3. Barry
17. Februar 2011
Am Tag, nachdem Marcus und Maria Lenas Fähigkeiten als Späherin erkannt haben, sitzt die Familie im Wintergarten bei einem gemütlichen Frühstück. Das gestrige herrliche Wetter ist wieder in das für Barrier Island eher typische umgeschlagen: ein grauer Himmel mit einigen blauen Löchern, vereinzelte tief jagende Nebelfetzen, die zeigen, wie windig es wieder ist. Am Strand rollen große Brecher herein. Wieder einmal beglückwünschen sich Maria und Marcus, dass sie diesen großzügigen Wintergarten gebaut haben, in dem man wie im Freien sitzt und auf die spektakuläre Küstenlandschaft hinuntersieht.
»Was wirst du jetzt machen?«, fragt Maria. »Ich werde jetzt nach Auckland hinüber fliegen und Barry unter dem Vorwand einer geplanten Reise - wir wollten doch schon alle einmal nach Tonga! - besuchen. Ich glaube nicht, dass ich viel aus ihm herausbekomme, aber ich werde es versuchen. Wenn ich nichts herausfinde, werde ich Barry rund um die Uhr bewachen lassen in der Hoffnung, dadurch etwas über seine Fähigkeiten zu lernen.« Maria nickt. »Sei aber vorsichtig. Wenn der Beobachter was Ungewöhnliches herausfindet, haben wir am Ende einen Mitwisser mehr.«
Als Marcus am frühen Nachmittag im kleinen Reisebüro von Barry aufkreuzt, gratuliert dieser Marcus sofort zu seinem gestrigen Rettungseinsatz: »Sie haben ja wieder fast Übermenschliches geleistet, hört man. Wie können Sie nur von außen all die Mensch aufspüren? Ist die Informationstechnik/Elektronik wirklich so toll in Ihrem Einsatzfahrzeug, wie man immer hört?« »Ja, das ist sie. Aber manchmal denke ich, man braucht auch irgendwie ein gewisses intuitives Gefühl jenseits der Technik. Nur bin ich halt dann wieder Wissenschaftler genug, dass ich an so was einfach nicht glaube. Alles was man da immer über unerklärbare Fähigkeiten von manchen Menschen hört, ist doch nur ausgemachter Unsinn«, versucht Marcus Barry herauszufordern. Barry reagiert auch tatsächlich. »Also ganz pauschal ablehnen kann man so PSI oder Para-Fähigkeiten nicht, da habe ich schon so viel gehört, dass vielleicht doch was dran ist.« Marcus hakt nach, ob Barry denn schon selbst etwas in dieser Richtung erlebt hat. Barry zögert. In diesem Augenblick kommt ein weiterer Kunde bei der Tür herein und die Chance mehr zu erfahren ist vorbei. Marcus lässt sich noch Material über Tonga geben und eine Empfehlung von Barry:
»Auf der nördlichsten Inselgruppe von Tonga, Vavau, gibt es ein kleines Beach Resort, das übrigens ein Landsmann von Ihnen, der österreichische Konsul in Auckland, gebaut hat und das einem Deutschen, Dieter Eyck, und seiner tonganischen Frau gehört: Klein, nett, prima Essen, sehr gutes Tauchen! Sollten Sie sich einmal genauer ansehen.« Marcus bedankt sich.
In seiner Firma SR redet Marcus mit Robert, dem Geschäftsführer, unter vier Augen:
»Robert, ich brauche einen Mitarbeiter, auf den ich mich 100%ig verlassen kann. Er muss jemanden für mich beobachten, darf aber, egal, wie unglaublich das ist, was er vielleicht sieht, niemandem außer mir davon erzählen.« Robert ist begreiflicherweise neugierig, aber er merkt, dass Marcus nicht weiter darüber reden will. »Ich würde sagen, nimm doch Paul Warren, auf den ist wirklich Verlass ... und abgesehen davon, dass er auch beim ,großen Unfall‘ durch euch gerettet wurde, hast du mir - erinnerst du dich - vor einem Jahr nicht erlaubt ihm zu kündigen.«
»Ach ja, das war, als er wegen Körperverletzung vor Gericht musste«, erinnert sich Marcus, aber er erinnert sich auch, warum es zu dieser Anklage wegen Körperverletzung kam. Paul schützte den österreichischen Konsul in einer Bar vor Randalierern und griff dabei härter zu als vielleicht notwendig. Aber Marcus hat das damalige Vorgehen von Paul immer gebilligt, noch dazu, weil er durch diesen Zwischenfall den Konsul als Gentleman und Freund kennen gelernt hat. Oft hat er das Gefühl, dass er als Ex-Österreicher, wenn er je in Bedrängnis wäre, immer von seinem Freund Gerhard, dem Konsul, Rat und Hilfe bekommen könnte. Gerhard würde ihm sogar die Geheimniskrämereien und seine gefälschten Papiere verzeihen, würde er erst den Grund dafür kennen.
Ein Räuspern von Robert, der inzwischen Paul rufen ließ, unterbricht die Gedanken von Marcus.
Marcus bittet Paul, Barry und sein Geschäft ab sofort möglichst umfassend zu beobachten, aber sich über nichts zu wundern und niemandem von der Überwachung oder etwaigen Vorfällen zu erzählen. Bei irgendwelchen Besonderheiten sollte Paul sofort Marcus per Handy anrufen.
Marcus hat noch einiges in der Stadt zu erledigen. Er besorgt für Maria und sich Karten für ein Musical im Aotea Center, holt für Maria ein paar Bücher aus der Universitätsbibliothek ab, trifft sich auf einen Kaffee mit Aroha, jener rätselhaften jungen Frau, die er vor Jahren einmal kennen gelernt hat, die nach dem Tod ihres Freundes in tiefe Verzweiflung stürzte und der er durch Zufall ein bisschen hatte helfen können.
