Ich bin ein Baum.
Ich bin auf einem Hügel geboren.
Mich schützen keine Wälder.
Ich steh allein.
Männer mit Beilen bestimmen die Gegend.
Doch wir Bäume sind nie verloren.
Unter der Erde
unsere Wurzeln berühren sich leis.
Ich bin ein Baum.
Wende mich lieber zur Sonne hin.
Liebende lehnen sich an mich an,
wenn sie hilflos sind.
Ich wechsle die Farbe, den Namen, die Form,
aber nie den Sinn.
Und hab eine kräftige Stimme gegen den Wind.
I
In manchen Sommern, sehr von Reinheit überflutet,
vielleicht noch eine Nachricht: Ihr geht’s gut
und sie hat Sehnsucht, und sie hat geblutet
und du ertrinkst in dieser weichen Flut
von Glücken. Luft und Sinne stimmen.
Jedoch so ganz von unten her
beginnt das alles etwas zu gerinnen
und wird auf einmal schwer und ungefähr.
Du raffst dich auf. Noch klebt das an den Beinen.
Noch tanzen dir Sirenen um die Stirn.
Doch plötzlich packt es dich: Du musst verneinen.
Und dich, bevor du aufgibst, neu verwirrn.
II
Man muss den Flüssen trauen. Sie verschwenden
sich jeden Zentimeter neu. Und Zeit
und Dummheit kann das Fließen nie beenden.
Und auch die Wolken sind zu neuem Flug bereit
und sterben nie. Ich will nach oben,
wo mich das Unfassbare härter streift.
Es ist ganz klug, die Götter erst zu loben,
bevor man sie sich endlich greift.
Liebes Leben, fang mich ein,
halt mich an die Erde.
Kann doch, was ich bin, nur sein,
wenn ich es auch werde.
Gib mir Tränen, gib mir Mut
und von allem mehr.
Mach mich böse oder gut,
nur nie ungefähr.
Liebes Leben, abgemacht?
Darfst mir nicht verfliegen.
Hab noch so viel Mitternacht
sprachlos vor mir liegen.
Und dann
Wo ich im Wort nicht weiterkann:
gedrängte Stunden. Nächtelang
nur Innenwelt. Und dann?
Oft, unter einem Baum zu sitzen
ist mehr Bestimmung als der Drang,
sich Formen aus der Brust zu schnitzen.
Da werden Skizzen manchmal Bilder,
die übersetzen in die Zeit
und stimmen milder.
Uraltes fällt mir wieder ein
und aufgehoben in der Ewigkeit,
lass ich mich sein.
(1980)
Über die Dichter
Ich halt mich lieber weiter an die Dichter,
weiß von ihrem Vertrag mit den Göttern
und stell mich ungeduldig
hinten an.
Sie sind nun mal ganz gut angesehen da oben,
haben Kredit,
führen andere Gespräche,
stürzen tiefer.
Manchmal glaub ich,
die spazieren da draußen in Wäldern rum und werfen
sich die Worte zu.
Immer wieder leg ich dann meinen
Verstand in den Schoß,
und atemlos.
Irgendwann
werden sie mir schon auch ein paar
rüberschicken.
Worte
Manche Worte, jahrelang
vage Hieroglyphen,
tragen einem plötzlich an,
sich zu überprüfen.
Werden sichtbar in Gedichten,
die sonst nie berührten,
oder springen aus Geschichten
einer Illustrierten.
Viele wollen diesen Fund
nicht mal registrieren.
Schimpfen plötzlich ihren Hund,
kriegen’s an den Nieren.
Doch das legt sich. Mit der Zeit
wird man gerne tauber,
dient der Unzulänglichkeit
und bleibt fortan sauber.
was in ihnen ruhte.
Steigen über uns hinaus,
heim ins Absolute.
Manchen gelingt es
Manchen gelingt es,
sich so zu entfalten,
dass sie sich immer
die Unschuld erhalten.
Die warten im Schatten,
um besser zu sehen,
können ohne Applaus
der Angst widerstehen.
Die schreiben nie Lieder.
Die sind Melodie.
So aufrecht zu gehen
lerne ich nie.
Brich auf, Geliebte,
nimm mich mit.
Heut Nacht
hat sich auf einmal
unsre Liebe
aufgemacht.
Die Schiffe vollgetankt.
Kein Hafen lockt
mit Seelenruh,
brich auf
und schließe, Sturm,
uns nie die Augen zu.
Brich auf, Geliebte.
Endlich öffnet sich –
Nimm weiter dich
und liebe mich.
Jetzt wär’s so weit. Jetzt die Haare föhnen
und dann irgendwas verkaufen. Oder Plakate
an Mauern kleben. Irgendwo freundlich
»Guten Morgen« sagen. Jemandem zulächeln.
An Dienstagabend denken. Wo sie lieber
mit dem Taxi nach Hause fuhr. Wo sie weinte.
Wo sie sehr schön war.
Doch, jetzt wär’s so weit. Jetzt ging das Leben weiter.
Jetzt müsste man einen Eimer Wasser aus dem Brunnen
ziehen und mit dem Pfarrer plaudern. Ein sonniges
Plätzchen suchen vorm Haus. An Montagabend denken.
Wie sie sehr ausgelassen war.
Und es ist gar nicht eintönig, dass der Winter immer wieder
über die Stadt herfällt. Man kann sich einen roten Skianzug
schenken lassen. Den Hunden die Pfoten reinigen.
Man kann geduldig auf den Sommer warten.
Einen Amateurfunker heiraten.
Jedenfalls wär’s jetzt so weit. Manche schreiben ein Buch
über den Freitod und nehmen sich dann wirklich das
Leben. Manche sperren sich dreißig Tage in einen
Schlangenkäfig. Einige mieten eine Zweitwohnung, um mal
richtig ausschlafen zu können. Andere vergessen immer
wieder den Campingkocher. Tränen und Streit am
Gardasee.
Nur, so weit darf’s einfach nie kommen. Ich will jetzt lieber
erst mal Erich Fromm besuchen. Sogar in der Schweiz.
Oder das Oktoberfest vorverlegen, weil
nun mal dummerweise grad Mai ist.
Nur keine Kriegsberichte im Moment.
Keine Statements.
Zuhören und fliegen.
Wenn’s ein starker Tag wird:
Kraft saugen.
Es gibt noch so viele Lieder zu singen
jenseits der Sprache.
Ich werde zum See runtergehen
und den Sommer herbeidichten.
Es wird sich was ereignen mit mir.
Warum sie geht
Und das Häuschen steht ganz malerisch am Waldrand,
und den Garten schmückt ein Blumenbeet,
da ist ein Hund und eine Schaukel,
da blüht der Flieder (wenn es Mai ist),
und er versteht es einfach nicht,
warum sie geht.
Er hat doch immerhin die ganze Zeit geschuftet,
und ihretwegen hält er jetzt sogar Diät,
und plötzlich packt sie ihre Koffer,
und unten wartet wer im Auto,
und er versteht es einfach nicht,
warum sie geht.
Na gut, er hat schon mal den Hochzeitstag vergessen
und ihr auch ab und zu mal eine eingeschenkt,
doch immerhin: Sie hat von seinem Tisch gegessen!
Und irgendwie hat sich das immer wieder eingerenkt.
Doch im Auto sind die Koffer schon gestapelt,
und auf einmal wird das alles so konkret.
Auch der Flieder denkt ans Blühen,
und wie flüchtig so ein Mai ist,
und nur dem Hund ist’s scheißegal,
warum sie geht.
Und sie lächelt so ein unbekanntes Lächeln,
eins, das endlich mal für sich alleine steht,
das ihn lähmt und das ihm wehtut,
das ihn abhält, sie zu halten –
und er versteht auch jetzt noch nicht,
worum’s ihr geht.
Und das Häuschen steht ganz malerisch am Waldrand,
und den Garten schmückt ein Blumenbeet,
da ist ein Hund und eine Schaukel,
da blüht der Flieder (wenn es Mai ist),
und der versteht es ganz genau,
warum sie geht.
Kann ich vereinzelt eine neue Regung,
ein Ungewohntes deines Wollens nicht verstehen,
dann bleibt mir nur, diese Bewegung
in mir zu suchen und mit dir zu gehen.
Denn was ich von dir weiß, ist niemals mehr,
als ich von meinem Wesen will und kenne,
und alles, was ich an dir ungefähr
oder gar falsch und unbewiesen nenne,
ist nur ein Dunkelsein in mir. Ich spüre,
wie sich dein Bild mit mir beständig formt,
nur in dem Maß, wie ich mich jeweils sehe.
Ob ich dich finde, ob ich dich verliere –
du bleibst mir nur nach dieser Form genormt:
die ich bestimme und mit der ich überstehe.
Und doch lässt etwas Kirschen blühen im April
Da hilft kein gelber Schal, kein Clubprogramm,
um sich den Federbetten zu entziehen.
Erst schaffst du dir mal eine Wahrheit an
und dann beginnst du lebenslang zu fliehen.
Investmentfonds und Palmenbuchten,
Parteibuch, Irokesenschnitt –
du ebnest dir mit Formeln Schluchten
und teilst dich wiederkäuend mit.
Nur frisch geblökt! Aus welken Eutern
zapfst du dir Illusionen ab.
In Mühlheim sind zwar zwei am Meutern
und manchen wird der Atem knapp,
doch erst mal selber ohne Falten.
Dann vielleicht Vorstand bei der Caritas.
Die Weltgeschichte hockt im Kalten
und du verschickst das Pulverfass
mit bunten Schleifchen an die Söhne.
Meistens ein Kärtchen innenbei:
Bewahrt das Gute und das Schöne.
Wünsch mir zwei Enkel. Oder drei.
