Das extreme Klima der arktischen Tundra verlangt den wenigen Tierarten große Anpassungsleistungen ab. Kleine Tiere fliehen z. B. vor der Kälte des neun Monate langen Winters unter die isolierende Schneedecke und suchen im Sommer in der Erde oder der niedrigen Pflanzenschicht Nahrung und Schutz. Die Artenarmut des hohen Nordens ist jedoch nicht leicht zu erklären. Eine Rolle spielt die geringe Biomasse an der Basis der Nahrungspyramide, deshalb sind für die Raubtiere an der Pyramidenspitze wenige Nischen vorhanden. Reptilien und Amphibien fehlen, da ihr Stoffwechsel in der Kälte versagt. Viele Tierarten sind circumarktisch, bzw. – wenn sie eher im Nadelwald leben – circumboreal verbreitet: Die altweltlichen Rentiere und die neuweltlichen Karibus gehören derselben Spezies an. Wie viele andere Warmblüter verbringen sie nur einen Teil des Jahres hier und ziehen im Winter in die südlich angrenzende Taiga; die meisten Vögel treibt es jedoch noch viel weiter in den Süden.
Inhalt
Der Kälte entfliehen: Nomaden und Gäste
Rentiere: Wanderer zwischen Tundra und Taiga
Moschusochsen: eiszeitliche Energiesparmeister
Lemminge: die heimlichen Herrscher der Tundra
Der Eisfuchs: ein hasenfüßiger Wanderer
Schneehasen: Mümmelmänner mit Gemeinschaftssinn
Schnee-Eulen: von hoher Warte auf Lemmingjagd
Das Moorschneehuhn: Überlebenskünstler mit Spikes
Raubmöwen: Meister des Mundraubs
Stechmücken: Fluch und Segen der Tundra
Der Singschwan: Jumbo der Arktis
Ringelgänse: Nomaden zwischen Tundra und Watt
Die Prachteiderente: Königin am Eisrand
Der Sterntaucher: Fischjäger im eiskalten Wasser
Nonnenkraniche: scheue Sumpfbewohner in Bedrängnis
Der Raufußbussard: Mäusejäger mit UV-Blick
Kampfläufer: Paradiesvögel auf Zeit
Leben und Überleben in der nordamerikanischen Tundra
Schneegänse: Wiedervereinigung durch veränderte Reiserouten
Der Trompeterschwan: Rettung im letzten Augenblick
Der Kanadakranich: Bodypainting zur Tarnung und Werbung
Der Kälte entfliehen: Nomaden und Gäste
Die meisten der etwa 100 Vogelarten der Tundra sind Sommergäste, die zum Brüten in diesen Lebensraum kommen. Auslöser für die Abreise der Zugvögel aus der Tundra sind zumeist nicht Nahrungsmangel oder das Zufrieren der Gewässer, sondern die kürzer werdenden Tage. Da es im hohen Norden im Spätsommer abends länger hell bleibt als weiter im Süden, brechen die Tiere umso später auf, je weiter nördlich sie gebrütet haben. Man mag sich fragen, warum die Vögel nicht das ganze Jahr in ihren klimatisch angenehmeren Winterrevieren bleiben. Zum einen ist dort vermutlich der Feinddruck größer und zum anderen ermöglicht ihnen der arktische Sommer wohl die Aufzucht größerer Bruten: Ein paar Wochen lang gibt es Gras und Insekten im Überfluss und der Dauertag erlaubt es, rund um die Uhr auf Futtersuche zu gehen.
Unterwegs und in ihren Sommerrevieren drohen den Zugvögeln viele Gefahren. So ist die Zahl der sibirischen Schneegänse stark zurückgegangen, weil ihre Rastplätze in Kalifornien von Menschen besiedelt wurden. Die Zugrouten folgen oft uralten Traditionen aus menschenärmeren, vorindustriellen Zeiten; so ziehen viele Vögel aus Kanada, die einst über die Beringstraße nach Amerika eingewandert sind, immer noch über Europa nach Afrika. Die Zwerggänse, die in der schwedischen und finnischen Tundra brüten, ziehen auf ihrem Weg in die Überwinterungsgebiete am Niederrhein durch gefährliches Terrain in Osteuropa. Hier wurden sie in den letzten 50 Jahren durch massive Bejagung und durch die Trockenlegung der Seen, an denen sie Rast machen, bedrohlich dezimiert. Da die Routen nicht genetisch vorprogrammiert sind, versucht man heute, den Rückgang der Vögel durch spezielle Maßnahmen aufzuhalten: Man gewöhnt die Jungvögel an Ultraleichtflugzeuge und fliegt mit ihnen fast 2000 km weit über weniger riskante Gebiete in Dänemark und Deutschland an den Niederrhein – in der Hoffnung, dass sie sich die neue Strecke einprägen und an ihre Kinder weitergeben. Mit neuen Techniken wie der Telemetrie gelang es binnen weniger Jahre, viele Zugrouten aufzuklären. Hierzu werden den Tieren leichte Sender umgehängt und ihre Zugwege per Satellit erfasst. Die Pioniere der Satelliten Telemetrie waren die Zwergschwäne, die um 1990 in Holland erstmals mit Sendern ausgestattet wurden. So stellte man fest, dass sie auf dem Weg in ihre sibirischen Brutgebiete mehrere hundert Kilometer über die offene Ostsee fliegen. Die westsibirischen Prachttaucher vollführen einen sog. Schleifenzug, d. h., sie ziehen auf einer völlig anderen Route zurück nach Norden als zuvor nach Süden.
Zu Fuß unterwegs
Auch manche Säugetiere ziehen im Winter aus der Tundra fort, wobei eher ihr knurrender Magen der Motor ist. Polarfüchse versuchen zwar auch, extremen Minusgraden auszuweichen, wandern aber sogar über das zugefrorene Meer, um Beute zu finden. Rentiere suchen Wälder und Gebirgszüge auf, in denen die Schneedecke dünn genug ist, um darunter Pflanzen frei scharren zu können. Die Karibus der nordamerikanischen Porcupine-Herde paaren sich jeden Herbst am Porcupine River; danach ziehen sie den Winter über in kleinen Gruppen durch die Ogilvie Mountains, wo sie problemlos –60 °C ertragen. Mehrere hundert Kilometer weiter treffen sich die trächtigen Kühe im Frühjahr am Setzplatz, jedes Jahr an einer anderen Stelle. Nach dem Kalben stoßen auch die Männchen wieder dazu. Auf ihrer über 1000 km langen Rundwanderung durch Kanada und Alaska passieren sie seit Jahrhunderten dieselben Furten. Zusehends schränkt das durch die Erderwärmung bedingte Auftauen des Permafrostbodens in unwegsamen Morast die Wanderungen der Tundrabewohner ein.
Rentiere: Wanderer zwischen Tundra und Taiga
Die Rentiere Nordeuropas und Nordasiens gehören derselben Art an wie die Karibus Nordamerikas: Rangifer tarandus aus der Familie der Hirsche. Von allen anderen Hirschen unterscheiden sie sich darin, dass auch die Weibchen Geweihe tragen. Während die Rentiere bereits vor über 5000 Jahren domestiziert wurden und seither das Leben etlicher Nomadenvölker geprägt haben, ist dies bei den Karibus nie gelungen.

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Gradin
Karibus im Denali-Nationalpark
Wärmetauscher und Spezialschmiermittel
Gleich bei seiner Geburt muss ein Renkalb einen Temperatursturz von über 50 °C verkraften und trotz seiner noch dünnen Fettschicht und Behaarung eiskalten Regen und Schneestürme aushalten. Bei schlechtem Wetter kann es seine Wärmeerzeugung auf das Fünffache des Normalwerts hochfahren: ein Luxus, den die extrem nahrhafte Milch seiner Mutter möglich macht. Außerdem haben die Tiere lange, dünne Beine und große Füße, über die eigentlich viel Wärme entweichen müsste. Verhindert wird dies durch ein Adernetzwerk am Übergang zwischen Rumpf und Gliedmaßen. Hier tritt ein Großteil der Wärme aus den Arterien direkt in das ausgekühlte venöse Blut über, ohne erst in die Beine zu gelangen. Dass diese trotz dieser Auskühlung beweglich bleiben, liegt an den besonders kurzkettigen Kohlenwasserstoffen des Beinfetts, das auch bei niedrigsten Temperaturen flüssig bleibt. Die Inuit und Indianer, die Karibus erlegen, können daher das Fett aus den Füßen als flüssiges Schmiermittel und das Markfett aus der Schulter als Nahrungsmittel nutzen. Rentierhaare sind an der Spitze dicker als an der Wurzel und enthalten viel Luft, wodurch das Fell hervorragend isoliert. Im Winter sind sogar die Nasenkuppen und Lippen behaart, damit beim Äsen kein Schnee in Nase und Mund gelangt.
Rentier Rangifer tarandus
Klasse Säugetiere
Ordnung Paarhufer
Familie Hirsche
Verbreitung zirkumpolar auf der Nordhalbkugel, meist Tundra, auch Taiga
Maße Kopf-Rumpf-Länge: 1,2–2,2 m
Gewicht 100–315 kg
Nahrung vielerlei Pflanzenkost, vor allem Blätter, Kräuter, Seggen, Pilze und Flechten
Geschlechtsreife mit 2 Jahren
Tragzeit 200–240 Tage
Zahl der Jungen 1–2, selten bis 4
Höchstalter 15 Jahre
Ständig auf Nahrungssuche
Es ist also nicht die Kälte, die die Rentiere im Winter aus der Tundra vertreibt, sondern der Futtermangel: Zwar sind sie nicht wählerisch und vertilgen sogar Lemminge, aber die Tundra kann im Winter höchstens ein Viertel der Rene ernähren, die im Sommer dort äsen. Daher ziehen sie dorthin, wo mehr Nahrung zugänglich ist: nicht unbedingt nach Süden, sondern in Waldgebiete, in denen der Schnee weniger verharscht ist, oder an Berghänge, auf denen er nicht so hoch liegt. Selbst breite Flüsse halten sie nicht auf; mit ihren paddelartigen Hufen sind sie gute Schwimmer. Ein unüberwindliches Hindernis stellten jedoch die im 19. Jahrhundert geschlossenen Landesgrenzen zwischen Finnland und Norwegen bzw. Schweden dar: Auf Satellitenfotos ist der Grenzverlauf anhand der unterschiedlichen Vegetationsbedeckung beiderseits der Zäune – infolge der Überweidung – heute deutlich erkennbar. Dort, wo ihre Bestände stark zurückgegangen sind, stellen die Tiere ihre offenbar nicht fest ins Erbgut einprogrammierten Wanderzüge aber auch ohne solche Behinderungen ein, sobald die spärlichen Flechten, Seggen, Gräser und Sträucher der Tundra ausreichen, um die Herden ganzjährig zu ernähren.
