Leben Nr. 2:
Bewerber
Ein Leben als Personalreferent

 

Ich saß gerne an meinem Schreibtisch. War eben ein schöner Tisch. Erle furniert, mit Sichtblende für die Beine und mattierten Chromfüßen. Die passten prima zu den verchromten Regalen und den pfiffigen Chromschwinger mit Lederpolster an dem kleinen Besprechungstisch neben der Yucca-Palme.

Auf die Chromschwinger war ich besonders stolz. Heute wären die so nicht mehr zu bekommen, schon gar nicht mit Lederpolster. Tatsächlich mußte ich sie erst vor ein paar Wochen mit Klauen und Zähnen verteidigen, als im Rahmen des neuen Sparprogramms auch die Richtlinien für Büromöbel überarbeitet wurden. Wo war denn da der Spareffekt, bereits vorhandene Stühle gegen neue auszutauschen? Selbst wenn die nur ein Bruchteil der alten Stühle kosteten. Was man ihnen übrigens auch ansah.

Da gab es wirklich andere Bereiche in unserem Konzern, wo man mal mit dem Sparen anfangen konnte. Aber wozu aufregen? Schließlich mochte ich meinen Job und mein Büro - auch wenn ich in ruhigen Momenten manchmal dem Gedanken nachhing, ob Massivholz nicht doch besser gewesen wäre als bloß Furnier. Vielleicht Vogelaugenahorn? War letztlich auch egal. Trotz meiner Affinität zum Marketing und allem, was damit zusammen hing, wäre ich der Letzte, der zuviel Energie auf Äußerlichkeiten verschwenden würde.

Ich hatte die Tür zu meinem Vorzimmer geschlossen. Ein Zeichen für unsere Sekretärin Sabine, dass ich konzentriert arbeiten und nicht gestört werden wollte. Vor mir auf dem Schreibtisch lag ein einzelnes Blatt Papier, auf das ich mehrfach meinen Namenszug geworfen hatte. Ich dachte ernsthaft darüber nach, mir einen Zweitbuchstaben zuzulegen.

Am besten wäre natürlich ein Doktortitel. Aber das wäre ziemlich aufwändig geworden, zumal ohne abgeschlossenes Studium. Das hatte ich nach dem Vordiplom abgebrochen. Ursprünglich, um mich der Kunst des Schreibens zu widmen, sehr schnell aber, um mich der ebenso faszinierenden Kunst des unverhofften Geldverdienens zuzuwenden. Was meinen persönlichen Finanzstatus anging, konnte ich eigentlich ganz zufrieden sein, auch ohne Diplom oder Doktor.

Trotzdem brachte ich probehalber einige ‘Dr. Andreas Aschberg’ zu Papier. Einfach, um es auf mich wirken zu lassen. Die Wirkung war beachtlich. Ganz erstaunlich, was so zwei kleine Buchstaben und ein Pünktchen ausmachten. Keine Frage, ich mußte etwas tun, um meinen Namenszug aufzuwerten. Wenn schon keinen Doktor, dann wenigstens einen Zweitbuchstaben.

In meinem alten Job wäre mir das wohl nicht in den Sinn gekommen. Hätte auch nicht gepaßt, ein Doktor in einer Banderolen-Druckerei für Konservendosen. Ich hatte mich da nie richtig heimisch gefühlt, trotz Dienstwagen und einem ausgesprochen ordentlichen Gehalt für einen mittellosen Studenten und Möchtegern-Schriftsteller. Ganz zu schweigen vom Titel eines Geschäftsführers. Meine ehemaligen Kommilitonen waren ganz grün vor Neid gewesen. Nicht alle natürlich und nicht wirklich grün. Aber die hatten auch alle kein Diplom, noch nicht jedenfalls, und erst recht keinen Doktor, und einen BMW hatten sie auch nicht. Jedenfalls keinen, den sie sich selbst verdient oder finanziert hätten. Ich gebe es zu, ich genoß diese Tatsache. Trotz der kleinen Kröte, dass der Arbeitstag eines Geschäftsführers, selbst wenn man es behutsam anging, ein kleines bißchen anders aussah, als der eines Studenten. Zur Arbeit an meinen schriftstellerischen Fähigkeiten blieb da kaum Zeit. Man merkte es an den Einleitungen. Noch immer weit weg von der pointierten Klarheit und Kürze, die ich mir gewünscht hätte.

Aber Konserven waren einfach nicht der Traum meiner schlaflosen Nächte, und so unverhofft ich damals durch einen irrwitzigen Zufall ohne jede Vorkenntnisse an den Job gekommen war, so schnell war ich ihn nach gut zwölf Monaten auch wieder los. Der Firma ging es nach diesen zwölf Monaten nicht besser als vorher, aber, und darauf war ich schon ein bißchen stolz, auch nicht wesentlich schlechter. Das war letztlich der Punkt. Ich hatte den Job gut genug hinbekommen, so dass der Mehrheitseigentümer in der Zwischenzeit den Laden einem ausländischen Investor zum Ausschlachten schmackhaft machen konnte. So war von Beginn an der Plan meines Mentors Dr. Müller gewesen.