Und doch lässt etwas Kirschen blühen im April
und lässt dich wieder fallen, wenn du schwebst.
Muss wachsen, werden, hält nicht still
und will dir einfach sagen, dass du lebst.
Die Weisen ziehn den Hut und danken.
Manche Poeten greifen zum Arsen.
Nur ein paar Starke sieht man schwanken
und nackt und glücklich weitergehn.
Statistisch erwiesen: Wer säuft, lebt kürzer,
und Rauchen zerklüftet latent.
Auch wer gerne frisst und gewichtig wird,
verreckt zu vierzig Prozent.
Wer fremdgeht, holt sich die Syphilis,
Zirrhose den Zügellosen,
und je nach Mode ist Hodenkrebs
die Strafe für zu enge Hosen.
Wenn die Alte zu geil wird, beweist man ihr besser,
dass Samen karzinogen ist,
und wer lacht, ist verdächtig, weil lachendenfalls
der Bakterienschub zu extrem ist.
Das Reden wird irgendwann viel zu gefährlich,
verbreitet im Gaumen Geschwüre,
und doch, obwohl du dich gründlich geschützt,
steht der Tod plötzlich vor deiner Türe.
Du wimmerst: Verzeihung, das kann gar nicht sein,
rein statistisch darf ich noch leben!
Und dann werden sie dir an den großen Zeh
das größere »Pech gehabt« kleben.
Ihr Lieben, das bringt euch doch jetzt schon um!
Die Methode ist hinterlistig.
Ja, glaubt ihr denn wirklich, der Tod ist so dumm
und hält sich an die Statistik?
waren mir noch nie ganz geheuer.
Alle, die nicht irgendwann
aufspringen und brüllen:
Und ich? Wann komm jetzt endlich ich dran? –
All die milde Lächelnden,
unendlich Genügsamen
sind mir verdächtig.
Komm mit den hauptamtlich Guten
nicht so zurecht
und Missionare
sind zuerst mal nur penetrant.
Will denen allen nichts Schlechtes nachsagen,
zumal ich sicher auch selbst oft
in Bedrängnis geriete
ohne die Sozialarbeitergesinnung
mancher Mitbürger,
richtig wohl allerdings
fühl ich mich erst bei den bösen Buben,
die im Sommer die Schule schwänzen,
nur nie sich selbst,
mit Steinschleudern auf die Wirklichkeit zielen
und nicht daran denken,
bei schönem Wetter
mit Sammelbüchsen durch die Stadt zu rennen.
Das möchte ich nur mal so
vor mich hingesagt haben.
Und keinem ist der Arm so lang,
auch nicht der Obrigkeit,
dass mir ein ehrlicher Gesang
im Halse stecken bleibt.
Wolln mich ein paar auch stumm, zur Stund,
und mir die Luft verpesten –
ich furz mir meine eigne, und
die ist bestimmt vom Besten.
Und draußen steigt die Sonne hoch,
bei uns die Fantasie.
Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,
die Scheiß-Technokratie!
Das macht mir Mut.
So muss es sein.
Und wenn dir was wehtut,
dann musst du schrein.
So mancher Brave käm in Not,
würd man nicht schweigend sterben,
sondern, entgegen dem Gebot,
verrückt und lüstern werden.
Das knabbert an den Wertpapieren,
das könnt verwundbar machen.
Ach, Freunde, statt zu lamentieren,
sollten wir wieder lachen.
Und draußen steigt die Sonne hoch,
bei uns die Fantasie.
Jetzt auf die Straße! Lacht sie aus,
die Scheiß-Technokratie!
Das macht mir Mut.
So muss es sein.
Und wenn dir was wehtut,
dann musst du schrein.
Keine Zeit zum Denken
Keine Zeit zum Denken, sagt er,
fährt jeden Sommer nach Alassio
und geht in Dinkelsbühl in die Sauna.
Alles sauber.
Masseure mit Reifezeugnis und
Unbedenklichkeitsbescheinigung.
Telefonieren,
Zinssätze ausrechnen,
absolut keine Zeit zum Denken.
Und während ich ihn mir so ansehe,
schiebt sich die Milchstraße
zwischen uns.
Dem fehlt der Stachel, sag ich mir,
dem fährt kein Wind ins Gesicht.
Wo will der noch seine Hand hinstrecken?
Der putzt sich die Zähne
wahrscheinlich mit
destilliertem Wasser,
der schlägt seine Frau
nur freitags
zwischen acht und neun.
Was der wohl träumt?
Wie der wohl sterben wird?
Bäumt er sich dann noch mal auf?
Der onaniert
bestimmt nur
mit den Fingerspitzen.
Keine Zeit zum Denken,
sagt er,
und andere
schleichen sich nach Büroschluss
in die Küche,
um die Kinder nicht zu wecken,
rücken sich still
die Lampe
zurecht
Gesprächen oder Gebeten,
ein bisschen was von sich mitzukriegen.
Freiheit
Etwa auf Hügeln: Toskanablick,
da springt Sie die Freiheit an.
(In Taufkirchen wirklich nicht möglich.)
Chevrolet Blazer. Rücksitzfick.
Ein Berggasthof irgendwann.
(Auch alte Mühlen sind löblich.)
Oder: Schuld sind die Preise.
Gedüngt wird mit eigener Scheiße.
(Im Bayrischen Wald, kollektiv.)
Sie rennen davon und verschwinden
und die Freiheit kann Sie nicht finden.
(Die ist nicht alternativ.)
Hab mich wieder mal aufgefangen
ohne Sprungtuch und Wort zum Sonntag.
Wer soll mich schon halten,
wenn nicht ich?
Dich fangen schöne, starke Arme,
sag ich mir oft.
Lass sie dir nicht zerbrechen.
Liebesflug
Ich will nicht bis zum Frühjahr warten,
will jetzt schon meine Reise machen
und hätt dich gern dabei.
Das sind die wirklich großen Fahrten,
die einfach, ohne aufzuwachen,
den Herbst verbinden mit dem Mai.
Nur raus, nur fort, nur kein Verschieben!
Der Winter wird jetzt aufgerieben!
Was für ein Flug.
Von allen meinen großen Lieben
ist mir nur eine treu geblieben:
der Selbstbetrug.
Die Fenster offen. Um zu fliegen,
braucht’s einen schönen Rausch
und Hexerei.
Wer, bitte, soll mich jetzt noch kriegen?
Ich reit auf einem Wattebausch
die Zeit entzwei.
Schon wirft die Erde erste Falten.
Da steigt ein Abgrund hoch zum All.
Bin ich jetzt frei?
Doch, doch! Das Tempo will ich halten.
Hab auch noch beide Lungen prall.
Bist du dabei?
Jetzt seh ich Deutschland untergehen.
Werd einfach meinen Rücken drehen.
Blick oben hin.
Ob Dichter bei den Engeln stehen?
Und kann ich von da oben sehen,
ob ich noch bin?
Ach, Liebe, mach dich nicht so schwer.
Sei leicht, sei leis, fass stiller an,
wo alles ruht.
Wo hast du nur die Kräfte her?
Wenn Liebe Sterne wecken kann,
verschon mich, Glut.
Und Liebe sitzt mir auf dem Rücken,
und Liebe sitzt mir im Genick,
ich trage schwer.
So kann das Fliegen niemals glücken.
Du lieber Mund, du lieber Blick,
du drückst mich sehr.
Verdammt. Noch nicht mal Herbst.
Ich falle! Das wird ein Warten auf den Mai!
Hab’s fast gewusst.
Denn diese liebevolle Kralle
reißt mittendurch den Leib entzwei
und Stirn und Brust.
Und ging davon
Und ging davon. Und ohne große Sprüche.
Und nimmt noch Hemd und Hose aus dem Schrank,
um rein zu sterben. Zettel in die Küche:
Ich glaub, es reicht. Macht’s gut und vielen Dank.
So viele Jahre Menschsein können nerven.
Man kann das einfach regeln oder larmoyant.
Er hörte auf, ein Weltbild zu entwerfen,
verzichtete aufs Schluchzen und verschwand.
Und in den Wohnblockzellen stricken sie Pullover
und richten sich schon jetzt auf Winter ein.
Die Hungrigen beschweren sich beim Ober.
Die meisten graben sich in ihren Ängsten ein.
Die Starken kämpfen noch um ein paar Rechte.
Die Hoffnungsvollen spenden Trost und Brot –
und er besinnt sich auf das einzig Echte:
Geht in die Knie, empfiehlt sich und ist tot.
Lieber Gott
Lieber Gott
vor ein paar Stunden
hab ich dich einfach so angeredet.
Ich war pinkeln,
stockbesoffen und den Kopf an die Kacheln
des Pissoirs gelehnt,
kaum mehr in der Lage,
meine Männlichkeit in den Griff zu kriegen,
und da überkam mich plötzlich das Gefühl
der Ewigkeit.
Du wirst dich in diesen Fällen
nicht so auskennen,
aber du musst mir das einfach glauben,
diese Stellung hilft einem eben,
etwas von der Ewigkeit kennenzulernen.
Plötzlich hat man sein Gleichgewicht gefunden.
ein Bein leicht angewinkelt,
und man ist so froh, nicht mehr umzufallen,
dass man das nie mehr aufgeben will.
Jedenfalls kam mir da plötzlich dieses
»Lieber Gott«
über die Lippen
und ich wunderte mich,
dass ich dich auf einmal
so liebevoll angeredet habe.
Wir beide sind uns im Laufe der Jahre
über manches klarer geworden.
Du willst mir nichts mehr vorschreiben
und ich will dir nichts mehr vormachen.
»Liebe Gott und tue, was du willst«,
diesen Augustinus hat man mir früher immer
verschwiegen.
