Kleines Herbstlied

 

Der Sommer geht vorbei,

und all seine Lieder

legen sich bis zum Mai

zum Sterben nieder.

 

Der Sommer geht vorüber,

mit ihm ein Fetzen Leben,

die Tage merklich trüber,

das Herz schlägt leicht daneben.

 

Der Sommer geht vorbei,

und mit ihm stirbt mein Sehnen,

die letzte Liebelei,

die Lügen und die Tränen.

 

Der Sommer geht dahin,

die Frage wird zur Qual:

Wer weiß, ob ich noch bin

beim nächsten Mal?

 

Der Sommer geht vorbei,

doch dieses Sterben

wird bald, wie nebenbei,

ein Blühen werden.

Wenn du fort bist

 

Wenn du fort bist, scheinen mir die Tage

etwas schwerer und vor allem nicht so breit.

Legte man die Stunden auf die Waage,

wögen sie ein Stück der Ewigkeit.

 

Wenn du fort bist, klingen Harmonien

immer etwas nach e-Moll

und der Himmel pflegt sich stets zu überziehen

und was Spiel ist, wird gedankenvoll.

 

Wenn du fort bist, kommen mir die Leute

noch verbiesterter und unbeseelter vor.

Jeder sucht zu spät sein eignes Heute

zwischen Kegelclub und Kinderchor.

 

Und mir fehlt nun mal dein wundervolles Lachen,

das die ganze Welt zum Spielplatz macht,

unser Feldzug gegen Windmühlen und Drachen

und das Abenteuer jeder Liebesnacht.

 

Eigentlich will es mir gar nicht passen,

denn bis jetzt war ich stets stolz allein,

doch von dir kann ich nun mal nicht lassen

und was soll’s – du solltest bei mir sein.

 

Wenn du fort bist, werden Frühlingslieder

über Nacht zu einem langen Herbstgedicht

und es heißt, da draußen blüht der Flieder,

doch ich weiß, er blüht nicht ohne dich.

 

Wenn du fort bist, gut, ich geb es zu,

werd ich schon mal kitschig und banal,

und mein wahres Lieben wird im Nu

eigensinnig und sentimental.

 

Aber du bist fort, was soll ich tun?

Soll ich wohlig, lässig weiterleben,

Schwingtüren schwingen lassen im Saloon?

Schöner wär’s, mit dir zu schweben.

 

Eigentlich will ich das gar nicht wissen,

denn ich bin mir selber Manns genug,

aber ich beginn dich schrecklich zu vermissen,

wenn du fort bist, bin ich auf Entzug.

 

Wenn du fort bist, ist nun mal das Leben

nicht von deinem Zauber koloriert

und auch du würdest jetzt alles geben,

was dich fort vom Fortsein zu mir führt.

Schlaflied

 

Schlaf ein, mein Kind, und sei nicht bang

und träum von stolzen Pferden,

sie kennen schon den Übergang

und jagen mit dir den Himmel entlang,

die weißen Sternenherden.

 

Schlaf ein, mein Kind, und fürchte nicht

Gespenster und Dämonen,

sie haben selber kein Gesicht

und scheuen deines Herzens Licht,

sie müssen dich verschonen.

 

Schlaf ein, mein Kind, die Welt wird kahl,

sie trägt schon Wintersachen,

da hilft kein Mantel und kein Schal,

es rettet sie aus ihrer Qual

nur noch dein liebes Lachen.

 

Schlaf ein, mein Kind, weih deinen Mund

nur jenen Melodien,

die einen schweben lassen und

dich selbst noch aus der Hölle Schlund

bis in den Himmel ziehen.

Stürmische Zeiten, mein Schatz

 

Stürmische Zeiten, mein Schatz, Hochzeit der Falken,

und um die Insel unserer Liebe giftet ein Sturm.

Lieder und Verse sind am Verkalken.

Die Hunde winseln. Seher fallen vom Turm.

 

Die Minister scharwenzeln verschleimt um die möglichen Sieger,

die Bürger fordern Ordnung und Zucht.