Die alte Geschäftsführung inklusive meiner Wenigkeit wurde nun nicht mehr benötigt, weshalb mein Mentor in weiser Voraussicht auch nur einen Zeitvertrag mit mir abgeschlossen hatte. Das ersparte ihm einen Aufhebungsvertrag und eventuelle Ansprüche meinerseits auf eine Abfindung.

Nun, der Job war auch nicht wirklich etwas für Feingeister gewesen.

Das sollte nicht heißen, dass ich mich als Feingeist sah, was genau das auch immer sein mochte. Ich glaubte nicht, dass ein echter Feingeist hinter einen Schreibtisch aus Furnierholz gehörte. Ich stellte mir da eher englische Zeder vor, oder ein elegantes französisches Lackmöbel. Aber eine gewisse feingeistige Ader verspürte ich in mir, und ich war fest entschlossen, dieser eines Tages freien Lauf zu lassen. Bis es soweit war, konnte es nicht schaden, weiter an einer Karriere in der Wirtschaft zu arbeiten, und da kam es - gerade in großen Konzernen - vor allem auf die Außenwirkung an. Marketing eben.

Ich war in einem solchen Konzern gelandet. Gerade hatte ich meinen BMW zurückgeben müssen und mir ausgemalt, was meine ehemaligen Kommilitonen sagen würden, wenn ich nun wieder in der Uni aufliefe. Mal ganz abgesehen davon, dass ich jetzt mehrere Semester zurück lag und über keine laufenden Einkünfte mehr verfügte. Dafür über eine ziemlich kostspielige Altbauwohnung in bester Stadtrandlage. Nein, ich konnte nicht zurück.

Da ließ mein alter Freund Spock bei der schmerzvollen Rückgabe von Wagenschlüsseln und Fahrzeugpapieren durchblicken, dass er vielleicht etwas für mich wüßte. Spock war mein Personalbetreuer bei der BANDEROL gewesen und so etwas wie mein Entdecker. Er selbst würde das wahrscheinlich anders sehen, und ohne die unerklärliche Affinität seines Chefs, Dr. Müller, zu meiner jugendlichen Unverbrauchtheit und Naivität wäre ich auch niemals auf dem Geschäftsführungsposten bei der BANDEROL gelandet. Nun aber war ein Band geknüpft, dem auch Spock sich ein Stück weit verpflichtet fühlte.

„Irgendwas mit Marketing?“, wollte ich wissen. Das hätte Sinn gemacht, schließlich hatte ich mich ein Jahr lang um Marketing und Vertrieb in der Banderolendruckerei gekümmert.

„Leider nein. Personalbereich“, sagte Spock.

„Oh“, sagte ich.

Spocks mächtige Ohrmuscheln wackelten tadelnd.

„Immerhin eine Referentenstelle und zwar ziemlich weit oben in der Hierarchie angesiedelt. Mit Einzelbüro und unter Umständen sogar wieder mit Dienstfahrzeug. Ich könnte Sie da ins Spiel bringen, wir gehören zu den Anteilseignern. Aber wenn Sie kein Interesse haben…“

„Oh doch“, sagte ich. „Klar habe ich Interesse. Personalbereich? Prima!“

Die Ohren nickten zustimmend.

Was auf den ersten Blick wie eine Schnapsidee aussah, war auf den zweiten Blick gar nicht so abwegig. Welche Disziplin, mal abgesehen von Marketing, lag denn näher als Personalwesen für jemanden, der nur über geringe theoretische Kenntnisse verfügte? Wohl kaum Controlling oder Logistik, da mußte man rechnen können wie ein Vulkanier und wissen, was eine Deckungsbeitragsrechnung war oder eine Lieferwegeoptimierung. Und ein Mann der Produktion war ich schon gleich gar nicht. Also Personalabteilung. Warum eigentlich nicht?

Schade, dass ich nicht Rainer hieß. Dann wäre mir die Entscheidung leicht gefallen. Einfach ein ‘M.’, und ein paar Bände Rilke unauffällig neben dem Personalhandbuch ins Bücherbord plaziert. Das wäre genau die intellektuelle Note, die zu mir gepaßt hätte.

Aber den Vornamen mußte ich wohl als gesetzt betrachten. Ich sinnierte also eine Weile über die Vor- und Nachteile von verschiedenen Buchstaben-Kombinationen, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Eine weitere Alliterationen, das war die Lösung! Natürlich: Andreas A. Aschberg, kurz ‚AAA‘.

Triple-A, phantastisch! Glaubwürdigkeit, Bonität, Vertrauen. Das waren meine Attribute.

Ich griff nach meiner To-Do-Liste. Erstens: Neue Visitenkarten bestellen. Zweitens: Gedichtband von Rilke besorgen! Auch ohne einen Rainer M. fand ich die Idee gut, meinen kraftstrotzenden Namenszug mit etwas feingeistiger Nahrung im Bücherregal abzurunden.

