Kapitel 2

       Auf der anderen Seite war es dunkel. Der Spalt wurde größer, und im bleichen Licht des Mondes erschien die hier übliche Einrichtung. Niemand außer den beiden war anwesend.

"Das war es", sagte er und zeigte auf die Gardine, die im Wind schlug. Unten war sie mit einem Gewicht beschwert, das nun gegen die Wand klopfte. Das allerdings war nicht der Augenfänger, denn auf dem Boden lagen die Bretter, mit denen das Fenster zuvor verschlagen wurde. Sie waren von außen nach innen gebrochen worden.

"Das war vorher auch nicht so", sagte Anna.

"Richtig."

"Können wir jetzt gehen?"

"Gehen wir."

Die Nacht empfing sie mit einer solch dicken Luft, dass man sie fast kauen konnte. Unfassbar heiß und schwül war es, obwohl der Wind ging. Fast augenblicklich standen die beiden im Schweiß. Es waren Verhältnisse wie in einer Sauna.

"Was ist denn da los?", entrang es sich ihr.

Hinter dem Gebäude, in großer Entfernung, stieg eine Rauchsäule in die Nacht, vor ihnen aber mehr, als sie zählen konnten. Die Stadt schien in Flammen zu stehen. Aber es war absolut still, keine Sirene erklang, keine Autos, die man hier noch als eine Art Brandung hören musste, weil sich in der Nähe eine der großen Straßen befand. Anna zuckte zusammen, als eine weiße Taube vor ihnen Füßen auf dem Boden aufschlug.

"Scheiße", fluchte sie. Rauchvergiftung, dachte sie.

Der Toyota stand noch immer dort, wo sie ihn abgestellt hatten. Sie stiegen ein und rollten los. Tomas fuhr nicht allzu schnell. Das Geräusch des Motors schallte von den Hallen links und rechts zurück, während sie durch die vollständige Stille fuhren.

"Meinst du, es ist Krieg?", fragte sie leise.

"Sicher nicht."

"Sondern?"

"Ich weiß nicht."

Als sie auf jene große Straße gelangten, an dem Punkt, an dem sie das Viertel verließen, trauten sie ihren Augen nicht. Nicht ein einziger Wagen war unterwegs, obwohl sie immer befahren wurde. Nachts waren vor allem die Lieferwagen unterwegs, nun aber gab es nur noch sie hier.

Vor ihnen glühte die Stadt. Die Brände erleuchteten die Luft über ihr. Sie sahen die Wolkenkratzer, von denen zwei lichterloh brannten. Ein übler Gestank wehte ihnen entgegen, eine schlechte Mischung aus Brandgeruch und etwas, das nach einem Grillabend roch. Nur süßlicher und unangenehm eindringlich. Es stank, fast konnte man es nicht ertragen.

"Das glaube ich nicht", sagte Anna atemlos.

Tomas beschloss, es zu wagen, und sich dem Zentrum zu nähern. Wie sich herausstellte, war die Luft nicht so belastet, dass es einen umbrachte. Der Wind ging, so war zumindest das zu ertragen. Als sie ins Zentrum gelangten, stießen sie auf die ersten Autos. Kreuz und quer standen sie auf dem Asphalt und rührten sich nicht mehr. Ihre Türen standen offen, aber von den Menschen war keine Spur. Im silberkalten Licht der Scheinwerfer erschien alles undeutlich, denn der Wind trieb schwarze Schwaden durch die Straßen.

Es sah nach einem Schlachtfeld aus, auf dem die Leichen beseitigt worden waren. Tomas konnte nicht ausmachen, wohin die Leute gegangen waren, zumal es neben dem Heulen des Windes vollkommen still war. Man konnte nicht sagen, ob sie sich hinter den finsteren Löchern in den Fassaden verkrochen hatten oder überhaupt noch lebten.

"Was ist passiert?", fragte Anna.

"Ich weiß nicht."

Sie mussten den Autos ausweichen, was sie verlangsamte. Immer wieder tauchten die Wagen in den Lichtkegeln auf, die über sie flossen und nichts als dunkle Umrisse zurück ließen. Ihr Ziel war das Präsidium, doch der Weg dorthin gestaltete sich umständlich. Meter um Meter arbeiteten sie sich voran. Bald aber gelangten sie auf die Straße, auf der sowohl das große Gebäude wie auch der Parkplatz lagen.

Tomas stieg in die Eisen, als er neben sich eine Bewegung wahrnahm. Im Halbdunkel war zuerst nichts zu sehen. Es war nur ein Schatten, wie es schien, klein, und es lag auf dem Dach eines Wagens.

"Was ist denn?", fragte Anna.

"Hab was gesehen."

"Ein Mensch?"

"Nein."

Er griff nach der Taschenlampe und leuchtete den Wagen aus. Er war verlassen, und die Tür zum Bürgersteig stand offen. Der leuchtende Kegel ging nach oben auf das Dach.

"Verflucht", sagte er.

"Was?"

"Eine Hand. Da liegt eine Hand auf dem Dach", sagte er, dann ließ er den Toyota weiter rollen.

"Eine Hand? Bist du sicher?"

"Natürlich bin ich sicher."

Bis zum Polizeipräsidium war es nicht mehr weit. Sie hielten vor dem Vordereingang. Tomas stellte den Motor ab, und es wurde Totenstill. Viel zu laut schlugen die beiden Türen zu. Was sie dann erblickten, schien keinen Sinn zu ergeben. Sie kannten dieses Gebäude, und ganz sicher erlitten sie nicht dieselbe Halluzination. Es bestand aus rotem Backstein, wie so viele der alten Häuser in dieser Gegend, nun aber war es grau.

"Verstehst du das?", fragte sie.

"Nein", antwortete er.

Auf der Tür stand etwas in gelben Lettern hingeschmiert. Tod ist Gnade. Der Schriftzug reichte von links nach rechts über beide Türen. Ihre Schritte wirkten laut, als sie die Stufen nach oben stiegen. Die Tür quietschte leise, das wussten sie gar nicht. Hier fuhren immer Autos vorbei, und durch die Halle klangen immer Stimmen. Nun war es vollkommen still, und die Halle war leer.

"Hallo?", rief Tomas. Niemand antwortete, alles blieb ruhig. Es war dunkel, und ihnen leuchtete nur die eine Taschenlampe. In ihrem Licht stiegen sie die breite Treppe ins erste Stockwerk, in dem sich ihr Büro befand. Auf dem Gang quietschten ihre Sohlen auf dem Linoleum. In ihrem Büro fanden die beiden alles unverändert vor. Tomas versuchte es mit dem Computer, aber der reagierte nicht.

"Ich verstehe das nicht. Was ist hier los?", fragte Anna.

"Ich weiß nicht", wiederholte er sich. In der Schublade fand er sein zweites Handy, auf dem massenhaft Nummern gespeichert waren. Er rief sie alle an, seine Eltern, die Freunde, die Kollegen, alle. Aber es war hoffnungslos. Gleich darauf warf es ihr das Gerät zu, damit sie es mit den Nummern versuchte, die sie auswendig kannte. Nach einer Weile war gewiss, dass keiner ihrer Bekannten oder Freunde zu erreichen war.

"Teufel. Sind wir in der Zwischenzeit ausgestorben?", fragte er.

"Denkst du?"

"Keine Ahnung. Was denkst du?"

Sie schüttelte den Kopf. Ihr Blick ging auf etwas hinter ihm. "Hm", machte sie.

"Was?", fragte er und wandte sich um. Hinter seinem Platz gab es nichts als die Wand, an der der Kalender hing. Er mochte Mondlandschaften, vor allem, wenn die Erde aufging.

"Du hast deinen Urlaub nicht eingetragen", sagte sie.