Denn Schuld sind wie immer die andern. Die Überflieger

ergreifen auf ihren Mantras schwebend die Flucht.

 

Unruhige Zeiten, mein Schatz, wo doch alles so klar war,

vierzig Jahre geregeltes Sein,

wo nach außen fast jeder Fürst oder Zar war,

und jetzt bricht dieses Weltbildgebäude so kläglich ein.

 

Ach, wer auf Häuser baut, den schreckt jedes Beben.

Wer sich den Banken verschreibt, den versklavt ihre Macht.

Wer seinem Staat vertraut, der muss damit leben,

dass was heute noch Recht ist, oft Unrecht wird über Nacht.

 

Aber dennoch nicht verzagen,

überstehn,

Leben ist Brückenschlagen

über Ströme, die vergehn.

 

Stürmische Zeiten, mein Schatz, doch oft tragen die Stürme

Botschaften fernerer Himmel in unsere Welt,

und es ist immer der Hochmut der prächtigsten Türme,

der allem voran in Staub und Asche zerfällt.

 

Es scheint fast, als drehte die Erde sich ein wenig schneller,

die Starrköpfigsten schielen wieder mal auf den Thron.

Jetzt rächen sich wohl die zu lange zu vollen Teller,

und manchem bleibt nur noch der Schlaf und die Träume des Mohn.

 

Unruhige Zeiten, mein Schatz, gut, dass fast immer

unsere Liebe in wilder Bewegung war,

mal ein Palast, oft nur ein schäbiges Zimmer,

schmerzvoll lebendig, doch immer wunderbar.

 

Und dennoch nicht verzagen,

überstehn,

Leben ist Brückenschlagen

über Ströme, die vergehn.

 

Mit Dank an Gottfried Benn für die Leihgabe

Für meinen Vater

 

Niemals Applaus, kein Baden in der Menge.

Und Lob, das nur vom kleinsten Kreise kam.

Und das bei einer Stimme, die die Enge

des Raumes sprengte, uns den Atem nahm.

 

Dein »Nessun’ dorma« war von einer Reinheit,

die nur den Allergrößten so gelang.

Du blühtest nur für uns. Der Allgemeinheit

entzog das Schicksal dich ein Leben lang.

 

Und trotzdem nie verbittert, keine Klage,

du sagtest einfach, deine Sterne stehn nicht gut.

Doch gaben dir dieselben Sterne ohne Frage

die Kraft zur Weisheit und unendlich Mut.

 

Mir flog das zu, was dir verwehrt geblieben,

du hattest Größe und ich hatte Glück.

Du hast gemalt, gesungen, hast ein Buch geschrieben

und zogst dich in dich selbst zurück.

 

Du hast die Liebe zur Musik in mir geweckt

und ohne dich wär ich unendlich arm geblieben.

Du bliebst verkannt und hast dich still entdeckt,

ich war umjubelt und ich hab mich aufgerieben.

 

Das, was ich heute andern geben kann,

wäre nicht denkbar ohne dich.

Es ist dein unbeachteter Gesang,

der in mir klingt und nie mehr von mir wich.

 

Und meistens sagt man erst zum Schluss,

was man verdeckt in tausend Varianten schrieb:

Wenn ich an meinen Vater denken muss,

dann denk ich stets – ach Gott, hab ich ihn lieb.

Jetzt, da du Abschied bist

 

Jetzt, da du Abschied bist, nicht mehr Beginn,

verzehr ich mich nach dir wie nie zuvor,

entdeckt sich unsrer Liebe wahrer Sinn

und dass ich, was ich nie besaß, verlor,

jetzt da du Abschied bist, nicht mehr Beginn.

 

Dass immer erst ein Schrecken uns besinnt

und erst beim Abschiednehmen Tränen fließen,

und dass die Zeit so unser Leben weiterspinnt,

dass man nicht halten kann und kaum genießen

was flüchtig Wunder war und stets entrinnt.

 

Dass man die Liebe stets aufs Neue lernen muss

und immer nach dem Auseinandergehen

alles so klein wird, was Verrat war und Verdruss

und alles groß, was aus Verzauberung geschehen,

dass man die Liebe stets aufs Neue lernen muss.