Ein Jahr im Leben der George-River-Karibus
Die George-River-Herde aus der Unterart Rangifer tarandus caribou lebt in einem Territorium von etwa 700 000 km2 im nördlichen Quebec und Labrador. Sie ist die mit Abstand größte Karibuherde des nordamerikanischen Kontinents. Teile dieser Herde legen in einem Jahr 4000 km, manche Tiere sogar 9000 km zurück. Der Zyklus beginnt mit der Frühjahrswanderung. Die trächtigen Weibchen führen ihre kleinen Gruppen von den Winterweideplätzen in den Nadelwäldern zu den Kalbungsgebieten auf den baumlosen Hochebenen am Ostufer des George River. Alle trächtigen Kühe gebären binnen zweier Wochen, so dass die Kälber den Schutz der Gruppe genießen. Dennoch werden viele von Wölfen, Bären oder Steinadlern geschlagen oder nach Stürmen und Kälteeinbrüchen von Krankheiten dahingerafft. Das frische Woll- und Riedgras der Kalbungsgründe liefert den Müttern die nötigen Nährstoffe zur Produktion ihrer calcium- und fettreichen Milch.
Schon bei der Geburt haben die 6 kg schweren Kälber so starke Knochen, dass sie gleich aufstehen; mit einem Tag sind sie bereits so schnell und sicher auf den Beinen, dass sie jedem Menschen davonlaufen können. Mit sechs Tagen schaffen sie schon 15 km am Tag, so dass ihre Mütter die Wanderung wieder aufnehmen können. Ende Juni schließen sich die restlichen Kühe, Jährlinge und jungen Bullen, die die Wintergründe erst später verlassen haben, den Müttern und ihren Kälbern an und bilden große Züge von oft über 100 000 Tieren, die gemeinsam zu den Sommerweidegründen wandern und bis August zusammenbleiben.
Auf der Flucht vor gefährlichen Plagegeistern
Diese Zusammenballung bietet vermutlich einen gewissen Schutz vor den riesigen Schwärmen von Stechmücken und Dasselfliegen. Während des Höhepunkts der Insektenplage nehmen die Karibus ab, da sie nur noch ein Drittel ihrer Tage mit Äsen und Wiederkäuen verbringen können, und fallen vermehrt Raubtieren zum Opfer. Am liebsten halten sie sich nun auf Höhenzügen auf, deren kalte Luft die Insekten meiden. Die überaus unangenehmen Angriffe von Dasselfliegen und Hautdasseln können ganze Herden in Panik versetzen; erst der herbstliche Kälteeinbruch macht der Plage ein Ende. Ab Mitte September haben die Karibus dann endlich wieder mehr Zeit zum Fressen und verlieren nicht mehr so viel Energie durch die ständige Flucht. Mit saftigen Gräsern, nahrhaften Pilzen und Beeren fressen sie sich nun eine Fettschicht für den Winter an.
Anstrengende Brunftzeit
Die ersten schweren Schneefälle des Herbstes sind das Signal zum Aufbruch gen Süden. In großen Gruppen ziehen die Tiere jetzt zu den Brunftplätzen, an denen die erwachsenen Männchen ab Mitte Oktober um das Recht kämpfen, möglichst viele Kühe zu begatten. Seit Monaten haben sie sich in Scheinkämpfen geübt und ihr nun über 1,5 m langes Geweih gefegt, also den Bast, der es während des Wachstums überzog, an Büschen abgerieben und dabei auch ihre Halsmuskeln gestärkt. Der Hals ist fast doppelt so dick wie sonst, das Körpergewicht um 20 % gestiegen: Große Bullen wiegen nun bis zu 315 kg.
Wenn rein symbolisches Kräftemessen durch breitbeiniges Kopfneigen nicht zu einem Ergebnis führt, lassen zwei Bullen ihre Geweihe mit voller Wucht aufeinanderprallen und schieben und stoßen sich mit verkeilten Waffen hin und her; dabei kommt es oft zu schweren, mitunter auch tödlichen Verletzungen. Zwei Wochen lang bleiben die Bullen in ständiger Erregung, sie fressen und ruhen nicht und zehren ihre Reserven auf. Am Ende der Brunftzeit, im November, hat ein starkes Tier im Schnitt zwölf Kühe begattet; viele erschöpfte Bullen überleben den anstehenden Winter nicht. Die Männchen werfen nach der Paarungszeit ihr Geweih ab; im Mai wächst ein neues. Die Weibchen haben ihre Geweihe erst im Juli bekommen und behalten sie bis zur Geburt ihrer nächsten Kälber. So können sie Futterlöcher, die sie in den Schnee scharren, gegen Männchen und nicht trächtige Kühe verteidigen.
Jedes Jahr verbringen die George-River-Karibus 70 % ihrer Zeit im Schnee. An den Füßen schrumpfen die Ballen und die Haupthufe und Afterklauen werden so lang, dass die fleischigen Sohlen vor dem Kontakt mit dem eisigen Boden geschützt sind.
Die Winternahrung besteht vor allem aus Flechten, die zwar nahrhaft, calciumreich und gut verdaulich sind, aber wenig Proteine enthalten. Ein Teil des Calciums wird bei den Weibchen als Vorrat im Geweih eingelagert, ein Teil in die Knochen des heranreifenden Embryos eingebaut, damit das Kalb nach der Geburt rasch auf die Beine kommt, und ein Teil mit dem Kot ausgeschieden. Am häufigsten wird die weiße oder graugrüne Rentierflechte Cladonia rangiferina gefressen, deren 5 cm hohe, lederartige Zweige die Tiere noch unter 60 cm Schnee wittern und ausgraben. Ende Dezember legen Karibus im Wald nur noch 5 km am Tag zurück; um mit der kargen Nahrung auszukommen, stellen sie ihr Wachstum ein und reduzieren ihren Grundumsatz um 25 %. Die Jungtiere verlieren 10 % ihres Körpergewichts, obwohl ihre Mütter mehr als zwölf Stunden am Tag mit dem Scharren von über 100 Futterlöchern verbringen.
In sehr harten Wintern ziehen Teile der George-River-Herde in die Nähe menschlicher Siedlungen; dann sind sie mit Motorschlitten und modernen Schusswaffen besonders leicht zu jagen und zu erlegen. Neben dem Fett und den mageren Steaks gelten auch die anverdauten und daher für Menschen genießbaren Flechten im Magen mancherorts als Delikatesse. Aus den Geweihen werden Angelhaken, aus den Schienbeinknochen Messer, aus den Sehnen starke Stricke gefertigt und die Felle werden zu Kleidung verarbeitet.
Folgen des Klimawandels?
In Südlabrador und anderen nicht ganz so kalten Taiga- und Tundragebieten leben etliche kleinere Herden mehr oder weniger stationär; auch einige eurasische Rentiergruppen haben ihre traditionellen Wanderungen in den letzten Jahren aufgegeben. Möglicherweise schränkt das Auftauen des Dauerfrostbodens infolge der Erderwärmung in undurchdringlichen Morast die Mobilität der Rentierherden immer mehr ein.
Womöglich schwanken die Herdengrößen aber auch vollkommen unabhängig vom Klima, weil ein starkes Anwachsen langfristig zu einer Schädigung der Pflanzendecke in den Weidegründen und damit wieder zu einem Schrumpfen der Populationen führt. Vor allem die Regeneration überweideter Rentierflechtenbestände dauert wegen des außerordentlich langsamen Wachstums dieser Pflanzen – nur 5 mm pro Sommer – mehrere Jahrzehnte.
Moschusochsen: eiszeitliche Energiesparmeister
Moschusochsen leben in den Tundren Grönlands, Kanadas, Alaskas, Nordnorwegens und der russischen Wrangel-Insel. Aus unseren Gefilden haben sie wohl steinzeitliche Jäger und der Klimawandel vertrieben: Bei trockenen und stürmischen –50 °C fühlen sie sich wohler als bei moderater Temperatur und Feuchtigkeit. Ihr Fell aus teils über 60 cm langen Grannenhaaren und einer sehr dichten Unterwolle ist nämlich nicht wasserfest, da sie keine Talgdrüsen besitzen. Trocken isoliert es wegen der eingeschlossenen Luft aber hervorragend.

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Moschusochsen lieben die trockene Kälte, ihr Fell ist nicht wasserfest.
Kältefeste Ziegenverwandte
Moschusochsen bekämpfen die Widrigkeiten des nordischen Winters durch Energiesparen. Schon bei den Neugeborenen ist das Fell so lang, dass es die dünnen Beine fast bis zum Boden bedeckt. Außerdem kommen sie mit einem Fettgewebe in der Leibeshöhle zur Welt, das zur Wärmeerzeugung »verstoffwechselt« wird. So können sie ihre Körpertemperatur unmittelbar nach der Geburt 75 °C über die Umgebungstemperatur anheben.
Neben dem fast schwarzen Fell hilft auch die schiere Masse: Die Männchen werden bis zu 2,5 m lang und wiegen bis zu 400 kg. Die Weibchen sind deutlich leichter, aber von ähnlich gedrungener Gestalt. Die Beine, der Hals und der Schwanz sind kurz, die Ohren fast völlig im Fell verborgen. Indem sich die kleinen Herden von 5–20 Tieren bei Eisstürmen zusammendrängen, reduzieren sie die Auskühlung. Die Köpfe mit den empfindlichen Sinnesorganen werden dabei in die Mitte des Kreises gerichtet.
Moschusochse Ovibos moschatus
Klasse Säugetiere
Ordnung Paarhufer
Familie Hornträger
Verbreitung arktische Tundra
Maße Kopf-Rumpf-Länge: 200–250 cm Standhöhe: 125–130 cm
Gewicht Männchen 260–400 kg Weibchen 180–200 kg
Nahrung Gräser, Seggen, Kräuter, Blätter
Geschlechtsreife mit 4 Jahren
Tragzeit 7–9 Monate
Zahl der Jungen 1
Höchstalter über 20 Jahre
Acht Monate Winter
Im hohen Norden bringt der lange Winter nicht nur viel Schnee, sondern auch anhaltende Dunkelheit. Moschusochsen haben aber ein hervorragendes Gehör und Augen mit großen Pupillen und empfindlichen Netzhäuten, so dass sie sich in der arktischen Dauernacht gut orientieren können. Dank ihrer breiten Hufe mit den großen Nebenhufen sinken sie auf hartem Schnee kaum ein. Überhaupt legen sie nur im kurzen Sommer mehr als 2 km am Tag zurück; im Winter bleiben sie an ihren bevorzugten Futterplätzen, die sich durch eine niedrige Schneedecke auszeichnen.
Die Tiere halten sich oft an Flussufern und Küsten oder auf zugigen Hügelflanken auf, wo der Wind den Schnee abträgt. Obwohl sie sich ihren Lebensraum mit Rentierherden teilen, ist die Nahrungskonkurrenz minimal: Moschusochsen fressen nur zur Not Flechten und bevorzugen Flusstäler, die von Renen gemieden werden. Durch das Weiden und ihren Kot fördern sie sogar das Wachstum von Seggen, die mit ihren unterirdischen Rhizomen gegen Verbiss und Vertritt resistenter sind als andere Pflanzen. An größere Bäume lehnen sie sich mit den Vorderbeinen an, um an die oberen Blätter zu gelangen. Ihr effizienter Stoffwechsel ermöglicht die Nutzung solch minderwertiger Nahrung, von denen andere Wiederkäuer nicht leben können. Die zunehmende Erderwärmung führt allerdings zum Überfrieren angetauten Schnees. Die Eiskruste versperrt den Moschusochsen den Zugang zu ihrer Nahrung. Passiert dies häufiger, sind sie vom Aussterben bedroht.
