Der Baum singt

 

Ich bin ein Baum.

Ich bin auf einem Hügel geboren.

Mich schützen keine Wälder.

Ich steh allein.

 

Männer mit Beilen bestimmen die Gegend.

Doch wir Bäume sind nie verloren.

Unter der Erde

unsere Wurzeln berühren sich leis.

 

Ich bin ein Baum.

Wende mich lieber zur Sonne hin.

Liebende lehnen sich an mich an,

wenn sie hilflos sind.

 

Ich wechsle die Farbe, den Namen, die Form,

aber nie den Sinn.

Und hab eine kräftige Stimme gegen den Wind.

Man muss den Flüssen trauen

 

I

 

In manchen Sommern, sehr von Reinheit überflutet,

vielleicht noch eine Nachricht: Ihr geht’s gut

und sie hat Sehnsucht, und sie hat geblutet

und du ertrinkst in dieser weichen Flut

 

von Glücken. Luft und Sinne stimmen.

Jedoch so ganz von unten her

beginnt das alles etwas zu gerinnen

und wird auf einmal schwer und ungefähr.

 

Du raffst dich auf. Noch klebt das an den Beinen.

Noch tanzen dir Sirenen um die Stirn.

Doch plötzlich packt es dich: Du musst verneinen.

Und dich, bevor du aufgibst, neu verwirrn.

 

II

 

Man muss den Flüssen trauen. Sie verschwenden

sich jeden Zentimeter neu. Und Zeit

und Dummheit kann das Fließen nie beenden.

Und auch die Wolken sind zu neuem Flug bereit

 

und sterben nie. Ich will nach oben,

wo mich das Unfassbare härter streift.

Es ist ganz klug, die Götter erst zu loben,

bevor man sie sich endlich greift.

Liebes Leben

 

Liebes Leben, fang mich ein,

halt mich an die Erde.

Kann doch, was ich bin, nur sein,

wenn ich es auch werde.

 

Gib mir Tränen, gib mir Mut

und von allem mehr.

Mach mich böse oder gut,

nur nie ungefähr.

 

Liebes Leben, abgemacht?

Darfst mir nicht verfliegen.

Hab noch so viel Mitternacht

sprachlos vor mir liegen.

Und dann

 

Wo ich im Wort nicht weiterkann:

gedrängte Stunden. Nächtelang

nur Innenwelt. Und dann?

 

Oft, unter einem Baum zu sitzen

ist mehr Bestimmung als der Drang,

sich Formen aus der Brust zu schnitzen.

 

Da werden Skizzen manchmal Bilder,

die übersetzen in die Zeit

und stimmen milder.

 

Uraltes fällt mir wieder ein

und aufgehoben in der Ewigkeit,

lass ich mich sein.

 

(1980)

Über die Dichter

 

Ich halt mich lieber weiter an die Dichter,

weiß von ihrem Vertrag mit den Göttern

und stell mich ungeduldig

hinten an.

 

Sie sind nun mal ganz gut angesehen da oben,

haben Kredit,

führen andere Gespräche,

stürzen tiefer.

 

Manchmal glaub ich,

die spazieren da draußen in Wäldern rum und werfen

sich die Worte zu.

 

Immer wieder leg ich dann meinen

Verstand in den Schoß,

es wird sehr still in mir

und atemlos.

 

Irgendwann

werden sie mir schon auch ein paar

rüberschicken.

Worte

 

Manche Worte, jahrelang

vage Hieroglyphen,

tragen einem plötzlich an,

sich zu überprüfen.

 

Werden sichtbar in Gedichten,

die sonst nie berührten,

oder springen aus Geschichten

einer Illustrierten.

 

Viele wollen diesen Fund

nicht mal registrieren.

Schimpfen plötzlich ihren Hund,

kriegen’s an den Nieren.

 

Doch das legt sich. Mit der Zeit

wird man gerne tauber,

dient der Unzulänglichkeit

und bleibt fortan sauber.

 

Und die Worte streichen aus,

was in ihnen ruhte.

Steigen über uns hinaus,

heim ins Absolute.

Manchen gelingt es

 

Manchen gelingt es,

sich so zu entfalten,

dass sie sich immer

die Unschuld erhalten.

 

Die warten im Schatten,

um besser zu sehen,

können ohne Applaus

der Angst widerstehen.

 

Die schreiben nie Lieder.

Die sind Melodie.

So aufrecht zu gehen

lerne ich nie.

Brich auf, Geliebte

 

Brich auf, Geliebte,

nimm mich mit.

Heut Nacht

 

hat sich auf einmal

unsre Liebe

aufgemacht.

 

Die Schiffe vollgetankt.

Kein Hafen lockt

mit Seelenruh,

 

brich auf

und schließe, Sturm,

uns nie die Augen zu.

 

Brich auf, Geliebte.

Endlich öffnet sich 

 

Nimm weiter dich

und liebe mich.

Beim Aufwachen zu sprechen

 

Jetzt wär’s so weit. Jetzt die Haare föhnen

und dann irgendwas verkaufen. Oder Plakate

an Mauern kleben. Irgendwo freundlich

»Guten Morgen« sagen. Jemandem zulächeln.

An Dienstagabend denken. Wo sie lieber

mit dem Taxi nach Hause fuhr. Wo sie weinte.

Wo sie sehr schön war.

 

Doch, jetzt wär’s so weit. Jetzt ging das Leben weiter.

Jetzt müsste man einen Eimer Wasser aus dem Brunnen

ziehen und mit dem Pfarrer plaudern. Ein sonniges

Plätzchen suchen vorm Haus. An Montagabend denken.

Wie sie sehr ausgelassen war.

 

Und es ist gar nicht eintönig, dass der Winter immer wieder

über die Stadt herfällt. Man kann sich einen roten Skianzug

schenken lassen. Den Hunden die Pfoten reinigen.

Man kann geduldig auf den Sommer warten.

Einen Amateurfunker heiraten.

 

Jedenfalls wär’s jetzt so weit. Manche schreiben ein Buch

über den Freitod und nehmen sich dann wirklich das

Leben. Manche sperren sich dreißig Tage in einen

Schlangenkäfig. Einige mieten eine Zweitwohnung, um mal

richtig ausschlafen zu können. Andere vergessen immer

wieder den Campingkocher. Tränen und Streit am

Gardasee.

 

Nur, so weit darf’s einfach nie kommen. Ich will jetzt lieber

erst mal Erich Fromm besuchen. Sogar in der Schweiz.

Oder das Oktoberfest vorverlegen, weil

nun mal dummerweise grad Mai ist.

Nur keine Kriegsberichte im Moment.

Keine Statements.

Zuhören und fliegen.

 

Wenn’s ein starker Tag wird:

Kraft saugen.

Es gibt noch so viele Lieder zu singen

jenseits der Sprache.

Ich werde zum See runtergehen

und den Sommer herbeidichten.

Es wird sich was ereignen mit mir.

Warum sie geht

 

Und das Häuschen steht ganz malerisch am Waldrand,

und den Garten schmückt ein Blumenbeet,

da ist ein Hund und eine Schaukel,

da blüht der Flieder (wenn es Mai ist),

und er versteht es einfach nicht,

warum sie geht.

 

Er hat doch immerhin die ganze Zeit geschuftet,

und ihretwegen hält er jetzt sogar Diät,

und plötzlich packt sie ihre Koffer,

und unten wartet wer im Auto,

und er versteht es einfach nicht,

warum sie geht.

 

Na gut, er hat schon mal den Hochzeitstag vergessen

und ihr auch ab und zu mal eine eingeschenkt,

doch immerhin: Sie hat von seinem Tisch gegessen!

Und irgendwie hat sich das immer wieder eingerenkt.

 

Doch im Auto sind die Koffer schon gestapelt,

und auf einmal wird das alles so konkret.

Auch der Flieder denkt ans Blühen,

und wie flüchtig so ein Mai ist,

und nur dem Hund ist’s scheißegal,

warum sie geht.

 

Und sie lächelt so ein unbekanntes Lächeln,

eins, das endlich mal für sich alleine steht,

das ihn lähmt und das ihm wehtut,

das ihn abhält, sie zu halten 

und er versteht auch jetzt noch nicht,

worum’s ihr geht.

 

Und das Häuschen steht ganz malerisch am Waldrand,

und den Garten schmückt ein Blumenbeet,

da ist ein Hund und eine Schaukel,

da blüht der Flieder (wenn es Mai ist),

und der versteht es ganz genau,

warum sie geht.

An den Freund

 

Kann ich vereinzelt eine neue Regung,

ein Ungewohntes deines Wollens nicht verstehen,

dann bleibt mir nur, diese Bewegung

in mir zu suchen und mit dir zu gehen.

 

Denn was ich von dir weiß, ist niemals mehr,

als ich von meinem Wesen will und kenne,

und alles, was ich an dir ungefähr

oder gar falsch und unbewiesen nenne,

 

ist nur ein Dunkelsein in mir. Ich spüre,

wie sich dein Bild mit mir beständig formt,

nur in dem Maß, wie ich mich jeweils sehe.

 

Ob ich dich finde, ob ich dich verliere 

du bleibst mir nur nach dieser Form genormt:

die ich bestimme und mit der ich überstehe.

Und doch lässt etwas Kirschen blühen im April

 

Da hilft kein gelber Schal, kein Clubprogramm,

um sich den Federbetten zu entziehen.

Erst schaffst du dir mal eine Wahrheit an

und dann beginnst du lebenslang zu fliehen.

 

Investmentfonds und Palmenbuchten,

Parteibuch, Irokesenschnitt 

du ebnest dir mit Formeln Schluchten

und teilst dich wiederkäuend mit.

 

Nur frisch geblökt! Aus welken Eutern

zapfst du dir Illusionen ab.

In Mühlheim sind zwar zwei am Meutern

und manchen wird der Atem knapp,

 

doch erst mal selber ohne Falten.

Dann vielleicht Vorstand bei der Caritas.

Die Weltgeschichte hockt im Kalten

und du verschickst das Pulverfass

 

mit bunten Schleifchen an die Söhne.

Meistens ein Kärtchen innenbei:

Bewahrt das Gute und das Schöne.