Als es gegen 20 Uhr Zeit wird, allmählich auf die Insel zurückzufliegen, klingelt sein Handy. Zu seiner Überraschung meldet sich Paul, etwas verlegen:
»Ich weiß nicht, was ich mit dem anfangen soll, was ich erlebt habe, aber es ist doch so ungewöhnlich, dass ich es gleich berichten wollte.«
Die Stimme klingt so verunsichert, dass Marcus fragt: »Paul, bist du in der Nähe von Barrys Büro?«
»Kann man wohl so sagen«, antwortet Paul und kichert eigentümlich.
»Okay, treffen wir uns in 15 Minuten auf ein Essen in der Bronce Goat in der Ponsonby Road. Einverstanden?«
»Klingt gut«, meldet sich Paul ab.
Marcus ruft Maria an, dass er erst spät kommen wird. Zu Aroha sagt er: »Entschuldige, wenn ich jetzt abrupt aufbreche. Du musst uns aber einmal in unserem Haus auf Great Barrier besuchen, versprichst du das? Das nächste Mal, wenn du eine Einladung ablehnst, bin ich wirklich sauer.«
Aroha erwidert lächelnd: »Ich werde kommen, wenn es irgendwie geht.« Sie umarmen sich kurz, Aroha blickt Marcus lange nach, während sie ihre uralte Schnitzerei, den »Mindcaller«, wie sie ihn nennt und den sie fast immer trägt, berührt. Marcus ist ein guter Freund, ein netter Kerl, aber da ist noch etwas an ihm und irgendwie hängt das mit ihrem Mindcaller zusammen. Aber wie?
Die Bronce Goat ist voll wie immer. Mit Mühe finden Paul und Marcus einen einigermaßen ruhigen Platz. Der Fischeintopf und ein leichter Weißwein sind hervorragend.
»Schieß los«, fordert Marcus Paul auf. Der überlegt kurz:
»Also, ich war um zirka 15 Uhr in der Bar auf der anderen Straßenseite, von wo aus man das kleine Reisebüro gut beobachten kann. Ich hatte ein Skriptum mit, wie ein Student, um einen guten Grund zu haben, dort länger zu sitzen. Nach einem größeren Trinkgeld wurde ich gut bedient bzw. in Ruhe gelassen. Zuerst war gar nichts los. Dann ging eine wirklich bildhübsche Chinesin in das Reisebüro. Als sie nach 30 Minuten noch immer nicht herausgekommen war, musste ich nachsehen. Die Eingangstür war offen, kein Wunder bei der Hitze, aber der kleine Verkaufsraum war leer. Dahinter ist eine Tür zu einem anderen Zimmer ... ich schaute vorsichtig hinein. Es ist nur ein kleines, fensterloses Zimmer mit einer Badenische und einem großen Bett. Und da liegen Barry und die Chinesin, splitternackt - ach nein, sie hatte noch die Stöckelschuhe an - und na ja, sie treiben es, und zwar ziemlich toll. Sehr gelenkig, beide. Gute Körper. Frauen hab ich ja schon rasiert gesehen, aber Männer noch keine.«
Marcus unterbricht: »Paul, klingt ja ganz interessant, aber ich glaube, diese Details sind doch nicht so wichtig, dass du mich angerufen hast?«
Paul lacht: »Nein, kommt schon noch. Aber lass mich doch. Was blieb mir anderes übrig, als ein wenig zuzuschauen? Die beiden waren unersättlich. Schließlich bin ich dann halt doch wieder zurück in die Bar. Die Chinesin kam erst einiges später heraus. Die Kellnerin fand mich jetzt auf einmal sehr viel interessanter, sie hielt mich wohl für einen Detektiv, und erzählte mir, dass da drüben oft die verschiedensten Frauen auf eine Stunde verschwinden und manchmal recht zerzaust herauskommen. Du wirst es nicht glauben: Sie wurde recht heiß beim Erzählen und ich war‘s noch vom Zuschauen, so gab ein Wort das andere. Ich treffe mich jedenfalls mit der Kellnerin, wenn sie um 22 Uhr fertig ist«, schmunzelt Paul und hebt die Hand, um Marcus zu hindern, dass er ihn wieder unterbricht. »Also, kurz gesagt, das Erste, was ich über Barry herausfand: Er ist offensichtlich ein ziemlicher Weiberheld. Aber jetzt kommt das Unglaubliche. Barry schloss um 18 Uhr von innen, verstehst du, von INNEN, das Geschäft. Er kam aber nicht heraus; es wurde dämmrig, drinnen wurde jedoch kein Licht angedreht. Außerdem muss doch auch Barry irgendwann essen! Also ging ich so gegen 19.30 Uhr hinüber, läutete an, klopfte - keine Reaktion. Komisch, dachte ich. Die Tür war ganz leicht aufzukriegen, es gibt ja außer den Dingen, die vielleicht im Safe eingesperrt sind, wirklich nichts, was man stehlen will ... außer man fährt total auf Reiseprospekte ab.«
»Du bist eingebrochen?«, staunt Marcus. »Na, sagen wir, ich bin durch die Tür hineingegangen, weil ich mir Sorgen um Barry machte ... Vielleicht hatte er sich zu sehr verausgabt, vorher, du weißt ja. Aber das war es nicht - er war einfach nicht mehr da! Und das ist es, warum ich dich angerufen habe. Da stand ich in Barrys leerem Büro und du fragst mich, ob ich noch in der Nähe des Büros bin. War schon zum Kichern! Aber überleg einmal: Das gibt es doch einfach nicht. Er hat von innen zugesperrt und es gibt nur einen Weg aus dieser Bude, durch die Tür, und dort ist er garantiert nicht herausgekommen. Er hat sich in Luft aufgelöst. Oder hast du eine vernünftige Erklärung dafür?«
Marcus schaut auf die Uhr. »Ich habe keine vernünftige Erklärung. Ich werde nachdenken. Danke dir. Ich werde dich wieder brauchen, okay. Aber jetzt geh, damit du deine Kellnerin nicht versäumst ... und viel Spaß ... Rede aber nicht über das, was du erlebt hast!« »Geht alles klar. Du glaubst mir wohl die Geschichte nicht ganz?«, fragt Paul enttäuscht beim Abschied. Marcus zuckt die Schultern: »Würdest du sie mir glauben?« »Ich würde wohl auch lange nachdenken.«
Auf Great Barrier Island berichtet Marcus Maria davon. Sie sind sich rasch einig, dass es drei mögliche Erklärungen gibt. Erstens, die wahrscheinlichste, Paul hat übersehen, wie Barry das Geschäft verließ ... immerhin war er ja durch die Kellnerin einigermaßen abgelenkt. Zweitens, es könnte doch einen anderen oder Geheimausgang aus dem Büro geben. Und drittens, Barry ist para-begabt, wenn Lenas Beobachtungen stimmen. Kann er am Ende durch Wände gehen, wie Marcus durch Wände greifen kann? Kann er sich unsichtbar machen? Kann er Menschen durch eine Art von Hypnose etwas vortäuschen? Kann er sich massiv verkleinern und durch eine kleine Öffnung entschwinden? Da gibt es viele Möglichkeiten, eine fantastischer als die andere. Was wissen wir schon über parapsychologische Phänomene?