In Igelformation gegen Wölfe und Bären
Neben harschen Hungerwintern oder plötzlichen Wärmeeinbrüchen mit Regen fallen Moschusochsen vor allem den Nachstellungen von Wölfen, Eis- oder Grizzlybären und Menschen zum Opfer. Erst 1869 haben die Europäer die Art bei einer Nordpolexpedition überhaupt entdeckt. Wenige Jahrzehnte später, um 1900, hatten sie sie bereits fast ausgerottet. Durch Schutzmaßnahmen und Wiederansiedlungen hat sich der Weltbestand inzwischen auf schätzungsweise 60 000–80 000 Tiere erholt.
Dass Moschusochsen so leicht zu schießen sind, liegt an ihrer angeborenen Verteidigungsstrategie: Wenn sie von Raubtieren angegriffen werden, fliehen die Erwachsenen nicht, sondern bilden eine halbkreisoder kreisförmige Phalanx, hinter der die Kälber geschützt werden. Ab und zu bricht ein Bulle aus, stürzt mit bis zu 40 km/h auf den Gegner zu und versucht ihn mit den Hörnern zu treffen, die auf der Stirn zu einer dicken Platte verwachsen sind. Auch in der Brunst werden diese Waffen eingesetzt: Die Bullen krachen immer wieder frontal aufeinander und klären so, wer die Kühe decken darf. Der Verlierer kann aber meist in der Herde bleiben, denn gemeinsam hat man im Überlebenskampf in der Tundra einfach bessere Chancen.
Lemminge: die heimlichen Herrscher der Tundra
Über kein anderes Tier der Tundra kursieren so hartnäckige Fehlvorstellungen wie über den Lemming. Das fängt schon damit an, dass es den Lemming gar nicht gibt, sondern allein 17 echte Lemmingarten in vier Gattungen sowie fünf Mulllemminge und einige Wühlmäuse, die ebenfalls als Lemminge bezeichnet werden. Der klassische, ja »sprichwörtliche« Lemming, der vermeintlich alle paar Jahre einer selbstmörderischen Massenpsychose unterliegt, ist der Berglemming. Er nimmt eine Schlüsselrolle in den Nahrungsketten der Tundra ein: als Konsument, »Gärtner«, Konkurrent und unentbehrliche Nahrungsgrundlage vieler Bewohner dieses Lebensraums.

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Ein Lemming räkelt sich in der Sonne.
Alle 17 echten Lemmingarten leben im nördlichen Wald- und Tundrengürtel. Allen gemein ist die gedrungene Gestalt mit der kurzen Schnauze und dem kaum aus dem langen, dichten Pelz herausragenden Schwanz: eine typische Kälteanpassung, um Wärmeverluste über Körperteile mit großer Oberfläche zu reduzieren. Dazu passen auch die kleinen, runden Ohrmuscheln, die fast ganz im lufthaltigen, wasserbeständigen Fell verborgen sind.
Der in Skandinavien und Nordwestrussland beheimatete Berg- oder Fjelllemming (Lemmus lemmus) ist ein lebhaftes, 15–17 cm großes Nagetier. Seine breiten Füße mit den dicht behaarten Sohlen und den vor allem vorn stark ausgebildeten, abgeflachten Grabkrallen an den ersten Zehen weisen auf ein Leben im Schnee und im Boden hin. Das Fell ist mit Weiß-, Gelb-, Rotbraun- und Schwarztönen ausgesprochen bunt, aber im äußersten Norden des Verbreitungsgebiets färbt es sich im Winter zur Tarnung weiß: bei Nagern eine Seltenheit. Mit seinen scharfen Zähnchen und Krallen wehrt sich der Berglemming mutig gegen Angreifer. Weiter im Osten wird er vom Braunen Lemming (Lemmus sibiricus) und dem Amurlemming (Lemmus amurensis) abgelöst.
Gänge im Schnee
Lemminge sind im Prinzip Warmblüter wie Menschen und fangen bei Außentemperaturen unter +20 °C an zu zittern. Aber ihre winzigen Babys sind in den ersten Tagen so isoliert, dass man sie eigentlich als wechselwarm bezeichnen muss: Selbst wenn sie sich kurz auf +3 °C abkühlen, nehmen sie keinen dauerhaften Schaden. Nach etwa zehn Tagen lernen sie zu zittern, um mit den Muskeln Wärme freizusetzen; ihr Fell sprießt und eine isolierende Fettschicht wird aufgebaut.
Diese bleibt jedoch dünn und trotz des dichten Fells würden die Tiere an der eiskalten Luft den Winter nicht überleben. Daher ziehen sie sich in weit verzweigte Gangsysteme unter der dicken, leichten Schneedecke zurück: Am Boden ist es immerhin 0 °C »warm«, so dass die Berglemminge ohne Winterschlaf und gehortete Nahrungsvorräte auskommen und sogar noch Junge aufziehen, wenn 50 cm über ihnen –20 °C herrschen. Ihre kugeligen Nester sind dick mit Gras und Moos ausgepolstert. Moos bildet im Winter auch ihre wichtigste Nahrungsquelle, denn es bleibt unter dem Schnee frisch und leicht zugänglich. Da diese Kost schwer verdaulich und kalorienarm ist, müssen die Tiere ständig fressen. Auch Knospen von Zwergsträuchern, Rentierflechten, Samenkörner, Wurzeln und Rinde gehören zu ihrer Winternahrung.
Unentbehrliche Gärtner
Alle drei bis vier Stunden müssen Lemminge auf Futtersuche gehen, sechs- bis achtmal am Tag, denn ihr Stoffwechsel brennt gerade im Winter auf Hochtouren und ihre Nahrung ist energiearm. Im Sommer fressen Berglemminge im feuchten Tiefland vor allem die Gräser und Seggen, während die Halsbandlemminge der Gattung Dicrostonyx in höheren, trockeneren Lagen Kräuter vertilgen.
Die meisten Lemminge haben ständig nachwachsende Mahlzähne, mit denen sie harte, kieselsäurehaltige Kost wie Gräser kauen können. Außerdem schließen Mikroorganismen in ihrem Blinddarm Zellulose auf; diese Fermentation liefert den Tieren bis zu 30 % ihrer Energie sowie Vitamin B. Manchmal fressen Lemminge wie Hasen ihren eigenen Kot, um die magere Kost durch zweifache Verdauung besser zu nutzen. Wenn Berglemminge im Sommer Gänge in die obere Erdschicht graben, belüften sie den Boden und verbessern so die Wachstumsbedingungen für Gräser und Seggen. Außerdem beschleunigen sie durch die Zerkleinerung toter Pflanzenteile die Kompostierung und düngen den Boden mit ihrem Kot. Ohne sie würden die Mineralien nicht so schnell in den Stoffkreislauf zurückkehren – und das noch aus einem zweiten Grund: Wenn sie die toten Vegetationsanteile nicht kappen würden, wäre der Boden im Sommer durch die Pflanzendecke stärker isoliert und würde nicht so tief auftauen, so dass die Mineralstoffe aus den tieferen Schichten für die Pflanzen unerreichbar blieben.
Echte Lemminge Lemmus
Klasse Säugetiere
Ordnung Nagetiere
Familie Wühler
Verbreitung höhere Breiten der nördlichen Halbkugel
Maße Kopf-Rumpf-Länge: 15–17 cm
Gewicht 40–130 g
Nahrung Moose, Seggen, Binsen, Gräser
Geschlechtsreife mit 3 Wochen
Tragzeit 21–25 Tage
Zahl der Jungen 1–13, meist 6–8
Höchstalter 2 Jahre
Sobald im Frühjahr Tauwetter einsetzt, drohen die Gänge im Schnee einzubrechen; das Moos trocknet und wird dadurch für die Berglemminge ungenießbar. Von ihren Winterquartieren an den Berghängen ziehen sie nun rasch tiefer auf die offenen Moorflächen der Tundra, in Birken- und Weidenwälder oder auf die feuchten Wiesen der Täler. Die Weibchen, vor allem die trächtigen, lassen sich als Erste an geeigneten Fressund Nistplätzen nieder, die Männchen ziehen weiter. Da sie während der Wanderung leichte Beute sind und viele von ihnen in Gegenden mit ungeeigneten Lebensbedingungen landen, gibt es deutlich weniger erwachsene Männchen als Weibchen.
Im Sommer legen die Berglemminge ihre kleinen Nester dicht unter der Erdoberfläche oder auch oberirdisch an – unter Moos, Flechten, Grasbüscheln oder Baumstümpfen versteckt. Sobald im Frühherbst die Seggen welken und der Boden wieder gefriert, wandern sie auf die geschützten Schneeböden und Hänge der Berge zurück, wobei sie oft zum Fressen Halt machen. Normalerweise ziehen sie nur nachts. Dabei legen sie regelrechte Trampelpfade an.
Populationsschwankungen
Berglemminge sind ausgeprägte Einzelgänger; unmittelbar nach der Paarung gehen sie wieder getrennte Wege. Je nach Klima kann ein Weibchen zwei- bis drei-, ja bis zu fünfmal im Jahr Junge werfen. Meist sind es, passend zu den acht Zitzen, sechs bis acht, es wurden aber auch schon zwölf gezählt.
Trächtige Weibchen gehen auseinander wie Pfannkuchen und werden ziemlich unbeweglich, weshalb sie untereinander stark um gute Reviere konkurrieren, in denen sie zur Futtersuche nicht weit laufen müssen.
Die hohe Reproduktionsrate ist eine Anpassung an das kurzfristig reichliche Nahrungsangebot in der Tundra: Weibchen, die darauf besonders schnell mit viel Nachwuchs reagieren konnten, trugen stärker zum Genpool bei als andere. Mit drei Wochen erreichen die Jungen die Geschlechtsreife, mit sechs Wochen können sie selbst schon werfen, so dass viele Weibchen aus dem Frühjahrswurf im Herbst bereits Mütter sind. Außer während des ersten Schneefalls und der Schneeschmelze kann die Reproduktion im Winter weiterlaufen: Da es dann weniger Verluste durch Raubtiere gibt, finden die meisten Bevölkerungsexplosionen der Lemminge unter der Schneedecke statt.
Nicht nur bei den Berglemmingen, sondern bei mindestens zehn Lemming- und Wühlmausarten schwanken die Bestände zyklisch. Manchmal wächst die Population innerhalb von zehn Monaten um einen Faktor von 250 an. Die Frage nach der Ursache bzw. dem Motor dieser Zyklen ist – wie die nach Henne oder Ei – schwer zu beantworten. In raubtierarmen Regionen scheinen sich die Lemminge durch Überweidung ihr eigenes Grab zu schaufeln: Bei über 200 Nagern pro Hektar wird die Vegetation massiv geschädigt, da sie in der Not auch die zum neuen Austreiben wichtigen Teile der Pflanzen fressen. Dann verstärkt sich die Erosion, das Erdreich taut tiefer auf, viele Lemminge verhungern oder sterben an Krankheiten. Im Lauf der nächsten zwei bis vier Jahre erholt sich die Vegetation und damit der Lemmingbestand wieder.
