14
Als ich schließlich vom Parkplatz des Restaurants fuhr, war es zwei Uhr, und die Luft war feuchtkalt. Aber vielleicht war es auch nur das schattenhafte Bild von Daggetts Begleitung, das mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Ich war halb davon überzeugt gewesen, daß er in jener Nacht nicht allein gewesen war, und jetzt hatte ich eine Bestätigung — keinen Beweis für einen Mord natürlich, aber irgendwie doch eine Art Gespür für die Ereignisse, die zu seinem Tod geführt hatten, einen quälenden Umriß seines Begleiters, diese »anderen«, dessen Spur ich jetzt aufnehmen mußte.
Nach Dinahs Beschreibung fiel mir als erstes Lovella Daggett ein. Ihre blonden Haare und überhaupt die ganze Erscheinung hatten mich, als ich sie in L. A. kennenlernte, vermuten lassen, daß sie auf den Strich ging. Andererseits waren die meisten der Frauen, die ich in diesem Fall bisher kennengelernt hatte, ziemlich jung und hatten helle Haare — Barbara Daggett, Billy Polos Schwester Coral, Ramona Westfall, sogar Marilyn Smith, die Mutter des anderen toten Kindes. Ich mußte damit anfangen, die Leute zu fragen, wo sie sich am Abend des Mordes aufgehalten hatten, eine schwierige Sache, da ich keine Mittel hatte, sie zu einer Antwort zu überreden. Polizisten haben da ihre Mittel und Wege. Ein Privatdetektiv nicht.
So fuhr ich als erstes zur Bank und holte den Kassenscheck aus meinem Safe. Ich hastete in einen Coffee Shop und aß eine Kleinigkeit zu Mittag, und verbrachte dann den Nachmittag im Büro damit, Papierkram zu erledigen. Um fünf Uhr schloß ich ab und fuhr heim, hantierte dort bis um halb sieben herum und machte mich anschließend auf den Weg zu Ferrin und Ramona Westfalls Haus, um Tony Gahan zu treffen.
Die Westfalls wohnten in einer The Close genannten Gegend, einer von Eichen gesäumten Sackgasse in der Nähe des Naturkundemuseums. Durch ein Tor aus Stein fuhr ich in die gedämpfte Stille der Abgeschiedenheit. Es gibt nur acht Häuser in dieser Sackgasse, alle viktorianisch, vollkommen restauriert und in tadellosem Zustand. Die Gegend sieht selbst heute noch aus wie eine kleine ländliche Gemeinde, die auf unerklärliche Weise aus der Vergangenheit herübergerettet worden ist. Die Grundstücke sind von niedrigen Mauern aus Feldsteinen umgeben und mit Bambus, Pampasgras und Farn bewachsen. Es war inzwischen völlig dunkel, und The Close war in Nebel gehüllt. Die Vegetation war dicht und üppig nach dem kürzlichen Regen und duftete intensiv. Es gab nur eine einzige Straßenlampe, deren blasse Kugel von den Zweigen eines Baumes verdunkelt wurde.
Ich fand die Hausnummer, nach der ich suchte, und parkte auf der Straße, ging dann den Weg entlang zur Haustür. Es handelte sich um ein hellgraues einstöckiges Haus mit einer großen Veranda, weißen Fensterläden und Zierbalken. Die Möbel auf der Veranda waren aus weißem Korb, die Kissen darauf mit einem weiß-hellgrauen Baumwolldruckstoff bezogen. Zwei viktorianische Pflanzenständer aus Korb enthielten riesige Farne. Für meinen Geschmack alles zu perfekt.
Ich klingelte, weigerte mich, durch das gläserne Oval in der Tür zu spähen. Ich vermutete, daß das Innere aussehen würde wie etwas aus Schöner Wohnen, eine elegante Verschmelzung von Altem und Neuem und Extravagantem. Natürlich war meine Erwartung wahrscheinlich gefärbt von Ferrin Westfalls knappen Worten mir gegenüber und von Ramonas offensichtlicher Feindseligkeit. Ich stehe nicht über den Dingen.
Ramona Westfall kam an die Tür und ließ mich ein. Ich bemühte mich um einen freundlichen Ton, überschlug mich aber nicht gerade in meiner Bewunderung ihres Hauses, das auf den ersten Blick wirklich makellos zu sein schien. Sie führte mich in das vordere Zimmer und zog sich zurück, schloß die Schiebetür hinter sich. Ich wartete, starrte auf den Boden. Aus der Diele konnte ich Stimmengemurmel hören. Nach einer Weile glitt die Tür auf, und ein Mann trat ein, der sich als Ferrin Westfall vorstellte... als wenn ich mir das nicht gedacht hätte! Wir schüttelten uns die Hand.