Es ist für Marcus über seine Firma SR-Inc. leicht, eine zeitraffende Überwachungskamera installieren zu lassen, die ab dem nächsten Tag 72 Stunden lang das Reisebüro von Barry beobachtet: Pro Sekunde wird dabei eine Aufnahme gemacht, sodass man 72 Stunden auf ein extrem »zeitgerafftes« Video von drei Stunden reduzieren kann. Drei Tage später sehen sich Maria und Marcus mit Spannung am Abend das Video an. Am ersten Beobachtungstag tut sich nichts Besonderes: Barry kommt und geht ein paar Mal, bis er am Abend endgültig das Geschäft zusperrt und wegfährt. Die Szene am nächsten Tag können sie allerdings kaum glauben, gehen mehrmals im Video zurück. Es besteht aber kein Zweifel. Barry, der am Vorabend das Reisebüro verlassen und zugesperrt hat, ist am nächsten Morgen auf einmal auf geheimnisvolle Weise im Lokal und sperrt es von innen auf! Ansonsten verläuft der Tag normal, nur hat Barry zweimal Damenbesuch, der sich über längere Zeit erstreckt, als das bei Reiseauskünften sinnvoll sein könnte. Und, er sperrt das Lokal von innen ab, taucht am nächsten (dritten) Tag aber wieder von außen auf. Es ist dies der Tag, an dem Maria mit Lena kurz Barry besucht unter dem Vorwand, mehr über eine mögliche Reise nach Vavau erfahren zu wollen.
Maria kauft einen Reiseführer und bezahlt mit einer 100-$-Banknote in der Hoffnung, dass Barry diese nicht wechseln kann. Tatsächlich muss er das Geschäft zum Wechseln kurz verlassen. Dies gibt Maria genug Zeit, sich das Lokal und das Zimmer dahinter anzusehen. Lena hat den Auftrag, laut »Mama, können wir jetzt bald gehen?« zu rufen, wenn Barry zu früh zurückkommt. Die Dreijährige genießt das kleine Spielchen. Dieser Besuch bei Barry bringt zwei Resultate: Ein zweiter Ausgang aus dem Reisebüro ist, wenn vorhanden, sehr gut versteckt; und Lena ist ganz sicher, dass Barry stark »strahlt«. Der Rest des Videobandes ist wieder kaum bemerkenswert, wenn man davon absieht, dass Barry an diesem dritten Tag (wie am ersten) keine weiteren Damenbesuche hat.
Es ist diese letzte Beobachtung, die Maria besonders nachdenklich stimmt: »Marcus, irgendwie scheint es mir, als hätte der ,normale‘ Barry einen Doppelgänger. Dieser war nur am zweiten Tag im Reisebüro, kann offenbar durch Wände gehen oder was Ähnliches und im Gegensatz zum normalen Barry scheint er großen Wert auf viele Affären mit Frauen zu legen.« Sie sind unsicher, ob sie diese Idee eines Doppelgängers irgendwie weitergebracht hat, aber alle bisherigen Erlebnisse würden damit einigermaßen zusammenpassen.
Um der Begabung von Barry auf die Spur zu kommen, lädt Marcus ihn auf einen Besuch bei ihnen auf Great Barrier Island am nächsten Sonntag ein.
Zu seiner Überraschung ist Maria davon nicht sehr begeistert. »Aber du hast doch nichts gegen Barry?«
»Nein. Aber solange wir nicht wissen, was Barry kann, ist er mir unheimlich.«
Barry besteht darauf, mit dem eigenen Auto und der Fähre zu kommen und in Whangaparapara1 an Land zu gehen: »Ich war noch nie dort. Mir machen die zwei Stunden Fahrt mit der Fähre Spaß und die Fahrt vom Hafen quer über die Insel gibt mir die Chance, diese ein wenig kennen zu lernen.«
Lena ist ganz aufgeregt, dass Barry kommt. Sie bemalt außen liebevoll eine große innen wie ein Opal schimmernde Paua-Muschel, die die Eltern vor einigen Wochen aus dem Meer heraufgetaucht haben, als Geschenk für Barry. Marcus wundert sich über diese Zuneigung von Lena zu Barry, doch Maria hat eine Erklärung dafür: »Marcus, wir müssen ein bisschen Acht geben. Alle Menschen mit Para-Fähigkeiten, die Lena bisher kennt, sind ihr gegenüber freundlich und nett. Sie verbindet mit Para-Fähigkeiten, mit Menschen die ,strahlen‘, wie sie das nennt, nur Positives. Dass es auch ,böse‘ Para-Begabungen geben könnte, versteht sie noch gar nicht. Aber wir wissen, dass es so was geben kann, ja, wir wissen nicht einmal, ob Barry nicht sogar in diese Gruppe gehört. Genau das ist ja der Grund, warum ich von der Einladung an Barry nicht so begeistert war, wie du dich sicher erinnerst.«
Ein fröhlicher Barry kommt am späten Vormittag mit seinem vom Video wohl bekannten Auto an. Maria und Marcus begrüßen ihn herzlich und Lena läuft mit ihrem Geschenk aufgeregt Barry entgegen. Doch bevor sie ihn erreicht, bleibt sie plötzlich wie angewurzelt stehen und starrt Barry an. Erst nach mehreren Aufforderungen geht sie weiter, grüßt Barry und gibt ihm zögernd ihr Geschenk. Sie benimmt sich sehr auffällig, zieht Marcus unter einem Vorwand weg.
