Kamingespräch: Wohin mit dem Geld?

Hürdenlauf für Anleger

Worauf müssen wir Anleger uns in den nächsten Jahren einstellen? Die Gefahr ist groß, dass uns die Inflation erwischen wird. Dann bedeutet Risiko etwas völlig anderes als heute. Wenn wir »Risiko« sagen, reden wir nicht mehr über nominelles Risiko, also die Preis- oder Kursschwankungen einer Anlage. Jetzt geht es um reales Risiko. Das ist der nachhaltige Wertverlust nach Berücksichtigung der Inflation. Anders formuliert: Mein Risiko besteht darin, dass ich immer weniger Gegenwert für mein Geldvermögen bekomme.

Außerdem bleibt die rasant wachsende Staatsverschuldung im Brennpunkt. Natürlich gibt es viele Risikoquellen außerhalb des Finanzbereichs, die die Geldanlage trotzdem berühren. Das beginnt bei Katastrophen wie dem Reaktorunglück in Fukushima, geht weiter über den Kampf um Rohstoffe, betrifft auch die globalen Terrorrisiken oder gesellschaftliche Umwälzungen wie die in Nordafrika.

Frage (F): Herr Dr. Flossbach, Herr Vorndran, das vielleicht nachhaltigste Thema, das außerdem direkt mit der Schuldenlawine verwoben ist: Die Industrieländer vergreisen.

Philipp Vorndran (PV): Der Anteil der Alten an der Bevölkerung steigt, die Quote der Beschäftigten fällt. Diese Entwicklungen sind stabil und nachhaltig. Wenn überhaupt, dann sind sie nur sehr langfristig umkehrbar. Das hat einschneidende Folgen. Beispielsweise werden die Pensionsansprüche auf Dauer nicht auf dem aktuellen Niveau bedient werden können. Mit der Überalterung und der steigenden Lebenserwartung steigen auch die Kosten für das Gesundheitssystem. Es ist eindeutig: Diese Probleme sind ohne gravierende Eingriffe schlicht unlösbar. Die verdeckten Verbindlichkeiten sind ohne drastische Reformen, die wirklich ihren Namen verdienen, ein Vielfaches höher als die offiziell ausgewiesenen Schuldenlasten.

F: Drastische Beschneidung der Pensionsansprüche. Das wird ein Horrortrip für Politiker werden. Wer soll das als Verantwortlicher durchdrücken und auch noch politisch überleben?

Dr. Bert Flossbach (BF): Deshalb schreckt der Staat bis jetzt vor solchen Maßnahmen zurück. Aus Sicht der Politiker wäre auch hier die reale Aushöhlung der Ansprüche die eleganteste Lösung. Das passt zu unserem Inflationsszenario. Dann sind Heraufsetzungen des Renteneintrittsalters und Senkung der Renten das Pendant zu einem Schuldenschnitt wie im Griechenland-Plan: Laufzeitenverlängerung einer Anleihe plus Kuponkürzung. So ist es nur konsequent, wenn man in der Bundesregierung inzwischen über eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters nachdenkt. Auch wenn die im September 2011 durchgerechnete Zahl von 69 Jahren wahrscheinlich immer noch nicht ausreicht, um das System langfristig zu stabilisieren.

F: Auf die Bevölkerung kommen also hohe Belastungen zu …

PV: Wird nicht rasch gegengesteuert, dann werden die höheren Aufwendungen des Staates das Verschuldungsproblem weiter verschärfen. Gesellschaftliche Spannungen zwischen den Generationen sind vorgezeichnet. Da müssen die Alarmsirenen schrillen, denn wenn gut ausgebildete Arbeitnehmer aufgrund immenser Ausgabenlasten hier die Lust an der Arbeit verlieren, werden sie abwandern. Diese Tendenz ist derzeit in den südeuropäischen Ländern und Irland zu beobachten. Dann fehlen die unternehmerischen Wertschöpfer und Beitrags- und Steuerzahler.

F: Das klingt ein wenig auch nach einer Neudefinition der Staatsaufgaben. Welche Rolle wird der Staat in Zukunft spielen, speziell im Verhältnis zum Finanzsystem, zur Realwirtschaft und zur gesamten Gesellschaft?

BF: Wir haben schon über die Liberalisierung der Finanzmärkte gesprochen. In dieser Periode bis ins neue Jahrtausend hinein hat sich der Staat langsam aus der Wirtschaft zurückgezogen, auch aus seiner Rolle als Wirtschaftspolizist. Spätestens mit der Finanzkrise hat sich dieser Trend ins Gegenteil gekehrt. Es war auch gar nicht anders möglich: Banken und Unternehmen wankten, der Staat musste notgedrungen eingreifen, um den größten Kollaps zu verhindern.

F: Der Staat als »weißer Ritter«. Sehen Sie das nicht zu positiv?

BF: Historisch gesehen hatten wir immer Zyklen des staatlichen Durchgriffs auf die Wirtschaft – steigend und dann wieder abnehmend. Seit einigen Jahren schlägt das Pendel wieder zurück. Der Staat muss die Scherben der Finanzkrise zusammenkehren. Mit Rettungsschirmen, Garantien, Verstaatlichungen und schärferer Regulierung wächst logischerweise sein Einfluss. Sicherlich fühlen sich viele Politiker auch ganz wohl dabei, die scheinbar übermächtigen Banker in ihre Schranken verweisen zu können. Zu oft heißt es in Deutschland dann wieder, der Kapitalismus ist gescheitert. Spekulanten haben uns zugrunde gerichtet.

F: Einzelbeispiele wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder der Milliardenbetrüger Bernard Madoff werden dann als Symbole für den bösen Kapitalismus herumgereicht …

PV: Gesucht sind ganz einfach Schuldige und Bösewichter. Mit einer Analyse der komplexen Ursachen der Fehlentwicklung hat das leider nur am Rande zu tun. Feindbilder sind eher Sündenböcke, die vom eigentlichen Problem ablenken. Die Herausforderungen für die Politik sind heute größer denn je. Und der Mangel an kompetenten Politikern mit Rückgrat und klaren Zielen, die sie der Bevölkerung vermitteln können, leider auch. Nun muss ich ehrlicherweise sagen: Ich beneide die Verantwortung tragenden Politiker nicht. Die Lage ist komplex, der Ausweg Inflation nicht leicht zu steuern, die internationalen wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen verkomplizieren die Situation weiter. Andererseits: Das darf keine Entschuldigung dafür sein, dass mittlerweile nur noch Zeitbomben hin- und hergereicht werden, von denen man hofft, dass sie einem während der eigenen Amtszeit nicht in der Hand explodieren.

F: Womit wir wieder bei Ihrem Hauptszenario sind: Der Staat kauft sich durch Inflation Zeit und versucht, der Schuldenlawine durch Geldentwertung beizukommen. Was steckt denn an Geldpotenzial, das die Entwertung treiben könnte, schon in der Pipeline?

BF: Seit 2008 haben Notenbanken in den USA, in Europa und Großbritannien durch Aufkäufe von Wertpapieren ihre monetäre Basis um 4,5 Billionen Dollar ausgeweitet. Offizielles Ziel war die Ankurbelung der Wirtschaft. Das hat nur eingeschränkt geklappt. Den Kursen von Aktien, Rohstoffen, vor allem Edelmetallen, und auch Anleihen hat es allerdings zumindest zeitweise auf die Sprünge geholfen. Auf der Zinsseite haben viele Länder einen negativen Realzins erreicht, wie schon beschrieben. Das entlastet bei den Schulden. Die nächste Runde geldpolitischer Erleichterungen kommt bestimmt, nämlich dann, wenn die Konjunktur zu schwächeln beginnt oder die US-Arbeitslosenquote auf ihrem desolaten Stand bleibt.

F: Weitere Anleiheaufkäufe von Notenbanken sind also sicher?

BF: Es führt kein Weg daran vorbei. Allein die USA müssen in den kommenden zwölf Monaten neue Schulden von 1,5 Billionen Dollar finanzieren. Und US-Notenbankchef Ben Bernanke hat ja verkündet, den Leitzins bis Sommer 2014 nahe null zu belassen und wahrscheinlich noch sehr viel länger. Wer anders als die Notenbank soll dies zu einem Zins von unter 2 % tun? Sicher können auch die Zinsen steigen – theoretisch. Dann würden die Investoren aus der Defensive gelockt. Aber Sätze von 5 oder 6 % wären der Tod für den US-Häusermarkt und auch für den Schuldendienst des Staates. Regierung und Notenbank werden höhere Zinsen um jeden Preis verhindern. Die Notenbank hat das im Sommer auch noch einmal ganz klar gemacht. Der Leitzins wird nahe null bleiben, offiziell bis 2014, vielleicht noch länger. Auf jeden Fall aber werden die Realzinsen negativ bleiben.

F: Kurzfristige Zinsen bei null. Das verzerrt die Preise der Vermögensformen. Treibt das die Anleger in eine Blase nach der anderen?

PV: Eine Preisblase hat viel mit Psychologie zu tun. Sie tritt eben immer erst in der Endphase eines Anlagebooms auf. Der Anlageboom an sich wird zuerst durch billiges Geld in Gang gesetzt. Investoren beurteilen die Attraktivität einer Anlage nicht mehr nach ökonomischen Kriterien. Sie wollen ihre Anlage nur noch zu einem höheren Preis an jemand anderen weiterverkaufen können. Niedrige reale Zinsen befeuern diese Entwicklung, denn wer sein Geld auf dem Konto liegen hat, verliert. Niedrige Zinsen bedeuten hohe Liquidität, das bedeutet viel spekulatives Geld. Vor über zehn Jahren floss das Geld in die New Economy – 2000 platzte die Internet-Aktienblase. Später floss das Geld in den US-Häusermarkt – diese Blase platzte 2007.

F: Zur Erklärung reicht wohl ein Satz: Notenbanken wollen die Konjunktur mit billigem Geld stützen …

PV: Vor allem die US-Notenbank bekämpft seit über zehn Jahren jede Finanzmarktkrise mit den immergleichen Mitteln: Zinsen senken und den Markt mit Liquidität fluten. Zeigt das Wirkung an den Finanzmärkten, wird die Liquidität aus Angst vor einem Crash und einem anschließenden Konjunkturabschwung nicht mehr abgezogen. Das Geld sucht sich ein Ventil: immer eine andere Vermögensklasse. Kann eine weitere Blase verhindert werden? Das hängt davon ab, ob die Notenbank das nächste Mal die Liquidität rechtzeitig abziehen kann. Ich glaube nicht, dass dies funktionieren wird.

F: Das klingt ein gewisser Sarkasmus mit. Also immer mehr Ungewissheiten, aber gleichzeitig ein Inflationsszenario vor Augen. Worauf gilt es da zu achten?

