10 —«Chenier!» rief Baldini hinter dem Kontor hervor, wo er seit Stunden säulenstarr gestanden und die Türe angestarrt hatte, «ziehen Sie Ihre Perücke an!» Und zwischen Olivenölfässern und hängenden Schinken aus Bayonne erschien Chenier, Baldinis Geselle, etwas jünger als dieser, aber auch schon ein alter Mann, und kam nach vorn in die feinere Abteilung des Ladens. Er zog seine Perücke aus der Rocktasche und stülpte sie sich über.

«Sie gehen aus, Herr Baldini?»

«Nein», sagte Baldini, «ich werde mich für einige Stunden in mein Arbeitszimmer zurückziehen und wünsche, absolut nicht gestärt zu werden.»

«Ah, ich verstehe! Sie entwerfen ein neues Parfum.»

«So ist es. Zur Beduftung einer spanischen Haut für den Grafen Verhamont. Er verlangt etwas vollkommen Neues. Er verlangt etwas wie... wie ... ich glaube, es hieß «Amor und Psyche», was er verlangte, und stammt angeblich von diesem... diesem Stümper aus der Rue Saint-Andre des Arts, diesem... diesem... chenier Pelissier.»

«Ja. Pelissier. Richtig. So heißt der Stümper. «Amor und Psyche» von Pelissier. Kennen Sie es?»

«Jaja. Dochdoch. Man riecht es jetzt überall. An jeder Straßenecke riecht man es. Aber wenn Sie mich fragen - nichts Besonderes! Es kann sich bestimmt in keiner Weise messen mit dem, welches Sie komponieren werden, Herr Baldini.»

«Natürlich nicht.»

«Es riecht äußerst gewöhnlich, dieses «Amor und Psyche». »

«Vulgär?»

«Durchaus vulgär, wie alles von Pelissier. Ich glaube, es ist Limettenöl darin.»

«Wirklich? Was noch?»

«Orangenblütenessenz vielleicht. Und vielleicht Rosmarintinktur. Aber ich kann es nicht sicher sagen.»

«Es ist mir auch völlig gleichgültig. »

«Natürlich .»

«Es ist mir schnurzegal, was der Stümper Pelissier in sein Parfum gepanscht hat. Ich werde mich nicht einmal davon inspirieren lassen!»

«Da haben Sie Recht, Monsieur.»

«Wie Sie wissen, lasse ich mich nie inspirieren. Wie Sie wissen, erarbeite ich meine Parfums.»

«Ich weiß, Monsieur. »

«Gebäre sie allein aus mir! »

« Ich weiß.»

«Und ich gedenke, für den Grafen Verhamont etwas zu kreieren, was wirklich Furore macht.»

«Davon bin ich überzeugt, Herr Baldini.»

«Sie übernehmen den Laden. Ich brauche Ruhe. Halten Sie mir alles vom Leibe, Chenier...»

Und damit schlurfte er, nun gar nicht mehr statuarisch, sondern, wie es seinem Alter zukam, gebeugt, ja fast wie geprügelt, davon und stieg langsam die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo sein Arbeitszimmer lag. Chenier nahm den Platz hinterm Kontor ein, stellte sich genauso hin, wie zuvor der Meister gestanden hatte, und schaute mit starrem Blick zur Türe. Er wusste, was in den nächsten Stunden passieren würde: nämlich gar nichts im Laden, und oben im Arbeitszimmer Baldinis die übliche Katastrophe. Baldini würde seinen blauen, von Frangipaniwasserdurchtränkten Rock ausziehen, sich an den Schreibtisch setzen und auf eine Eingebung warten. Diese Eingebung würde nicht kommen. Er würde hierauf an den Schrank mit den Hunderten von Probefläschchen eilen und aufs Geratewohl etwas zusammenmixen. Diese Mischung würde missraten. Er würde fluchen, das Fenster aufreißen und sie in den Fluss hinunterwerfen. Er würde etwas anderes probieren, auch das würde missraten, er würde nun schreien und toben und in dem schon betäubend riechenden Zimmer einen Heulkrampf bekommen. Er würde gegen sieben Uhr abends elend herunterkommen, zittern und weinen und sagen: «Chenier, ich habe keine Nase mehr, ich kann das Parfum nicht gebären, ich kann die spanische Haut für den Grafen nicht liefern, ich bin verloren, ich bin innerlich tot, ich will sterben, bitte, Chenier, helfen Sie mir zu sterben!» Und Chenier würde vorschlagen, dass man zu Pelissier schickte um eine Flasche «Amor und Psyche», und Baldini würde zustimmen unter der Bedingung, dass kein Mensch von dieser Schande erführe, Chenier würde schwären, und nachts würden sie heimlich das Leder für den Grafen Verhamont mit dem fremden Parfum bedürften. So würde es sein und nicht anders, und Chenier wünschte nur, er hätte das ganze Theater schon hinter sich. Baldini war kein großer Parfumeur mehr. Ja, früher, in seiner Jugend, vor dreißig, vierzig Jahren, da hatte er «Rose des Südens» erfunden und «Baldinis galantes Bouquet» zwei wirklich große Düfte, denen er sein Vermögen verdankte. Aber jetzt war er alt und verbraucht und kannte die Moden der Zeit nicht mehr und den neuen Geschmack der Menschen, und wenn er überhaupt noch einmal einen eigenen Duft zusammenstoppelte, dann war es vollkommen demodiertes, unverkäufliches Zeug, das sie ein Jahr später zehnfach verdünnten und als Springbrunnenwasserzusatz verhökerten. Schade um ihn, dachte Chenier und überprüfte den Sitz seiner Peräcke im Spiegel, schade um den alten Baldini; schade um sein schönes Geschäft, denn er wird's herunterbringen; und schade um mich, denn bis er's heruntergebracht haben wird, bin ich zu alt, um es zu übernehmen...