Nächtliche Spiele

(ROM)

 

Sie reichten ihm Speise und Trank. Er nahm an, obwohl er es nach seinem ganzen Kodex nicht hätte tun dürfen. Er war niemand. Mit seinem Totem und seinen Waffen hatten sie ihm den Namen geraubt, und sie hatten Ta'in getötet, sein Herz. Als Krieger der Netang hätte er Speise und Trank abgelehnt, die ihm von Feindeshand gereicht wurden, und wäre dabei gestorben, aber sie hatten es in ihn hineingezwungen auf der langen Reise, die ihn an diesen Ort geführt hatte, und sie hatten ihm dabei auch alles geraubt, was er war, und jetzt war er müde. Wäre er noch im Besitz seiner Waffen gewesen, so hätte er damit nie gegen Leute wie diese kämpfen können mit ihren Maschinen und ihrem spöttischen Lächeln. Er hätte sie alle getötet, wäre er dazu in der Lage gewesen, aber das wäre nur gegangen, solange er noch ein Krieger war und einen Namen getragen hatte. Jetzt saß er teilnahmslos da und wartete auf alles weitere, auch was aus ihm werden würde, mit Sicherheit etwas, das ihren Zwecken diente.

Belat schaltete den Vid aus und lächelte den korpulenten Manager an, der in dem Schalensessel im Büro des Erdhandelszentrums saß, unmittelbar neben dem zerfallenden Hafen gelegen. »Ein Netang-Stammeskrieger von Phönix IV, das ist, was ich uns besorgt habe.«

Ginar faltete die Hände auf seinem Wanst und nickte Belat dem Händler gewichtig zu. Grinste in wachsender Belustigung. »Der Tyrann wird mächtig überrascht sein. Sie gehen vor wie geplant... heute nacht?«

»Ich habe meine üblichen Verbindungen unterrichtet«, sagte Belat, »daß ich für heute abend eine besondere Überraschung parat habe. Ich habe die Erlaubnis, die Brücke zu überqueren. Ich konnte sogar einen Funken der Begeisterung ausmachen.«

»Eine besondere Überraschung.« Ginar kicherte wieder. Das würde es sein. »Sie werden«, sagte er, »meinen Namen in der Stadt nicht als Förderer dieser Sache erwähnen... falls etwas schiefgehen sollte. Ihr Risiko. Letztlich ist es – Ihr Risiko. Ich verschaffe Ihnen nur... die Gelegenheit.«

Die Stadt war so alt wie die Erde, wie sie da lag in der Kälte und dem Schwund der vom Untergang gezeichneten Sonne.

Die Ewige Stadt... – unter dem letzten ihrer zahlreichen Namen und unter der Herrschaft des jüngsten ihrer Tyrannen. Sie lag auf ihren sieben Hügeln an den Ufern ihres trägen, miasmatischen Flusses und träumte ihre Träume.

Das war die Leidenschaft des Tyrannen und auch die aller Edlen der Stadt – Träume. Der Apparat (der vielleicht hier seinen Ursprung hatte, oder vielleicht auch auf einer der Kolonialwelten: niemand erinnerte sich daran) befand sich in dem Palast, der die Stadt beherrschte; er vermittelte den Träumen Substanz, und mit dieser Substanz tröstete er über die violetten Nächte und die bedrückenden Tage der kränklichen Sonne hinweg. Auf der Erde blieb nichts mehr zu tun, überhaupt nichts, denn die Nichtigkeiten lagen offen zutage, die Ambitionen, die Einbildungen von einem Imperium, die bedeutungslose Natur der Macht auf einer Welt, wo größere Mächte jetzt die Leere überspannten und zahlreiche Welten umfaßten, wo sogar diese Mächte Zeit genug gehabt hatten, viele Male alt zu werden und zu verfallen. Die Erde hatte alles miterlebt. Die Ewige Stadt hatte solche Epochen vorübergehen sehen... zu oft, um sich durch das Ausüben von Macht oder das Streben nach einem Imperium zu belustigen. Ihr waren keine Hoffnungen geblieben, die sie bloß alt war, während auch die Sonne alterte und der Mond groß und blaß am Himmel hing, grell beleuchtet durch den Schein der kränklichen Sonne. Die Erde und die Stadt konnten keinen Ambitionen mehr nachhängen. Ambitionen waren etwas für jüngere Welten. Für die Stadt existierte nur noch das Vergnügen.

Und das Träumen.

Eine köstliche Dekadenz waren die Träume; in denen sich manche verloren und die Rückkehr nicht mehr schafften; Träume, die durch die seltsame Macht der Maschine zu wirklich werden konnten und bei denjenigen, die zu tief in ihre Macht stürzten, wirkliche Konsequenzen am fleischlichen Körper zeitigten.

Die Tage der Ewigen Stadt brachten weltliche Beschäftigungen für diejenigen, die erwachten... die Beaufsichtigung der dummen Hilfsarbeiter, die sich in den tiefen Katakomben der Stadt abplagten. Die Sonne war furchterregend, und die meiste Zeit des Tages regte sich die Stadt nur unter der Erde, in den weitreichenden Windungen der Tunnels, wo Pilze wuchsen und blinde Fische lebten und man Hefe fand und andere solche Sachen; und morgens und abends, wenn die Sonne freundlicher war, kümmerten sich die Arbeiter um die Feldfrüchte, die immer noch an den Ufern des trägen Flusses wuchsen. Solche Menschen wählten die Arbeit, nicht den Traum, und sie arbeiteten unter den furchterregenden Grausamkeiten ihrer Herren. Der Tag gehörte ihnen und den geringeren Edlen, deren langweilige Pflicht in ihrer Beaufsichtigung bestand, in der Buchführung und dem Abschluß von Geschäften mit den wenigen Schiffen, die vielleicht zufällig den Hafen am anderen Ufer anliefen. Die Stadt hatte einige weltliche Anliegen, und so gab es Arbeit, nicht, weil es sein mußte, sondern weil manche Menschen wußten, daß sie zu Opfern bestimmt waren, weniger einfallsreich, weniger wild, und sich so zu Lasttieren machten, denn Tiere plagten sich ihren Anteil ab und erwarben sich so Nahrung und Leben. So sahen die Tage der Stadt aus.

