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Und so ließ er sich denn willig unterweisen in der Kunst des Seifenkochens aus Schweinefett, des Handschuhnähens aus Waschleder, des Pudermischens aus Weizenmehl und Mandelkleie und gepulverten Veilchenwurzeln. Rollte Duftkerzen aus Holzkohle, Salpeter und Sandelholzspänen. Presste orientalische Pastillen aus Myrrhe, Benzoe und Bernsteinpulver. Knetete Weihrauch, Schellack, Vetiver und Zimt zu Räucherkügelchen. Siebte und spaltete Poudre Imperiale aus gemahlenen Rosenblättern, Lavendelblüte, Kaskarillarinde. Rührte Schminken, weiß und aderblau, und formte Fettstifte, karmesinrot, für die Lippen. Schlämmte feinste Fingernagelpulver und Zahnkreiden, die nach Minze schmeckten. Mixte Kräuselflüssigkeit für das Perückenhaar und Warzentropfen für die Hühneraugen, Sommersprossenbleiche für die Haut und Belladonnaauszug für die Augen, Spanischfliegensalbe für die Herren und Hygieneessig für die Damen... Die Herstellung sämtlicher Wässerchen und Pülverchen, Toilette-und Schönheitsmittelchen, aber auch von Tee-und Würzmischungen, von Likören, Marinaden und dergleichen, kurz, alles, was Baldini ihn mit seinem großen überkommenen Wissen zu lehren hatte, lernte Grenouille, ohne sonderliches Interesse zwar, doch klaglos und mit Erfolg.

Mit besonderem Eifer war er hingegen bei der Sache, wenn Baldini ihn im Anfertigen von Tinkturen, Auszögen und Essenzen unterwies. Unermüdlich konnte er Bittermandelkerne in der Schraubenpresse quetschen oder Moschuskörner stampfen oder fette graue Amberknollen mit dem Wiegemesser hacken oder Veilchenwurzeln raspeln, um die Späne dann in feinstem Alkohol zu digerieren. Er lernte den Gebrauch des Scheidetrichters kennen, mit welchem man das reine Öl gepresster Limonenschalen von der trüben Rückstandsbrühe trennte. Er lernte Kräuter und Blüten zu trocknen, auf Rosten in schattiger Wärme, und das raschelnde Laub in wachsversiegelten Töpfen und Truhen zu konservieren. Er erlernte die Kunst, Pomaden auszuwaschen, Infusionen herzustellen, zu filtrieren, zu konzentrieren, zu klarifizieren und zu rektifizieren.

Freilich war Baldinis Werkstatt nicht dazu geeignet, dass man darin in großem Stile Blüten-oder Kräuteröle fabrizierte. Es hätte in Paris ja auch die notwendigen Mengen frischer Pflanzen kaum gegeben. Gelegentlich jedoch, wenn frischer Rosmarin, wenn Salbei, Minze oder Anissamen am Markt billig zu haben waren oder wenn ein größerer Posten Irisknollen oder Baldrianwurzel, Kümmel, Muskatnuss oder trockne Nelkenblüte eingetroffen war, dann regte sich Baldinis Alchimistenader, und er holte seinen großen Alambic hervor, einen kupfernen Destillierbottich mit oben aufgesetztem Kondensiertopf – einen sogenannten Maurenkopfalambic, wie er stolz verkündete -, mit dem er schon vor vierzig Jahren an den südlichen Hängen Liguriens und auf den Höhen des Luberon auf freiem Felde Lavendel destilliert habe. Und während Grenouille das Destilliergut zerkleinerte, heizte Baldini in hektischer Eile - denn rasche Verarbeitung war das A und O des Geschäfts - eine gemauerte Feuerstelle ein, auf die er den kupfernen Kessel, mit einem guten Bodensatz Wasser gefüllt, postierte. Er warf die Pflanzenteile hinein, stopfte den doppelwandigen Maurenkopf auf den Stutzen und schloss zwei Schläuchlein für zu-und abfließendes Wasser daran an. Diese raffinierte Wasserkühlungskonstruktion, so erklärte er, sei erst nachträglich von ihm eingebaut worden, denn seinerzeit auf dem Felde habe man selbstverständlich mit bloßer zugefächelter Luft gekühlt. Dann blies er das Feuer an.

Allmählich begann es, im Kessel zu brodeln. Und nach einer Weile, erst zaghaft tröpfchenweise, dann in fadendünnem Rinnsal, floss Destillat aus der dritten Rühre des Maurenkopfs in eine Florentinerflasche, die Baldini untergestellt hatte. Es sah zunächst recht unansehnlich aus, wie eine dünne, trübe Suppe. Nach und nach aber, vor allem wenn die gefüllte Flasche durch eine neue ausgetauscht und ruhig beiseite gestellt worden war, schied sich die Brühe in zwei verschiedene Flüssigkeiten: unten stand das Blüten-oder Kräuterwasser, obenauf schwamm eine dicke Schicht von Öl. Goss man nun vorsichtig durch den unteren Schnabelhals der Florentinerflasche das nur zart duftende Blütenwasser ab, so blieb das reine Öl zurück, die Essenz, das starke riechende Prinzip der Pflanze. Grenouille war von dem Vorgang fasziniert. Wenn je etwas im Leben Begeisterung in ihm entfacht hatte freilich keine äußerlich sichtbare, sondern eine verborgene, wie in kalter Flamme brennende Begeisterung -, dann war es dieses Verfahren, mit Feuer, Wasser und Dampf und einer ausgeklügelten Apparatur den Dingen ihre duftende Seele zu entreißen. Diese duftende Seele, das ätherische Öl, war ja das Beste an ihnen, das einzige, um dessentwillen sie ihn interessierten. Der blöde Rest: Blüte, Blätter, Schale, Frucht, Farbe, Schönheit, Lebendigkeit und was sonst noch an überflüssigem in ihnen steckte, das kümmerte ihn nicht. Das war nur Hülle und Ballast. Das gehörte weg.