Dafür haben sie uns ab und zu
kleine Hauchbilder in die Hand gedrückt
mit schönen Engelmännern drauf,
die gebrechliche Damen
über Brücken geleiten.
Aber wenn ich mir das mal ohne Hass
durch den Kopf gehen lasse –
so dumm kannst du gar nicht sein,
wie dich die Jahrhunderte dargestellt haben.
Von deinem Standort aus
überblickst du alles ja so viel besser –
wie sich Gesetze ändern,
wie unmenschlich menschliche Ordnungen sind,
wie sprunghaft die Schuld ist,
du kannst ja gar kein Rächer sein
und schon gar kein Moralist.
Eigentlich hast du zuerst mal
immer verdammt viel mit mir zu tun.
Und du kannst warten.
Ewigkeiten fließen durch dich hindurch
und du wartest einfach.
Schreibst keine Romane,
hörst nicht mal Gustav Mahler an,
drückst dich in der Straßenbahn nie an Mädchen,
was, Gott,
wenn ich nicht wäre?
Hab ich recht,
stirbt was an dir,
wenn ich aufgebe?
Du nimmst mich doch böse und gut,
grausam und mildtätig,
Hauptsache,
ich bleib am Ball.
Ich würde gern mal mit dir
einen Nachmittag lang durchs Universum fliegen,
aber lass mich wieder zurück.
Ich habe noch so viel zu erledigen hier unten,
bin wohl noch nicht ganz fertig.
Will im August in die Toskana,
habe noch eine Menge Musik zu machen,
muss ein paar Leuten auf die Zehen treten,
meine Leber hält auch noch einiges aus,
und lieben will ich,
lieber Gott,
lieben, bis mir das Fleisch von der Seele fällt.
Haben das deine Engel mal so gemacht?
Wahrscheinlich muss mich erst wieder
die Ewigkeit streifen
in irgendeinem Pissoir,
bis wir wieder mal miteinander plaudern.
Aber wir haben ja Zeit.
Werde bis dahin versuchen,
schön chaotisch zu bleiben,
Gesetze zu brechen
und der Macht aus dem Weg zu gehen,
das ist mir Moral genug.
Und nur unter diesem Gesichtspunkt
sollten wir’s weiter miteinander
versuchen.
Will mich nicht messen mit dir.
Will auch nicht in die Knie sinken.
Drück mir die Daumen
und schäm dich nicht, vorbeizuschauen,
wenn ich traurig bin.
Das habe ich nämlich schon lange rausgekriegt:
Ihr Götter könnt nicht weinen
und müsst durch unsere Tränen stark werden.
Lass mich nicht fallen,
lieber Gott.
Vier Sonette an einen herrenlosen Hund
I
Auch dich quält manches. Auf der Hut
vor Steinen, Kälte, Kinderscherz,
bist du wie ich so voll von Blut,
nicht frei von Leiden. Nur dein Schmerz
ist momentan. Die Schüssel Fraß,
die ich dir vor die Türe legte,
entschädigte im Übermaß
und ließ vergessen. Mich bewegte
dein festes Stehn im Augenblick.
So ruhend kann ich niemals sein.
Bist du die bessre Kreatur?
Du wartest nicht auf Sinn und Glück,
hebst, wenn es dringlich ist, ein Bein
und bist dir selbst genug Kultur.
II
Wer sonst, wenn nicht die Herrenlosen,
Verachteten, Getretenen,
soll fähig sein zu neuen Losen,
zum Weiter. Nur die Ungebetenen
können die nötige Verwirrung schaffen.
Du beißt (auch scheinbar ohne Grund),
verschwendest dich (anstatt zu gaffen)
und bist ganz einfach da und Hund.
Ein Schnuppern, ein Zur-Seite-Weichen,
ein Springen, nirgendshin gerichtet,
genügt schon. Kann dich weitertreiben.
Du sprichst mit Winden und mit Teichen
und nichts hat Klang, was mehr verpflichtet
als immer Kreatur zu bleiben.
III
Oft wenn du voller Wichtigkeit
nach interessanten Spuren gehst
und fiebernd und wie aus der Zeit
dann plötzlich deine Schnauze drehst,
weil irgendein Genosse bellt
und du, zu jedem Spaß bereit
(es wird sich rausstellen, ob’s gefällt)
so offen bist, so Sinnlichkeit,
dann würd ich gern für ein paar Stunden
mit in dein Hundeleben ziehen
und auch aus deinen Wurzeln trinken,
um mich ein wenig aufzurunden,
nicht um aus meiner Welt zu fliehen,
sondern um einmal restlos zu versinken.
IV
Wenn ich dich manchmal wiederseh,
zufällig beim Spazierengehen,
begrüßt du mich. Fast tut es weh,
dich nicht als meinen Hund zu sehen.
Auch du hast sicher dran gedacht,
mit einem Herrn nach Haus zu gehen,
treu aufzupassen in der Nacht
und folgsam deinen Hund zu stehen,
doch lass uns lieber dann und wann
beschnuppern und zusammen spielen,
nach Ungewissem Ausschau halten,
und jeder darf so, wie er kann
und nur nach seinen eignen Zielen
stehen bleiben oder sich gestalten.
Fragwürdiges Sechs unordentliche Elegien
I
Fragwürdig wird das immer bleiben:
Heldenepen,
poetische Ballungen,
Erleuchtungen durch den Heiligen Geist,
Dichterqualen,
dann schon lieber
My Sweet Lord zum Schunkeln
oder die Kindertotenlieder als Reggae,
selbst Fausts Himmelfahrt bereinigt nicht alle Zweifel,
man steckt eben noch ganz schön tief drin.
Da muss schon was Handfestes, Bleibendes herhalten.
Bevor nicht das letzte Staubkorn
vom Tisch der Wüsten verschwindet,
wird gebohnert und gesäubert,
gebürstet und bereinigt,
und die Stubenmädchen reiten zum Sturm.
Trennungen.
Selbst vom Eiffelturm aus
lassen sich nur Einschnitte erkennen.
In den Büchereien
verkaufen sie dann Überblicke.
Wahlweise poetisch, wissenschaftlich
oder verständlich.
Bürovorsteher,
anschließend Familienvater,
später tot.
Keine Zusammenhänge.
Selbst gleichzeitig Gehen und Armeschlenkern
verursacht Kopfzerbrechen,
aber alles andere ist nun mal zu fragwürdig,
kann man sich nicht drauf einlassen,
müssen Sie verstehen,
Herr Kollege.
Homer hat sowieso nie gelebt,
Rimbaud war ein Bluffer,
Christus eine Erfindung,
Toller doch noch zu wenig proletarisch,
Fromm ist ein Plagiator,
Benn war Faschist,
Mozart Lakai der herrschenden Klasse,
gerade noch zwei Häuserwände
assoziativkreativ bepinseln,
aber dann gleich wieder zurück zur Blaskapelle,
Hauptsache, das Mundstück ist nicht schmutzig,
der Dirigent nicht besoffen
und beim Pinkeln leert sich ordentlich die Blase.
Ansonsten kriegen wir die Welt schon in den Griff.
Bitte keine Zwischenrufe jetzt,
ich bin sensibel.
Vielleicht sollte ich wirklich lieber mal
einen Hammer in die Hand nehmen,
die Ärmel hochkrempeln,
aber lassen Sie mir noch Zeit.
Noch gehör ich zu denen,
die ans Absolute ranwollen,
da bleibt oft nur das Ahnen,
das ist eine andere Dimension,
da wohnen die Dichter.
Ach so.
Sie wissen also mehr von der Wirklichkeit
und können mir auch sicher kurz umreißen,
welche Wirklichkeit Sie meinen?
Die des Cinquecento und der Inquisition
doch sicher nicht,
oder vielleicht doch wieder mal eine geozentrische?
Die albanische eventuell,
die manisch-depressive
oder eine alkoholische
Fellachenwirklichkeit oder pax orbis et mundi,
Wüstenrot oder Jesus People –
eigentlich können Sie doch nur die Ihre meinen,
wenn Ihnen meine schon nicht so recht ist?
Muss eben immer was Bleibendes herhalten,
muss man sich festhalten können,
gerichtete Welt,
(Stillgestanden! Rühren! Weiterdichten!)
und die Wirklichkeiten,
geharnischt und flammenden Schwerts
im Glorienschein der Hymnen und Manifeste
ihre Rekruten adelnd,
ziehen in den Krieg.
Zwischen den Fronten
eingeschlagene Fensterscheiben und
aufgeschlitzte Bäuche,
traurige alte Damen
mit Fotoalben auf den Knien,
gerechte Welt,
bewiesene Welt,
Hauptsache, allerorten
gesundes Volksempfinden,
dieses untrügliche Empfinden,
das Schäferhunde streicheln lässt
und Juden vergasen,
objektive Welt,
wissenschaftliche Welt
und immer gefühlsbetont,
Tränen in der Metzgerei
(so was kann ich nun wirklich nicht mit ansehen),
wogende Brüste beim Anblick eines Säuglings,
wenn er nur richtig koloriert ist,
südafrikanische Wirklichkeit,
Sonthofener Wirklichkeit …
Und dann sitzt man doch immer wieder mal
an einem großen Tisch zusammen,
und neue sind dazugestoßen,
oder plötzlich wird man
in irgendeiner Imbissstube
von der Wärme gepackt,
Prosten, Saufen, Streiten,
man liebt und plant und hofft,
ach,
ganz egal wo,
immer wieder trifft man eben Menschen,
Menschen,
die sich einfach dauernd entwickeln,
vorleben,
keine Bedingungen ans Glück stellen,
selten schuldig sprechen
und sich nicht vertuschen.
Das kann sicher noch nicht alles sein,
aber es ist genug,
um weiterzuleben,
weiterzulachen
und weiterzudichten.