1 Die Fähre von Auckland geht entweder nach Tryphena im Süden, nach Port Fitzroy im Norden, aber sie macht meistens einen Zwischenstopp in der Mitte der Westseite der Insel, in Whangaparapara (sprich: Fanga-para-para). Dorthin will Barry. Übrigens: Whanga heißt »Hafen« und para heißt »sumpfig« ... parapara sollte damit hinreichend klar sein :-). Das Anwesen von Maria und Marcus liegt, für die, die es noch nicht besucht haben, an der Ostküste von Great Barrier Island, etwa 20 km nördlich von Claris.
Außer Hörweite berichtet sie Marcus ganz aufgeregt: »Papa, das ist Barry. Aber irgendwas stimmt nicht. Er strahlt heute nicht.« Marcus ist wie vom Donner gerührt. Bei der nächsten Gelegenheit erzählt er Maria von Lenas Äußerung.
Maria meint nachdenklich und fragend: »Doppelgänger?«
Barry ist von Haus und Lage des Grundstücks (wie noch jeder Besucher vor ihm) beeindruckt und das gemeinsame Mittagessen wird ein Vergnügen: Barry ist ein angenehmer Gast. Er hört gerne zu, stellt interessante Fragen, hat einen trockenen Humor. Lena, die ihn anfangs eher misstrauisch beäugt, zieht er durch kleine Witzchen und indem er alle fünf Minuten noch ein weiteres kleines Geschenk aus seiner Tasche zaubert, dann doch ganz auf seine Seite. Beim vierten Geschenk(chen) kann sich Lena vor Kichern kaum mehr erfangen! Barry scheint schon überall in der Welt gewesen zu sein, erzählt interessant, manchmal mit einem Anflug von Traurigkeit. Auf eine Freundin angesprochen ist er ausweichend: Er kenne viele junge Frauen, die ihn gefallen (und er hofft auch umgekehrt), und ja, mit seinen 35 Jahren wird es vielleicht einmal Zeit sich zu entschließen (vor allem, wenn er eine so glückliche Familie wie die von Maria und Marcus sieht), aber es gibt da Gründe, über die er nicht reden will, die dann immer dagegen sprechen. Maria und Marcus werden bei dieser Bemerkung sehr hellhörig, aber mehr bekommen sie dann aus Barry doch nicht heraus.
Das Wetter ist angenehm, sodass sie beschließen, den »höchsten« Berg der Insel, den Hirakimata2 (ganze 2.038 Fuß hoch) zu besteigen.
Die Wanderung gehört zu den schönsten auf der Insel. Man beginnt auf der geschotterten Straße an der Ostseite der Insel an einer gut markierten Stelle, geht zuerst durch eine richtige »Klamm« auf Holzstegen und kommt dann auf einen langsam ansteigenden Grasrücken, auf dem vereinzelt herrliche Kauris stehen. Später taucht man in einen dichten Regenwald ein - auf ganz gutem, wenn auch immer nassem Weg. Maria und Marcus erzählen von den vielen Tieren, die man hier ab und zu sieht. Und als sie Kiore, die polynesische Ratte, erwähnen, laufen gleich drei aus dem Dickicht heraus und setzen sich ganz knapp vor ihnen auf den Weg, verschwinden erst im letzten Moment. Als sie von Tui3 reden, fliegen zwei aus dem Dickicht heraus und lange Zeit immer einen knappen Meter direkt vor ihnen her. Und auch als sie von dem Pukeko4 sprechen, erscheinen plötzlich mehrere aus dem Wald.
2 Hira ist das Maori-Wort für »viel, universal« und Kimata für »Ausblick«.
Barry ist über den »Zufall« verblüfft, Lena, Maria und Marcus wissen natürlich, dass sich Stephan mit seinen Animalaktivations-Fähigkeiten einen Spaß macht. Aber Marcus muss ihn einbremsen. Er gibt ihm telekinetisch einen kleinen Klaps auf den Popo: Stephan versteht das sofort, schaut aber Marcus seufzend und vorwurfsvoll an: Jeder Spaß wird ihm verpatzt!
Dort, wo der Weg beginnt sich steiler den Berg hinaufzuwinden, liegt bei einer Kehre eine sumpfige Wiese. In der Mitte wächst ein Manuka5 mit vielen Blüten. Barry will einen Zweig abreißen und läuft in den Sumpf hinein, bevor ihn Marcus warnen kann: Mehrere Menschen sind in diesem Sumpf schon lebensgefährlich versunken. Marcus will Barry noch eine Warnung zurufen. Da bemerkt er, dass dieser nur ganz wenig in den Sumpf einsinkt. Marcus kann seinen Augen nicht glauben: Es hat den Anschein, als hätte Barry nur das Gewicht eines Kleinkindes. Er versucht Lena und Stephan abzulenken, damit ihnen das eigentümliche Phänomen nicht auffällt. Maria hilft, sie hat auch sofort verstanden, dass sich hier etwas Ungewöhnliches abspielt.