Von Zeit zu Zeit, wenn das Destillat wässrig klar geworden war, nahmen sie den Alambic vom Feuer, öffneten ihn und schütteten das zerkochte Zeug heraus. Es sah schlapp aus und blass wie aufgeweichtes Stroh, wie gebleichte Knochen kleiner Vögel, wie Gemüse, das zu lang gekocht hat, fad und fasrig, matschig, kaum noch als es selbst erkenntlich, eklig leichenhaft und so gut wie vollständig des eigenen Geruchs beraubt. Sie warfen es zum Fenster hinaus in den Fluss. Dann beschickten sie mit neuen frischen Pflanzen, füllten Wasser nach und setzten den Alambic zurück auf die Feuerstelle. Und wieder begann der Kessel zu brodeln, und wieder rann der Lebenssaft der Pflanzen in die Florentinerflaschen. So ging es oft die ganze Nacht hindurch. Baldini besorgte den Ofen, Grenouille behielt die Flaschen im Auge, mehr war nicht zu tun in der Zeit zwischen den Wechseln.

Sie saßen auf Schemeln ums Feuer, im Banne des plumpen Bottichs, beide gebannt, wenn auch aus sehr verschiedenen Gründen. Baldini genoss die Glut des Feuers und das flackernde Rot der Flammen und des Kupfers, er liebte das Knistern des brennenden Holzes, das Gurgeln des Alambics, denn das war wie früher. Da konnte man ins Schwärmen kommen! Er holte eine Flasche Wein aus dem Laden, denn die Hitze machte ihn durstig, und Weintrinken, das war auch wie früher. Und dann fing er an, Geschichten zu erzählen, von damals, endlos. Vom spanischen Erbfolgekrieg, an dessen Verlauf er, gegen die Österreicher kämpfend, maßgeblich beteiligt gewesen sei; von den Camisards, mit denen er die Cevennen unsicher gemacht habe; von der Tochter eines Hugenotten im Esterei, die vom Lavendelduft berauscht ihm zu Willen gewesen sei; von einem Waldbrand, den er dabei um ein Haar entfacht und der dann wohl die gesamte Provence in Brand gesteckt hätte, so sicher wie das Amen in der Kirche, denn es ging ein scharfer Mistral; und vom Destillieren erzählte er, immer wieder davon, auf freiem Feld, nachts, beim Mondschein, bei Wein und bei Zikadengeschrei, und von einem Lavendelöl, das er dabei erzeugt habe, so fein und kräftig, dass man es ihm mit Silber auf gewogen habe; von seiner Lehrzeit in Genua, von seinen Wanderjahren und von der Stadt Grasse, in der es so viele Parfumeure gebe wie anderswo Schuster, und so reiche darunter, dass sie lebten wie Fürsten, in prächtigen Häusern mit schattigen Gärten und Terrassen und holzgetäfelten Esszimmern, in denen sie speisten von porzellanenen Tellern mit Goldbesteck, und so fort...

Solche Geschichten erzählte der alte Baldini und trank Wein dazu und bekam vom Wein und von der Feuerglut und von der Begeisterung über seine eignen Geschichten ganz feuerrote Bäckchen. Grenouille aber, der etwas mehr im Schatten saß, hörte gar nicht zu. Ihn interessierten keine alten Geschichten, ihn interessierte ausschließlich der neue Vorgang. Er starrte unausgesetzt auf das Röhrchen am Kopf des Alambics, aus dem in dünnem Strahl das Destillat rann. Und indem er es anstarrte, stellte er sich vor, er selbst sei so ein Alambic, in dem es brodele wie in diesem und aus dem ein Destillat hervorquelle wie hier, nur eben besser, neuer, ungewohnter, ein Destillat von jenen exquisiten Pflanzen, die er selbst in seinem Innern gezogen hatte, die dort blühten, ungerochen außer von ihm selbst, und die mit ihrem einzigartigen Parfum die Welt in einen duftenden Garten Eden verwandeln könnten, in welchem für ihn das Dasein olfaktorisch einigermaßen erträglich wäre. Ein großer Alambic zu sein, der alle Welt mit seinen selbsterzeugten Destillaten überschwemmte, das war der Wunschtraum, dem Grenouille sich hingab.

Während aber Baldini, vom Wein entzündet, immer ausschweifendere Geschichten davon erzählte, wie es früher gewesen war, und sich immer hemmungsloser in die eigenen Schwärmereien verstrickte, ließ Grenouille bald ab von seiner bizarren Phantasie. Er verbannte die Vorstellung vom großen Alambic fürs erste aus seinem Kopfund überlegte stattdessen, wie er sich seine neuerworbenen Kenntnisse für näherliegende Ziele nutzbar machen könnte.