Ja, sie hatte Recht. Tomas fand allerdings nicht, dass sie sich jetzt den Kopf darüber zerbrechen sollten. Er wollte endlich wissen, was vor sich ging.

Ein Mensch schrie auf der Straße, aber es klang nicht menschlich. Ein fürchterlicher Laut, eine Mischung aus Knurren und Brüllen. Nie zuvor hatten die beiden so etwas zu Ohren bekommen. Die beiden gingen zum Fenster und sahen auf die Straße hinunter. Unten ging ein Mann, der sich ungelenk wie eine Holzpuppe bewegte. Die zwei wagten einen kurzen Blick, dann zogen sie sich zu beiden Seiten des Fensters zurück.

"Okay, das ist lächerlich", sagte sie.

"Was meinst du?"

"Es gibt keine Zombies. Das ist lächerlich. Hast du seine Augen gesehen, die sahen wie Milchglas aus."

"Das ist bestimmt nicht die versteckte Kamera."

"Aber es ist vollkommen lächerlich. So etwas gibt es nur im Film."

"Weißt du, woran du erkennst, dass es keiner ist? Du hast das Wort Zombie in den Mund genommen. Warte!", sagte er, bevor sie aussprach. "Natürlich ist das kein Zombie, aber der Mann ist ganz offensichtlich krank. Weißt du was? Ich gehe zu ihm und spreche mit ihm."

"Vielleicht ist er gefährlich."

"Er kann kaum stehen und ist blind."

"Trotzdem, ich habe kein gutes Gefühl dabei."

Tomas ging zum Schrank und holte seine zweite Pistole heraus. Darauf nickte Anna und ließ sich ihre geben. Anschließend verließen sie das Büro und eilten den Gang hinab.

"Es ist kein Film. In einem Film wundert sich niemand über sie und sagt auch nicht, was sie sind. Das zerstört die Stimmung, weil man alle darauf aufmerksam macht, wie lächerlich diese Geschichten eigentlich sind", meinte er, als sie unterwegs waren.

"Ich gebe dir Deckung", sagte sie.

Der Mann hielt sich immer noch auf der Straße auf, als sie das Gebäude durch den Vordereingang verließen. Er drehte ihnen den Rücken zu. Tomas trat selbst auf den Asphalt, hielt sich aber zehn Meter von ihm entfernt. Anna blieb seitlich versetzt, drei Schritt hinter ihm stehen und ließ die beiden nicht aus den Augen. Einmal ging ihr Blick herum, aber sie waren allein.

"Hallo?", rief Tomas.

Der Mann drehte sich wie in Zeitlupe um die eigene Achse. Er schien sie doch zu sehen, obwohl das eigentlich nicht sein konnte. Das war wahrscheinlich immer das Absurdeste an diesen Filmen, wenn sie eigentlich nichts sehen konnten.

"Dies ist eine echte Waffe mit scharfer Munition. Bitte überlegen Sie sich, was Sie tun", sagte Tomas ganz ruhig. Die Antwort darauf fiel eindeutig aus, denn plötzlich rannte der Mann wie von der Tarantel gestochen los und riss den Mund auf, als wollte er ihn beißen.

"Bleiben Sie stehen!", rief Tomas.

"Stehen bleiben!"

"Ich muss Sie unschädlich machen, wenn Sie mich angreifen!"

Ein Schuss fiel, und der Stoff auf der Schulter des Mannes platzte auf. Aber der Treffer zeigte keine Wirkung. Tomas schoss in seinen rechten Oberschenkel, doch auch das hielt den Mann nicht auf. Er schoss ihm in den linken, dann war er bei ihm und streckte seine zu Krallen verkrümmten Finger nach ihm  aus. Ein Schuss krachte , und der Kopf des Mannes wurde hart in den Nacken geworfen. Er stürzt rückwärts auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Aus dem Loch in der Stirn quoll kein Blut.

Tomas wandte sich Anna zu, die noch immer in die Luft zielte. Der Lauf der Pistole rauchte.

"Danke", sagte er.

"Sag mir, dass das nicht wahr ist."

Die beiden benötigten einen Augenblick, das Unmögliche auch nur theoretisch für möglich zu halten. Es konnte schlicht nicht die Wirklichkeit sein, zumal sie ganz genau wussten, dass es sich einmal jemand ausgedacht hatte. Aus welchem Grund würde die Natur so etwas hervor bringen, das sich doch nur irgendein Spinner ausgedacht hatte? Es sei denn natürlich, er war gar keiner, kam den beiden nun in den Sinn. Was, wenn es kein Unsinn war?

"Ich kann es nicht glauben", sagte sie.

"Ich glaube, was ich sehe", gab er zurück.

"Mein Gott. Was ist, wenn die Stadt voll mit ihnen ist?"

"Du hast Recht, wir müssen verschwinden. Außerhalb gibt es nicht so viele Menschen, da sollten wir hin."

Es schien ganz offensichtlich, dass dies die beste Lösung war, also gingen sie zum Toyota zurück. Nach wenigen Schritten aber blieben sie stehen und starrten ihn aus ungläubigen Augen an.

"Was soll das?", fragte sie.

Tomas schüttelte den Kopf. Ihm fiel dazu schon lange nichts mehr ein. Sein roter Toyota war grau geworden. Eine wirklich unansehnliche Farbe, fand er. Sonst schien sich nichts verändert zu haben. Sein Blick ging auf den Knopf der Taschenlampe, der aber war ebenso grau geworden.

"Dafür haben wir später Zeit", sagte er und klemmte sich hinters Steuer. Anna aber ging nach hinten und winkte. Er verstand und trat auf die Bremse. Die Rücklichter leuchteten, aber nicht rot, sondern grau.

"Etwas stimmt nicht", sagte sie, als sie anschließend neben ihm saß.

"Was du nicht sagst", gab er zurück und startete den Motor. Schnell fuhren sie los. Wieder mussten sie den Autos ausweichen, trotzdem beeilte er sich.

"Ich meine, es geht etwas vor sich."

"Ja, das denke ich auch."

"Aber was?"

"Nichts, das Sinn ergibt."

Auf der nächsten Kreuzung bogen sie ab. Tomas war es gleich, in welche Richtung sie die Stadt verließen, Hauptsache, sie entkamen, bevor noch jemand auf sie aufmerksam wurde. Dabei vermied er die Hauptverkehrsadern im Zentrum, sondern bewegte sich von diesen fort. Zu ihrem Glück trafen sie auf keines dieser Wesen mehr. Tomas hatte noch immer ein Problem damit, ein Wort wie 'Zombie' auch nur zu denken, aber der weitaus größere Teil von ihm nahm es bereits hin. Unter Umständen waren es auch gar keine, dachte er, sondern irgendein widerliches Arschloch hatte sich inspirieren lassen und ließ ein synthetisches Virus auf die Menschheit los. Auch das kam ihm eher unwahrscheinlich vor, aber ganz sicher nicht so sehr, wie die Existenz von lebenden Toten.

Da sie sich vom Zentrum fortbewegten, mussten sie nicht mehr so häufig den Autos ausweichen. Auf Tomas erweckte es den Anschein, alles sei in der Nacht geschehen, denn das alles sah nach dem nächtlichen Verkehr aus. Oder dem ganz früh am Morgen. Hier, in diesem Wohnviertel, war schon nicht mehr so viel los. Sie kamen gut voran, obwohl auch hin und wieder ein Wagen im Weg stand.

"Glaubst du, sie fressen die Menschen?", fragte sie.

"Lass uns keine voreiligen Schlüsse ziehen", erwiderte er.