BF: Die Welt wird nicht untergehen, aber die Anleger müssen umdenken. Wer nicht vorbereitet ist, wird erhebliche Teile seines Vermögens durch dessen schwindende Kaufkraft einbüßen. Der Risikobegriff muss neu definiert werden. Risiko ist nicht mehr die Wertschwankung einer Anlage, also die Volatilität. Es besteht in der neuen Welt in der Gefahr eines realen Wertverlustes, das heißt nach Abzug der Inflation. Die neue Welt ist ziemlich skurril. Nominal besonders sichere Anlagen wie das Sparbuch weisen zwar keine Kursschwankungen auf, sie sind aber besonders riskant. Die Illusion, man hätte sein Vermögen erhalten, nur weil auf dem Papier immer noch die gleiche Größe steht, wird viele Anleger davon abhalten, das Richtige zu tun. Wer vorbereitet ist, für den bieten sich allerdings auch große Chancen. Es ist wichtig, sich auf allgemeine Anlageprinzipien zu besinnen. Nur so kann man das Depot wetterfest machen. Diversifikation, und damit Streuung des Vermögens nach Anlageformen und Regionen, ist ein absolutes Muss. Dazu gehört nicht nur die Aufteilung nach verschiedenen Anlageformen. Man braucht auch verschiedene Währungen. Und man braucht unterschiedliche Lagerorte. Das wird oft übersehen oder unterschätzt. Man weiß schließlich nie, welche besonderen Zwangsmaßnahmen ein Land einführt, die dann möglicherweise den Zugriff auf das dort gelagerte Vermögen erschweren. Das gilt auch für die Anzahl der Bankbeziehungen.

F: Löst Inflation allein das Schuldenproblem?

BF: Wahrscheinlich nicht. Wir erwarten keine Hyperinflation, die die Staatsschulden wie in der Weimarer Republik auslöscht. Realistisch ist ein Paket unterschiedlicher »Folterinstrumente«, die dem Staat für solche Fälle zur Verfügung stehen. Das hatten wir schon besprochen. Aber hier noch einmal die Stichworte, denn auf solche oder ähnliche Zwangsmaßnahmen müssen wir uns bei unseren Geldanlagen einstellen: negative Realzinsen, möglicherweise Kapitalverkehrskontrollen, Zwangsanleihen, höhere Steuern, spezielle Anlagevorschriften für Großanleger wie Banken, Manipulation der Verbraucherpreisindizes und, und, und. Der Staat kann sich viele andere Dinge einfallen lassen, um private und institutionelle Anleger zu »überzeugen«, seine Anleihen auch zu unattraktiv niedrigen Renditen zu kaufen. Die Anleger helfen ihm aber dabei. Die Nominalwert-Illusion, gepaart mit einer extremen Scheu vor Kursschwankungen lässt viele weiter brav ihr Geld aufs Sparbuch tragen oder in Bundesanleihen anlegen, obwohl damit ein sicherer realer Wertverlust verbunden ist.

F: Wären solche Eingriffe denn auch heute noch durchsetzbar?

PV: In einer globalen Finanzwelt lassen sich einige der erwähnten Folterinstrumente nicht mehr so leicht umsetzen. Zinskontrollen sind bei globalem Kapitalverkehr leichter zu umgehen. Kapitalverkehrskontrollen wären dann eine notwendige, aber verzweifelte Maßnahme, um dies durchzusetzen, sind aber nicht erforderlich, wenn alle großen Notenbanken der Welt den Zins gleichzeitig drücken. Wo sollte der Anleger dann noch hin? Auch ein Goldverbot ist beispielsweise durch Lagerung in anderen Ländern umgehbar. So eine Flucht könnte der Staat allerdings mit einem Notstandsgesetz aushebeln. Das Paradebeispiel für »Financial Repression« haben die US-Amerikaner am eigenen Leib erfahren. Es war die Zeit der Zinskontrolle von 1942 bis 1951. Aber damals gab es einen lukrativen Fluchtweg. Risikoscheue Investoren wird es wundern, dass dies ausgerechnet der Aktienmarkt war.

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Abbildung 59: US-Aktien waren ein sicherer Hafen, Sub: Der Dow-Jones-Index stieg von 1942 bis 1951 kräftig. Quelle: Bloomberg, Flossbach von Storch.

Diese Periode dauerte vom März 1942 bis zur Aufhebung der Zinskontrolle im März 1951. In dieser Zeit stieg der Dow-Jones-Index von 100 auf 250 Punkte. Das ist ein durchschnittlicher Kursanstieg von 10,6 % jährlich. Die Dividenden kamen noch obendrauf. Damit haben Aktionäre nicht nur die Inflation von etwa 5 % jährlich komfortabel geschlagen. Sie haben auch weit mehr verdient als Inhaber von Anleihen. Kurzlaufende Bonds warfen gerade einmal 0,38 % ab, lang laufende Staatspapiere nur 2,5 %.

F: Leben wir heute schon in der Anfangsphase einer solchen Zeit?

BF: Ja, eindeutig! Voraussetzung für die Entschuldung des Staates über »Financial Repression« sind künstlich niedrige Zinsen, die noch unter der Inflationsrate liegen. Das Fundament hierfür ist gelegt. Die Realzinsen in wichtigen Ländern wie den USA oder auch Deutschland sind bereits negativ. Seit 2008 haben die US-Notenbank, die EZB und die Bank von England im Rahmen ihrer beschönigend als »Quantitative Easing« beschriebenen Aufkäufe von Wertpapieren die monetäre Basis massiv ausgeweitet. Das sollte die Wirtschaft nachhaltig ankurbeln, so das offizielle Ziel. Bislang war es nur ein Teilerfolg. In einem solchen Umfeld sind die fünf Anlagegrundsätze des »Flossbach von Storch-Pentagramms« noch wichtiger geworden, als sie es früher schon waren.

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Abbildung 60: Was wichtig ist – Das Anlagepentagramm. Quelle: Flossbach von Storch.

Diversifikation

Die ultimativ sicherste oder rentierlichste Anlage gibt es nicht. Eine ausgewogene Vermögensstruktur schützt den Vermögenswert auch in echten »worst case«-Szenarien vor gravierenden und nachhaltigen Verlusten und bietet bei »normaler« Entwicklung der Märkte eine angemessene Rendite. Die Diversifikation sollte nicht nur nach Anlageformen und Regionen erfolgen, sondern auch nach Depotstätten bzw. Lagerungsorten und den Investitionszeitpunkten (Auflagejahre von Private Equity Fonds). Eine ausgewogene Diversifikation ist aufgrund der einschneidenden Veränderungen, die uns bevorstehen, deren Eintreten und mögliche Konsequenzen aber leider nicht exakt abschätzbar sind, von überragender Bedeutung. Die einseitige Konzentration auf vermeintlich sichere Anlagen, wie Rentenpapiere, Festgeld oder Immobilien, ist kein Ersatz für Diversifikation, da ein solches Vermögen bestimmten Risiken schutzlos ausgesetzt ist.

Flexibilität

Gemeint ist die Aktionsmöglichkeit des Vermögensinhabers im Hinblick auf Veränderungen im Anlageumfeld. Das bedeutet, entsprechende Dispositionen treffen und sich Zugang zu seinem Vermögen verschaffen zu können. Dieses Postulat gewinnt in Zeiten großer Strukturbrüche, die sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben können, enorm an Bedeutung. Immobile und illiquide Vermögenswerte können bestimmten Risiken (bspw. Steueränderungsrisiko, politisches Risiko) nicht entzogen werden, weil sie nicht ohne Weiteres veräußerbar sind und den Vermögensinhaber in seinen Handlungsalternativen zu sehr einschränken.

Solvenz

Steuervorteile wiegen die Risiken einer Fremdfinanzierung selten auf. Schulden erhöhen das Risiko eines weitgehenden Vermögensverlustes, wie zahlreiche prominente Beispiele immer wieder bewiesen haben. Der Totalverlust eines großen Vermögens ist praktisch nur über eine hohe Verschuldung zu erreichen. Eine konservativ fremdfinanzierte Immobilie (Fremdkapital maximal 50 %) ist kein Verstoß gegen dieses Postulat. Wenn die Immobilie aufgrund ihrer Lage als absolut krisensicher bezeichnet werden kann und die Einkommenslage des Käufers es zulässt, darf die Verschuldung auch etwas darüber liegen. Im Falle eines deutlichen Inflationsanstiegs würde das Vermögen sogar durch eine Entwertung der Schulden profitieren, allerdings nur dann, wenn der finanzierte Vermögenswert nicht in gleichem Maße betroffen ist und die Zinsbindung lang genug ist.

Qualität

Hiermit ist die nachhaltige Werthaltigkeit einer Anlage gemeint. Bei Immobilien ist dies vor allem die Lage, bei Anleihen die Bonität, bei Unternehmen bzw. Aktien die Stabilität und Nachhaltigkeit der Geschäftsentwicklung, die Solidität und Transparenz der Bilanz und die Qualität des Managements. In wirtschaftlich angespannten Zeiten offenbaren sich Qualitätsmängel besonders deutlich. So sind KarstadtQuelle und Opel nicht nur Opfer der schwachen Binnenkonjunktur in Deutschland, sondern auch beispielhaft für eine verfehlte Geschäfts- und Modellpolitik. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wenn die Flut nicht mehr alle Schiffe hebt, wirken sich diese Qualitätsmängel besonders negativ aus. Ähnliches gilt derzeit auch für Immobilien. Eine gute Lage erleichtert die Wiedervermietbarkeit und schützt damit vor dem Ausfallrisiko eines Mieters.

Wert

Die breite Masse hat selten Recht. Anlagetrends und Modethemen sollten kritisch betrachtet werden. Wichtig ist die Bildung einer eigenen, unabhängigen Meinung. Beispiele zyklischen Agierens: Gold Ende der 1970er Jahre, Kasse Anfang der 1980er, Ostimmobilien Mitte der 1990er, New-Economy-Investments Ende der 1990er und derzeit Staatsanleihen oder das Sparbuch. Vermeidung von Prozyklik ist aber nicht mit antizyklischem Handeln zu verwechseln. Antizyklisches Verhalten bedeutet, stets gegen den Trend zu gehen. Dies kann sich aber im Falle eines nachhaltigen Trends als fatal erweisen.

Die Umsetzung dieser fünf Prinzipien kann und wird natürlich individuell unterschiedlich ausfallen. Das Ausmaß der Diversifikation, der Flexibilitätsgrad und das Fremdfinanzierungsniveau eines Vermögens sowie die Qualitätsausprägung einzelner Anlagen hängen von persönlichen Präferenzen und historisch gewachsenen Vermögensstrukturen ab.