 

Erst seit du Abschied bist, nicht mehr Beginn,

erahne ich, wie du mich immer fingst,

wenn ich verlor, was mich bestimmt und wer ich bin.

Dich lieben lernte ich erst, als du gingst,

erst seit du Abschied bist, nicht mehr Beginn.

 

 

Wo ist sie hin, die schwere, süße Tiefe

des ersten Rausches, wo die Euphorie?

Wenn sie mir einmal noch in die Umarmung liefe,

das Blut versengend, meine Fantasie

 

wieder zum Fliegen zwingen würde,

für Augenblicke von der Zeit befreit,

und selbst wenn man in diesen Augenblicken stürbe:

es wär das Tor entdeckt zur Ewigkeit.

 

Wenn sich der Rausch nur endlos steigern ließe,

von Körperenge nicht so streng bewacht,

doch scheinbar sind für uns die Paradiese

nur kurzes Wetterleuchten einer langen Nacht.

 

Dort aus den wohlgepflegten Parks sinken die Schatten

der Götter, die sich gern vergnügen,

an ganz bestimmten Sommertagen, fast schon matten,

dem Herbst geweihten, die so gerne lügen

 

als große schwarze Hände auf Fassaden

vornehmlich alter Villen, halten sich bereit,

um dann wie wild gewordene Kaskaden

die Stadt zu fluten mit der Dunkelheit,

 

die viele ängstlich Wolken suchen lässt,

wo schon seit Tagen keine Wolke war.

So wandelt sich auf einmal zur Gefahr,

was nichts als Abglanz ist von einem Fest

 

und einem Park und einer weiten Wiese.

Vermummte Wahrheit und aus einem Traum,

der sich bestimmt nicht träumen ließe

wär er nicht Wirklichkeit im Welteninnenraum.

 

Nur einmal noch im Rausch dorthin entrücken,

noch einmal sehen, was nicht sichtbar ist 

wie lange hab ich doch dieses Entzücken,

dies kurze Aufgehobensein vermisst.

 

Auf dass sich all die kargen Jahre zur Lawine ballen,

die mich der Welt entreißt, die wir verstehen.

Denn das Gedeutete will mir nicht mehr gefallen,

hab ich doch einen Herzschlag lang das Nichts gesehen,

 

den Urgrund allen Werdens, jeder Gärung,

woraus du dir die Schöpfung formen kannst

und deinen Himmel dir, die Gottheit und auch die Verklärung,

mit der du Rausch und Nacht und Lieb’ und Leben bannst.

Ich und Goethe

 

Manchmal wär ich gerne weise,

möchte mild, vor allem leise

über Idioten lächeln,

nicht mehr hinter Mädchen hecheln.

 

Auf der Parkbank ab und an

ein Gespräch von Mann zu Mann

oder mit den Göttern scherzen,

all die großen, kleinen Schmerzen

 

aus dem Körper meditieren,

Jugendliche faszinieren

und selbst diese Eitelkeiten

lässig schwebend überschreiten.

 

Lächelnd mit dem Sensenmann

Sechsundsechzig spieln und dann

ungeniert das Spiel verlieren

und verklärt ins Grab stolzieren.

 

Leider lehrt uns die Geschichte,

dass entsprechende Berichte

zwar galant die Nachwelt schmücken,

doch die Wahrheit unterdrücken.

 

Denkt nur an den großen Meister

Goethe, Johann Wolfgang heißt er

der begann in hohem Alter

hinter Mädchen, wie ein Falter

in den letzten Sommertagen

greisengierig herzujagen.

 

Werd mich also weder weise

noch behutsam oder leise,

eher jammernd, tobend, kreischend

und vor Angst ins Betttuch scheißend

weigern, zitternd um mein Leben,

meinen Löffel abzugeben.

 

Und man mag es kindisch nennen,

hinter Röcken herzurennen,

wenn dir schon der Zahn der Zeit

jegliche Standhaftigkeit

sportlich oder überhaupt

eigentlich nicht mehr erlaubt

und ich will auch, ganz bescheiden

jede Anmaßung vermeiden,

doch ich fürchte, diese Nöte

teile ich dereinst mit Goethe.