Nach einer Weile fügte ich einen dritten Eintrag hinzu: Neues Türschild.

Ich war ausgesprochen zufrieden mit mir. Ich war noch keine Stunde im Büro und hatte doch das Gefühl, in dieser Zeit schon mehr für meine Karriere getan zu haben, als in der ganzen letzten Woche.

Es klopfte.

"Bitte?" Ich war leicht irritiert. Sabine wußte doch genau, dass ich zu tun hatte. Es mußte etwas wichtiges sein, wenn sie mich trotzdem störte.

"Ihr Besuch ist da, Herr Aschberg", kündigte Sabine förmlich und eine Spur unterkühlt an. Sie mochte es nicht, wenn ich die Tür zum Vorzimmer zu machte und sie damit quasi von wichtigen Vorgängen ausschloß. Wahrscheinlich Angst vor Kontrollverlust. Keine Sekretärin mochte es, wenn der Chef eigenmächtige Entscheidungen traf.

In der Tür stand ein tiefgebräunter Mann. Glattrasiert mit pechschwarzem Haar und südländischen Gesichtszügen. Möglicherweise Araber, und für einen Südländer von ungewöhnlich großer Statur, fast so groß wie ich. Er trug einen geschmackvollen sandfarbenen Einreiher, der seine geschmeidige Figur unaufdringlich zur Geltung brachte. Vielleicht lag es an der straffen Körperhaltung, auf jeden Fall versprühte der Mann schon im Stehen eine beeindruckende Vitalität.

Da konnte ich trotz Tripple-A nicht mithalten. Ich warf mir schnell mein Sakko über, um nicht allzu hemdsärmelig zu wirken. Als Personaler war seriöse Ausstrahlung oberstes Gebot.

Ich schenkte dem Mann ein gewinnendes Lächeln.

"Ah ja, natürlich! Kommen Sie doch herein." Ich reichte dem Mann zur Begrüßung die Hand. Wer zum Teufel war das?

Egal. Ohne mir das Geringste anmerken zu lassen, dirigierte ich meinen Gast mit einladender Geste zum Besprechungstisch hinüber. Ich deutete auf einen Chromschwinger, damit der Bursche erst mal Platz nahm.

"Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Herr ... , ähm... Kaffee?!"

"Gerne". Eine feste, angenehme Stimme.

Sabine wandte sich ab, um den Kaffee zu holen.

"Warten Sie, Sabine, das erledige ich selbst", wies ich unsere Sekretärin an, die verdutzt die Augenbrauen hob. Was gab es denn da zu schauen?! Die Frau tat gerade so, als wäre ich nicht in der Lage, uns selbst einen Kaffee zu holen. Wenn wir allein waren, war das etwas anderes. Da konnte Sabine ruhig Kaffee machen, ich konnte mich schließlich nicht um alles selber kümmern. Aber wenn Gäste dabei waren? Wo kamen wir denn da hin?  Wir pflegten hier schließlich einen modernen und kooperativen Führungsstil, und das sollte man ruhig auch sehen.

Vor allem aber wollte ich ein paar Sekunden mit Sabine allein sein, um außer Hörweite zu klären, was hier eigentlich vorging.

„Wer zum Teufel ist das?“, stellte ich Sabine die Frage, die mich schon die ganze Zeit umtrieb.

"Das ist der Bewerber", beschied mir meine Sekretärin schnippisch, als wäre damit alles geklärt.

"Was denn für ein Bewerber?" Ich hatte eine To-Do-Liste so lang wie unser neues Sparprogramm. Ich konnte nicht jeden Termin im Kopf haben.

"Der neue Projektleiter", zischte Sabine. "Sie wissen doch, für das Großprojekt bei Dr. Meierfeld."

"Meierfeld. Natürlich". Jetzt war ich wieder im Bilde. Dr. August Meierfeld. Um genau zu sein: Dr. August F. Meierfeld. Dieser Angeber: Doktor und Initialen! Meierfeld war unser Technik-Vorstand. Super eilig, super wichtig. Wie immer. Irgendwer in seinem Bereich hatte bei der Planung des neuen Großauftrags ganz vergessen, dass man ja auch einen Projektleiter brauchte.

Ich drückte den erstbesten Knopf an der Kaffeemaschine. Ich hatte mir das verdammte Ding noch nie näher angeschaut. Ein riesiges Display und duzende Knöpfe. Da hätte ich ja gleich in die Technik gehen können, anstatt in den Personalbereich. Das Bedienfeld hatte Ähnlichkeit mit dem NASA-Leitstand in Fort Worth. Nicht das ich schon jemals in Fort Worth gewesen wäre, aber so stellte ich es mir dort vor.

Die Details zu dem neuen Großauftrag waren noch geheim, aber auf jeden Fall mußte als Projektleiter ein Schwergewicht von internationalem Format her. Etwas anderes kam für Dr. A. F. überhaupt nicht in Betracht. Intern hatten wir niemanden abkömmlich für so einen Job, also mußte eben jemand von extern geholt werden.