Aber die Nächte, die violetten Nächte – dann versanken oben auf dem Palastberg die feinfühligen Träumer in den bunten Perversionen, den unheimlichen Vergnügungen, der Vergangenheit der Stadt, die sie einst gewesen war, lange schon zerfallene Reiche der Vergangenheit, die hätten sein können; der wirklichen Zukunft und der Zukunft, die niemals sein konnte.

Die Stadt exportierte auch Träume. Das allein reichte schon für den Unterhalt der Edlen, der glitzernden Menge, die dem Tyrannen aufwartete. Sie träumten; und wenn es ihnen gefiel, verkauften sie diese Träume, Bandaufzeichnungen von einem Geschmack und einer Natur, die allein die verbrauchten Traumreisenden der dekadenten Ersten Kolonien des Gliedes noch befriedigen konnten (dort, wo jedes Gesetz schon lange verschwunden war), oder den verbotenen Handel auf jüngeren Welten anderswo. Diese Träume waren ein Erzeugnis von einzigartigem Charakter in der Palette der teuren Laster... – teuer deshalb, weil sie von der Erde kamen, die weit entfernt von den wichtigen Welten lag; weil sie selten waren (denn nur gelegentlich gab der Tyrann seine Einwilligung); und obendrein, weil sie mit Leben erkauft waren.

Der Hafen der Stadt blieb allein für diesen Handel geöffnet, der die bloßen Nahrungsmittel und Getränke und kostbaren Gegenstände einbrachte, wodurch die Edlen der Stadt wohlwollend gesinnt und feudal ausgestattet blieben – und seltener auch jenes Preisopfer, das die eisernen Tore des siebten Hügels öffnen und ein Band sicherstellen konnte, ein Band von solchem Spaß, daß es Wohlstand von allen Sternen einbrachte und alle Hände bereicherte, durch die es ging.

Daher Ginar, der in Reichtum lebte in seinem Herrenhaus am Hafen, wo ihm zahllose Diener aufwarteten, die den Dienst an Ginar bequemer fanden als die Plackerei für die Herren der Stadt, der in dem Luxus von Gütern schwelgte, die er diesen Herren abknöpfte und die sie kaum vermißten. Der Vorsitz bei einem derartigen Posten mußte einen Ausgleich in physischem Luxus bieten, denn er bedeutete das Exil von allen zivilisierten Welten, den jungen Welten, wo das Leben stattfand, und das hätten so manche nicht ertragen können. Aber es gab einen Luxus, den Ginar hier hatte, abgesehen von den erlesenen Speisen und seinen Dienern: er stammte selbst von den Ersten Kolonien und war seit vielen Jahren süchtig, ein Traumreisender, der nur für dieses Vergnügen lebte, das ihm hier näher war als anderswo; und jenseits des Flusses außer Reichweite, es sei denn, irgendein Band konnte heimlich aus der Stadt gebracht werden, gekauft zum entsprechenden Preis.

Daher Belat, der die langen Fahrten mit den Schiffen machte und schon lange im Geschäft war, und dessen Wohlergehen gegenwärtig auf der Kippe stand.

Belat machte sich jetzt auf den Weg über die Brücke, während die Sonne noch im Aufgehen begriffen und sicher war – über die Brücke, die die älteste und letzte von den Brücken der Stadt war. Auf ihr starrten dunkle Monolithen, die einmal Statuen gewesen waren, zu Boden, Marmorsäulen, denen die Zeit alle äußeren Kennzeichen geraubt hatte, deren Gesichter nur noch in Andeutungen zu erkennen waren, Hinweise auf zum Kreischen aufgerissene Münder und eingesunkene Augen, und handlose, ausgestreckte Arme.

Und dahinter – ein langsamer Gang durch die eigentliche Stadt, durch die Katakomben, wo Zerstörung auf Zerstörung gehäuft war, vernachlässigt, denn niemand machte sich die Mühe, das zu reparieren, was die Zeit schon immer letztlich zerstört hatte. Arbeiter blickten aus Augen, wie die der Statuen, dunkle Abgründe, in denen die Furcht stand. Manchmal huschte einer schnell davon, aber die meisten blieben immer dort stehen, wo sie einmal erwischt wurden, versuchten vielleicht, stumpf zu erscheinen... denn nächtens und zu Zeiten, wenn kein besonderes Spiel stattfand, kamen die Herren zu ihnen heraus und suchten einen von ihnen für dieses Schicksal aus, wen immer die Herren der Vorstellungskraft für schuldig befanden, wer immer Spaß versprach.

Nie sah Belat einen, der trotzig wirkte. Diejenigen, die solche Blicke zeigten, wurden als erste ausgewählt und vermittelten den höchsten Genuß.

Er ging weiter, widmete den Arbeitern keine große Aufmerksamkeit, denn er mochte ihre Augen nicht; sie hatten ihm noch nie gefallen, so oft er auch diesen Weg schon zurückgelegt hatte.

Sieben Hügel, und der im Mittelpunkt aller anderen war ein gespaltener Berg, wo bei Unwettern die Blitze am heftigsten ihr Spiel trieben, ein Berg, auf Ruinen schwebend und gespalten durch die Narbe eines alten Fehlers. Götter hatten einst hier gehaust, und jetzt tat es der Tyrann, am Ende einer Straße, die der altertümlichen Reihe der Zerstörung folgte. Er schlief jetzt, wie es die ganze Stadt tat, auf ihren Hügeln kauernd. An dieser Stelle hatte eine antike Ruine gestanden, und Stücke aus weißem Marmor waren ausgearbeitet worden wie gebrochene Knochen aus der Narbe dieser alten Wunde, der einzige nackte Erdboden in der ganzen Stadt, umgeben von Katakomben und den aufgehäuften Ruinen aus den Jahrtausenden, die die Stadt schon gesehen hatte.