Er war groß und schlank, mit kaltem, hübschem Gesicht und silbergrauem Haar. Seine Augen waren von einem dunklen Grün, ebenso ohne Wärme wie der Hafen. Es gab Anzeichen dafür, daß etwas in ihrer Tiefe unterdrückt wurde, aber kein Zeichen von Leben. Er trug eine dunkelgraue Hose und einen weichen, grauen Kaschmirpullover, der förmlich dazu aufforderte, gestreichelt zu werden. Er bot mir an, Platz zu nehmen, und ich gehorchte.
Einen Augenblick lang musterte er mich, die Stiefel, die verwaschene Jeans, den Wollpullover, der an den Ellbogen schon Fussel bekam. Ich war entschlossen, seine Mißbilligung nicht bis zu mir durchdringen zu lassen, aber das erforderte eine enorme Anstrengung von meiner Seite. Ich starrte ihn gleichgültig an und wehrte mich gegen seine Beurteilung, indem ich ihn mir auf der Toilette vorstellte, mit der Unterhose, die sich um seine Knöchel kringelte.
Schließlich sagte er: »Tony wird gleich kommen. Ramona hat mir von dem Scheck erzählt. Dürfte ich ihn wohl sehen?«
Ich zog ihn aus der Hosentasche und glättete ihn, ehe ich ihn ihm zur Inspektion reichte. Ich fragte mich, ob er ihn für gefälscht, gestohlen oder sonst etwas hielt. Er musterte ihn gründlich von allen Seiten und gab ihn dann zurück, scheinbar zufrieden und überzeugt, daß er in Ordnung wäre.
»Warum kam Mr. Daggett damit zu Ihnen?« wollte er wissen.
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Er hat mir erzählt, er hätte versucht, Tony unter einer alten Adresse zu finden. Als er damit kein Glück hatte, bat er mich, ihn ausfindig zu machen und den Scheck zuzustellen.«
»Wissen Sie, woher er das Geld hatte?«
Wieder ertappte ich mich dabei, Daggett schützen zu wollen. Das ging diesen Mann nun wirklich nichts an. Wahrscheinlich wollte er sich nur vergewissern, daß Daggett das Geld nicht durch ein illegales Geschäft erworben hatte — Drogen, Prostitution, Verkauf von Hunden und Katzen an Versuchsanstalten.
»Er hat es beim Rennen gewonnen«, sagte ich. Ich persönlich hatte diesen Teil von Daggetts Geschichte zwar nicht geglaubt, aber ich hatte nichts dagegen, wenn Ferrin Westfall ihn schluckte. Er schien jedoch kaum mehr überzeugt als ich. Er wechselte das Thema.
»Möchten Sie lieber mit Tony allein sein?«
Das Angebot überraschte mich. »Ja, eigentlich schon. Am liebsten würde ich mit ihm irgendwohin gehen und eine Cola trinken.«
»Ich denke, das geht in Ordnung. Wenn Sie ihn nicht zu lange aufhalten. Er muß morgen wieder in die Schule.«
»Klar. Das ist sehr nett von Ihnen.«
Es klopfte an der Tür. Mr. Westfall stand auf und durchquerte das Zimmer. »Das wird Tony sein«, bemerkte er.
Die Türen glitten auf, und Tony Gahan kam herein. Er wirkte wie ein unreifer Fünfzehnjähriger. Er war ungefähr eins sechzig groß, etwa hundertzehn Pfund. Sein Onkel stellte mich vor. Er streckte mir eine Hand entgegen, und wir brachten die Begrüßung hinter uns. Tonys Augen waren dunkel, sein Haar mittelbraun, hübsch geschnitten, was mir seltsam erschien. Die meisten Kinder von der High-School, die ich in letzter Zeit gesehen hatte, sahen aus, als wären sie alle wegen derselben Krankheit behandelt worden. Ich vermutete, daß Tonys Haarschnitt eine Konzession an Ferrin Westfalls Geschmack war, und ich fragte mich, wie sie ihm selbst gefiel.
Sein Verhalten war ängstlich. Er schien ein Kind zu sein, das verzweifelt versucht zu gefallen. Er warf seinem Onkel vorsichtige Blicke zu, immer auf der Suche nach Hinweisen darauf, was von ihm erwartet wurde, wie er sich verhalten sollte. Es war schmerzhaft, das zu beobachten.
»Miss Millhone möchte dich gern zu einer Cola einladen, damit sie in Ruhe mit dir reden kann«, erklärte Mr. Westfall.