Kein Kaffee. Ich probierte weitere Knöpfe und fragte mich, wo wir wohl Milch und Zucker aufbewahrten. Wer mußte es jetzt wieder richten?! Natürlich die Personalabteilung. Aber wir würden dem Meierfeld schon zeigen, was wir drauf hatten. Vielleicht kam er dann auf die Idee, den Rotstift erst mal woanders anzusetzen. Im Controlling zum Beispiel, oder vielleicht sogar bei seinen eigenen Leuten. Gegen den Gemeinkostenblock in der Technik nahmen sich die Sachkosten im Personalbereich aus wie ein Almosen. Selbst wenn wir die gesamte Abteilung mit Chromschwingern überschwemmt hätten.

Ich bedeutete Sabine, dass sie sich endlich um den Kaffee kümmern sollte. Ich hatte schließlich ein wichtiges Gespräch vor mir und wollte meinen Gast nicht länger warten lassen. Auf dem Weg zurück in mein Büro schnappte ich mir mit einer lässigen Bewegung die Bewerbungsmappe von Sabines Schreibtisch und warf einen unauffälligen Blick auf die Daten.

"Also, Herr Abodel Sarif", strahlte ich, während ich mich in die Lederpolster gleiten ließ, "wie wäre es, wenn wir uns erst mal ein bißchen näher kennenlernen?!"

"Abu del Sarif. Gerne."

Oh je, ein Besserwisser. Das konnte ja heiter werden.

"Sie wissen, es geht um die Leitung eines großen Projektes", startete ich. "Wir gehören zu den renommiertesten internationalen Anlagenbauern und treten prinzipiell als Generalunternehmer auf. Alles aus einer Hand, das ist unser Motto."

"Da gilt es, viele hundert Gewerke gleichzeitig zu koordinieren", fuhr ich fort. "Wie sind denn Ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet?!"

Abu dul Suruf lächelte freundlich. "Oh, ich bin es gewohnt, große Projekte zu leiten. Schon mein Vater war in diesem Geschäft tätig, und ich bin quasi auf Baustellen groß geworden."

"Mein Vater legte großen Wert darauf, dass ich mir zu allen Aufgaben und Vorgängen eine eigene Meinung bilden konnte, und so achtete er darauf, dass ich eine Tätigkeit immer erst selber ausführte, bevor ich sie leitete oder überwachte."

"Das ist aber ganz beachtlich", gab ich zu bedenken. "Erfordern die vielen unterschiedlichen Techniken, die heute eingesetzt werden, nicht eine unglaubliche Vielfalt an Spezialkenntnissen?" Mal sehen, wie er mir das erklärte. Einen detailverliebten Spezialisten konnten wir hier nicht brauchen. Wir suchten einen Projekt-Manager, der die Gesamtverantwortung für ein dreistelliges Millionen-Budget schulterte.

Wieder ließ mich mein Gegenüber in den Genuß seines entwaffnenden Lächelns kommen. "Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass meine Ausbildung bereits sehr früh begann. Als ich an die Universität kam, hatte ich von vielen Dingen, die dort gelehrt wurden, bereits eine praktische Vorstellung. Das hat mir meine Studienzeit sehr erleichtert. Später, mit wachsender Verantwortung, wuchs auch die Notwendigkeit, sich mehr mit grundsätzlichen Fragestellungen zu befassen, und ..."

"Was haben Sie denn studiert?", harkte ich ein. Da war er mir doch zu eilig drüber hinweggegangen. Es war eine meiner Stärken, Lücken im Lebenslauf eines Gesprächspartners aufzuspüren, die andere gerne übersahen.

"Ich habe in Kairo meinen Abschluß als Bauingenieur gemacht und in Werkstoffkunde promoviert." Zum Teufel, noch so ein Doktor. Das würde Meierfeld gefallen, auch wenn ich meine, dass man eine Promotion in Ägypten nicht überbewerten sollte. Ist nicht mit den Standards an unseren Universitäten vergleichbar.

"Ich habe dann einige Jahre in den Deutschland gelebt und gearbeitet. Da meine Ausbildung in Ägypten sehr technisch orientiert war, habe ich hier einen Abschluß in Betriebswirtschaftslehre erworben. Ich muß sagen, dass ich dadurch sehr viele neue Eindrücke gewinnen konnte. Vertieft habe ich das Thema 'Führung und Motivation', was mir auf meinem späteren Lebensweg sehr zugute gekommen ist."

"Und einen MBA haben Sie natürlich auch?", versuchte ich einen kleinen Scherz. Die Ausbildung dieses Mannes war ja geradezu unheimlich.

Wieder dieses Lächeln. "Ich sehe, Sie haben meine Unterlagen sorgfältig studiert", sagte Abu Salscha anerkennend. "Leider war mein Aufenthalt in den USA wegen meiner Herkunft auf zwei Jahre begrenzt, aber ich konnte in dieser Zeit einen Master of Business Administration in Standford erwerben. Eine gute Ergänzung zu meiner Ausbildung in Deutschland, möchte ich sagen".