Anna wollte immer so schnell wie möglich Klarheit haben, in diesem Fall aber fand er, dass sie nur raten konnten, was wirklich mit den Menschen los war. Tomas kam der Gedanke, sie könnten unter Umständen die letzten lebenden Menschen auf der Welt sein. Wer außer ihnen hatte die letzten Tage unter hermetischen Bedingungen verbracht? Wer würde zum Beispiel in einem Hochsicherheitslabor übernachten? Wahrscheinlich keiner, dachte er.

"Ausgebleicht", kommentierte Anna den Anblick, der sich ihnen darbot. Die roten Backsteinhäuser der Arbeiterfamilien in dieser Gegend waren alle grau geworden. In diesem Moment kamen beide auf den Einfall, einen Blick über die Schulter zurück zu werfen. Es war schwer zu beschreiben, was sie hinter sich erblickten. Aber der Schimmer über der Stadt war nicht mehr rot, sondern grau.

"Das ergibt keinen Sinn", stellte Anna fest.

Nein, ergab es nicht, das fand auch er. Nichts an alldem ergab Sinn. Er drehte das Radio laut, aber es war überall dasselbe. Der Äther rauschte, sonst gab es nichts zu hören. Das brachte Anna auf die Idee, sich über ihr Handy mit dem Netz zu verbinden, aber auch das schien es nicht mehr zu gehen. Sie überprüfte es, aber es lag nicht an ihrem Gerät. Ganz am Ende drehte Tomas den Polizeifunk hoch.

Die Stimme des jungen Mannes klang vollkommen verschüchtert und so, als wollte er das Elend jeden Augenblick beenden und sich vom Dach stürzen. Als Tomas sich meldete, kam für einige Sekunden nichts mehr. "Hallo?", fragte der junge Mann dann.

"Mit wem spreche ich?", fragte Tomas.

"David."

"David. Bist du verletzt?"

"Was?"

"Wie es dir geht?"

"Was? Ich sitze in der Scheiße!"

Tomas und Anna gaben sich einen vielsagenden Blick. Ja, er saß in der Scheiße, das konnte man wohl sagen.

"Wo steckst du?", fragte Tomas.

"Im Keller unter dem Haus", sagte David. Seine Stimme war so dünn, gleich fiel er in Ohnmacht.

"Und wo finden wir diesen Keller?", blieb Tomas geduldig.

"Mertensstraße 7. Aber sie sind im Hausflur, sie sind überall."

"Das ist ganz in unserer Nähe. Bleib, wo du bist, wir sind auf dem Weg", sagte Tomas. Auf der nächsten Kreuzung schlug er den Lenker ein und nahm noch etwas Geschwindigkeit auf. Es war tatsächlich nicht weit, sogar in dieser Siedlung.

"Bis jetzt sind wir nur einem von ihnen begegnet", merkte Tomas an.

Anna nickte. Man konnte mit diesen Wesen nicht reden, also gab es nicht viel, was sie tun konnten, wenn sie ihnen begegneten. Gut zielen, sagte sie sich. Auf dem ganzen Weg sahen sie nicht einen einzigen von ihnen. Bald bogen sie auf die richtige Straße ein. Tomas sprach die ganze Zeit über mit David und teilte ihm mit, wo sie sich gerade befanden und dass sie bald bei ihm waren. Seine letzten Worte gingen raus, als sie vor dem Haus anhielten und ausstiegen.

Das Haus unterschied sich nicht von allen anderen in dieser Gegend. Alle waren zwei Stockwerke hoch und vollständig grau. In diesem Fall stand die Tür offen. Tomas und Anna zogen ihre Pistolen und schlichen zum Eingang. Drinnen war es dunkel. Tomas hielt Pistole und Taschenlampe am Ende seiner beiden ausgestreckten Arme. Wohin auch immer das Licht fiel, dahin zielte er.

Der Hausflur war schwarz und weiß gekachelt. Rechts vor ihnen die Briefkästen, dahinter, auf derselben Seite, die Treppe nach oben. Links führte ein Korridor weiter, in dem ganz hinten eine Metalltür steckte. Die Tür zum Keller hinunter, wie es schien. Die beiden lauschten, aber wie zuvor blieb es vollkommen still. Ihre Schritte klangen laut, als sie langsam ins Treppenhaus vordrangen. Sie erreichten die Tür ganz hinten.

"Er hat gesagt, er kann sie hören", erinnerte sich Anna.

"Ja", gab Tomas zurück. Er zog die Tür auf und blickte die Stufen hinab in die Finsternis. Ein Augenblick verging, dann erklangen schlurfende Schritte. Unten sahen die beiden einen staubigen Gang, der aber nur nach links abging. Rechts gab es nur die Wand. Die Schritte kamen näher, hielten aber dann inne.

"Hey!", rief Tomas nach unten.

Wer oder was auch immer sich dort befand, es reagierte nicht. Vielleicht waren sie lichtscheu, dachte er, aber er konnte nicht sicher sein. Womöglich sprangen sie auch immer erst dann los, wenn ihr Blick auf frisches Fleisch fiel. Der Mann eben drehte sich zu ihm um, als er ihn ansprach.

"Scheiße", sagte Anna.

"Genau", fand auch er. Wenn er nach unten ging und sich den Wesen zeigte, selbst wenn er mit dem Rücken zur Wand stand, mussten sie nur ihre Arme ausstrecken, und schon hatten sie ihn.

"Hey! Kommt heraus!", versuchte er es noch einmal. Es waren mindestens zwei, sie gaben eine Art klägliches Stöhnen von sich. Trotzdem erschienen sie nicht im Licht. Tomas senkte die Lampe, damit sie nicht mehr ganz bis nach unten leuchtete. Anschließend rief er noch einmal, aber wieder erschienen sie nicht.

"Mist", stöhnte er.

"Du willst da doch nicht runter."

"Willst du den Jungen da unten verrecken lassen?"

"Warte. Ich spreche mit ihm", sagte sie und wandte sich ab. Auf dem schnellsten Weg verließ sie das Haus. Tomas blieb zurück und behielt den Keller im Auge. Die beiden Wesen stöhnten leise, aber es war nichts von ihnen zu sehen. Eine volle Minute verging, dann kam plötzlich ein wahnsinniger Lärm von unten. David rief, sie sollten zu ihm kommen, und schlug mit etwas gegen die Tür. Es klang wie ein Metalleimer. Er lärmte herum, bis die Wesen laut wurden und ihre Schritte sich entfernten.

Tomas beschloss, den Lärm als Tarnung für seine eigenen Schritte zu benutzen. Vorsichtig nahm er die Stufen, eine nach der anderen. Als er unten angekommen war, trat er mit einem entschlossenen Schritt um die Ecke und erblickte zwei von ihnen. Sie standen ein gutes Stück von ihm entfernt, genau vor einer Tür, die sie durch ausdruckslose Augen anstarrten.

Tomas konnte nicht einfach auf sie schießen, weil sie ungünstig zu ihm standen. Er machte sie auf sich aufmerksam, worauf sich die Köpfe der beiden in seine Richtung drehten. Sie rissen ihre Mäuler auf und brüllten wie wilde Tiere. Dann rannten sie los. Die erste Kugel ließ den Kopf des vorderen seitlich aufplatzen. Das reichte, um ihn zu erledigen. Der zweite sprang über den Körper am Boden und wollte sich auf Tomas stürzen. Die Kugel drang durch seine Stirn ein und riss ein Stück von der Größe eines Untertellers aus dem Hinterkopf. Weder Blut noch Hirnmasse spritzten heraus, denn der Mann war trocken wie Bimsstein.

"Du liebe Güte", sagte Anna eine Minute darauf, als sie den Gang betrat.

"Ich denke, langsam müssen wir es akzeptieren. Es gibt sie", meinte er.

