Der diskrete Charme der Inflation

Wir haben die Inflation im Zusammenspiel mit den finanziellen Folterinstrumenten des Staates als wahrscheinlichsten Weg aus dem Schuldendilemma beschrieben. Jetzt stellen uns Skeptiker natürlich immer wieder die Frage: »Wo bleibt denn Eure Geldentwertung?«

Die offiziellen Inflationsraten von unter 3 % in Deutschland scheinen eindeutig zu sein. Inflation ist keine große Gefahr. Preisinflationsraten wie in den 1970er Jahren mit ihren Ölkrisen kann sich momentan kaum ein Bürger vorstellen. In den USA war die Geldentwertung zweistellig, bei uns lag sie deutlich über 5 %. Seit den 1980er Jahren sinken beispielsweise in den USA die Inflationsraten stetig. Eine Entwertung zwischen 2 und 3 % pro Jahr scheint wirklich kein Grund zur Panik zu sein. Das sind aber die offiziell veröffentlichten Zahlen. Die Wirklichkeit kann ganz anders aussehen, denn Statistik ist bekanntermaßen ein Fach, mit dem man viele Ergebnisse erzielen kann.

Schulden schrumpfen wie von selbst

Aber wie viel ist tatsächlich dran an den Vermutungen über teilweise geschönte offizielle Inflationsraten? Eine ganze Menge. Doch wir reden über subtile und von einer breiten Öffentlichkeit schwer durchschaubare Praktiken. In Argentinien liegt die Geldentwertung offiziell bei 10 %, obwohl sie realistischerweise eher 25 % beträgt.84 In Russland ist die Situation ähnlich.

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Abbildung 49: Der Argentinische Peso entwertet viel schneller als es der offiziellen Inflationsrate entspricht. Quelle: iststockphoto.com

Aber wir sprechen hier nicht nur über Schwellenländer. Auch amerikanische Experten wie John Williams von Shadow Government Statistics (SGS) gehen davon aus, dass die tatsächliche Geldentwertung in den USA nicht, wie offiziell ausgewiesen, deutlich unter 5 % liegt, sondern zweistellig ist. Dienen solche Verschleierungen der Realität nur zur Volksberuhigung? Der Staat hat ein hohes Interesse, die offizielle Geldentwertungsrate so niedrig wie möglich auszuweisen. Die Entwicklungen von Löhnen, Pensionen und Mieten sind nämlich häufig an Verbraucherpreisindizes gekoppelt. In den USA passt das Regierungsbüro zur Berechnung der Indizes außerdem den Warenkorb an neue Konsumgewohnheiten an. Das erlaubt zusätzliche Manipulationen. Außerdem gelten Qualitätssteigerungen bei Produkten als preissenkend, ein typischer Fall dafür sind Computer. Die tatsächlichen Preise können dabei die gleichen bleiben oder steigen. Und dann gibt es noch eine versteckte Inflation: Unternehmen senken bei gleichem Preis einfach den Inhalt in ihren Produktverpackungen, sei es nun Käse oder Eiscreme. Im Gegensatz zu den entwickelten Volkswirtschaften ist in den Schwellenländern die Gefahr der Inflation jedermann bewusst.

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Abbildung 50: Unterschiedliche Inflationsraten in den USA: Offizielle Geldentwertung und inoffizielle des Shadow Government Statistics. Quelle: shadowstats.com

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Abbildung 51: Konsumentenpreise in den BRIC-Ländern. Quelle: Bloomberg, Credit Suisse/IDC.

Dort verdrängt das Problem der Nahrungsmittelpreise im Extrem alles andere. Menschen mit geringem Einkommen geben einen viel höheren Anteil ihres Lohnes für Lebensmittel aus. Im Jahr 2008 haben wir aus genau diesem Grund schon einmal soziale Unruhen in vielen dieser Länder erlebt, und auch jetzt ist die Lage noch brisant. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) errechnet einen weltweiten Nahrungsmittelindex. Und der hat im Jahr 2011 mehrere Male Rekordhöhen erreicht. Manche Nahrungsmittelpreise sind in kurzer Zeit um die Hälfte oder mehr gestiegen. Das zeigt: Bei der Inflation ist Druck im Kessel.