"Natürlich", murmelte ich leicht angeschlagen. Stanford, wo sonst?! Ich war selbst in Stanford gewesen. Aber ich hatte da nur die Führung mitgemacht, und war am Nachmittag wieder zurück auf den Highway No. 1, so wie alle Touristen, die im Urlaub Amerikas Westküste zwischen San Francisco und Los Angeles bereisen. Man kommt auf dem Weg ja direkt an Stanford vorbei.

Nun gut, das Kapitel Ausbildung konnte ich wohl als abgehakt betrachten.

"Lassen Sie uns über Ihre praktischen Erfahrungen sprechen", nahm ich das Zepter wieder in die Hand. "Was würden Sie sagen, ist die wichtigste Eigenschaft, die man in einem solchen Job braucht?"

Abu Schlosal zögerte keine Sekunde. "Das Wichtigste ist der Erfolg des Projektes. Unsere Auftraggeber vertrauen uns große Summen an und haben große Erwartungen. Damit die nicht enttäuscht werden, muß man Probleme rechtzeitig erkennen. Man muß sie erahnen, bevor sie überhaupt zu Problemen werden, und sofort energisch gegensteuern. Das ist sehr wichtig in einem großen Projekt."

Keine schlechte Antwort. Aber ich konnte ihn nicht so leicht davonkommen lassen.

"Ich stimme Ihnen zu", sagte ich. "Aber wo Menschen involviert sind, werden auch Fehler gemacht. Wie gehen Sie damit um, wenn doch einmal ein Problem auftritt, das Sie nicht vorhergesehen haben?"

"Ich bin ein Teamplayer", lächelte Abu Schlemil. "Wenn doch mal ein Problem auftritt, lösen wir es im Team. Es wäre falsch zu denken, dass man sich um alles persönlich kümmern kann. Wichtig ist, dass man eine gute Führungsmannschaft um sich herum aufbaut."

Soweit ich das beurteilen konnte, war auch diese Antwort okay. Meine eigene Projekterfahrung hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch in Grenzen, aber was ich von unseren Projektleuten draußen vor Ort so hörte, schienen eine gute Führungsmannschaft und eine griffige Projektstruktur tatsächlich wesentliche Erfolgskriterien zu sein.

Obwohl: Bei allem Teamgeist mußte man als oberster Projektleiter auch mal hart durchgreifen können. Da war ich mir bei Abu Schlotof nicht so sicher. Ständig dieses verbindliche Lächeln. War der Mann am Ende zu weich für so einen Knochenjob?!

"Und wenn doch mal jemand aus dem Team versagt?", wollte ich wissen.

"Jeder Mensch kann einmal einen Fehler machen", lächelte Abu Suhamel nachsichtig.

Ah, dachte ich bei mir, gleich hab' ich Dich.

"Aber den gleichen Fehler zweimal zu machen, das ist unverzeihlich." Das Lächeln blieb wo es war, aber seine Augen bekamen plötzlich einen harten metallischen Glanz. Die Haut spannte über den Wangenknochen und der Mann sah plötzlich 100 Jahre älter aus. Wie ein lebendiger Totenschädel.

"Wenn es sein muß, kann ich hart durchgreifen. Sehr, sehr hart." Abrupt war alle Wärme aus der Stimme gewichen. Ich vergewisserte mich unwillkürlich, ob mein Gast noch brav in seinem Chromschwinger saß. Seine Präsenz war so unheimlich, dass ich meinte,  Abu Suhamil hätte sich soeben erhoben und drohend vor mir aufgebaut.

Nichts von alledem. Da saß er brav in seinem Besuchersessel und war schon wieder ganz der Alte. Freundlich und verbindlich. Er bedachte mich mit einem anerkennenden Blick aus seinen warmen, braunen Augen.

"Vorzüglicher Kaffee", lobte er in bester Plauderlaune.

Ich atmete einmal tief aus. "Freut mich, dass er Ihnen schmeckt", erwiderte ich im gleichen belanglosen Tonfall. Meine Nackenhaärchen, die sich eben noch aufgeregt durch meinen Hemdkragen bohren wollten, machen es sich wieder hinten am Hals bequem.

Alles in allem schien der Mann in kniffligen Situationen durchaus die notwendige Stärke zeigen zu können.

Ich wechselte erneut das Thema, war aber nur noch halbherzig bei der Sache. Ich erwartete nicht mehr wirklich, auf eine Schwäche zu stoßen.

"Wer war Ihr letzter Auftraggeber, wenn ich fragen darf?"

Wieder dieses selbstsichere, aber keinesfalls überhebliche Lächeln. "Das jordanische Königshaus. Wie Sie meinen Referenzen entnehmen können, war man sehr zufrieden mit meiner Arbeit".

"Natürlich, natürlich". Das jordanische Königshaus. Wer sonst?! Und davor wahrscheinlich der japanische Kaiser, aber ich behielt diesen Gedanken vorsorglich für mich. Schließlich hatte ich die Unterlage nicht wirklich gründlich studiert, am Ende stimmte es.