Ein eisernes Tor bildete den Eingang zu diesem Tal, wo ein Wächter stand, ein geringerer Herr auf Tagwache, dem ein Schutz vor der Sonne zur Verfügung stand, wenn sie aufging, ein Torhaus aus kunterbunt gemischten Marmorstücken, gealtert und glatt und umrankt von Reben. Das Interesse des Wächters erwachte angesichts dieses Besuches – der nur so selten kam; und Belat stand vor den Toren, ohne sie zu berühren, die Hände gefaltet, kam dem Wächter an Hochmut gleich.

»Ich habe ein Geschenk dabei«, sagte Belat. Der Wächter betrachtete ihn einen Moment lang aus schwarz umrandeten Augen und schenkte ihm mattes, tödliches Lächeln.

Und mit einer Berührung entriegelte der junge Herr das Tor. »Gehen Sie weiter«, flüsterte er mit diesem heiseren, gedämpften Tonfall der städtischen Aristokratie. Keiner von den Edlen sprach jemals laut; das war ein Kennzeichen ihrer eigentümlichen Kunst.

Belat ging hindurch und folgte dem Weg zwischen den Ruinen. Er spürte das Lächeln hinter seinem Rücken, ein wildes Lächeln, das ihm mit trägen, schwarz umrandeten Augen hinterherblickte, das nach ihm gierte, auf die eine oder andere Weise.

Die Straße schlängelte sich weiter, hinweg über das Feld aus zerbrochenen Teilen des Altertums, die Katakomben zur Linken in die Tiefe führend, eine langsame Flut von ihnen von rechts her scheinbar gegen dieses Tal plätschernd. Die Straße schlängelte sich weiter, ohne daß dafür ein Grund erkennbar gewesen wäre, aber es hatten vielleicht einmal vor langer Zeit hier Bauwerke gestanden, die jetzt vergraben lagen. Die Spiele waren hier sehr alt. Es wurde berichtet, daß dieser Ort des Menschen älteste und schrecklichste Laster erlebt hatte, der äußerste und wahnwitzigste Sport einer Spezies, die einmal aus Jägern bestanden hatte – sich selbst zu jagen.

»Ich habe ein Geschenk dabei«, unterrichtete Belat den Wächter des zweiten Tores, der hinter dem eisernen Gitter stand und vor einem Torhäuschen, das ebenfalls von der Sonne abgeschirmt war. Dahinter stieg der Weg der Tausend Stufen an und führte zu den innersten Toren. »Dann«, flüsterte dieser Wächter und öffnete dabei weit die Tore, »werden wir heute nacht eine gute Jagd haben, nicht wahr?«

Belat kletterte weiter und keuchte jetzt dabei, und er hatte eine Schwäche in den Knien, die nicht ganz auf seinen Mangel an Training zurückzuführen war und seine Gewöhnung an Schiffe. Über ihm ragte die Lotoskuppel des Palastes in den morgendlichen Himmel, weit, weit oben am Ende der Stufen, die vom Tritt vieler Füße zu tiefen Mulden abgetragen waren, von den Wächtern, die hinauf- und hinabgingen, und von den Opfern, die... hinaufgingen.

»Ich habe ein Geschenk dabei«, informierte er den Wächter des dritten Tores, der eigentlichen Tür.

Dieser Wächter grinste nur, zeigte dabei scharfe blaue Zähne, und gewährte ihm Eintritt.

Belat ging weiter, folgte den langen inneren Hallen mit Säulen wie Lotosstengel, die sich emporschlängelten und über gewölbte Decken wanden; dann noch weiter, wieder eine andere Halle, wo die Stengel zu steinernen Lilienblättern und Marmorlotossen an der Decke aufragten, Stengel, hinter denen kokette goldschuppige Fische lauerten, unter denen ein Thron stand wie eine Alabasterlotosblume, auf dem träge goldene Glieder ausgestreckt lagen und dunkle schwarz umrandete Augen ihn betrachteten. Der Tyrann betrachtete ihn finster, eine Wolke auf der jugendlichen Stirn, eine plötzliche rasche Bewegung einer Hand mit Fingernägeln aus Edelsteinen, ein Wink, sich fortzuscheren – gnädigerweise jetzt zweimal ausgeführt. Zwölf Jahre alt war Elio DCCLII, bockig, verdorben... gefährlich. »Gehen Sie weg«, flüsterte der Junge, »... Fremder! Wir haben Sie schon letztes Mal weggeschickt. Glauben Sie, wir vergessen? Glauben Sie, wir vergeben?«

»Ich habe Ihnen ein Geschenk mitgebracht«, sagte Belat und beobachtete, wie das alte Interesse unwillkürlich wuchs in den Augen des Tyrannen... Interessen wie Vergnügungen, die rasch kamen und rasch wieder entflohen, die dieses hübsche goldene Kind zu dem Herrscher machten, der es war – der geschickteste aller Träumer, Wirker von Finessen und tödlichen Gefahren, denen die am meisten Verbrauchten nicht nacheifern konnten, eine Kälte, die ihn immun gegen Schocks machte und ihm erlaubte, die Träume nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Mordanschläge waren schon versucht worden – vergeblich.

»Ihr letztes Geschenk«, meinte der Junge, »hat versagt.«

»Dieses«, sagte Belat und wagte sich einen Schritt näher heran, »dieses wird es nicht tun.«

»Was haben Sie uns gebracht?« flüsterte der Knabentyrann und beugte sich auf dem Lotosthron vor. »Etwas – Neues?«

»Einen Träumer«, antwortete Belat flüsternd, und bevor die schmollenden bemalten Lippen des Tyrannen ein Wort formen konnten: »Ein andersartiger Träumer. Ein wilder Träumer. Etwas, das Sie noch nicht gejagt haben, Majestät, etwas, das die Erde noch nicht gesehen hat.«

Die gewohnte Bockigkeit zitterte auf den kindlichen Lippen, und das Stirnrunzeln wurde tiefer, ein tödlicher Schatten auf den schwarz ummalten Augen... – gerade von der nächtlichen Jagd zurück war Elio, vielleicht befriedigt, vielleicht enttäuscht. »Sie haben vor zu bleiben«, lispelte der Tyrann, »und das hier... mit Ihren Geräten aufzuzeichnen. Wir sollten uns diesem – geschmacklosen Eindringen in unseren Sport fügen. Und Sie verkaufen diese Sachen, nicht wahr?«