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Abbildung 52: Essen, so teuer wie nie: monatlicher Index der Nahrungsmittelpreise der Vereinten Nationen. Quelle: Food and Agriculture Organization of the United Nations, Stand: per Januar 2012.

Wir leben in Deutschland. Aber auch bei uns gibt es Bereiche, in denen die offiziellen Werte die Wirklichkeit unterschätzen. In der Gastronomie bezahlen wir heute für Speisen und Getränke in Euro etwa den Betrag, den wir vor der Einführung des Euro in D-Mark gezahlt haben. Daraus kann man eine Steigerung von etwa 6 % pro Jahr ableiten. Wir haben einen Test durchgeführt und einen Index für Preise von Zeitungen und Zeitschriften gebildet. Diese Waren sind über die Jahre im Gegensatz zu Computern und Autos weitgehend unverändert geblieben. Der Preis einer Zeitung wird auch nicht durch die Herstellung in Asien gedrückt, im Gegensatz etwa zu Spielzeug oder T-Shirts. Er spiegelt also Lohn- und Rohstoffkostenentwicklungen viel realistischer wieder. Bis vor drei Jahren sind die Preise um jährlich 3 % gestiegen, seit 2007 mit einer Jahresrate von 5 %. Am augenscheinlichsten ist derzeit die Inflationsgefahr bei den Benzin- und Heizölpreisen zu erkennen. Preise von 2 Euro für den Liter Superbenzin dürften schon bald erreicht sein und die offizielle Inflationsrate in Frage stellen.

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Abbildung 53: Deutsche Inflationsraten seit den 1970er Jahren. Quelle: Bloomberg.

Es gab natürlich auch Gegenkräfte. Das waren die billigen Einfuhren aus Asien und die nur leicht steigenden Mieten. Beides gehört allerdings unserer Meinung nach der Vergangenheit an. Die Preise für Produkte aus den früheren Billigländern werden steigen, etwa wegen der zunehmenden Inflation vor Ort und der Aufwertung der Währungen dieser Länder. Die steigenden Energie- und Rohstoffkosten werden ebenfalls Spuren hinterlassen.

An dieser Stelle wird es höchste Zeit, den Begriff Inflation einmal genau zu definieren. Hier kommt es oft zu Missverständnissen und Verwirrungen. Der Begriff Inflation kommt aus dem Lateinischen, das Wort inflare bedeutet Aufblähen. Eine wachsende Zentralbankgeldmenge ist nichts anderes als Inflation. Wenn wir diese anschauen, dann haben wir seit 2007 sehr starke Inflation, denn die Geldbasis ist in den meisten Ländern explodiert. Die Rede ist vom Bargeldumlauf und den Einlagen der Banken bei der Zentralbank.

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Abbildung 54: Deutsche Geldmengenentwicklung. Quelle: Bloomberg.

Im täglichen Sprachgebrauch verstehen wir unter Inflation die Preissteigerungsrate. Aber diese ist nur ein Inflationssymptom. Viele Volkswirte sehen in der gestiegenen Zentralbankgeldmenge noch keine Inflationsgefahr. Die Zentralbankgeldmenge besteht im Wesentlichen aus Einlagen der Banken bei der Zentralbank. Erst wenn die Banken diese Geldmenge in Form von Krediten an Konsumenten, Immobilienkäufer und Unternehmen weiterreichen, kann es ihrer Meinung nach zu Inflation kommen. Das heißt im Ablauf: Die Konjunktur gewinnt an Fahrt, Kapazitäten sind voll ausgelastet, Rohstoffpreise steigen, die Arbeitskräfte werden knapp, die Konsumentenstimmung zieht an und zuletzt erhöhen sich die Löhne, was zu höherer Kaufkraft führt und die Konjunktur weiter anheizt.