 

 

Auf einmal scheinen mir viele Gesichter

der Menschen so, wie ich sie niemals sah.

So manche dunkle Züge werden lichter

und andere wiederum, die früher nah

 

Vertraute waren, verlieren ihr Gesicht

und sind dahinter ungeformt.

Verfehltes Nichts, aus dem nichts spricht,

das sich nach jedem Gegenüber normt.

 

Und andre wiederum, die ich kaum angesehen,

obwohl sie schon so lange an mich glauben,

werden verwandt und kommen ins Geschehen

und haben plötzlich Wut und Stolz in ihren Augen

 

und werden schön, lebendiger und dichter.

Wie kann dein Blick dir doch die Welt verdrehn.

Ich wünschte mir, mein Lieben ließ mich die Gesichter

der Menschen nur in diesem Zauber sehn.

Nach der Preisverleihung

 

(Kurt-Tucholsky-Preis 1995)

 

Quäl mich seit Stunden im Hotel,

wie kommt’s, dass ich so ratlos bin,

bestimmte Augenblicke schwanden schnell,

die hielt ich gerne bis zum Morgen hin

 

nicht eingefasst, wie sonst, in Reime,

nicht ausgewiesen auf Papier,

nicht ausgedrückt, sondern als Keime

und ungeformt nur tief in mir.

 

Gern leb und schreib ich wie von Sinnen,

verschwende mich und geb mich aus,

nur, was oft andre dran gewinnen,

ist leider nie in mir zu Haus.

 

Die satten Stunden, selbst die blassen,

die ganze lieb gelebte Zeit

hab ich verdichtet, dann entlassen

in eine neue Wirklichkeit.

 

Soll das der Preis des Preises sein,

wird nichts, was glücklich macht, verziehn?

Kein Glück stellt sich für immer ein 

selbst Preise werden nur verliehn!

Von den Gärten

 

Mir träumte von Gärten, die blühen am Rand,

verdrängt von Felsen und Wiesen.

Sie sind ein anders geartetes Land

und in Führern nicht ausgewiesen.

 

Die Wiesen sind für die Kühe da,

man kann sie gut übersehen,

sie duften derb und sind immer nah

und man kann drauf mit Stiefeln gehen.

 

Meine Gärten entdeckt man im Nachhinein,

wenn man vorübergegangen,

und man muss schon ein guter Beobachter sein,

sie mit Augen anzulangen.

 

Ich liebe die Wiesen, das weite Feld,

die dummen und braven Kühe

und ich weiß wohl, wer Acker und Weide bestellt,

hat so seine rechte Mühe.

 

In den Gärten, geordnet von anderer Hand,

gedeihen der Menschen Seelen.

Ein goldenes, überirdisches Land,

nur von Herz zu Herz zu empfehlen.

 

Dort zieht es mich, glaub ich, schon lange hin

und sollte es mir einmal glücken,

dann will ich, so ich wahrhaftig bin,

auch meine Seele mir pflücken.

Entsorgung

 

Wohin mit dem Dreck?

Das ist doch wohl die Frage.

Derzeit.

»Entsorgung«

ist in aller Munde.

Löblich.

Immerhin:

Es tut sich was,

man beruhigt sich mit der

Drei-Tonnen-Trennungs-Philosophie.

(Neuerdings wird ja mit dem Wort Philosophie

wild gewuchert.

Vornehmlich in Fußballtrainerkreisen.

Als wollten sie sich rächen

für die Weigerung des Wortes, sofort und

ohne eigenes Zutun verständlich zu sein.)

 

Papier, Glas, Bio,

Bio, Glas, Papier.

Ein bisschen Metall,

ein bisschen Frieden,

ein kleiner Korn,

aber dann gleich wieder:

Glas, Bio, Papier

und das alles außer Landes

vor die Haustür unserer unversorgten Nachbarn.

Sorgsame Leute

mit einer guten Philosophie.

