VIII

Das Läuten eines Telefons riß mich aus dem Schlaf. Ich tastete nach dem Hörer, irgend etwas fiel zu Boden, ich fand ihn und zog ihn an mich. Wer? Wegenfeld, Anselm Wegenfeld, von der Rezeption. Fein, sagte ich, was ist? Um mich setzte sich ein abgenutztes Zimmer zusammen: Bettpfosten und Tisch, eine fleckige Nachttischlampe, ein schief aufgehängter Spiegel. Der alte Herr, sagte Wegenfeld. Wer? Der alte Herr, wiederholte er mit seltsamer Betonung. Ich setzte mich auf und war hellwach. »Was ist passiert?«

»Nichts, aber Sie sollten nach ihm sehen.«

»Warum?«

Wegenfeld räusperte sich. Er hustete, dann räusperte er sich wieder. »In diesem Haus gibt es Regeln. Sie werden verstehen, daß wir manche Dinge nicht dulden können. Das verstehen Sie doch?«

»Zum Teufel, was ist los?«

»Sagen wir, er hat Besuch. Schicken Sie sie weg, oder wir tun das!«

»Sie wollen doch nicht behaupten...!«

»Doch«, sagte Wegenfeld, »genau das.« Er legte auf.

Ich stand auf, ging in das winzige Badezimmer und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Es war fünf Uhr nachmittags, im Tiefschlaf hatte ich jedes Zeitgefühl verloren. Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Erinnerung zurückkam.

Ein schweigsamer Taxifahrer hatte uns von der Tankstelle weggebracht. »Nein«, hatte Kaminski plötzlich gesagt. »Nicht zum Bahnhof! Ich will mich hinlegen.«

»Das können Sie jetzt nicht.«

»Ich kann und ich werde. In ein Hotel!«

Der Fahrer nickte gleichmütig.

»Das hält uns nur auf«, sagte ich. »Wir müssen weiter.« Der Fahrer zuckte die Achseln.

»Es ist gleich eins«, sagte Kaminski.

Ich sah auf die Uhr, es war fünf vor eins. »Noch lange nicht.«

»Um eins lege ich mich hin. Ich tue das seit vierzig Jahren, und ich werde es nicht ändern. Ich kann diesen Herrn auch bitten, mich nach Hause zu bringen.«

Der Fahrer warf ihm einen gierigen Blick zu.

»Also gut«, sagte ich. »In ein Hotel.« Ich fühlte mich leer und kraftlos. Ich tippte dem Fahrer auf die Schulter. »Und zwar das beste der Gegend.« Bei dem Wort ›beste‹ schüttelte ich den Kopf und machte eine abwinkende Handbewegung. Er verstand und grinste.

»In ein anderes gehe ich auch nicht«, sagte Kaminski.

Ich schob dem Fahrer einen Geldschein zu. Er zwinkerte. »Ich bringe Sie zum allerbesten!«

»Das hoffe ich«, sagte Kaminski, zog seinen Schlafrock enger, hielt den Stock fest und schmatzte leise. Es schien ihm nichts auszumachen, daß Auto und Gepäck weg waren, auch mein Koffer samt dem neuen Rasierer, ich hatte jetzt nur noch die Aktentasche. Er begriff wohl gar nicht, was geschehen war. Vermutlich war es besser, nicht davon zu sprechen.

Eine Kleinstadt: niedrige Häuser, Schaufenster, eine Fußgängerzone mit dem üblichen Brunnen, noch mehr Schaufenster, ein großes und ein noch größeres Hotel, an denen wir vorbeifuhren. Wir hielten vor einer kleinen, schäbigen Pension. Ich sah den Fahrer fragend an und machte eine Bewegung mit Daumen und Zeigefinger. War das wirklich das billigste? Er überlegte und fuhr wieder an.