Das ist sicher nicht falsch. Aber es kann auch ganz anders kommen. Preise können steigen, weil die Bevölkerung das Vertrauen in die eigene Währung verliert. Die Menschen beginnen aus Angst vor der Entwertung ihr Geld auszugeben. Schließlich könnten sie für die gleiche Menge Papiergeld in Zukunft weniger bekommen. Wir erkennen erste Anzeichen: Es steigen die Preise für hochwertige Konsumgüter und Anlagegüter. Beispiele sind Immobilien, Spitzenweine, historische Automobile, wertvolle Uhren und Kunst.

Auch hier lohnt wieder ein Blick nach Argentinien. Dort spielt sich genau das ab. Offiziell haben die Argentinier eine Inflation von 10 %, in Wahrheit sind es aber eher 25 % (siehe oben). Was passiert? Na klar, die Menschen flüchten in Sachwerte. In Buenos Aires explodieren die Immobilienpreise und der Absatz von Autos rast von Rekord zu Rekord. Löhne und Staatsausgaben steigen ebenfalls stark an. Da die Staatsausgaben zuletzt mit 35 % noch stärker als die Inflation gestiegen sind, ist eine Entschuldung Argentiniens mit dieser Politik nicht möglich. Dennoch wird die Entwertung in Kauf genommen, da sie im Vergleich zu harten Sparmaßnahmen politisch leichter umsetzbar ist.

Regierungen sind dann bereit, zu sehr unkonventionellen Mitteln zu greifen, wie jüngst die argentinische Staatspräsidentin Cristina de Kirchner. Es geht um den bekannten Big-Mac-Index, mit dem man weltweit die Kaufkraftparität von Währungen vergleicht. Er zeigte einen Preisanstieg von 19 % an und damit das Doppelte der offiziellen argentinischen Inflationsrate. Was tat Frau Kirchner? Sie »überzeugte« McDonald’s von der Notwendigkeit einer Preissenkung.

Big Mac Repression

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Abbildung 55: Argentiniens Staatspräsidentin Cristina de Kirchner »überzeugte« den Konzern McDonald’s von der Notwendigkeit einer Preissenkung des Big Macs, damit die Illusion geringer Inflation erhalten blieb. Quelle: Presidency of the Nation of Argentina, Pressefoto.

Argentinien ist jetzt das einzige Land der Welt, wo ein Big Mac 30 % billiger ist als der konkurrierende, aber weniger stark beachtete Whopper von Burger King. Diese Anekdote aus dem Reich der »Financial Repression« verdeutlicht den Erfindungsreichtum der Politik, wenn es darum geht, die Inflation geringer erscheinen zu lassen als sie ist.

Zurück nach Deutschland. Seit Beginn der Finanzkrise sind die Preise für Wohnobjekte in mittleren und guten Lagen deutscher Ballungszentren deutlich gestiegen. Ursächlich sind weniger die niedrigen Zinsen als die Sorge vor dem Wertverlust des Geldes. Oft handelt es sich dabei um die diffuse Ahnung, dass »irgendetwas nicht stimmt«.85 Diese Ahnung befällt zuerst nur den Teil der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen und Vermögen, also diejenigen mit den sensiblen Antennen für solche Fragen. Wer Vermögen hat, der sucht heute nach Sicherheit und nach realem Werterhalt. Das bieten die traditionellen »Papieranlagen« nicht mehr.