In der Praxis bedeutet dies: Nicht alle Eier in einen Korb legen, also auf mehrere Vermögensformen verteilen. Das versteht sich eigentlich von selbst. Mit Blick auf die unsichere Zukunft ist Flexibilität und Manövrierfähigkeit extrem wichtig. Wer sich langfristig bindet und ein mehrjähriges Festzinsangebot eingeht, der setzt sich schutzlos der Inflation aus. Beweglichkeit ist gerade in Zeiten von Strukturbrüchen, wie wir sie jetzt erleben, extrem wichtig. Immobile und illiquide Vermögenswerte kann man bestimmten Risiken nicht entziehen. Wenn der Staat die Steuern nachteilig verändert oder sich der politische Rahmen zu Ungunsten des Anlegers verändert, sind diese Vermögenswerte vielleicht nur schwer veräußerbar, was dann einen Nachteil darstellt.

Oft ist die tatsächliche Solvenz von Staaten schlechter als ihr Rating, so wie es die drei großen Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch veröffentlichen. Eigene Bonitätsprüfungen von Staaten und Unternehmen sind deshalb unvermeidbar. In Zeiten großer Unsicherheiten sollte man stets auf die Qualität einer Anlage achten, das heißt auf die Sicherheit der zukünftigen Erträge. Dieser Faktor ist jetzt noch wichtiger als während eines langen Aufschwunges, der ähnlich einer Flut alle Boote hebt. Und wer möchte schon für eine Anlage einen höheren Preis bezahlen, als sie wert ist?

Gut vorbereitet auf die neue Welt

F: Mit Ihrem Szenario vor Augen muss man sagen: Wir Deutsche legen unser Geld völlig falsch an …

PV: Genau da steckt das Problem. Kontoguthaben, Sparbücher, Kapitallebensversicherungen oder Bundesanleihen gelten bei den meisten Bürgern noch immer als Ausbund der Sicherheit. Aber das sind alles sogenannte Nominalversprechen. Sie verbriefen keine Inhaberrechte, sondern nur Forderungen in nominaler Höhe. Die Inflation nagt unerbittlich am Wert dieser Forderungen. Wenn der Euro an Wert verliert, verliert natürlich auch die Kaufkraft dieses Versprechens an Wert. Und je höher die Inflation, umso größer ist der Realwertverlust. Die Versprechen werden zwar mit hoher Sicherheit eingelöst und die Forderungen zurückgezahlt aber sie decken dann nicht mehr die ursprünglichen Konsumpläne ab, weil ein Euro in der Zukunft wesentlich weniger wert sein wird als heute. Viele Bürger müssen also ihr gesamtes Denken umstellen – wenn dieses Inflationsszenario eintritt. Das schaffen bisher nur wenige Anleger.

F: Also eine Frage des Bewusstseins?

PV: Die Ironie ist ja, dass gerade den Deutschen das Thema Inflation besonders vertraut ist. Niemand in der Welt sorgt sich so sehr vor Inflation wie die Deutschen. Noch ist die Inflationsgefahr aber abstrakt. Nur noch ganz wenige zeitgenössische Anleger haben persönliche Erfahrung mit Inflation. Deshalb reagieren auch nur wenige Anleger so, wie sie es eigentlich tun müssten.

F: In der Vermögensstruktur der Deutschen hat sich tatsächlich nichts verändert – bisher nicht …

PV: Höchstens in Ansätzen. Lässt man einmal die Immobilien beiseite, verfügen die deutschen Haushalte über ein Vermögen von rund 5 Billionen Euro. Davon sind über ein Drittel Bankeinlagen und ein weiteres Drittel Kapitallebensversicherungen, die bekanntermaßen vor allem in Nominalversprechen investieren. Auf der Suche nach nominaler Sicherheit gehen die meisten Bürger real massiv ins Risiko.

F: Welches Ziel verfolgen Sie bei Ihren Anlagen?

BF: Es geht vor allem um die langfristige Mehrung des Vermögens nach Steuern und Inflation. In den nächsten Jahren wird aber schon der reale Vermögenserhalt eine große Herausforderung sein, die viele Anleger nicht meistern werden. Wir müssen zwei Dinge in Einklang bringen: die individuelle Situation des Vermögensinhabers und die Perspektiven an den Kapitalmärkten. Wenn man generationenübergreifend denkt, dann rückt der reale Kapitalerhalt in den Vordergrund. Die nominalwertorientierte Vermögensstruktur zeigt, dass die unterschwellige Inflationsangst der Deutschen noch nicht in eine entsprechende Vermögensstruktur gemündet ist. Noch immer dominieren die Nominalwerte, wenn man vom eigenen Haus einmal absieht.

F: Getreu Ihrer Weltsicht werden Sie ganz anders anlegen als der durchschnittliche Deutsche. Wo liegen die Schwerpunkte der Investments?

BF: Das sind im aktuellen Umfeld ganz klar liquide Sachwerte und sichere Nominalwerte. Zur ersten Gruppe zählen wir vor allem Aktien erstklassiger Unternehmen, Gold und selbstgenutzte Immobilien, die Wertzuwachspotenzial haben und damit Schutz vor Inflation bieten. Sie sollten mindestens die Hälfte des Depots ausmachen. Qualitativ hochwertige Nominalwerte von zweifelsfreien Unternehmen und Staaten stabilisieren das Depot. Sie können jederzeit verkauft werden und erhöhen so die Beweglichkeit. Die Laufzeiten sind kurz- bis mittelfristig. Der Schuldner sollte besser sein als sein Rating. Notwendig ist außerdem eine Barreserve, die man einsetzen kann, wenn sich Chancen an den Märkten bieten. Eine Beimischung guter Wandelanleihen lohnt, denn die Papiere kombinieren Sachwert und Nominalwert. Das ist die Grobstruktur.

F: Wie streuen Sie über Währungen, wenn Sie die Schuldenlawine für so gefährlich halten?

PV: Währungen und die Anleihen eines Landes müssen Sie in der Tat gleichzeitig unter die Lupe nehmen. Das hängt zusammen. Der Dollar ist krank, der Euro ein Experiment mit ungewissem Ausgang, der Schweizer Franken von der Notenbank künstlich an den Euro gekoppelt. Wegen der weltweiten Schuldenexzesse mit absehbarer Inflation haben wir ein Problem mit vielen Papierwährungen, die also nicht durch Gold oder andere Rohstoffe gedeckt sind. Sie können aber nicht das ganze Geld in Gold investieren, ohne den Streuungsgrundsatz zu verletzen. Sie müssen versuchen, solide Staaten zu finden, die nicht auf Inflation zur Lösung ihrer Schuldenprobleme angewiesen sind. Das gilt etwa für Norwegen und Australien. Als Sahnehäubchen obendrauf bieten viele dieser Länder auch noch höhere Renditen als Bundesanleihen.

Nominalwerte sind out

F: Reden wir zuerst über Anleihen, weil hier die Kursbewegungen wegen der Diskussionen über Staatspleiten am schärfsten waren. Was ist noch kaufenswert?

PV: In der Schuldenkrise hat der Markt radikal belohnt und abgestraft. Papiere der gefährdeten Staaten sind dramatisch abgestürzt, die der als solvent gehandelten Länder sind drastisch gestiegen. Umgekehrt haben sich die Renditen entwickelt. Man muss nur die Verlierer wie Griechenland oder Portugal mit den Gewinnern Deutschland oder Schweiz vergleichen. Doch das ist lediglich der Status quo. In der Zukunft müssen wir noch stärker auf die drei Renditequellen bei Anleihen achten: Zinsänderungen, Währungsbewegungen und natürlich Veränderungen in der Zahlungsfähigkeit, also der Bonität.

F: Wenn Ihnen auch der Euro-Anleihenmarkt suspekt ist, was bleibt dann im Ausland und bei fremden Währungen übrig?

PV: Wir haben bei den Aussichten in der Eurozone keine andere Wahl. Das soll nicht nachteilig klingen. Solide Staaten besitzen eher eine Währungschance denn ein Währungsrisiko, zumindest wenn diese Länder wirklich besser dastehen als Deutschland im Euro-Korsett. Hinzu kommt oft noch ein höherer Zinsertrag. Ein Beispiel ist Australien.

F: Bei der Einschätzung können Sie sich dann aber nicht auf die Rating-Agenturen verlassen …

BF: Nein, sie stellen allenfalls eine zusätzliche Meinung zu unserer eigenen Analyse dar. Wir haben ja gesehen, dass die eigene Bonitätsbeurteilung unabdingbar bei der Anleiheauswahl ist. Wie bei der Beurteilung von Unternehmensanleihen haben wir bei Staatspapieren ein eigenes Länder-Rating entwickelt. Wichtigste Kriterien nach Schuldenquote, Handelsdefizit, Leistungsbilanz und Verschuldung des privaten Sektors sind wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, demografische Entwicklung, politische Stabilität oder Verlässlichkeit des Rechtssystems.

F: Wie berücksichtigen Sie die staatliche Haushaltslage, über die wir in der Krise so oft diskutieren?

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Abbildung 61: Systematik des Währungs-Ratings, Der Wechselkurs eines Landes ist wie der Aktienkurs eines Unternehmens. Quelle: Flossbach von Storch.

PV: Das ist insgesamt der wichtigste Punkt und geht mit 50 % in die Bewertung ein. Andere Kriterien sind die internationale Wettbewerbsfähigkeit anhand der Lohnstückkosten, des Leistungsbilanzsaldos sowie weiche Faktoren wie die Anzahl der genehmigten Patente oder das Investitionsklima. Dann verbinden wir das fundamentale Ranking mit der politischen Stabilität eines Landes und kommen zu einem Gesamtbild. Das spiegelt die Sicherheit der Anleihe und damit indirekt auch des Währungsraumes wider. Der Vorteil dieses Systems ist, dass wir es individuell anpassen können. Für besonders langfristig orientierte Investoren spielt zum Beispiel der Faktor Demografie eine große Rolle. Entsprechend stärker fließt dieser dann auch in die Bonitätsbetrachtung ein.

F: Zu welchen Ergebnissen kommen Sie in Ihren Analysen?

PV: Wichtig ist eine gute Mischung von Emittenten und Währungen. In unserer Länderanalyse haben wir beispielsweise Australien als besonders solide Volkswirtschaft erkannt. Die großen Verlierer sind die Krisenländer aus der Eurozone mit Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien. Das ist wenig überraschend. Aber auch Großbritannien und Ungarn kommen schlecht weg. Interessanterweise ähnelt unsere Analyse in vielen Ergebnissen denen der chinesischen Rating-Agentur Dagong Global Credit Rating. In einem Fall kommen wir aber doch zu einer deutlichen Abweichung: China steht bei uns nicht ganz oben. Wir spüren übrigens ganz deutlich, dass auch unsere Kunden eine weltweite Streuung nach Währungen suchen – auch bei Anleihen, nicht nur bei Aktien. Im Sommer 2010 haben wir einen Rentenfonds mit dem beschriebenen Ansatz aufgelegt. Er soll Anlegern helfen, ihre Nominalanlagen – also Rentenpapiere – aus den klassischen Währungen Euro, US-Dollar, Pfund und Yen in sicherere und teilweise auch höher rentierliche Anleihen zu diversifizieren. Der Name Bond Diversifikation ist Programm und der Zuspruch der Anleger enorm.

