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Schauplatz dieser Ausschweifungen war - wie könnte es anders sein - sein inneres Imperium, in das er von Geburt an die Konturen aller Gerüche eingegraben hatte, denen er jemals begegnet war. Um sich in Stimmung zu bringen, beschwor er zunächst die

frühesten, die allerentlegensten: den feindlichen, dampfigen Dunst der Schlafstube von Madame Gaillard; das ledrig verdorrte Odeur ihrer Hände; den essigsauren Atem des Pater Terrier; den hysterischen, heißen mütterlichen Schweiß der Amme Bussie; den Leichengestank des Cimetiere des Innocents; den Mördergeruch seiner Mutter. Und er schwelgte in Ekel und Hass, und es sträubten sich seine Haare vor wohligem Entsetzen.

Manchmal, wenn ihn dieser Aperitif der Abscheulichkeiten noch nicht genügend in Fahrt gebracht hatte, gestattete er sich auch einen kleinen geruchlichen Abstecher zu Grimal und kostete vom Gestank der rohen, fleischigen Häute und der Gerbbrühen, oder er imaginierte den versammelten Brodem von sechshunderttausend Parisern in der schwülen lastenden Hitze des Hochsommers.

Und dann brach mit einem Mal - das war der Sinn der Übung - mit orgastischer Gewalt sein angestauter Hass hervor. Wie ein Gewitter zog er her über diese Gerüche, die es gewagt hatten, seine erlauchte Nase zu beleidigen. Wie Hagel auf ein Kornfeld drosch er auf sie ein, wie ein Orkan zerstäubte er das Geluder und ersäufte es in einer riesigen reinigenden Sintflut destillierten Wassers. So gerecht war sein Zorn. So groß war seine Rache. Ah! Welch sublimer Augenblick! Grenouille, der kleine Mensch, zitterte vor Erregung, sein Körper krampfte sich in wollüstigem Behagen und wölbte sich auf, so dass er für einen Moment mit dem Scheitel an die Decke des Stollens stieß, um dann langsam zurückzusinken und liegen zu bleiben, gelöst und tief befriedigt. Er war wirklich zu angenehm, dieser eruptive Akt der Extinktion aller widerwärtigen Gerüche, wirklich zu angenehm... Fast war ihm diese Nummer das liebste in der ganzen Szenenfolge seines inneren Welttheaters, denn sie vermittelte das wunderbare Gefühl rechtschaffener Erschöpfung, das nur den wirklich großen, heldenhaften Taten folgt.

Er durfte nun eine Weile lang guten Gewissens ruhen. Er streckte sich aus; Körperlich, so gut es eben ging im engen steinernen Gelass. Innerlich jedoch, auf den reingefegten Matten seiner Seele, da streckte er sich bequem der vollen Länge nach und düste dahin und ließ sich feine Düfte um die Nase spielen: ein würziges Lüftchen etwa, wie von Frühlingswiesen hergetragen; einen lauen Maienwind, der durch die ersten grünen Buchenblätter weht; eine Brise vom Meer, herb wie gesalzene Mandeln. Es war später Nachmittag, als er sich erhob - sozusagen später Nachmittag, denn es gab natürlich keinen Nachmittag oder Vormittag oder Abend oder Morgen, es gab kein Licht und keine Finsternis, es gab auch keine Frühlingswiesen und keine grünen Buchenblätter... es gab überhaupt keine Dinge in Grenouilles innerem Universum, sondern nur die Düfte von Dingen. (Darum ist es eine façonde parler, von diesem Universum als einer Landschaft zu sprechen, eine adäquate freilich und die einzig mögliche, denn unsere Sprache taugt nicht zur Beschreibung der riechbaren Welt.) - Es war also später Nachmittag, will sagen ein Zustand und Zeitpunkt in Grenouilles Seele, wie er im Süden am Ende der Siesta herrscht, wenn die mittägliche Lähmung langsam abfällt von der Landschaft und das zurückgehaltne Leben wieder beginnen will. Die wutentbrannte Hitze - Feindin der sublimen Düfte - war verflogen, das Dämonenpack vernichtet. Die inneren Gefilde lagen blank und weich in der lasziven Ruhe des Erwachens und warteten, dass der Wille ihres Herrn über sie käme.