Philosophen eben.

Leute von morgen,

die sich mittels Entsorgen

ihrer Sorgen entheben.

 

Man munkelt gar:

Viele kaufen ja nur deshalb so wild um sich,

um anschließend ordentlich

entsorgen zu können.

Wer aber, frage ich,

kümmert sich

um die Entsorgung unserer Psyche?

Ich meine ganz konkret:

Was geschieht mit all dem Müll,

der tagein, nachtaus

in Form von Talkshows, Gameshows,

volkstümlichen, kuschelrockigen und poppig flockigen Hitparaden

über den armen Äther

in unsere armen Herzen gepeitscht wird?

Wer sorgt sich um den verbalen und musikalischen Müll?

Wer entsorgt die flotten Sprüche

der Rundfunkmoderatoren?

 

Welcher Prinz Eugen stellt sich dem Heer

der Gute-Laune-Meteorologen?

Welcher rächend rettende Engel

schaltet endlich dem nutzlosen Dasein

all dieser geldgierigen Ätherschänder den Strom ab?

Das ist permanenter

Wellenmissbrauch!

Als würde sich irgendetwas in diesem Universum

von selbst verlieren.

Welcher Gott wäre gnädig genug,

dieses Gestampfe,

das einem aus stolz geöffnetem Autofenster entgegenschwappt,

im Himmel endzulagern?

Welche intergalaktische Eingreiftruppe

verteidigt uns gegen diese tönerne Invasion

der locker-flockigen Sendeanstalten,

die selbst meine Lieder noch spielen würden,

wenn sie Werbeeinschaltungen des

Kolumbianischen Medellin-Kartells bekämen?

Kein Angriff kann infamer sein 

denn selbst wenn wir uns tapfer weigerten,

die Empfänger einzuschalten 

wir würden weiter bombardiert.

Die Augen schließen genügt ja bekanntlich

auch nicht, um einen Haufen Scheiße

loszuwerden, den sie dir vor die Tür setzen.

Ich denke,

wir werden die Festungen der Flottmänner

erbarmungslos stürmen müssen.

Nach langjährigem Pazifistendasein

habe ich mich für die Aufrüstung entschieden:

 

Wir müssen aus Worten Tempel errichten

Bollwerke gegen den schlechten Geschmack.

Dem Gedudel antworten wir mit Gedichten.

Überhören muss man das geldgeile Pack.

 

Schreiten wir mit ganzen Sätzen

gegen die Wortvergewaltiger ein.

Auf ihren allgemeinen Plätzen

bleiben wir nur gemein allein.

 

Schlichtheit gegen das allzu Schrille

und die Kunst, mal abzudrehen.

Dann wird vielleicht der Klang der Stille

all dem Lärmen widerstehen.

 

 

Ich liebe dich nicht mehr so wild,

nicht mehr so ungestüm wie seinerzeit.

Doch unbemerkt verrann mir Bild um Bild,

in das ich bannte dich und deine Eigenheit.

 

Ich liebe dich, so wie man Blumen liebt,

die unbemerkt am Wegrand blühen,

wie einen Regenschauer, der uns Atem gibt

nach eines schwülen Sommertages Mühen.

 

Ich liebe dich schon fast wie einen Gott,

der unerkannt in meinen Tiefen wohnt,

dem man sich hingibt, trotzend allem Spott,

der niemals straft, der niemanden belohnt,

 

mit dem man eins ist auf verschiedne Weise

wie man mit Flüssen eins ist an bestimmten Tagen,

die einen streckenweise auf der Reise

nach Hause durch die Jahre tragen.

 

Und manche müssen unbesehen

und immer wieder unerhört

und groß in ihrem Schicksal stehen,

das so vereinsamt, dass es nicht mal stört,

 

das einen leiden lässt auf stille Weise,

manche von Kindesbeinen an,

und ebendiese Menschen stehen leise

und immer in der letzten Reihe an,

 

so als entschuldigten sie sich für ihre Not,

nur um die Glücklichen nicht zu verwirren,

und teilen Liebe, Schmerz und Brot

und lassen sich von allem nicht beirren,

 

dass man den aufgetragnen Weg beschreitet,

und wissen auch im Leid zu strahlen,

weil sie allein, doch niemals unbegleitet

der Gottheit näher sind und ihren Qualen.