Wir hielten vor einem noch häßlicheren Hotel mit schmutziger Fassade und beschlagenen Fenstern. Ich nickte. »Großartig! Sehen Sie den Mann in Livree?«

»Zwei Männer«, sagte der Fahrer, dem es offenbar Spaß machte. »Wenn Minister kommen, wohnen sie immer hier.«

Ich bezahlte, gab ihm noch mehr Trinkgeld, er hatte es verdient, und führte Kaminski in die kleine, schmutzige Lobby. Eine bedrückende Absteige für Handelsvertreter. »Was für ein Teppich!« sagte ich bewundernd und verlangte zwei Zimmer. Ein Mann mit fettigen Haaren gab mir überrascht den Meldeblock. Auf die erste Seite schrieb ich meinen Namen, auf die zweite kritzelte ich etwas Unlesbares. »Danke, kein Träger!« sagte ich laut und führte Kaminski zum Lift; ächzend ruckte die Kabine aufwärts und brachte uns auf einen kaum beleuchteten Gang. Sein Zimmer war winzig, der Schrank stand offen, die Luft war abgestanden.

»Da hängt ein echter Chagall!« sagte ich.

»Es gibt von Marc mehr Originale als Kopien. Stellen Sie die Medikamente neben das Bett. Es riecht seltsam, sind Sie sicher, daß das ein gutes Hotel ist?«

Auf dem Nachttisch war kaum genug Platz für sie alle, zum Glück hatte ich sie gestern in meine Aktentasche gepackt: Betablocker, Cardio-Aspirin, blutverdünnende Mittel, Schlaftabletten.

»Wo ist mein Koffer?« fragte er.

»Ihr Koffer ist im Auto.«

Er runzelte die Stirn. »Der Baummann«, sagte er. »Bemerkenswert! Haben Sie sich mit Bosch beschäftigt?«

»Nicht viel.«

»Na dann gehen Sie jetzt!« Er klatschte fröhlich in die Hände. »Gehen Sie!«

»Wenn Sie etwas brauchen...«

»Ich brauche nichts, gehen Sie schon!«

Ich ging seufzend hinaus. In meinem Zimmer, das noch kleiner war als seines, zog ich mich aus, legte mich nackt ins Bett, versteckte meinen Kopf unter der Decke und dämmerte ein. Als Wegenfeld anrief, hatte ich drei Stunden traumlos geschlafen.

Ich brauchte eine Weile, bis ich Kaminskis Zimmer wiedergefunden hatte. An der Tür hing das Nicht-stören-Schild, aber sie war nicht abgeschlossen. Ich öffnete leise.

»...hatte er diese Idee«, sagte Kaminski gerade, »ununterbrochen sich selbst zu malen, mit dieser Mischung aus Haß und Selbstliebe. Er war der einzige Größenwahnsinnige, der einfach völlig recht hatte.« Die Frau saß aufrecht, die Beine verschränkt, den Rücken an die Wand gelehnt, auf dem Bett. Sie war stark geschminkt, hatte rote Haare, trug eine durchscheinende Bluse, einen kurzen Rock und Netzstrümpfe. Auf dem Boden standen säuberlich nebeneinander ihre Stiefel. Kaminski, angezogen und im Schlafrock, lag auf dem Rücken, die Hände auf der Brust gefaltet, den Kopf auf ihrem Schoß. »Ich fragte ihn also: Muß es wirklich der Minotaurus sein? Wir waren in seinem sehr ordentlichen Atelier, nur für die Fotos hat er es immer verwüstet, und er sah mich mit diesen schwarzen Götteraugen an.« Die Frau gähnte und strich ihm langsam über den Kopf. »Ich sagte, der Minotaurus - überschätzt du dich da nicht? Und das hat er mir nie verziehen. Hätte ich über seine Bilder gelacht, wäre es ihm egal gewesen. Kommen Sie herein, Zöllner!«

Ich schloß die Tür hinter mir.

»Merken Sie, wie sie duftet? Kein teures Parfüm, auch ein bißchen zu stark. Aber was macht das! Wie heißen Sie?«

Sie warf mir einen kurzen Blick zu. »Jana.«

»Sebastian, seien Sie froh, daß Sie jung sind!«

Er hatte mich noch nie beim Vornamen genannt. Ich sog prüfend die Luft ein, aber da war kein Parfüm. »Das geht wirklich nicht«, sagte ich. »Sie ist beim Hereinkommen aufgefallen. Der Direktor hat angerufen.«

»Sagen Sie ihm, wer ich bin!«

Ich schwieg betreten. Auf dem Tisch lag ein kleiner Notizblock, nur ein paar Blätter dick, zurückgelassen von irgendeinem Gast. Darauf war eine Zeichnung. Kaminski setzte sich schwerfällig auf. »Nur ein Scherz. Dann müssen Sie wohl gehen, Jana. Ich bin sehr dankbar.«

»Schon gut«, sagte sie und begann ihre Stiefel anzuziehen. Aufmerksam sah ich das Leder über ihr Knie streichen, für einen Augenblick entblößten sich ihre Schlüsselbeine, das rote Haar fiel ihr weich in den Nacken. Ich griff schnell nach dem Block, riß das oberste Blatt ab und steckte es ein. Ich öffnete die Tür, Jana folgte mir schweigend hinaus.