Der Rest des Ausflugs ist ohne
besondere Vorkommnisse. Der Gipfel des Mt. Hobson (wie er auf
Englisch heißt) bietet eine gute Sicht, ist aber doch auch eine
Enttäuschung. Damit die Wildnis nicht zerstört wird, ist der Gipfel
von einer Holzplattform mit Zäunen umgeben, dort, wo man nur noch
reine Wildnis erwarten würde.6
Wieder beim Haus von Maria und Marcus angelangt, gehen die Kinder spielen, Maria, Marcus und Barry sitzen zusammen. Nun will es Marcus endgültig wissen. »Barry, wir sind eine außergewöhnlichen Phänomenen gegenüber sehr aufgeschlossene Gruppe. Aber sind Sie es nicht auch, da Sie ja offenbar über außergewöhnliche Begabungen verfügen?« Barry wirkt plötzlich sehr angespannt.
3 Der Tui ist ein typischer neuseeländischer Vogel: schwarz, mit weißem Büscherl im Halsbereich und einem auffälligen Gesang.
4 Der Pukeko ist ein dunkler, hühnergroßer Vogel mit rotem Schnabel, roter Stirn und weißen Unterschwanzfedern. Er kann schnell laufen (wobei er sich eigentümlich bewegt), aber auch gut fliegen.
5 Der Manuka, auch Tea-Tree genannt, hat kleine, weiße bis leicht rosa 5-zählige Blüten, ist ein Baum, schaut aber eher wie ein Busch aus. Er hat meist sehr viele gleichzeitige Blüten und nadelartige, flache Blätter. Er wird leicht mit dem ähnlichen Kanuka-Baum verwechselt.
Marcus fährt fort: »Wie Sie zum Beispiel aus dem Sumpf den schönen blühenden Zweig für Maria geholt haben - danke für die nette Geste -, sind Sie dort eingesunken, als wären Sie nur 20 Kilo schwer. Dort sind schon Menschen ums Leben gekommen, aber Sie gingen, als wären Sie fast schwerelos. Bitte erklären Sie uns, was Ihre Begabung ist, wir können Ihnen dann auch das eine oder andere erzählen, das sie erstaunen wird.«
Barry sitzt wie erstarrt. »Sie wissen schon jetzt zu viel. Was ich kann, darf nie jemand erfahren. Es gefährdet niemanden, ist auch nicht so fantastisch, aber wenn es die Welt weiß, bin ich ein Unikum, das niemand akzeptiert. Warum glauben Sie denn, habe ich noch immer keine feste Partnerin?«
»Barry, wir verstehen Sie. Wir haben ähnliche Überlegungen erwartet und kennen sie. Betrachten Sie uns nicht als Feinde, sondern als Verbündete ...«
Barry
lässt Marcus nicht ausreden: »Ich glaube, ich sollte
gehen.«
Es gibt keine Möglichkeit mehr ihn aufzuhalten. Im Wegfahren ruft Marcus noch Barry nach: »Wir sehen uns wieder. Bitte haben Sie keine Angst vor uns. Übrigens, der Wind frischt auf. Wenn die Fähre auf Grund der hohen Wellen nicht mehr geht, fahren Sie nach Port Fitzroy weiter. Dort liegt ein großes Cargoschiff, das Sie auch bei schlechtem Wetter noch nach Auckland bringen kann.« Bei der Abfahrt sagt Barry entschuldigend: »Danke für den schönen Tag. Ich muss über das andere gründlich nachdenken. Aber ja, ich glaube, SIE sind nicht meine Feinde, die Welt aber vermutlich schon.« Damit fährt er los. Maria und Marcus schauen ihm nachdenklich nach, zucken die Schultern und gehen in ihr Haus zurück. Sie schalten das Radio an, weil sich die Wettersituation ständig verschlechtert.
Die Meldungen nehmen Katastrophenausmaße an: Es regnet fast überall auf der Insel schon heftigst, der Wind hat sich zu Sturm gewandelt. Die Fährverbindung ist eingestellt. Vom Fahren auf den Straßen wird wegen umstürzender Bäume gewarnt. Der gesamte auch kommerzielle Schiffverkehr wird eingestellt.
6 Die Nationalparkverwaltung übertreibt manchmal: So viele Besucher hat dieser Berggipfel nicht, als dass er ausgedehnte Schutzmaßnahmen benötigen würde!
Maria blickt Marcus an: »Ich glaube, du solltest Barry nachfahren. Mit deinem Auto kannst du ihn vielleicht noch vor der Fähre einholen, auf jeden Fall aber dazu bringen, dass er nicht nach Port Fitzroy fährt, was sinnlos ist. Er soll zurückkommen und hier übernachten.«
Marcus stimmt zu und fährt los. Er
liebt sein schweres Allradauto, das so fest auf der Straße liegt,
dass die mächtigen Windböen ihm nichts anhaben können. Dennoch, die
Fahrt wird ein Abenteuer: Wildbäche stürzen die nicht asphaltierte
Straße herunter, Bäume am Straßenrand brechen und Marcus ist sich
bewusst, dass sie nicht nur die Straße blockieren, sondern auch
sein Auto treffen könnten. Obwohl die Sonne eigentlich noch am
Himmel stehen müsste, ist es
dunkel wie bei fortgeschrittener Dämmerung. Er fährt mit maximaler,
aber noch einigermaßen sicherer Geschwindigkeit. Bei einer großen
Kurve sieht er ein Horrorszenarium: Ein riesiger Baum ist
umgebrochen und direkt auf Barrys Auto gestürzt. Dieses raucht, als
könnte es jeden Moment in Flammen aufgehen. Marcus fährt nahe
heran, springt aus seinem Auto, läuft zum demolierten Wagen. Barrys
Auto ist völlig zerquetscht, hier kann niemand überlebt haben!