 

Und wenn sie sterben, gehen sie ganz leise

wie einer, der nur kurz nach draußen geht,

als wär es unverschämt, dass ihre Reise

nun endlich unter einem neuen Zeichen steht.

 

 

Zeit der Verwandlung, Zeit zu vergehen,

halte die Stunden fest.

Um aus der Asche neu aufzuerstehen,

bleibe kein dunkeler Rest.

 

Erst aus der Wandlung wird sich verklären,

was sich dem Tode geweiht,

all die verzehrenden Stunden wären

sonst sinnlos vergeudete Zeit.

 

Abschied von Tränen und Heldentaten,

Abschied von ich und wir.

Lockre die Erde, halte den Spaten bereit

und versöhn dich mit ihr.

 

 

Du liebst und die Naturgewalten

werfen dir ihre Zügel hin.

Die Zeit wird für dich angehalten

und alles blüht in neuem Eigensinn.

 

Die Welt beschließt, sich wieder neu zu träumen,

und jeder Monat reimt sich nun auf Mai.

Es fallen Federbetten aus den Nadelbäumen

und aus dem Einerlei erwachen zwei.

 

Die Winde wiehern voll Vergnügen,

weil ihnen du die Peitsche gibst.

Trink nur die Welt in vollen Zügen:

Sie muss einst enden, doch du liebst.

 

Du liegst so voller Sehnsucht und Vertrauen

in deinen Arm geschmiegt. Ich atme kaum.

Es tut schon gut, dich einfach anzuschauen,

um kurz nur eins zu sein mit deinem Traum.

 

Du schläfst. Man muss dich nicht bewachen.

Wer so sich schenkt, ist immer gut bewacht.

Du schaffst es selbst im Schlaf, mich anzulachen,

als gäb’s nur uns und keine Niedertracht.

 

Jetzt weiß ich erst, dass ich mir all die Jahre

verboten hatte, was so glücklich macht,

und es entdeckte sich das Wunderbare

nur kurz als Sternenflimmern in der Nacht.

 

Das Possenspiel um Abschied, Zwist und Paarung

raubt manchem oft die Lust am Neubeginn.

Was für ein Glück nur, dass ich aus Erfahrung

vielleicht erfahren, doch nie klug geworden bin.

 

Du schläfst, jetzt kann ich dir’s ja sagen:

ich bin im Lieben gar nicht so versiert.

Geliebt zu werden hab ich gern ertragen.

Statt mich zu führen aber hab ich meist verführt.

 

Bist du bereit? Wolln wir uns fallen lassen?

Befrein von jeglicher Verlegenheit?

Anstatt uns dem Berechenbaren anzupassen,

erlieben wir uns jetzt die Ewigkeit.

Mutter

 

Oft schnürte mir die Strenge deiner Liebe

wie eine Last den Hals. Die Tür fiel zu.

Mir war so bang, dass mir für mich nichts bliebe,

vielleicht stiehlt uns das heute noch die Ruh’.

 

Es tat dir weh, wie ich dich oft verbannte,

um jeden buhlte und dich übersah,

den Süchtigen versucht das Unbekannte,

du warst so selbstverständlich einfach da.

 

Du warst die Mutter. Die war mein Gewissen.

Was dich bewegte, sah ich lange nicht.

Wie einstmals Gott hab ich dich töten müssen,

jetzt könnt ihr auferstehen im Gedicht.

 

Es war doch immer nur die eigne Enge,

die mich so oft nicht weiter werden ließ.

Nur so verstummen Verse und Gesänge,

so schwindet der Geschmack vom Paradies.

 

Du bist dein Eigen. Und nur du

kannst mit kaputtem Rücken gehn.

Die Lügner sehen unbeholfen zu,

die können nicht mal grade stehn.