Auswirkungen auf andere Arten
In anderen Gebieten scheinen Raubtiere die Bestandsschwankungen zumindest zu verstärken. Von der Schneeschmelze an dezimieren Greifvögel wie Raufußbussarde, Raubmöwen, Schnee- und Sumpfohreulen die Lemminge massiv, in Nordalaska z. B. binnen weniger Juniwochen auf ein Zehntel oder Zwanzigstel. In schlechten Lemmingjahren brüten sie erst gar nicht, Eisfüchse wandern aus oder stellen sich auf andere Beutetiere um, viele Räuber verhungern. Dadurch sinkt der Jagddruck und der Nagerbestand kann sich in den folgenden Jahren erholen.
Auch Bären, Wölfe, Vielfraße und Iltisse, ja sogar Rentiere fressen Lemminge. Ihre Skelette werden von Spornammern und Schnepfenvögeln als Kalkspender genutzt. Andere Tiere sind sozusagen um zwei Ecken herum von den Lemmingen abhängig. So vermehren sich Eiderenten besser, wenn wegen einer Lemmingschwemme viele Schnee-Eulen und Raubmöwen brüten. In deren Nachbarschaft nistende Enten sind nämlich vor Eisfüchsen geschützt, da die Raubvögel sie vertreiben. Außerdem werden weniger Enteneier und Küken gefressen, wenn den Räubern – Vögeln wie Füchsen – genug kleine Nager zur Verfügung stehen.
Stress bei Überbevölkerung
Wenn die Berglemminge in einem Gebiet zu dicht aufeinanderhocken, bricht unter den Tieren immer öfter Streit aus. Sie fauchen sich an und raufen; der Stress schwächt ihr Immunsystem und sorgt für einen Reproduktionsstopp. Viele gehen an Seuchen ein, noch bevor die Nahrung so knapp wird, dass sie verhungern müssten. Dann endet die Herbstwanderung nicht an den üblichen Winterrevieren. Die jungen Männchen der Population, die bei der Vielzahl starker älterer Männchen keine Gelegenheit hätten, ein Weibchen zu erobern, ziehen weiter, um in einem anderen Lebensraum ihr Glück zu versuchen.
Keineswegs selbstmörderisch
Die Tiere suchen also keineswegs kollektiv den Tod, sondern versuchen vielmehr dem Kollektiv zu entkommen, um weiterzuleben. Nur die Topographie der Landschaft führt dazu, dass sie zu Abertausenden dicht an dicht in dieselbe Richtung eilen, und der Stress treibt sie auch tagsüber voran. In Skandinavien und auf der Halbinsel Kola kann man solche Züge am Pfeifen schon von weitem hören. Etwa dreimal im Jahrhundert dringt so ein Berglemming-Zug dabei im Süden bis zu 200 km in den borealen Wald vor.
An Hindernissen wie Steilhängen und Meeresbuchten stauen sich die Tiere. Da sie mit ihren großen Füßen und dem Luftkissenfell vorzügliche Schwimmer sind, können sie bei gutem Wetter ohne Probleme 2–3 km schwimmen und so Seen oder Flüsse durchqueren. Allerdings vermögen sie mit ihren kleinen, schwachen Augen aus ihrer niedrigen Perspektive einen See oder eine schmale Bucht nicht vom offenen Meer zu unterscheiden, in das sie daher unverzagt hinauspaddeln – zumal die von hinten nachdrängenden Artgenossen eine Umkehr unmöglich machen.
Dann ertrinken sie in Scharen und fallen Fischen, Möwen, Raben und Greifen zum Opfer. Aber auch die Überlebenden schaffen es nur ganz selten, sich irgendwo dauerhaft anzusiedeln. Die legendären Lemmingzüge sind also ein Paradebeispiel für sog. Totwandern.
Der Eisfuchs: ein hasenfüßiger Wanderer
Ein »Hasenfuß« ist der Eis- oder Polarfuchs keineswegs, wenn er Eisbären oder Wölfen folgt, um deren Beutereste zu vertilgen. Aber natürlich muss er vor ihnen auf der Hut sein. Der zweite Teil seines wissenschaftlichen Namens Alopex lagopus bedeutet »hasenfüßig«, da seine Sohlen mit Fell bedeckt sind, damit sie auf gefrorenem Boden, Schnee oder Eis nicht zu stark auskühlen. Er ist der einzige Hundeartige mit dieser Schutzvorrichtung.

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Mit seinem weißen Fell ist der Polarfuchs im Winter gut getarnt.
Der Nahrung hinterherziehen
Im langen Tundrawinter wird für alle die Nahrung knapp, aber kleine bis mittelgroße Raubtiere trifft es besonders hart: Alle Zugvögel sind verschwunden, die Nagetiere haben sich unter die dicke Schneedecke verkrochen, Rentiere und Moschusochsen sind zu groß, um erlegt zu werden. Daher wandern die zirkumpolar verbreiteten Eisfüchse der Nahrung hinterher: In Sibirien ziehen manche 1000–2000 km nach Süden, andere wagen sich sogar auf das zugefrorene Meer hinaus. Sie haben nur eine dünne Fettschicht und müssen erfrieren, wenn ihr Pelz nass wird. Auf Eisschollen, die vom Packeis losbrechen, treiben sie oft hunderte von Kilometern ab; viele verhungern, manche haben es jedoch geschafft, entlegene Eilande wie Island, Spitzbergen oder die Wrangelinsel zu besiedeln. Wie bei zahlreichen anderen Arten sind die Inselfüchse kleiner und leichter als ihre Festlandvettern – wohl weil ihre Beute ebenfalls klein bleibt und sie sich keiner großen Konkurrenten und Fressfeinde zu erwehren haben.
Auf dem Eis heften sie sich oft allein oder zu mehreren an die Fersen eines Eisbären, um die Überreste seiner Beute zu fressen. Sie vertilgen sogar seinen fettreichen Kot.
In Alaska ziehen die Füchse im Herbst von ihren Reproduktionsgebieten an die Küsten. Dort patrouillieren sie bei Ebbe am Strand und ernähren sich von Muscheln und Krebsen, Fischen und angespültem Aas, sogar von Tang. Im Frühjahr wandern sie wieder zurück zu ihren Bauen.
Eisfuchs Alopex lagopus
Klasse Säugetiere
Ordnung Raubtiere
Familie Hundeartige
Verbreitung zirkumpolar: nördlich der Waldgrenze Eurasiens, Nordamerikas und Grönlands
Maße Kopf-Rumpf-Länge: 50–70 cm, Standhöhe:
30 cm, Schwanzlänge: 30–40 cm
Gewicht 5–9 kg
Nahrung Allesfresser: bevorzugt Kleinsäuger, Eier und Beeren, auch Aas und Exkremente
Geschlechtsreife nach 10 Monaten
Tragzeit 49–56 Tage
Zahl der Jungen 1–20
Höchstalter 10 Jahre
Je mehr Lemminge, desto mehr Nachwuchs
Im kurzen Sommer frisst der Eisfuchs, was immer er bekommen kann: vor allem Lemminge. Anders als der dämmerungs- und nachtaktive Rotfuchs ist er wegen der besonderen Lichtverhältnisse in der Arktis und Subarktis auch am Tag aktiv. Eine Eisfuchsfamilie nimmt ein 860–6000 ha großes Revier in Anspruch. Bei dem meist monogamen Paar lebt oft noch ein Weibchen aus einem früheren Wurf, das bei der Aufzucht der Jungen hilft. Der Rüde schafft Futter heran und verteidigt den Bau mit lautem Gekläff gegen Eindringlinge. Größere Rudel bilden sich nicht.
In »fetten« Lemmingjahren kann eine Fähe bis zu 20 Junge werfen: mehr als alle anderen Hundeartigen. Zur Versorgung eines solch großen Wurfs schleppt das Elternpaar rd. 100 Lemminge am Tag an. Wenn deren etwa vierjähriger Populationszyklus seinen Tiefpunkt erreicht, tragen die meisten Fähen nicht, haben Totgeburten oder bekommen nur wenige Junge. Es scheint, dass die Zahl der im zeitigen Frühjahr entstehenden Embryonen nicht vom aktuellen Ernährungszustand der Weibchen abhängt, sondern die Zahl der Lemminge im folgenden Sommer gewissermaßen antizipiert. Wie das funktioniert, ist allerdings noch unbekannt.
Musterbeispiel für die Allen’sche Regel
Vergleicht man die Gestalt von Eisfuchs, Rotfuchs und Fennek bzw. Löffelhund, so findet man die Allen’sche Regel bestätigt, nach der großflächige oder hervorstehende Körperteile bei verwandten Arten umso kleiner ausfallen, je kälter ihr Lebensraum ist. Eisfüchse haben sehr kleine Ohren, die Hundeartigen der Wüste hingegen riesige Löffel, die nicht nur zum Einfangen von Schall dienen, sondern auch zur Abstrahlung überschüssiger Wärme.
Die Stoffwechselrate des Eisfuchses steigt erst bei –50 °C deutlich an; selbst bei –70 °C verbraucht er nur ein Drittel Energie mehr, um seine Körpertemperatur zu halten. In Relation zu seinem zierlichen Körper (Rotfüchse werden fast doppelt so schwer) hat er im Winter lange Haare: Bis zu 7 cm messen die dichten Deckhaare im Winter. Im Sommer ist der Pelz viel kürzer und dünner, um eine Überhitzung zu verhindern.
Neben der Dichte ändert sich auch die Fellfarbe zweimal im Jahr. Die sog. Blaufüchse sind im Winter schieferblau und im Sommer schokoladenbraun. Wo lange viel Schnee liegt, wird das Fell im Winter weiß und im Sommer graubraun. Beide Farbschläge können aber – mit allen möglichen Übergängen – in ein und demselben Wurf auftauchen. Genetisch ist das Blaugrau dominant, das Weiß hingegen eine rezessive Mutation. Da es im Schnee eine bessere Tarnung vor Feinden und Beute ermöglicht, wird es in der Arktis aber durch die Auslese bevorzugt. Auf manchen Inseln hingegen, wo der Wind den Schnee rasch vom dunklen Grundgestein abträgt, sind die Blaufüchse in der Überzahl.
Schneehasen: Mümmelmänner mit Gemeinschaftssinn
Mit seinem hasentypischen Blickfeld von fast 360 Grad, den beweglichen Löffeln und den extrem langen, schneeschuhartigen Hinterpfoten vermag der Schneehase (Lepus timidus) seinen Fressfeinden oft zu entkommen. Ungewöhnlich für die sonst einzelgängerischen Hasen: In der Arktis hocken oft über 100 Tiere beieinander, damit sie Raubtiere rascher entdecken und verwirren können.