So richtig spannend wird es aber erst, sobald die Banken beginnen, durch wieder anziehende Kreditvergabe Geld zu schöpfen. Das hat bereits im Immobilienbereich begonnen. Dort erleben wir den erwähnten Preisanstieg in guten Lagen. Immobilien werden dabei nicht, wie in Spanien oder Irland, als heiße Spekulationsobjekte erworben, sondern sind eher Anlageobjekte in der Not. Die Not, irgendwo noch ein paar Prozent Rendite zu bekommen, und die Not, sein Geld in Sicherheit zu bringen. Steigende Preise führen dann bei Immobilieninteressenten ohne genügend Eigenkapital zu der Not, zu kaufen, bevor es unerschwinglich wird, und dafür Kredit aufzunehmen. Die Banken freuen sich über die Hypothekennachfrage, da sie hier relativ sicher noch ordentliche Zinsen bekommen. So kurbelt der Vertrauensverlust ins Papiergeld zunehmend auch die Kreditnachfrage an. Noch allerdings sind wir in Deutschland in der Breite weit von einer Blase bei Privatimmobilien entfernt.

Die Notenbank wiegelt logischerweise ab. Ihre Vertreter erklären: Macht euch keine Sorgen, wir können die Liquidität jederzeit wieder einsammeln, wenn nötig. Mit derselben Konsequenz, wie sie es in der Vergangenheit auch gemacht hat, müssen wir dann ironisch einhaken. Schauen wir uns nur die Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und Geldmenge in den vergangenen Jahrzehnten an. Das deutet nicht auf konsequentes Einsammeln hin. Was wäre nötig, um die Zentralbankgeldmenge wieder herunterzufahren? Die Notenbanken der USA, Großbritanniens, Japans oder die EZB müssten die aufgekauften Anleihen wieder verkaufen. Das ist aber unmöglich, ohne dass die Kurse fallen und die Renditen steigen. Damit wäre der Staatsbankrott über explodierende Zinsausgaben besiegelt. Speziell die US-Notenbank müsste auch eine gewaltige Menge an erworbenen toxischen Wertpapieren aus dem Hypothekenbereich verkaufen. Wer soll diese kaufen und zu welchem Preis?

Überschüssige Liquidität in der Praxis einzusammeln und Wertpapiere ohne Liquiditätswirkung wieder zu verkaufen, ist also gar nicht so einfach. Die Banken müssen schon freiwillig Geld zu Tiefstzinsen von derzeit 0,25 % bei der Zentralbank anlegen. Finden die Banken aber genügend lukrativere Anlagen wie etwa Immobilienkredite, dann bleibt die geschöpfte Liquidität im System. Bildlich gesprochen: Wenn der Geist erst einmal aus der Flasche ist, kann man ihn nur schwer wieder in diese zurückverfrachten.

Ist das Vertrauen erst zerstört

Die Menschen verlieren langsam das Vertrauen in das Finanzsystem und den Wert des Geldes. Zinsen für Einlagen bekommen sie ohnehin kaum noch. Gleichzeitig bereiten den Bürgern die Schuldenexzesse der Staaten mit ihren langfristig unausweichlichen Folgen Unbehagen. Sie fragen sich: Was wird diese Währung, mit der wir im Moment zahlen, in einigen Jahren noch wert sein? Gibt es sie in fünf Jahren überhaupt noch? Kann ich meine Konsumpläne damit in der Zukunft noch realisieren, oder sollte ich meine Kaufentscheidung nicht vorziehen?

Die Bürger sehen ja, wie leicht Qualitätsversprechen der Staaten und der Notenbanken reihenweise gebrochen werden. Diese Erkenntnis sickert langsam in immer breitere Schichten der Bevölkerung durch. Deshalb nehmen mehr und mehr Bürger Teile ihre Einlagen von der Bank. Sie flüchten in Sachwerte, zu denen auch langlebige Wirtschaftsgüter gehören. Da sind wir wieder beim Beispiel Argentinien.