 

Da hast du dich schon lang befreit,

wo andre nach Befreiung schrein,

die huren mit dem Geist der Zeit,

du wirst du selbst für immer sein.

 

Du warst da groß, wo andre meist versagen,

und hast dich nie verkauft für schnöden Lohn,

und solltest du mich wieder schwer ertragen,

vergiss nur nicht: Ich bin dein Sohn.

 

Dass ich nicht fiel, verdank ich dir,

mein Dichten fällt auf dich zurück,

du lobst, verzweifelst auch in mir,

du leihst mir den geraden Blick.

 

Und nun so sich die Wunde schließt,

die du mir warst, die ich dir schlug,

jetzt wo du vieles leichter siehst,

was sich so schwer mit dir vertrug,

 

bitt ich, dass dich, nein dass uns beide

dein Engel einst nach Hause führt,

und dass Erinnerung, die leide,

nun als Vergessen an dich rührt.

Zwischenberichte

 

alles Geschriebene ist höchstens ein

Zwischenbericht

nichts Endgültiges

nichts Niegesagtes

nichts was bleibt

Flüchtigkeitsformeln

Besitzansprüche ungeklärt

manchmal Zeichen setzend

verwischte Wegweiser

Begleiterscheinungen

Hinweis auf Größeres

schwer auszusprechen

Bruchstücke einer großen Konfession

abwartendzwischendrin

Von der Schwäche

 

Wenn du, Freund, in satten Stunden

manchmal stille Einkehr spürst,

meist zu kurz, um Herrenrunden

zu verstören und du rührst

 

lieber an bekannte Witze

(wer dies schreibt, kennt das so gut)

dann, ich rate dir, stibitze

diesen Herrn den hohen Mut.

 

Lass sie ruhig etwas darben,

zwinge sie nur in die Ruh.

Besser zeigst du dich mit Narben,

umso besser bleibst du du.

 

Nie mehr will ich mutig scheinen

oder voll von Energie,

wenn’s in mir beginnt zu weinen

und es nagt die Elegie

 

schon an meinen Spaßtiraden.

Ach, ich hab das Starksein satt.

Der gereicht der Welt zum Schaden,

der nicht auch der Schwäche hat.

Liebeslied

 

Was soll ich, mein Lieb, berichten,

du allerschönste Frau?

Wie sich meine Tränen schichten,

dass die Nachmittage blau?

 

Dass der Hauch nur des Gedankens,

dich zu kosen Höllenqual,

dass ich voll des bangen Schwankens,

leblos bin und doch vital?

 

Dass mich jede Nacht dein Weinen

tröstet und zugleich zerfrisst,

dass mit dir mich zu vereinen,

Sucht und Wahn und Schicksal ist?

 

Was kann ich, mein Lieb, dir schreiben,

wo man uns vom Leben trennt,

dass wir treu uns immer bleiben 

ja, ich mal’s ans Firmament:

 

Du bist meiner Seele Sehnen 

Liebe – gib mich nie mehr frei

und, ach, unser beider Tränen

reiße niemand mehr entzwei.

 

 

Eine Angelegenheit der Endorphine,

Irritationen im limbischen System,

das menschliche Hirn, sagen sie,

will sich nun mal nicht mit dem Sterben abfinden.

 

Mystische Verzückung,

Erleuchtung,

die Gnade Gottes

nur eine Hirnlappenepilepsie.

 

Meister Eckehart,

ein Meister der Selbsttäuschung,

nach dem Tod wird’s schwarz,

sonst nichts.

 

Denen wird es wohl schwarz werden,

denk ich mir.

Ich will mir weiterhin

meinen Himmel erschaffen.

 

 

Ach, es regnet und es lassen

sich die Tropfen so viel Zeit,

so als könnten sie’s nicht fassen,

dass sie in der Nüchternheit

 

eines kurzen Spritzers endlich

und ganz glanzlos sterblich würden,

und so durch und durch verständlich 

ein Finale ohne Hürden.

 

Und was ging dem nicht voraus:

Stürme und Zusammenballung

und noch immer geht’s nicht raus,

wartend in der Wolkenstallung.