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Schneehase im Sommerfell
Weiß oder braun, je nach Temperatur
Mittelgroße Säuger wie Schneehasen haben es in extremen Lebensräumen wie der arktischen Tundra besonders schwer: Sie sind zu groß, um Gänge im Schnee anzulegen, und zu klein, um sich gegen Wölfe oder Füchse zur Wehr zu setzen. Deshalb färben sich Schneehasen zweimal jährlich zur Tarnung um. Im Sommer sind sie mit ihrem grau-, rot- und gelbbraunen Fell ebenso schwer zu erkennen wie im Winter mit ihrem weißen Pelz. Dieser hält zudem die Körperwärme etwa 25 % besser als die Sommertracht, da er dichter ist und die einzelnen Haare statt Pigmenten gut isolierende Luft enthalten. Die Ohrenspitzen bleiben ganzjährig schwarz und dienen als Signale für Artgenossen. Die Ohren selbst sind deutlich kürzer als bei den südlichen Verwandten, um Wärmeverluste zu reduzieren. Die Haare an den Hinterpfoten, auf deren Pflege sie einen großen Teil ihrer Ruhezeit verwenden, sind besonders lang und steif und die Zehen können weit abgespreizt werden, so dass die Tiere auf Schnee und Eis schneller vorankommen als Feldhasen (Lepus europaeus).
Schneehase Lepus timidus
Klasse Säugetiere
Ordnung Hasentiere
Familie Hasen
Verbreitung nördliches Eurasien: Skandinavien, Schottland, Irland, Alpenraum, Baltikum, Osteuropa, Sibirien bis in die Mongolei, Nordchina, Nordjapan (Hokkaido)
Maße Kopf-Rumpf-Länge: 40–60 cm
Gewicht 3–5,5 kg
Nahrung Gräser, Kräuter, Heidekraut, Zweige, Rinde
Geschlechtsreife mit 9–11 Monaten
Tragzeit 50 Tage
Zahl der Jungen 2–5, selten bis 12
Höchstalter 8 Jahre
In Tundra, Wald und Moor
Schneehasen leben auch in lockeren Mischwäldern, Zirbelkieferdickungen, Mooren oder Schilf- und Gestrüppzonen an Flussufern zwischen dem 50. und 77. Breitengrad. In Mitteleuropa sind sie seit dem Rückzug der eiszeitlichen Gletscher, vor allem aber seit den mittelalterlichen Waldrodungen vom Feldhasen nach Norden bzw. in die alpine Zone verdrängt worden. Ihr amerikanischer Verwandter wird oft als separate Art geführt: Der Nordamerika-Schneehase oder Arktishase (Lepus arcticus) wird bis zu 5,5 kg schwer und ist damit der größte Hase. Da im nordamerikanischen Taigagürtel der nicht näher verwandte Schneeschuhhase (Lepus americanus) zu Hause ist, streift der Arktishase in Kanada und Alaska durch offenes Gelände.
Die Schneehasen zieht es im Winter oft auf Höhenzüge mit flacher Schneedecke. Beim Fressen drehen sie dem Wind den Rücken zu; wenn er zu stark wird, suchen sie Deckung neben Felsen oder ducken sich in selbst gegrabene Schneekuhlen. Ihre Winterkost besteht aus der Rinde und den dünnen Zweigen von Birken, Espen, Weiden, Hasel- und Beerensträuchern. Im Sommer fressen sie Kräuter wie Löwenzahn, Gänseblümchen und Thymian sowie Beeren und Gräser. In Schottland nehmen die Nahrungsopportunisten viel Heidekraut zu sich, in Irland sogar Meeresalgen.
Je nördlicher, desto größer
Schneehasen sind Musterbeispiele für die sog. Bergmann’sche Regel, der zufolge die Exemplare einer Art im Durchschnitt umso größer sind, je kälter ihr Lebensraum ist. An der Schädellänge lässt sich dieses Nord-Süd-Gefälle gut ablesen: In Schottland sind es nur 70 mm, auf der japanischen Insel Hokkaido 80 mm und in Nordsibirien sowie Nordwestalaska sogar 87,5 mm. Der Grund dafür ist nicht ganz klar. Zwar haben größere Tiere eine relativ kleinere Oberfläche und können daher ihre Körpertemperatur leichter aufrechterhalten, aber ein dickeres Fell oder Ähnliches würde mit geringerem Aufwand denselben Zweck erfüllen. Vielleicht wachsen die Tiere im Norden langsamer; sie werden dort jedenfalls später geschlechtsreif.
Vorsichtige »Rabenmütter«
Auch die Zahl und Größe der Würfe hängt vom Klima ab. Während Alpenschneehasen zwei- bis dreimal im Jahr je zwei bis drei Junge bekommen, werfen die Häsinnen in Jakutien nur einmal, dann aber im Mittel sieben, maximal zwölf Junge. Darin folgen sie ebenfalls einer Regel: In extremen Lebensräumen ist es effektiver, viele Kinder zu zeugen und in das einzelne dann wenig Energie zu investieren. Nach 50 Tagen Tragzeit kommen die Kleinen voll behaart und mit offenen Augen zur Welt. Nur im hohen Norden legen die Häsinnen Mulden oder Erdhöhlen für sie an. Die Jungen werden getrennt abgelegt und die Mutter schaut nur nachts einmal kurz zum Säugen vorbei; da ihre Milch 23 % Fett enthält, reicht das völlig aus.
Schnee-Eulen: von hoher Warte auf Lemmingjagd
Die Schnee-Eule scheut den Wald und sucht die offene Landschaft: skandinavische Fjells (also baumlose Hochflächen), arktische Tundren und felsige nordische Inseln – sofern es dort Lemminge gibt. Von diesen Wühlmausverwandten ist sie, obwohl Nahrungsopportunist, stark abhängig. Für die Jagd und zum Nisten benötigt sie erhöhte Warten wie Felsen, die aus Schnee- und Eisfeldern herausragen, um den Überblick zu behalten.

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Die Schneeeule hat dunkle Flecken und Querlinien auf dem weißen Gefieder.
Uhuverwandte mit »Moonboots«
Mit Flügelspannweiten von 1,5–1,7 m sind Schnee-Eulen (Nyctea scandiaca) fast so groß wie Uhus. Mit diesen sind sie nach neuesten molekularbiologischen Erkenntnissen auch nah verwandt und werden daher z. T. als Bubo scandiacus bezeichnet. Sie behalten ganzjährig ihr helles Tarnkleid. Allerdings sind nur ältere Männchen fast ganz weiß; Jungvögel und Weibchen haben dunkle Querbänder, »Schuppen« oder Sprenkel, durch die sie zwar bei der Jagd auf Schneefeldern stärker auffallen, aber in der Nistmulde oder auf Geröllfeldern besser getarnt sind. Anders als ihre nachtaktiven südlichen Verwandten jagen Schnee-Eulen zumindest im Polarsommer notgedrungen auch bei Licht. Die Weibchen sind erheblich größer und schwerer als die Männchen. Ihr Gefieder ist dichter und länger als das jeder anderen Eule; sogar die Beine und die Zehen mit den langen, kräftigen Krallen sind mit Federn bedeckt. Diese »Moonboots« schützen sie zudem vor den Bissen ihrer Beutetiere. Schnee-Eulen ertragen Kälte bis zu –68 °C. Um im Winter bei –30 °C ihre Körpertemperatur auf 38–40 °C zu halten, müssen sie täglich vier bis sechs große Lemminge oder sieben bis zwölf Mäuse fressen. Im Unterschied zu allen anderen Eulen können sie sogar Körperfett speichern, so dass sie nicht gleich verhungern, wenn Dauernebel oder ein Schneesturm sie an der Jagd hindert.
Schnee-Eule Nyctea scandiaca
Klasse Vögel
Ordnung Eulenvögel
Familie Eulen
Verbreitung offene Landschaften im Norden von Asien, Europa und Nordamerika
Maße Länge: bis 66 cm; Spannweite: bis 1,7 m
Gewicht 1,7–2,1 kg
Nahrung Kleinnager, aber auch Schneehasen, Vögel bis Gänsegröße und Aas
Zahl der Eier 7–9, selten bis 14
Brutdauer 30–34 Tage
Höchstalter etwa 30 Jahre
Gejagt wird durch Lauern auf einer Warte und im lautlosen, langsamen Pirschflug 10–15 m über dem Boden. Fast 50 Säugerund 90 Vogelarten gehören zum Beutespektrum der Schnee-Eule. Wühlmäuse und Lemminge bilden 80–85 % ihrer Kost. Die Tiere werden mit den Krallen ergriffen, dann bricht die Eule ihnen mit dem Schnabel das Genick. Lemminge werden am Stück verschlungen; 18 bis 24 Stunden später würgen die Vögel das Gewölle mit den unverdaulichen Resten wieder aus.
Sie verschmähen auch Aas nicht und lernen schnell, regelmäßig die Fallen abzusuchen, mit denen Jäger Pelztieren nachstellen. Dank ihrer scharfen Sinne spüren die Eulen selbst unter der Schneedecke Kleinsäuger auf; sie fangen Enten im Flug und können Fische und Wasservögel aus dem Wasser ziehen. Da sie aber in der unmittelbaren Umgebung ihres Nestes nicht jagen, brüten z. B. nordische Gänse und Enten gern in ihrer Nachbarschaft, wo sie vor Füchsen sicher sind.
Familienplanung
Im März oder April versuchen die Eulenmännchen durch Imponierflüge, Herumstolzieren und Liebesgaben wie Lemminge eine Partnerin zu gewinnen. Diese scharrt dann eine Mulde in den Boden. Pünktlich zur Schneeschmelze, in der zweiten Maihälfte, beginnt die Eiablage. Meist legt das Weibchen im Abstand von je zwei Tagen sieben bis neun Eier, selten bis zu 14. Nach 30–34 Tagen schlüpfen die Jungen, auch zeitversetzt, so dass sehr unterschiedlich entwickelte Vögel im Nest sitzen. Das hat zwei Vorteile: Erstens wärmen die älteren Geschwister die jüngeren, zweitens schnappen die stärkeren Jungvögel den schwächeren – allerdings nur bei Nahrungsmangel – das Futter weg, so dass wenigstens zwei oder drei von ihnen wohlgenährt überleben, statt dass der gesamte Nachwuchs hungert. Bis zu 120 kg Futter – etwa 1500 große Lemminge – müssen die Eltern heranschleppen, bis ihre Jungen gegen Ende des Sommers selbständig werden.
Bei Lemmingmangel ab in den Süden
Außer Füchsen, Wölfen und Raubmöwen haben Schnee-Eulen wenig Feinde; man könnte fast sagen, dass ihre Hauptbeute ihr schlimmster Feind ist. Wenn die Lemmingpopulation alle drei bis fünf Jahre großflächig zusammenbricht, kann auch der Eulenbestand auf ein Zehntel zurückgehen. Auf der Banksinsel in Kanada fällt ihre Dichte z. B. von einer Schnee-Eule pro 2,6 km2 auf eine pro 26 km2. Nicht nur, dass viele verhungern oder sich nicht fortpflanzen: Sie wandern auch – genau wie die Sumpfohreulen, Raufußbussarde und Raubmöwen – massenhaft nach Süden aus. Dabei halten sie sich an möglichst tundraähnliche Lebensräume wie Seeufer, Meeresküsten, Ackerland und Prärien.