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Abbildung 62: Rating-Ergebnis für die Währungen: Politische und ökonomische Bewertung, Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut). Quelle: Flossbach von Storch, Transparency International.

F: Die Länderauswahl ist schwieriger geworden. Viele Verwalter weichen deshalb von Staatsanleihen auf Unternehmen aus. Sie tun das auch …

BF: Grundsätzlich ja. Im Gegensatz zur ersten Phase der Finanzkrise 2007 stehen viele Unternehmen in der jetzigen Krisenperiode besser da. Die Gewinnlage ist gut, die Bilanzen sehen gut aus, die Cash-Polster sind im historischen Vergleich enorm hoch. Hier stechen sicher viele Argumente, die auch Aktien interessant machen. In beiden Fällen kommt es auf die Einzelauswahl an. Das Unternehmen sollte Wachstumspotenzial haben und sich auch bei einer unvermeidbaren Beschleunigung der Schuldenkrise seinen Gewinn und Free Cashflow gut halten können.

F: Wann wählen Sie die Aktie, wann die Anleihe?

BF: Wenn wir ein solches Unternehmen gefunden haben, entscheidet das Chance-Risiko-Verhältnis, ob wir in die Aktie, die Anleihe oder beides investieren. Manchmal ist die Anleiherendite einfach so unwiderstehlich, dass selbst die Aktie das Nachsehen hat. Dies ist dann der Fall, wenn wir die Bonität des Unternehmens deutlich besser einschätzen als der Markt oder die großen Rating-Agenturen.

F: Was halten Sie von Wandelanleihen?

PV: Grundsätzlich sind Wandelanleihen eine gute Alternative, die aber nur von wenigen Anlegern wahrgenommen wird. Als Zwitter zwischen Aktie und Anleihe kombinieren sie gute Elemente aus beiden Welten. Sie haben Kurschancen wie bei Aktien plus Kapitalschutz wie bei Anleihen – natürlich muss der Emittent überleben. Der Anleihebesitzer hat das Wahlrecht am Ende der Laufzeit: Er kann die Anleihe in eine vorgegebene Zahl von Aktien tauschen oder sich den Nominalbetrag auszahlen lassen. Natürlich gibt es dieses Zwitterrecht nicht gratis, Wandelanleihen rentieren in der Regel deutlich tiefer als normale laufzeitgleiche Anleihen derselben Unternehmen.

F: Wie kann man sich die Kursentwicklung vorstellen?

PV: Bei tiefem Aktienkurs weist der Wandelanleihekurs nur einen kleinen Aufschlag zu seinem Rückzahlungskurs auf. Dieser Aufschlag entspricht dem Wert der Markterwartung künftiger Aktienkurssteigerungen. Klettert der Aktienkurs, steigt auch der Kurs der Wandelanleihe und nähert sich immer stärker dem Wert des Wandelrechtes an. Historisch gesehen haben »Wandler«, wie wir sie nennen, ähnliche Erträge geliefert wie Aktien, aber mit deutlich geringeren Wertschwankungen.

F: Wie stark sind Sie in diesem Segment engagiert?

BF: Wir finden diese Anlageform angesichts ihres asymmetrischen Auszahlungsprofils prinzipiell sehr interessant. Sie erfüllt das Ur-Ziel jedes Investors, bei Kursrückschlägen nur begrenzte Verluste einzufahren und auf dem Weg nach oben dabei zu sein. Aber auch bei Wandelanleihen müssen wir unser Pentagramm mit seinen allgemeinen Anlagegrundsätzen im Auge behalten und hier vor allem den Faktor Wert. Wegen der gesteigerten Nachfrage nach Wandelanleihen durch private und institutionelle Anleger und dem vergleichsweise kleinen Markt kam es zum Jahreswechsel 2010/2011 zu einer Höherbewertung vieler Titel. Das hat sich aber Ende 2011 wieder normalisiert. Man muss also auch bei Wandelanleihen gut abwägen, ob der Zusatznutzen des asymmetrischen Risikos nicht überbezahlt ist. Sonst könnte man gleich direkt zu einer guten Aktie greifen.

F: Ist das nicht ein Markt für absolute Spezialisten?

PV: Der Rat ist auch hier: Achten Sie unbedingt auf eine gute Diversifikation der Schuldner und der einzelnen Strukturen. Mit einem der am Markt angebotenen Fonds sind Anleger sicher besser bedient als mit dem Versuch, auf eigene Faust die Perlen in diesem Marktsegment herauszupicken. Und vergessen Sie nicht, Wandelanleihen sehen wir vor allem als Beimischung in einem gut strukturierten Gesamtvermögen. Zur Orientierung: Anfang 2012 beträgt die durchschnittliche Restlaufzeit eines beispielhaften Wandelanleihenfonds rund 3 Jahre, die durchschnittliche Rendite der Anleihen liegt bei 3 %. Dies ist deutlich mehr als bei Bundesanleihen. Hinzu kommt das Wandlungsrecht – sprich die Partizipation an Kurssteigerungen der Aktie.

Mein Haus, mein Hof, meine Firma: Sachwerte retten uns

F: Sie sagen: Nur Sachwerte können bei negativen Realzinsen und staatlichen Zwangsmaßnahmen Werte erhalten. Da fällt einem sofort des Deutschen liebstes Kind ein: die Immobilie …

PV: Immobilien entsprechen dem Sachwertverständnis des deutschen Investors am ehesten. »Betongold« hat ja wegen der fehlenden täglichen Kursnotiz kein Kursrisiko. Es wirft außerdem laufend Ertrag ab und befriedigt den Wunsch nach Haptik. Kein Wunder, dass der Immobilienmarkt vor allem in guten Lagen als erstes von der Inflationsangst profitiert. Eine Nebenbemerkung: Rechnet man die Erwerbsnebenkosten ein, käme man beim Kauf sofort auf ein Minus von fast 10 %.

F: Auf dem lange langweiligen deutschen Immobilienmarkt ist ja inzwischen an manchen Orten große Hektik ausgebrochen …

PV: So werden inzwischen für erstklassige Lagen in deutschen Metropolen wie München das 30- oder gar 40-Fache der Jahresmiete bezahlt – sofern man überhaupt noch ein Objekt bekommt. Dahinter stecken die Nullzinspolitik der Zentralbanken, der negative Realzins und die Angst um den Fortbestand des Euro. Alles das beginnt den Gemütszustand und das Anlageverhalten vieler Privatinvestoren nachhaltig zu verändern. Auch in anderen Metropolen wie London, Zürich oder Paris steigen die Preise vor allem für Wohnimmobilien rasant an, so als ob wir uns im größten Wirtschaftsboom aller Zeiten befinden würden. Der britische Immobilienmakler Knight Frank spricht von einer Kapitalflucht aus den Euro-Krisenländern. Vor allem die Zahl der Griechen und Italiener, die sich für hochpreisige Wohnimmobilien interessieren, ist dramatisch gestiegen. Das muss zu Preisblasen führen. In Teilen des Immobilienmarktes sind sie bereits erkennbar. Bis zum Platzen dürfte es aber noch ein weiter Weg sein.

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Abbildung 63: Immobilienpreise in Deutschland steigen. Quelle: F+B Wohn-Index Deutschland.

F: Sind solche Angstkäufe sinnvoll?

PV: Angst ist selten ein guter Ratgeber. Die privat genutzte Immobilie, erworben zu einem fairen Preis, macht absolut Sinn – als Wertspeicher und als Bestandteil der Altersvorsorge. Bei fremdgenutzten Objekten hingegen muss man ganz genau rechnen. Denn ein Immobilieninvestment kann sich schnell zum Bumerang entwickeln. Dies gilt vor allem, wenn nur die Angst Auslöser des Investments ist. Im härtesten Fall bietet nämlich eine Immobilie gar nicht den erhofften Schutz. Warum? Weil der Staat mit Zwangsmaßnahmen eingreift.

F: Unsere eigene Geschichte liefert Anschauungsmaterial …

PV: Das ist beispielsweise 1923 und 1948 in Deutschland passiert. Nach der Hyperinflation und dem Zweiten Weltkrieg hatten viele Besitzer von Nominalwerten ihr Vermögen verloren.87 Das wollte der Staat ausgleichen und verabschiedete Sondersteuern oder Umverteilungsgesetze wie den Lastenausgleich. In den dafür vorgesehenen Fonds zahlten vor allem die Immobilienbesitzer ein, weil insbesondere sie noch über reales Vermögen verfügten. Sie mussten die Hälfte ihres Vermögens in den Fonds einzahlen, über 30 Jahre verteilt. Wer als Eigenheimbesitzer vor der Währungsreform eine Hypothek von 100.000 Reichsmark aufgenommen hatte, schuldete seiner Bank dann 10.000 D-Mark und dem Finanzamt weitere 90.000 D-Mark, die, als öffentliche Last in das Grundbuch eingetragen, auf dem Grundstück ruhten.88

F: Wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sind solche Zwangsmaßnahmen heute?

BF: Man darf nicht den Fehler machen, sich aus Inflationsangst größtenteils auf Immobilien zu stürzen, noch dazu möglicherweise hohe Hypotheken aufzunehmen. Der Schuss kann nach hinten losgehen. Hier und da nehmen Politiker schon wieder das Schlagwort Lastenausgleich in den Mund.89 So weit hergeholt ist das also gar nicht.

F: Und was geschah in der Hyperinflation in den 1920er Jahren?

PV: Die Hyperinflation entwertete die Hypotheken. Immobilieneigentümer standen als Gewinner da. Um diese Inflationsgewinne der Immobilieneigentümer abzuschöpfen, wurde 1924 die sogenannte Hauszinssteuer auf das vor Juli 1918 entstandene Wohneigentum eingeführt. Zusätzlich hatte der Staat schon im Verlauf des Krieges Mieterhöhungen stark reguliert, um die Inflation im Alltag zu verschleiern. Zu Beginn des Krieges zahlte ein Drei-Personen-Haushalt über 22 % der Gesamtausgaben für die Miete, 1923 nur noch 0,2 %. De facto war das eine Enteignung der Vermieter zu Gunsten der Mieter. Bei den Gewerbeimmobilien griff man ähnlich stark ein.

F: Also Chancen und Risiken. Was bleibt als Fazit?

PV: Immobilien sind wichtig als Teil eines gut gestreuten Realwertdepots. Aber man muss auf der Hut bleiben. Der Staat kann in Extremphasen auf der Einnahme- und Ausgabeseite eingreifen. Das ist ein Risiko. Es handelt sich hier um eine immobile Anlage, die einem solchen Zugriff nicht entfliehen kann. Sie können ja mit dem Haus nicht weglaufen! Sie können sich davon kurzfristig auch nur unter Inkaufnahme hoher Kosten verabschieden. Außerdem schauen viele Immobilieninvestoren nur auf die Mietrenditen. Die anfallenden Kosten für die Verwaltung bleiben oft unberücksichtigt. Und leider werden die eigene Arbeitskraft und der anfallende Stress bei Mieterwechsel bei der Renditeberechnung oft mit einem Wert von null angesetzt.

