sie mir! Ich antworte fast immer, außer wenn ich gerade besonders schlecht aufgelegt bin. Meine E-Mail-Adresse lautet: [email protected]

Wenn ich von Ihnen höre (d. h. lese), verspreche ich, dass ich Ihre E-Mail-Adresse nicht weitergebe. Aber ich verständige Sie per E-Mail, wenn der nächste Band der Xperten-Reihe fertig ist. Wenn Sie Letzteres nicht wollen, no problem, dann schreiben Sie, dass ich Ihre E-Mail-Adresse nicht speichern soll. Klaro?

Ach so, und wenn Ihnen der Band Spaß gemacht hat: Kaufen Sie doch fünf Stück als Geschenk für Ihre fünf besten Freunde!


Damit Sie den Überblick nicht verlieren:


Xperten - 0: So hat es angefangen

Eine Sammlung von SF-Geschichten, bearbeitet von Mag. P. Lechner. Die Geschichten können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Sie sind augenöffnend und provokant. Sie berühren sich mit den Hauptbänden der Xperten-Reihe durch die Diskussion der Zukunft, zukünftiger Technologien und Ideen, aber nicht über die Personen der Hauptreihe.


Xperten - 1: Der Telekinet

Der erste Band der Hauptreihe. In diesem Band entdeckt der Physikstudent Marcus seine Para-Begabung, experimentiert damit, setzt sie ein, um in Casinos Geld zu »verdienen« und um Mädchen zu verführen. Er wird von der PPU in Brüssel gejagt und entkommt dem Tod nur durch die para-begabte Maria, die seine große Liebe wird. Sie fliehen zusammen nach Neuseeland, wo sie eine Familie und ein neues Leben aufbauen.


Xperten - 1.2: Der Mindcaller

Hier wird die Geschichte des Mindcallers und der jungen Frau Aroha erzählt. Die Handlung wird in späteren Bänden weitergeführt.


Xperten - 2: Der Para-Doppelgänger

Das vorliegende Buch, der zweite Band der Hauptreihe.


Xperten - 3: Die Para-Kämpfer (erscheint Ende 2003)

Die Überraschungen gehen weiter ... aber anders, als Sie wahrscheinlich vermuten. Die Hauptpersonen Maria, Marcus, Stephan, Lena, Barry, Monika, Klaus, Sandra, Aroha, Herbert, Cynthia, Justo und Greta ... Alle treten hier auf. So geballt wie in keinem der anderen Xperten-Bände mehr. Warum? Sie werden es lesen!


Zur XPERTEN-Reihe


Die Xperten-Reihe beruht auf mehreren Ideen: Erstens, eine Para-Begabung ist nicht nur etwas Schönes, sondern auch eine große Verantwortung und Gefahr. Zweitens, es hat immer schon Para-Begabungen gegeben; diese Personen konnten ihre Begabung manchmal geheim halten, manchmal zu ihrem Nutzen als Zauberer oder Heilige ausnutzen, manchmal wurden sie von Mitmenschen gefürchtet, verfolgt und fallweise auch getötet. Drittens, Para-Begabungen werden mit voranschreitender Informationstechnologie durch diese simulierbar. Viertens, dadurch wird es letztendlich möglich, Para-Begabte in die Gesellschaft zu integrieren. Fünftens, zukünftige Computertechnologie wird tief in unser Leben eingreifen, dieses verändern und verbessern, birgt aber auch große Gefahren, wenn man keine geeigneten Vorkehrungen trifft. Dies wird vor allem in “Xperten 4: Die Para-Rettung” sehr deutlich (Band in Vorbereitung).



Die bisher in der Reihe aktiven Autoren:


Ich selbst, Professor für Informationstechnologie an der Technischen Universität Graz, Science Fiction-Autor (meist unter Pseudonym), »weltweit berühmter (berüchtigter ?) Informatiker«.

Peter Lechner, beruflich für Marketing und PR von Netzwerkdiensten der österreichischen Post zuständig, hat durch originelle Einfälle und geschliffene Formulierungen unzählige Fans gewonnen.

Jennifer Lennon, geborene Wayte, eine meiner besten Doktorandinnen, Informatikerin in Neuseeland. 


Schreiben Sie gerne? Wollen Sie bei der Xperten-Reihe mitschreiben? Dann kontaktieren Sie mich unter [email protected] ...


Ihr Hermann Maurer

... mehr über mich siehe www.iicm.edu/maurer oder www.iicm.edu/Xperten






Literatur


[1] Impact Erebus; G. Vette; Aviation Consultants Ltd., Auckland, New Zealand (1983), ISBN 0 340 320249

[2] The Pyramid Builders; National Geographic, vol. 20, no. 5 (November 2001), 78-99.

