4.

 

Hauptkommissar Jan Berger runzelte die Stirn, als Alexandra ihm das Album zeigte. Er war, nachdem sie ihm am Telefon davon berichtet hatte, gleich aufgebrochen und saß nun neben Marie am Tisch und blätterte mehr oder weniger gedankenverloren die Seiten um. Er sah die beiden Frauen in Gefahr, solange der Fall nicht endgültig gelöst war, und beschwor sie, das Album mit der Patentübertragung an einem sicheren Ort, aber auf keinen Fall im Haus aufzubewahren. Am besten in einem Bankschließfach. Sein Appell wurde von den beiden Freundinnen zu seinem Leidwesen nicht ernst genug genommen und er überlegte, ob er das Album nicht einfach konfiszieren sollte, wenn die beiden so uneinsichtig blieben. Es bereitete ihm jedoch ein wenig Mühe, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, weil ihm eine Wolke von Maries frischem, nach Zitrusfrüchten duftendem Parfüm in die Nase stieg, die ihm jetzt gestenreich die Vorkommnisse des vorherigen Tages schilderte und ihn dabei mit freundlichen Blicken bedachte. Er gestand sich ein, dass er sie schon beim ersten Mal ziemlich attraktiv gefunden hatte, und diesmal erging es ihm nicht anders. Alexandra, die ihren Kollegen gut kannte, interpretierte seine Miene richtig. Für den Bruchteil einer Sekunde flog sie so etwas wie Wehmut an, dann aber nickte sie unmerklich in sich hinein. Es war gut so, wie es war. Marie mit ihrer angeborenen Fröhlichkeit war genau die Art Frau, die Jan gut tat.

»Sag mal, Jan, du hast doch sowieso gleich Feierabend, willst du nicht zum Essen bleiben?«, fragte sie unverfänglich. »Marie hat schon einen Braten im Ofen und der reicht, wie ich sie kenne, sicher bestimmt für mindestens vier Personen, oder, Marie? Und einen zusätzlichen Kritiker können wir außerdem gut gebrauchen.«

»Das ist eine gute Idee. Ich freue mich, wenn Sie zum Essen bleiben, Herr Hauptkommissar.«

 

Der Rinderbraten in Rotweinsauce war ein Gedicht, sogar Marie, die immer sehr kritisch mit sich selbst war, räumte das ein. Der Geschmack war kräftig und zart zugleich, und erst die Klöße ... Jan rollte genießerisch mit den Augen, nachdem er seine Gabel zum Mund geführt hatte. Die Klöße, die so leicht und locker schmeckten und mit der Bratensoße zusammen im Mund zu einem Geschmackserlebnis führten, das ihn an früher erinnerte, waren für ihn das Beste von allem.

»Wunderbar!« Er schob den Teller mit leisem Stöhnen von sich, nachdem er noch einmal und dann tatsächlich noch ein drittes Mal nachgenommen hatte. »Sogar der Wildkräutersalat hat mir richtig gut geschmeckt, obwohl ich Grünzeug sonst meide, wo ich kann.« Er lachte verlegen. Dann hob er sein Rotweinglas und prostete Marie zu. »Sie sind eine wunderbare Köchin, Frau Sander, und eine sehr reizvolle dazu.«

Marie errötete wie ein junges Mädchen und hob ebenfalls ihr Glas.

»Wie wäre es, wenn wir das ganze Procedere abkürzen und ihr euch jetzt schon duzt?«, feixte Alexandra trocken, was ihr von beiden Seiten einen strafenden Blick eintrug. Einen Augenblick sagte niemand etwas, dann lachten alle drei auf einmal.

»Also los, jetzt wird Brüderschaft getrunken«, beharrte sie auf der üblichen Vorgehensweise, nachdem Jan und Marie lediglich noch einmal ihr Glas hoben, um ihr Einverständnis zu bekunden. Ein wenig vorgeführt kamen sie sich schon vor, als sie sich jetzt unterhakten, die Gläser klingen ließen und sich einen schüchternen Kuss auf den Mund gaben.

»Na also«, Alexandra lehnte sich zufrieden in ihrem Stuhl zurück, »jetzt sind wir wenigstens alle beim Du, ist doch viel praktischer so. Und außerdem ...«

»Erspare uns jeden weiteren Kommentar«, fiel Marie ihr warnend ins Wort und goss allen noch einen Schluck Wein nach. »Ein Gästezimmer haben wir übrigens auch, Jan. Und auch eine unbenutzte Zahnbürste. Es ist bestimmt besser, wenn du heute hierbleibst.«

In dieser Nacht lag er noch lange wach und starrte in die Dunkelheit. Marie erging es ebenso. Beide waren erfahren genug, diese innere Unruhe richtig zu deuten, die sie erschreckte und zugleich beflügelte.