Das Moorschneehuhn: Überlebenskünstler mit Spikes
Das Moorschneehuhn zählt zu den wenigen Standvögeln der Arktis. Ihre Füße sind befiedert oder durch Hornstifte verbreitert, so dass sie auf Schnee gehen können und dabei wenig Wärme abstrahlen; über den Nasenlöchern liegen siebartige Federn, die den Schnee abhalten, und Moorschneehühner können sich von magerer, teils schwer verdaulicher Pflanzenkost wie Nadeln ernähren.
Mehrere Isolierschichten
Weidentriebe und -knospen gehören zur wichtigsten Winter- und Frühjahrskost des Moorschneehuhns (Lagopus lagopus). Auch Zwergbirkenknospen, Kräuter und frische Heidekrauttriebe scharrt es aus dem Schnee, wenn es keine Spuren oder Fresstrichter von Rentieren oder Schneehasen findet, die ihm diese Energie raubende Arbeit ersparen. Im Sommer bereichern Heidel-, Preisel-, Molteund Krähenbeeren den Speiseplan. Wie Karibus und Ziesel fressen sich Moorhühner in dieser üppigen Zeit eine regelrechte Fettschicht an, von der sie im Winter zehren. Diese verstärkt zudem die Isolationswirkung des zweischichtigen Gefieders aus flauschigen Daunen und schützenden Deckfedern.
Zwar verlassen Moorschneehühner ihren arktischen oder subarktischen Lebensraum auch im Winter nicht, aber in besonders harten Jahren streifen sie auf der Suche nach Gebieten mit weniger hoher Schneedecke weit umher.
Moorschneehuhn Lagobus lagobus
Klasse Vögel
Ordnung Hühnervögel
Familie Fasanenartige
Verbreitung Arktis, Subarktis, Schottland
Maße Länge: 38 cm
Gewicht 550–700 g
Nahrung Knospen, Kräuter, Triebe, Beeren
Zahl der Eier 6–11
Brutdauer 25 Tage
Ständig in der Mauser
Schneehühner sind die einzigen Vögel, die im Winter ein anderes Tarnkleid tragen als im Sommer. Die Hennen mausern sich drei-, die Hähne gar viermal im Jahr. Im Winter färbt sich ihr Gefieder – bis auf Teile des Schwanzes, die schwarz bleiben – schneeweiß. Im Sommer ist es rotbraun, in der Übergangszeit gescheckt. Nur die Unterart Lagopus lagopus scoticus wird im Winter nicht weiß: Sie lebt in den Mooren und Heideflächen Schottlands und Irlands, der Hebriden und der Orkney-Inseln, wo es wegen des Golfstroms selten geschlossene Schneedecken gibt.
Die Mauser umfasst nicht nur das Federkleid: Zu Sommerbeginn werden die langen Winterkrallen abgeworfen, im Herbst wachsen sie nach und die Zehen werden wieder mit Federn bedeckt. Auch die Hornscheiden des Schnabels, die sich mit der Zeit abnutzen, werden regelmäßig erneuert.
Luft anhalten und sich tot stellen
Ein Tarnkleid hilft allerdings nur gegen Augenjäger wie Greifvögel. Um sich vor Eisfüchsen, Mardern und Luchsen zu verbergen, pressen sich Schneehühner reglos auf den Boden. Die Atemfrequenz sinkt um 70 %, so dass weniger Gerüche und Geräusche entstehen, und das Herz schlägt statt 150- nur noch 20-mal pro Minute. Kommt der Räuber jedoch zu nahe, schnellt der Puls auf bis zu 600 hoch und der Vogel schießt in die Luft.
Auffällige Zyklen
Im Frühjahr gesellen sich die Hennen zu den Hähnen, die bereits seit dem Herbst ihre Reviere verteidigen und nun mit kurzen Flugmanövern und Rufen werben. Das Scharren der Nestkuhlen und Bebrüten der Eier ist Frauensache. Die Küken piepen schon Tage vor dem Schlüpfen, verstummen aber sofort, wenn die Henne oder der Hahn Gefahr wittert und einen Warnlaut ausstößt.
Nach dem Schlüpfen und Trocknen werden die Küken sofort zum Weiden geführt; jetzt beteiligt sich auch der Hahn an ihrer Betreuung. Schon nach zwei Wochen können sie fliegen und nach sechs Wochen brauchen die Eltern sie nicht mehr zu füttern.
Wie bei vielen Tundratieren oszillieren die Bestände in Zyklen von drei bis vier oder aber gut zehn Jahren, deren Höhepunkte oft bei benachbarten Alpen- und Moorschneehühnern gleichzeitig erreicht werden. In manchen Gebieten kann das die Folge einer Beuteumstellung bei Füchsen und anderen Raubtieren sein, die sich bei Lemming-, Wühlmaus- oder Schneehasenmangel notgedrungen auf die schwerer zu jagenden Hühner konzentrieren. Etwa alle zehn Jahre liegen die Juni-Temperaturen deutlich über dem Durchschnitt, was sich auf das Wachstum der Beeren und Zwergsträucher und auf den Bruterfolg auswirken kann. Eine sehr hohe Bestandsdichte führt zu Aggressionen zwischen benachbarten Hähnen. Wahrscheinlich können in solchen Jahren junge Hähne kaum Reviere erobern und werden von guten Winterfutterplätzen vertrieben, so dass sie verhungern. So überaltert die Population in den nächsten Jahren, die Verwandtschaftsgruppen zerfallen und der Bestand bricht ein. Dann lässt die Aggression der Hähne nach, so dass junge Männchen attraktive Reviere und Hennen erobern können.
Raubmöwen: Meister des Mundraubs
Zur Gruppe der Raubmöwen gehören neben einigen Arten von Skuas, die in der Antarktis nisten, drei Spezies der Gattung Stercorarius, die in den Tundren, Mooren, Heide- und Graslandschaften der Arktis und Subarktis brüten: die Spatel-, die Falken- und die Schmarotzerraubmöwe. Da diese Zugvögel außerhalb der Brutzeit auf dem offenen Meer leben, sind sie an beide Lebensräume angepasst.

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Skuas sind die größten und aggressivsten Raubmöwen.
Notorische Erpresser
Mundraub, im Fachjargon als Kleptoparasitismus bezeichnet, betreibt die schlanke, bis 600 g schwere Schmarotzerraubmöwe (Stercorarius parasiticus). Sie bedrängt andere Möwen, Seeschwalben oder Sturmvögel im Flug, bis diese ihre Beute aus dem Schnabel fallen lassen oder bereits verschlungene Nahrung wieder auswürgen. Oft fangen die Raubmöwen diese Brocken dann im Flug.
Welche Vögel sie angreifen, entscheiden die geschickten Räuber anhand der Häufigkeit und der Erfolgsaussichten. Kleine Opfer sind zwar weniger wehrhaft, aber dafür oft zu wendig; außerdem ist die Ausbeute bei ihnen eher gering. Tauchende Seevögel sind besonders beliebt, da sie Nahrungsquellen unter der Wasseroberfläche nutzen, die den Raubmöwen ansonsten unzugänglich bleiben. Auch Vögel, die hinter Trawlern herfliegen und deren ins Meer zurückgekippten Beifang verzehren, bilden lohnende Angriffsziele.
Sie nisten an Küsten und in Tundren zwischen den Inneren Hebriden und dem 82. Breitengrad, die meisten in Russland, Island, Norwegen und Schweden. Einzeln oder in lockeren Gruppen lassen sie sich in der Nähe von Möwen- oder Seeschwalbenkolonien nieder, wo sie bequem beobachten können, wer mit prallem Kropf oder schwerem Flug heimkommt. Bringt der Mundraub nicht genug ein, fressen sie auch Eier, Küken und ausgewachsene Vögel. Da sie kleiner sind als Skuas, werden sie von diesen aus manchen Brutgebieten verdrängt.
Die anderen beiden Arten nisten nicht so nah an der Küste und rauben kaum Seevögel aus, sondern fressen vor allem Nager, Vögel, Insekten und sogar Beeren. Dank großer, Verdauungsenzyme speichernder Blindsäcke im Darmtrakt können Raubmöwen ganz unterschiedliche Nahrung verwerten.
Die Weibchen wiegen deutlich mehr als die Männchen. Die Mittlere oder Spatelraubmöwe (Stercorarius pomarinus) bringt im Durchschnitt etwa 800 g bzw. knapp 700 g auf die Waage und benötigt am Tag mindestens 250 g Nahrung. In guten Lemmingjahren ist das kein Problem. Wenn die Halsbandlemming- und Wühlmauspopulationen ihren Tiefststand erreichen, unternimmt die Spatelraubmöwe – so genannt wegen ihrer Schwanzform – hingegen weite Wanderungen.
Die Kleine oder Falkenraubmöwe (Stercorarius longicaudus), deren Steuerfedern 15–25 cm über den Rest des Schwanzes hinausragen, wiegt im Mittel nur 325 g bzw. 270 g. Ihr Brutgebiet deckt sich grob mit dem der Schmarotzerraubmöwe, aber sie nistet meist in einzelnen Paaren fern der Küste auf hoch gelegenen Tundren und Fjells, wo sie kaum schmarotzen kann. Auch sie ist in der Brutsaison stark auf Lemminge angewiesen, ihre Küken fressen jedoch zunächst vorwiegend Insekten. Außerhalb der Brutzeit machen Lemminge weniger als 50 % der Nahrung aus; der Rest sind Küstenvögel, Schneehühner, deren Eier und Küken, Insekten, Aas von Karibus oder Robben und Meeresweichtiere.
Je mehr Lemminge, desto mehr Brutpaare
Wie Eulen sind Raubmöwen noch viel stärker auf Lemminge angewiesen als es Bodenjäger wie Eisfüchse und Hermeline sind, denen es zudem besser gelingt, auch bei geringer Lemmingdichte noch genügend dieser Nager aufzuspüren. Da Falkenraubmöwen jedes Jahr in dasselbe Nistgebiet zurückkehren, pflanzen sie sich in schlechten Lemmingjahren gar nicht fort. Auch Spatelraubmöwen fangen bei weniger als 2,5 Lemmingen pro Hektar gar nicht erst an zu brüten, aber sie sind nicht ganz so standorttreu und wandern z. T. einfach in weit entfernte Gebiete weiter, in denen die Nagetiere im selben Jahr häufig vorkommen. Ihre Nestdichte steigt dabei proportional zum Lemmingangebot: Bei über 100 Nagern pro Hektar (>10 000/km2) können auf eine Fläche von 1 km2 acht Möwenpaare kommen.