Wie ändern die Menschen dann ihr Verhalten? Papiergeld beziehungsweise Kontoguthaben besitzen keine Attraktivität als Wertspeicher mehr. Die Leute suchen andere Möglichkeiten, ihr Geld aufzubewahren bzw. anzulegen. Man kann sich angesichts des aktuellen Handelns von Politik und Finanzwirtschaft gut vorstellen, dass so ein Vertrauensverlust an Fahrt aufnimmt. Dann möchte niemand gerne länger auf Papiergeld sitzen bleiben, weder auf Geld als Banknoten oder Münzen noch auf Bankeinlagen. Es ist wie mit der heißen Kartoffel. Nun wechselt das Geld schneller die Hände. Die Umlaufgeschwindigkeit steigt.

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Abbildung 56: Inflation durch Vertrauensverlust. Quelle: Flossbach von Storch.

Und damit würden auch die Preise steigen. Es sei denn, die Geldmenge wird im Gegenzug entsprechend reduziert, was nicht zu erwarten ist. Und dann steigt auch die offizielle Inflationsrate. Zunächst nur geringfügig. Wesentliche Teile des Warenkorbs, wie die Mieten, können ja nur begrenzt und zusätzlich zeitlich verschoben steigen. Was in einer solchen Phase normalerweise mit den Zinsen geschieht, ist jedem klar: Sie steigen.

Die Renditen in Deutschland würden anziehen und natürlich auch die der Anleihen aus hoch verschuldeten Staaten. Aber genau diese Länder können ja schon das aktuelle Zinsniveau nicht aushalten. Ein weiterer Zinsanstieg würde sie erdrosseln. Deshalb muss die Zentralbank in einem solchen Fall erneut direkt mit massiven Stützungskäufen eingreifen und immer größere Teile der Staatsschulden monetarisieren oder indirekt durch langfristige Tiefzinskredite an die Banken, die dieses Geld dann in die Peripherieanleihen investieren.

Durch die künstlichen Eingriffe wird der Markt ausgebremst und die Zinsen bleiben stabil oder fallen sogar. Dadurch sinkt auch der Realzins (Nominalzins minus Inflation). Dies wiederum stützt die Immobilenmärkte, beispielsweise in Spanien. Schon heute, Anfang 2012, sind die Realzinsen in vielen Ländern negativ. Und das ist eine Rechnung ohne Besteuerung. Die Steuern mindern die Nominalerträge ja zusätzlich.

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Tabelle 10: Negative Realzinsen in vielen Ländern. Quelle: Bloomberg, Clariden Leu/IDC.

Beschreiben wir die Lage und unsere Erwartungen etwas genauer. Die großen Notenbanken in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Euroland haben durch die Aufkäufe von Wertpapieren die Geldbasis schon um 4,5 Billionen Dollar ausgeweitet. Das sollte die Wirtschaft ankurbeln, was nur teilweise geklappt hat. Ein voller Erfolg war es allerdings für die Vermögenswerte. Die Kurse von Aktien und die Preise der Rohstoffe stiegen von ihren Tiefständen im Jahr 2009 deutlich an, die Kurse von Anleihen explodierten sogar. Deren Kurse zogen weltweit mit Ausnahme der Eurozonen-Peripherie an. Die Renditen fielen also, und das trotz steigender Inflation.

Die nächste Stufe geldpolitischer Lockerung wird kommen. Daran haben wir keine Zweifel. Die Notenbanken werden weitere Anleihen aufkaufen, wie auch immer das Programm dann heißen wird und über welche Wege man dies dann umsetzen wird. Ergebnis: ein zementierter niedriger Nominalzins und negative Realzinsen. Die Notenbanken dürften spätestens dann die nächste Runde der Aufkäufe starten, wenn die Konjunktur abkühlt oder die Beschäftigung nicht weiter steigt. Abgesehen davon müssen die USA allein in den nächsten zwölf Monaten neue Schulden von 1,5 Billionen Dollar finanzieren. Wer außer der Notenbank oder den durch billige Notenbankkredite dazu ermutigten Banken soll dies zu einem Zinssatz von gut 1 bis 2 % tun?