»Ich muß weit reisen«, sagte Belat, übte in diesem Punkt Vorsicht. »Bedenken Sie nur, Majestät, daß ich die Welten für Sie erforsche, um Ihnen ein solches Geschenk zu bringen. Und die Aufzeichnung macht es von neuem möglich.«

»Sie sind ein Eindringling.«
»Bringe ich Ihnen nicht die seltensten Schätze, Majestät? Kommen die dumpfen Kreaturen da draußen meinen gleich? Bringe ich Ihnen nicht stets den unüblichsten, größtmöglichen Spaß?«

»Sie haben uns gelangweilt, Traumdieb. Sie haben unsere Hoffnungen erweckt und sie dann nicht erfüllen können, und sind nicht noch andere Verkäufer unserer Vergnügungen zu finden, die Ihren Platz fähiger auszufüllen in der Lage sind? Schiffe würden weiterhin in unserem Hafen verkehren. Der Makler wäre weiterhin da. Und vielleicht wäre der nächste Händler vorsichtiger... – das könnte doch sein, nicht? Sie haben uns gelangweilt. So lange haben wir auf das gewartet, was Sie uns versprochen haben, und es hat versagt. Wir ließen Sie einmal gehen. Diesmal nicht.«

Belat schwitzte, widerstand aber der Versuchung, sich über das Gesicht zu wischen, es einzugestehen. Der Untergang lag auf einer Seite. Auf der anderen... »Sie werden mein Geschenk annehmen«, flüsterte er. »Es geht auf meine Kosten, Majestät. Und wenn es recht ist... nehme ich das Band mit.«

»Ich nehme an«, sagte der Junge unheimlich sanft. »Und erlaube Ihnen, Ihr Band zu machen. Aber, Belat, diesmal gibt es keine Vergebung. Wir werden Sie jagen, wenn uns dieses Geschenk kein Vergnügen bereitet.«

Belat erschauerte, starrte in die jungenhaften Augen, empfand Haß und erstickte ihn gleich, gab sich große Mühe zu lächeln. »Ich bin zuversichtlich«, sagte er. »Würde ich das Risiko eingehen, noch einmal herzukommen – wenn ich keinen Grund dazu hätte?«

Der Blick seines Gegenübers wurde argwöhnisch, ein ganz klein wenig Argwohn, der schnell wieder entfloh, und die kindliche Hand gab ihm den Wink zu verschwinden. Belat verstand das Zeichen, nahm sein Leben und seinen Verstand in beide Hände und verließ mit samtweichen Schritten die Halle der Lotosstengel – ging den langen Weg nach unten, vorbei an der Neugier in den Augen des Wächters und die Neugier selbst war in der Ewigen Stadt ein Gut von größerem Wert als Gold.

Die Sonne kletterte höher, und draußen versank die Stadt in den Grabungen des hellen Tages, der Lotospalast jedoch in seinem täglichen Schweigen. Elio badete, blieb lange untergetaucht in einer goldenen Wanne, die nur etwas stärker leuchtete als die darin zusammengerollten Glieder, schlangengeschmeidig und schlank. Er ging durch die kalten Gänge mit ihren Liliensäulen und starrte ruhelos zum einzigen nicht abgeschirmten Ausguck des Palastes hinaus auf das ruinenbedeckte Tal zu Füßen des Hügels, auf die Katakomben, vom Glanz der schrecklichen Strahlungen des Tagesgestirns bedeckt, und hinter ihm beobachteten die geringeren Herren, die ihm dienten, seine Verrücktheit unter trägen Lidern hervor, hofften, daß er irgend etwas Bizarres tun würde. Aber er bekam keinen Sonnenstich und sprang auch nicht in den Tod, wie es vier Tyrannen vor ihm getan hatten, als sie sich nicht mehr hatten amüsieren können. Und Elio widmete den Dienern einen Blick, der allein schon einen hochgeschätzten Kitzel des Schreckens vermittelte... in der Erinnerung, daß zur Linderung des Schmerzes der letzten gescheiterten Jagd – ein geringerer Herr im Spiel unter seiner Hand gefallen war, ein wahrhaft seltener Spaß.

Aber er ging mit diesem tödlichen Blick über sie hinweg und ging weiter, versunken in seinen Erwartungen, oft geweckt und immer enttäuscht.

Das Töten verlief immer zu schnell. Und er kannte das Geflüster, das besagte, eine Kraft wie die seine brenne sich stets selbst aus, wüchse stetig nach innen, fände keine Herausforderungen mehr, bis letztlich überhaupt nichts mehr dazu angetan war, eine Regung in ihm wachzurufen.

Er hegte Vorstellungen. Ein solches Talent war nur selten zu finden. Er befand sich im Griff der Krankheit, die die Talentierten befiel, die brillanten Träumer, die keine Herausforderungen mehr entdeckten. Mit zwölfen sah er einen nicht mehr fernen Tag voraus, an dem sein eigener Tod ihm als einziger noch nicht probierter Nervenkitzel erscheinen würde. Er kannte die Hallen, jeden Lotosstengel, jeden aufgeschreckten goldenen Fisch. Er kannte die Herren und Damen, erkannte sie nicht nur an den Gesichtern, sondern sogar den Seelen, saugte all ihre Vergnügungen auf, wurde von ihnen genährt, gedieh an ihren dunklen Phantasien und langweilte sich.

Er kostete den Tod von Opfern und fand sogar das ermüdend.

Er wurde dünn, denn er schritt tagsüber stets durch die Hallen und erschöpfte seinen Körper in nächtlichen Träumen.

Er terrorisierte gefangene Arbeiter, aber auch dieser Tagessport wurde blaß, denn an Träumen gab es mehr, Träume gingen tiefer und waren bunter, erlegten der Phantasie keine Grenzen auf außer denen des Geistes.

Und auch diese hatte er schon durchmessen und ergründet.

Mit zwölf kannte er die Grenzen aller, die ihn umgaben, und hatte er all die Vergnügungen erlebt, ein Erbe von vielen tausend seiner Art, von denen alle jung gestorben waren, in einer Stadt, deren Ewigkeit ein sehr, sehr langsamer Tod war.