»Wieso?« krächzte er. Tony sah aus, als wollte er auf der Stelle tot umfallen, und blitzartig fiel mir ein, wie sehr ich es gehaßt hatte, in Gegenwart eines Fremden zu essen und zu trinken, als ich in seinem Alter gewesen war. Mahlzeiten stellen eine Reihe von Fallen dar, wenn man die notwendigen gesellschaftlichen Fähigkeiten noch nicht erworben hat. Ich haßte es, seinen Kummer noch größer zu machen, aber ich war überzeugt, daß es niemals zu einer anständigen Unterhaltung mit ihm kommen würde, solange wir in diesem Haus waren.
»Sie wird dir alles erklären«, antwortete Mr. Westfall. »Du bist natürlich nicht verpflichtet zu gehen. Wenn du lieber hierbleiben möchtest, dann sag das einfach.«
Tony schien nicht in der Lage, eine Antwort aus der Aussage seines Onkels ziehen zu können, die oberflächlich gesehen ganz neutral gewesen war, aber doch ein paar unterschwellige Bedeutungen enthielt. Es war das Wort »einfach«, das ihn stolpern ließ, und »natürlich« half ihm auch nicht weiter.
Tony warf mir achselzuckend einen Blick zu. »Also schön. Jetzt gleich?«
Mr. Westfall nickte. »Es wird nicht lange dauern. Aber du brauchst natürlich eine Jacke.«
Tony ging in die Halle hinaus, und ich folgte ihm, wartete, bis er im Schrank seine Jacke gefunden hatte.
Mit fünfzehn, dachte ich, sollte er eigentlich selbst wissen, ob er eine Jacke braucht, aber keiner von beiden befragte mich zu diesem Thema. Ich öffnete die Haustür und hielt sie, während er hinausging. Mr. Westfall sah uns einen Augenblick zu und schloß dann die Tür hinter uns. Himmel, das war wie eine Verabredung. Ich hätte fast versprochen, um zehn Uhr wieder daheim zu sein. Absurd.
Wir gingen im Dunkeln den Weg entlang. »Gehst du auf die Santa Teresa High-School?«
»Richtig.«
»In welche Klasse?«
»Zweite Klasse Oberstufe.«
Wir stiegen ins Auto. Tony versuchte, das kaputte Fenster auf seiner Seite herunterzukurbeln, aber ohne Erfolg. Eine Glasscherbe zitterte. Schließlich gab er es auf. »Was ist denn da passiert?«
»Ich habe nicht aufgepaßt«, sagte ich und ließ es dabei bewenden.
Ich wendete und fuhr zum Clockworks in der State Street, einer Teenie-Kneipe, die allgemein als schmutzig und korrupt galt, was sie auch ist... Ausbildungsstätte für künftige Gangster. Hierher kommen die Kids (zweifellos mit Drogen vollgepumpt), um Cola zu trinken, zu rauchen und sich unmöglich zu benehmen. Mich hatte ein siebzehnjähriger Dealer namens Mike, der mehr Geld verdiente als ich, hier eingeführt. Ich hatte ihn seit Juni nicht mehr gesehen, aber ich hielt immer wieder in der Stadt Ausschau nach ihm.
Wir hielten auf einem kleinen Parkplatz hinter dem Haus und gingen durch den rückwärtigen Eingang hinein. Es ist lang und schmal hier, dunkelgrau gestrichen, und die hohe Decke säumen pink- und purpurfarbene Neonröhren. Eine Reihe Mobiles drehen sich in der rauchgeschwängerten Luft. Der Geräuschpegel ist an Wochenenden ohrenbetäubend, die Musik so laut, daß der Boden vibriert. Unter der Woche ist es ruhig und merkwürdig intim. Wir fanden einen Tisch, und ich ging zum Tresen, um uns ein paar Colas zu holen. Jemand tippte mir auf die Schulter, und als ich mich umdrehte, stand Mike hinter mir. Ich fühlte, wie mir warm wurde. »Ich habe gerade an dich gedacht!« sagte ich. »Wie geht’s dir?«
Ein rosiger Hauch kroch über seine Wangen, und er schenkte mir ein langsames, zögerndes Lächeln. »Gut. Was treibst du so?«
»Nicht viel. Deine Haare sind toll.« Er trug sie jetzt rosa. Früher hatte er einen Mohikaner gehabt, einen großen pinkfarbenen Hahnenkamm mitten über den Kopf und kahlrasierte Seiten. Jetzt war es in eine Reihe purpurner Spitzen frisiert, jeder Klumpen wurde von einem Gummi zusammengehalten, und die Spitzen waren weiß gebleicht. Abgesehen von seiner Frisur war er ein hübsches Kind, reine Haut, grüne Augen, gute Zähne.