Wünsch mir zwei Enkel. Oder drei.

 

Und doch lässt etwas Kirschen blühen im April

und lässt dich wieder fallen, wenn du schwebst.

Muss wachsen, werden, hält nicht still

und will dir einfach sagen, dass du lebst.

 

Die Weisen ziehn den Hut und danken.

Manche Poeten greifen zum Arsen.

Nur ein paar Starke sieht man schwanken

und nackt und glücklich weitergehn.

Statistisch erwiesen

 

Statistisch erwiesen: Wer säuft, lebt kürzer,

und Rauchen zerklüftet latent.

Auch wer gerne frisst und gewichtig wird,

verreckt zu vierzig Prozent.

 

Wer fremdgeht, holt sich die Syphilis,

Zirrhose den Zügellosen,

und je nach Mode ist Hodenkrebs

die Strafe für zu enge Hosen.

 

Wenn die Alte zu geil wird, beweist man ihr besser,

dass Samen karzinogen ist,

und wer lacht, ist verdächtig, weil lachendenfalls

der Bakterienschub zu extrem ist.

 

Das Reden wird irgendwann viel zu gefährlich,

verbreitet im Gaumen Geschwüre,

und doch, obwohl du dich gründlich geschützt,

steht der Tod plötzlich vor deiner Türe.

 

Du wimmerst: Verzeihung, das kann gar nicht sein,

rein statistisch darf ich noch leben!

Und dann werden sie dir an den großen Zeh

das größere »Pech gehabt« kleben.

 

Ihr Lieben, das bringt euch doch jetzt schon um!

Die Methode ist hinterlistig.

Ja, glaubt ihr denn wirklich, der Tod ist so dumm

und hält sich an die Statistik?

 

 

Die geduldig Wartenden

waren mir noch nie ganz geheuer.

Alle, die nicht irgendwann

aufspringen und brüllen:

Und ich? Wann komm jetzt endlich ich dran? 

All die milde Lächelnden,

unendlich Genügsamen

sind mir verdächtig.

 

Komm mit den hauptamtlich Guten

nicht so zurecht

und Missionare

sind zuerst mal nur penetrant.

 

Will denen allen nichts Schlechtes nachsagen,

zumal ich sicher auch selbst oft

in Bedrängnis geriete

ohne die Sozialarbeitergesinnung

mancher Mitbürger,

 

richtig wohl allerdings

fühl ich mich erst bei den bösen Buben,

die im Sommer die Schule schwänzen,

nur nie sich selbst,

mit Steinschleudern auf die Wirklichkeit zielen

und nicht daran denken,

bei schönem Wetter

mit Sammelbüchsen durch die Stadt zu rennen.

 

Das möchte ich nur mal so

vor mich hingesagt haben.

Lied / Das macht mir Mut

 

Und keinem ist der Arm so lang,

auch nicht der Obrigkeit,

dass mir ein ehrlicher Gesang

im Halse stecken bleibt.

 

Wolln mich ein paar auch stumm, zur Stund,

und mir die Luft verpesten 

ich furz mir meine eigne, und

die ist bestimmt vom Besten.

 

Und draußen steigt die Sonne hoch,

bei uns die Fantasie.

Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,

die Scheiß-Technokratie!

 

Das macht mir Mut.

So muss es sein.

Und wenn dir was wehtut,

dann musst du schrein.

 

So mancher Brave käm in Not,

würd man nicht schweigend sterben,

sondern, entgegen dem Gebot,

verrückt und lüstern werden.

 

Das knabbert an den Wertpapieren,

das könnt verwundbar machen.

Ach, Freunde, statt zu lamentieren,

sollten wir wieder lachen.

 

Und draußen steigt die Sonne hoch,

bei uns die Fantasie.

Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,

die Scheiß-Technokratie!

 

Das macht mir Mut.

So muss es sein.

Und wenn dir was wehtut,

dann musst du schrein.

Keine Zeit zum Denken

 

Keine Zeit zum Denken, sagt er,

fährt jeden Sommer nach Alassio

und geht in Dinkelsbühl in die Sauna.

 

Alles sauber.

Masseure mit Reifezeugnis und

Unbedenklichkeitsbescheinigung.

 

Telefonieren,

Zinssätze ausrechnen,

absolut keine Zeit zum Denken.

 

Und während ich ihn mir so ansehe,

schiebt sich die Milchstraße

zwischen uns.

 

Dem fehlt der Stachel, sag ich mir,

dem fährt kein Wind ins Gesicht.

Wo will der noch seine Hand hinstrecken?

 

Der putzt sich die Zähne

wahrscheinlich mit

destilliertem Wasser,

 

der schlägt seine Frau

nur freitags

zwischen acht und neun.

 

Was der wohl träumt?

Wie der wohl sterben wird?

Bäumt er sich dann noch mal auf?

 

Der onaniert

bestimmt nur

mit den Fingerspitzen.

 

Keine Zeit zum Denken,

sagt er,

und andere

 

schleichen sich nach Büroschluss

in die Küche,

um die Kinder nicht zu wecken,

 

rücken sich still

die Lampe

zurecht

 

und suchen in Büchern,

Gesprächen oder Gebeten,

ein bisschen was von sich mitzukriegen.

Freiheit

 

Etwa auf Hügeln: Toskanablick,

da springt Sie die Freiheit an.

(In Taufkirchen wirklich nicht möglich.)

 

Chevrolet Blazer. Rücksitzfick.

Ein Berggasthof irgendwann.

(Auch alte Mühlen sind löblich.)

 

Oder: Schuld sind die Preise.

Gedüngt wird mit eigener Scheiße.

(Im Bayrischen Wald, kollektiv.)

 

Sie rennen davon und verschwinden

und die Freiheit kann Sie nicht finden.

(Die ist nicht alternativ.)

Wer soll mich schon halten

 

Hab mich wieder mal aufgefangen

ohne Sprungtuch und Wort zum Sonntag.

Wer soll mich schon halten,

wenn nicht ich?

 

Dich fangen schöne, starke Arme,

sag ich mir oft.

Lass sie dir nicht zerbrechen.

Liebesflug

 

Ich will nicht bis zum Frühjahr warten,

will jetzt schon meine Reise machen

und hätt dich gern dabei.

 

Das sind die wirklich großen Fahrten,

die einfach, ohne aufzuwachen,

den Herbst verbinden mit dem Mai.

 

Nur raus, nur fort, nur kein Verschieben!

Der Winter wird jetzt aufgerieben!

Was für ein Flug.

 

Von allen meinen großen Lieben

ist mir nur eine treu geblieben:

der Selbstbetrug.

 

Die Fenster offen. Um zu fliegen,

braucht’s einen schönen Rausch

und Hexerei.

 

Wer, bitte, soll mich jetzt noch kriegen?

Ich reit auf einem Wattebausch

die Zeit entzwei.

 

Schon wirft die Erde erste Falten.

Da steigt ein Abgrund hoch zum All.

Bin ich jetzt frei?

 

Doch, doch! Das Tempo will ich halten.

Hab auch noch beide Lungen prall.

Bist du dabei?

 

Jetzt seh ich Deutschland untergehen.

Werd einfach meinen Rücken drehen.

Blick oben hin.

 

Ob Dichter bei den Engeln stehen?

Und kann ich von da oben sehen,

ob ich noch bin?

 

Ach, Liebe, mach dich nicht so schwer.

Sei leicht, sei leis, fass stiller an,

wo alles ruht.

 

Wo hast du nur die Kräfte her?

Wenn Liebe Sterne wecken kann,

verschon mich, Glut.

 

Und Liebe sitzt mir auf dem Rücken,

und Liebe sitzt mir im Genick,

ich trage schwer.

 

So kann das Fliegen niemals glücken.

Du lieber Mund, du lieber Blick,

du drückst mich sehr.

 

Verdammt. Noch nicht mal Herbst.

Ich falle! Das wird ein Warten auf den Mai!

Hab’s fast gewusst.

 

Denn diese liebevolle Kralle

reißt mittendurch den Leib entzwei

und Stirn und Brust.

Und ging davon

 

Und ging davon. Und ohne große Sprüche.

Und nimmt noch Hemd und Hose aus dem Schrank,

um rein zu sterben. Zettel in die Küche:

Ich glaub, es reicht. Macht’s gut und vielen Dank.

 

So viele Jahre Menschsein können nerven.

Man kann das einfach regeln oder larmoyant.

Er hörte auf, ein Weltbild zu entwerfen,

verzichtete aufs Schluchzen und verschwand.

 

Und in den Wohnblockzellen stricken sie Pullover

und richten sich schon jetzt auf Winter ein.

Die Hungrigen beschweren sich beim Ober.

Die meisten graben sich in ihren Ängsten ein.

 

Die Starken kämpfen noch um ein paar Rechte.

Die Hoffnungsvollen spenden Trost und Brot 

und er besinnt sich auf das einzig Echte:

Geht in die Knie, empfiehlt sich und ist tot.

Lieber Gott

 

Lieber Gott

vor ein paar Stunden

hab ich dich einfach so angeredet.

Ich war pinkeln,

stockbesoffen und den Kopf an die Kacheln

des Pissoirs gelehnt,

kaum mehr in der Lage,

meine Männlichkeit in den Griff zu kriegen,

und da überkam mich plötzlich das Gefühl

der Ewigkeit.

Du wirst dich in diesen Fällen

nicht so auskennen,

aber du musst mir das einfach glauben,

diese Stellung hilft einem eben,

etwas von der Ewigkeit kennenzulernen.

Plötzlich hat man sein Gleichgewicht gefunden.

Hände am Hosenlatz,

ein Bein leicht angewinkelt,

und man ist so froh, nicht mehr umzufallen,

dass man das nie mehr aufgeben will.

 

Jedenfalls kam mir da plötzlich dieses

»Lieber Gott«

über die Lippen

und ich wunderte mich,

dass ich dich auf einmal

so liebevoll angeredet habe.

Wir beide sind uns im Laufe der Jahre

über manches klarer geworden.

Du willst mir nichts mehr vorschreiben

und ich will dir nichts mehr vormachen.