Die beiden stiegen über die toten Körper und begaben sich vor die Kellertür. Tomas klopfte an und sagte, dass sie es waren und dass die Wesen tot auf dem Boden lagen. Trotz dieser Versicherung brauchte es eine Weile, bis sich der Schlüssel im Schloss drehte.

David war eine Glatze mit einem verschücherten Ausdruck, der in einer Bomberjacke steckte und Springer trug. Der Keller hinter ihm war eine Art Zimmer, in dem er zu wohnen schien. Auf einem Regal stand eine Funkanlage, die keinen schlechten Eindruck auf die beiden erweckte.

"David", sagte Tomas.

Der junge Mann ließ sie herein und schloss die Tür hinter ihnen ab. Die zwei waren nicht in der Stimmung, sich zu setzen. Das einzige Licht hier stammte von Kerzen, die überall auf den Möbeln aufgestellt worden waren. Ein schmales Bett, eine Kommode, kein Spiegel, eine Stereoanlage. Er setzte sich auf den Bettrand, während die beiden Besucher stehen blieben.

"Meine Eltern sind tot. Fragt nicht", meinte er zur Eröffnung.

"Ich bin Tomas, das hier ist Anna. Wir sind Polizisten."

"Auch das noch", stöhnte David.

"Das ist der Grund, aus dem wir bewaffnet sind", sagte Anna trocken.

"Na denn. Bewaffnet bin ich auch", grinste David und holte ein Messer hervor.

"Was du nicht sagst", meinte Tomas. "Wir waren für ein paar Tage nicht in der Gegend, für drei, um genau zu sein. Du hast alles miterlebt, nehme ich an. Bist du der einzige Überlebende, den du kennst?"

David nickte: "Ja, sie sind alle tot. Es sind Zombies, oder? Was für ein Schwachsinn, Zombies. Ich bin hierhin geflüchtet, plötzlich waren sie überall. Ich wohne hier, meine Eltern waren Christen. Zwei von ihnen sind mir gefolgt."

"Weißt du sonst noch etwas?", erkundigte sich Anna. Einfühlsam und sogar sanft klang sie, ganz offensichtlich wollte sie ihn wie einen Menschen behandeln.

"Es ist überall gleichzeitig passiert", antwortete er mit einem neuerlichen Nicken. "Wirklich, plötzlich waren sie überall. In den Filmen ist es immer so, dass sie erst wenige sind und sich dann ausbreiten, aber es war sofort so, als wären sie schon eine Woche da und hätten alle gekriegt. Dabei können es nur wenige Minuten gewesen sein, wirklich. Ich bin nach gegenüber, um mir was von nem Kumpel zu holen. Als ich auf die Straße zurückkam, waren sie plötzlich überall. Die hatten höchstens zehn Minuten, ich mag den Typen nämlich nicht besonders."

"Meinst du das wirklich?", vergewisserte sich Tomas.

"Warum sollte ich lügen?"

"Ja, warum sollte er lügen?", sagte auch Anna.

David starrte auf den Boden zwischen seine Stiefel. All seine Probleme hatten sich mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Seine Eltern, die ihn nicht wollten, die Gesellschaft, mit der er verfeindet war, und ein Riesenhaufen Leute, die ihn alle schief ansahen, wenn er es wagte, an die Oberfläche zu kommen. Jetzt waren sie alle tot, wie es schien. Warum nur fand er das nicht wundervoll?

"Es gibt vielleicht noch jemanden", sagte er.

"Wen?", fragte Anna.

"Lucy. Ich war mal mit ihr zusammen, ist lange her. Sie wohnt nicht weit von hier. Ihr wollte die Stadt verlassen, oder?"

"Wie kommst du darauf, dass sie noch am Leben sein könnte?", erkundigte sich Tomas.

"Sie lebt im Keller. War früh, als es losging, sehr früh."

"Was soll das heißen, sie lebt auch in einem Keller?", wunderte sich Tomas.

David gab ihm einen Blick, als verstünde er die Frage nicht. "In einem Keller", wiederholte er. "Sie ist nicht verbannt worden oder so was, sie macht das freiwillig. Ist auch größer als hier, und es kommt Licht von oben. Sie will das, versteht ihr?"

"Wo wohnt sie?", fragte Tomas.

"Vorstadt."

"Also auf der anderen Seite der Stadt."

"Und?"

"Das klingt, als läge dir etwas an ihr."

"Wir waren zusammen, hab ich doch gesagt."

"Ist sie rechts?"

"Was?", kam es verdattert aus David. Darauf konnte man wirklich nicht kommen, nicht bei ihr. "Nein, sie ist links. Links, aber richtig."

"Du Ärmster", brummte Tomas unwillig.

Anna ging in die Hocke und sah David auf Augenhöhe an. "Du möchtest, dass wir sicher gehen", sagte sie.

"Ja."

"Gut. Dann gehen wir sicher", sagte sie.

Tomas wusste, dass auch er dabei war, auch wenn es nach einem Gefallen für eine Glatze aussah. Aber sie konnten das Mädchen nicht einfach abschreiben, das sah er genauso.

Oben auf der Straße hatte sich in der Zwischenzeit nichts verändert. So zumindest schien es. Tomas hatte sofort so ein seltsames Gefühl, so als müsste ihm etwas auffallen, aber er glaubte, es sei nur ein Streich, dem ihm seine überbeanspruchten Nerven spielten. Ohne weiter darauf zu achten, setzte er sich hinters Steuer und wartete, bis alle an Bord waren. Anna blieb hinten bei David. Sie erkundigte sich, ob es ihm gut ging. David nickte.

Schön, dachte Tomas grimmig, und startete den Motor. Sie rollten auf die Straße und wurden zügig schneller. Er entschied, unter keinen Umständen den Weg durchs Zentrum zu nehmen, weil sie dort wahrscheinlich noch mehr von ihnen begegneten. Im Augenblick schienen sie sich alle innerhalb der Gebäude aufzuhalten, doch sie wussten es nicht sicher.

Auf ihrem Weg blieb zunächst alles ruhig. Noch immer hatte Tomas dieses Gefühl, es hätte sich etwas verändert, obwohl er immer noch nicht wusste, was genau es sein sollte.

"Wo sind denn die Laternen hin?", fragte Anna auf einmal.

"Stimmt", sagte Tomas. Das war es.

"Wo sind sie hin?", wunderte sich auch David.

"Weißt du etwas darüber? Rot ist auch verschwunden", sagte Tomas.

"Was? Ach so", meinte David. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. Er sagte, das Licht an seiner Funkanlage war ausgefallen, zumindest dachte er das. Dann fiel ihm ein, dass er eine seltsame Entdeckung gemacht hatte. Aus dem Kellerzimmer waren alle Flaschen verschwunden, obwohl, wie er sagte, sonst niemand nach unten kam.

"Was denkst du dazu?", fragte Tomas nach einer zweiten Meinung.

"Ich weiß auch nicht", antwortete sie nachdenklich.

Keiner von ihnen wusste, was vor sich ging. Ganz offensichtlich stimmte etwas nicht. Tomas fuhr sie weiter über die Straßen, auf denen nichts los war. Ihm ging durch den Kopf, dass es womöglich noch mehr Überlebende gab, als er zuerst angenommen hatte. Lange waren sie noch nicht unterwegs, aber schon hatten sie jemanden gefunden und waren auf dem Weg zu noch jemandem. Unter Umständen waren es doch mehr, als man annehmen sollte.

"In den Filmen sind sie immer überall", merkte Anna mit leiser Stimme an. Ununterbrochen sah sie aus dem Fenster, aber die Straßen blieben leer. Hier und dort mussten sie einem Auto ausweichen, sonst aber kam ihnen nichts in den Weg.