III
Aber wer,
rufen die Freien,
wer ist nicht frei
im freien Land?
Seht doch,
wie sie uns schützen
vor den Unfreien,
seht doch,
wie die Regler das Land regeln,
untadelige Männer
mit Bürde und Ritterkreuz,
haben keine Vergangenheit,
haben nur eine Gegenwart,
leiden stets um die Zukunft,
einwandfreie Männer,
brüllen die Freien,
die auch schon mal sonntags eine Kanzel erklimmen,
um Gott näher zu sein.
Währenddessen
setzen Retuschen und Hüftschwünge
Maßstäbe,
legen z. B. Entfernungen fest:
In Saragossa wartet die Liebe,
in Colorado wohnt das Glück,
keimfreie Männer mit volksnahen Kehlen,
die können Sie Ihrer Tochter getrost übers Bett hängen,
gnädige Frau,
die wälzen nicht um,
die wühlen nicht auf,
die nehmen das Jungfernhäutchen noch ernst.
Seht nur,
wie sie Posters verteilen,
mit Blondschopf und Gattin, an alle Haushalte,
seht doch,
wie sie vollkommen sind,
wie sie nicht furzen bei Tisch,
wie sie in der Oper nicht schnarchen,
Politiker, Priester, Propheten,
manchmal trifft man sie
in den Hinterzimmern feiner Bordells,
im Lederkostüm,
den Hintern ausgespart,
schluchzend und wie im Gebet,
und flehen um Strafe.
Schick eine Sintflut, Herr,
in dieser Ordnung kann sich niemand mehr gestalten.
Zwischenspiel
Und schon erheben sich die Drübersteher,
deuten mit ihren glanzlosen Fingern
auf die Unvernunft
und formen ihren gemeinsamen, einsamen Mund
zu ihrem Schlachtgesang:
Lächerlich!
Lächerlich, rufen sie sich zu,
denn ihrer ist das Menschenreich,
und dann flüstern sie bestürzt:
Dialektik, mein Freund,
oder behaupten schlicht und unumstößlich:
Porsche Carrera!
Münchner Bier!
Pierre Cardin!
Manchmal,
wenn sie sehr beunruhigt sind,
weil plötzlich was Lebendiges den Raum füllt,
oder einfach in ihren unvertuschbaren,
ehrlicheren Stunden,
greifen sie zu diesem
stillen Lächeln,
das den Schulmädchen so imponiert
und all denen,
die gerne unantastbar wären
und ständig fundiert.
Seht nur,
die Drübersteher,
wie sie buckeln vor politischen Begriffen,
moralischen Normen,
in Diskotheken ballen sie sich
(wohl des Redeverbots wegen)
und in Hegel-Seminaren,
Free-Jazz-Konzerten oder
anderen Geheimclubs,
deren Credo die Unverständlichkeit ist,
meistens aber und am liebsten
machen sie auf Einzelkämpfer,
suchen sich naive, freundliche Menschen,
die nicht daran denken,
das Lachen zu verraten,
lassen ein bisschen Unverdauliches ins Gespräch fallen
und versuchen,
teilnahmslos und männlich
und vor allem lächelnd
auf sich aufmerksam zu machen,
wo sie nicht mitreden können.
wollen die Mutigen und Suchenden
erniedrigen.
Beenden zum Beispiel Diskussionen mit Sätzen wie:
Wir treffen uns in zehn Jahren in Monte Carlo wieder!
Oder andere:
Nach der Revolution sprechen wir uns, Freundchen!
Als ob es noch nie Steher gegeben hätte,
die sich bis zum Schluss woanders suchen
als in Börsenberichten oder Wahrheitsdrogen.
Da hör ich schon viel lieber denen zu,
die munter drauflosplappern,
sich versteigen ins Uferlose,
auch wenn sie nicht mehr zurückfinden,
solche,
die rotbäckig werden nach einer Stunde,
denen irgendwann zwangsläufig
der Bierkonsum aus der Kontrolle gerät,
Schwärmer,
die mit dem Körper reden,
Verzückte,
Besessene,
Leidenschaftliche,
die man immer wieder aufbrechen kann,
weil sie so zerbrechlich sind,
und die dann eben auch,
wenn’s gar nicht mehr anders geht,
auf die Straße rennen
und den Kopf hinhalten.
Nur mal so dahingefragt, Herr Nachbar,
sozusagen in den luftleeren Raum hineingefragt,
Herr Nachbar,
was, glauben Sie,
hätten wir von unserem schönen Himmel,
wenn’s für Frau Meinhof keine Hölle gäb?
Ich meine,
was, glauben Sie,
entschuldigte all unsere Enthaltsamkeit,
all diese heimlichen Schweißausbrüche,
wenn sich Fräulein Ute von Stock 14
mal wieder so hemmungslos über die Akte beugt?
Also jetzt mal ganz unter uns:
Können Sie wirklich auf das Böse verzichten?
Nur mal so dahingefragt, Herr Wecker,
sozusagen neben Sie hingefragt,
was hielte Sie hoch, Wecker,
wären nicht unsere Chefideologen, Päpste
und Pomadekastraten,
da müssten Sie doch mal ganz schön umdenken,
gerichtete Welt,
gewertete Welt,
muss eben immer was Bleibendes herhalten,
abspecken, Wecker, abspecken,
den Kopf unters kalte Wasser
und endlich mal wieder
ganz von vorn ofanga!
Nur keinen Spiegel jetzt,
schaffen Sie die Fotografen fort,
der größte lebende Dichter Deutschlands zu sein.
Darf ich Ihnen einen Blues singen?
Oder wie wär’s mit einer Chopin-Etüde?
Gestehen Sie mir zu,
dass ich alle Voraussetzungen erfülle,
ein bedeutender Bodybuilder zu sein?
Verpasst.
Wenn ich ganz ehrlich bin,
können Sie mit mir nicht mal einen Bankraub machen,
nur weil ich zu feig bin.
Was bleibt, muss mir herhalten:
Worte, Töne, Fantasien.
Bin ein Grenzgänger.
Täusche mich oft.
Aber hab eine grenzenlose Liebe zu mir.
Und das lässt mich hoffen.
V
Und bis zum Ende der Geschicke:
Tränen, Mut und Glücke.
Aufrichtigkeiten nur noch laut Katalog vorrätig,
Infantilismus ist ein Schimpfwort geworden,
und ich werde mich mit Ihnen über Christus streiten,
ob Sie’s wollen oder nicht,
ich hab ihn wieder lieb gekriegt,
und das ist doch nun wirklich scheißegal,
ob er vielleicht nur mal in ein Leichentuch hineingeträumt wurde,
an solchen Träumen wär ich gern reicher,
Paulus zum Beispiel interessiert mich im Moment noch nicht,
und unser herzlicher, angeblich schwuler
Religionslehrer Rauber
hat mir eine Menge Heilige ersetzt.
Egal, ob ich noch richtig ticke:
Tränen, Mut und Glücke.
Vielleicht ist mein penetrantes Ja zum Leben
auch schon eine Einschränkung der Freiheit,
oder ist das ein anderes Ja
als all diese wandelbaren, ungewissen –
Sprünge unter der Schädeldecke.
Abheben,
Blitze,
durchlöcherte Schleimhäute.
Meine Mutter hat ein Käppchen auf und kreischt:
Näher, mein Gott, zu dir!
Wie war das nur in ihrem Bauch?
Hätt ich nur Gerüche davon
oder Melodien
oder wenigstens Schmerzen am Bauchnabel,
meine Mutter in Schwesterntracht
und lockt:
Näher, mein Sohn, zu mir!
Auch wenn ich nicht mehr richtig ticke:
Tränen, Mut und Glücke.
Würden Sie wirklich zurückwollen?
Kieme, Feuerrad,
Blasenkatarrh eines niederen Gottes?
Der Gedanke legt mir Steine ins Blut.
Wenn man irgendwann mal sehr oben steht,
sieht man doch die Blätter
schon nicht mehr fallen,
wird das Wachsen ständig.
Wie kann ich nur fließend zum Stehen kommen
oder im Stehen fließen!
Und Weitsicht kann so trügen,
und Einblicke lähmen so oft,
und ist ein Gramm Rätsel pro Tag
nicht schon genug?
Zu viel macht süchtig, sagt man –
Dann lassen Sie mich eben süchtig sein!
Diese Gier heißt auch Leben,
und ich will nun mal nur
bewegt bewegen.
Kann auch nicht sagen, ob’s immer nach vorne geht,
manche setzen sich auf Nebengleise ab,
haben für niemanden Bedeutung,
kreisen um sich,
zerplatzen,
fliegen,
aber sie fragen,
fragwürdige Welt, offene Welt, wunderbare Welt.
Da kann man doch wieder Luft holen,
da kriegt doch Mut, wer tauchen kann,
und auf ein Wort, Kollege Mensch,
gestatten Sie,
dass ich mich weiterhin verschwende.
VI
Innenschau und die Unschuld wiederfinden,
mit den Tieren sprechen und den Bäumen,
wandelbar sein, verwundbar,
und ans Weiter glauben.
Alle sind mündig,
und die Unschuld ist niemands Privileg.
Innenschau und die Liebe befreien,
ab und zu ein Goethegedicht in die Hand nehmen,
Idyllen meiden.
Ausbreiten,
mit lieben Menschen lange zu Abend essen,
wenn’s geht, in Italien, Herbst oder Frühjahr,
und sich einfach mal öfters anlangen.
Innenschau und Exhibitionismus,
durchs Land ziehen, aufpassen, wiedergeben,
mehr weiß ich im Moment nicht zu tun.