»Liebe Gott und tue, was du willst«,

diesen Augustinus hat man mir früher immer

verschwiegen.

Dafür haben sie uns ab und zu

kleine Hauchbilder in die Hand gedrückt

mit schönen Engelmännern drauf,

die gebrechliche Damen

über Brücken geleiten.

Aber wenn ich mir das mal ohne Hass

durch den Kopf gehen lasse 

so dumm kannst du gar nicht sein,

wie dich die Jahrhunderte dargestellt haben.

Von deinem Standort aus

überblickst du alles ja so viel besser 

wie sich Gesetze ändern,

wie unmenschlich menschliche Ordnungen sind,

wie sprunghaft die Schuld ist,

lieber Gott,

du kannst ja gar kein Rächer sein

und schon gar kein Moralist.

Eigentlich hast du zuerst mal

immer verdammt viel mit mir zu tun.

Und du kannst warten.

Ewigkeiten fließen durch dich hindurch

und du wartest einfach.

Schreibst keine Romane,

hörst nicht mal Gustav Mahler an,

drückst dich in der Straßenbahn nie an Mädchen,

was, Gott,

wenn ich nicht wäre?

Hab ich recht,

stirbt was an dir,

wenn ich aufgebe?

Du nimmst mich doch böse und gut,

grausam und mildtätig,

Hauptsache,

ich bleib am Ball.

 

Ich würde gern mal mit dir

einen Nachmittag lang durchs Universum fliegen,

aber lass mich wieder zurück.

Ich habe noch so viel zu erledigen hier unten,

bin wohl noch nicht ganz fertig.

Will im August in die Toskana,

habe noch eine Menge Musik zu machen,

muss ein paar Leuten auf die Zehen treten,

meine Leber hält auch noch einiges aus,

und lieben will ich,

lieber Gott,

lieben, bis mir das Fleisch von der Seele fällt.

Haben das deine Engel mal so gemacht?

 

Wahrscheinlich muss mich erst wieder

die Ewigkeit streifen

in irgendeinem Pissoir,

bis wir wieder mal miteinander plaudern.

Aber wir haben ja Zeit.

Werde bis dahin versuchen,

schön chaotisch zu bleiben,

Gesetze zu brechen

und der Macht aus dem Weg zu gehen,

das ist mir Moral genug.

Und nur unter diesem Gesichtspunkt

sollten wir’s weiter miteinander

versuchen.

Will mich nicht messen mit dir.

Will auch nicht in die Knie sinken.

 

Drück mir die Daumen

und schäm dich nicht, vorbeizuschauen,

wenn ich traurig bin.

Das habe ich nämlich schon lange rausgekriegt:

Ihr Götter könnt nicht weinen

und müsst durch unsere Tränen stark werden.

Lass mich nicht fallen,

lieber Gott.

Vier Sonette an einen herrenlosen Hund

 

I

 

Auch dich quält manches. Auf der Hut

vor Steinen, Kälte, Kinderscherz,

bist du wie ich so voll von Blut,

nicht frei von Leiden. Nur dein Schmerz

 

ist momentan. Die Schüssel Fraß,

die ich dir vor die Türe legte,

entschädigte im Übermaß

und ließ vergessen. Mich bewegte

 

dein festes Stehn im Augenblick.

So ruhend kann ich niemals sein.

Bist du die bessre Kreatur?

 

Du wartest nicht auf Sinn und Glück,

hebst, wenn es dringlich ist, ein Bein

und bist dir selbst genug Kultur.

 

II

 

Wer sonst, wenn nicht die Herrenlosen,

Verachteten, Getretenen,

soll fähig sein zu neuen Losen,

zum Weiter. Nur die Ungebetenen

 

können die nötige Verwirrung schaffen.

Du beißt (auch scheinbar ohne Grund),

verschwendest dich (anstatt zu gaffen)

und bist ganz einfach da und Hund.

 

Ein Schnuppern, ein Zur-Seite-Weichen,

ein Springen, nirgendshin gerichtet,

genügt schon. Kann dich weitertreiben.

 

Du sprichst mit Winden und mit Teichen

und nichts hat Klang, was mehr verpflichtet

als immer Kreatur zu bleiben.

 

III

 

Oft wenn du voller Wichtigkeit

nach interessanten Spuren gehst

und fiebernd und wie aus der Zeit

dann plötzlich deine Schnauze drehst,

 

weil irgendein Genosse bellt

und du, zu jedem Spaß bereit

(es wird sich rausstellen, ob’s gefällt)

so offen bist, so Sinnlichkeit,

 

dann würd ich gern für ein paar Stunden

mit in dein Hundeleben ziehen

und auch aus deinen Wurzeln trinken,

 

um mich ein wenig aufzurunden,

nicht um aus meiner Welt zu fliehen,

sondern um einmal restlos zu versinken.

 

IV

 

Wenn ich dich manchmal wiederseh,

zufällig beim Spazierengehen,

begrüßt du mich. Fast tut es weh,

dich nicht als meinen Hund zu sehen.

 

Auch du hast sicher dran gedacht,

mit einem Herrn nach Haus zu gehen,

treu aufzupassen in der Nacht

und folgsam deinen Hund zu stehen,

 

doch lass uns lieber dann und wann

beschnuppern und zusammen spielen,

nach Ungewissem Ausschau halten,

 

und jeder darf so, wie er kann

und nur nach seinen eignen Zielen

stehen bleiben oder sich gestalten.

Fragwürdiges Sechs unordentliche Elegien

 

I

 

Fragwürdig wird das immer bleiben:

Heldenepen,

poetische Ballungen,

Erleuchtungen durch den Heiligen Geist,

Dichterqualen,

dann schon lieber

My Sweet Lord zum Schunkeln

oder die Kindertotenlieder als Reggae,

selbst Fausts Himmelfahrt bereinigt nicht alle Zweifel,

man steckt eben noch ganz schön tief drin.

 

Da muss schon was Handfestes, Bleibendes herhalten.

Bevor nicht das letzte Staubkorn

vom Tisch der Wüsten verschwindet,

wird gebohnert und gesäubert,

gebürstet und bereinigt,

und die Stubenmädchen reiten zum Sturm.

 

Trennungen.

Selbst vom Eiffelturm aus

lassen sich nur Einschnitte erkennen.

In den Büchereien

verkaufen sie dann Überblicke.

Wahlweise poetisch, wissenschaftlich

oder verständlich.

 

Von acht bis fünf

Bürovorsteher,

anschließend Familienvater,

später tot.

Keine Zusammenhänge.

Selbst gleichzeitig Gehen und Armeschlenkern

verursacht Kopfzerbrechen,

aber alles andere ist nun mal zu fragwürdig,

kann man sich nicht drauf einlassen,

müssen Sie verstehen,

Herr Kollege.

 

Homer hat sowieso nie gelebt,

Rimbaud war ein Bluffer,

Christus eine Erfindung,

Toller doch noch zu wenig proletarisch,

Fromm ist ein Plagiator,

 

Benn war Faschist,

Mozart Lakai der herrschenden Klasse,

gerade noch zwei Häuserwände

assoziativkreativ bepinseln,

aber dann gleich wieder zurück zur Blaskapelle,

Hauptsache, das Mundstück ist nicht schmutzig,

der Dirigent nicht besoffen

und beim Pinkeln leert sich ordentlich die Blase.

 

Ansonsten kriegen wir die Welt schon in den Griff.

 

II

 

Bitte keine Zwischenrufe jetzt,

ich bin sensibel.

Vielleicht sollte ich wirklich lieber mal

einen Hammer in die Hand nehmen,

die Ärmel hochkrempeln,

aber lassen Sie mir noch Zeit.

Noch gehör ich zu denen,

die ans Absolute ranwollen,

da bleibt oft nur das Ahnen,

das ist eine andere Dimension,

da wohnen die Dichter.

 

Ach so.

Sie wissen also mehr von der Wirklichkeit

und können mir auch sicher kurz umreißen,

welche Wirklichkeit Sie meinen?

Die des Cinquecento und der Inquisition

doch sicher nicht,

oder vielleicht doch wieder mal eine geozentrische?

Die albanische eventuell,

die manisch-depressive

oder eine alkoholische

Fellachenwirklichkeit oder pax orbis et mundi,

Wüstenrot oder Jesus People 

eigentlich können Sie doch nur die Ihre meinen,

wenn Ihnen meine schon nicht so recht ist?

 

Muss eben immer was Bleibendes herhalten,

muss man sich festhalten können,

gerichtete Welt,

genormte Welt

(Stillgestanden! Rühren! Weiterdichten!)

und die Wirklichkeiten,

geharnischt und flammenden Schwerts

im Glorienschein der Hymnen und Manifeste

ihre Rekruten adelnd,

ziehen in den Krieg.

 

Zwischen den Fronten

eingeschlagene Fensterscheiben und

aufgeschlitzte Bäuche,

traurige alte Damen

mit Fotoalben auf den Knien,

gerechte Welt,

bewiesene Welt,

Hauptsache, allerorten

gesundes Volksempfinden,

dieses untrügliche Empfinden,

das Schäferhunde streicheln lässt

und Juden vergasen,

objektive Welt,

wissenschaftliche Welt

und immer gefühlsbetont,

Tränen in der Metzgerei

(so was kann ich nun wirklich nicht mit ansehen),

wogende Brüste beim Anblick eines Säuglings,

wenn er nur richtig koloriert ist,

südafrikanische Wirklichkeit,

Sonthofener Wirklichkeit 

 

Und dann sitzt man doch immer wieder mal

an einem großen Tisch zusammen,

mit Freunden,

und neue sind dazugestoßen,

oder plötzlich wird man

in irgendeiner Imbissstube

von der Wärme gepackt,

Prosten, Saufen, Streiten,

man liebt und plant und hofft,

ach,

ganz egal wo,

immer wieder trifft man eben Menschen,

Menschen,

die sich einfach dauernd entwickeln,

vorleben,

keine Bedingungen ans Glück stellen,

selten schuldig sprechen

und sich nicht vertuschen.

Das kann sicher noch nicht alles sein,

aber es ist genug,

um weiterzuleben,

weiterzulachen

und weiterzudichten.