F: Flüchten Anleger nicht auch in Randgebiete der Sachwerte?

BF: Absolut. Wir beobachten seit einigen Jahren deutliche Preissteigerungen etwa bei Kunst, bei Oldtimern oder teuren Uhren. Hier hat der Staat sicher weniger Zugriffsmöglichkeiten. Aber das ist nur etwas für ausgewiesene Kenner der jeweiligen Szene.

F: Kommen wir zu den Aktien, zu den klassischen Sachwerten, leider bei den Deutschen nicht sehr beliebt …

BF: Leider. Aktien sind kein wesentlicher Teil der deutschen Investmentkultur. Privatanleger haben erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auf Aktien gesetzt – also sehr spät. Für viele Deutsche war die Ausgabe der Telekom-Titel der Startschuss. Die Werbespots mit dem Schauspieler Manfred Krug haben wir alle noch vor Augen. Aber diese kurze Begeisterung für Aktien kam zum ungünstigsten Zeitpunkt. Es war fast am Ende einer langen Börsenhausse. Dann kamen zwei Börsencrashs innerhalb von acht Jahren: 2000 und 2008 – und vielen Deutschen war der Aktien-Zahn gezogen.

F: Hoffnung für einen neuen Nachfrageboom gibt es auf den ersten Blick keine …

BF: … denn auch das Jahr 2011 hat wenig Freude bereitet. Erst drückte die Reaktorkatastrophe in Fukushima im Frühjahr die Stimmung, dann schlug die eskalierende Schuldenkrise in der Eurozone zu. Trotzdem: In Inflationszeiten waren Aktien lukrativ, dabei half der Staat mit seinen Zwangsmaßnahmen der beschriebenen »Financial Repression« oft mit. Lukrativ heißt hier: Aktien haben besser Werte erhalten als die wichtigste Konkurrenzanlage, die Anleihen. Wir haben das Beispiel der USA ab 1942 schon erwähnt. Aktien lieferten von 1942 bis Ende 1951 einen jährlichen Kursgewinn von 11 %, dazu kamen noch die Dividendeneinnahmen.

F. Das liegt jetzt recht weit zurück. Haben wir ein aktuelleres Beispiel?

PV: Vielleicht erinnern sich manche Leser noch an die Türkei in den hochinflationären 1990er Jahren. Damals betrug die durchschnittliche Geldentwertung am Bosporus pro Jahr für uns Deutsche unvorstellbare 77 %. Am Ende der Dekade waren also die Preise 300-mal so hoch wie am Beginn. Die Jahreszinsen für Monats-Termingelder erreichten nach Angaben der türkischen Notenbank nur 64 %. Damit haben Anleger also real hohe Verluste eingefahren, obwohl der Wert auf das 140-Fache stieg – und Steuer auf die Nominalzinsen fiel auch noch an. Der Aktienmarkt dagegen stieg um durchschnittlich 86 % jährlich oder um den Faktor 580. Entscheidend ist die Bilanz: Mit einer Festgeldanlage ging die Hälfte der Kaufkraft verloren, während man mit Aktien sein Kapital real verdoppelte. Das liest sich heute zwar einfach. Aber damals fiel die Entscheidung schwer. Man musste schon ein klares Weltbild hoher Inflation haben und den Mut besitzen, Aktien zu kaufen. Und eine weitere zweite Parallele zur Lage heute: In der beschriebenen Türkei-Hausse fielen die Kurse dreimal um gut die Hälfte. Wer die Nerven verlor, der hatte das Nachsehen.

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Abbildung 64: Aktien fangen Inflation auf – Türkischer Aktienmarkt während der Hyperinflation in den 1990er Jahren. Quelle: Flossbach von Storch, Bloomberg, Stand: Januar 2012.

F: Aktieninvestment bedeutet immer auch konkrete Titelauswahl. Welche Kriterien muss man in einer Zeit mit zunehmender Inflation ansetzen?

BF: Natürlich stellt eine steigende Inflation, und die Türkei war ein Härtefall, die Unternehmen vor große Schwierigkeiten. Nicht alle sind gut gerüstet. Deshalb haben wir eine eigene Unternehmens-Checkliste entwickelt. Ganz oben steht die Preissetzungsmacht. Ein Unternehmen steht also umso besser da, je einfacher es diese Steigerungen mit den Produktpreisen an die Endkunden weitergeben kann. Gleichzeitig gewinnt das Unternehmen auch umso mehr, je stärker es seine Lieferanten für Zulieferprodukte bei deren Preissteigerungswünschen im Zaum halten kann. Im Idealfall steigt der Gewinn sogar schneller als der Umsatz. Ebenfalls hilfreich ist eine flexible Preisgestaltung beim Absatz, das heißt keine regulierten Preise, keine langen Vertragslaufzeiten zu Festpreisen, keine Anzahlungsgeschäfte ohne Indexierungsklausel.

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Abbildung 65: Nestlé liefert jedes Jahr höhere Dividenden ab. Quelle: Nestlé, Flossbach von Storch.

F: Welche Art von Produkten suchen Sie, welche sollte man besser meiden?

BF: Die Dinge des täglichen Bedarfs werden auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gebraucht. Ihre Preise sind besonders leicht zu erhöhen. Ich denke an Nahrungsmittel und Konsumgüter, wenn man sich nicht im Segment Billigwaren Dumpingschlachten liefert. Typische Unternehmen sind hier die Markenadressen Nestlé, Unilever, L’Oréal, Procter & Gamble oder Coca-Cola. Hier geht es nicht um möglichst hohes Gewinnwachstum. Es geht um stetige und damit gut vorhersehbare Gewinnsteigerungen und sichere, ebenso stetig steigende Dividenden. Favoriten sind auch die Produzenten von Gütern mit Wertaufbewahrungsfunktion. Ich meine Luxusartikel wie wertvolle Uhren oder Bodenschätze. Hier kann Lagerhaltung beziehungsweise eine Verschiebung der Förderung in die Zukunft sogar Werte erhöhen. Beispiel: Bei steigenden Ölpreisen etwa wird die erst in der Zukunft – und nicht heute – verkaufte Fördermenge einen höheren Preis erzielen.

F: Ihre Firmenbeispiele sind international aktive Unternehmen. Liegt hier der vielen Absatzmärkte wegen ein Vorteil?

BF: Eine Streuung der Absatzmärkte und Produktionsorte stellt einen Vorteil dar, weil man damit Preiskontrollen in einzelnen Märkten ausweichen kann. Manche Regierungen werden Preise unter dem Druck der Straße einfrieren. Weitere Kriterien bei der Firmenauswahl sind geringe Verschuldung und eine gute Bilanz. Die Schulden sollten einen bestimmten Anteil am freien Cashflow nicht überschreiten und eine möglichst langfristige Zinsbindung haben. In der Bilanz sind hohe zinslose Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten ebenso vorteilhaft wie geringe Forderungen gegenüber Kunden.

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Abbildung 66: So reagiert die Bilanz: Bilanz-Sensitivitäten in Hochinflationszeiten. Quelle: Flossbach von Storch.

F: Nominalwerte schaden demnach auf der Aktivseite und nutzen auf der Passivseite …

BF: Es ist die Analogie zur Bilanz des Anlegers. Als Investor möchte ich Vermögenswerte, die idealerweise in der Inflation gewinnen. Das sind meine Aktivposten. Das gilt auch für Unternehmen. Nur sind die Sachwerte hier beispielsweise Land, Gebäude, Produktionsanlagen und Vorräte. Beim Anleger sind es Aktien oder auch Edelmetalle. Umgekehrt schaden Nominalwerte auf der Aktivseite. Forderungen, Anleihen oder liquide Mittel werden durch Inflation entwertet. Spiegelbildlich nutzen sie mir auf der Passivseite. Wenn ich als Unternehmer oder Privatmann einen Kredit zu festen Konditionen aufgenommen habe, werde ich durch die Geldentwertung real entlastet. Ich zahle mit fortlaufend geringerwertigem Geld zurück.

F: Ist es so einfach? Schulden machen reicht? Wenn die Inflation kommt, sinkt die reale Schuldenlast. Bei einer Währungsreform wird das Unternehmen sogar entschuldet …

PV: In drei Fällen funktioniert das nicht. Wenn die Schulden zu hoch werden, verlieren die Gläubiger vielleicht das Vertrauen. Das Unternehmen kann sich dann nicht mehr oder nur noch zu viel höheren Zinsen refinanzieren – und fährt im Extremfall gegen die Wand. Es funktioniert auch nicht, wenn es bei einer Währungsreform zu einem Lastenausgleich wie 1948 kommt. Damals schöpfte der Staat bei den Unternehmen die Gewinne ab, die durch die Abwertung der Verbindlichkeiten entstanden waren. Das lief unter dem Stichwort Kreditgewinnabgabe. Deshalb sollte ein Unternehmen keinen zu großen Schuldenberg vor sich herschieben. Und drittens: Wenn der Wert der fremdfinanzierten Anlage fällt. Dies ist vielen Anlegern in geschlossenen Immobilienfonds zum Verhängnis geworden.

F: Bleiben wir bei der Positivauswahl. Geben Sie uns ein Beispiel für ein Unternehmen, dessen Aktien Ihnen gefallen …

BF: Alle unsere Kriterien erfüllt beispielsweise der Schweizer Nahrungsmittelhersteller Nestlé. Wer heute eine zehnjährige Schweizer Staatsanleihe erwirbt, erhält bis Laufzeitende eine Rendite von jährlich knapp 1 %. Damit wird er sein Vermögen so gut wie sicher real schrumpfen. Im Gegensatz dazu erhält der Nestlé-Aktionär eine Dividendenrendite von knapp 4 %. Die nächste Ausschüttung ist im April 2012. Blicken wir nach vorn und machen ein Rechenbeispiel: Nestlé steigert seine Ausschüttung um jährlich 5 %, was weit unter der historischen Wachstumsrate läge. Dann klettert die Dividendenrendite in zehn Jahren, bezogen auf den heutigen Kurs, von knapp 4 auf gut 6 %. Auch der Aktienkurs dürfte steigen. Das wäre ein willkommenes Zubrot.

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Abbildung 67: Aktienrenditen schlagen Anleiherenditen: Jährliche Renditen bezogen auf das Anlagekapital am Beispiel Schweiz, für Nestlé und Staatstitel. Quelle: Flossbach von Storch, Bloomberg, Stand per 30. September 2011.

F: Und wenn der Aktienkurs fällt und den Dividendenvorteil auffrisst?