Dann veränderte sich doch etwas, denn ein dichter Nebel zog auf. Dieser Nebel war vollkommen ungewöhnlich, denn er zog nicht aus einer Richtung zu ihnen, sondern erschien, wie sonst nur Wolken im Himmel erschienen, also scheinbar aus dem Nichts. Als Kumuluswolken bildeten sie sich, überall gleichzeitig. Wie im Zeitraffer quollen sie auf, wurden größer und immer größer, und verbanden sich miteinander. Eine halbe Minute darauf hatten sie das Gefühl, durch Milch zu fahren. Die Sicht betrug nur noch drei Meter.

Keiner von ihnen hatte so etwas schon einmal erlebt, demnach wusste niemand etwas dazu zu sagen. Die Luft, die in den Wagen strömte, schmeckte schwer und feucht. Ein bisschen schien es allen, als mussten sie plötzlich auf feuchter Watte kauen. Gleichzeitig aber blieb es so heiß, wie sie es ebenso noch nie erlebt hatten. Immer mehr fühlten sie sich wie in einer Sauna.

 Tomas fuhr langsamer und nahe am Bürgersteig, um sich an den Straßenschildern zu orientieren. Bald erreichten sie das richtige Viertel, in das sie fuhren. David kannte sich hier aus und lotste sie zu der Straße, zu der sie wollten. Nach einer Weile sagte er Tomas, er müsste anhalten.

Es war eines dieser typischen zweistöckigen Wohnhäuser aus dieser Gegend, die alle immer gleich aussahen. Tomas hielt den Toyota mitten auf der Straße an, weil er glaubte, dass er ihn besser nicht zwischen zwei anderen Wagen neben dem Bürgersteig abstellen sollte. Wenn sie es gleich eilig hatten, musste es wahrscheinlich sofort losgehen.

Tomas und Anna zogen ihre Pistolen, gleich nachdem sie ausgestiegen waren. David wollte nicht allein zurück bleiben, also stieg auch er aus. Zu dritt gingen sie zum Hauseingang. Ihre Schritte auf den Bodenplatten klangen wie verschluckt. Diesmal war die Tür verschlossen, und auch David besaß keinen Schlüssel. Dafür wusste er, wo sie klingeln mussten. Er drückte den Knopf, aber niemand öffnete ihnen.

"Vielleicht ist sie doch nicht mehr zu retten", sagte Anna unheilvoll. Es schmerzte, das zu sagen, denn es bedeutete, dass eine junge Frau ihr Leben lassen musste.

David ging zu einem Gitter im Boden, neben dem ein Stein lag, der wie dort abgelegt aussah. Mit dem schlug er mehrere Male auf das Gitter. Einen Augenblick darauf öffnete jemand die Haustür. Die drei traten ein und stiegen die Stufen nach unten.

Lucy war im selben Alter wie David, sah aber vollkommen anders aus. Ein dickes Mädchen mit grünem Haar und einem wonneproppigen Gesicht, dessen Backen rosig waren und dessen Ausdruck wirkte, als hätte sie noch nie geweint. Lucy war überglücklich, sie konnte es gar nicht glauben. Sie war vollkommen davon überzeugt, dass es niemand außer ihr selbst überlebt hatte, doch nun kamen gleich drei Menschen zu ihr. "Nicht zu glauben", sagte sie. "David."

Sie wohnte tatsächlich in einem Keller, der aber war weitaus gemütlicher eingerichtet als der, den sie zuvor zu Gesicht bekommen hatten. Lucy bekam sich gar nicht mehr ein, als sie sie begrüßte. Als es losging, erzählte sie, war sie oben in der Küche mit ihren Eltern. Ihre Erinnerungen an diesen Moment waren schrecklich, sie ängstigten sie noch immer. Es erschütterte sie, denn ihre Welt war offenbar untergegangen.

Eigentlich sollte man annehmen, dass diese Wesen irgendwie infiziert wurden, aber so geschah es nicht. Ihre beiden Eltern verwandelten sich einfach so, ohne ersichtlichen Grund. Plötzlich zuckten sie, sie verzogen ihre Gesichter schmerzhaft, und sie gaben röchelnde Geräusche von sich. Ihre Augen verwandelten sich, dann wollten sie sie fressen. Aber sie brachte sich mit knapper Not in Sicherheit. Noch konnte sie gar nicht darüber sprechen.

"Das ist Lucy", stellte David sie vor.

"Mein Name ist Karin, aber alle nennen mich so", sagte sie. Auf die fragenden Blicke antwortete sie: "Ich habe luzide Träume. In denen bekomme ich die absolute Kontrolle über mich und kann machen, was immer ich möchte. Fliegen oder mit dem Kopf nach unten an der Decke gehen."

"Weißt du von anderen Überlebenden?", erkundigte sich Tomas.

Lucy schüttelte den Kopf.

"Okay", sagte Tomas. Es gab keine Zeit zu verlieren. Nun waren sie also zu viert, was mehr war, als man Hoffen durfte. An ihren Plänen änderte sich derweil nichts. Sie mussten die Stadt verlassen.

"Gut", nickte Lucy. Für einen Moment standen ihr die Tränen in den Augen, dann aber fing sie sich wieder. "Verlassen wir die Stadt", sagte sie mit leiser Stimme.

Oben auf der Straße war alles wie zuvor. Dafür, dass sie sich mitten in der Apokalypse befanden, war es fast langweilig, fand Tomas. Sie gingen zum Toyota und stiegen ein. Diesmal saßen die beiden jungen Leute hinten. Immer noch war alles still, und sogar das Brummen des Motors klang gedämpft. Tomas kannte den Weg, der sie aus der Stadt brachte.

Im Grunde, dachte er bei sich, war das die Welt, die schon immer zu seinem Lebensgefühl passte. Es war immer bei ihm, solange er sich erinnern konnte, dieses unbestimmte Empfinden, sich wie auf einem anderen Planeten zu befinden, einem, der immer kurz davor stand unterzugehen. Er war kein Asperger oder so jemand, aber dieses Gefühl kannte er wirklich gut. Und nun war sie da, diese Welt, die genau so schien, wie er sie immer empfunden hatte. Der Ausnahmezustand, den er immer fühlte, obwohl bis zu diesem Punkt immer alles vollkommen normal war. Aber genau das war es ja gerade, denn normal fühlte sich die Welt für ihn nie an, die ganze Zeit über nicht. Nicht als Kind, als Teen nicht und jetzt ohnehin nicht mehr. Es schien sich schon immer angebahnt zu haben.

"Ich wusste immer, dass etwas faul ist", sagte Lucy von hinten.

"Was meinst du?", fragte Anna.

"Nun ja, etwas stimmt nicht. Das wusste ich schon immer. Dass mit der Welt etwas nicht in Ordnung ist, ich wusste das immer schon."

"Klar ist was nicht in Ordnung", meinte David. "Gar nichts ist in Ordnung."

"Ich habe mich das immer schon gefragt", sagte Lucy.

Vor ihnen blitzte etwas auf, das eine Nebelleuchte sein musste. Sie sahen nicht, woher das Licht rührte, aber es war unübersehbar. Mehrere Male erschien ein Licht ganz deutlich vor ihnen, sie konnten es gar nicht übersehen. Es befand sich hoch über dem Boden. Tomas wusste, dass sich in dieser Gegend die hohen Wohnsilos aus Beton befanden. Silos, die alle gleich aussahen.

"Macht den Anschein, als sollte der Trupp vervollständigt werden", merkte Anna an, die sich einmal mehr an diese Filme erinnert fühlte. Die Überlebenden kamen zusammen, damit sie danach einer nach dem anderen umkommen konnten. Und natürlich konnten sie dieses Licht nicht einfach ignorieren.