"Was war denn das größte Team, das Sie bisher geleitet haben?", wollte ich wissen. Da wir für unser neues Kraftwerk mit mehreren hundert Beschäftigten vor Ort rechneten, wußte ich, dass das ein wichtiges Entscheidungskriterium für Meierfeld war.

"Auf meiner größten Baustelle habe ich ein Team von fast 50 Personen aufgebaut, und..."

"50 Personen?", unterbrach ich. Hatte ich ihn am Ende doch noch erwischt. "Ich meine, 50 Leute sind natürlich schon ein ganz ordentliches Projektteam. Aber aufgrund Ihrer Schilderungen hatte ich angenommen, ..."

Ich machte eine kleine Kunstpause, um meinem Gegenüber Gelegenheit zum Einhaken zu geben. Auf diese Erklärung war ich aber gespannt.

"50 Teilprojektleiter", präzisierte Abu Scharif. "Das war unsere Führungsmannschaft, wenn Sie so wollen." Wieder dieses enervierende Lächeln.

"In Summe war ich verantwortlich für fast 10.000 Menschen".

Das saß! 10.000 Menschen, das waren fast so viele, wie unsere gesamte Unternehmensgruppe aufzubieten hatte. Von so einer Baustelle hatte ich überhaupt noch nicht gehört. Nicht in unserer Branche und auch sonst nicht.

"In Afrika arbeiten wir noch ziemlich personalintensiv", erläuterte Abu Schenref.

"Natürlich..., ähm, sehr beeindruckend. Wirklich sehr beeindruckend!" Ich war tatsächlich beeindruckt. Das war unser Mann, gar keine Frage. Ein absoluter Glücksfall, und das gleich im ersten Gespräch. Aber gut, das war natürlich auch meine Stärke. Der richtige Riecher spielte eine große Rolle. Schließlich hätte ich auch einen anderen Kandidaten aus dem Stapel ziehen können, als ich Sabine letzte Woche bat, so schnell wie möglich irgendeinen Termin zu vereinbaren, um Meierfeld ruhig zu stellen.

Gut, genaugenommen hatte Sabine ihn aus dem Stapel gezogen, den ich ihr auf den Schreibtisch geknallt hatte. Aber das war letztlich das Gleiche. Ich hatte mein Umfeld eben auf Vordermann gebracht, so dass alle den gleichen guten Riecher hatten, wie ich selbst. Und den durften sie bei mir auch mal einsetzen, weil ich Wert auf persönliche Entfaltungsräume legte.

Freudestrahlend bescheinigte ich meinem Gast, dass wir sehr großes Interesse an ihm hätten.

"Wären Sie denn gleich morgen früh für ein weiteres Gespräch verfügbar?", wollte ich wissen. "Unser Vorstand würde Sie sicherlich gerne kennenlernen und auch den finanziellen Rahmen mit Ihnen abstecken". Das war eine dieser  Provokationen von Meierfeld. Bei den Top-Leuten in seinem Ressort wollte er immer selbst das Finanzielle regeln. Was glaubte er eigentlich, wofür die Firma eine Personalabteilung hatte?! Aber egal. Ich war schon sehr gespannt auf sein Gesicht, wenn er erfuhr, dass ich ihm sein kleines Problem innerhalb eines einzigen Tages vom Hals geschafft hatte.

Abu Scharif deutete eine leichte Verbeugung an. "Selbstverständlich."

"Sabine, lassen Sie doch bitte gleich mal einen Termin in Dr. Meierfelds Kalender eintragen."

"Ich bin flexibel", sagte Abul Sarif. "Sie können die ganze Woche über mich verfügen."

"Wie wäre es gleich morgen um acht?", wollte ich von meinem Gast wissen.

"Sehr gerne."

"Also, Sabine, morgen um acht!"

"Aber..." Sabine wußte so gut wie ich, dass Meierfeld kurzfristige Termine haßte. Morgens um acht gleich dreimal, denn da hatte er einen fester Zeitslot für die Frühbesprechung mit seinem Vorzimmerdrachen reserviert.

"Das geht schon in Ordnung", beschied ich Sabine. "Die Sache hat höchste Priorität". Die Gelegenheit war einfach zu schön, Dr. A. F. Meierfeld mal mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Ich sagte nur: Super eilig, super wichtig...

Während ich Sabine mit einem generösen Wink bedeutete, sich um das gebrauchte Kaffeegeschirr zu kümmern, begleitete ich meinen Gast persönlich bis nach unten zum Empfang. Soviel Zeit mußte sein. So wie es aussah, lief neben mir schließlich ein Mann, der in Zukunft zu den wichtigsten Leute in der Firma zählen würde. Da durfte man ruhig sehen, wer diesen Fisch an Land gezogen hatte.

Wir verabschiedeten uns herzlich und Abu Scharulf ließ mich nochmals wissen, wie sehr es ihn freue, hier bei uns ein neues Leben zu beginnen.

Ehrensache.