 

III

 

Aber wer,

rufen die Freien,

wer ist nicht frei

im freien Land?

Seht doch,

wie sie uns schützen

vor den Unfreien,

schwärmen die Freien,

seht doch,

wie die Regler das Land regeln,

untadelige Männer

mit Bürde und Ritterkreuz,

haben keine Vergangenheit,

haben nur eine Gegenwart,

leiden stets um die Zukunft,

einwandfreie Männer,

brüllen die Freien,

die auch schon mal sonntags eine Kanzel erklimmen,

um Gott näher zu sein.

 

Währenddessen

setzen Retuschen und Hüftschwünge

Maßstäbe,

legen z. B. Entfernungen fest:

In Saragossa wartet die Liebe,

in Colorado wohnt das Glück,

keimfreie Männer mit volksnahen Kehlen,

die können Sie Ihrer Tochter getrost übers Bett hängen,

gnädige Frau,

die wälzen nicht um,

die wühlen nicht auf,

die nehmen das Jungfernhäutchen noch ernst.

 

Seht nur,

wie sie Posters verteilen,

mit Blondschopf und Gattin, an alle Haushalte,

seht doch,

wie sie vollkommen sind,

wie sie nicht furzen bei Tisch,

wie sie in der Oper nicht schnarchen,

Politiker, Priester, Propheten,

manchmal trifft man sie

in den Hinterzimmern feiner Bordells,

im Lederkostüm,

den Hintern ausgespart,

schluchzend und wie im Gebet,

und flehen um Strafe.

 

Schick eine Sintflut, Herr,

in dieser Ordnung kann sich niemand mehr gestalten.

Zwischenspiel

 

Und schon erheben sich die Drübersteher,

deuten mit ihren glanzlosen Fingern

auf die Unvernunft

und formen ihren gemeinsamen, einsamen Mund

zu ihrem Schlachtgesang:

Lächerlich!

Lächerlich, rufen sie sich zu,

denn ihrer ist das Menschenreich,

und dann flüstern sie bestürzt:

Dialektik, mein Freund,

oder behaupten schlicht und unumstößlich:

Porsche Carrera!

Münchner Bier!

Pierre Cardin!

 

Manchmal,

wenn sie sehr beunruhigt sind,

vielleicht,

weil plötzlich was Lebendiges den Raum füllt,

oder einfach in ihren unvertuschbaren,

ehrlicheren Stunden,

greifen sie zu diesem

stillen Lächeln,

das den Schulmädchen so imponiert

und all denen,

die gerne unantastbar wären

und ständig fundiert.

 

Seht nur,

die Drübersteher,

wie sie buckeln vor politischen Begriffen,

moralischen Normen,

in Diskotheken ballen sie sich

(wohl des Redeverbots wegen)

und in Hegel-Seminaren,

Free-Jazz-Konzerten oder

anderen Geheimclubs,

deren Credo die Unverständlichkeit ist,

meistens aber und am liebsten

machen sie auf Einzelkämpfer,

suchen sich naive, freundliche Menschen,

die nicht daran denken,

das Lachen zu verraten,

lassen ein bisschen Unverdauliches ins Gespräch fallen

und versuchen,

teilnahmslos und männlich

und vor allem lächelnd

auf sich aufmerksam zu machen,

wo sie nicht mitreden können.

Alle, die aufgegeben haben,

wollen die Mutigen und Suchenden

erniedrigen.

Beenden zum Beispiel Diskussionen mit Sätzen wie:

Wir treffen uns in zehn Jahren in Monte Carlo wieder!

Oder andere:

Nach der Revolution sprechen wir uns, Freundchen!

Als ob es noch nie Steher gegeben hätte,

die sich bis zum Schluss woanders suchen

als in Börsenberichten oder Wahrheitsdrogen.

 

Da hör ich schon viel lieber denen zu,

die munter drauflosplappern,

sich versteigen ins Uferlose,

auch wenn sie nicht mehr zurückfinden,

solche,

die rotbäckig werden nach einer Stunde,

denen irgendwann zwangsläufig

der Bierkonsum aus der Kontrolle gerät,

Schwärmer,

die mit dem Körper reden,

Verzückte,

Besessene,

Leidenschaftliche,

die man immer wieder aufbrechen kann,

weil sie so zerbrechlich sind,

und die dann eben auch,

wenn’s gar nicht mehr anders geht,

auf die Straße rennen

und den Kopf hinhalten.

 

IV

 

Nur mal so dahingefragt, Herr Nachbar,

sozusagen in den luftleeren Raum hineingefragt,

Herr Nachbar,

was, glauben Sie,

hätten wir von unserem schönen Himmel,

wenn’s für Frau Meinhof keine Hölle gäb?

Ich meine,

was, glauben Sie,

entschuldigte all unsere Enthaltsamkeit,

all diese heimlichen Schweißausbrüche,

wenn sich Fräulein Ute von Stock 14

mal wieder so hemmungslos über die Akte beugt?

Also jetzt mal ganz unter uns:

Können Sie wirklich auf das Böse verzichten?

 

Nur mal so dahingefragt, Herr Wecker,

sozusagen neben Sie hingefragt,

was hielte Sie hoch, Wecker,

wären nicht unsere Chefideologen, Päpste

und Pomadekastraten,

da müssten Sie doch mal ganz schön umdenken,

gerichtete Welt,

gewertete Welt,

muss eben immer was Bleibendes herhalten,

abspecken, Wecker, abspecken,

den Kopf unters kalte Wasser

und endlich mal wieder

ganz von vorn ofanga!

Nur keinen Spiegel jetzt,

schaffen Sie die Fotografen fort,

es ist so schwer,

der größte lebende Dichter Deutschlands zu sein.

Darf ich Ihnen einen Blues singen?

Oder wie wär’s mit einer Chopin-Etüde?

Gestehen Sie mir zu,

dass ich alle Voraussetzungen erfülle,

ein bedeutender Bodybuilder zu sein?

Verpasst.

Wenn ich ganz ehrlich bin,

können Sie mit mir nicht mal einen Bankraub machen,

nur weil ich zu feig bin.

Was bleibt, muss mir herhalten:

Worte, Töne, Fantasien.

Bin ein Grenzgänger.

Täusche mich oft.

Aber hab eine grenzenlose Liebe zu mir.

 

Und das lässt mich hoffen.

 

V

 

Und bis zum Ende der Geschicke:

Tränen, Mut und Glücke.

 

Aufrichtigkeiten nur noch laut Katalog vorrätig,

Infantilismus ist ein Schimpfwort geworden,

und ich werde mich mit Ihnen über Christus streiten,

ob Sie’s wollen oder nicht,

ich hab ihn wieder lieb gekriegt,

und das ist doch nun wirklich scheißegal,

ob er vielleicht nur mal in ein Leichentuch hineingeträumt wurde,

an solchen Träumen wär ich gern reicher,

Paulus zum Beispiel interessiert mich im Moment noch nicht,

und unser herzlicher, angeblich schwuler

Religionslehrer Rauber

hat mir eine Menge Heilige ersetzt.

 

Egal, ob ich noch richtig ticke:

Tränen, Mut und Glücke.

 

Vielleicht ist mein penetrantes Ja zum Leben

auch schon eine Einschränkung der Freiheit,

oder ist das ein anderes Ja

als all diese wandelbaren, ungewissen 

Sprünge unter der Schädeldecke.

Abheben,

Blitze,

durchlöcherte Schleimhäute.

Meine Mutter hat ein Käppchen auf und kreischt:

Näher, mein Gott, zu dir!

Wie war das nur in ihrem Bauch?

Hätt ich nur Gerüche davon

oder Melodien

oder wenigstens Schmerzen am Bauchnabel,

meine Mutter in Schwesterntracht

und lockt:

Näher, mein Sohn, zu mir!

Auch wenn ich nicht mehr richtig ticke:

Tränen, Mut und Glücke.

 

Würden Sie wirklich zurückwollen?

Kieme, Feuerrad,

Blasenkatarrh eines niederen Gottes?

Der Gedanke legt mir Steine ins Blut.

Wenn man irgendwann mal sehr oben steht,

sieht man doch die Blätter

schon nicht mehr fallen,

wird das Wachsen ständig.

Wie kann ich nur fließend zum Stehen kommen

oder im Stehen fließen!

Und Weitsicht kann so trügen,

und Einblicke lähmen so oft,

und ist ein Gramm Rätsel pro Tag

nicht schon genug?

Zu viel macht süchtig, sagt man 

 

Dann lassen Sie mich eben süchtig sein!

Diese Gier heißt auch Leben,

und ich will nun mal nur

bewegt bewegen.

Kann auch nicht sagen, ob’s immer nach vorne geht,

manche setzen sich auf Nebengleise ab,

haben für niemanden Bedeutung,

kreisen um sich,

zerplatzen,

fliegen,

aber sie fragen,

fragwürdige Welt, offene Welt, wunderbare Welt.

Da kann man doch wieder Luft holen,

da kriegt doch Mut, wer tauchen kann,

und auf ein Wort, Kollege Mensch,

gestatten Sie,

dass ich mich weiterhin verschwende.

 

VI

 

Innenschau und die Unschuld wiederfinden,

mit den Tieren sprechen und den Bäumen,

wandelbar sein, verwundbar,

und ans Weiter glauben.

Alle sind mündig,

und die Unschuld ist niemands Privileg.

 

Innenschau und die Liebe befreien,

ab und zu ein Goethegedicht in die Hand nehmen,

Idyllen meiden.

Ausbreiten,

mit lieben Menschen lange zu Abend essen,

wenn’s geht, in Italien, Herbst oder Frühjahr,

und sich einfach mal öfters anlangen.

 

Innenschau und Exhibitionismus,

durchs Land ziehen, aufpassen, wiedergeben,

mehr weiß ich im Moment nicht zu tun.

Hoff auf erweiterte Ausdrucksformen,

wünsch meinen Eltern ein endlos langes Leben,

versuch meinen Schwanz endlich an mich zu gewöhnen,

bedank mich bei meinen Lieben fürs Mitmachen,

hab furchtbare Angst vorm Sterben

und will später unbedingt mal ein Engel werden.