Durch das zerschmetterte Fenster im flach gedrückten Auto sieht
Marcus zuerst ... nichts! Keinen zerquetschten Körper, kein Blut,
keinen Barry, nur eine Paua-Muschel, jene, die Lena Barry geschenkt
hat und die Barry auf den Nebensitz gelegt hatte. Wo ist Barry? Die
Türen sind deformiert und niemand könnte sie öffnen! Ist Barry
rechtzeitig aus dem Auto gesprungen? Die Autoverriegelung der
Türen, in der Stellung »Zu«, widerspricht dem. Aber wo ist dann
Barry?
Der Geruch von Benzin und Rauch bringt Marcus in die Realität zurück. Er hat gerade noch Zeit, sich etwas zurückzuziehen, als der Wagen von Barry in Flammen aufgeht. Inzwischen stürmt und regnet es dramatisch, während Barrys Auto schnell und stark rauchend verbrennt. Marcus denkt angestrengt nach: Wo kann Barry sein? Ist er doch noch rechtzeitig aus dem Auto entkommen? Er muss dies feststellen! In wenigen Minuten ist Marcus bis auf die Haut durchnässt, Bäume um ihn brechen, der Wind ist oft so böig, dass Marcus fast umgeworfen wird. Trotzdem gibt er nicht auf, bis er überzeugt ist, dass Barry sicher weder tot noch lebendig in der Nähe sein kann.
Zurück bei Maria besprechen sie die Situation, nach zwei Gläsern Weißwein etwas entspannt: Barry hat entweder sein Auto einfach stehen lassen und irgendwo Zuflucht gefunden. Oder er ist aus seinem Auto so geheimnisvoll entschwunden wie aus seinem Reisebüro.
Am nächsten Tag flaut der Sturm ab. Maria und Marcus schalten alle ihre Verbindungen und Freunde ein um festzustellen, was mit Barry geschehen ist. Das Ergebnis ist gleich null: Barry hat mit Sicherheit die Insel nicht verlassen, hat aber auch nirgends übernachtet.
Hätte Marcus seinen Mitarbeiter Paul in Auckland gebeten, das Büro von Barry zu überwachen, so hätte er sich viel Arbeit erspart: Barry betritt am Montagmorgen sein Reisebüro (wie die Überwachungskamera später belegt) zur normalen Zeit, ohne dass es eine rationale Erklärung gibt, wie er dort hin gekommen ist ...
Als Maria und Marcus dies mit einiger Verspätung erfahren, wird endgültig klar, dass sie mit einem neuen Phänomen konfrontiert sind: Entweder Barry hat einen oder mehrere Doppelgänger (die nicht »strahlen«, die sehr »leicht« sind ..., wie das Nichteinsinken im Sumpf belegt) oder Barry hat Para-Fähigkeiten, die teleportationsähnlich7 sind. Letzteres ist besonders unwahrscheinlich, weil damit weder das Nicht-Strahlen noch das Nicht-Einsinken im Sumpf erklärt werden kann!
Maria und Marcus sind nun mehr als neugierig und beschließen, zusammen gleichzeitig Wohnung und Büro von Barry zu überwachen. Wegen der guten Lage der Bar gegenüber Barrys Büros übernimmt Maria diesen Posten, Marcus die Wohnung.
Sie beginnen am nächsten Tag, einem Dienstag. Marcus ist in der Nähe von Barrys Wohnung postiert. Mit seiner T-Kraft, seinen Pseudohänden tastet er vorsichtig die Wohnung von Barry ab, bis er diesen offenbar ruhig schlafend auf seinem Bett entdeckt. In den nächsten Stunden bewegt sich Barry nicht oder fast nicht, sondern ist in einem fast todähnlichen Schlaf. Als Marcus besorgt mit seinen Pseudohänden sanft den Brustkorb berührt, fühlt er das regelmäßige ruhige Atmen und den ruhigen Pulsschlag. Marcus registriert nicht die Temperatur von Barrys Haut, er kommt ja gar nicht auf die Idee, dies zu prüfen. Hätte er das getan und hätte er die unglaublichen 40 Grad registriert, vielleicht hätten sie das Rätsel Barry sehr viel früher entschlüsselt. So aber ist es für Marcus klar: Barry befindet sich in einem ruhigen, tiefen Schlaf, auch zu einer Tageszeit, wo andere Menschen schon ans Mittagessen denken.
7 Teleportation: die Fähigkeit, sich durch reine Macht der Gedanken an einen anderen Ort zu versetzen.
Maria sieht hingegen, wie Barry am Vormittag sein Büro (von außen) betritt und einige geschäftliche Angelegenheiten abwickelt (sie kann ja durch die Wände sehen). Als um die Mittagszeit (während der »Barry zu Hause«, wie sie von Marcus über das Handy weiß, noch immer fest schläft) eine junge zierliche hübsche Inderin mit einem Paket das Büro »ihres« Barry betritt, ist sie zunächst nicht überrascht, schaut aber mit wachsendem Interesse zu, was sich da nun entwickelt. Die Inderin - die offenbar Barry schon öfter ein Essen gebracht hat - wird von Barry herzlich, fast stürmisch umarmt und ist offenbar recht glücklich, dass Barry versucht ihr mehr als ein Wangen-Küsschen abzuringen. Sie bringt eine größere Portion indischen Essens als sonst. Darüber entspinnt sich zwischen ihr und Barry ein längerer Dialog, bei dem die junge Frau manchmal lächelt, dann wieder Barry verführerisch ansieht. Barry berührt sie ab und zu und versucht, ihr mit seinem Witz und seinen Worten irgendetwas einzureden. Allmählich dämmert es Maria: Barry versucht sie zum Mittagessen einzuladen, aber offenbar nicht in dem kleinen Reisebüro, sondern anderswo.