Und Grenouille erhob sich - wie gesagt - und schüttelte den Schlaf aus seinen Gliedern. Er stand auf, der große innere Grenouille, wie ein Riese stellte er sich hin, in seiner ganzen Pracht und Grüße, herrlich war er anzuschauen - fast schade, dass ihn keiner sah! -, und blickte in die Runde, stolz und hoheitsvoll:

Ja! Dies war sein Reich! Das einzigartige Grenouillereich! Von ihm, dem einzigartigen Grenouille erschaffen und beherrscht, von ihm verwüstet, wann es ihm gefiel, und wieder aufgerichtet, von ihm ins Unermessliche erweitert und mit dem Flammenschwert verteidigt gegen jeden Eindringling. Hier galt nichts als sein Wille, der Wille des großen, herrlichen, einzigartigen Grenouille. Und nachdem die üblen Gestänke der Vergangenheit hinweggetilgt waren, wollte er nun, dass es dufte in seinem Reich. Und er ging mit mächtigen Schritten über die brachen Fluren und säte Duft der verschiedensten Sorten, verschwenderisch hier, sparsam dort, in endlos weiten Plantagen und kleinen intimen Rabatten, den Samen faustweise verschleudernd oder einzeln an eigens ausgewählten Plätzen versenkend. Bis in die entlegensten Regionen seines Reiches eilte der Große Grenouille, der rasende Gärtner, und bald war kein Winkel mehr, in den er kein Duftkorn geworfen hätte.

Und als er sah, dass es gut war und dass das ganze Land von seinem göttlichen Grenouillesamen durchtränkt war, da ließ der Große Grenouille einen Weingeistregen herniedergehen, sanft und stetig, und es begann allüberall zu keimen und zu sprießen, und die Saat trieb aus, dass es das Herz erfreute. Schon wogte es üppig auf den Plantagen, und in den verborgenen Gärten standen die Stengel im Saft. Die Knospen der Blüten platzten schier aus ihrer Hülle. Da gebot der Große Grenouille Einhalt dem Regen. Und es geschah. Und er schickte die milde Sonne seines Lächelns über das Land, worauf sich mit einem Schlag die millionenfache Pracht der Blüten erschloss, von einem Ende des Reichs bis zum anderen, zu einem einzigen bunten Teppich, geknüpft aus Myriaden von köstlichen Duftbehältern. Und der Große Grenouille sah, dass es gut war, sehr, sehr gut. Und er blies den Wind seines Odems über das Land. Und die Blüten, liebkost, verströmten Duft und vermischten ihre Myriaden Düfte zu einem ständig changierenden und doch in ständigem Wechsel vereinten universalen Huldigungsduft an Ihn, den Großen, den Einzigen, den Herrlichen Grenouille, und dieser, auf einer goldduftenden Wolke thronend, sog den Odem schnuppernd wieder ein, und der Geruch des Opfers war ihm angenehm. Und er ließ sich herab, seine Schöpfung mehrmals zu segnen, was ihm von dieser mit Jauchzen und Jubilieren und abermaligen herrlichen Duftausstößen gedankt wurde. Unterdessen war es Abend geworden, und die Düfte verströmten sich weiter und mischten sich in der Bläue der Nacht zu immer phantastischeren Noten. Es stand eine wahre Ballnacht der Düfte bevor mit einem gigantischen Brillantduftfeuerwerk.

Der Große Grenouille aber war etwas müde geworden und gähnte und sprach:

«Siehe, ich habe ein großes Werk getan, und es gefällt mir sehr gut. Aber wie alles Vollendete beginnt es mich zu langweilen. Ich will mich zurückziehen und mir zum Abschluss dieses arbeitsreichen Tages in den Kammern meines Herzens noch eine kleine Beglückung gönnen.» Also sprach der Große Grenouille und segelte, während das einfache Duftvolk unter ihm freudig tanzte und feierte, mit weitausgespannten Flügeln von der goldenen Wolke herab über das nächtliche Land seiner Seele nach Haus in sein Herz.