Parteibuch hab ich keins,

und ab und zu im Winter

leg ich mich auf die Sonnenbank,

aus lauter Eitelkeit.

Elegie für Pasolini

 

I

 

Auch wenn sie dich jetzt auf ihre Fahnen malen

und mit diesem heiligen Eifer und Zorn

die Mörder jagen 

was nützt das deinem eingeschlagenen Schädel,

Paolo Pasolini?

Du warst für sie immer eine schwule Sau,

dekadent und pervers,

ein Träumer,

den Rechten zu viel Kommunist

und deiner Partei zu viel Mensch.

 

Du hast Genossen gesucht,

und sie haben dir dafür

dein Parteibuch zurückgegeben.

»Trotzdem bleibe ich jetzt und immer Kommunist«,

hast du geantwortet,

und kurz vor deinem Tod:

»Der Tod besteht nicht darin,

dass man sich nicht mehr mitteilen,

sondern dass man nicht mehr verstanden

werden kann.«

 

II

 

Chor:

Denn wer den Zweifel liebt,

hat schon verloren,

es kann nicht gut sein,

wenn man abweicht von der Norm.

Nur wer ein Glatzkopf ist,

bleibt ungeschoren,

und nur wer mitmarschiert,

marschiert nach vorn!

 

III

 

Glaub mir, Paolo Pasolini,

sieben Jahre nach deinem Tod

hat sich nicht viel verändert.

Die Veilchen blühen im Frühling

nach dem gleichen Prinzip,

und all die schönen,

begehrenswerten Knaben

schlagen nach wie vor

ihren Freiern

die Nasen ein.

Die Faschisten haben dieselben

Orgasmusprobleme

und warten mit geblähten Samensträngen

auf die Endlösung.

Vom ägyptischen Weihrauchhandel

bis zum konzertierten Börsenbetrug

ist’s ein Atemzug,

und die babylonischen Bankiers

haben ihre Geschäfte

in die oberen Etagen der Ölgesellschaften

verlegt.

Wir bauen immer noch fleißig ihre Pyramiden,

nur,

wo sollen die später mal graben?

Hiroshima ist nur ein Vorort von Jericho 

aber ganz wird der große Endknall

eines gewissen ästhetischen Reizes

nicht entbehren:

Eine malerische Wolke Gift

senkt sich auf die Menschheit

und bettet sie in den Tod.

Heloten und Spartacus,

ein paar Demonstranten mit Stehvermögen

und blutigen Köpfen,

die Mutigen sind nicht mehr geworden,

ach,

manchmal glaube ich,

es kommen immer wieder dieselben

auf die Welt.

 

Und dazwischen

die traurigen Genies, die Wahnsinnigen,

die Irrationalisten, die Verstoßenen,

dieser viel zu zärtliche Ansturm gegen Profitgier

und die Prügelfaust der Wahrheiten,

kaum Veränderungen,

kaum Entwicklung,

manchmal ein Anflug von Liebe

unter den Eismeeren,

Berührungen vielleicht,

Worte und Zeichen 

mich jedenfalls kann die Weltgeschichte am Arsch lecken.

 

IV

 

Chor:

Denn wer den Zweifel liebt,

hat schon verloren,

es kann nicht gut sein,

wenn man abweicht von der Norm.

Nur wer ein Glatzkopf ist,

bleibt ungeschoren,

und nur wer mitmarschiert,

marschiert nach vorn!

 

V

 

Du überblickst jedenfalls

jetzt alles viel besser,

und ich glaube,

du kommst mit den Toten eher zurecht.

Totsein macht großmütig,

und richtig einig mit sich

wird man eben erst im Nachhinein.

Hilf mir doch ein bisschen,

reiß mir einen Augenblick den Himmel auf.

 

Es kann so schön sein,

an Flüssen zu sitzen,

die Beine baumeln zu lassen,

und ich stelle mir Wälder vor

und kräftige Menschen,

die so tief Luft holen,

dass ihnen schwindlig wird,

und zwischenrein:

Polizeiknüppel und Aufmärsche,

Beine und Busen,

aufgewogen und als Geschenkpaket

verschnürt,

wo soll man noch Atem holen,

wo soll man noch lieben,

haben dir deine Mörder nie ins Gesicht gesehen,

warum ist ihnen die Hand nicht verdorrt,

ich wäre doch so zärtlich gewesen zu dir,

Paolo Pasolini.

 

Natürlich,

sie müssen ihre Welt ja immer mit Fahnen erobern,

aber ich will von keiner Fahne abbeißen,

es heißt,

dass dieses Tuch bitter schmecke.

Sie wollten schon lange deinen Kopf,

Jochanaan,

denn wer lässt sich schon gern das Betttuch wegziehen,

wenn’s draußen kälter wird?

Wachstum, Pasolini,

und die Wärme der Fernsehsessel!

Frigide Frauen und mörderische Schwänze!

Lustvolle Menschen kann man nicht besitzen,

nur was sie veräußern können,

auf was sie treten können,

das nennen sie Liebe.

 

»Lasst uns umkehren.

Es lebe die Armut.

Es lebe der kommunistische Kampf

für die lebensnotwendigen Dinge.«

 

VI

 

Chor:

Denn wer den Zweifel liebt,

hat schon verloren,

es kann nicht gut sein,

wenn man abweicht von der Norm.

Nur wer ein Glatzkopf ist,

bleibt ungeschoren,

und nur wer mitmarschiert,

marschiert nach vorn!

 

VII

 

Nein!

Nein!

Natürlich werde ich nicht aufgeben.

Will die Zeit noch nützen.

Wer weiß, wann’s Schluss ist.

 

Es gibt Menschen,

denen läuft plötzlich das Gehirn aus.

Das dauert ein paar Monate.

Erst können sie sich nicht mehr konzentrieren,

dann vergessen sie, wo der Lichtschalter ist.

Und in ihren kurzen wachen Momenten

weinen sie hemmungslos.

 

Aber Gedanken können nicht einfach wegfließen.

Auch du hast die Erde getränkt,

und so viel Land

können nicht mal deine Mörder umpflügen,

um zu verhindern,

dass da was wächst.

 

Nicht für die Welt,

nicht für Gott,

nicht für das Paradies

und nicht für die Menschheit,

vielleicht nur für eine Handvoll Träumer,

keine Illusionisten,

keine Fantasten,

sondern einfache Menschen,

die plötzlich jetzt und heute sagen,

sich auf die Straße stellen

und schlicht behaupten:

 

Mit mir nicht, meine Herren.

Endlich wieder unten

 

Endlich bist du wieder unten,

wieder mitten im Geschehn.

Hast dich plötzlich losgebunden,

um als Mensch zu überstehn.

 

Wieder barfuß auf dem Boden,

wieder dort, wo uns die Welt,

losgelöst von Muss und Moden,

ansatzweis zusammenhält.

 

Und jetzt liegt da dieser Zettel

zwischen deinen Wertpapiern:

Heute nehm ich mir das Leben,

um es nie mehr zu verliern.

 

Kann auch ohne eure Titel

und Verträge überstehn.

Hab die Schnauze voll von Zielen,

will mich erst mal suchen gehn.

 

Nur die sich misstraun,

brauchen Normen zum Sein

und verteilen als Schuld,

was sie sich nicht verzeihn.

 

Doch wie immer sie dich

auch schuldig schrein,

nur du hast das Recht,

dein Richter zu sein.

 

Endlich stehst du zu den Bieren,

die man nur im Stehen trinkt,

siehst, wie glücklich ein Verlierer

ohne Kampf nach oben sinkt.

 

Suchst dir fünf Uhr früh am Bahnhof

einen Freund für einen Tag.

Ganz egal, was er dir gibt,

wenn er sich selbst nur etwas mag.

 

Und dann rinnt dir, weil du zitterst,

ein Glas Wein übers Gesicht,

fällst vom Stuhl und blickst nach oben

und entdeckst ein Stückchen Licht.

 

Dir verschwimmen Hirn und Sinne,

schwankst aufs Klo, schließt nicht mal zu,

überlässt dich deinem Dasein

und bist endlich wieder du.

 

Nur die sich misstraun,

brauchen Normen zum Sein

und verteilen als Schuld,

was sie sich nicht verzeihn.

 

Doch wie immer sie dich

auch schuldig schrein,

nur du hast das Recht,

dein Richter zu sein.

Manchmal weine ich sehr

 

Ich will nicht klagen. Das Essen ist reichlich.

Jeden Freitag gibt’s Analyse.

Morgen haben wir das große Mühleturnier.

Und von Werner herzliche Grüße.

 

Die Ärzte sind scherzhaft, die Pfleger gepflegt,

und sie lächeln unaufhörlich.

Die Pillen sind bunt und täglich

und schmecken wirklich kein bisschen gefährlich.

 

Manchmal weine ich sehr. Das behalt ich für mich.

Auch dass ich mich sehne nach dir.

Vom Bett aus sehe ich den Park und dich

und die Sonne bis Viertel nach vier.

 

Es schneit bereits. Doch jetzt im August

ist dir sicher zu heiß, um zu schreiben.

Vielleicht nächstes Frühjahr. Ach würd mich das freuen.

Ich werd noch ein Weilchen hierbleiben.

 

Die junge Frau Doktor ist jetzt auch nicht mehr da,

und grad die hat noch keinen verletzt.

Die hat auch nicht immer gleich alles gewusst,

deshalb hat man sie wohl versetzt.

 

Doch das Wichtigste ist: dass Werner und ich

kaum mehr in Behandlung waren.

Wir sind bald gesund. Auch wenn Werner meint,

die wollen jetzt Strom an uns sparen.

 

Manchmal weine ich sehr. Das behalt ich für mich.

Auch dass ich mich sehne nach dir.

Vom Bett aus sehe ich den Park und dich

und die Sonne bis Viertel nach vier.

 

Es schneit bereits. Doch jetzt im August

ist dir sicher zu heiß, um zu schreiben.

Vielleicht nächstes Frühjahr. Ach würd mich das freuen.

Ich werd noch ein Weilchen hierbleiben.