Maria bedauert, dass sie zwar alles sehen, aber nichts hören kann: Ihre Para-Fähigkeiten sind eben auf das Sehen durch Objekte, auch mit »Zoom«, auf Wunsch auf anderen Wellenlängen und auf »Makroeinstellung« limitiert! Trotzdem kann sie nachvollziehen, wie es Barry allmählich gelingt, die Inderin umzustimmen (er erzählt der hübschen Rita, dass er schon wochenlang davon träumt, einmal mit ihr ein bisschen zusammenzusitzen, es sei doch nichts dabei, und Rita gesteht, dass sie sich auch immer auf ein Treffen mit Barry gefreut hat). Maria sieht, wie das Mädchen das Handy verwendet und vermutlich ihren Arbeitgeber verständigt, dass sie unerwartet aufgehalten wurde (ja, so ist es), wie sie das Essen einpacken und aufbrechen ... vermutlich zu Barrys Wohnung. Nun kann es aber spannend werden, denn dort liegt ja auch ein Barry noch immer schlafend im Bett, wie sie von Marcus weiß!
Maria ist daher sehr enttäuscht, als Barry und Begleiterin in eine andere Richtung gehen, nur ein paar Häuser weit, wo Rita eine Tür aufsperrt. Sie sind also zu ihr gegangen. Aus der Größe und Einrichtung der Wohnung erkennt Maria, dass sie hier mit anderen Personen wohnt, nach Bildern zu schließen mit den Eltern. Rita deckt flink und geschickt auf. Barry setzt sich neben sie und sie beginnen ein zunehmend intimes Mittagessen. Barry beugt sich immer wieder ein bisschen zu Rita hinüber, berührt mit den Lippen ihre Wange und versucht, ohne das zu verbergen, in die oben offene weiße Bluse von Rita hineinzusehen. Rita hält dann immer etwas verschämt ihre Hand über den oberen Teil der Bluse, sieht Barry vorwurfsvoll, aber nicht böse an und macht keine Anstalten, den obersten Knopf der Bluse zu schließen. Die beiden flirten heftig.
Maria, die inzwischen den Standort gewechselt hat, um näher zu sein, verfolgt auf einer Parkbank sitzend das Spielchen zuerst mit Amüsement, dann auch mit einem Hauch Trauer, vermischt mit einer Spur Neid: So ist es bei Marcus und ihr doch auch gewesen, vor ungefähr sieben Jahren, und obwohl sie sich beide nach wie vor so gut verstehen und auch beim Sex immer alles »stimmt«, diese Art von Aufregung, von Spielchen haben sie eingebüßt, wie das wohl in einer Ehe fast unvermeidbar ist. Dass man, wenn man Glück hat, im Laufe der Zeit immer mehr zusammenwächst und immer wieder schöne gemeinsame Erlebnisse hat, kann und soll man sicher als einen Ausgleich sehen. Und doch, der Anfang einer Beziehung ist immer so aufregend, so lebendig, so spannend, so »rosig«, dass es schön wäre, wenn diese Stimmung immer andauern könnte, denkt Maria nicht zum ersten Mal.
Sie konzentriert sich wieder auf Barry und Rita. Deren Anbahnungsspiel geht ungebrochen weiter. Maria fühlt in sich ein bisschen jener Lust aufsteigen, die die Beobachteten offenbar empfinden. Das indische Fladenbrot eignet sich übrigens vorzüglich, Delikates einzupacken und dem Partner liebevoll in den Mund zu schieben. Als Barry dies wieder einmal macht tropft er (absichtlich?) auf Ritas Bluse. Maria sieht, dass Rita einen Moment ärgerlich ist, aber nach einigen Gesten von Barry die Bluse auszieht - wobei ihr Barry begeistert hilft - und zu einem Waschbecken geht, um den Fleck rauszuwaschen, dann aber ihre Meinung ändert. Barry ist dicht hinter ihr. Rita steht da - ein geschmeidiger, kaffeebrauner Körper, ein makelloser Rücken, über den nur die dünnen Träger eines weißen BH laufen. Die Sandalen hat sie schon lange abgestreift und sie trägt nur einen kurzen hellen Mini. Rita schaut verführerisch aus und Barry zögert nicht. Er umarmt sie von hinten, küsst sie auf den Nacken, streichelt ihr Gesicht. Rita seufzt: »Barry, lieber Barry ...«, bis dieser mit einem Kuss ihren Mund schließt. Vorsichtig und liebevoll beginnt er den Verschluss ihres BH zu öffnen, streift ihr dann auch noch den Mini hinunter, während Rita liebevoll seine Haare krault. Dann kniet er vor ihr nieder, vor Rita, die jetzt nur noch einen kleinen Slip anhat, den Barry langsam nach unten rollt, bis Rita heraussteigt. Barry steht auf und beginnt Rita stürmisch auf den Mund zu küssen. Rita umarmt Barry, küsst ihn leidenschaftlich und minutenlang trennen sich Lippen und Zungen nur, um Atem zu holen und um sich anzulächeln.
Rita schiebt Barry zurück, zieht ihm das Hemd aus, kniet sich dann plötzlich vor ihm nieder, streift seine Hosen ab und beginnt Barry mit ihren Händen und dem Mund zu verwöhnen. Barry wird immer erregter. Plötzlich wirft sich Rita voller Erwartung rücklings so auf das Sofa, dass ihre geöffneten Beine über die Lehne baumeln. Maria sieht mit Erregung, dass Barry herantritt und offenbar in sie eindringen will. Rita schaut Barry lächelnd an. Da kniet er nieder und sein Mund und Gesicht verschwinden zwischen den offenen Schenkeln Ritas, wo ihre kaffeebraune Haut zu rosa wechselt.
Rita windet sich auf dem Sofa immer mehr und aufgeregter. Zwischendurch drückt sie den Kopf Barrys einige Male fest zwischen ihre Beine und scheint vor Lust zu stöhnen. Dann aber zieht sie Barrys Kopf zurück, lässt sich auf den weichen Teppich hinunterrollen. Sie muss nur kurz warten, bis Barry auf ihr liegt, ihre Hüften anhebt und sich beide in einer anderen Welt verlieren.