Vielleicht sterbe ich heute nacht, dachte er und genoß diesen Gedanken.

Er saß viel in seiner Zelle. An diesem Tag – wenn es Tag war – wußte er, daß sie ihn beobachteten, und das hatten sie bis jetzt nicht getan. Aber es stand ihnen frei, das zu tun, und er konnte sich nicht beschweren. Er saß da, starrte auf seine Hände und wartete. Die Zeit würde kommen, wo sie darauf bestanden, daß er aß und trank; oder sie würden ihn einschläfern und die Nahrung in ihn hineinzwingen. Er saß jetzt ganz ruhig da und verriet seine Kenntnis von ihrer Anwesenheit nicht. Einmal hatte er Würde besessen. Die anderen besaßen keine, die hereinstarrten und herumschnüffelten und nicht vor sein Angesicht traten, aber seine Schande bestand darin, daß er solchen Leuten in die Hände gefallen war. Eines Tages mußten sie dieser Sache müde werden, dachte er, wenn er sich überhaupt erlaubte zu denken, und dann mußten sie eine Entscheidung treffen, was zu tun war. Vielleicht heute, überlegte er, erlaubte sich aber nicht, diesen Gedanken festzuhalten, denn das hätte bedeutet, sich endgültig in ihre Macht zu begeben, und er wollte weder auf sie reagieren noch an sie denken. Er war allein. Es war ihre Schuld. Wenn sie noch mehr wollten, dann mußten sie schon zu ihm kommen und es ihm antun. Er würde ihnen nicht helfen.

Und dann befiel die Müdigkeit seine Glieder, und er saß da, immer noch im Besitz seiner kleinen Würde, während seine Glieder erschlafften und er langsam nachgab. Sie machten das üblicherweise mit ihm, wenn sie etwas mit ihm anzustellen gedachten. Das hatten sie jetzt vor.

Aber dieses Mal versagten allein die Glieder, nicht das Bewußtsein.

Die sterbende Sonne ging unter, und der angeschwollene Mond stieg über den Sümpfen am Fluß auf, berührte die Katakomben der gewöhnlichen Hügel und die Lotoskuppel des siebenten.

Es war soweit.

Die Prozession verließ den Hafen, eine langsame Reihe von Dienern Ginars, die die Aufnahmegeräte trugen und einen schwarzen Plastiksarg. Sie überquerten die Brücke mit den gesichtslosen Statuen; und als das letzte Stück der kranken Sonne hinter den Horizont sank, folgten sie den Wegen der Katakomben, wo die Arbeiter ihnen wie Statuen zusahen, vielleicht Angst hatten, denn die schrecklichsten Träume liefen manchmal über und verbreiteten selbst hier Schrecken, ein Miasma aus dem Palast, das sogar die Stadt infizierte.

Sie erreichten das erste Tor und überquerten das Ruinenfeld; gelangten an das zweite und legten den Weg der Tausend Stufen zurück, die Steigung hinauf zum dritten Tor. Dort blieben die Diener stehen und setzten den Apparat und den Sarg ab. Belat hob den Apparat auf und hatte mit dessen Gewicht zu kämpfen. Die Wächter und Herren hoben den Sarg hoch und trugen ihn weiter, hinein in die verbotenen Bereiche des Lotospalastes, die nur von den Privilegierten betreten werden durften.

Und von den Opfern.

Manche, die hergebracht wurden, kämpften bis zum Ende, manche schrien oder fluchten. Dieser tat das nicht, stand unter Drogen, allerdings nicht zu stark; Belat hatte sich dessen versichert. Der Sarg wurde vorneweg getragen durch den Gang mit den Lotosstengeln, und Belat ging als letzter, unpassenderweise wie ein Trauernder, den Kopf gesenkt unter seiner Last, nach Luft schnappend hinter den ausgreifenden Schritten der Wächter, die den Kasten trugen... hinein in die innerste Halle, unter die Lilienblätterdecke und vor den Lotosthron.

Die Träume waren vorbereitet. Der Apparat, der die Lotoskuppel im Grunde war, sollte bald eingeschaltet werden. Und der Tyrann würde seine kostbare Überraschung erleben, einen manischen Netang... eine ordentlich ausgelegte Falle, sogar legal: ein primitiver Geist war es diesmal, ohne die Sanftheit der Traumreisenden, die seine üblichen Geschenke waren, die Süchtigen aus den Ersten Kolonien, die in seine Hände fielen und verschwanden, wenn sie den äußersten Nervenkitzel suchten – und hier fanden, indem sie selbst Material für die Stadt und ihre Träume wurden, aufgezeichnet und wieder zurückverkauft, um weitere anzulocken.

Diesmal nicht... diesmal eine Überraschung für Seine Majestät Elio DCCLII, eine, die vielleicht einen zweifachen Dienst leistete. Belats Atem war nicht nur wegen seiner Last kurz, und seine Haut hatte eine eisige Klammheit angenommen; er grinste, eine Grimasse, die sein Keuchen umrahmte – denn es war der Tyrann, der den Brennpunkt für die Träume bildete, der sie führte... – der starb, wenn etwas schiefging.

Einerseits war es Rache für die Schrecken, die er erlitten hatte; am meisten aber war es – wegen des neuen Tyrannen, mit dem man Handel treiben konnte, einen, den man leichter handhaben konnte, wodurch Belat sein Posten erhalten blieb. Keine Drohungen mehr. Keine weiteren Demütigungen mehr. Man fand hier keine weiteren Talente mehr, wie Elio eines war – oder die früheren Mordanschläge hätten Erfolg gehabt. Ein fügsamer Tyrann – das war den Preis und das Risiko wert.

Oder anderenfalls... Dankbarkeit, wenn dieses Wort hier überhaupt gebräuchlich wäre. Vergnügen, eine Jagd, die der Tyrann sehr genießen würde. Und nach einer weiteren fragen, und wieder einer, bis er starb.

In jedem Fall ein Traum von besonderem Geschmack, ein einzigartiger Preis, den er allein gewann. Ein köstlicher Mord, dieser Netang mit seiner Wildheit unter diesen Jägern, primitive Unschuld, losgelassen zwischen den abgestumpften Geistern der ältesten Stadt der Menschheit...