BF: Ausschließen kann man das nicht. Aber der von uns als Minimum erwartete kumulierte Dividendenertrag von fast 50 % in den nächsten zehn Jahren ist schon satt. Da hat die Eidgenossenanleihe mit mageren 9 % keine Chance. Die Aktie hat einen Vorsprung von gut 40 %. Das ist eine komfortable Sicherheitsmarge. So viel tiefer dürfte die Nestlé-Aktie in zehn Jahren wohl kaum stehen, selbst dann nicht, wenn die Konjunktur ein langes Tal der Tränen durchlaufen würde. Diese Rechnung haben wir beispielhaft mit verschiedenen Aktien aus unterschiedlichen Währungsräumen angestellt. Einen kleinen Ausschnitt zeigt die Grafik.

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Abbildung 68: Der Aktienvorteil ist international: Kumulierte Dividendenrenditen und Staatsanleiherenditen nach zehn Jahren, bezogen auf das Anfangskapital, Quelle: Flossbach von Storch, Bloomberg, Daten per 30. September 2011.

F: Heute reden wir wieder über Dividenden. Es war lange vergessen, dass die Ausschüttungen für die langfristige Kapitalvermehrung sogar entscheidend sind …

PV: Das sind wohl noch die Nachwirkungen von mehreren Jahrzehnten Aktienhausse seit Beginn der 1980er Jahre bis zur Jahrtausendwende. Die Kursgewinne standen im Vordergrund, gerade bei sogenannten Wachstumswerten. Das ganze Thema Dividende rückte in den Hintergrund. Völlig zu Unrecht. Langfristige Studien etwa für den amerikanischen Aktienmarkt belegen: Über die Hälfte des Wertzuwachses für den Anleger stammt aus den Ausschüttungen.

F: Es gibt sicher auch Aktien, von denen man besser die Finger lässt …

BF: Richtig, Aktie ist nicht gleich Aktie. Inflation wird ganz unterschiedlich auf die einzelnen Unternehmen und deren Aktienkurse durchschlagen. Kommen wir zu den Negativbeispielen. Ein Klassiker sind seit langem die Finanzwerte. Bankaktien leiden unter den Verwerfungen an den Kapitalmärkten und einem viel zu starken Fremdkapitaleinsatz besonders. Sie haben viel zu niedrige Eigenkapitalquoten, die sie nur langsam verbessern können, ohne die Aktionäre zu verwässern. Schlecht stehen auch Unternehmen mit hoher Verschuldung im Vergleich zum Cashflow da, gerade wenn sie diese Schulden kurzfristig refinanzieren müssen. Anfällig sind außerdem Firmen aus extrem zyklischen Branchen wie Stahl oder Luftfahrt.

F: Sie halten Aktien für einen guten Inflationsschutz. Sind Dividendenwerte auch preiswert, gerade im Verhältnis zu Anleihen?

BF: An der Wall Street kommen wir für die Gewinn- beziehungsweise Unternehmensrendite auf 7,5 %, das ist das umgekehrte Kurs-Gewinn-Verhältnis. Die Anleiherendite liegt dagegen nur bei knapp 2 % für US-Staatsanleihen. Der Renditevorsprung der Unternehmen vor Staatsanleihen ist mit fast 6 % noch nie so groß gewesen wie heute, jedenfalls nicht seit Anfang der 1950er Jahre.

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Abbildung 69: Aktien interessanter als Anleihen: Rendite 10-jähriger Bundesanleihen gegenüber Unternehmerrendite des DAX30. Quelle: Flossbach von Storch, Bloomberg, Daten per 17. Februar 2012.

F: Ein Blick nach vorn: Entscheidend sind die Gewinnmargen. Ist da nicht Vorsicht geboten?

BF: Mit dem Kauf einer Aktie erwerben wir natürlich nicht die vergangenen Gewinne, sondern die zukünftigen. Entscheidend ist die Entwicklung der Unternehmensumsätze und Gewinnmargen. Kernkennziffer ist die sogenannte EBIT-Marge. Sie setzt den Gewinn vor Zinszahlungen und Steuern ins Verhältnis zum Umsatz. Die Umsätze entwickeln sich ähnlich wie das Sozialprodukt, sollten also von Inflation profitieren. Allerdings schwanken die Margen je nach Branche und Unternehmen sehr stark. Veränderungen der EBIT-Margen schlagen vor allem bei konjunktursensiblen Unternehmen viel stärker auf den Gewinn durch als Umsatzveränderungen. Die Gewinnmargen der Firmen in den USA wie auch in Deutschland haben neue historische Höchstwerte erreicht.

F: Mahnt das nicht eher zur Vorsicht, nach dem Motto: Die Margen könnten sich eher normalisieren und damit fallen …

BF: Man darf nie die beste aller Welten einkalkulieren, sondern muss ein Sicherheitspolster einbauen. Wir unterstellen in unserem Rechenmodell für die fairen Werte konjunktursensibler Aktien immer nur die durchschnittlichen Margen der letzten Jahre – einfach aus Sicherheitsgründen.

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Abbildung 70: Europa-Aktien günstiger als Wall-Street-Titel: Kurs-Gewinn-Verhältnis des MSCI Europa und S&P 500. Quelle: Datastream, Credit Suisse/IDC.

F: Apropos Lehren aus der Finanzkrise. Sie haben bis jetzt über die Chancen mit Aktien gesprochen. Aber wo stecken die Risiken?

BF: Es gibt eine ganze Reihe davon. Um mit dem letzten Punkt anzufangen: Die Finanzkrise ist längst nicht ausgestanden. Ohne die riesigen Kredite mit extrem niedrigen Zinsen, die die Banken von der EZB erhalten, würde das Finanzsystem kollabieren. Die Banken und mittelbar auch die Staaten hängen am Tropf der EZB. Die latenten Risiken bei den Banken bleiben hoch. Deshalb meiden wir Bankaktien. In den Bilanzen stecken große stille Lasten oder sie sind äußerst undurchsichtig. Die Gewinnperspektiven trüben sich immer weiter ein. Gründe sind die schärferen Eigenkapitalanforderungen, wachsende Regulierung, potenzielle Klagerisiken und risikofreudige Manager. Keine andere Branche hat langfristig ein so schlechtes Chance-Risiko-Profil wie der Banksektor. Die schon erwähnte schlechte Kursentwicklung der Branchenwerte ist ja kein Zufall.

Allerdings kann sich der Bankensektor über historisch einmalige Hilfen freuen. Ich meine vor allem den Drei-Jahre-Tender der EZB. Die Banken konnten sich zu 1 % für drei Jahre so viel Geld leihen, wie sie wollten. Das ist quasi die Lizenz zum Gelddrucken. Wenn die Banken sich nicht dumm anstellen, dürften sie mit den im Dezember 2011 und Februar 2012 geliehenen gut 1.000 Milliarden Euro mindestens 60 Milliarden Euro Gewinn machen. Sie müssen nur das Geld in höher verzinsliche Staatsanleihen investieren. Dieser »Sarkozy Trade« ist eine staatlich gewollte, ja geradezu oktroyierte Form von Moral Hazard.

F: Wie steht es um die globalen Risikofaktoren?

PV: Die wesentlichen haben wir mit der ungelösten Staatsschuldenkrise, dem geringen Wachstum in den Industrieländern, möglicherweise fallenden Gewinnmargen genannt. Beim Blick über die Welt bleiben viele Fachleute in China hängen. Aber das Risiko eines Konjunktureinbruchs dort mit seinen Belastungen für die Weltwirtschaft ist eher taktischer denn strategischer Natur.

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Abbildung 71: Emerging Markets schwanken stark: Relative Wertentwicklung von Dax und MSCI Emerging Markets. Quelle: Bloomberg.

F: Trotzdem ein Wort zu den Schwellenländerbörsen, die manche Experten als Anlageregion der Zukunft preisen …

PV: Die Unternehmensgewinne und die Cashflows bleiben weit hinter dem Sozialprodukt zurück. Das spiegeln die Kurse an den Emerging Markets noch nicht ausreichend wider. Auch werden Unternehmen oft für Ziele der Regierung missbraucht. Der Staat regiert in sie hinein. Wir halten uns deshalb dort zurück. Die unkritische Expertenempfehlung pro Schwellenländeraktien aus früheren Jahren und auch heute noch kann man so nicht mehr stehen lassen. Sicher, vor ein paar Jahren waren die Bewertungen deutlich günstiger als in den Industrieländern; der Anteil der großen BRIC-Länder mit Brasilien, Russland, Indien und China am Welt-Börsenwert war kleiner als der am Welt-Sozialprodukt. Das hat sich aber inzwischen geändert: Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse liegen heute nahe der Gesellschaften aus den etablierten Ländern; der BRIC-Anteil am globalen Börsenwert hat keinen Nachholbedarf mehr gegenüber seinem Anteil am Sozialprodukt.

F: Dennoch fließt weiterhin sehr viel Geld in die Schwellenländer …

PV: Darin ist auch sehr viel Spekulation enthalten. Die Null-Zins-Politik in den Industrieländern ist daran mitschuldig. Sie hat Anlagegelder in die Länder mit höher verzinslichen Währungen gelenkt. Gewinner waren beispielsweise die indische Rupie und der brasilianische Real. Indien halten wir wegen seiner schwachen Infrastruktur und seiner extremen Korruption für den am stärksten überschätzten Markt. Und der Konjunkturstar China? Gemessen an den Börsenkursen der vergangenen Jahre eine ziemliche Katastrophe.

Gold glänzt

F: Der reinste und älteste Sachwert ist Gold. Außerdem als Werterhalt seit Jahrtausenden bewährt. Ist das der Grund, warum Sie in Ihrem Mischfonds Anfang 2012 ungefähr 15 % des Vermögens in Gold angelegt haben?

BF: Heute fällt es fast schon schwer, alle Argumente pro Gold aufzuzählen, so viele sind es. Fangen wir mit der Finanzkrise und einer Betrachtung aus der Vogelperspektive an. Gold hat als ultimative Währung seit vielen Jahrtausenden alle Finanzkrisen überstanden. Dagegen können wir die Währungen, die untergegangen sind, gar nicht zählen. Ein Geldschein hat eigentlich keinen Wert. Er lebt vom Vertrauen aller jener, die ihn akzeptieren. Exzessive Schuldenpolitik mit Inflation im Gefolge entwertet aber das Geld. Sie höhlt deswegen dieses Vertrauen aus. Gold ist im Gegensatz dazu nicht beliebig vermehrbar und damit auch nicht inflationierbar. Es wird von keiner Notenbank ausgegeben. Es hat auch kein Gegenparteirisiko. So gesehen ist der steigende Goldpreis kein Wunder: Im Vergleich zu dem explosionsartigen Anstieg der Geldmenge seit Herbst 2008 ist der Goldpreis weit unterproportional gestiegen. Der Goldpreis hat gegenüber den Papierwährungen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gewonnen. Umgekehrt formuliert, Papiergeld wird immer weniger wert. Das zeigen Berechnungen eindrucksvoll. Wichtig ist, dass die Opportunitätskosten von Gold, also der Zinsverzicht, den eine Anlage im zinslosen Edelmetall belastet, so niedrig ist wie nie zuvor.