Maria ist durch das Gesehene
aufgewühlt. Sie hat schon lange nicht mehr ihre Fähigkeiten
verwendet, um in die Intimsphäre anderer Menschen einzudringen. Aber diesmal
»musste« sie es, sie und Marcus vereinbarten ja diese genaue
Beobachtung der »beiden Barrys« ... Dass sie damit stille
Teilhaberin einer sehr erotischen Szene wurde, konnte niemand
ahnen. Aber wenn sie daran denkt, wie sie heute Abend Marcus
empfangen wird, wenn er aus der Dusche ins Bett kommt, dann ahnt
sie, dass alles, was sie gerade gesehen hat, Marcus und ihr am
Abend noch sehr zugute kommen könnte!
Barry und Rita liegen noch immer sich liebevoll küssend und umarmend am Teppich. Da schreckt Rita plötzlich auf. Sie eilt zum Fenster und gestikuliert wild und in heller Aufregung. Es scheint, als würde ein Elternteil zu früh nach Hause kommen und Rita weiß nicht, wie sie die Situation erklären soll. Barry bleibt ruhig. Er verschwindet nach einer kurzen Erklärung, die Rita offensichtlich sehr in Staunen versetzt, im Nebenzimmer.
Für Maria wird die Situation nun kompliziert, weil sie immer wieder ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit zwischen den beiden Zimmern verschieben muss. Sie sieht gerade noch, dass sich beide in verschiedenen Zimmern rasch anziehen und Rita die Anzeichen des gemeinsamen Essens verschwinden lässt. Da geht auch schon die Wohnungstüre auf und älterer Mann, Ritas Vater, kommt herein. Er ist erstaunt, dass Rita zu Hause ist, und will offenbar in das Zimmer gehen, wo sich Barry versteckt hält. Rita versucht dies zu verhindern, kann es aber nur verzögern. Schließlich öffnet der Vater die Tür in das andere Zimmer, Rita ängstlich hinter ihm. Es geschieht aber nichts: Das Zimmer scheint leer zu sein. Barry hat sich auch nicht unter dem Bett oder im Schrank versteckt, wie Rita vorsichtig herausfindet. Das Fenster ist offen, aber von hier im zweiten Stock gibt es keinen Weg hinunter, ist Rita überzeugt. Barry ist aber jedenfalls verschwunden.
Maria ärgert sich, dass sie sich ablenken ließ und nicht Barry besser beobachtete: Hier wäre die Chance gewesen, sein wundersames Verschwinden endlich zu klären!
In diesem Moment läutet ihr Handy. Sie ist so in das Geschehen bei Rita und deren Vater vertieft, dass sie zusammenzuckt und einen Moment braucht, um sich wieder zurechtzufinden. Es ist Marcus: »Maria, ich wollte dir nur kurz sagen, dass ,mein‘ Barry gerade aufgewacht ist und sich wohl für das Büro fertig macht. Wie geht es ,deinem‘?«
»Meiner«, antwortet Maria, »ist vor wenigen Momenten spurlos verschwunden ... Ich muss dir später genauer davon erzählen. Brechen wir jetzt die Beobachtung für heute ab, denn zumindest ich habe zurzeit nichts zu beobachten?«
Marcus stimmt zu: »Ja, ich rufe jetzt Inge an. Sie soll Lena bei mir vorbeibringen, damit sie, wenn ,mein‘ Barry das Haus verlässt, feststellen kann, ob er der ist, der ,strahlt‘. Dann beende auch ich meine Beobachtungen. Wir treffen uns beim Moller in zirka einer Stunde und fliegen nach Hause. Ist dir das recht?«
»Ja, das passt prima. Ich wollte noch eine Kleinigkeit erledigen, das geht sich sehr gut aus. Also dann bis später, Schatz!«, verabschiedet sich Maria.
Lena ist bei Marcus, als »sein Barry« das Haus verlässt. Und Lena ist sicher, dass dieser Barry »strahlt« und nicht derjenige, der bei ihnen auf der Insel war.
Als Maria und Marcus am Abend zusammenliegen, versuchen sie nochmals alles bisher mit Barry Erlebte zu analysieren. Die Vorgänge bleiben geheimnisvoll: Es ist nach heute klar, dass es (mindestens) zwei Barrys gibt. Einer davon ist nach Lena para-begabt. Aber es ist gerade der andere, nicht Para-Begabte, der immer wieder zu verschwinden scheint, der nicht im weichen Boden einsinkt, wie er es bei Normalgewicht sollte, usw. Wie passt das zusammen? Maria erzählt Marcus recht genau von dem, was sich zwischen Barry und Rita abspielte. Und während sie erzählt, beginnen sie sich zu berühren und zu streicheln. Sie denken immer weniger über Barry nach und beginnen ihre Körper zu genießen. Das ist wohl der Grund, warum ihnen ein ganz wesentlicher Punkt des heutigen Geschehens, der ja kaum ein Zufall sein kann, nicht auffällt, der ihnen aber vermutlich geholfen hätte, das Phänomen Barry zu entschlüsseln.
Maria und Marcus reden auch noch lange
über Lenas Para-Begabung: Ist sie genau so eine Para-Späherin wie
seinerzeit Klaus Baumgartner bei der PPU in Brüssel? Sie werden
Lena in der Forschungsabteilung der SR-Inc. testen lassen. Als
ihnen wenige Tage später das Ergebnis vorliegt, können sie es fast
nicht glauben. Lena ist Para-Späherin, schwache Emotiopathin (»kann
auf kleine Distanzen grob Gefühle erkennen«) und hat vermutlich
noch eine latente Begabung, die man bisher nicht einordnen kann
...