Raubmöwennester sind flache Vertiefungen im Geröll oder der Vegetation, in denen meist zwei Eier liegen. Beide Eltern sind für das Ausbrüten der Eier zuständig. Schon nach zwei Tagen verlassen die Küken zeitweise das Nest. Falkenraubmöwen werden mit drei, Spatelraubmöwen mit sechs Wochen flügge. Nach dem Ende der Brutsaison ziehen die Vögel zunächst im Herbst von Nordeuropa an die britischen und irischen Küstengewässer und dann weiter aufs offene Meer hinaus, bis an den Äquator oder gar auf die Südhalbkugel, wo sie fernab der kargen Tundra mit ihrer für sie undurchdringlichen Schneedecke überwintern.
Schmarotzerraubmöwe Stercorarius parasiticus
Klasse Vögel
Ordnung Wat-, Möwen-, Alkenvögel
Familie Raubmöwen
Verbreitung Tundren zwischen den Inneren Hebriden und dem 82. Breitengrad
Maße Länge: bis 46 cm; Spannweite: 110 cm
Gewicht bis 600 g
Nahrung Mundraub bei anderen Vögeln, Eier, Küken, ausgewachsene Vögel
Zahl der Eier 2
Brutdauer 24–28 Tage
Höchstalter bis 25 Jahre
Stechmücken: Fluch und Segen der Tundra
Von den knapp 3000 Stechmückenarten (Familie Culicidae) der Welt leben 80–85 % in den Tropen, wo sie als Überträger von Krankheiten gefürchtet werden. Besonders jedoch im hohen Norden, obwohl es dort nur wenige Wochen im Jahr warm genug für diese Zweiflügler ist und sich nur bestimmte Arten halten können, treten sie in solchen Massen auf, dass sie zu einer regelrechten Plage werden können.

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Stechmücke mit ihrem Stechrüssel in Großaufnahme
Während in Lappland, Grönland und Alaska Myriaden dieser Plagegeister zur Fortpflanzungszeit wie Rauchwolken den Himmel verdunkeln, ist Island zwar nicht mücken-, aber stechmückenfrei: Offenbar hat keines der wind- und kälteempfindlichen Tiere die Reise dorthin überlebt. Manche Arten sind zirkumpolar, andere nur in Eurasien oder Nordamerika verbreitet. Allein in Alaska zählte man 35 Arten, in Finnland 38. Nicht alle stechen Menschen; manche sind auf das Blut anderer Säuger oder Vögel angewiesen. Besonders häufig sind die Wald- und Wiesenmücken der Gattung Aedes. Anders als die Gemeine Stechmücke (Culex pipiens) oder die Malariamücke Anopheles legt Aedes ihre Eier nicht ins Wasser, sondern in Bodensenken etc.
Besondere Bedingungen begünstigen ihre alljährliche Massenvermehrung: Erstens gibt es in der Tundra viele abflusslose Mulden. Zweitens setzt die Schneeschmelze im April/Mai schlagartig die Niederschläge von acht Monaten frei. Drittens kann der Boden, der ab 60–80 cm Tiefe permanent gefroren bleibt, nicht so viel Wasser aufnehmen, so dass es vielerorts vier bis acht Wochen lang stehen bleibt. Viertens wird das Wasser in diesen flachen Tümpeln schon im zeitigen Frühjahr auf über 20 °C erwärmt, selbst wenn die Luft nachts noch Minusgrade hat. Die Tage sind im Sommer so lang – bis zu 24 Stunden –, dass die wärmebedürftigen Larven sich rasch entwickeln. Und zu guter Letzt finden die erwachsenen Weibchen überall dort, wo es viele Lemminge oder Rentierherden gibt, reichlich Blut, um ihre Eier reifen zu lassen.
Stechmücken Culicidae
Klasse Insekten
Ordnung Zweiflügler
Familie Stechmücken
Verbreitung weltweit, außer Polargebiete, Wüsten und Höhenlagen über 1500 m
Maße Länge: max. 15 mm
Nahrung Weibchen: Blut, Männchen: meist Blütennektar
Die größte Dichte erreichen die Stechmücken in der Nähe der subarktischen Baumgrenze. In Kanada kommen dort ca. 1,2 Mio. Exemplare der Art Aedes hexodontus auf 1 ha; sie sind relativ kälte- und windresistent und stechen Tag und Nacht. Je tiefer und schattiger das Gewässer, in dem sich ihre Larven entwickeln, desto später im Jahr schlüpfen die Mücken aus den Puppen. Am frühesten – schon im April – tauchen die wenigen Arten auf, deren erwachsene Tiere in der Laubstreu, unter Borkenstücken oder in Baumstümpfen unter der Schneedecke überwintern wie die große Culiseta alaskaensis.
Die nordamerikanischen Karibus und europäischen Rentiere werden derart von Stechmücken heimgesucht, dass ihr ganzes Sozialund Wanderungsverhalten vom Bestreben nach Linderung geprägt ist. Schließlich kann ein Ren auf diese Weise im Sommer jede Woche gut einen Liter Blut verlieren. Auf der Flucht vor ihren Peinigern ziehen die Rene auf windige Inseln, Küstenstriche oder Berge, denn die Mücken sind schlechte Flieger.
Zeit und Energie benötigen. Um an das nötige Eiweiß zu gelangen, tasten sie sich auf ihren Wirten zu einer Stelle vor, deren Temperatur, Geruch und Geschmack ein dicht unter der Haut liegendes Blutgefäß verheißt. Dann führen sie ihren Stechapparat ein, der aus der Oberlippe, dem Ober- und Unterkiefer sowie der Innenlippe gebildet wird. Durch den Speichelkanal in der Innenlippe injizieren sie Betäubungsmittel und Gerinnungshemmer, während sie durch den Nahrungskanal in der Oberlippe so lange Blut in ihren Verdauungstrakt pumpen, bis Spannungssensoren melden, dass der Hinterleib nicht weiter dehnbar ist. Dann ziehen sie sich zurück und verdauen drei bis vier Tage.
Die nützliche Seite
Die Aedes-Weibchen legen ihre nicht schwimmfähigen Eier einzeln an Moospflänzchen am Rand von stehenden Gewässern oder in Senken ab, die im nächsten Frühjahr geflutet werden. Erst wenn Wasser den Sauerstoffspiegel senkt, schlüpfen die Larven. Sie fressen Mikroorganismen und häuten sich viermal; nach einer kurzen Puppenruhe schlüpfen die Mücken durch eine aufgeplatzte Naht in der Hülle.
Die proteinreichen Larven und Puppen sind unentbehrliche Glieder in der Nahrungskette des hohen Nordens. So lästig sie sind: Ohne Mücken könnten die wenigsten Fische, Schwimm- und Watvögel in der Tundra überleben.
Nur die Weibchen trinken Blut
Zum Glück hat die Plage nach wenigen Wochen ein Ende. Unmittelbar nach der Paarung, zu der sich die Partner anhand des Flugtons orten, sterben die Männchen, die sich nicht von Blut, sondern von Nektar ernähren. Die Weibchen leben etwas länger, da sie zur Produktion ihrer zahlreichen Eier
Unter den arktischen Säugern und Vögeln, die nur oder überwiegend in Eurasien leben, gibt es kaum spektakuläre Arten. Die altweltliche Arktis besitzt weder eigene Familien noch endemische Gattungen und die wenigen Arten, die exklusiv in Eurasien vorkommen, haben in Amerika enge Verwandte. Oft sind die Ähnlichkeiten so groß, dass manche Zoologen die Formen nur als Rassen derselben Art auffassen. Und doch gibt es ein paar eurasische Arten, die den Schritt auf den amerikanischen Kontinent nicht geschafft haben. Dabei dürfte die Beringstraße für die wenigsten Arten ein echtes Hindernis sein. Vielmehr finden die Auswanderer ihre ökologische Nische schon besetzt, wenn sie sich an der Eroberung Amerikas versuchen.
Nach der Jungenaufzucht fliegen die westsibirischen und skandinavischen Strandläufer ins Mittelmeergebiet oder bis in die Breiten der Sahelzone, die östlichen dagegen nach Südostasien. Den jährlichen Gefiederwechsel verschieben sie auf die Herbstsaison, denn die Belastungen während der Brutzeit und des Wegzugs haben ihre Reserven aufgezehrt. Die Jungvögel haben es weniger eilig. Sie fliegen in Etappen, rasten häufiger als die Eltern und ergänzen immer wieder ihr körpereigenes Fettdepot. Entsprechend später treffen sie im Winterquartier ein. Ihre Leistung besteht darin, nur ihrem angeborenen Navigationsprogramm folgend, das richtige Ziel zu erreichen. Ebenso erstaunlich ist die Tatsache, dass die eurasischen Strandläufer, so wie viele andere arktische Watvögel, während der Zugzeit und im Winterquartier einen völlig anderen Lebensraumtyp bewohnen als in der Brutsaison: zehn Monate Gewässerufer gegen zwei Monate karge Tundra. Besonders krass ist der Gegensatz bei der Nahrung, die im Süden aus Krebsen und Muscheln, im Norden aus Mückenlarven besteht.
Für Singvögel wenig attraktiv
Zu den wenigen Singvogelarten, die die eurasische Tundra erobert haben, gehören neben der Ohrenlerche, dem Steinschmätzer und den Ammern auch zwei der mit den Bachstelzen verwandten Pieper. Es sind Bodenbrüter, die sich von Fliegen, Spinnen und anderen Gliedertieren ernähren. Beide leben in Nordsibirien und sind Bewohner der sumpfigen Strauch- und Waldtundra. Den Rotkehlpieper (Anthus cervinus) kann man mit etwas Glück auch in Deutschland beobachten, denn die westlichsten Brutvögel, die in Nordskandinavien leben, überqueren auf dem Zug regelmäßig Mittel- und Westeuropa. Allerdings ist die Art so selten und unscheinbar, dass sie leicht übersehen oder mit anderen Arten verwechselt wird.
Übrigens hat es der Rotkehlpieper doch schon nach Amerika geschafft: Auf der Seward-Halbinsel im Westen Alaskas, quasi auf der »Bordsteinkante« der Beringstraße, hält er einen winzigen Brückenkopf auf amerikanischem Boden besetzt.
Wie eine Maus im Dickicht
Die zweite Art, der Petschora-Pieper (Anthus gustavi), ist mit ihrem beigebraunen, unregelmäßig dunkel gefleckten Gefieder ebenfalls die Unauffälligkeit in Person. In der Bodenvegetation ist der Vogel perfekt getarnt. Auch sonst tut der Petschora-Pieper alles, um für mögliche Feinde unsichtbar zu bleiben. Wie eine Maus bewegt er sich zwischen den Grasbüscheln, schlüpft durch das kniehohe Gewirr der Zwergsträucher und verharrt regungslos, wenn er beunruhigt ist. Nur während der kurzen Brautwerbungsphase im Frühsommer teilt er seiner Umgebung lautstark mit, wo er ein Revier beansprucht und ein Weibchen sucht. Seinen trillerndzwitschernden Gesang trägt er in einem kurzen Singflug vor. Im Gegensatz zu vielen nordischen Zugvögeln schlägt der Petschora-Pieper eine südöstliche Zugroute ein und überwintert in Indonesien.