»Keine Sorge«, sagte sie, »er hat schon bezahlt.«

»Wirklich?« Und vorhin hatte er behauptet, er hätte kein Geld dabei! Doch so eine Gelegenheit durfte ich nicht vorbeigehen lassen. »Kommen Sie mit!« Ich führte sie in mein Zimmer, schloß die Tür hinter ihr und gab ihr einen Geldschein. »Ich will etwas wissen.«

Sie lehnte sich an die Wand und sah mich an. Sie mußte neunzehn oder zwanzig sein, nicht älter. Sie verschränkte die Arme, hob einen Fuß und drückte die Schuhsohle gegen die Tapete; das würde einen häßlichen Abdruck geben. Sie warf einen Blick auf mein zerwühltes Bett und lächelte. Verärgert spürte ich, daß ich rot wurde.

»Jana...« Ich räusperte mich. »Ich darf doch Jana sagen?« Ich mußte aufpassen, daß ich sie nicht verunsicherte.

Sie zuckte die Achseln.

»Jana, was wollte er?«

»Wie?«

»Was gefällt ihm?«

Sie runzelte die Stirn.

»Was sollten Sie tun?«

Sie trat einen Schritt zur Seite, weg von mir. »Das haben Sie doch gesehen.«

»Und vorher? Das war doch nicht alles.«

»Natürlich war das alles!« Sie sah mich entgeistert an. »Sie sehen doch, wie alt er ist. Was haben Sie für ein Problem?«

Das Parfüm mußte er sich eingebildet haben. Ich zog den einzigen Stuhl heran, setzte mich, fühlte mich unsicher, stand wieder auf. »Er hat nur geredet? Und Sie haben ihm den Kopf gestreichelt?«

Sie nickte.

»Finden Sie das nicht seltsam?«

»Eigentlich nicht. Sie?«

»Woher hatte er Ihre Telefonnummer?«

»Ich glaube, von der Auskunft. Er ist ziemlich schlau.« Sie strich ihre Haare zurück. »Wer ist er eigentlich? Er muß früher ziemlich...!« Sie lächelte. »Sie wissen schon. Er ist nicht mit Ihnen verwandt, oder?«

»Wieso?« Mir fiel ein, daß Karl Ludwig das gleiche gesagt hatte. »Ich meine, wieso nicht, wieso glauben Sie das?«

»Ach, das merkt man doch! Kann ich jetzt gehen...« Sie sah mir in die Augen, »...oder wollen Sie noch etwas?«

Mir wurde heiß. »Warum glauben Sie, daß wir nicht verwandt sind?«

Sie blickte mich ein paar Sekunden lang an, dann ging sie auf mich zu, unwillkürlich wich ich zurück. Sie streckte die Arme aus, fuhr mit beiden Händen über meinen Kopf, faßte mich am Nacken und zog mich an sich, ich widersetzte mich, ich sah ihre Augen aus der Nähe und wußte nicht, wohin ich schauen sollte, ihr Haar fiel in mein Gesicht, ich versuchte mich zu lösen, sie lachte und trat zurück, plötzlich war ich wie gelähmt.

»Sie haben mich bezahlt«, sagte sie. »Was nun?«

Ich antwortete nicht.

»Sehen Sie?« sagte sie und zog die Augenbrauen hoch. »Machen Sie sich nichts daraus!« Sie lachte und ging hinaus.

Ich rieb mir die Stirn, nach einer Weile ging mein Atem wieder normal. Also schön, ich hatte wieder einmal Geld aus dem Fenster geworfen, so konnte das nicht weitergehen! Ich mußte so bald wie möglich mit Megelbach über die Spesen sprechen.