Oder der Tod eines Tyrannen dieser Stadt mit ihrem ganzen empfindsamen Leid, denn wenn Elio zögerte, würden sich alle auf ihn stürzen, alle.

Und die Geräte würden es für Belat einfangen.

Kein Kampf fand statt, wie schon die ganze Zeit. Sie trugen ihn, wohin sie wollten, um zu tun, was sie wollten. Er weinte in seinem engen Gefängnis... – kein heftiges Weinen, nur ein hilfloser Tränenfluß die Wange hinab, aber sein Körper war gelähmt, und er konnte die Tränen nicht wegwischen. Es beschämte ihn, aber er hatte schon so manche Schande erlitten, seit er seinen Namen und sich selbst verloren hatte.

Er spürte Bewegungen, wußte daher, daß er getragen wurde, hatte wahrgenommen, daß sie in der Nähe von Wasser gewesen waren, an einem geschlossenen echowerfenden Ort, daß sie geklettert waren... – vielleicht, um ihn in den Tod zu werfen, aber das schien ihm eine geringe Tat nach all den anderen. Jetzt hörte er Echos wie in einer großen Höhle... roch das dicke Aroma von Moder und von Blumen, wo zuvor die Luft während des Anstiegs kalt und sauber gewesen war.

Vielleicht war er bereits tot. Er war sich nicht mehr sicher.

Belat verbeugte sich und lächelte den großen Tyrannen an, der auf dem Lotosthron lümmelte im innersten Gemach der Steinblumen. Der ganze Hof umgab ihn in phantastischer Aufmachung mit bemalter Haut und schwarz umrahmten Augen, mit nickenden Federn und dünnen Gazegewändern... wie lebendige Blumen rings um die steinernen Lotosstengel und die goldenen Fische.

Der Knabentyrann bewegte die Finger, und auf den juwelenbesetzten Nägeln blitzten Amethyste. Die Wächter stellten den Sarg vor ihm auf den Boden, öffneten ihn und legten den braunen reglosen Körper darin frei. Ein Flüstern des Mißfallens erhob sich, Enttäuschung, aber die Augen des Stammeskriegers gingen auf und funkelten, und ein erwartungsvolles Kichern lief durch den Raum. Elio beugte sich auf seinem Thron vor, einen Ellbogen auf eine wie ein Lilienblatt geformte Armlehne gestützt, das Kinn auf die Faust gelegt. Seine mit Amethyststaub bedeckten Lider blinzelten; die rougebedeckten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln; und Belat, der vor Angst ganz starr geworden war, entspannte sich und lächelte ebenfalls. Der Tyrann warf ihm einen kurzen Blick zu, wie er ihn schon kannte, und das Lächeln erstarrte.

»Die Übereinkunft, Majestät.«
»Beeilen Sie sich!« forderte der Junge.

Belat beeilte sich, suchte sich eine Ecke aus, die die von Verachtung erfüllten Herren und Damen ihm überließen, stellte dort seinen Recorder auf, wobei seine Hände vor Eifer bebten. Er nahm an den Träumen nicht teil – sondern beobachtete nur.

Als er die wenigen Einstellungen vorgenommen hatte, stellte er mit fiebriger Hast sicher, daß er selbst abgeschirmt war, indem er sich ein Stimulans in die Blutbahn injizierte, das ihn so lang wie möglich wachhalten würde. Er beobachtete. Wenn er sich überhaupt in die Träume begab, dann als bloßer Zuschauer aus der Ferne: er selbst war kein Süchtiger. Er bewahrte diese Absonderung, wie er sein Leben schätzte, denn die Traumreisenden waren nicht ohne Humor.

Elio lächelte, die Augen zwischen den Amethystlidern fest auf seine Beute gerichtet. Weitere Herren und Damen versammelten sich dicht um ihn, ein Reigen aus bemalten Gesichtern, darauf bedacht, den Stammeskrieger in seinem Sarg anzustarren und den Anblick zu genießen.

Der Knabentyrann winkte einmal mit der Hand: In der Kuppel wurden die Lampen matter. Ein zweiter Wink: Der Apparat schaltete sich ein.

Er stand. Er konnte sich wieder bewegen, und diese plötzliche Freiheit versetzte ihm einen Schock. Er stand knietief und nackt in einem fauligen Sumpf. Die Welt war flach, und die Sonne schaffte es kaum, ein düsteres Dämmerlicht zu liefern.

»Das ist das Ende der Welt«, flüsterte eine Stimme in ihm. »Wo alles Land abgetragen ist. Es ist alt.«

Ein Vogel schwebte vor der blassen Sonnenscheibe und beobachtete ihn. Er versuchte zu gehen, aber nirgendwo war ein Ziel zu erkennen, denn der Sumpf erstreckte sich in alle Richtungen, soweit das Auge reichte, und er vermochte sich nicht daran zu erinnern, wie er dorthin gekommen war. Die Ebenheit der Landschaft war unheimlich. Er ging auf die Sonne zu, da sie das einzige Ziel auf der ganzen Welt war, marschierte, bis er müde wurde, und blieb dann stehen, immer noch knietief im Wasser.

Etwas strich an seinem Knöchel entlang. Er fuhr zusammen und blickte nach unten. Eine Schlange mit Amethystschuppen, hell leuchtend in dieser braunen Umgebung, wand sich um seine Wade und hob den Kopf zu seinem Oberschenkel – starrte ihn mit klugen und wissenden Augen an.

»Ich bin jung«, sagte sie.

Nein, dachte er, wies solchen Wahnsinn zurück, und auf einmal war sie ein braunes Stück Unkraut.

Er stand in einer Höhle, wo Wasser in der Dunkelheit tropfte. Er machte ein paar Schritte, und seine Schritte warfen Echos in der weiten Finsternis. Die Kälte biß in sein Fleisch. Eine Wasserfläche lag vor seinen Füßen, und darin hingen leuchtende Fische, und auf der Wand spann ein Wurm ein leuchtendes Netz.