Da ist der Krebs

 

Da ist der Krebs. Und da sind diese Tränen.

Und da er selbst. Auf einmal mittendrin.

Und er beginnt sich grenzenlos zu schämen

und macht sich auf die Suche nach dem Sinn.

 

Die Professoren sprechen von Symptomen.

Die meisten fühlen sich ganz einfach nur gestört.

Die liebe Mutter wollte er verschonen.

Und gute Freunde zeigen sich empört,

 

dass er sich nicht ins Dunkel schleichen wollte.

Und gönnen ihm selbst jetzt den Glauben nicht.

Denn erstens sind sie kerngesund und voll Revolte

und zweitens trauen sie noch keinem Licht.

 

Und eines Tags verlässt er Arzt und Bett,

um nicht die letzte Achtung zu verlieren.

Sucht sich ein Leben ohne Etikett

und ist bereit, sich selbst zu respektieren.

 

Die Professoren tragen spitze Hüte

und singen fistelnd im Philisterchor.

Ach, kämen doch das Wissen und die Güte

ein bisschen häufiger gemeinsam vor!

 

Und wir verdauen alle klugen Sprüche,

wenn sie fundiert und von Doktorn gesiebt.

Doch er entscheidet sich für Blicke und Gerüche

und einen Himmel, der ihn liebt.

Liedlein

 

Was macht der Herr Richter, wenn er Feierabend hat?

Hat er dann das Gerechtsein erstmal satt,

wird er dann eventuell mal banal

und sucht den richtigen Fernsehkanal?

 

Berichtet er seiner Frau, dass er statt zu richten

nur seinen Kragen gerichtet hat?

Oder hat er was, was er niemanden nennt,

und freut sich tierisch aufs Wochenend?

 

Denn am Sonntag, am Spielplatz, um dreiviertel zehn,

da lässt der Herr Richter sein Schwänzlein sehn.

Er braucht halt nun mal das Klein-Mädchen-Geschrei

als Ausgleich für seine Rechthaberei.

 

Ich glaube, das nimmt einen ganz schön mit,

wenn man täglich Sitte und Anstand vertritt.

Und hat nicht Angst vorm Jüngsten Gericht,

wer im Namen des Herrn dauernd Urteile spricht?

 

Ja, da kann’s schon mal sein,

dass einem ganz schön schlecht ist,

wenn man tagsüber hauptberuflich im Recht ist.

Aber wenn’s in der Seele so richtig brennt,

dann denkt der Herr Richter ans Wochenend:

 

Denn am Sonntag, am Spielplatz, um dreiviertel zehn,

da läßt der Richter sein hm … hm … sehn.

Ach hätt er das alles nur früher getrieben,

dann wär uns ein Richter erspart gelieben.

Uns ist kein Einzelnes bestimmt

 

Neun Elegien

 

Geschrieben in der Nacht vom 27. zum

28. Dezember 1980 in Lupinari – Toskana

 

»Und wir: Zuschauer, immer, überall,

dem allen zugewandt und nie hinaus!

Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.

Wir ordnens wieder und zerfallen selbst

 

Rainer Maria Rilke

Achte Duineser Elegie

Die erste Elegie

 

Anstatt sie zu betreten,

treten wir die Welt.

Wie eine Silbe doch entscheidend scheiden kann!

Wie erst ein Wort!

 

Als wir noch schliefen,

warn die Wörter schon gemacht,

und alles, was wir heute niedrig sehen,

war immer groß genug,

uns aufzunehmen ins Geschehen.

 

Wie sich die Luft noch niemals wünschte,

Mensch zu sein,

sieht alles, was sich selbstlos gibt

sanft lächelnd auf uns nieder.

 

Ach würden wir an solcher Größe uns gestalten,

die es ertragen kann,

von uns geschändet und zerstört zu werden.

 

Uns birst die Lunge,

wir vergehn vor Schmerz und Wut,

wenn wir die letzten Bäume fällen.

 

Und wie bedauert uns das Tier!

Mit welchem warmen Mitleid

wacht die Erde über uns,

wenn wir sie quälen.

 

Armselig sind die Herrschenden,

denn sie genügen sich nicht selbst.

Und was wir uns auch immer neu zu schaffen glauben,

verkleinert nur, was längst geschaffen war.

 

Die Welt hält stand.

Selbst wenn wir sie in Stücke jagen 

wir gehen nur an dem zu Grund,

was wir verstehn.

 

Nichts ist erklärbar.

Nur im Unsichtbaren

lernen wir zu sehen.

Die zweite Elegie

 

Kein Gift ist böse.

Wären wir der Gifte Übermaß gewachsen,

sie würden uns die Welt zu Füßen legen.

 

Allen Pflanzen entwächst ein Ungeheueres.

Sind sie nicht selbst schon ungeheuer?

Allein ihr Dasein wär es wert,

sie anzubeten wie ein Wunder.

 

Warum nur

wehren wir uns so

dem Wundervollen eins zu sein?

 

Vermummte Welt,

die sich allein den Liebenden kurz öffnet.

Preiszugeben ist sie nicht.

Denn Glaube ist nicht käuflich

und selbst die geduldigen Engel

werden’s müde,

sich mit geborgten Flügeln zu maskiern.

 

Was rettet wohl die Richter,

wer befreit sie

aus ihrer versteinten Wirklichkeit?

Wie kann sich einer jemals selbst verzeihen,

der nie verzieh?

Schuld bleibt nur denen,

die sie anderswo verteilen.

Der Menschen Anderssein

ist höchstens lehrreich.

Nie Entschuldigung für sich.

 

Mir scheint,

selbst die Weisen sind müde geworden,

halten sich zurück.

Wie sollten sie mit ihren zarten Gipfeln

unsren Waffen auch noch widerstehn?

Die dritte Elegie

 

Doch immer wieder

lässt es sich gut leiden und gut feiern

und wechseln

mit dem nie steten Licht.

 

Stillere Nächte,

tiefere Räusche,

meine Seele übt sich schon ein bisschen

im Fliegen.

Bald muss sie weit hinaustreten.

Ob sie zurückkehrt oder nicht:

Ich lebe und danke.

 

Stiller nähern sich die Ideen.

Leiser fordert die Kunst.

Zu oft vergeudet man Gedanken

an Neues und Form.

Ich bin die Form

und es bleibt keine Zeit mehr

zu beschreiben.

 

Dichtung ist Abglanz von anderswo

und strömt als Gleiches durch ungleiche Herzen.

Warten und redlich bemühn:

Mehr bedarf’s nicht.

 

Hier ist kein Platz

für Schmähung und Pamphlet 

Gedichte sind wahrhaftigere Wesen.

Wollen niemals verletzen.

 

Schon immer war verstanden werden leichter

als verstehen.

Uns scheint der Sonne Schein

oft größer als ihr Sein.

Die vierte Elegie

 

Hilfreich glaubt sich die Menschheit.

Sie winkt von ihren Podesten

alle Verdammten hoch

in die bessre Vernunft.

 

Aber wer ist schon verdammt,

und wer der Hilfe bedarf,

will nicht nach oben betteln.

 

Fragt dich dein Hund,

wenn du leidest,

ob du aus eignem Verschulden

in deinen Tränen erstickst?

 

Traurig schleicht er um dich

immer sorgsam bedacht,

dich nicht zu stören

und dir die Wunden zu lecken.

 

Wie aber freut er sich,

ohne Lob zu erheischen,

wenn du gesundest!

 

Doch wenn du stirbst,

stirbt er schweigend mit dir

und sicher legt er drüben

ein gutes Wort für dich ein.

Die fünfte Elegie

 

Schließlich verschwinden die Bilder

und es bleiben die Dinge:

nicht mehr berührbar, beschaubar,

unschuldig werden

Worte und Mensch.

 

Sind wir nicht da,

uns zu erweitern?

Und in der Weite

zählt nicht mehr unser Gesicht 

wir werden angesehn,

wie wir uns niemals erblickt.

 

Farben lösen sich auf ins Nichts

und werden bunter

und alles wird ohne Gestalt erst

vielgestalt.

 

Wir nennen Höhe, was wir erklimmen,

aber wie nennt die Höhe sich selbst?

Immer sieht uns ein anderes an,

das wir anders benennen.

 

Werden heißt:

immer mehr von sich

und der Welt zu verlieren.

Die sechste Elegie

 

Einst, da waren wir schön.

Bis wir die Schönheit erfanden.

Plötzlich,

ach wüssten wir nur darum,

gab es dies: Ich

und wir beriefen die Welt.

 

Manchmal noch streifen uns Glück und Ideen.

Wir blicken zurück.

Noch schützt uns die Schwermut.

Doch je stärker wir werden,

verlieren wir Halt und Gestalt.

 

Wie nur ertrugen’s die Großen,

denen dies wahrere Sein

die Adern zerriss,

wie konnten sie’s nur ertragen,

dass sich ein Gott ihrer kläglichen Körper bediente,

uns zu warnen?

 

Einst, da waren wir schön.

Da trafen wir uns in der Mitte.

Wie quält uns die Schale!

Wie fern sind wir dem Kern!

Die siebente Elegie

 

Doch seht:

Die Nacht erlahmt schon,

sorgsam behütet ein Morgen die Welt

und ich will hinaustreten

und freuen.

 

Dass wir so schwanken – es sei!

Liebend erfasst,

trägt mich auf einmal ein fremderer Atem

über mich fort.

 

Nicht um die Leiden zu lindern,

wird wieder Freude.

Leben ist zwischendrin.

Vor allem: heute.

 

Einmal vielleicht

werden die Nächte brennen.

Übergangslos auftaut die Erde.

Gibt uns frei.

 

Schon scheint der Himmel

ein wenig runder

und die Wiesen

wenden sich hin.

 

Wer könnte sonst noch

aufrecht stehen und bestehen,

folgten nicht immer auf Weh und Klagen

Stürme voll Glück.

 

Dies nur kann uns nach Hause führen:

Liebe

und eines Größren Barmherzigkeit.

Die achte Elegie

 

Nur den aufrichtig Liebenden

wird es gelingen zu hören, zu schauen,

drüber hinaus mit den Herzen zu greifen.