 

Dass Jan mit seinen Befürchtungen, das Album stelle eine Gefahr für sie beide dar, wirklich recht behalten könnte, wäre beiden Freundinnen nicht ernsthaft in den Sinn gekommen, bis ein gewisser Herr Johannsen unter dem fadenscheinigen Grund, sich in ihrem Weinhandel umzusehen, zwei Tage später vor der Tür stand. Auf der Auktion in Hamburg hatte er sich bereits interessiert gezeigt und es bestand zwischen den Zeilen überhaupt kein Zweifel daran, dass Johannsen in erster Linie hinter dem Kräuterschnaps-Rezept her war. Die beiden Frauen fragten sich, wer noch alles davon wusste und dazu bereit sein könnte, die Spur bis zu ihnen heraus zu verfolgen. Nachdem Johannsen sich endlich unverrichteter Dinge und triefend freundlich verabschiedet hatte – nicht ohne eine baldige Wiederholung seines Besuches anzukündigen, wie er in einem fast drohenden Tonfall hinzufügte –, wussten sie, dass das Album tatsächlich am besten in Jans Büro aufgehoben sein würde.

Seit der Mann bei ihnen aufgetaucht war, wurden die Nächte aus Angst vor einem Einbruch unruhig. Viermal trafen sich Alexandra und Marie in den ganz frühen Morgenstunden in der Küche, weil sie es im Bett nicht mehr aushielten und auch nicht schlafen konnten, bis Marie seufzend feststellte, dass der nächtliche Kakaokonsum sich langsam auf ihren Hüften niederschlug und die Tage, die auf diese Nächte folgten, sich endlos und pelzig anfühlten.

Alexandra litt unter Alpträumen. Immer wieder sah sie Balduin Hafner vor sich, der versuchte, ihr mit schmerzverzerrtem Gesicht etwas zu sagen, bevor er starb, sah sich mit ihm in seiner Wohnung, in der er unter den Papierbergen verzweifelt nach einem Brief suchte, den er ihr geschrieben hatte, weil er nicht sprechen konnte, sah seinen eindringlichen Blick, der um Hilfe bat, bis sie es nicht mehr aushielt und wieder damit begann, vor dem Zubettgehen von ihren Tranquilizern zu nehmen.

»Das kann nicht dein Ernst sein!« Marie war außer sich, als sie Alexandras verschleierte Augen sah. »Wie alt bist du eigentlich, dass du es nicht schaffst, dieses Zeug endlich in die Tonne zu schmeißen?«

Alexandra winkte müde ab. »Lass gut sein, Marie, ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten. Du weißt ja nicht, was ich jede Nacht durchmache. Ich habe Albträume, Hafner versucht mir etwas zu sagen, aber ich kann ihn nicht verstehen. Das geht jetzt schon seit ein paar Nächten hintereinander so. Wenn ich also das Zeug nicht nehme, komme ich gar nicht in den Schlaf.«

»Wir müssen diesen blöden Fall endlich lösen, sonst gehen wir beide vor die Hunde.« Marie war richtig wütend geworden. »Jan sieht das genauso, aber irgendwie treten wir alle auf der Stelle.«

Die Gefahr, der sie sich ausgesetzt fühlten und die sie permanent ängstigte, führte schließlich zu einer resignierten Akzeptanz.

»Et kütt, wie et kütt«, griff Alexandra die rheinische Überzeugung auf, es kam eben halt wirklich, wie es kommen sollte, und dann konnte man immer noch schauen.

So kehrte also wieder Ruhe auf dem Weinhof ein, wenn es auch eine trügerische war.

Als Marie und Alexandra am späten Freitagabend von ihrem Kinoabend zurückkehrten, den sie so lange schon aufgeschoben hatten, stand die Eingangstür zum Gewölbekeller sperrangelweit offen. Der Schreck durchfuhr sie wie ein Blitz und machte sie für einen Moment bewegungsunfähig. Alexandra spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug, als sie jetzt langsam vor Marie das Geschäft betrat und mit zitternden Fingern nach dem Lichtschalter tastete. Marie schnappte nach Luft, als sie die Verwüstung sah, und suchte einen festen Halt, weil sie fürchtete, dass ihr im nächsten Moment die Beine wegsackten. Alexandras Atem ging stoßweise. Der Boden war mit Scherben übersät, Rot- und Weißweinlachen hatten sich zu einem Fluss zusammengetan und am abschüssigen Ende des Raumes einen See gebildet. Die zu Regalen gestapelten Tonröhren, in denen die Flaschen gelagert waren, lagen – zum großen Teil zerbrochen – auf dem Boden und auf dem alten Tisch, der derbe Vertiefungen und Einschnitte davongetragen hatte. In der Küche lagen die Töpfe herum, Maries liebevoll arrangiertes Kräuterbeet war zerfetzt und verstreut worden, überall trat man auf Scherben, was ein hässliches, knirschendes Geräusch unter den Sohlen verursachte.

Alexandra und Marie sahen sich mit weit aufgerissenen Augen an, machten auf dem Absatz kehrt und stürzten in Maries Wohnung, weil dies die nächstgelegene war. Chaos auch hier, alles war durchwühlt, die Sofakissen aufgeschlitzt und die Füllung herausgerissen, die wie Schnee durch die Wohnung flog, als sie die Tür öffnete. Bei Alexandra sah es ähnlich furchtbar aus, was sie zuerst einmal nur stoisch registrierte, weil ihre Sorge in erster Linie der Katze galt.