 

Manchen hält’s nicht mehr, er muss

und zerspritzt noch auf der Stelle,

schwingt sich nicht als Regenguss

rauschend ins vermeintlich Helle.

 

Mancher mengt sich einer Quelle

stolz und selbstverständlich bei,

tritt nicht lange auf der Stelle,

gibt sich hin und fließt sich frei.

 

Andre freilich müssen’s dulden

zu verdorrn im öden Land,

so als müssten sie entschulden,

was der Schöpfer schlecht erfand.

 

Jeden treibt’s nach seinem Wesen

lustvoll in den Untergang.

Tropfen bin ich schon gewesen.

Enden will ich als Gesang.

 

 

Entzündet vom Weltenbrand,

ins Ich gepflanzt,

ewig in Rhythmen gebannt,

aus Klängen gestanzt,

 

tauchst in die Fluten du ein,

bis alles erlischt.

Würdest gern Brandung sein,

endest als Gischt.

 

Dem Ganzen entzweit, doch ganz

auf dich gestellt,

bleibt nur dein brüchiger Tanz

auf den Wogen der Welt.

 

Und dieser Taumel, der Trott,

der so verzehrt,

nur weil sich irgendein Gott

durch dich erfährt?

 

Trotzdem: was hält dich im Spiel,

welcher Verdacht

leiht dir noch Licht und Ziel

in deiner Nacht?

 

Welches geheime Wort,

äonenfern,

schwingt sich im Geiste fort

durch Stunde und Stern?

 

Weshalb auch mancher Moment,

liebeverwebt,

der dir auf einmal bekennt,

warum es dich lebt?

 

Und so lugst du am Bug,

fährst nie im Hafen ein,

als wäre es Gnade genug,

Segel im Winde zu sein.

 

 

Ach, so schwankend hin und her,

jeden Strohhalm greifend,

umso älter, umso mehr,

durch die Geistwelt streifend,

 

transzendierst dich, unentgeltlich,

sehnst dich ins gelobte Land

und dann trifft dich, äußerst weltlich,

eine Zärtlichkeit am Strand.

 

Und du leckst dir Meer und Sonne

von dem heiß begehrten Leib,

überflutet von der Wonne

dieses Wunders, Mann und Weib,

 

wissend, es ist wirklich wichtig,

dass man sich nach Geist verzehrt.

Doch das alles wird so nichtig,

wenn die Stunde dich verklärt.

 

Auch du willst dich aufbereiten,

dass, nachdem du abgebüßt,

etwas beim Hinüberschreiten

deinen Leibestod versüßt.

 

Auch du sehnst dich nach Theose,

bis du im Nirwana tanzt.

Aber auch das Hemmungslose

hat ein Gott in dich gepflanzt.

 

Wissend, hinter Traum und Wachen

liegt die eigentliche Welt.

Doch auch dies – es ist das Lachen,

das uns in Bewegung hält.

Schlaflied für Valentin und Tamino

 

Jetzt fallen schon den Blümelein

die Augen zu

und auch der letzte Sonnenschein

legt sich zur Ruh.

 

Es deckt die liebe Nacht den Wald

und auch die Wiesen zu.

Sie freun sich auf den Schlaf und bald 

bald schläfst auch du.

 

Es ist ein Singen in der Welt,

ein Zauberklang,

der jede Nacht vom Himmel fällt,

dein Leben lang.

 

Alleine nur für dich bestimmt,

nur deine Melodie.

Und nur wenn du zu träumen lernst,

entdeckst du sie.

 

Noch wachen tausend Engel zärtlich

über deiner Nacht.

Und ihre Flügel schützen

deine Seele sacht.

 

Mir zeigen sie sich nicht mehr,

doch ich sehe sie in dir.

Und wenn ich dir ganz nahe bin,

dann nähern sie sich mir.

 

Es drückt das ganze Sternenzelt

dich liebevoll ans Herz.

Für kurz verlässt du diese Welt

und träumst dich himmelwärts.

 

Und deine Seele schwingt sich jetzt

zurück ins Paradies,

das sie, nur um bei uns zu sein,

verließ.