Hoff auf erweiterte Ausdrucksformen,
wünsch meinen Eltern ein endlos langes Leben,
versuch meinen Schwanz endlich an mich zu gewöhnen,
bedank mich bei meinen Lieben fürs Mitmachen,
hab furchtbare Angst vorm Sterben
und will später unbedingt mal ein Engel werden.
Parteibuch hab ich keins,
und ab und zu im Winter
leg ich mich auf die Sonnenbank,
aus lauter Eitelkeit.
Elegie für Pasolini
I
Auch wenn sie dich jetzt auf ihre Fahnen malen
und mit diesem heiligen Eifer und Zorn
die Mörder jagen –
was nützt das deinem eingeschlagenen Schädel,
Paolo Pasolini?
Du warst für sie immer eine schwule Sau,
dekadent und pervers,
ein Träumer,
den Rechten zu viel Kommunist
und deiner Partei zu viel Mensch.
Du hast Genossen gesucht,
und sie haben dir dafür
dein Parteibuch zurückgegeben.
»Trotzdem bleibe ich jetzt und immer Kommunist«,
hast du geantwortet,
und kurz vor deinem Tod:
»Der Tod besteht nicht darin,
dass man sich nicht mehr mitteilen,
sondern dass man nicht mehr verstanden
werden kann.«
II
Chor:
Denn wer den Zweifel liebt,
hat schon verloren,
es kann nicht gut sein,
wenn man abweicht von der Norm.
Nur wer ein Glatzkopf ist,
bleibt ungeschoren,
und nur wer mitmarschiert,
marschiert nach vorn!
III
Glaub mir, Paolo Pasolini,
sieben Jahre nach deinem Tod
hat sich nicht viel verändert.
Die Veilchen blühen im Frühling
nach dem gleichen Prinzip,
und all die schönen,
begehrenswerten Knaben
schlagen nach wie vor
ihren Freiern
die Nasen ein.
Die Faschisten haben dieselben
Orgasmusprobleme
und warten mit geblähten Samensträngen
auf die Endlösung.
Vom ägyptischen Weihrauchhandel
bis zum konzertierten Börsenbetrug
ist’s ein Atemzug,
und die babylonischen Bankiers
haben ihre Geschäfte
in die oberen Etagen der Ölgesellschaften
verlegt.
Wir bauen immer noch fleißig ihre Pyramiden,
nur,
wo sollen die später mal graben?
Hiroshima ist nur ein Vorort von Jericho –
aber ganz wird der große Endknall
eines gewissen ästhetischen Reizes
nicht entbehren:
Eine malerische Wolke Gift
senkt sich auf die Menschheit
und bettet sie in den Tod.
Heloten und Spartacus,
ein paar Demonstranten mit Stehvermögen
und blutigen Köpfen,
die Mutigen sind nicht mehr geworden,
ach,
manchmal glaube ich,
es kommen immer wieder dieselben
auf die Welt.
Und dazwischen
die traurigen Genies, die Wahnsinnigen,
die Irrationalisten, die Verstoßenen,
dieser viel zu zärtliche Ansturm gegen Profitgier
und die Prügelfaust der Wahrheiten,
kaum Veränderungen,
kaum Entwicklung,
manchmal ein Anflug von Liebe
unter den Eismeeren,
Berührungen vielleicht,
Worte und Zeichen –
mich jedenfalls kann die Weltgeschichte am Arsch lecken.
IV
Chor:
Denn wer den Zweifel liebt,
hat schon verloren,
es kann nicht gut sein,
wenn man abweicht von der Norm.
Nur wer ein Glatzkopf ist,
bleibt ungeschoren,
und nur wer mitmarschiert,
marschiert nach vorn!
V
Du überblickst jedenfalls
jetzt alles viel besser,
und ich glaube,
du kommst mit den Toten eher zurecht.
Totsein macht großmütig,
und richtig einig mit sich
wird man eben erst im Nachhinein.
Hilf mir doch ein bisschen,
reiß mir einen Augenblick den Himmel auf.
Es kann so schön sein,
an Flüssen zu sitzen,
die Beine baumeln zu lassen,
und ich stelle mir Wälder vor
und kräftige Menschen,
die so tief Luft holen,
dass ihnen schwindlig wird,
und zwischenrein:
Polizeiknüppel und Aufmärsche,
Beine und Busen,
aufgewogen und als Geschenkpaket
verschnürt,
wo soll man noch Atem holen,
wo soll man noch lieben,
haben dir deine Mörder nie ins Gesicht gesehen,
warum ist ihnen die Hand nicht verdorrt,
ich wäre doch so zärtlich gewesen zu dir,
Paolo Pasolini.
Natürlich,
sie müssen ihre Welt ja immer mit Fahnen erobern,
aber ich will von keiner Fahne abbeißen,
es heißt,
dass dieses Tuch bitter schmecke.
Sie wollten schon lange deinen Kopf,
Jochanaan,
denn wer lässt sich schon gern das Betttuch wegziehen,
wenn’s draußen kälter wird?
und die Wärme der Fernsehsessel!
Frigide Frauen und mörderische Schwänze!
Lustvolle Menschen kann man nicht besitzen,
nur was sie veräußern können,
auf was sie treten können,
das nennen sie Liebe.
»Lasst uns umkehren.
Es lebe die Armut.
Es lebe der kommunistische Kampf
für die lebensnotwendigen Dinge.«
VI
Chor:
Denn wer den Zweifel liebt,
hat schon verloren,
es kann nicht gut sein,
wenn man abweicht von der Norm.
Nur wer ein Glatzkopf ist,
bleibt ungeschoren,
und nur wer mitmarschiert,
marschiert nach vorn!
VII
Nein!
Nein!
Natürlich werde ich nicht aufgeben.
Wer weiß, wann’s Schluss ist.
Es gibt Menschen,
denen läuft plötzlich das Gehirn aus.
Das dauert ein paar Monate.
Erst können sie sich nicht mehr konzentrieren,
dann vergessen sie, wo der Lichtschalter ist.
Und in ihren kurzen wachen Momenten
weinen sie hemmungslos.
Aber Gedanken können nicht einfach wegfließen.
Auch du hast die Erde getränkt,
und so viel Land
können nicht mal deine Mörder umpflügen,
um zu verhindern,
dass da was wächst.
Nicht für die Welt,
nicht für Gott,
nicht für das Paradies
und nicht für die Menschheit,
vielleicht nur für eine Handvoll Träumer,
keine Illusionisten,
keine Fantasten,
sondern einfache Menschen,
die plötzlich jetzt und heute sagen,
sich auf die Straße stellen
und schlicht behaupten:
Mit mir nicht, meine Herren.
Endlich bist du wieder unten,
wieder mitten im Geschehn.
Hast dich plötzlich losgebunden,
um als Mensch zu überstehn.
Wieder barfuß auf dem Boden,
wieder dort, wo uns die Welt,
losgelöst von Muss und Moden,
ansatzweis zusammenhält.
Und jetzt liegt da dieser Zettel
zwischen deinen Wertpapiern:
Heute nehm ich mir das Leben,
um es nie mehr zu verliern.
Kann auch ohne eure Titel
und Verträge überstehn.
Hab die Schnauze voll von Zielen,
will mich erst mal suchen gehn.
Nur die sich misstraun,
brauchen Normen zum Sein
und verteilen als Schuld,
was sie sich nicht verzeihn.
Doch wie immer sie dich
auch schuldig schrein,
nur du hast das Recht,
dein Richter zu sein.
Endlich stehst du zu den Bieren,
die man nur im Stehen trinkt,
siehst, wie glücklich ein Verlierer
ohne Kampf nach oben sinkt.
Suchst dir fünf Uhr früh am Bahnhof
einen Freund für einen Tag.
Ganz egal, was er dir gibt,
wenn er sich selbst nur etwas mag.
Und dann rinnt dir, weil du zitterst,
ein Glas Wein übers Gesicht,
fällst vom Stuhl und blickst nach oben
und entdeckst ein Stückchen Licht.
Dir verschwimmen Hirn und Sinne,
schwankst aufs Klo, schließt nicht mal zu,
überlässt dich deinem Dasein
und bist endlich wieder du.
Nur die sich misstraun,
brauchen Normen zum Sein
und verteilen als Schuld,
was sie sich nicht verzeihn.
Doch wie immer sie dich
auch schuldig schrein,
nur du hast das Recht,
dein Richter zu sein.
Ich will nicht klagen. Das Essen ist reichlich.
Jeden Freitag gibt’s Analyse.
Morgen haben wir das große Mühleturnier.
Und von Werner herzliche Grüße.
Die Ärzte sind scherzhaft, die Pfleger gepflegt,
und sie lächeln unaufhörlich.
Die Pillen sind bunt und täglich
und schmecken wirklich kein bisschen gefährlich.
Manchmal weine ich sehr. Das behalt ich für mich.
Auch dass ich mich sehne nach dir.
Vom Bett aus sehe ich den Park und dich
und die Sonne bis Viertel nach vier.
Es schneit bereits. Doch jetzt im August
ist dir sicher zu heiß, um zu schreiben.
Vielleicht nächstes Frühjahr. Ach würd mich das freuen.
Ich werd noch ein Weilchen hierbleiben.
Die junge Frau Doktor ist jetzt auch nicht mehr da,
und grad die hat noch keinen verletzt.
Die hat auch nicht immer gleich alles gewusst,
deshalb hat man sie wohl versetzt.
Doch das Wichtigste ist: dass Werner und ich
kaum mehr in Behandlung waren.
Wir sind bald gesund. Auch wenn Werner meint,
die wollen jetzt Strom an uns sparen.
Manchmal weine ich sehr. Das behalt ich für mich.
Auch dass ich mich sehne nach dir.
Vom Bett aus sehe ich den Park und dich
und die Sonne bis Viertel nach vier.
Es schneit bereits. Doch jetzt im August
ist dir sicher zu heiß, um zu schreiben.