»Mia, Miachen, wo bist du? Ist dir etwas passiert? Ich werde wahnsinnig, wenn man dir etwas angetan hat.«

»Sie wird das Weite gesucht haben«, beschwichtigte Marie, als sie die Panik in Alexandras Augen bemerkte, als sie plötzlich ein leidvolles Jammern hörten, das aus der Küche zu kommen schien. Von schlimmen Vorahnungen geplagt, rannte Alexandra dorthin, wo sie sich – ungeachtet der auch hier verstreut herumliegenden Scherben – sofort auf die Knie fallen ließ und sich dann flach auf den Boden legte, um unter die Anrichte schauen zu können. Und da kauerte ihr Kätzchen, verängstigt und panisch.

»Sie kommt da nicht mehr raus«, erkannte sie mit einem Blick. »Weiß der Himmel, wie sie es geschafft hat, sich durch diese Lücke zu quetschen, eigentlich geht das überhaupt nicht.« Alexandra richtete sich wieder auf. »Komm, Marie, wir müssen den Schrank anheben, damit sie raus kann. Hoffentlich ist sie nicht verletzt.«

Als das Tier die Entlastung spürte, machte es einen Satz aus der Ecke heraus und flüchtete humpelnd unter die zerstörte Couch im Wohnzimmer. Wieder ging Alexandra auf die Knie, streckte eine Hand aus und bekam diesmal Mia in der Mitte zu fassen. Liebevoll sprach sie auf sie ein und schob die widerstrebende Katze Zentimeter um Zentimeter zu sich heran, bis sie sie endlich mit beiden Händen umfassen konnte. Dann blieb sie einfach auf dem Boden sitzen und streichelte das zitternde Tier, wobei ihr die Tränen über die Wangen liefen. Marie kauerte sich dazu, streichelte Mias Kopf, und auch bei ihr öffneten sich jetzt die Schleusen, die das Entsetzen, über das, was ihnen widerfahren war, zum Überlaufen gebracht hatte.

»Wir müssen Jan Bescheid sagen«, flüsterte Marie endlich, nahm ihr Mobiltelefon aus der Jackentasche und wählte seine Privatnummer.

 

Eine Dreiviertelstunde später nahm das Polizeiaufgebot fast den ganzen Vorhof ein und die beiden Frauen waren froh, dass die Geschäftigkeit der Ermittlungen sie aus ihrer Benommenheit riss.

Hauptkommissar Jan Berger setzte zu ihrer Erleichterung nicht das befürchtete »Hab-ich's-doch-geahnt-aber-ihr-habt-ja-nicht-auf-mich-gehört-Gesicht« auf, sondern vermittelte Alexandra und Marie das Gefühl, der Fels in der Brandung zu sein.

»Damit das schon einmal klar ist«, bemerkte er, keinen Widerspruch duldend, »ab sofort wohne ich bei euch. Jedenfalls, bis der Täter gefasst ist.« Ein rascher Seitenblick auf Marie, die ihn voller Erleichterung ansah, brachte ihn zum Lächeln, das sie erwiderte. »Gut, dass das Album noch bei mir im Büro liegt«, setzte er ernst fort, »wenigstens was das angeht, habt ihr auf mich gehört. So, wie sich die Dinge jetzt darstellen, muss tatsächlich jemand ein ausgesprochenes Interesse daran haben. Jedenfalls weit mehr, als ich mir selbst vorgestellt habe.«

»Was meinst du, wann die Kollegen fertig sind, sodass wir mit dem Aufräumen anfangen können?«, fragte Alexandra erschöpft.

»Soll ich dir mal was sagen? Wir machen heute nur noch so viel Ordnung, dass wir in Ruhe übernachten können. Wenn alle weg sind, hole ich uns zwei Flaschen Wein – alles kann schließlich nicht kaputt sein – und wir versuchen, uns ein bisschen zu entspannen. Der Dreck liegt morgen auch noch da, dann können wir ihn immer noch wegräumen, über Nacht macht das sowieso keiner für uns.«

»Du hast recht«, seufzte Alexandra ergeben, »morgen können wir die Sache vielleicht systematischer angehen.«

»Chef, ich glaube, wir hätten da was. Jedenfalls gehört es keiner der beiden Damen, das habe ich schon abgeklärt.« Ein Mitarbeiter der Spusi streckte den Kopf in Alexandras – fast konnte man sagen ehemaliges – Wohnzimmer, wo Jan sich gerade einen Überblick verschaffte. »Sehen Sie mal!« Er hielt einen Zettelfetzen hoch, der bereits sorgfältig in einer Plastiktüte verstaut worden war. Jan trat hinzu und nahm die Tüte in die Hand. »Das sieht nach einer Online-Fahrkarte aus.« Er versuchte die verbliebenen Zahlen und Wortstücke zu entziffern, doch vergebens. »Geben Sie das morgen gleich ins Labor, Breuer, vielleicht können die da was rekonstruieren. Wenn das wirklich ein Ticket ist, hat der Eigentümer es mit seiner Kreditkarte bezahlt, was sozusagen ein Volltreffer wäre. Gut gemacht«, nickte er dem jungen Kollegen anerkennend zu, »eine heiße Spur haben wir jetzt also schon.«

»Alles nur wegen dieses elenden Kräuterschnaps-Rezeptes!« Alexandra schnappte empört nach Luft, während die beiden Freundinnen am nächsten Tag versuchten, das Chaos zu beseitigen.