Sehr mit mir zufrieden betrat ich wieder mein kleines Reich aus Chrom und Erle. Ich saß noch nicht richtig, als bereits das Telefon klingelte. Na also, dachte ich. Früher als erwartet.

Die Formulierung ein neues Leben ging mir kurz durch den Sinn. Interessante Wortwahl. Es klingelte zum zweiten Mal. War das ein kleiner Mißklang? Aber wer kannte sich schon so genau aus mit den Feinheiten des arabischen Kulturraums? Ich war anderen Nationalitäten gegenüber jedenfalls offen. Wir waren schließlich ein weltweit agierendes Unternehmen.

Das dritte Klingeln. Ich wartete noch einen Moment und nahm erst mit dem nächsten Klingeln den Hörer ab. Wie ich vermutet hatte, war Dr. August Friedrich Meierfeld direkt in der Leitung. Nicht das übliche Spiel mit seinem Vorzimmerdrachen. Die hätte spätestens nach dreimal Klingeln wieder aufgelegt und einen dafür bei nächster Gelegenheit zur Strafe ins offene Messer rennen lassen. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie betrachtete ihre eigene Zeit als noch kostbarer, als die ihres Chefs. Und die war schon super kostbar. Ich schmunzelte.

"Was höre ich da", fragte Meierfeld als Begrüßung. "Sie sind bereits fündig geworden mit unserem neuen Projektleiter?!"

"Allerdings. War ein hartes Stück Arbeit, aber ich weiß ja, wie dringlich das Thema für uns ist. Deshalb dachte ich, Sie wollen sich den Kandidaten sicherlich so schnell wie möglich selbst anschauen. Zum Glück konnte ich gleich für morgen früh etwas arrangieren. Es war nicht ganz einfach. Der Mann kommt immerhin aus... ähm... aus Kairo". Ich hatte keine Ahnung, wo der Typ eigentlich herkam, aber Kairo erschien mir ganz plausibel für einen Ägypter. Im richtigen Moment mußte man auch mal improvisieren.

"So, aha." Meierfeld rang sichtlich mit sich, mir das angemessene Lob zu zollen.

"Das haben Sie völlig richtig gemacht“, sagte er schließlich. „Ich kann mir das einrichten."

Na also.

"Sie haben den Mann doch auf Herz und Nieren gecheckt?", wollte Meierfeld wissen.

"Selbstverständlich. Erstklassige Ausbildung, perfekte Umgangsformen, durchsetzungsstark und erfahren. Der Mann weiß, wovon er spricht, wenn es um Bauprojekte geht."

"Ausgezeichnet", sagte Meierfeld. "Wir haben es mit einem hochsensiblen Thema zu tun. Es ist das erste Mal, dass wir ein komplettes Hybrid-Kraftwerk schlüsselfertig in den Nahen Osten ausliefern. Das Ganze ist nicht nur technisch äußerst heikel, sondern hat auch eine politische Komponente."

Das mit dem Hybrid-Kraftwerk hörte ich zum ersten Mal. Aber was den Nahen Osten anging, konnte ich Meierfeld beruhigen. "Der Mann kommt praktisch aus dieser Ecke der Welt", sagte ich.

"Und da ist er ein erfahrener Mann, was Hybrid-Kraftwerke angeht?! Wo doch die Gegend da unten nicht gerade führend auf diesem Gebiet ist?" Meierfeld lachte. "Ist auch gut so, sonst bräuchten die uns ja gar nicht!"

"Eben!" Ich lachte auch, worauf Meierfeld sogleich wieder ernst wurde. Vertraulichkeiten über die Hierachieebenen hinweg waren seine Sache nicht; und wenn es sich um ein gemeinsames Lachen handelte.

"Wie heißt der Mann eigentlich?", wollte er wissen.

Die Frage brachte mich kurz aus dem Konzept. "Abu Schlemil..., nein, Moment... Abu Schlechin..."

"Wie denn jetzt?", brummte Meierfeld. Ich warf einen Blick auf die Akte.

"Abu del Sarif. So heißt der Mann."

"Wie alt?"

"So Anfang Vierzig, würde ich sagen."

"Und wie alt genau, würden Sie sagen?" Wie alle Techniker war Dr. Meierfeld ein Zahlenmensch. "Sie müssen doch Zeugnisse und so weiter haben. Da steht das normalerweise drin", schob er bissig nach.

Ich haßte es, wenn er diesen sind-denn-die-Personaler-selbst-dafür-zu-blöd Unterton anschlug. Was bildete sich dieser Zahlenfetischist überhaupt ein?! Aber ich blätterte trotzdem gehorsam durch die Unterlage. Jetzt keine Blöße geben.

"Da haben wir's doch schon", sagte ich. "Zweiundvier..., ähm..., Zweiund..., ähm..."

"Was jetzt?!"

Ich rieb mir die Augen. Da hatte sich der Bursche aber wirklich gut gehalten. Mußte die viele frische Luft sein.

"Zweiundsechzig", gab ich zu.

"Sagten Sie nicht..."