»Offen gesagt, ich bin hier, um mich mit dem Jungen da drüben zu unterhalten... geht auch auf deine Schule.«
»So?« Er drehte sich um und musterte Tony flüchtig.
»Kennst du ihn?«
»Hab ihn schon gesehen. Aber er hängt nicht mit denselben Leuten rum wie ich.« Sein Blick wanderte wieder zu Tony, und ich dachte, er würde mehr sagen, aber er ließ es dann doch.
»Und was treibst du so? Dealst du noch?«
»Wer, ich? Mensch, nee. Ich hab doch gesagt, ich würd damit aufhören.« Er klang fast rechtschaffen. Der Blick in seinen Augen legte natürlich genau das Gegenteil nahe. Aber wenn er etwas Illegales tat, dann wollte ich es ohnehin nicht wissen, also wechselte ich das Thema.
»Was ist mit der Schule? Wirst du dieses Jahr fertig?«
»Im Juni. Hab schon meine Bewerbungen an verschiedene Colleges geschickt und all das Zeug.«
»Ehrlich?« Ich wußte nicht, ob er mich anschwindelte oder nicht.
Er fing meinen Blick auf. »Ich hab gute Noten«, protestierte er. »Ich bin nicht nur so’n durchschnittlicher High-School-Schwachkopf. Mit dem Geld, was ich hab, könnte ich überall hingehen. Dafür macht man ja Geschäfte.«
Ich mußte lachen. »Sicher doch.« Die »Bardame« stellte zwei Colas auf den Tresen und ich bezahlte. »Ich muß zurück zu meiner Verabredung.«
»War schön, dich zu sehen«, meinte er. »Solltest mal wieder herkommen und mit mir reden.«
»Vielleicht tu ich das.« Ich lächelte ihm zu und schüttelte innerlich den Kopf. Frecher kleiner Anmacher. Dann ging ich zu dem Tisch, an dem Tony saß. Ich reichte ihm eine Cola und setzte mich auch.
»Kennen Sie den Kerl?« erkundigte sich Tony vorsichtig.
»Wen, Mike? Ja, ich kenne ihn.«
Tonys Blick wanderte zu Mike und wieder zurück, ruhte dann mit einem Ausdruck, der an Respekt grenzte, auf meinem Gesicht. Vielleicht war ich doch nicht so schlimm.
»Hat dein Onkel dir erzählt, worum es geht?« fing ich an.
»Ein bißchen. Er hat gesagt, um den Unfall und den alten Säufer.«
»Ist es okay, wenn wir darüber reden?«
Er zuckte bloß mit den Achseln und mied meinen Blick.
»Ich nehme an, du warst nicht im Wagen.«
Er strich sich den Pony aus der Stirn. »Hm-hm. Meine Mom und ich hatten Streit. Sie wollten zu meiner Oma fahren, Ostereier suchen, und ich hatte keine Lust.«
»Lebt deine Großmutter noch irgendwo hier in der Stadt?«
Er rutschte auf seinem Stuhl herum. »In einem Heim. Sie hatte ‘n Schlaganfall.«
»Ist sie die Mutter deiner Mutter?« Das alles war mir zwar eigentlich nicht wichtig, aber ich hoffte, der Junge würde sich entspannen und offener werden.
»Ja.«
»Wie ist denn das Leben mit deiner Tante und deinem Onkel?«
»Fein. Nichts Besonderes. Er schimpft zwar immer auf die ganze Sache, aber sie ist nett.«
»Sie hat erzählt, du hättest Schwierigkeiten in der Schule.«
»So?«
»Ich bin einfach nur neugierig. Sie hat erzählt, du wärest sehr klug, aber deine Noten sind unter aller Sau. Ich habe mich gefragt, warum das so ist.«
»Mir stinkt das eben. Ich mag’s nicht, wenn so Scheißtypen sich in meine Sachen mischen.«
»Ach so.« Ich trank einen Schluck Cola. Seine Feindseligkeit war wie eine aufgebrochene Kloake, und ich dachte, es wäre besser, dem Ausbruch Gelegenheit zu geben, zu verebben. Mir machte es nichts aus, wenn er fluchte. Darin übertraf ich ihn allemal.