»Wie viel Zerstörungswut in jemandem stecken kann! Ich könnte mir nicht vorstellen, so zu reagieren«, urteilte Marie.

»Sag das nicht.« Alexandra stützte sich auf den Besenstiel, hielt einen Moment inne und sah die andere ernst an. »Denk mal darüber nach, wie es sich anfühlte, wenn du ein Kind hättest und jemand ihm Gewalt antäte. Könntest du dir dann vorstellen, vollkommen irrational zu reagieren?«

»Natürlich«, räumte Marie ein, »du hast recht. Wahrscheinlich wären umgestürzte Flaschen und aufgeschlitzte Sofas dabei noch die harmloseste Version.«

»Das denke ich auch. Trotzdem, irgendjemandem passt es hier überhaupt nicht, dass wir das Schnaps-Patent haben. Oder sagen wir besser: Er vermutet, dass wir das Rezept gefunden haben. Ob das wirklich dieser Johannsen war? Ich meine, der müsste doch blöd sein, wenn er so auf sich aufmerksam machen würde. Immerhin wüsste er, dass der Verdacht sofort auf ihn fiele, weil er ja auch hier war. Nein, da muss noch etwas anderes dahinterstecken. Etwas, was wir vielleicht noch gar nicht bedacht haben.«

»Oder jemand, an den wir noch nicht gedacht haben«, ergänzte Marie, bevor sie, jede ihren eigenen Gedanken nachhängend, ihre Arbeit fortsetzten.

Am Abend ließ sie das Geräusch eines Lastwagens auf dem Vorplatz des Hofes neugierig aus dem Haus laufen. Jan sprang lachend aus dem Führerhaus, ging um das Fahrzeug herum und öffnete die automatische Ladeklappe.

»Bitte sehr, meine Damen!« Er machte eine einladende Handbewegung, worauf die beiden Frauen gespannt in den Innenraum des Lasters spähten.

»Das waren zwei richtige Schnäppchen, Ausstellungsstücke. Und wenn das nur für eine Übergangszeit ist, aber so ganz ohne Sofas sind die Wohnungen doch ungemütlich.«

»Das ist richtig lieb von dir, Jan, aber du hättest uns auf jeden Fall vorher fragen müssen.« Alexandra beobachtete unruhig, wie die Ladeklappe sich senkte.

»Keine Sorge, ich kann sie zurückgeben, wenn sie euch nicht gefallen. Aber um Zeit zu sparen, habe ich sie einfach schon mal mitgebracht.«

»Toll!« Marie klatschte begeistert in die Hände, als sie genau erkennen konnte, was Jan sich da geleistet hatte. »So ein rotes Sofa mit großen Kissen wollte ich immer schon mal haben, und das wusstest du. Das rote sollte doch für mich sein, oder?« Sie schaute ihn fragend an, worauf er lächelnd nickte.

»Typisch, und für mich ist natürlich das langweilig sandfarbene gedacht, hätte ich mir ja denken können!« Alexandra machte zuerst einen Schmollmund, ging dann aber lachend auf Jan zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Nein, im Ernst, das Sofa gefällt mir und passt perfekt in meine Wohnung. Ich wusste übrigens gar nicht, dass du so einen guten Geschmack hast«, frotzelte sie, »ist wohl jahrelang an mir vorbeigegangen.«

»Tja, da kanntest du mich auch noch nicht privat«, gab er grinsend zurück. »Also los, jetzt laden wir die Teile aus und bringen die alten in den Keller.«

»Aye, aye, Sir!« Alexandra knallte die Hacken zusammen und legte die Rechte zackig an die Stirn. »Ich wollte schon immer einen Mann im Haus haben, der mir sagt, wo's lang geht. Ich hätte die alten Sofas jetzt in den Garten gestellt, schließlich bin ich nur eine kleine, dumme Frau.«

»Jetzt sei doch nicht so empfindlich, Alexandra«, beschwichtigte Marie, »er meint es doch nur gut.«

»Aber wir sind die Herrinnen im Haus, vergiss das nicht, auch wenn er dir noch so gut gefällt. Es ist zwar alles gut, aber trotzdem hätte er uns fragen müssen.«

Die Sofas machten sich hervorragend und verliehen den Räumen eine neue Behaglichkeit. Bald erinnerte nur noch der säuerliche Geruch des in Mengen ausgelaufenen Weines, der trotz aller Säuberungsmaßnahmen immer noch in der Luft lag, an die überstandene Attacke.

Tatsächlich schaffte es das Labor, Teile der Onlinefahrkarte zu identifizieren, sodass der Käufer tatsächlich ermittelt werden konnte.

Niemand war überraschter als der türkische Gastwirt Akif Aslan, als der junge Kommissar Sebastian Breuer plötzlich vor ihm stand und ihn bat, ihm aufs Präsidium zu folgen.