"Uns bleibt wohl nichts", sagte Tomas. Sie fuhren weiter, immer auf das Licht zu. Es führte sie tatsächlich in diese Gegend, aber zu ihrem Glück hielten sich auch hier keine Zombies auf. Tomas fand, wenn ein Film so sachte begann, brach später unvermeidlich die totale Hölle aus.

System. System, System, System. Etwas war an diesem Wort, fand Tomas gleich auf den ersten Blick. Man sah weiter, denn der Nebel wurde lichter. Eine Seite des Silos bestand aus vergilbten Abdeckplatten, in denen es keine Fenster oder Balkone gab. Eine glatte, unansehnliche Fläche war es. Auf ihr waren zehn Punkte zu sehen, die wie bei einem Sternbild miteinander verbunden waren. Das allerdings auf weit komplexere Weise, denn jeder Punkt war mit den anderen verbunden. Das Wort stand unter diesem Gebilde.

"System", sagte Anna bei diesem Anblick.

"Weißt du, was das bedeutet?", fragte Tomas.

"Nein."

"Aber?"

"Ich weiß nicht."

Sie beschlossen, auch in diesem Fall zusammen zu bleiben. Sie ließen den Toyota stehen und gingen zur Haustür. Mehr Knöpfe konnte man eigentlich nicht an einer Tafel unterbringen, dachten alle. Sie drückten jeden und warteten einfach, bis jemand öffnete.

"Hallo?", kam die Stimme eines Bären durch den Lautsprecher.

"Wir haben Ihr Licht gesehen", meldete sich Tomas.

"Sind Sie allein?"

"Wir sind nicht auf der Flucht, falls Sie das meinen. Sind welche in der Nähe?"

"Nein, aber der Hintereingang steht immer offen. Ich musste einen Wall errichten."

"Wir sind auf dem Weg."

Tomas und Anna gingen voraus, denn sie trugen als einzige Waffen. Beide glaubten, ein paar von ihnen im Treppenhaus vorzufinden, aber dem war nicht so. Alles war still. Der Wall bestand aus einer Anzahl Kinderwagen, die vor der Treppe auf- und nebeneinander standen und durch lauter Seile zu einem kompakten Gebilde zusammengebunden worden waren. Daraus ging ganz klar hervor, dass diese Wesen keine Intelligenz besaßen, denn  für Menschen war es ein Leichtes, einen Durchgang für sich zu schaffen. Sie achteten darauf, den Wall so zu richten, wie sie ihn vorgefunden hatten.

Anschließend begann der Aufstieg, wobei sie nicht sicher wussten, wie weit sie es hatten. David fiel auf, dass es keine Lampen mehr in der Decke auf den Etagen gab. Sie fehlten, obgleich ihr Umrisse noch zu erkennen waren, und die Löcher, durch die sie mit den Kabeln versorgt wurden.

"Lampen auch", sagte Anna.

 Es war das zehnte Stockwerk, wie sich herausstellte. Im Korridor dort gab es noch einen Wall, der in diesem Fall allerdings aus einer Kommode bestand, auf dem mehrere Stühle standen. Wie zuvor waren sie sozusagen vertäut wurden.

Der Mann war ein Bulle mit dem Gesicht eines sanften Riesen und einem Bart. Er lächelte, als er die Neuankömmlinge erblickte. Mit großer Leichtigkeit hob er die Kommode hoch und zog sie soweit beiseite, dass alle hindurch kamen.

"Nicht zu fassen, dass es noch Menschen gibt. Sie sind überall. Kommt rein", sagte der Mann und führte sie in seine Wohnung. Holger war sein Name, er lebte hier ganz allein mit seiner zehnjährigen Tochter. Das Mädchen wirkte verschüchtert, als sie alle erblickte. Anna lächelte ihr zu und fragte sie, wie ihr Name war. Madeleine. Sie alle setzten sich ins Wohnzimmer, durch dessen Fenster man in den Nebel sah. Auf dem Balkon stand eine Nebelleuchte, auf einem Stativ, wie auf einem Schiff.

"Ich bin lange zur See gefahren", erklärte es Holger, nachdem sich alle mit Namen vorgestellt hatten. Aus seinem Beruf war ein Hobby geworden, denn nun war er ein Sammler. Holger merkte an, dass solch ein Nebel für diese Gegend vollkommen untypisch war, und dass er so etwas noch nie erlebt hatte. Selbst auf dem Meer kam das nicht häufig vor, sagte er.

Der Strom war auch hier ausgefallen, weswegen überall Kerzen auf den Möbeln standen. Holger hatte eine Autobatterie ausgebaut und betrieb einen Ventilator, den er aus dem Keller nach oben geholt hatte. Es war so unfassbar heiß, dass nicht einmal seine Tochter schlafen konnte, erzählte er ihnen.

"Ich war einmal draußen", sagte er.

"Der Kühlschrank war leer", vermutete Tomas.

"Genau."

"Bist du bewaffnet?"

"Nein. Wo denkst du hin?"

"Natürlich. Sind sie dir begegnet?"

"Sie kommen immer wieder, aber nur in den Hausflur unten. Den Wall schaffen sie nicht, und wenn doch, gibt es noch einen. Ich habe sie beobachtet, sie sind wirklich überall. Sie streifen durch die Straßen, ich denke, sie suchen nach Menschen", erklärte Holger. Er war auf der Arbeit, als es losging, und sich die Menschen um ihn herum sich plötzlich verwandelten. Alle außer ihm verwandelten sich, was er sich nicht erklären konnte.

"Ich hatte Glück", sagte er. Noch immer stand ihm der Schrecken in den Augen.

"Inwiefern?", fragte Anna.

"Ich habe keinen richtigen Stand", antwortete er. "Nur einen Lieferwagen, den man auf der Seite öffnen kann. Den Rest lege ich immer auf einem Tisch vor dem Wagen aus. Als es losging, bin ich eingestiegen und... Ich habe ein paar von ihnen überfahren. Sie waren wie entfesselte Tiere, ich sehe noch ihre Gesichter, sie haben geschrien und gegen die Fenster geschlagen. Ich bin immer nur geradeaus und dann auf der Straße weiter. Und meine Tochter... Sie lag mit einer Erkältung im Bett, könnt ihr euch das vorstellen? Als ich zurückkam, war sie unversehrt", lächelte er wie erlöst.

"Scheinbar hatten nicht alle so viel Glück", merkte David an.

"Scheinbar", sagte Holger. Er gab dem Jungen einen Blick, als mochte er ihn nicht.

"Das ist etwas, worüber wir nachdenken sollten", fand Tomas. "Ich meine, die meisten hat es erwischt, aber uns nicht. Es sollte eine Gemeinsamkeit geben."

Darüber sprachen sie, aber es schien nichts zu geben. Sie waren unterschiedlich alt, lebten vollkommen unterschiedliche Leben und kamen aus vollkommen unterschiedlichen Schichten. Nicht alle gleich geimpft, nicht an denselben Krankheiten erkrankt gewesen, nicht alle aus derselben Gegend, keine Kontakte zwischen ihnen und keine gemeinsamen Bekannten, wenn man von Lucy und David einmal absah.

"Nichts", brachte es Anna auf den Punkt. Es gab Dinge, die sie verband, aber nichts, was sie nicht gleichzeitig mit den Opfern in dieser Stadt gemein hatten. Sie einigten sie darauf, dass sie auf diese Weise nicht weiter kamen und sprachen darüber, wie sie allem entkommen sollten.

"Wir wissen nicht, wie weit es sich ausgebreitet hat", stellte Tomas fest.