Niedrige Zinsen sind für die hoch verschuldeten Staaten und die Immobilienmärkte überlebenswichtig. Zinsniveaus von 5 oder 6 % würden den Staat teuer zu stehen kommen. In den USA wäre das außerdem der Todesstoß für den ohnehin desolaten Häusermarkt. Das werden die Regierung und die Notenbank um jeden Preis verhindern. Was die EZB angeht: Sie finanziert ohne Limit den Kapitalbedarf von Banken. Wenn sich die Schuldenkrise in den Peripherieländern erneut verschärft, dürfte die EZB aber auch die Aufkäufe von Peripherie-Anleihen schnell ausweiten oder die bereits angesprochene Zinsobergrenze für solche Papiere definieren.

In einem solchen Szenario wird Sparen für die Menschen zu einem schlechten Geschäft. Was dadurch aber interessanter wird, ist die Aufnahme von Krediten. Der Kreditnehmer zahlt ja später in entwerteter Währung zurück, das heißt real weniger. Das kann sich für ihn auszahlen. Bei Immobilien beispielsweise tauscht er nominale zukünftige Rückzahlungsverpflichtungen in einen Sachwert.86 Auf diese Weise steigt das Kreditvolumen. Es steigt die Geldmenge und schürt den Preisanstieg. Das Vertrauen in das Geld sinkt weiter.

Die Zentralbank kann in einem solchen Fall natürlich nicht mehr gegenhalten. Zinserhöhungen könnte die extrem anfällige Wirtschaft kaum verkraften. Das ist der Schlüsselgedanke für unser erwartetes Szenario. Zinserhöhungen würden die hoch verschuldeten Staaten und auch viele Immobilienbesitzer, deren Hypotheken mit flexiblen Zinsen ausgestattet sind, in die Insolvenz treiben. Die Angst vor Rezession und Arbeitslosigkeit kommt hinzu. Weil die notwendigen Zinserhöhungen deshalb ausbleiben werden, bleibt der Realzins negativ.

Anleger investieren verstärkt in Sachwerte, während die Menschen ohne großes Vermögen langlebige Wirtschaftsgüter als Fluchtwährung kaufen. Damit steigen auch die Preise von Wirtschaftsgütern und die allgemeine Inflationsrate. Theoretisch könnte dies zu einer »trabenden« Inflation von jährlich 5 bis 10, vielleicht sogar 20 % führen. Damit könnte sich der Staat entschulden und dann auch wieder steigende Zinsen zur Inflationsbekämpfung zulassen. Theoretisch wäre das möglich. Aber praktisch ist das mit der Gefahr verbunden, dass die Zentralbanken die Kontrolle verlieren und die Inflation anfängt zu galoppieren. Am Ende hilft dann meist nur noch ein reinigendes Gewitter: eine Währungsreform.

Das geschah beispielsweise 2005 in der Türkei. Es wurden sechs Nullen auf den neuen Geldscheinen gestrichen. Oder in Deutschland in den 1920er Jahren, als die Rentenmark die alte Mark ablöste. Ein Jahr später war der Neuanfang mit der Einführung der Reichsmark abgeschlossen. Der Wert der alten Mark-Anleihen wurde 1925 unter Vorbehalt der Begleichung aller Reparationsleistungen auf 2,5 % des Nominalbetrages herabgesetzt. Ein Auslosungsschein berechtigte zur Teilnahme an einer Lotterie, deren Gewinner ab 1926 12,5 % ihrer vorher mündelsicheren Anlage in neuer Reichsmark zurückerhielten.

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Abbildung 57: Auslosungsschein aus den 20er Jahren, Quelle: Philipp Vorndran.

Eine Hyperinflation wie in den 1920er Jahren erscheint uns aber sehr unwahrscheinlich. Zu so einer dramatischen und grotesken Entwicklung wird es kaum kommen. Vorher erleben wir eine Währungsreform wie beispielsweise in der Türkei. Man lässt ein paar Nullen von den Scheinen verschwinden oder führt eine Währung mit neuem Namen ein. Um nicht vollständig die Kontrolle zu verlieren, muss der Staat seine Schuldenquote auf ein tragfähiges Niveau senken. Der Anteil muss deutlich unter der 60 %-Marke liegen – unter dem Maastricht-Kriterium eben.