Ich holte die Seite hervor, die ich aus dem Block gerissen hatte. Ein Netz gerader - nein, ganz leicht gekrümmter Linien, die sich von den beiden unteren Ecken aus über das Blatt zogen und in einem feinen System von Zwischenräumen die Umrisse einer menschlichen Gestalt erzeugten. Oder nicht? Nun konnte ich sie nicht mehr finden. Doch, da war sie wieder! Und jetzt wieder weg. Die Striche waren sicher gezogen, jeder mit einem Ansetzen, ohne Unterbrechung. Konnte ein Blinder das tun? Oder war es doch jemand anderer gewesen, ein Vorgänger in seinem Zimmer, und das Ganze ein Zufall? Ich mußte es Komenew zeigen, allein konnte ich das nicht klären. Ich faltete das Blatt, steckte es ein und fragte mich, warum ich sie hatte gehen lassen. Ich rief Megelbach an.

Das freue ihn aber, sagte er, wie ich denn vorankäme? Großartig, sagte ich, besser als erwartet, der Alte habe mir schon Dinge gesagt, auf die ich nie gehofft hätte, ich könne eine Sensation versprechen, aber mehr verriete ich nicht. Nur gebe es da unerwartete Ausgaben, und... Ein Zischen unterbrach mich. Ausgaben, wiederholte ich, die... Die Verbindung sei nicht gut, sagte Megelbach, ob ich später anrufen könne? Es sei aber wichtig, sagte ich, ich brauchte dringend... Gar kein guter Moment, sagte Megelbach, er sei mitten in einer Besprechung und wisse nicht, wieso die Sekretärin mich überhaupt durchgestellt habe. Es ginge nur um eine Kleinigkeit, sagte ich, und zwar... Viel Glück, rief er, ganz viel Glück, er sei sicher, wir seien an etwas Großem dran. Dann legte er auf. Ich rief wieder an, diesmal meldete sich die Sekretärin. Sie bedauere, Herr Megelbach sei nicht im Büro. Aber nein, sagte ich, ich hätte doch gerade eben mit ihm... Ob ich, fragte sie schneidend, eine Nachricht hinterlassen wolle? Ich sagte, ich würde es später wieder versuchen.

Ich ging zu Kaminski. Eben klopfte ein schwitzender Kellner mit einem Tablett an seine Tür.

»Was soll das?« sagte ich. »Das hat niemand bestellt!«

Der Kellner leckte sich die Lippen und sah mich böse an.

Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. »Doch, Zimmer dreihundertvier. Hat eben angerufen. Tagesmenü, doppelte Portion. Eigentlich haben wir keinen Zimmerservice, aber er hat gesagt, er zahlt extra.«

»Endlich!« rief Kaminski von drinnen. »Bringen Sie es herein, Sie müssen mir noch das Fleisch schneiden! Jetzt nicht, Zöllner!«

Ich wandte mich ab und ging zurück in mein Zimmer.

Als ich eintrat, läutete das Telefon. Vermutlich Megelbach, der sich entschuldigen wollte. Ich nahm den Hörer, aber da war nur das Freizeichen, ich war am falschen Apparat, es war das Mobiltelefon.

»Wo sind Sie?« rief Miriam. »Ist er bei Ihnen?«

Ich drückte die Auflegetaste.

Das Telefon läutete wieder. Ich hob es auf, legte es weg, dachte nach. Ich holte tief Luft und nahm es.

»Hallo!« sagte ich. »Wie geht es? Woher haben Sie diese Nummer? Ich verspreche Ihnen...«

Dann kam ich nicht mehr zu Wort. Ich ging langsam auf und ab, ging zum Fenster, lehnte meine Stirn gegen das Glas. Ich senkte das Telefon und atmete aus: Feiner Nebel legte sich auf die Scheibe. Ich hob das Gerät wieder ans Ohr.

»Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte ich. »Entführung? Es geht ihm großartig, wir machen einfach eine Reise zusammen. Sie können mitkommen, wenn Sie wollen.«

Unwillkürlich riß ich das Telefon weg, mein Ohr schmerzte. Ich wischte mit dem Ärmel über das beschlagene Fenster. Obwohl ich das Gerät einen halben Meter von meinem Kopf hielt, verstand ich jedes Wort.