Vielleicht nächstes Frühjahr. Ach würd mich das freuen.
Ich werd noch ein Weilchen hierbleiben.
Da ist der Krebs
Da ist der Krebs. Und da sind diese Tränen.
Und da er selbst. Auf einmal mittendrin.
Und er beginnt sich grenzenlos zu schämen
und macht sich auf die Suche nach dem Sinn.
Die Professoren sprechen von Symptomen.
Die meisten fühlen sich ganz einfach nur gestört.
Die liebe Mutter wollte er verschonen.
Und gute Freunde zeigen sich empört,
dass er sich nicht ins Dunkel schleichen wollte.
Und gönnen ihm selbst jetzt den Glauben nicht.
Denn erstens sind sie kerngesund und voll Revolte
und zweitens trauen sie noch keinem Licht.
Und eines Tags verlässt er Arzt und Bett,
um nicht die letzte Achtung zu verlieren.
Sucht sich ein Leben ohne Etikett
und ist bereit, sich selbst zu respektieren.
Die Professoren tragen spitze Hüte
und singen fistelnd im Philisterchor.
Ach, kämen doch das Wissen und die Güte
ein bisschen häufiger gemeinsam vor!
Und wir verdauen alle klugen Sprüche,
wenn sie fundiert und von Doktorn gesiebt.
Doch er entscheidet sich für Blicke und Gerüche
und einen Himmel, der ihn liebt.
Liedlein
Was macht der Herr Richter, wenn er Feierabend hat?
Hat er dann das Gerechtsein erstmal satt,
wird er dann eventuell mal banal
und sucht den richtigen Fernsehkanal?
Berichtet er seiner Frau, dass er statt zu richten
nur seinen Kragen gerichtet hat?
Oder hat er was, was er niemanden nennt,
und freut sich tierisch aufs Wochenend?
Denn am Sonntag, am Spielplatz, um dreiviertel zehn,
da lässt der Herr Richter sein Schwänzlein sehn.
Er braucht halt nun mal das Klein-Mädchen-Geschrei
als Ausgleich für seine Rechthaberei.
Ich glaube, das nimmt einen ganz schön mit,
wenn man täglich Sitte und Anstand vertritt.
Und hat nicht Angst vorm Jüngsten Gericht,
wer im Namen des Herrn dauernd Urteile spricht?
Ja, da kann’s schon mal sein,
dass einem ganz schön schlecht ist,
wenn man tagsüber hauptberuflich im Recht ist.
Aber wenn’s in der Seele so richtig brennt,
dann denkt der Herr Richter ans Wochenend:
Denn am Sonntag, am Spielplatz, um dreiviertel zehn,
da läßt der Richter sein hm … hm … sehn.
Ach hätt er das alles nur früher getrieben,
dann wär uns ein Richter erspart gelieben.
Uns ist kein Einzelnes bestimmt
Neun Elegien
Geschrieben in der Nacht vom 27. zum
28. Dezember 1980 in Lupinari – Toskana
»Und wir: Zuschauer, immer, überall,
dem allen zugewandt und nie hinaus!
Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.«
Rainer Maria Rilke
Achte Duineser Elegie
Die erste Elegie
Anstatt sie zu betreten,
treten wir die Welt.
Wie eine Silbe doch entscheidend scheiden kann!
Wie erst ein Wort!
Als wir noch schliefen,
warn die Wörter schon gemacht,
und alles, was wir heute niedrig sehen,
war immer groß genug,
uns aufzunehmen ins Geschehen.
Wie sich die Luft noch niemals wünschte,
Mensch zu sein,
sieht alles, was sich selbstlos gibt
sanft lächelnd auf uns nieder.
Ach würden wir an solcher Größe uns gestalten,
die es ertragen kann,
von uns geschändet und zerstört zu werden.
Uns birst die Lunge,
wir vergehn vor Schmerz und Wut,
wenn wir die letzten Bäume fällen.
Und wie bedauert uns das Tier!
Mit welchem warmen Mitleid
wacht die Erde über uns,
wenn wir sie quälen.
Armselig sind die Herrschenden,
denn sie genügen sich nicht selbst.
Und was wir uns auch immer neu zu schaffen glauben,
verkleinert nur, was längst geschaffen war.
Die Welt hält stand.
Selbst wenn wir sie in Stücke jagen –
wir gehen nur an dem zu Grund,
was wir verstehn.
Nichts ist erklärbar.
Nur im Unsichtbaren
lernen wir zu sehen.
Kein Gift ist böse.
Wären wir der Gifte Übermaß gewachsen,
sie würden uns die Welt zu Füßen legen.
Allen Pflanzen entwächst ein Ungeheueres.
Sind sie nicht selbst schon ungeheuer?
Allein ihr Dasein wär es wert,
sie anzubeten wie ein Wunder.
Warum nur
wehren wir uns so
dem Wundervollen eins zu sein?
Vermummte Welt,
die sich allein den Liebenden kurz öffnet.
Preiszugeben ist sie nicht.
Denn Glaube ist nicht käuflich
und selbst die geduldigen Engel
werden’s müde,
sich mit geborgten Flügeln zu maskiern.
Was rettet wohl die Richter,
wer befreit sie
aus ihrer versteinten Wirklichkeit?
Wie kann sich einer jemals selbst verzeihen,
der nie verzieh?
Schuld bleibt nur denen,
die sie anderswo verteilen.
Der Menschen Anderssein
Nie Entschuldigung für sich.
Mir scheint,
selbst die Weisen sind müde geworden,
halten sich zurück.
Wie sollten sie mit ihren zarten Gipfeln
unsren Waffen auch noch widerstehn?
Die dritte Elegie
Doch immer wieder
lässt es sich gut leiden und gut feiern
und wechseln
mit dem nie steten Licht.
Stillere Nächte,
tiefere Räusche,
meine Seele übt sich schon ein bisschen
im Fliegen.
Bald muss sie weit hinaustreten.
Ob sie zurückkehrt oder nicht:
Ich lebe und danke.
Stiller nähern sich die Ideen.
Leiser fordert die Kunst.
Zu oft vergeudet man Gedanken
an Neues und Form.
Ich bin die Form
und es bleibt keine Zeit mehr
zu beschreiben.
Dichtung ist Abglanz von anderswo
und strömt als Gleiches durch ungleiche Herzen.
Warten und redlich bemühn:
Mehr bedarf’s nicht.
Hier ist kein Platz
für Schmähung und Pamphlet –
Gedichte sind wahrhaftigere Wesen.
Wollen niemals verletzen.
Schon immer war verstanden werden leichter
als verstehen.
Uns scheint der Sonne Schein
oft größer als ihr Sein.
Die vierte Elegie
Hilfreich glaubt sich die Menschheit.
Sie winkt von ihren Podesten
alle Verdammten hoch
in die bessre Vernunft.
Aber wer ist schon verdammt,
und wer der Hilfe bedarf,
will nicht nach oben betteln.
Fragt dich dein Hund,
wenn du leidest,
in deinen Tränen erstickst?
Traurig schleicht er um dich
immer sorgsam bedacht,
dich nicht zu stören
und dir die Wunden zu lecken.
Wie aber freut er sich,
ohne Lob zu erheischen,
wenn du gesundest!
Doch wenn du stirbst,
stirbt er schweigend mit dir
und sicher legt er drüben
ein gutes Wort für dich ein.
Die fünfte Elegie
Schließlich verschwinden die Bilder
und es bleiben die Dinge:
nicht mehr berührbar, beschaubar,
unschuldig werden
Worte und Mensch.
Sind wir nicht da,
uns zu erweitern?
Und in der Weite
zählt nicht mehr unser Gesicht –
wie wir uns niemals erblickt.
Farben lösen sich auf ins Nichts
und werden bunter
und alles wird ohne Gestalt erst
vielgestalt.
Wir nennen Höhe, was wir erklimmen,
aber wie nennt die Höhe sich selbst?
Immer sieht uns ein anderes an,
das wir anders benennen.
Werden heißt:
immer mehr von sich
und der Welt zu verlieren.
Die sechste Elegie
Einst, da waren wir schön.
Bis wir die Schönheit erfanden.
Plötzlich,
ach wüssten wir nur darum,
gab es dies: Ich
und wir beriefen die Welt.
Manchmal noch streifen uns Glück und Ideen.
Wir blicken zurück.
Noch schützt uns die Schwermut.
verlieren wir Halt und Gestalt.
Wie nur ertrugen’s die Großen,
denen dies wahrere Sein
die Adern zerriss,
wie konnten sie’s nur ertragen,
dass sich ein Gott ihrer kläglichen Körper bediente,
uns zu warnen?
Einst, da waren wir schön.
Da trafen wir uns in der Mitte.
Wie quält uns die Schale!
Wie fern sind wir dem Kern!
Die siebente Elegie
Doch seht:
Die Nacht erlahmt schon,
sorgsam behütet ein Morgen die Welt
und ich will hinaustreten
und freuen.
Dass wir so schwanken – es sei!
Liebend erfasst,
trägt mich auf einmal ein fremderer Atem
über mich fort.
Nicht um die Leiden zu lindern,
wird wieder Freude.
Leben ist zwischendrin.
Vor allem: heute.
Einmal vielleicht
werden die Nächte brennen.
Übergangslos auftaut die Erde.
Gibt uns frei.
Schon scheint der Himmel
ein wenig runder
und die Wiesen
wenden sich hin.
Wer könnte sonst noch
aufrecht stehen und bestehen,
folgten nicht immer auf Weh und Klagen
Stürme voll Glück.
Dies nur kann uns nach Hause führen:
Liebe
und eines Größren Barmherzigkeit.