Die Staaten müssen die Vertrauenskrise rechtzeitig wieder entschärfen. Das ist beispielsweise den USA in der Mitte des letzten Jahrhunderts gelungen. Dann wäre die Geldentwertung für den Sparer zwar schmerzhaft, aber nicht katastrophal. Dass die Schuldenlawine langfristig in Inflation mündet, ist allerdings so gut wie sicher. Es fragt sich nur, wie extrem diese Entwicklung sein wird und wann sie beginnt.

Heute Geld, morgen Konfetti

Noch sind die Inflationsraten gering. Aber die Eskalation der Ereignisse ist nur eine Frage des Wann, nicht des Ob. Eine Umkehr bei den Staatsschulden durch Wachstum oder Einsparprogramme erscheint uns nahezu unmöglich. Politiker und Notenbanker spielen nur noch auf Zeit. Sie wollen das Unvermeidliche so lange wie möglich hinauszögern. Wie wir gelernt haben, können über Nacht Dinge möglich sein, die man am Vortag noch für absolut unmöglich gehalten hat. Die EU rettete Griechenland, Irland und Portugal – obwohl das in den Verträgen von Maastricht explizit ausgeschlossen war, um eine Haftungsunion zu vermeiden. Die Europäische Zentralbank kaufte Staatsanleihen. Auch das war verboten. Es dauert Jahre, bis die Ereignisse und ihre Folgen ins Bewusstsein der Bevölkerung dringen. Das ist ein langsamer Erkenntnisprozess, der aber zunehmend an Fahrt aufnimmt. Am Anfang sind nur einzelne Personen im Bilde, dann ein kleiner Kreis, dann eine informierte und rasch wachsende Minderheit. Wenn genügend Menschen erkannt haben, wohin die Reise geht, wird die Masse erfasst.

Das war wohl bei der deutschen Ur-Erfahrung von Inflation in den 1920er Jahren kaum anders. Im Jahr 1920 hat praktisch niemand verstanden, was der Versailler Friedensvertrag für die Finanzlage Deutschlands und seine Währung bedeutet hat. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren Geldscheine für 2,7 Milliarden Mark im Umlauf. Ende 1918 waren es schon 27 Milliarden Mark, zwei Jahre später bereits 77 Milliarden Mark. Schon zu dieser Zeit hatte die Mark 90 % ihres Wertes von 1914 verloren. Die Hyperinflation begann aber erst ein Jahr später. Am Ende kostete ein Dollar 4,2 Billionen Mark. In seinem Buch When Money Dies (dt.: Das Ende des Geldes) beschreibt der Historiker Adam Fergusson eindrucksvoll den Verlauf der Hyperinflation und die Ignoranz von Politikern und der Bevölkerung.

Mit Weitblick

»Staatsanleihen werden ihren Nimbus als die ultimativ sicherste Anlage langfristig verlieren. Noch profitieren Staatsanleihen von der hohen Liquidität der Investoren und deren Risikoscheu. Das tiefe Zinsniveau kann also noch einige Zeit Bestand haben. Es bildet sich bereits eine Blase am Rentenmarkt, die in den nächsten Jahren platzen wird. Und zwar spätestens dann, wenn die EZB ihre Stabilitätskriterien aufweicht. Ein deutlicher Zinsanstieg wird die Kurse langlaufender Titel stark fallen lassen. Schon jetzt sollten aber Staatsanleihen von hoch verschuldeten Ländern wie Italien oder Bilanzfälschern wie Griechenland gemieden werden. Bundesanleihen mit überschaubaren Laufzeiten von zwei bis drei Jahren bergen z. Z. kaum Risiken.«

Flossbach von Storch, »Roadmap 2020«, November 2004.