»Kann ich auch etwas sagen?«

Ich setzte mich auf das Bett. Mit der freien Hand schaltete ich den Fernseher ein: Ein Reiter galoppierte durch eine Wüstenkulisse, ich schaltete um, eine Hausfrau betrachtete verliebt ein Handtuch, ich schaltete um, die Kulturredakteurin Verena Mangold sprach ernst ins Mikrofon, ich schaltete ab.

»Kann ich auch etwas sagen?«

Und diesmal gelang es. Sie verstummte so plötzlich, daß ich nicht darauf gefaßt war. Ein paar Sekunden horchten wir beide überrascht in die Stille.

»Erstens, auf das Wort Entführung antworte ich nicht, auf dieses Niveau begebe ich mich nicht. Ihr Vater hat mich gebeten, ihn zu begleiten. Ich mußte dafür meine Termine ändern, aber aus Verehrung und... Freundschaft habe ich das getan. Unser Gespräch darüber habe ich auf Tonband. Also vergessen Sie die Polizei, Sie würden sich lächerlich machen. Wir sind in einem erstklassigen Hotel, Ihr Vater hat sich in sein Zimmer zurückgezogen und möchte nicht gestört werden, morgen abend bringe ich ihn zurück. Zweitens, ich habe gar nichts durchstöbert! Weder Ihren Keller noch irgendeinen Schreibtisch. Das ist eine ungeheuerliche Unterstellung!« Jetzt merkte sie wohl, daß sie sich mit dem Falschen angelegt hatte. »Und viertens ...« Ich stockte, »...drittens, über unser Ziel gebe ich keine Auskunft. Das soll er Ihnen selbst erklären. Ich fühle mich ihm... zu sehr verpflichtet.« Ich stand auf, der Klang meiner Stimme gefiel mir. »Er blüht förmlich auf. Die Freiheit tut ihm gut! Wenn ich Ihnen erzählen würde, was er eben... Es war höchste Zeit, daß ihn jemand aus diesem Gefängnis geholt hat.«

Was? Ich lauschte verblüfft. Hatte ich mich verhört? Ich beugte mich vor und hielt mir das andere Ohr zu. Nein, hatte ich nicht.

»Finden Sie das lustig?«

Vor Wut stieß ich mit dem Knie gegen den Nachttisch. »Ja, das habe ich gesagt. Aus diesem Gefängnis.« Ich trat ans Fenster. Die Sonne stand niedrig über Dächern, Türmen, Antennen. »Gefängnis! Wenn Sie nicht sofort mit dem Lachen aufhören, lege ich auf. Hören Sie? Wenn Sie nicht sofort...«

Ich drückte die Auflegtaste.

Ich warf das Telefon weg und ging auf und ab, vor Ärger konnte ich kaum atmen. Ich rieb mir das Knie. Es war nicht klug gewesen, das Gespräch einfach abzubrechen. Ich schlug auf den Tisch, beugte mich vor und fühlte, wie die Wut langsam nachließ. Ich wartete. Doch zu meiner Überraschung rief sie nicht mehr an.

Eigentlich war es ja gutgegangen. Sie nahm mich nicht ernst, also würde sie keine Maßnahmen ergreifen. Was auch immer sie so komisch gefunden hatte, ich hatte offenbar das Richtige gesagt. Wieder einmal das Richtige. Ich hatte einfach diese Begabung.

Ich sah in den Spiegel. Vielleicht hatte er ja recht gehabt. Natürlich keine Glatze, aber ein kaum merkliches Zurückweichen des Haaransatzes, das mein Gesicht runder, älter und ein wenig blasser machte. Ich war nicht mehr so jung. Ich stand auf. Auch mein Jackett saß nicht gut. Ich hob eine Hand und senkte sie wieder, mein Spiegelbild tat zögernd das gleiche. Oder lag es nicht am Jackett? Da war etwas Schiefes in meiner Haltung, das mir noch nie aufgefallen war. Machen Sie sich nichts daraus! Woraus, in aller Welt? Vielleicht hast du noch eine Chance. Worüber hatte Miriam gelacht?

Nein, ich hatte zu lange am Steuer gesessen, ich war einfach übermüdet. Was meinten sie alle? Ich schüttelte den Kopf, sah nach meinem Spiegelbild, sah schnell wieder weg. Was in aller Welt meinten sie denn?