 

Seht doch,

wie ihre Wirklichkeit fern ist

von all dem Getön und Getue,

wie wir sie neiden.

 

Weil sie uns fremd sind, haben wir Angst.

Schelten sie einfältig oder verblendet,

ach, weil wir alles viel besser verstehen

und in Büchern belegen,

mit Kriegen beweisen.

 

Aber die aufrichtig Liebenden

wandeln den Menschen voran.

Ihnen allein

muss nicht der Menschheit Blut

Wahrheit und Dasein bezeugen.

Sie allein

müssen sich nicht übersehn,

um gesehn zu werden.

Die neunte Elegie

 

Uns ist kein Einzelnes bestimmt.

Ein jeder ist die Menschheit,

geht mit ihr unter

oder wendet sie zum Guten hin.

Du musst dir alles geben

 

Du musst dir alles geben,

Dämmern und Morgenrot,

unendlich lass dich leben,

oder bleib ewig tot.

 

Du musst dir alles geben,

alles ist immer mehr.

Die dir dein Schicksal weben,

geizen sehr.

 

Die dir Großes versprechen,

versprechen sich meistens dabei.

Mach deine eigenen Zechen,

taumle dich frei.

 

Du musst dir alles geben,

Dämmern und Morgenrot,

unendlich lass dich leben,

oder bleib ewig tot.

 

Du musst dir alles geben,

keiner bringt dir dein Heil.

Alle Tage durchleben 

die Stufen sind tränensteil.

 

Ja, sogar alle Tage

können nie alles sein 

auch ohne Antwort:

Frage und gib dich ein!

 

Du musst dir alles geben,

Dämmern und Morgenrot,

unendlich lass dich leben,

oder bleib ewig tot.

Wieder eine Nacht allein

 

Wieder eine Nacht allein.

So viel gehofft, geträumt, vertraut,

die Augen wieder wund geschaut

nach einem Fetzen Paradies.

 

Wieder eine Nacht allein 

da muss doch irgendjemand sein,

der mit dir teilt, der mit dir sucht,

den so wie dich der Tag verließ.

 

Wieder eine Nacht allein.

Was jetzt noch läuft, ist gut bekannt,

jetzt bleibt nur noch die eigne Hand,

um etwas Zärtlichkeit zu spürn.

 

Wieder eine Nacht allein.

Du wirst noch zu den Huren gehen,

in einiger Entfernung stehen

und von der Unschuld fantasiern.

 

Und vielleicht wirst du morgen,

verlacht und verdreckt,

statt mit zärtlichen Worten

mit Tritten geweckt,

das Blut voll von Fusel,

die Augen verdreht

und doch überzeugt,

dass es weitergeht.

 

Wieder eine Nacht allein.

Du willst dir kein Gesicht mehr leihn,

um wie die andern stark zu sein 

nur wer sich öffnet, kann sich spürn.

 

Wieder eine Nacht allein.

Du weißt, kein Wunder wird geschehn,

und trotzdem, du musst weitergehn,

um nicht die Hoffnung zu verlieren.

 

Und vielleicht wirst du morgen,

verlacht und verdreckt,

statt mit zärtlichen Worten

mit Tritten geweckt,

 

das Blut voll von Fusel,

die Augen verdreht

und doch überzeugt,

dass es weitergeht.

Und das soll dann alles gewesen sein

 

Gerodete Dschungel, zerdachte Natur,

bald bleibt den tapfersten Bäumen

nur noch übrig, zerhackt und mit Politur

vom Blühen und Werden zu träumen.

 

Dann müssen wir unsere verplante Welt

mit eisernen Lungen versorgen.

Wir haben die Erde so schlecht bestellt

und betrügen noch heute das Morgen.

 

Doch wie wir auch strampeln und wie wir auch plärrn,

wir erreichen nur die Staffagen:

Der Staat dient den stets anonymeren Herrn

aus den obersten Etagen.

 

Und das soll dann alles gewesen sein 

ein Leben ganz ohne den Wind?

Versorgt und verplant und ohne Idee,

was wir wollen und wer wir sind.

 

Und das soll dann alles gewesen sein 

probieren, studieren, stolzieren,

um unser Versagen dann irgendwann

etwas besser zu interpretieren?

 

Die Lämmer halten sich Wölfe zurzeit,

die reisen in Schafpelzsachen.

Wir belächeln zwar laut ihre Lächerlichkeit,

aber üben schon heimlich ihr Lachen.

 

Zur Rettung verschreibt man uns Pharmaglück,

als könnt man ums Leid sich drücken.

Und wenn wir dann heillos gerettet sind,

steigt das große Geschäft mit den Krücken.

 

Doch wie wir auch strampeln und wie wir auch plärrn,

wir erreichen nur die Staffagen:

Der Staat dient den stets anonymeren Herrn

aus den obersten Etagen.

 

Und das soll dann alles gewesen sein 

ein Leben ganz ohne den Wind?

Versorgt und verplant und ohne Idee,

was wir wollen und wer wir sind.

 

Und das soll dann alles gewesen sein 

probieren, studieren, stolzieren,

um unser Versagen dann irgendwann

etwas besser zu interpretieren?

 

Und das soll dann alles gewesen sein 

Glück und Tränen verflogen?

Einsilbig alles zu Ende gedacht

und um Ewigkeiten betrogen.

 

 

Das wird eine schöne Zeit,

wenn mich Melodien

fort von hier, hin zu dir tragen.

 

Du hältst die Flügel bereit und machst,

dass die Kirschbäume blühn.

Unten gaffen die Wärter und klagen.

 

Das wird eine schöne Zeit,

wenn Krieger vor Liedern fliehn

und Waffen Gedichten erliegen.

 

Du hältst die Flügel bereit:

Wenn wir fallen, bleibt immer noch Zeit,

uns endlich unendlich zu lieben.

Vom Weinstock und den Reben

 

Dem Weinstock werden die Reben

im Herbst so furchtbar schwer,

und um zu überleben,

gibt er sie einfach wieder her.

 

Das mag ich so an den Bäumen:

ihr Wissen um Sterben und Sucht.

Was sie sich im Frühjahr erträumen,

verteilen sie später als Frucht.

Zueignung

 

So viele Fragen offen,

die alten Schriften verstaubt.

Nur der kann weiter hoffen,

der an sich selber glaubt.

 

Man braucht sich nicht beweisen.

Wem es genügt zu sein:

Der wird auch beim Entgleisen

ganz gut gedeihn.

Du wolltest ein Stück Himmel

 

Wie viel Jahre hast du schon

an die Dunkelheit verschwendet!

Für die andern gab es Tag,

doch dich hätte er geblendet.

 

Dieses Warten, diese Ängste,

und dann doch nur schlechter Schnee.

Der kann niemand mehr erwärmen,

der tut nur noch höllisch weh.

 

Und jetzt drückst du dir verzweifelt

ein Stück Vene aus der Hand.

Zwei Sekunden voller Licht,

und nichts andres hat Bestand.

 

Und dann fällst du. Ein paar Fremde

heben dich noch einmal auf.

Sie erkennen dein Gesicht,

und dann geben sie dich auf.

 

Ach, ich kann dich gut verstehen,

immer hat man dir erzählt,

dass den Menschen statt der Seele

nur Chemie zusammenhält.

 

Und du wolltest ein Stück Himmel

und bekamst kaum ein Stück Brot,

dafür jede Menge Sprüche.

Besser bist du heute tot.

 

Dabei wärst du doch so gerne

endlich eigentlich geworden.

Doch die Suche, die zur Sucht wird,

kann auch unerbittlich morden.

 

Meistens trifft es nur die Zarten,

wer verhärtet, scheint zu siegen.

Doch das weiß ich ganz genau:

Du bleibst auch nicht lange liegen.

 

Vielleicht war es nicht so schlecht,

auf diese Weise zu verschwinden:

Dort, wo du dich jetzt befindest,

kannst du dich viel besser finden.

 

Ach, ich kann dich gut verstehen,

immer hat man dir erzählt,

dass den Menschen statt der Seele

nur Chemie zusammenhält.

 

Und du wolltest ein Stück Himmel

und bekamst kaum ein Stück Brot,

dafür jede Menge Sprüche.

Besser bist du heute tot.

Manche Nächte

 

Schon wieder geistert’s. Die Gesichter

sind mir bekannt. Ich habe Angst vor mir.

Dort dichtet einer. Und ein toter Richter

spielt Klavier.

Dort ein Erhängter. Bin das ich?

Ist das vielleicht mein Grab?

Ach Gott, wer bin ich eigentlich?

Ach, wär’s nur Tag.

 

Manchen Nächten kann man nicht entfliehn,

und manche Räume zwingen dich zu bleiben.

Du bist allein mit deinen Fantasien

und fürchtest dich und kannst sie nicht vertreiben.

 

Das sind die großen Nächte. Halte fest

die Stunden, die dich so gefährden,

wo dir die Seele sagen lässt:

Du musst ein andrer werden.

 

Jetzt über Hügel wandern, und es könnte regnen,

ein trüber Himmel hinderte mich nicht.

Jetzt Rosen oder einem Feigenbaum begegnen

und einem freundlichen Gesicht.

Nur keine Dunkelheit. Nur nicht allein sein.

Wer geht mit sich schon gerne ins Gericht?

Da muss doch irgendwo noch etwas Wein sein?

Warum kann dieses Ich nie mein sein?

Ach, gäb’s nur Licht.

 

Manchen Nächten kann man nicht entfliehn,

und manche Räume zwingen dich zu bleiben.

Du bist allein mit deinen Fantasien

und fürchtest dich und kannst sie nicht vertreiben.

 

Das sind die großen Nächte. Halte fest

die Stunden, die dich so gefährden,

wo dir die Seele sagen lässt:

Du musst ein andrer werden.

Ich möchte weiterhin verwundbar sein

 

Wenn ich jetzt wieder ohne Schnee

die letzten Jahre vor mir seh,

muss ich zu meiner Schmach gestehn,

es könnte vieles besser gehn.