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Abbildung 72: Anstieg Bilanzsumme der US-Notenbank und Goldpreis. Quelle: FvS Research, Bloomberg, Stand Dezember 2011.

F: Gold als das bessere und vielleicht sogar beste Geld – ein faszinierender Ansatz. Gerade dann, wenn man das Handeln von Politikern und Notenbankern eher skeptisch betrachtet …

PV: Der Dramatiker George Bernard Shaw hat gesagt: »Sie haben die Wahl zwischen der natürlichen Stabilität des Goldes und der Ehrlichkeit und Intelligenz der Politiker. Und mit dem Respekt für diese Herren, rate ich Ihnen, solange das kapitalistische System besteht, Gold zu wählen.« Dem ist nichts hinzuzufügen. Shaw sagt genau das: Gold ist das bessere Geld. Schon 3.000 Jahre vor der Gründung der ersten Notenbank hatte es diesen Charakter. Bis 1914 war eine volle Golddeckung für jede wichtige Weltwährung selbstverständlich. Bis 1933 war der Dollar durch Gold gedeckt. Bis 1971 bestand noch eine Teildeckung. Dann hob Präsident Richard Nixon diese auf. Danach gab es weltweit keine Schranke für das Drucken von Geld mehr.

Mit Weitblick

»Gold ist ein Schutz vor ausufernden Staatsdefiziten und damit verbundenen Krisen an den Finanzmärkten. Wenn die Bonität von Staatsanleihen in Frage gestellt wird, übernimmt Gold die Funktion des sicheren Hafens.«

Flossbach von Storch, »Roadmap 2020«, November 2004.

»Wenn Gold von einer größeren Anlegergruppe als ultimativer Schutz gegen das Risiko einer eskalierenden Finanzkrise verstanden wird und – wie bei uns seit Jahren – elementarer Bestandteil der Vermögensstruktur wird, dürfte der Preis das heutige Vorstellungsvermögen überschreiten. Wir haben den jüngsten Kursrückgang daher zu Aufstockungen der Goldquote genutzt.«

Flossbach von Storch, Quartalsbericht 3/2008.

F: Was sehr wahrscheinlich in Inflation endet – wie Sie glauben. Nur einmal theoretisch: Was würde passieren, wenn wir doch das Gegenteil erleben, eine Deflation, sinkende Preisniveaus?

PV: Es ist ein großer Vorteil, dass Gold auch in diesem Fall Werte erhält. Historisch gesehen waren in solchen Phasen Rohstoffe Verlierer. Nur die Edelmetalle haben gewonnen, vor allem Gold. Warum? Solvenzrisiken und extrem niedrige Zinsniveaus prägen solche Zeiten. Beides ist gut für Gold.

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Tabelle 11: Gold gewinnt bei starker Deflation. Quelle: Roy Jastram, The Golden Constant, ders., Silver, the Restless Metal, Erste Group Research.

F: In der Finanzkrise hat sich der Goldmarkt stark gewandelt, sowohl auf der Angebots- als auch der Nachfrageseite …

PV: Und da finden wir einfache Gründe für die Preissteigerungen der vergangenen Jahre. Die Notenbanken sind die wichtigsten Goldbesitzer. Sie haben lange Zeit ihre Bestände kontinuierlich gesenkt, mehrere Hundert Tonnen pro Jahr verkauft. Das hat den Preis tief gehalten. Im Jahr 2010 jedoch hat das Bild gedreht. Die Notenbanken wurden per Saldo zu Nettokäufern. Wir erinnern uns an die großen Goldkäufe der Notenbanken von China, Indien, Mexiko. Sogar die Notenbanken beginnen ihr Vertrauen in reine Papierwährungen wie den Dollar oder Euro zu verlieren. Das ist ein klares Signal und ein Paradigmenwechsel am Goldmarkt.

F: Kann das Angebot nicht entsprechend ausgeweitet werden?

BF: Nein, die Minenproduktion ist träge, kann nicht schnell erhöht werden. Von der Lagerstättensuche über die nötigen Investitionen nach der Entdeckung einer Fundstelle bis hin zur Mineneröffnung dauert es viele Jahre. Unter diesen Begrenzungen macht die wachsende Nachfrage den Preis. Wir sprechen vor allem über die Nachfrage von Investoren – neben den Notenbanken. Es sind sowohl private als auch institutionelle Anleger. Entscheidend ist hier: Diese Gruppen sind bisher noch kaum in Gold investiert. Es ist nicht zu glauben, auch nach einem Jahrzehnt einer spektakulären Hausse sind die Investoren in der Breite nicht auf den Zug aufgesprungen.

F: Es muss eine Erklärung für dieses Phänomen geben. Was vermuten Sie?

BF: Zwei Jahrzehnte lang bis zur Jahrtausendwende war Gold der Verlierer. In den 1970er Jahren kam praktisch kein Depot ohne Edelmetalle aus. Aber dann startete die Wertpapierhausse. In den Köpfen ist die bis heute drin. Und deshalb hat sich Gold immer noch nicht durchgesetzt. Erst allmählich setzt ein Umdenken ein. Ich sehe keine Goldeuphorie, die dann schon das Ende des Booms ahnen lassen würde. Davon sind wir weit entfernt. Wenn sich vor den Metall-Handelshäusern schon früh am Morgen lange Schlangen von Interessenten bilden, die auf Öffnung der Geschäfte warten, weil sie noch Barren und Münzen kaufen wollen, steht die Blase vor dem Platzen. So ähnlich war es auch vor zwölf Jahren am Ende des Neue-Markt-Booms. Das Thema war allgegenwärtig. Ob in der U-Bahn oder im Fitness-Center. Überall wurden die neuesten Aktientipps ausgetauscht.

F: Zurück in die Gegenwart. Auf welche Größenordnungen können wir die Bestände der Investoren schätzen?

PV: Ich will zum Vergleich noch einmal die 1970er Jahre bemühen. Damals galt eine Goldquote von mindestens 10 % im Depot als absolut üblich. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Nach Zahlen der Steinbeis-Hochschule in Berlin halten die deutschen Privathaushalte nur rund 3 % ihres Vermögens in Gold.

F: Es gibt immerhin einzelne Geschichten über Deutsche, die ihr Haus verkauft und den ganzen Erlös in Gold investiert haben …

BF: Mag sein, aber das ist wohl eher die Ausnahme.

F: Was ist denn mit großen institutionellen Anlegern?

PV: Bei institutionellen Investoren rund um den Globus ist der Anteil noch weit geringer als bei den privaten. Nehmen wir als Beispiel die großen US-Pensionsfonds mit einem Vermögen von etwa 30 Billionen Dollar. Nach Rechnung des Leiters einer dieser Pensionsfonds halten die Kapitalsammelstellen marginale 0,15 % ihres Vermögens in Gold. Ähnlich sind die Verhältnisse bei anderen Großinvestoren, bei Versicherungen, Hedge-Fonds und Staatsfonds.

F: Schaut man auf das rechtliche Korsett, in das Institutionelle oft gezwungen werden, erscheinen viele Mini-Anteile in einem ganz anderen Licht …

PV: Staat und Aufsichtsbehörden verhindern höhere Goldallokationen. Im Rahmen der neuen Eigenkapitalanforderungen für Versicherungen werden beispielsweise unsinnig hohe Unterlegungen für Goldanlagen gefordert.90 Sollte das so umgesetzt werden, wäre es ein zusätzlicher Nachteil für die Versicherungen. Eine Anekdote am Rande: Die niederländische Zentralbank hat einen Pensionsfonds in ihrem Land mit einer 13-prozentigen Goldquote gezwungen, diesen Anteil auf einen minimalen Restbestand abzuschmelzen. Sie hat mit dem hohen Risiko argumentiert.91 Stattdessen soll der Fonds lieber niederländische Staatsanleihen erwerben. Diese Titel sind nominell risikolos. Was dann davon in zehn Jahren real noch übrig ist, werden wir sehen.

F: Die größten Besitzer sind die Notenbanken …

BF: Einen entscheidenden Schub könnte China auslösen. Es hat an seinen gigantischen Devisenreserven von 3,2 Billionen Dollar nur einen Anteil von rund 1,5 % in Gold, offiziell etwas über 1.000 Tonnen. Verglichen mit der US-Notenbank oder der EZB ist das verschwindend wenig. Die halten knapp 75 beziehungsweise fast 72 % ihrer Reserven in Gold. Und China will seine Abhängigkeit vom US-Dollar verringern. Große Teile der Reserven stecken in US-Staatsanleihen. Diese Abhängigkeit ist den Chinesen wegen der wachsenden Zweifel an der amerikanischen Bonität schon lange ein Dorn im Auge.

Offizieller Goldbesitz der nationalen Notenbanken weltweit, Stand Januar 2012

Tonnen

% der Reserven

1

Vereinigte Staaten

8.133,5

76,9 %

2

Deutschland

3.396,3

74,2 %

3

IWF

2.814,1

k.A.

4

Italien

2.451,8

73,9 %

5

Frankreich

2.435,4

73,7 %

6

China

1.054,1

1,8 %

7

Schweiz

1.040,1

16,8 %

8

Russland

873,6

9,6 %

9

Japan

765,2

3,3 %

10

Niederlande

612,5

63,0 %

Tabelle 12: Top Ten der Goldbesitzer: Offizielle Goldbestände der Notenbanken und prozentual an den Währungsreserven. Quelle: World Gold Council.

F: Wie groß ist das Potenzial der Nachfrage der chinesischen Notenbank?

PV: Enorm, wenn man sich die unterschiedlichen Goldquoten noch einmal vor Augen führt. Der bekannte amerikanische Ökonom David Hale schätzt, dass die chinesische Notenbank in den kommenden Jahren ihren Bestand verzehnfachen wird. Die jährliche Minenförderung liegt etwa bei 2.500 Tonnen. Allein China müsste dann die vierfache Jahresproduktion aufkaufen. Was das für den Preis bedeuten würde, kann man sich leicht ausrechnen.

Aber es ist nicht nur der Staat. Vor allem Privatanleger aus den Schwellenländern, insbesondere China und Indien, treiben mit ihrer Nachfrage nach Schmuck, Münzen und Barren den Goldpreis weiter hoch.

F: Ein wichtiges Argument gegen die Goldanlage war immer: Gold zahlt keine Zinsen …

BF: Das zieht nicht mehr. Auch Bankeinlagen und erstklassige Anleihen zahlen nominal fast keine Zinsen mehr. Wie wir errechnet haben, leben wir in Zeiten negativer Realzinsen. Das waren auch historisch betrachtet immer optimale Perioden für die Goldanlage. Gold hat keine Konkurrenz durch vertrauenswürdige Zinsanlagen. Man kann sogar sagen: Negative Realzinsen sind eines der stärksten Argumente pro Gold. Die negativen Realzinsen werden uns auch länger erhalten bleiben. Wir haben schon besprochen, dass Notenbanken keine Wahl haben: Sie müssen auch bei wachsender Inflation die Zinsen tief halten, damit die Staatsschuldenquoten nicht noch stärker aus dem Ruder laufen.