»Das ist das Herz der Welt«, flüsterte die Stimme. »Und es ist hohl.«

Wasser tropfte, platschte herab, erzeugte klingende Echos. Etwas bewegte sich, atmete, kam auf ihn zu, schleppte eine gewaltige Masse über die Steine, rumpelte und scharrte im Dunklen.

»Ich habe kein Herz«, sagte es.

Nein, dachte er wieder, aber er wollte nicht weglaufen, und Licht brach rings um ihn aus, weiß und blendend.

Er stand auf dem Gipfel eines Berges, der höher war als alle Berge, und er stand im Schnee, umgeben von Bergesgipfeln, die über die Wolken hinausragten. Und die Sonne wurde rot und befleckte das Weiß mit Blut. Der Vogel war wieder da, ein Tintenklecks, der auf rudernden Schwingen vor dem Sturm flog, der ihn dort unten an den nackten Gliedern schüttelte und ihm das Haar in die Augen fegte. Die Winde wurden warm. Er sah sich um, und eine Mattigkeit stahl sich in ihn.

»Das ist der Gipfel der Welt«, flüsterte die Stimme. »Der Himmel ist diesem Ort sehr nahe.«

Die Wärme nahm zu und schmolz die Schneewehen, und eine Frau lag nackt im Schnee. Sie hatte violette Lider und schien zu schlafen, aber dann öffneten sich plötzlich ihre Augen.

Nein, dachte er sofort, denn er traute hier nichts und niemandem. Die Lippen der Frau öffneten sich zu einem Lachen; und die Schläferin wurde zu einem grinsenden Schädel, zu einem Tier, wurde zu Frau und Mann und Göttin und Gott, wurde eine Maschine, die in der Gestalt eines Menschen wandelte, und ein Dämon, der sich schließlich wieder in die Schlange verwandelte und vor ihm tanzte, die Kapuze ausgebreitet, mit der Zunge zuckend, mit violetten Schuppen auf dem rötlichen Schnee.

»Ich bin das Verlangen«, zischte sie. In den Wolken über dem Gipfel erhoben sich Türme und formten sich zu etwas, das er als Stadt erkannte, und die Zeit floß zurück in uralte Vergangenheit, zu Kriegen und Armeen und Eroberungen, zu Schrecken und der Größe der alten Könige. All das wurde ihm dargeboten, und die ganze Zeit schwebte der schwarze Vogel auf den Winden. Weiße Tiere hatten sich versammelt, und ein schwaches, bedrohliches Gelächter erhob sich.

»Lauf weg!« verspotteten sie ihn. Er versuchte stehenzubleiben, aber er war ein Tier mit Hufen und dazu gedacht, ihre Beute zu werden. Er warf sich auf schlanken Beinen herum, streckte sie aus und rannte los, und sie heulten hinter ihm her über den Schnee hinweg und zwischen den Felsen. Er rutschte aus auf Eis, fing sich wieder und lief weiter, bis ihm das Herz fast zersprang, und er sprang und hüpfte, wo er konnte, bis die Luft seine Lungen zerriß und ihm der Bauch schmerzte, bis die Beine unter den Erschütterungen der Sprünge zitterten und er immer langsamer wurde zwischen den Felsen, an denen das Gelächter Echos erzeugte. Die Felsen schlossen sich vor ihm zu einer Sackgasse. Er drehte sich auf vier zitternden Beinen um und senkte keuchend den gehörnten Kopf.

Aber es waren Menschen wie die in der alten Stadt, und sie trugen Bögen. Sie durchbohrten ihn mit Pfeilen, und sein Blut befleckte den Schnee und die Felsen und rann in großen Strömen den Himmel herab.

Nein! dachte er, weigerte sich zu sterben. Er blickte zu dem Vogel auf, der immer da war, und erblickte zwischen den Felsen die violette Schlange, die sich mit angehobenem Kopf zusammenringelte und ihn beobachtete.

Sie formte sich selbst. Er faßte einen Entschluß und tat dasselbe. Er war wieder ein Mensch auf zwei Beinen. Der Vogel kreischte am Himmel, und er warf ihm einen kalten Blick zu und heilte sich selbst von seinen Wunden. Er blickte wieder zu der Schlange, aber ein ganzer Schwarm vielfarbiger Schlangen hatte ihren Platz eingenommen, und auf den Felsen waren amethystfarbene Augenpaare erschienen.

Sie zeigten lebhaftes Interesse. »Wie heißt du?« fragte die Stimme.

Er formte sein Totem neu. Es hing um seinen Hals. Er holte tief Luft, von Kraft durchflutet, und nannte ihnen seinen Namen. Er erweiterte den Boden zu seinen Füßen und ließ goldenes Gras darauf wachsen, breitete es weithin aus und schob die Bergesgipfel zurück, bis seine eigenen Berge wieder dort standen. Den Himmel darüber gestaltete er blau, und die Sonne jung und gelb. Er streckte die Arme weit aus und umarmte die Welt, blickte dann wieder zu den Felsen. Ein nackter Junge stand dort zwischen den Schlangen, die zischten und drohten. Der Junge wirkte furchtsam, von einer finsteren, mürrischen Angst erfüllt, die auch den Willen zum Kampf einschloß. Er hieß das gut, respektierte es.

»Elio«, sagte er, denn er kannte den Namen unter den anderen. Er ignorierte den finsteren Blick und machte Wild auf dem Land, erschuf mehr und bessere Vögel, damit sie über den Himmel flogen, machte den großen Fluß und Fische, damit sie darin schwammen, machte alles, so, wie es gewesen war, und auch sich selbst zu dem, was er gewesen war, und hob den Kopf und blickte sich um, zeigte das alles dem Jungen, der ein König war.

»Nein!« schrie der Vogel; und die Schlangen, weit entfernt jetzt, verschmolzen zu einem Mann aus Metall, der sich am Horizont in Marsch setzte und klickend auf sie zu kam.