[3] XPERTEN 1: Der Telekinet; H. Maurer, freya Verlag, Österreich (2003),

[4] Die große Brockhaus Enzyklopädie; Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim (2002).

[5] On a New Powerful Mode for Knowledge Management and its Applications; H. Maurer, K. Tochtermann, J.UCS, vol. 8, no. 1 (2002) 85-96.

[6] Die (Informatik) Welt in 100 Jahren; H. Maurer, Informatik Spektrum, (April 2001), 65-70.

[7] Parapsychologische Phänomene, Magie, Wunder ... und Technologie; H. Maurer, Informatik Spektrum (Juni 2002), 187-193.

[8] Perry Rhodan Weltraum Serie, Pabel Verlag (seit 1961), siehe www.Perry-Rhodan.net

[9] Timeline. Eine Reise in die Mitte der Zeit; M. Crighton, Goldmann (2001).

[10] Der Mindcaller; J. Lennon, H. Maurer [2003], Xperten - 1.2.: Der Mindcaller (2003), freya Verlag. ISBN 3 902134 49 6

[11] The Invisible Man; H. G. Wells, Bantam Classic (2000), ISBN

0 553 21353 9

[12] Bild der Wissenschaft 14, Nr. 12 (1977), 130-141 ; Chemische Berichte 9 (1973), 411ff; J. Organometische Chemie 233 (1982), 1-147; Patai: The Chemistry of Organic Silicon Compounds, 289-290, 737-739, 1150-1152; Pure Appl. Chemistry 13 (1966), 35ff; Top. Curr. Chem. 84 (1979), 77-135; Wilkinson-Stone-Abel 2, Serien 79 u. 166-167. Siehe auch Silicium-organische Verbindungen.

[13] Earth Planet, Sci. Lett. 42 (1979), 267-276; Dietrich und Skinner: Die Gesteine und ihre Mineralien, 245ff; Füchtbauer (Hrsg.): Sedimente und Sedimentgesteine, 4. Auflage, Schweizerbart (Stuttgart 1988), 362ff.

[14] The Mind‘s I; D. R. Hofstaedter, D. C. Dennet, Bantam Books, Toronto (1981), ISBN 0 553 34582 2; Deutsch: Einsicht ins Ich.

[15] Eine Würdigung der Melone des Nordens; J. Albrecht, in: Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau (Max Goldt, Ed.), Diana Taschenbücher 64.

[16] Die Entdeckung der Langsamkeit; St. Nadolny, Piper (2000).

[17] Geheime Botschaften; S. Singh, dtv (2000).


2brille.tif

(1) Kommunikationsbrille und Computer




Erläuterungen:

1: Der eigentliche Computer. Er ist 50-mal schneller als schnelle PCs im Jahre 2003, hat einen Speicher von 20 GByte, anstelle einer Harddisk einen auswechselbaren Memory Stick mit 5 Terrabyte Kapazität, ein eingebautes GPS-System und NG-Handy (New Generation, die Nachfolger der UMTS Technologie, mit der eine ständige Verbindung mit dem Internet 2 besteht), dient als Computer, zum Identifizieren, zum Bezahlen, als Radio/Musikspieler und TV Gerät u. v. m.

2: Am Ohrknochen wird vom Computer der Raumton nur für den Träger hörbar abgeliefert.

3: Das Kopfband kann verschiedene Gehirnzustände abnehmen und ist daher für einfache Eingaben, die niemand merkt, sehr bequem.

4: Eine kleine Kamera, mit der Standbilder und Videos aufgezeichnet werden. Das Videosignal kann auch in die Brille (siehe 5.) gelegt werden, d. h., man kann damit zoomen wie mit einem Feldstecher, auf Macromode umschalten oder auf Nachtsicht. Durch Bildverarbeitung ist die Kamera ein mächtiges Erkennungsgerät, kann z. B. Gesichter, Pflanzen, Gestik der Hände erkennen und ersetzt damit auch eine Tastatur: eine solche kann dem Benutzer durch Einblendung sichtbar gemacht werden und das Tippen auf der Tastur wird von Kamera/Computer richtig interpretiert. Durch einen eingebauten Kompass weiß der Computer übrigens nicht nur über GPS, wo man steht, sondern auch, wo man hinsieht, und ist daher ein idealer Führer bzw. Helfer.

5: Der Computer liefert durch zwei fast unsichtbare Spiegel in den Brillen für beide Augen (bewegte) Bilder, die durch die Zweiäugigkeit natürlich im Normalfall dreidimensional sind.

6: Das elegante Halsband hat ein Kehlkopfmikrofon und einen Lautsprecher eingebaut. Ohne den Mund zu öffnen kann gesprochen werden und das wird über Spracherkennung für Eingabezwecke oder Sprachübersetzung verwendet, wobei Übersetztes über den Lautsprecher hörbar gemacht werden kann.