Breuer hatte schon mit der Befragung begonnen, als sein Chef den Raum betrat und ihm mit einem Nicken bedeutete, fortzufahren.

»Ich weiß nicht, was Sie wollen. Ist es jetzt verboten, sich eine Fahrkarte zu kaufen? Letzte Woche hat meine Nichte in Mainz geheiratet. Das war ein großes Familienfest, verstehen Sie? Und jetzt haben Sie angeblich meine alte Zugkarte irgendwo gefunden, wo jemand die Möbel aufgeschlitzt hat? Kann ja wieder nur ein Türke gewesen sein, was? Das ist ja immer am einfachsten für euch.« Er schüttelte wütend den Kopf. »Außerdem habe ich meine Fahrkarte aufgehoben, sie muss noch bei mir im Büro liegen.«

»Das ist ja leicht zu überprüfen, Herr Aslan«, schaltete Jan sich betont höflich ein. Wir fahren einfach zu Ihnen und schauen nach.«

»Gut, dann machen wir das am besten sofort.« Akif Aslan erhob sich.

Jan hatte noch nie ein so aufgeräumtes Büro gesehen. Auf seinem eigenen Schreibtisch stapelten sich die Papiere, und obwohl er in diesem Durcheinander eine ganz eigene Ordnung besaß, sah es ziemlich chaotisch aus. Hier aber lagen nur wenige Zettel akkurat aufeinandergelegt auf der linken hinteren Ecke des Schreibtisches, daneben stand ein neuer PC und an der Wand hingen großformatige Landschaftsbilder, die Meer-, Strand- und Stadtimpressionen aus der Türkei zeigten. In seinen eigenen vier Wänden nahm Aslan sofort eine ruhige, selbstbewusste Haltung ein und bat seine beiden »Gäste«, doch ein Glas Tee mit ihm zu trinken. Nachdem sie in angemessener Zeit ihre Gläser – der Tee war köstlich – geleert hatten, stand Akif Aslan auf, um aus der Schublade seines Schreibtisches das geforderte Onlineticket zu holen. Aber dort war es nicht. Er rief nach seiner Frau und fragte sie, ob sie das Blatt weggeworfen habe, worauf sie wortreich und entrüstet antwortete, dass er doch wisse, dass sie seinen Schreibtisch niemals anrühre. Ihrem Mann wich daraufhin alle Farbe aus dem Gesicht. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und starrte auf die geöffnete Schublade.

»Gab es denn in den letzten Tagen jemanden, der sie hier im Büro aufgesucht hat und den Sie vielleicht für einen Moment allein gelassen haben?«, fragte Jan, inzwischen davon überzeugt, dass der Gastwirt nichts mit dem Überfall auf den Weinhof zu tun hatte.

Hoffnung glomm in Aslans Augen auf, als er jetzt den Kopf hob und Jan ernst ansah.

»Natürlich kommt es vor, dass ich den Raum mal verlasse, um zum Beispiel eine Lieferung zu kontrollieren, während der Fahrer manchmal hierbleibt.«

»Können Sie uns die Namen und Adressen der Lieferanten aufschreiben? Ich möchte das gern überprüfen.«

»Natürlich!« Der Gastwirt startete seinen Computer und druckte kurze Zeit später ein Blatt mit der aktuellen Lieferanten-Liste aus. »Hier«, sagte er, nachdem er die Angaben konzentriert betrachtet hatte. »Diese drei«, er fügte den betreffenden Namen ein Häkchen hinzu, »diese drei kämen in Frage. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sie etwas mit der Sache zu tun haben. Wir kennen uns schon seit Jahren.«

Jan griff nach dem Zettel und überflog ihn, dann stutze er, weil ihm ein bekannter Name ins Auge sprang.

»Sieh an, Sie beziehen von Raimund Welsch Obst und Gemüse für ihr Lokal?«

»Ja, er hat gute Ware, weil er Biobauer ist. Ich bin sehr zufrieden.«

»Sagt Ihnen der Name Giovanni Battner etwas?«, fragte der Hauptkommissar spontan.

Akif Aslan schüttelte nach einem kurzen Moment der Überlegung langsam den Kopf. »Wer soll das sein? Hat der etwas mit der Sache zu tun?«

»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Auf jeden Fall ist Battner ein Kollege von Ihnen, er besitzt ein italienisches Restaurant, und auch er wird von Welsch beliefert.«

»Also irgendwas muss dieser Welsch doch mit der Sache zu tun haben! Das kann doch kein Zufall sein, dass er sowohl Battner als auch Aslan kennt und beliefert. Battner mit illegal geschossenem Wild und Aslan mit Grünzeug.« Jungkommissar Breuer hatte sich festgebissen und schob unruhig die halbvolle Tasse Kaffee auf seinem Schreibtisch hin und her. Jan wartete förmlich darauf, dass es auf die darunterliegenden Akten schwappte – und richtig. »Scheiße!« Sebastian Breuer hob die Tasse in die Luft und machte ein ratloses Gesicht.