Ein solches Szenario würde viele unserer Kapitalanlagen über den Haufen werfen. Genau da liegt das Problem der Deutschen. Kontoguthaben, Sparbücher, Kapitallebensversicherungen oder Bundesanleihen gelten bei den meisten Bürgern noch immer als Ausbund der Sicherheit. Aber das sind alles sogenannte Nominalversprechen. Sie verbriefen keine Inhaberrechte, sondern nur Forderungen in nominaler Höhe. Die Inflation zehrt den Wert dieser Forderungen unerbittlich auf. Und je höher die Inflation, desto schneller verläuft dieser Prozess. Nominalrechte werden zwar in voller Höhe zurückgezahlt, entsprechen aber nicht mehr der ursprünglichen Kaufkraft. Die Bürger müssen also ihr gesamtes Denken umstellen, wenn unser Inflationsszenario eintritt. Das schaffen bisher aber nur wenige Anleger. Kein Wunder, liegt doch die letzte größere Inflationsperiode drei Jahrzehnte zurück. Die heutigen Anleger schöpfen aus ihrer persönlichen Erfahrung. In dieser Erfahrung kommt zweistellige Inflation nicht vor. Deswegen dauert die Anpassung an das neue Paradigma auch so lange.

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Abbildung 58: Was die Deutschen besitzen: Struktur des Geldvermögens der deutschen Privathaushalte. Quelle: Deutsche Bundesbank, Stand per September 2011.

In der Vermögensstruktur der Deutschen stellt man bisher höchstens in Ansätzen Änderungen fest. Lässt man einmal das Immobilienvermögen beiseite, verfügen die deutschen Haushalte über rund 5 Billionen Euro. Davon sind über ein Drittel Bankeinlagen, ein knappes Drittel Versicherungen, die bekanntermaßen vor allem in Nominalversprechen investieren. Auf der Suche nach Sicherheit gehen die meisten Bürger unbewusst ins Risiko.

Nur etwa 4 % des Geldvermögens sind direkt in Aktien und damit reinen Sachwerten angelegt. Nimmt man Aktienanteile in Investmentfonds und Versicherungen sowie Rohstoffe, insbesondere Edelmetalle, dazu, dann kommt man höchstens auf 10 %. Zur Erklärung braucht es nur ein wenig Psychologie: Aktienkurse schwanken viel stärker als Kurse von Anleihen oder erst recht Festgeld. Aber genau wegen dieser Scheinsicherheit haben sich die deutschen Sparer im vergangenen Jahrhundert zweimal ruiniert.

Muss es wirklich so drastisch enden? Vielleicht kann man Schulden über Inflation reduzieren, ohne gleich in einer Währungsreform zu enden. Wir hoffen, dass es so kommt, aber wenn der Geist der Inflation erst einmal aus der Flasche ist, bekommt man ihn nur noch schwer wieder hinein, sprich: kann die Inflation nur mit größter Mühe wieder eingedämmt werden.

Fazit

Höhere Inflation steht vor der Tür. Ein Ursachenmix wird dafür verantwortlich sein: höhere Importpreise, steigende Gebühren, anziehende Mieten und Löhne, eine steigende Kreditvergabe. Die Notenbanken können nur wenig dagegen unternehmen, da sie ansonsten einen Kollaps der Wirtschaft riskieren. In Ländern wie Großbritannien oder Spanien würde der Immobilienmarkt völlig kollabieren, wenn die Notenbanken zur Inflationsbekämpfung die Zinsen deutlich erhöhen. Negative Realzinsen machen Geld zu einem schlechten Wertaufbewahrer. Sie können wie in Argentinien eine Flucht in langlebige Wirtschaftsgüter auslösen und damit Inflation befeuern. Kurzum: Inflation durch Vertrauensverlust. Nominalwerte erhalten in einer solchen Situation keine Kaufkraft! Klassisches Sparen lohnt nicht mehr!