Als ich nicht reagierte, füllte er das Schweigen. »Ich versuche, meine Noten zu verbessern«, murrte er. »Ich mußte all diesen Quatsch nehmen, Mathe und Chemie. Darum bin ich nicht gut.«
»Was magst du denn am liebsten? Englisch? Kunst?«
Er zögerte. »Sind Sie so was wie ‘ne Psychologin?«
»Nein. Ich bin Privatdetektiv. Ich dachte, das wüßtest du.«
Er starrte mich an. »Ich begreif das nicht. Was hat denn das mit dem Unfall zu tun?«
Ich zog den Scheck heraus und legte ihn auf den Tisch. »Der Mann, der dafür verantwortlich war, wollte, daß ich dich suche und dir das gebe.«
Er nahm den Scheck und warf einen Blick darauf.
»Das ist ein Kassenscheck über fünfundzwanzigtausend Dollar«, sagte ich.
»Wofür?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, John Daggett wollte wiedergutmachen, was er angerichtet hatte.«
Tonys Verwirrung war klar, aber ebenso die Wut, die damit einherging. »Ich will das nicht. Warum geben Sie den mir? Megan Smith ist genauso gestorben, und auch dieser andere Junge, Doug. Kriegen die auch Geld, oder nur ich?«
»Soviel ich weiß, nur du.«
»Dann nehmen Sie ihn zurück. Ich will das Geld nicht. Ich hasse diesen alten Bastard.« Er warf den Scheck auf den Tisch und versetzte ihm einen Stoß.
»Hör mal, jetzt will ich dir erst mal was sagen. Du hast die Wahl. Ehrlich. Es liegt nur bei dir. Deine Tante war beleidigt von dem Angebot, und das kann ich verstehen. Niemand kann dich zwingen, das Geld anzunehmen, wenn du es nicht willst. Aber hör mich wenigstens zu Ende an, okay?«
Tony starrte mit eisigem Gesicht durch den Raum.
Ich senkte die Stimme. »Tony, es stimmt, John Daggett war ein Säufer, und vielleicht war er ein völlig wertloses menschliches Wesen. Aber er hat sich schlecht gefühlt für etwas, das er getan hat, und ich glaube, er hat versucht, das wiedergutzumachen. Das gesteh ihm wenigstens zu, und sag nicht nein, ohne zuerst darüber nachgedacht zu haben.«
»Ich will kein Geld für das, was er getan hat.«
»Ich bin noch nicht fertig. Laß mich erst zu Ende reden.«
Seine Lippen zitterten. Er fuhr sich mit dem Jackenärmel an die Augen, aber er stand nicht auf und ging nicht fort.
»Menschen machen Fehler«, sagte ich. »Die Leute tun Dinge, die sie nie tun wollten. Er hat niemanden absichtlich umgebracht...«
»Er ist ein verdammter Säufer! Er war um neun Uhr morgens auf der verdammten Straße. Dad und Mom und Hilary...« Seine Stimme brach, und er rang um Beherrschung. »Ich will nichts von ihm. Ich hasse ihn und ich will seinen verdammten Scheck nicht.«
»Warum löst du ihn nicht ein und verschenkst das Geld?«
»Nein! Nehmen Sie ihn doch. Geben Sie ihn ihm zurück. Sagen Sie ihm, ich hätte gesagt, er sollte sich zum Teufel scheren.«
»Das kann ich nicht. Er ist tot. Er wurde Freitag nacht ermordet.«
»Gut. Das freut mich. Ich hoffe, jemand hat ihm das Herz aus dem Leib geschnitten. Das hätte er verdient.«
»Vielleicht. Aber es ist immer noch möglich, daß er etwas für dich empfunden hat und dir etwas von dem zurückgeben wollte, was er dir fortgenommen hat.«
»Was denn? Sie sind alle tot.«
»Aber du nicht, Tony. Du mußt einen Weg finden, dein Leben fortzusetzen...«
»He, das mache ich ja wohl, oder? Aber ich muß mir diesen ganzen Quatsch nicht anhören! Sie haben gesagt, was Sie zu sagen hatten, und jetzt will ich heim.«
Er stand auf, strahlte Wut aus, sein ganzer Körper blieb steif. Hastig ging er zum hinteren Ausgang, stieß Stühle beiseite. Ich schnappte mir den Scheck und folgte ihm.
Als ich zum Parkplatz kam, bearbeitete er das restliche Glas in dem eingeschlagenen Fenster meines Wagens mit den Fäusten. Ich setzte zum Protest an, hielt mich dann aber zurück.
Warum nicht, dachte ich. Ich mußte die verdammte Scheibe ohnehin ersetzen. Ich stand da und sah ihm wortlos zu. Als er fertig war, lehnte er sich an den Wagen und weinte.