»Gib her.« Jan sprang auf und nahm ihm die Tasse ab. »Hast du nicht ein Taschentuch oder so was?«

»Ach ja!« Der junge Mann öffnete hastig die rechte Schreibtischschublade und nestelte ein Papiertuch aus der Folienpackung. »Mist, der Fleck ist drin, aber wenigstens ist die Tinte nicht verwischt«, sagte er, während er eifrig auf dem Fleck herumtupfte.

»Kunststück! Sei froh, dass die Polizei Laserdrucker benutzt«, grinste Jan, »Tinte war gestern. Und was Welsch betrifft, so konnten wir ihm nichts nachweisen, außer dass er aus seiner Pistole auf ein Wildschwein gefeuert hat. Wie du weißt, haben unsere Leute das Tier erst nach ein paar Tagen gefunden. Da Welsch es bereits angeschossen hatte, hat es sich verkrochen und ist in seinem Versteck zugrunde gegangen. Auf jeden Fall hat der Beschuldigte also für die fragliche Zeit, in der Hafner ums Leben gekommen sein muss, ein Alibi. Ein Nachbar, der zuerst nicht in den Fall reingezogen werden wollte, hat schließlich zugeben, mit Welsch zusammen nach dem angeschossenen Tier gesucht zu haben – ohne Erfolg, wie wir wissen.«

»Trotzdem ist der Professor mit Welschs Jagdgewehr erschossen worden, da geht kein Weg dran vorbei.«

»Das stimmt! Und auf dieser Waffe war kein einziger Fingerabdruck zu finden. Auch nicht seine eigenen, die auf den beiden anderen Waffen haufenweise zu finden waren. Wenn er sie selbst abgewischt hätte, hätte er sich damit nur noch verdächtiger gemacht. Oder er hätte alle Waffen wienern müssen, dann wäre es wieder logisch gewesen. Nein, ich glaube tatsächlich, dass ihm da jemand was anhängen will, so unsympathisch und verschlagen, wie er ist. Aber das habe ich natürlich nie gesagt, Sebastian.« Jan seufzte. »Wir müssen endlich eine brauchbare Spur finden, bevor noch mehr passiert.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und überlegte.

»Hast du diesen Johannsen eigentlich überprüft, der unangemeldet bei Alexandra und Marie vor der Tür stand und sich so aufdringlich nach dem Kochbuch erkundigt hat? Der könnte doch auch ein Motiv haben.«

»Klar! Fehlanzeige, für beide Abende hat er in Hamburg ein Alibi, sowohl, was den Mord, als auch, was den Vandalismus angeht. Johannsen war zu diesen Zeiten ganz sicher nicht hier.«

»Dann lass uns diesen Giovanni Battner noch mal unter die Lupe nehmen, irgendwie scheint er so eine Art Bindeglied zwischen den Verdächtigen zu sein. Vielleicht gibt es ja noch einen Aspekt, an den wir noch gar nicht gedacht haben.«

Eine halbe Stunde später standen sie in der Küche des La Vita und schnupperten genussvoll den mediterranen Kochdüften hinterher. Obwohl der Chef zuerst ein besorgtes Gesicht machte, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Kommissare waren eben auch nur Menschen, und diese beiden schienen – so fachkundig wie sie die Düfte analysierten – auch gutes Essen von schlechtem unterscheiden zu können.

»Darf ich Sie zu einem Teller frischer Nudeln einladen? Es redet sich einfach besser beim Essen. Elias, machst du uns drei Portionen von den Bolognese-Nudeln fertig? Wir sind dann drüben.« Er deutete auf den Gastraum.

»Klar, Papa, mache ich sofort«, nickte der angesprochene junge Mann ihm zu.

»Das ist Elias, mein Sohn«, sagte der Vater stolz, »er hat sich entschlossen, in meine Fußstapfen zu treten. Eigentlich ist er Patissier, was ja auch nicht schadet, aber er will lieber als Koch arbeiten. Seine Lehrjahre hat er hinter sich, jetzt haben wir vor, zusammen eine neue Linie zu kreieren.«

»War das immer schon so geplant?«, erkundigte sich Jan vorsichtig. »Ah, da kommen die Nudeln. Die duften ja ganz verführerisch.«

Der junge Koch lächelte. »Ich hoffe, Sie schmecken Ihnen genauso, wie Sie sich das vorstellen.«

Einen Moment lang herrschte andächtige Stille, dann folgte ein »Guten Appetit«, das von eifrigem Gabelgeklapper abgelöst wurde.

»Köstlich, einfach köstlich!« Jan sah von seinem Teller auf, auf dem sich breite Bandnudeln üppig mit dunkelroter Fleischsoße verbanden, auf der der frisch geriebene Parmesan schmolz. »Ihr Sohn scheint ein großes Talent zu besitzen.«

»Ja, das hat er wirklich. Man braucht zum Kochen nicht nur das praktische Können, sondern auch eine Zunge, die erspürt, welche Zutaten einem Gericht guttun und was man verändern kann oder sogar muss.«

Der dunkle Lockenkopf des jungen Kochs erschien in der Türöffnung. »Na, schmeckt's?«

»Köstlich«, riefen die beiden Kommissare wie aus einem Munde, während Giovanni Battner seinem Sohn stolz zunickte.