Die achte Elegie
Nur den aufrichtig Liebenden
wird es gelingen zu hören, zu schauen,
drüber hinaus mit den Herzen zu greifen.
wie ihre Wirklichkeit fern ist
von all dem Getön und Getue,
wie wir sie neiden.
Weil sie uns fremd sind, haben wir Angst.
Schelten sie einfältig oder verblendet,
ach, weil wir alles viel besser verstehen
und in Büchern belegen,
mit Kriegen beweisen.
Aber die aufrichtig Liebenden
wandeln den Menschen voran.
Ihnen allein
muss nicht der Menschheit Blut
Wahrheit und Dasein bezeugen.
Sie allein
müssen sich nicht übersehn,
um gesehn zu werden.
Die neunte Elegie
Uns ist kein Einzelnes bestimmt.
Ein jeder ist die Menschheit,
geht mit ihr unter
oder wendet sie zum Guten hin.
Du musst dir alles geben,
Dämmern und Morgenrot,
unendlich lass dich leben,
oder bleib ewig tot.
Du musst dir alles geben,
alles ist immer mehr.
Die dir dein Schicksal weben,
geizen sehr.
Die dir Großes versprechen,
versprechen sich meistens dabei.
Mach deine eigenen Zechen,
taumle dich frei.
Du musst dir alles geben,
Dämmern und Morgenrot,
unendlich lass dich leben,
oder bleib ewig tot.
Du musst dir alles geben,
keiner bringt dir dein Heil.
Alle Tage durchleben –
die Stufen sind tränensteil.
Ja, sogar alle Tage
können nie alles sein –
auch ohne Antwort:
Frage und gib dich ein!
Dämmern und Morgenrot,
unendlich lass dich leben,
oder bleib ewig tot.
Wieder eine Nacht allein
Wieder eine Nacht allein.
So viel gehofft, geträumt, vertraut,
die Augen wieder wund geschaut
nach einem Fetzen Paradies.
Wieder eine Nacht allein –
da muss doch irgendjemand sein,
der mit dir teilt, der mit dir sucht,
den so wie dich der Tag verließ.
Wieder eine Nacht allein.
Was jetzt noch läuft, ist gut bekannt,
jetzt bleibt nur noch die eigne Hand,
um etwas Zärtlichkeit zu spürn.
Wieder eine Nacht allein.
Du wirst noch zu den Huren gehen,
in einiger Entfernung stehen
und von der Unschuld fantasiern.
Und vielleicht wirst du morgen,
verlacht und verdreckt,
statt mit zärtlichen Worten
mit Tritten geweckt,
das Blut voll von Fusel,
die Augen verdreht
und doch überzeugt,
dass es weitergeht.
Wieder eine Nacht allein.
Du willst dir kein Gesicht mehr leihn,
um wie die andern stark zu sein –
nur wer sich öffnet, kann sich spürn.
Wieder eine Nacht allein.
Du weißt, kein Wunder wird geschehn,
und trotzdem, du musst weitergehn,
um nicht die Hoffnung zu verlieren.
Und vielleicht wirst du morgen,
verlacht und verdreckt,
statt mit zärtlichen Worten
mit Tritten geweckt,
das Blut voll von Fusel,
die Augen verdreht
und doch überzeugt,
dass es weitergeht.
Und das soll dann alles gewesen sein
Gerodete Dschungel, zerdachte Natur,
bald bleibt den tapfersten Bäumen
nur noch übrig, zerhackt und mit Politur
vom Blühen und Werden zu träumen.
Dann müssen wir unsere verplante Welt
mit eisernen Lungen versorgen.
Wir haben die Erde so schlecht bestellt
und betrügen noch heute das Morgen.
Doch wie wir auch strampeln und wie wir auch plärrn,
wir erreichen nur die Staffagen:
Der Staat dient den stets anonymeren Herrn
aus den obersten Etagen.
Und das soll dann alles gewesen sein –
ein Leben ganz ohne den Wind?
Versorgt und verplant und ohne Idee,
was wir wollen und wer wir sind.
Und das soll dann alles gewesen sein –
probieren, studieren, stolzieren,
um unser Versagen dann irgendwann
etwas besser zu interpretieren?
Die Lämmer halten sich Wölfe zurzeit,
die reisen in Schafpelzsachen.
Wir belächeln zwar laut ihre Lächerlichkeit,
aber üben schon heimlich ihr Lachen.
Zur Rettung verschreibt man uns Pharmaglück,
als könnt man ums Leid sich drücken.
Und wenn wir dann heillos gerettet sind,
steigt das große Geschäft mit den Krücken.
Doch wie wir auch strampeln und wie wir auch plärrn,
wir erreichen nur die Staffagen:
Der Staat dient den stets anonymeren Herrn
aus den obersten Etagen.
Und das soll dann alles gewesen sein –
ein Leben ganz ohne den Wind?
Versorgt und verplant und ohne Idee,
was wir wollen und wer wir sind.
Und das soll dann alles gewesen sein –
probieren, studieren, stolzieren,
um unser Versagen dann irgendwann
etwas besser zu interpretieren?
Und das soll dann alles gewesen sein –
Glück und Tränen verflogen?
Einsilbig alles zu Ende gedacht
und um Ewigkeiten betrogen.
Das wird eine schöne Zeit,
wenn mich Melodien
fort von hier, hin zu dir tragen.
Du hältst die Flügel bereit und machst,
dass die Kirschbäume blühn.
Unten gaffen die Wärter und klagen.
Das wird eine schöne Zeit,
wenn Krieger vor Liedern fliehn
und Waffen Gedichten erliegen.
Du hältst die Flügel bereit:
Wenn wir fallen, bleibt immer noch Zeit,
uns endlich unendlich zu lieben.
Vom Weinstock und den Reben
Dem Weinstock werden die Reben
im Herbst so furchtbar schwer,
und um zu überleben,
gibt er sie einfach wieder her.
Das mag ich so an den Bäumen:
ihr Wissen um Sterben und Sucht.
Was sie sich im Frühjahr erträumen,
verteilen sie später als Frucht.
So viele Fragen offen,
die alten Schriften verstaubt.
Nur der kann weiter hoffen,
der an sich selber glaubt.
Man braucht sich nicht beweisen.
Wem es genügt zu sein:
Der wird auch beim Entgleisen
ganz gut gedeihn.
Du wolltest ein Stück Himmel
Wie viel Jahre hast du schon
an die Dunkelheit verschwendet!
Für die andern gab es Tag,
doch dich hätte er geblendet.
Dieses Warten, diese Ängste,
und dann doch nur schlechter Schnee.
Der kann niemand mehr erwärmen,
der tut nur noch höllisch weh.
Und jetzt drückst du dir verzweifelt
ein Stück Vene aus der Hand.
und nichts andres hat Bestand.
Und dann fällst du. Ein paar Fremde
heben dich noch einmal auf.
Sie erkennen dein Gesicht,
und dann geben sie dich auf.
Ach, ich kann dich gut verstehen,
immer hat man dir erzählt,
dass den Menschen statt der Seele
nur Chemie zusammenhält.
Und du wolltest ein Stück Himmel
und bekamst kaum ein Stück Brot,
dafür jede Menge Sprüche.
Besser bist du heute tot.
Dabei wärst du doch so gerne
endlich eigentlich geworden.
Doch die Suche, die zur Sucht wird,
kann auch unerbittlich morden.
Meistens trifft es nur die Zarten,
wer verhärtet, scheint zu siegen.
Doch das weiß ich ganz genau:
Du bleibst auch nicht lange liegen.
Vielleicht war es nicht so schlecht,
auf diese Weise zu verschwinden:
Dort, wo du dich jetzt befindest,
kannst du dich viel besser finden.
Ach, ich kann dich gut verstehen,
immer hat man dir erzählt,
dass den Menschen statt der Seele
nur Chemie zusammenhält.
Und du wolltest ein Stück Himmel
und bekamst kaum ein Stück Brot,
dafür jede Menge Sprüche.
Besser bist du heute tot.
Manche Nächte
Schon wieder geistert’s. Die Gesichter
sind mir bekannt. Ich habe Angst vor mir.
Dort dichtet einer. Und ein toter Richter
spielt Klavier.
Dort ein Erhängter. Bin das ich?
Ist das vielleicht mein Grab?
Ach Gott, wer bin ich eigentlich?
Ach, wär’s nur Tag.
Manchen Nächten kann man nicht entfliehn,
und manche Räume zwingen dich zu bleiben.
Du bist allein mit deinen Fantasien
und fürchtest dich und kannst sie nicht vertreiben.
Das sind die großen Nächte. Halte fest
die Stunden, die dich so gefährden,
Du musst ein andrer werden.
Jetzt über Hügel wandern, und es könnte regnen,
ein trüber Himmel hinderte mich nicht.
Jetzt Rosen oder einem Feigenbaum begegnen
und einem freundlichen Gesicht.
Nur keine Dunkelheit. Nur nicht allein sein.
Wer geht mit sich schon gerne ins Gericht?
Da muss doch irgendwo noch etwas Wein sein?
Warum kann dieses Ich nie mein sein?
Ach, gäb’s nur Licht.
Manchen Nächten kann man nicht entfliehn,
und manche Räume zwingen dich zu bleiben.
Du bist allein mit deinen Fantasien
und fürchtest dich und kannst sie nicht vertreiben.
Das sind die großen Nächte. Halte fest
die Stunden, die dich so gefährden,
wo dir die Seele sagen lässt:
Du musst ein andrer werden.
Ich möchte weiterhin verwundbar sein
Wenn ich jetzt wieder ohne Schnee
die letzten Jahre vor mir seh,
muss ich zu meiner Schmach gestehn,
es könnte vieles besser gehn.
Doch weil der Himmel gütig ist,
kann einem selbst der größte Mist,
darf einem oft die größte Pein
im Nachhinein ganz nützlich sein.