»Sie werden dich töten«, sagte der Junge. »Sie werden auch mich töten, wenn ich hier stehenbleibe. Laß mich hinaus aus deinem Traum! Laß mich gehen! Ich hätte mich nicht so weit von ihnen entfernen dürfen.«

»Möchtest du gehen?« fragte er den Jungen, der sich in seinem nackten Zustand umsah am blauen Himmel und der hellen jungen Sonne und all dem Grasland und dann den Kopf schüttelte, die Augen bis in die Tiefe violett leuchtend.

»Sie ist jung«, sagte er. »Was sonst noch?«

Er schloß für einen Moment die Augen und erträumte Ta'in, dessen riesige geschlitzte Augen und schuppige Nase vor ihm Gestalt annahmen, der Kopf und der gewaltige bernsteinschuppige Körper... der riesige, wilde Ta'in, der ihn von Kindheit an getragen hatte. Der Drache rieb sich an ihm und beschnupperte den Jungen, hob den breiten schlitzäugigen Blick zum Rand der Welt, wo mit jedem Schritt der Metallkreatur Metall und Stäbe entstanden, und wo über diesem kriechenden Wandel ein Schiff schwebte, strotzend vor Waffen von fremden Welten.

»Wir müssen fliehen«, sagte der Junge.

Er kümmerte sich nicht darum, schwang sich auf Ta'ins Rücken und blickte zu dem metallenen Rand, der stetig breiter wurde und näher kam, und konnte sich gut ausrechnen, daß dies die letzte Gelegenheit war, daß Ta'in, wenn er ihn wiederum verlor, wirklich verloren sein würde, und er dann auch. Er war wieder im Besitz seiner Waffen, spannte den Bogen und schoß auf den vorrückenden Rand, schoß Pfeil auf Pfeil ab, und sah, wie die Maschinen und die Kanonen weiterhin auf ihn herabzielten, wie schon zuvor.

Er war nicht allein. Ein weiterer Drache stieg flügelschlagend neben ihm auf, ein junger Reiter im Sattel. Der Junge spannte den Bogen und schoß, schrie vor Freude, als er sah, wie sich die Metallkante unheimlich langsam zurückzog.

Und dann war da noch ein Drache und noch ein Reiter darauf, links von dem Jungen.

»Mahin!« rief der Junge, gab ihm einen Namen. Drei Bögen verschossen jetzt ihre Pfeile, und doch wichen sie trotz allem zurück, und die Metallkante kämpfte sich wieder voran.

Und stellte ihren Vormarsch ein, denn jetzt tauchte ein Drachen nach dem anderen auf, ein zischender Donner. Er sah sie und stieß einen schrillen Kriegsschrei hervor, gab den Befehl zum Angriff, und es gesellten sich noch weitere Reiter zu ihnen, während Drachenkörper vorwärtsbrandeten und Ta'ins Kraft zwischen seinen Beinen wogte. Aus dem Pfeilhagel wurde ein Sturm. Die Metallkante zog sich zurück, und zum Schluß begann auch das Schiff an einem jetzt blauen Himmel zu zittern, und es stürzte herab, wurde zu grauen Federn, verstreute diese und starb.

Er blickte sich um, betrachtete das helle vertraute Land, die Krieger mit den scharfen Augen, die sich zu ihm gesellt hatten, Männer und Frauen, den tapferen Jungen, der sein einstmals verlorener Sohn war. Stolz schwoll in ihm.

»Dein Traum«, sagte sein Sohn mit vor Liebe brennenden Augen, »ist der beste von allen.«

»Lassen Sie mich hinein!« forderte Ginar. Er hatte bis zu den eisernen Toren einen weiten Weg zurückgelegt, und seine Körpermasse machte das Gehen schwer. Seit zwei Tagen war Belat nicht mehr aufgetaucht. Es war eine verzweifelte Tat, die Brücke ungebeten zu überqueren und sich in die Katakomben zu wagen – beinahe verlassen jetzt, aber er hatte vom Hügel am Hafen aus die Bewegungen gesehen, den Strom von Bauern in Richtungen, in die sie sich vorher nicht getraut hätten, die allmähliche Abwanderung aus den Randbereichen der Stadt, das lange Schweigen... und Ginar, der ein Traumsüchtiger war, konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen. »Lassen Sie mich hinein!« bat er den Wächter, der nicht aussah wie einer der legendären Wächter, sondern mehr wie ein Bauer. Ginar hoffte noch auf wenigstens das Band, darauf, es in seinen Besitz zu bringen, den Traum zu genießen, nach dem ihn mit fiebriger Begierde verlangte.

Der Wächter gewährte ihm Eintritt. Keuchend legte er den langen Weg durch das Ruinenfeld zurück, wo Bauern mit gelassenem Blick herumsaßen. Ging unterbrochen von langen schmerzhaften Pausen zu den inneren Toren und fand sie offen; machte sich an den Anstieg über den Weg der Tausend Stufen, für den er – schwitzend und keuchend – sehr lange brauchte. Seine Sucht trieb ihn jedoch weiter, keineswegs irgendein rationaler Impuls. Belat hatte es ihm versprochen – hatte ihm den einzigartigsten aller Träume versprochen. Er hatte ihn sich schon ausgemalt, ihn genossen, ihn sich mit einer Begierde ersehnt, die jede Vernunft verzehrte... um diesen größten Traum zu erlangen... einen solchen Tod zu erfahren und zu leben...

Schließlich und endlich erreichte er die Türen, die angelehnt waren, wo Bauern entlang der Korridore saßen... er stolperte zwischen ihren Körpern einher, schob und drängte sich in zunehmender Dunkelheit weiter, denn die Lampen leuchteten matter als sonst. Schließlich betrat er die Lotoshalle, wo Bauern zwischen den Herren der Träume saßen, wo ein Junge auf einem Blumenthron saß.

Und eine Müdigkeit befiel seine Glieder, so daß er sie nicht mehr bewegen konnte, denn es war Nacht, und der Traum war stark. Er sank zu Boden, sich seines mächtigen Körpers nicht mehr bewußt, vergaß solche Begierden, vergaß die Vergnügungen, die zu finden er gekommen war.

Er nahm im Ratsring zwischen den Zelten Platz und lächelte, während die Drachen außerhalb des Lagers stampften und schlurften und der Wind draußen im Gras flüsterte, und die drei Monde waren jung.