»Also, um den Faden noch einmal aufzunehmen, Herr Battner«, wandte sich Jan noch einmal an den Chef, nachdem sie ihr Mahl beendet hatten, »hatten Sie immer schon vor, mit ihrem Sohn das Geschäft auszubauen?«

Battner blickte nachdenklich auf den Tisch, bevor er die Augen hob und von einem zum anderen sah. »Sagen wir mal so: Gewünscht habe ich mir das immer schon, dass mein Sohn mit in das Geschäft einsteigt, aber zuerst wollte er das nicht. Da uns die Kochleidenschaft aber im Blut liegt, ist er Patissier geworden, um sich jetzt aber wieder umzuorientieren. Zurück zu den Wurzeln, könnte man sagen.«

»Hat es dafür einen Grund gegeben, also einen äußeren Anlass?«, schaltete sich Sebastian in das Gespräch ein.

Battner dachte einen Moment nach. »Nein, eigentlich nicht. Ich denke, der Junge ist einfach nur erwachsen geworden und hat gemerkt, dass er sein Talent als Konditor nur teilweise ausleben kann.«

»Und dieser Welsch, der Sie mit«, der Kommissar machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor er fortfuhr, »Wildbret beliefert, was ist das für ein Mensch?«

Dem Gastwirt war die Frage peinlich, was ihm deutlich anzusehen war. »Sind Sie deshalb hier?«, rang er sich schließlich ab, bevor er sich entschloss, die Flucht nach vorn anzutreten. »Geht es um das illegal geschossene Wild, mit dem er mich ab und an beliefert?«

»Nein, Herr Battner, mit solchen Dingen pflegt die Mordkommission sich nicht herumzuärgern. Aber keine Sorge, wir wollen Ihnen nichts anhängen. Mit Welschs Waffe ist Ihr Freund Balduin Hafner erschossen worden. Sind Sie gut mit dem Mann befreundet?«

»Gott bewahre! Nein, nein, ich sage das jetzt nicht einfach so. Der Kerl gehört zu der höchst unangenehmen Sorte. Aber die Ware ist gut und der Preis in Ordnung. Sie wissen ja, ich muss scharf kalkulieren!«

»Wie haben Sie Welsch kennengelernt?«

»Er stand eines Tages einfach mit drei geschossenen Kaninchen in meiner Küche und warf sie mir auf die Arbeitsplatte. ›Überzeugen Sie sich‹, sagte er, ›hier ist meine Nummer, wenn Sie mehr wollen, nur zu!' Nach einigen Malen haben ich, mein Sohn oder einer meiner Leute die Ware aber doch bei ihm abgeholt. Ich wollte nicht, dass er hier ständig aufkreuzt.«

»Kannte Welsch Ihren Freund Hafner?«, wollte Jan wissen.

Der Wirt kratzte sich nachdenklich den Kopf. »Da fragen Sie mich was! Balduin war oft hier, aber ob er Welsch am Anfang mal über den Weg gelaufen ist, kann ich nicht mehr sagen. Ausgeschlossen ist das nicht, aber gesprochen haben wir nie darüber.«

Elias Battner nahm seinem Vater die schmutzigen Teller ab, als die Kommissare sich zum Gehen wandten.

»Sagen Sie, haben Sie sich verletzt?«, fragte Jan unvermittelt, als er sah, dass die rechte Hand des jungen Kochs mit einem Verband umwickelt war.

»Künstlerpech«, grinste Elias Battner. »Kochen kann auch ziemlich gefährlich sein. Aber was soll's?«, er zuckte gleichgültig die Achseln, »damit müssen wir halt leben.«

»Ich bin mir sicher, dass es da eine Verbindung gibt«, sagte Jan am Abend zu Marie und Alexandra, als sie gemeinsam in der Küche saßen.

»Du bist so still, Marie«, wandte sich Alexandra an ihre Freundin, die geistig völlig abwesend zu sein schien und jetzt zusammenschrak.

»Ich grüble schon die ganze Zeit darüber nach, ob ich etwas überhört oder übersehen habe, als ich bei Giovanni in der Küche gearbeitet habe. Etwas, was wichtig sein könnte ...«

»Weißt du was über sein Privatleben? Da Battner nicht zu den Verdächtigen gehört, haben wir das nur ansatzweise recherchiert.«

»Ich weiß, dass er in zweiter Ehe wohl ziemlich glücklich verheiratet ist und sein Sohn aus seiner ersten Ehe stammt. Elias' Mutter ist schon einige Jahre tot, und zu seiner Stiefmutter hat er ein gutes Verhältnis. Jedenfalls stellte sich das so dar, wenn sie Mann und Sohn in der Küche besuchte.«

»Warum arbeitet sie nicht im Restaurant?«

»Sie ist Lehrerin. Am Wochenende hilft sie manchmal mit, damit sie ihren Mann wenigstens auch mal außerhalb des Ruhetages sieht, wie sie mir etwas frustriert gestand.«

»Sie wird ja Hafner sicher auch gekannt haben. Hat sie dir was darüber erzählt?«, hakte Jan nach.