Ich hab mich schon zu weit gefühlt,
um noch mit mir zu streiten,
dabei schafft jeder neue Schritt
nur Platz für neue Weiten.
Es gibt kein Leben ohne Tod,
ich bring mich wieder ein.
Ich möchte wieder widerstehn
und weiterhin verwundbar sein.
Drum nehmt es mir nicht allzu krumm,
ich bin halt öfters eher dumm,
weil mancher Mensch zu seinem Leid
speziell im Sumpf ganz gut gedeiht.
Zwar gilt heut nicht als rechter Mann,
wer seine Schwächen zeigen kann,
doch Mann und Recht, ich glaube fast,
dass das nicht gut zusammenpasst.
Und drum probier ich’s weiterhin
mit der Moral nach meinem Sinn,
denn wie uns die Geschichte lehrt,
war die des Rechtes oft verkehrt.
Und ist’s auch nicht ganz angenehm,
und stünd ich ganz allein –
und weiterhin verwundbar sein.
Und dann
Ach, wärst du nur bei diesem Mann
niemals geblieben.
Jetzt strengst du dich so furchtbar an,
ihn auch zu lieben.
Verbietest dir, dich umzusehn,
er ist der Beste.
Und neben dir blüht das Geschehn
und feiert Feste.
Du quälst dich und du glaubst,
dass er sich ändern würde.
Die Zeit, die du dir damit raubst,
bleibt dir als Bürde.
Du stellst ihm Blumen auf den Tisch.
Er sagt: Ich gehe.
Ach, nicht mehr lang
und du erfrierst in seiner Nähe.
Und dann sitzt du irgendwann vor deinem Fenster,
mit starren Augen, Strickzeug in der Hand,
und du fürchtest dich, weil die Gespenster
dir deinen Schatten stehlen von der Wand.
Und der ist dir doch als Einziger geblieben
und auch ein Päckchen Aspirin.
Noch ein Tagebuch, da steht geschrieben:
Ich habe dir verziehn.
Manchmal träumst du noch davon,
mit ihm zu reden,
doch du hast ein Bild von dir,
das musst du leben.
Dann verblassen dir auch bald
die Fantasien.
Ach, die hätt er dir auch sicher nie
verziehn.
Ein Hochzeitskleid verstaubt im Schrank
und ein paar Glückwunschkarten,
die ebenso wie du
auf Wunder warten.
Und das war’s dann auch:
ein ganzes Leben –
nur an dich hast du es
nie vergeben.
Und dann sitzt du irgendwann vor deinem Fenster,
mit starren Augen, Strickzeug in der Hand,
und du fürchtest dich, weil die Gespenster
dir deinen Schatten stehlen von der Wand.
Und der ist dir doch als Einziger geblieben
und auch ein Päckchen Aspirin.
Noch ein Tagebuch, da steht geschrieben:
Ich habe dir verziehn.
(1982)
Noch lädt die Erde ein
Was macht sich heut die Sonne breit –
was hält uns noch zurück?
Mir sitzt schon eine Ewigkeit
der Süden im Genick.
Dort unter Reben liegt sich’s gut,
und Hitze hüllt uns ein.
Dann tauschen wir das alte Blut
für neuen Wein.
Und sind wir kräftig ausgeruht,
dann wolln wir schlafen gehn.
Oft hilft ein dicker Bauch ganz gut,
die Nacht zu überstehn.
Die junge Erde öffnet sich,
es kühlt das frische Gras.
Und dann, ich weiß, dann liebst du mich
im Übermaß.
Wie leicht, mein Schatz, verschläft man sich,
wenn man sich nicht so mag.
Das Leben währt
kaum einen Sommertag.
Was macht sich heut die Sonne breit –
sie stellt mich richtig bloß.
Mich lässt schon seit geraumer Zeit
die Freude nicht mehr los.
Wir haben so viel Zeit vertan
und uns so viel erklärt.
Du bist die Frau,
ich bin der Mann und umgekehrt.
Vielleicht wird sich die Sonne bald
schon von uns Menschen wenden.
Ich könnt’s verstehn, sie ist zu alt,
sich sinnlos zu verschwenden.
Doch noch gibt’s Herzen, die verstehen,
noch lädt die Erde ein.
Nur bald, es ist schon abzusehen,
wird’s nur noch schnein.
Wie leicht, mein Schatz, verschläft man sich,
wenn man sich nicht so mag.
Das Leben währt
kaum einen Sommertag.
1943, kurz vor dem Ende der Nazidiktatur, wurden die Geschwister Sophie und Hans Scholl und vier weitere Mitglieder der Widerstandsbewegung »Die Weiße Rose« in München hingerichtet. Ihnen und all denen, die sich auch heute noch dem Faschismus entgegenstellen, ist dieses Lied zugeeignet.
Jetzt haben sie euch zur Legende gemacht
und in Unwirklichkeiten versponnen,
denn dann ist einem – um den Vergleich gebracht –
das schlechte Gewissen genommen.
Ihr wärt heute genauso unbequem
wie alle, die zwischen den Fahnen stehn,
denn die aufrecht gehn, sind in jedem System
nur historisch hoch angesehn.
Ihr wärt hier so wichtig, Sophie und Hans,
Alexander und all die andern,
eure Schlichtheit und euer Mut,
euer Gottvertrauen – ach, tät das gut!
Denn die Menschlichkeit,
man kann’s verstehn,
ist hierzuland eher ungern gesehn
und beschloss deshalb auszuwandern.
Ihr habt geschrien, wo alle schwiegen,
obwohl ein Schrei nichts ändern kann,
ihr habt gewartet, ihr seid geblieben,
ihr habt geschrien, wo alle schwiegen –
es ging ums Tun und nicht ums Siegen!
Vielleicht ist das Land etwas menschlicher seitdem,
doch noch wird geduckt und getreten.
Der Herbst an der Isar ist wunderschön,
und in den Wäldern lagern Raketen.
Ich würd mal mit euch für mein Leben gern
ein paar Stunden zusammensitzen,
doch so nah ihr mir seid, dazu seid ihr zu fern,
trotzdem werd ich die Ohren spitzen.
Ihr wärt hier so wichtig, Sophie und Hans,
Alexander und all die andern,
eure Schlichtheit und euer Mut,
euer Gottvertrauen – ach, tät das gut!
Denn die Menschlichkeit,
man kann’s verstehn,
ist hierzuland eher ungern gesehn
und beschloss deshalb auszuwandern.
Ihr habt geschrien, wo alle schwiegen,
obwohl ein Schrei nichts ändern kann,
ihr habt gewartet, ihr seid geblieben,
ihr habt geschrien,wo alle schwiegen –
es geht ums Tun und nicht ums Siegen!
Von den zertrümmerten Wirklichkeiten
Benebelt von Göttern und Parteien,
gedrillt auf Ja und Amen,
voll von Rezepten, die Welt zu befreien,
vergaßen wir unseren Namen.
So lange bewiesen und überdacht,
so lange uns selbst entfernt.
Zwar wärn wir jetzt gerne mal unbewacht,
doch das haben wir niemals gelernt.
Und jetzt stehlen sie uns die Sonne
und versilbern sich den Arsch
mit unseren plattgedrückten Nasen,
unserm treu ergebnen Marsch.
Mein Gott, ich hab die Schnauze voll
von allen, die mich übergehn.
Ich will mit meinen Wünschen jetzt
im Brennpunkt der Geschichte stehn.
Und jetzt stehn wir so klug wie ehedem
vor zertrümmerten Wirklichkeiten,
zwar lebt es sich, heißt es, angenehm,
dafür ist es verboten, aufrecht zu gehn
und sich selbst nach vorn zu geleiten.
Und jetzt wird man uns wieder mal rekrutieren,
und wir stehen dann wieder daneben:
Ach lasst uns doch diesmal, statt mitzumarschieren,
so recht aus dem Vollen leben.
So bleibt vieles ungeschrieben
Zwar: Da ist viel Ungereimtes,
und ich fand noch keine Normen,
meine Lieder und mein Leben
nach gemäßem Maß zu formen.
Viel zu viel kam mir dazwischen.
Wenn ich glaubte, ich sei richtig,
war mir eben neben einem
immer auch das andre wichtig.
Meistens renn ich meinem Denken
viel zu lange hinterher,
und kaum bin ich ausgewogen,
ist mir mein Gewicht zu schwer.
Aber eines ist geblieben,
dass ich schreibe, was ich meine,
und so teil ich mich, ihr Lieben,
und bleib immerfort der eine.
Und so zieht’s mich, und so treib ich,
renn davon und halte ein,
um mal zögernd und mal stürmisch,
immer aber Fluss zu sein.
Vieles, was ich von mir dachte,
war ich sicherlich noch nie,
und für vieles, was ich bin,
fehlt mir noch die Fantasie.
Meistens will ich auch nicht sehen,
was an Höllen in mir ist,
und verteile auf die andern
als Gerechter meinen Mist.
Aber eines ist geblieben,
dass ich schreibe, was ich meine,
und so teil ich mich, ihr Lieben,
und bleib immerfort der eine.
Und mag sein, das dauert an,
dieses Schwanken, dieses Flehn,
bleibt die Hoffnung, ich werd weiter
auch im Fallen zu mir stehn.
Und statt irgendwann mal nahtlos,
doch gelangweilt aufzugeben,
will ich lieber unvollendet,
doch dafür unendlich leben.
Und auch jetzt schon, voll von Wein,
bin ich hin und her gerissen,
schreib ich, weil ich’s besser weiß
oder wider bessres Wissen.
So bleibt vieles ungeschrieben,
doch das ist’s ja, was ich meine,
denn ich teile mich, ihr Lieben,
und bleib immerfort der eine.