"Vielleicht ist die ganze Welt betroffen. Mein Gott", sagte Anna.

"Das kann sein, aber es ist nicht sicher. Für den Augenblick ist es besser, wenn wir die Stadt möglichst schnell verlassen", sagte Tomas noch einmal.

Genau daran hatte auch Holger schon gedacht, denn auf Dauer konnte man sich dort sicher besser verstecken. Er plante bereits, wie er allen mitteilte. Gegenüber gab es einen Supermarkt, in den er wollte, um sich einzudecken, aber er wollte warten, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab. Er wollte diesen Wesen aus dem Weg gehen, wenn er den Kleinlaster mit allem vollstopfte, das sie brauchten. Das Problem war, sagte er mit düsterer Stimme, dass sich die Hintertür in diesem Gebäude nicht mehr schließen ließ.

"Sie ist verschwunden", sagte er.

"Wirklich?", fragte Anna.

"Wirklich. Ich habe mich umgesehen, es betrifft nur Hintertüren. Nicht Vordertüren. Das ergibt keinen Sinn, oder?"

"Woher weißt du, dass es nur die Hintertüren sind?"

"Hinter dem Haus steht ein Wohnwagen, der hat auch eine. Ich habe mich ein bisschen umgesehen, mit dem Fernrohr. Auf der Straße steht so ein Sprinter. Paketzustellung. Die seitlichen Türen sind alle noch da."

Tomas gefiel das immer weniger. Vor allem verstand er nicht, was vor sich ging, das gefiel ihm am allerwenigsten. Nichts von alldem schien Sinn zu ergeben. Für den Augenblick aber war es ausreichend, sagte er, wenn sie sich auf die Flucht konzentrierten. Die Idee mit dem Supermarkt gefiel ihm, aber er fand, dass sie nicht alle gehen sollten.

Holgers Wagen stand vor dem Haus, eben sahen sie ihn sogar. Ein grüner VW Bus, der mit Lauchstangen und sonstigem Gemüse bemalt war. Sie beschlossen, dass Tomas, Anna und Holger gehen sollten. Die jüngeren Leute sollten sich lieber nicht aus der Wohnung wagen.

Die Zombies hielten sich zu diesem Zeitpunkt allem Anschein nach nicht im Haus auf, was die Sache für sie erleichterte. Auch auf der Straße sahen und hörten sie keinen von ihnen. Zügig überquerten sie sie und gelangten zum Eingang des Supermarkts. Die beiden Glastüren waren verschlossen, aber eines der großen Fenster wurde eingeschlagen. Die Splitter lagen alle im Innenraum, vor den Kassen. Ihre Schuhe knirschten vernehmlich auf ihnen, als sie vorsichtig eintraten.

"Keine Leichen", sagte Anna.

"Hört ihr das?", fragte Holger.

Ja, sie hörten es alle. Ein Kind atmete schnell und oberflächlich. Ein wenig schien es ihnen, als ginge sein Atem ganz leise, aber etwas trug den Klang trotzdem zu ihnen, obwohl das Kind sich weit entfernt aufhielt. So leise klang es, dass es sich eigentlich in ihrer Nähe aufhalten musste. Im Bereich vor den Kassen und auch dahinter, soweit sie sehen konnten, war allerdings niemand zu sehen.

"Woher kommt das?", fragte Anna.

"Überall her", antwortete Holger.

"Äpfel und Konserven. So viel wie möglich", brachte Tomas sie zum Thema zurück.

Die beiden Männer nahmen sich je einen Wagen, während Anna dazu eingeteilt wurde, alles im Blick zu behalten. Ganz vorne im Laden machten sie Bekanntschaft mit grauen Äpfeln, die vollkommen gesund aussahen, aber eben grau waren. Sie holten sich die grünen Exemplare und packten einen Haufen Birnen dazu. Gleich darauf ging es in einen der Gänge, in dem sie alles an Konserven einpackten, das überhaupt nur greifbar war. Dabei waren sie nicht wählerisch, sondern packten einfach zu. Hauptsache, das Zeug war lange haltbar, dachten sie alle.

Anna blieb die ganze Zeit über hellwach und sah abwechselnd zu beiden Seiten den Gang hinab. Als sie hier fertig waren, gingen sie weiter und holten sich literweise pasteurisierte Milch. Auch das landete in den beiden Wagen. Bald wurden sie auch damit fertig und gingen zu den Snacks. Nüsse stellten wertvolle Energieträger dar, auf die sie nicht verzichten wollten. Sie räumten die Regale ab und füllten die Wagen mit allem. Holger fand ein paar Tüten Chips einen guten Einfall, während sich Tomas bei den Röllchen mit den Brausetabletten umsah.

Das wahrscheinlich Wichtigste war das Trinkwasser, mit dem sie sich ebenfalls reichlich eindeckte. Davon konnten sie gar nicht genug einpacken.

"Glaubt man gar nicht, was in so einen Wagen alles reinpasst", merkte Tomas an.

"Ich wollte immer fünf Kinder", meinte Holger.

Nachdem sie alles hatten, schoben sie die Wagen nach vorne und schickten sich an, den Supermarkt zu verlassen.

"Wartet", sagte Anna, als sie schon vor dem geborstenen Fenster standen.

"Was?", fragte Tomas. Hatten sie noch etwas vergessen?

"Was ist mit dem Kind?"

Alle wurden still, als sie das sagte. Das schnelle Atmen, es war noch da. Wir zuvor klang es, als läge es überall gleichmäßig in der Luft. Sie hatten sich überall umgesehen, sagte Tomas, Anna aber meinte, es gäbe noch die Räume hinter der Fleischtheke. Von dort allerdings würde diese Stimme nicht bis zu ihnen dringen, fanden die Männer, sie aber fragte, woher sie sonst kommen sollte.

"Ich gehe", sagte sie.

"Nicht wirklich", kam es aus Tomas.

"Ihr könnt schon voraus gehen."

"Scheiße."

Allein ließ Tomas sie nirgendwohin gehen. Sie machten sich zu dritt auf den Weg, wenn sie schon darauf bestand. Das Fleisch hinter der Glasscheibe war über einen Tag alt, und wurde nicht mehr gekühlt. Ihnen stieg ein zweifelhafter Geruch in die Nasen. Sie gingen auf die andere Seite und fanden dort nichts vor, vor dem man sich fürchten musste. Hinter dem Durchgang gelangten sie in einen weiß gekachelten Raum, in dem eine stinkende Rinderhälfte hing. Auf einem Tisch steckte ein Stück Fleisch mit Knochen in einer Kreissäge. Alles erweckte den Anschein, als wären die Leute hier während der Arbeit überrascht worden. Von einem Haken in der Wand hing eine blutverschmierte Schürze.

Es war vollkommen duster, denn in diesem Raum gab es kein Fenster. Tomas ließ den kalten Lichtkegel seiner Taschenlampe über die Wände gleiten, bis er an einer aluminiumfarbenen Tür hängen blieb.

"Der Kühlraum", sagte Holger.

Etwas verursachte ein Geräusch in ihrer unmittelbaren Umgebung. Tomas schien in diese Richtung, aber es war nichts zu sehen, nur der blutige Tisch, der fest mit der Wand verbunden war. "Was war das?", fragte er.

"Keine Ahnung", antwortete Holger.

Es klang wie nichts, das sie zuvor einmal gehört hatten. Ganz, als würden winzig kleine Finger über den Boden huschen. Aber es war nichts zu sehen. Ihre Blicke gingen zurück auf die Tür.

"Du willst dir das nicht ansehen", fand Tomas.

"Hörst du es nicht?", fragte sie.