»Warte mal ..., ja ..., sie mochte ihn gern und ..., jetzt fällt es mir wieder ein, sie hat mir mal erzählt, dass es wohl eine Zeit gegeben hat, in der ihr Mann und Hafner fürchterlich zerstritten waren und überhaupt keinen Kontakt mehr hatten. Erst sah es so aus, als ob sie mir noch mehr erzählen wollte, dann tat sie es aber doch nicht.«

»Das ist ja interessant! Aber nach dieser Zeit waren sie wieder die besten Freunde, oder?«

»Genau, sie müssen sich besser verstanden haben als je zuvor.«

»Diese Nacht habe ich wieder von Hafner geträumt.« Alexandra machte auf Maries ängstlichen Blick hin eine abwiegelnde Handbewegung und schüttelte leicht mit dem Kopf, worauf die Freundin erleichtert aufseufzte.

»Habe ich da was verpasst?«, fragte Jan, während er von einer zur anderen schaute.

»Nein, ist schon gut. Alexandra träumt manchmal schwer und dann mache ich mir Sorgen um sie.« Von ihrer Befürchtung, die Freundin habe sich wieder in ihre Medikamente geflüchtet, erwähnte sie nichts.

»Jan, ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, dir etwas zu sagen. Wenn wir hier schon so eng zusammenwohnen, wirst du es sowieso irgendwann merken.« Alexandra holte tief Luft, bevor sie kurz entschlossen begann: »Ich habe meinen Beruf nicht ganz freiwillig an den Nagel gehängt.« Sie machte eine Pause, in der sie mit sich zu kämpfen schien, dann wandte sie sich Jan wieder zu, der sie jetzt gespannt ansah. »Mein Problem war, dass ich zu jedem Toten, der vor mir auf dem Seziertisch lag, eine genaue Vorstellung seiner Lebensgeschichte hatte. Das wäre an sich nicht so schlimm gewesen, wenn es sich durch meine Nachfragen nicht auch immer als wahr herausgestellt hätte. Ein paar Mal konnte ich euch, ohne dass ihr es gemerkt habt, auf die richtige Fährte bringen. Die Fälle kann ich dir aufzählen.« Sie lächelte gequält, während Jan sie ungläubig anstarrte. »Auf jeden Fall hat mich das alles mehr und mehr belastet und ich begann, Tranquilizer zu nehmen, womit ich mich eine Zeit lang ganz wohl fühlte, bis ich merkte, dass ich kurz davor war, gravierende Diagnosefehler zu machen, weil ich inzwischen von dem Zeug abhängig war. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich entschloss zu gehen. Nur Marie und meine Mutter kannten den wahren Grund, ihr anderen hättet mich bestimmt für verrückt gehalten, und du zweifelst ja im Moment auch an meinem Verstand, so wie du mich anguckst.«

Jan hob abwehrend beide Hände. »Um Gottes willen, nein, bestimmt nicht. Obwohl, na ja ..., so was Verrücktes habe ich noch nie gehört.« Er versuchte ein Grinsen. »Jedenfalls bin ich inzwischen auch davon überzeugt, dass es Dinge gibt, die wir uns nicht erklären können, aber ich hüte mich im Job natürlich davor, das in die Ermittlungen einfließen zu lassen. Aber ...«, er blickte Alexandra unsicher an, »liebes Leben ..., da hast du dir aber was ausgesucht!«

»Leider konnte ich mir das nicht aussuchen, dann hätte ich sicher Nein geschrien.«

Jan war noch nicht so ganz von der Sache überzeugt, wie er insgeheim feststellte, vielleicht war Alexandra ja doch ein Fall für den Psychiater, aber Marie schien ihr zu glauben, und sie kannte Alexandra schon ewig. Außerdem besaß sie einen gesunden und praktischen Menschenverstand, sodass sie sich sicher kein X für ein U vormachen ließ. Er musste sich das alles noch mal durch den Kopf gehen lassen, bevor er ein Urteil über diese bizarre Eröffnung fällte.

»Was hast du denn eigentlich geträumt?«, fragte Marie jetzt.

»Hafner war in seiner Wohnung und ich besuchte ihn. Er sagte, von dem Mörder hätten wir noch überhaupt keine Ahnung, und alles sei ganz anders, als wir dächten. Dann haben wir ein Glas Rotwein zusammen getrunken, seinen Lieblingswein, wie er sagte, einen Vino Nobile di Montepulciano. Der Wein war wunderbar«, sagte Alexandra versonnen, »dann bin ich aufgewacht.«

»Dein Traum in Ehren, aber dass wir die richtige Fährte noch nicht gefunden haben, sehe ich auch so. Vielleicht hilft uns diese Freundschaftsgeschichte weiter. Kannst du Battners Frau nicht noch einmal unter einem Vorwand besuchen, Marie, sie zum Kaffee einladen oder so? Bei mir sagt sie bestimmt nichts, wenn ich danach frage.«

»Hm, so gut kenne ich Marlene Battner ja auch nicht, aber ich lasse mir was einfallen.«