 

Doch weil der Himmel gütig ist,

kann einem selbst der größte Mist,

darf einem oft die größte Pein

im Nachhinein ganz nützlich sein.

 

Ich hab mich schon zu weit gefühlt,

um noch mit mir zu streiten,

dabei schafft jeder neue Schritt

nur Platz für neue Weiten.

 

Es gibt kein Leben ohne Tod,

ich bring mich wieder ein.

Ich möchte wieder widerstehn

und weiterhin verwundbar sein.

 

Drum nehmt es mir nicht allzu krumm,

ich bin halt öfters eher dumm,

weil mancher Mensch zu seinem Leid

speziell im Sumpf ganz gut gedeiht.

 

Zwar gilt heut nicht als rechter Mann,

wer seine Schwächen zeigen kann,

doch Mann und Recht, ich glaube fast,

dass das nicht gut zusammenpasst.

 

Und drum probier ich’s weiterhin

mit der Moral nach meinem Sinn,

denn wie uns die Geschichte lehrt,

war die des Rechtes oft verkehrt.

 

Und ist’s auch nicht ganz angenehm,

und stünd ich ganz allein 

ich möchte wieder widerstehn

und weiterhin verwundbar sein.

Und dann

 

Ach, wärst du nur bei diesem Mann

niemals geblieben.

Jetzt strengst du dich so furchtbar an,

ihn auch zu lieben.

 

Verbietest dir, dich umzusehn,

er ist der Beste.

Und neben dir blüht das Geschehn

und feiert Feste.

 

Du quälst dich und du glaubst,

dass er sich ändern würde.

Die Zeit, die du dir damit raubst,

bleibt dir als Bürde.

 

Du stellst ihm Blumen auf den Tisch.

Er sagt: Ich gehe.

Ach, nicht mehr lang

und du erfrierst in seiner Nähe.

 

Und dann sitzt du irgendwann vor deinem Fenster,

mit starren Augen, Strickzeug in der Hand,

und du fürchtest dich, weil die Gespenster

dir deinen Schatten stehlen von der Wand.

 

Und der ist dir doch als Einziger geblieben

und auch ein Päckchen Aspirin.

Noch ein Tagebuch, da steht geschrieben:

Ich habe dir verziehn.

 

Manchmal träumst du noch davon,

mit ihm zu reden,

doch du hast ein Bild von dir,

das musst du leben.

 

Dann verblassen dir auch bald

die Fantasien.

Ach, die hätt er dir auch sicher nie

verziehn.

 

Ein Hochzeitskleid verstaubt im Schrank

und ein paar Glückwunschkarten,

die ebenso wie du

auf Wunder warten.

 

Und das war’s dann auch:

ein ganzes Leben 

nur an dich hast du es

nie vergeben.

 

Und dann sitzt du irgendwann vor deinem Fenster,

mit starren Augen, Strickzeug in der Hand,

und du fürchtest dich, weil die Gespenster

dir deinen Schatten stehlen von der Wand.

 

Und der ist dir doch als Einziger geblieben

und auch ein Päckchen Aspirin.

Noch ein Tagebuch, da steht geschrieben:

Ich habe dir verziehn.

 

(1982)

Noch lädt die Erde ein

 

Was macht sich heut die Sonne breit 

was hält uns noch zurück?

Mir sitzt schon eine Ewigkeit

der Süden im Genick.

 

Dort unter Reben liegt sich’s gut,

und Hitze hüllt uns ein.

Dann tauschen wir das alte Blut

für neuen Wein.

 

Und sind wir kräftig ausgeruht,

dann wolln wir schlafen gehn.

Oft hilft ein dicker Bauch ganz gut,

die Nacht zu überstehn.

 

Die junge Erde öffnet sich,

es kühlt das frische Gras.

Und dann, ich weiß, dann liebst du mich

im Übermaß.

 

Wie leicht, mein Schatz, verschläft man sich,

wenn man sich nicht so mag.

Das Leben währt

kaum einen Sommertag.

 

Was macht sich heut die Sonne breit 

sie stellt mich richtig bloß.

Mich lässt schon seit geraumer Zeit

die Freude nicht mehr los.

 

Wir haben so viel Zeit vertan

und uns so viel erklärt.

Du bist die Frau,

ich bin der Mann und umgekehrt.

 

Vielleicht wird sich die Sonne bald

schon von uns Menschen wenden.

Ich könnt’s verstehn, sie ist zu alt,

sich sinnlos zu verschwenden.

 

Doch noch gibt’s Herzen, die verstehen,

noch lädt die Erde ein.

Nur bald, es ist schon abzusehen,

wird’s nur noch schnein.

 

Wie leicht, mein Schatz, verschläft man sich,

wenn man sich nicht so mag.

Das Leben währt

kaum einen Sommertag.

Die Weiße Rose

 

1943, kurz vor dem Ende der Nazidiktatur, wurden die Geschwister Sophie und Hans Scholl und vier weitere Mitglieder der Widerstandsbewegung »Die Weiße Rose« in München hingerichtet. Ihnen und all denen, die sich auch heute noch dem Faschismus entgegenstellen, ist dieses Lied zugeeignet.

 

Jetzt haben sie euch zur Legende gemacht

und in Unwirklichkeiten versponnen,

denn dann ist einem – um den Vergleich gebracht 

das schlechte Gewissen genommen.

 

Ihr wärt heute genauso unbequem

wie alle, die zwischen den Fahnen stehn,

denn die aufrecht gehn, sind in jedem System

nur historisch hoch angesehn.

 

Ihr wärt hier so wichtig, Sophie und Hans,

Alexander und all die andern,

eure Schlichtheit und euer Mut,

euer Gottvertrauen – ach, tät das gut!

Denn die Menschlichkeit,

man kann’s verstehn,

ist hierzuland eher ungern gesehn

und beschloss deshalb auszuwandern.

 

Ihr habt geschrien, wo alle schwiegen,

obwohl ein Schrei nichts ändern kann,

ihr habt gewartet, ihr seid geblieben,

ihr habt geschrien, wo alle schwiegen 

es ging ums Tun und nicht ums Siegen!

 

Vielleicht ist das Land etwas menschlicher seitdem,

doch noch wird geduckt und getreten.

Der Herbst an der Isar ist wunderschön,

und in den Wäldern lagern Raketen.

 

Ich würd mal mit euch für mein Leben gern

ein paar Stunden zusammensitzen,

doch so nah ihr mir seid, dazu seid ihr zu fern,

trotzdem werd ich die Ohren spitzen.

 

Ihr wärt hier so wichtig, Sophie und Hans,

Alexander und all die andern,

eure Schlichtheit und euer Mut,

euer Gottvertrauen – ach, tät das gut!

Denn die Menschlichkeit,

man kann’s verstehn,

ist hierzuland eher ungern gesehn

und beschloss deshalb auszuwandern.

 

Ihr habt geschrien, wo alle schwiegen,

obwohl ein Schrei nichts ändern kann,

ihr habt gewartet, ihr seid geblieben,

ihr habt geschrien,wo alle schwiegen 

es geht ums Tun und nicht ums Siegen!

Von den zertrümmerten Wirklichkeiten

 

Benebelt von Göttern und Parteien,

gedrillt auf Ja und Amen,

voll von Rezepten, die Welt zu befreien,

vergaßen wir unseren Namen.

 

So lange bewiesen und überdacht,

so lange uns selbst entfernt.

Zwar wärn wir jetzt gerne mal unbewacht,

doch das haben wir niemals gelernt.

 

Und jetzt stehlen sie uns die Sonne

und versilbern sich den Arsch

mit unseren plattgedrückten Nasen,

unserm treu ergebnen Marsch.

 

Mein Gott, ich hab die Schnauze voll

von allen, die mich übergehn.

Ich will mit meinen Wünschen jetzt

im Brennpunkt der Geschichte stehn.

 

Und jetzt stehn wir so klug wie ehedem

vor zertrümmerten Wirklichkeiten,

zwar lebt es sich, heißt es, angenehm,

dafür ist es verboten, aufrecht zu gehn

und sich selbst nach vorn zu geleiten.

 

Und jetzt wird man uns wieder mal rekrutieren,

und wir stehen dann wieder daneben:

Ach lasst uns doch diesmal, statt mitzumarschieren,

so recht aus dem Vollen leben.

So bleibt vieles ungeschrieben

 

Zwar: Da ist viel Ungereimtes,

und ich fand noch keine Normen,

meine Lieder und mein Leben

nach gemäßem Maß zu formen.

 

Viel zu viel kam mir dazwischen.

Wenn ich glaubte, ich sei richtig,

war mir eben neben einem

immer auch das andre wichtig.

 

Meistens renn ich meinem Denken

viel zu lange hinterher,

und kaum bin ich ausgewogen,

ist mir mein Gewicht zu schwer.

 

Aber eines ist geblieben,

dass ich schreibe, was ich meine,

und so teil ich mich, ihr Lieben,

und bleib immerfort der eine.

 

Und so zieht’s mich, und so treib ich,

renn davon und halte ein,

um mal zögernd und mal stürmisch,

immer aber Fluss zu sein.

 

Vieles, was ich von mir dachte,

war ich sicherlich noch nie,

und für vieles, was ich bin,

fehlt mir noch die Fantasie.

 

Meistens will ich auch nicht sehen,

was an Höllen in mir ist,

und verteile auf die andern

als Gerechter meinen Mist.

 

Aber eines ist geblieben,

dass ich schreibe, was ich meine,

und so teil ich mich, ihr Lieben,

und bleib immerfort der eine.

 

Und mag sein, das dauert an,

dieses Schwanken, dieses Flehn,

bleibt die Hoffnung, ich werd weiter

auch im Fallen zu mir stehn.

 

Und statt irgendwann mal nahtlos,

doch gelangweilt aufzugeben,

will ich lieber unvollendet,

doch dafür unendlich leben.

 

Und auch jetzt schon, voll von Wein,

bin ich hin und her gerissen,

schreib ich, weil ich’s besser weiß

oder wider bessres Wissen.

 

So bleibt vieles ungeschrieben,

doch das ist’s ja, was ich meine,

denn ich teile mich, ihr Lieben,

und bleib immerfort der eine.