Alle hörten es, das Atmen klang hier genauso deutlich wie überall im Supermarkt. Holger zog den Griff nach hinten und damit die Tür auf. Der Gestank war unbeschreiblich. Außerdem schlug ihnen eine Hitze entgegen, die noch größer war, als die draußen. Im Lichtkegel erschienen drei Schweinehälften und die eines Rindes, die grau und nicht rot waren. Sie hingen genau in einer Reihe. Hinter ihnen führte ein weißer Plastikvorhang quer durch den Raum.

Sie traten gleichzeitig vor den Vorhang. Kein Laut drang von der anderen Seite zu ihnen und nichts rührte sich. Holger zog ihn beiseite, und sie erblickten eine vollkommen leere, gekachelte Fläche. Oben an der Decke lief eine Schiene, von der eine Reihe Haken hingen. Mehr gab es hier nicht zu sehen, glaubten sie in der ersten Sekunde.

"Was ist das denn?", fragte Anna. Ihr Blick ging nach unten. Vor ihnen hing eine menschliche Hand, die abgetrennt worden war. Es erweckte den Eindruck, als wäre sie sauber über der Handwurzel abgeschnitten worden. Ein wenig erinnerte sie an eine Spinne, die tot auf dem Rücken lag und ihre Beine angewinkelt hatte.

"Er atmet immer noch", sagte Anna mit leiser Stimme.

"Ja, aber er ist nicht hier", entgegnete Tomas.

Draußen auf der Straße blieben sie stehen, um ganz sicher zu gehen. Es war, wie alle vermuteten, denn der Atem erklang hier nicht. Sie beeilten sich, denn man konnte nie wissen, wann diese Wesen sich zeigten. Zügig schoben sie die Wagen zum Bus und beluden ihn. Seine eine Seite war die Ausgabe, die man ganz ausklappen konnte, in der anderen gab es eine Schiebtür, die mit einem lauten Geräusch aufging. Für eine Weile waren die Männer damit beschäftigt, alles einzuladen, während Anna wiederum Wache stand.

"Der Nebel ist noch dünner geworden", sagte sie. Das stimmte, denn die Sicht betrug nun etwa zehn Meter.

"Kein Wind, keine Temperaturänderung, selbst die Luftfeuchtigkeit ist noch gleich. Möchte mal wissen, wie er sich überhaupt auflöst", fügte Holger hinzu.

Sie kamen gut voran. Binnen weniger Minuten war alles verstaut. Die Schiebetür schloss sich mit einem ebenso lauten Geräusch. Für einen Augenblick hielten sie inne und lauschten.

"Wenn sie sich auf jemanden stürzen, brüllen sie", erinnerte sich Anna.

"Dann halten sie sich nicht auf der Straße auf", sagte Holger.

Zum Haus war es nicht sehr weit. Holger drehte den Schlüssel und schob die Tür um einen Spalt auf. Zwei von ihnen standen stöhnend vor dem Wall. Sie versuchten, nach oben zu gelangen, stellten sich aber dümmer als Tiere an. Immer wieder stießen sie gegen den Wall, konnten ihn aber nicht durchbrechen. Ganz offensichtlich besaßen sie nicht mehr die Intelligenz für so etwas, was sicher auch für das Drücken einer Klinke galt.

Holger nickte den beiden mit den Waffen zu. Tomas und Anna richteten ihre Pistolen aus und kamen langsam vor. Zwei Kugeln erwischten ihre Hinterköpfe, worauf sie sofort einbrachen. Eine Sekunde darauf erklang mehrfaches Brüllen ganz aus der Nähe. Mindestens drei von ihnen befanden sich auf der Straße und näherten sich den Menschen rasend. Einer von ihnen musste sich hinter dem Haus aufhalten.

Die drei rannten los und kletterten so schnell sie konnten über die Hürde. Gerade noch schafften sie es, als ein fetter Mann mit einem durch den Blutrausch verzerrten Gesicht vor dem Wall erschien und aus vollem Halse brüllte. Er lief gegen das Hindernis, konnte es aber nicht überwinden. Gleich darauf erschienen noch zwei von ihnen, ein Mann und eine Frau, die sich nicht klüger anstellten.

Die Zombies beruhigten sich erst, als die Menschen sich nach oben aus ihrem Sichtbereich entfernt hatten. Eine Weile brüllten sie noch, dann blieben sie auf der Stelle stehen und stöhnten.

Oben warteten noch alle anderen der Gruppe. Madeleine ließ sich von ihrem Vater drücken und lächelte wie erlöst. Anschließend begaben sich alle ins Wohnzimmer. Holger versorgte sie mit Wasser, denn bei dieser Witterung war man quasi ständig durstig. Für eine Weile saßen sie nur da und schwiegen. Alle waren froh, dass die drei es überstanden hatten. Sie verschonten die jungen Leute mit den Details, und die erkundigten sich auch nicht weiter.

"Wir brauchen Waffen", sagte David nach einer Weile. "Richtige Waffen, für jeden. Ich kenne einen Laden, nicht weit von hier. Wir räubern ihn aus und ballern sie alle weg."

"Wenn Mädchen eine Bedrohung erfahren, kommunizieren sie. Jungs bewaffnen sich", meinte Lucy.

"Wie willst du mit denen reden?"

"War nur so eine Anmerkung."

"Was ist das für ein Geschäft?", erkundigte sich Tomas.

"Jagdbedarf. Passt doch."

"Ich nehme an, es liegt im Zentrum."

"Und?"

"Nein, wir nehmen einen anderen Weg. Aus der Stadt hinaus", sagte Tomas.

David brachte es fertig, sie darüber abstimmen zu lassen. Es fiel eins zu fünf gegen ihn aus, also würden sie die Stadt auf dem schnellsten Wege verlassen. Um das zu erreichen, denn das war der schnellste Weg, mussten sie über die Brücke, die sich ganz in der Nähe befand. Sie sahen es sich auf dem Plan an. Es gab eine Route, die sie gut nehmen konnte, auch mit dem vergleichsweise sperrigen Bus. Eine sehr breite Straße, die zur Brücke führte und nahtlos mit ihr abschloss. Genau darauf einigten sie sich.

Viel zu besprechen gab es nicht mehr. Alle waren müde und wollten sich bis zum Morgen noch ein wenig Schlaf gönnen. Holger, Madeleine und Anna zogen sich ins Schlafzimmer zurück, wo sie alle im Ehebett Platz fanden. Die drei anderen machten es sich im Wohnzimmer gemütlich, soweit das möglich war. Lucy bekam das Sofa, während Tomas sich zwei Sessel zurecht schob.

"Wo willst du hin?", fragte Lucy, als David auf dem Weg auf den Balkon war.

"Auf euch kann ich verzichten", kam es zurück. Auf dem Balkon stand ein Sonnenstuhl, auf dem man es aushalten konnte.

"War er schon immer so?", fragte Tomas, indem er sich setzte und die Beine ausstreckte.

"Seitdem ich ihn kenne", nickte sie. Sie klang, als spräche sie über jemanden, mit dem sie Mitleid, den sie aber schon vor langer Zeit aufgegeben hatte.

"Gibt es einen Grund für dieses Verhalten?"

"Er kann nichts."

"Was?", wunderte sich Tomas.

"Kein Selbstwertgefühl."

Tomas seufzte, denn diese Geschichte kannte er schon. Wahrscheinlich fühlte sich der junge Mann missverstanden. Und nicht geliebt, was ihn wahrscheinlich zu der Ansicht brachte, er bräuchte es auch nicht.

"Idioten", sagte Lucy.

"Er?"

"Nein, wir. Wir leben in einem Gottesstaat, in dem Geld angebetet wird. Er findet keinen Halt", sagte sie und schloss ihre Augen.

Tomas schlief kurz nach ihr ein.