F: Der Goldpreisaufschwung hat in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen. Stehen wir vielleicht noch vor einer Beschleunigungsphase?

PV: Ausschließen will ich das nicht. Der Druck von Investorenseite wird zunehmend spürbar. Immer mehr Anleger decken sich ein. Deshalb fallen die Preiskorrekturen in den vergangenen Jahren bescheiden aus. Die Nachfrage nach physischem Metall führte teilweise schon zu Lieferverzögerungen. Das haben wir in den vergangenen Jahren nach der Lehman-Pleite mehrere Male festgestellt. Auf jeden Fall ist der Bullenmarkt intakt.

F: Unter den Gold-Anhängern machen teilweise exotische Preisprognosen die Runde. Was erwarten Sie?

BF: Auf jeden Fall höhere Notierungen. Wann und wo das Ende erreicht ist, lässt sich schwer sagen. Das inflationsbereinigte Preishoch aus dem Jahre 1980 von damals rund 850 Dollar liegt heute bei etwa 2.300 Dollar. John Williams von Shadow Government Statistics kommt allerdings zu anderen Ergebnissen, wenn er die Inflation nach früheren Berechnungsmethoden zugrunde legt. Seiner Rechnung nach würde das damalige Hoch einem heutigen Preis von mehr als 7.000 Dollar entsprechen. Man kann hier viele Kalkulationen vornehmen. Seit Freigabe des Goldpreises im Jahr 1971 waren durchschnittlich 4,6 % der US-Schulden durch die Goldvorräte der USA gedeckt. Am Ende der großen Goldhausse 1980 waren es sogar 25 %. Heute sind es lediglich 2,8 %. Die historische Durchschnittsdeckung würde heute einem Preis von 2.600 Dollar entsprechen. Für den Spitzenwert wären es sogar über 14.000 Dollar.

F: In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer lange Zyklen, in denen entweder Gold oder Aktien gut abschnitten. Wäre danach nicht Gold den Aktien in der absehbaren Zukunft weiter überlegen, wie schon seit Beginn des Jahrtausends?

PV: Das relative Verhältnis von Goldpreis und dem US-Aktienindex Dow Jones zeigt tatsächlich einen einprägsamen langfristigen Trend. Tiefpunkte gab es in den Jahren 1932 und 1980. Dort lag der Quotient aus Dow und Gold bei 2 beziehungsweise 1,2, im Oktober 2011 bei 8. Auch aus dieser Sicht hat der Goldpreis also noch viel Luft, denn an einen Kollaps des US-Aktienmarktes auf ein Niveau von 3.000 oder 4.000 glauben wir nicht.

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Abbildung 73: Verhältnis des Dow Jones zum Goldpreis. Quelle: Datastream, Credit Suisse/IDC.

F: Der Vergleich Gold und Aktien hat seine Reize. Gerade auch dann, wenn man annimmt, dass der Goldzyklus in einer Blase enden wird …

BF: Das wäre ein plausibles Ablaufschema. Wo das enden kann, dafür haben wir ein Beispiel gerade gerechnet. Wir können aber auch die Neue-Markt-Blase zur Jahrtausendwende als Muster nehmen. Der Neue Markt oder das US-Äquivalent, die Technologiebörse NASDAQ, endete ebenfalls in einer Blase. In den letzten fünf Monaten vor dem Platzen gewann die NASDAQ sage und schreibe 84 %. Eine spekulative Überhitzung endet in immer schärferen Preisschüben. Eine ähnliche Entwicklung beim Gold wie bei der NASDAQ würde den Metallpreis am Top auf 3.500 Dollar je Unze bringen.

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Abbildung 74: Die Goldpreisblase steht uns erst bevor! Indexierter Kursverlauf NASDAQ und Goldpreis ab 2001. Quelle: Flossbach von Storch, Bloomberg, Daten per 11. Oktober 2011.

F: Es wäre nicht das erste Ende einer Hausse. Nehmen wir das Beispiel von Anfang 1980 …

PV: Wir müssen nur den Preisverlauf in den Wochen vor der Trendumkehr im Winter 1979/1980 betrachten: Am 27. Dezember 1979 überwand der Goldpreis mit 508,75 US-Dollar erstmals die Marke von 500 US-Dollar. Am 21. Januar 1980 notierte Gold am London Bullion Market mit einem Rekordstand von 850 US-Dollar. Am selben Tag wurde an der New Yorker Terminbörse COMEX im Handelsverlauf ein Höchststand von 873 US-Dollar erzielt. Das nominale Allzeithoch markierte das Ende eines zehnjährigen Aufwärtstrends und hatte für 28 Jahre Bestand.

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Abbildung 75: Goldpreis in US-Dollar. Quelle: Bloomberg.

F: Gold hat eine geradezu magische Anziehungskraft. Aber was ist mit Silber, einem Edelmetall, das auch das Sachwertprofil aufweist?

PV: Silber profitiert ebenso wie Gold vom Vertrauensverlust in die Papierwährungen. Es ist wohl auch kein Zufall, dass der Silberpreis seit August 2010 stark gestiegen ist, als die geldpolitischen Lockerungen in den USA angekündigt wurden. Aber jetzt zu den Einschränkungen. Silber ist weit mehr als Gold ein Industriemetall, damit auch stärker von der Konjunkturlage abhängig. Das hat man gerade im September 2011 sehr eindrucksvoll verfolgen können. Wie andere Rohstoffe kam auch Silber wegen neuer Konjunktursorgen deutlich unter Druck. In gewisser Weise ist Silber also eine Wette auf einen Wirtschaftsboom in den Schwellenländern. Von der Angebotsseite her gesehen ist das Metall vielleicht sogar interessanter als Gold, denn das von der Industrie verwendete Silber geht verloren. Im Gegensatz zu Gold lohnt wegen des geringen Preises ein Recycling nicht. Und Notenbanken halten keine strategischen Silberreserven.

F: Wie verhalten sich die Investoren?

BF: Für Privatanleger ist das eine Ergänzung zum Goldbestand. Münzen und Barren sind auch wegen des geringeren Unzenpreises leichter erschwinglich, will man kleinere Beträge anlegen – sieht man einmal von der Belastung mit der Mehrwertsteuer ab. Aber die Investmentnachfrage ist im Vergleich zum Gold noch gering. Institutionelle Anleger haben hier Probleme. Sie meiden den Markt, weil er weit kleiner ist als der auch schon kleine Goldmarkt. Deshalb schwanken die Preise auch wesentlich stärker.

F: Gibt es Risiken beim Goldbesitz? Manche Besitzer haben Angst vor einem Goldverbot. Alles schon einmal dagewesen …

PV: Das sehe ich heute noch nicht. Sie denken an Amerika. Präsident Franklin D. Roosevelt hatte ab 1929 mit der Weltwirtschaftskrise zu tun. Er verbot 1933 den privaten Besitz von Gold. Die Amerikaner mussten ihr Gold gegen 20,67 Dollar je Unze abgeben. Man konnte Münzen und Geldnoten nicht länger gegen Gold eintauschen, wie das vorher möglich war. Knapp ein Jahr später wurde die Goldparität auf 35 Dollar je Unze festgelegt. Ein Tausch von Dollar in Gold war nur noch im Handel zwischen Staaten möglich.

F: Damals ging es den Berichten nach ziemlich rabiat zu …

PV: Wer trotzdem Gold behielt, musste mit 10.000 Dollar Strafe oder bis zu zehn Jahren Haft rechnen. Wer in Verdacht geriet, das Verbot zu missachten, dem wurden die Bankfächer aufgebrochen. Es gab nur aus einem Grund so wenig Widerstand gegen die Zwangsmaßnahme: Die Freigrenze war hoch angesetzt. Außerdem war die Not groß. Viele Menschen kämpften um ihr Überleben. Deshalb tauschten sie meist freiwillig. Sie mussten ja essen. Die wenigen Reichen mit Goldbesitz hatten ihr Metall oft schon außer Landes gebracht.

F: Dieses Verbot bestand sehr lange …

BF: Im Jahr 1971 hatte US-Präsident Richard Nixon das Bretton-Woods-Währungssystem mit seiner Goldbindung aufkündigen müssen. Sein Nachfolger Gerald Ford erlaubte dann 1974 Privaten wieder den Goldbesitz. Und der Vollständigkeit halber: In der Neuzeit gab es auch besondere Formen von Goldabgaben. Während der Asienkrise 1997 und 1998 verkauften oder spendeten viele Südkoreaner ihren Goldschmuck, um bei der Rettung des angeschlagenen Staates zu helfen. Aber eines muss uns Gold-Investoren bewusst sein: Wenn die breite Bevölkerung Gold als Alternativwährung zu Euro oder US-Dollar entdeckt, dann wird ein Goldverbot natürlich auch bei uns wahrscheinlicher. Von einer solchen Situation sind wir momentan aber noch meilenweit entfernt. Gold ist noch längst keine Anlage mit massenhafter Verbreitung.

F: Heute gibt es natürlich keine Währung mit Golddeckung mehr …

BF: Das würde den Politikern beim Geldausgeben Zügel anlegen. Das will von ihnen natürlich kaum einer. In Krisenzeiten ist es aber das beste Zahlungsmittel. Sogar der früherer US-Notenbankpräsident Alan Greenspan hat das einmal zugegeben. Er sagte: »In Extremlagen wird ungedecktes Geld von niemandem akzeptiert, Gold wird immer akzeptiert und ist das ultimative Zahlungsmittel.«

F: Es gibt große Diskussionen über die Art und Weise von Metallinvestments. Im Zentrum steht die Frage: Physisches Metall oder unterlegte Anlagen, bekannt als ETCs oder ETFs?

BF: Das physische Metall als Barren oder Münze ist immer erste Wahl. Wer will, kann es auch bei einer vertrauenswürdigen Stelle im Ausland lagern. Wir reden über Länder, von denen man annehmen kann, dass dort die Eigentumsrechte auch in fernerer Zukunft noch garantiert sind. Zertifikate von Banken sind nur an die Metallpreise gekoppelt und liefern die Wertentwicklung in einer Währung. Da habe ich keinen Anspruch auf das Metall, bin außerdem mit dem Emittentenrisiko konfrontiert. Die erwähnten ETCs sind letztendlich auch nur Anleihen, mögen sie gegen das Insolvenzrisiko des Emittenten nun besichert sein oder nicht, mögen sie ein Auslieferungsrecht beinhalten oder nicht. Wir wollen als Vermögensverwalter das Metall besitzen. Es ist ja ganz einfach: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf der Titanic nach dem Rammen des Eisbergs. Jemand stellt Sie vor die Wahl zwischen einem Rettungsboot und einem Anspruchsschein auf spätere Lieferung eines Rettungsbootes. Wofür entscheiden Sie sich?