"Der Mann hat eben Erfahrung", bügelte ich den Einwand zur Seite. Ich hatte keine Lust, mich vorführen zu lassen. "Ich dachte, das wäre ein wichtiges Kriterium?!"

"Schon richtig", lenkte Meierfeld ein. "Was genau hat er denn bis heute gemacht?"

"Der Mann hat jede Menge Vorhaben geleitet. Kleine, mittlere, große. War schon in Deutschland, in den USA, überall. Er hat..."

"Ich meine", unterbrach Meierfeld, "was genau hat er als Letztes gemacht?! Ich meine sein letztes Projekt." Schon wieder dieser Unterton.

"Mich interessiert vor allem, mit welcher Technologie er zuletzt zu tun hatte. Es ist nämlich so, dass wir eine ganze Menge an Know How brauchen. Wir wollen eine der modernsten Hybrid-Anlagen der Welt errichten. Was also hat er zuletzt gebaut?!"

Ich schnappte mir nochmal die Unterlage. Meierfeld wollte es genau wissen, gut, das konnte er haben. Literatur war mein Hobby, nicht nur das Schreiben, sondern auch das Lesen, und wenn es sein mußte, war ich ein begnadeter Querleser. Den Zauberberg hatte ich an einem Abend quergelesen.

"Da haben wir's doch schon: Eine Pyramide!"

"Eine was...?!"

"Eine Pyramide." Ich hörte, was ich sagte und konnte es selbst kaum glauben. Das war die Sache mit dem Querlesen, wenn man es laut machte. Wenn man gut war, marschierten die Informationen aus dem visuellen Zentrum direkt runter zu den Stimmbändern, ohne störende Zwischenverarbeitung im Cortex, und ehe man es sich versah, hatten die Worte den Mund verlassen und bereisten unwiderbringlich als Schallwellen den Äther.

Da stand es schwarz auf weiß: Eine Pyramide. Für das jordanische Königshaus. Bauzeit fünfzehn Jahre, 10.000 Arbeiter. Und nur 47 Todesfälle während der gesamten Laufzeit. Es war extra im Zeugnis hervorgehoben. Positiv hervorgehoben.

"47 Todesfälle??" echote Meierfeld.

Mist, ich schien noch immer laut vorzulesen.

"Muß an dem kooperativen Führungsstil liegen", murmelte ich. "Ein echter Teamplayer".

"Sagen Sie mal, Aschberg, haben Sie eigentlich völlig den Verstand verloren?"

Mir wurde heiß und kalt. Da hatte ich mir extra die Personalabteilung ausgesucht. Ein Traumjob eigentlich. Man bekam fast alles mit, was so lief in der Firma, ohne dass man selbst die operative Last des Tagesgeschäfts schultern mußte. Das war für jemanden Ende Zwanzig doch perfekt. Auch wenn ich von Personalarbeit noch wenig Ahnung hatte, es schien mir eine lösbare Aufgabe und ich war ja auch bereit dazuzulernen, sollte es denn nötig sein.

Und jetzt dieser Alptraum.

„Meinen Sie, wir sollten uns diesen Abu del Sarif nicht doch noch einmal anschauen“, versuchte ich zu retten, was zu retten war.

„Sind Sie wahnsinnig? Ich will nichts mehr hören von diesem Imhotep der Neuzeit“, schäumte Meierfeld.

„47 Todesfälle!! Ich will, dass der Mann noch heute eine Absage bekommt!“

 „Glauben Sie, das kriegen Sie hin?“, wollte Meierfeld mit beißender Stimme wissen.

„Ich…“

„Und sehen Sie zu, dass Sie das ganze Thema an jemanden übergeben, der einen Opferaltar von einem Tesla-Generator unterscheiden kann!“

„Ich…“

„Und dann überlegen Sie mal, wie Sie sich eigentlich Ihre weitere Zukunft so vorstellen? Bei Ihrem Händchen sollten Sie sich vielleicht als Outplacement-Berater versuchen? Aber bitte nicht bei uns, wenn‘s geht!“

„Jeder kann doch mal…“

„Ich habe jetzt Dr. Wagner für Sie in der Leitung“, schaltete sich plötzlich ohne Vorwarnung Meierfelds Drache in das laufende Gespräch ein. Meierfeld hatte ihr wohl parallel einen Wink gegeben.

„Ich werde sofort alles Nötige…“, setzte ich an.

Aber die Leitung war bereits tot. Meierfeld war offensichtlich in Eile. Und vielleicht nicht ganz hundertprozentig zufrieden mit der aktuellen Entwicklung in Sachen Projektleiter. Es stand zu befürchten, dass er mich nicht im besten Licht erscheinen lassen würde, wenn er das weitere Vorgehen mit Dr. Wagner besprach.“

Wagner war Meierfelds Kollege im Vorstand. Er leitete das Personalressort und war mein Chef.

Ich hatte das Gefühl, dass mir auch ein Triple-A nicht weiterhelfen würde, diese Delle in der Karriereleiter so schnell wieder auszubügeln.

Und ich sollte Recht behalten.