Der Singschwan: Jumbo der Arktis
Mit 8–12 kg gehört der Singschwan (Cygnus cygnus) zu den Schwergewichten unter den flugfähigen Vögeln der nördlichen Hemisphäre. Große Männchen messen 1,6 m von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze. Wenn sie den Hals in die Höhe recken und drohend die Flügel ausbreiten, schüchtern sie fast jeden Räuber ein. Während der Balz werden auffällige Werberituale durchgespielt.
Urheber des Schwanengesangs?
Viel häufiger als die uns vertrauten Höckerschwäne sind Singschwäne an Land zu beobachten. Sie laufen geschickter als der unbeholfen watschelnde Höckerschwan. Während dieser meist nur in Nestnähe sein Fauchen hören lässt, machen die arktischen Schwäne häufig Gebrauch von ihrer Stimme. Das Repertoire reicht von kurzen, gänseähnlichen Kontaktlauten bis zu trompetenden Fernrufen. Das Brutgebiet des Singschwans ist auf Nordskandinavien und Sibirien beschränkt. Der westlichste Vorposten ist Island. Im Norden reicht das Brutgebiet zwar bis in die Tundra, es liegt aber zum größeren Teil in der borealen Zone, wo die imposanten Vögel mit dem gelben Schnabelgrund Seen und Sümpfe bewohnen. Noch deutlich weiter in die Arktis als der Singschwan geht der Zwergschwan (Cygnus bewickii), dessen Verbreitungsgebiet praktisch vollständig nördlich der Waldgrenze liegt. In Nordamerika wird der Singschwan vom ähnlichen Trompeterschwan (Cygnus buccinator) vertreten. Und auch zum Zwergschwan gibt es ein amerikanisches Pendant: den Pfeifschwan (Cygnus columbianus).
Zum Brüten suchen die Singschwäne größere und kleinere Seen mit reicher Verlandungsvegetation auf. Bewaldete Ufer werden gemieden. Sowohl Sing- als auch Zwergschwäne besetzen große Reviere und dulden keine anderen Paare in ihrer Nähe. Auch gegenüber Räubern sind die Tiere stets abwehrbereit. Ihre Nester in unmittelbarer Nähe des Wassers ähneln denen des Höckerschwans. Beide Arten isolieren die Nestmulde mit Daunen. Die vier bis sieben Singschwaneier – beim Zwergschwan sind es oft nur zwei bis drei – werden vom Weibchen einen Monat lang bebrütet, bevor die Jungen schlüpfen. Junge Singschwäne werden nach acht Wochen flügge, Zwergschwäne bereits mit sechs Wochen.
Singschwan Cygnus cygnus
Klasse Vögel
Ordnung Gänsevögel
Familie Entenvögel
Verbreitung Seen, Flussmündungen und Sümpfe der eurasischen Taiga und Tundra und auf Island
Maße Länge: 1,6 m; Spannweite: bis 2 m
Gewicht 8–12 kg
Nahrung Wasserpflanzen, im Winter zarte Gräser und Wurzeln
Geschlechtsreife mit 4 Jahren
Zahl der Eier 4–7
Brutdauer 4 Wochen
Höchstalter 8 Jahre
Nächtliche Mahlzeiten unter Wasser
In den ersten zwei Lebenswochen nehmen die Jungen neben pflanzlicher Kost noch Mückenlarven, Schnecken und andere Wasser bewohnende Kleintiere auf. Je größer sie werden, desto stärker überwiegt vegetabilische Nahrung und als Erwachsene ernähren sie sich fast nur noch von Pflanzen. Meist rupfen sie Laichkräuter, Wasserpest oder Süßgräser unter Wasser ab. Gründelnd erreichen sie eine maximale Tauchtiefe von mehr als einem Meter. Sie begnügen sich aber nicht mit Sprossen und Blättern: Im weichen Grund graben sie auch die nährstoffreicheren Wurzeln der Sumpfpflanzen aus. Oft legen sie diese zunächst mit den Füßen frei, indem sie mit kräftigen Paddelbewegungen den Schlamm aufwirbeln.
Sing- und Zwergschwäne fressen und ruhen zwar nicht zu beliebigen Zeiten, doch ist ihr Aktivitätsrhythmus individuell. Ein großer Teil der Tiere hat seine Ruhephasen auf die Tagesstunden verlegt und nutzt die Dämmerung und Dunkelheit für die Nahrungssuche.
Wechselnde Winterquartiere
Die winterlichen Ziele von Sing- und Zwergschwan sind keine Traditionsplätze, sondern hängen stark von der Witterung, besonders von der Dauer und Stärke des Frostes ab. Singschwäne aus Island beispielsweise verlassen ihre Insel nur, wenn alles Süßwasser zufriert. Erst dann begeben sie sich in Richtung der britischen Küsten. Skandinavische und westsibirische Schwäne erscheinen im Winter meist in der westlichen Ostsee und an der dänischen Nordseeküste. Bei anhaltendem Frost ziehen sie weiter nach Südwesten. In Nordwestdeutschland und den Niederlanden steigt dann ihre Zahl deutlich an. Dabei bleiben die Schwäne aber in den Marschengebieten entlang der Nordsee und in den Deltas und Niederungen der Flüsse; Einflüge weiter ins Binnenland sind eine Ausnahme. Die zentralsibirischen Brutvögel erscheinen im Winter am Schwarzen und Kaspischen Meer, während die ostsibirischen Populationen in die japanischen und chinesischen Küstengewässer fliegen.
Im Winterquartier weiden sie gern zarte Gräser auf überschwemmten Wiesen. Strömungsgeschützte Buchten des Wattenmeers liefern ihnen Seegras (Zostera) und Salde (Ruppia). Wo diese Arten nicht mehr vorkommen, suchen sie auch Ernterückstände oder rupfen die Saaten des Wintergetreides.
Ringelgänse: Nomaden zwischen Tundra und Watt
Wer die hochnordischen Ringelgänse (Branta bernicla) beobachten möchte, muss nicht unbedingt die beschwerliche Reise in ihre arktischen Brutgebiete machen. Dafür reicht auch ein Besuch an der Nordseeküste, etwa auf einer der Westfriesischen Inseln. Die gesamte nordsibirische Brutpopulation hält sich im Winter an den nordwesteuropäischen Küsten zwischen Frankreich und Dänemark auf.

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Eine Ringelgans gönnt sich eine Algenmahlzeit.
Ringelgans Branta bernicla
Klasse Vögel
Ordnung Gänsevögel
Familie Entenvögel
Verbreitung Tundrengebiete rund um den Nordpol
Maße Länge: 60 cm; Spannweite: bis 120 cm
Gewicht 1–1,5 kg
Nahrung Meeres- und Wattpflanzen, Gräser, Kräuter, Moose, Flechten
Zahl der Eier 3–5
Brutdauer 24–26 Tage
Höchstalter über 20 Jahre, in Menschenobhut max.
50 Jahre
Von der Arktis ins Wattenmeer
Die Ringelgänse besiedeln die arktischen Tundren von Nord- und Nordostsibirien, Alaska, Kanada und Grönland. Ihr Lebensraum sind die tief gelegenen Ebenen in unmittelbarer Küstennähe, Flussdeltas und Trichtermündungen mit einem Mosaik aus Flutrinnen, Inseln, Sümpfen, niedrigen Hügeln und kleinen Seen. Im Herbst ziehen die Gänse bis in wintermilde Küstenregionen. Die Alaska-Brüter etwa fliegen an der nordamerikanischen Westküste entlang bis nach Kalifornien und Mexiko. Nordkanadische und grönländische Brutvögel verteilen sich an der amerikanischen Ostküste und die Gänse von der sibirischen Taimyr-Halbinsel kommen ins nordwesteuropäische Wattenmeer.
Da Ringelgänse Vegetarier sind, verbringen sie die meiste Zeit des Tages mit Fressen. Nur so gewinnen sie aus der vergleichsweise kalorienarmen Pflanzennahrung genug Nährstoffe, um körpereigene Energiereserven bilden zu können. Zur Zeit der Mauser im Spätsommer und vor der anstrengenden Fernreise ins Winterquartier benötigen sie besonders viel Grünfutter. Auch für den Frühjahrszug zurück in die Tundra sind Kondition und Depotfett wichtig. Mehrere Wochen sind die Tiere unterwegs. Zu Beginn werden längere Etappen zurückgelegt als kurz vor dem Ziel. Non-Stop-Flüge von über 1000 km sind keine Ausnahme.
Geflügelte Weidegänger
Wenn es auf der »Ideallinie« keine guten Rastplätze gibt, nehmen die Vögel Umwege in Kauf, denn reichlich Nahrung, Wasser und störungsfreie Schlafplätze sind wichtiger als hohes Reisetempo.
Die Nahrung ändert sich im Verlauf des Gänsejahres ganz erheblich. Während im Brutgebiet hauptsächlich proteinreiche Seggen (Carex) und Straußgras (Agrostis) an Land geweidet werden, steigen die Gänse in der Zugzeit auf Seegras (Zostera), Salde (Ruppia) und Meersalat (Ulva) um, Pflanzen, die sie nur bei Niedrigwasser vor der Küste finden. In Mitteleuropa überwinternde Ringelgänse rupfen dann wieder Süßgräser und Kräuter, entweder in den von den Gezeiten beeinflussten Andelrasen und Salzwiesen des Deichvorlandes oder auf Weidelgrasweiden, die vor Hochwasser geschützt sind. Das war nicht immer so: Bis etwa 1930 war Seegras auch ihre wichtigste Winternahrung. Eine Pilzinfektion, gefolgt von einem Parasiten, ließ damals die Seegraswiesen in der Gezeitenzone absterben, woraufhin auch die Ringelgansbestände schrumpften. Intensive Bejagung und Störungen in den Brutgebieten verstärkten den Abwärtstrend. Nachdem sich die Gänse erfolgreich auf die alternative Ernährung umgestellt hatten und die Jagd stark eingeschränkt worden war, erholten sich die Populationen allmählich.
Schwankende Vermehrungsrate
Der wichtigste direkte Einfluss für den Bruterfolg der Gänse ist die Häufigkeit von Eisfüchsen. Wenn Füchse beispielsweise auf sonst räuberfreie kleine Inseln gelangen, kann ihnen dort der gesamte Gänsenachwuchs eines Sommers zum Opfer fallen. Fühlen sich die Gänse unsicher, setzen sie evtl. für eine Saison ganz mit dem Brüten aus. Klingt dramatisch, betrachtet man jedoch längere Zeiträume, so werden die Verluste in anderen Jahren durch hohe Vermehrungsraten ausgeglichen.
Brut in der Möwenkolonie
Die Nachbarschaft von Eulen kann ein Vorteil sein, da diese die Eisfüchse fernhalten. Das klappt jedoch nur, wenn es genug Lemminge gibt. Herrscht nämlich ein Mangel an diesen Nagern, greifen Schneeeulen auch schon mal erwachsene Gänse. In lemmingearmen Jahren fahren die Ringelgänse daher besser, wenn sie ihre Nester in einer Silbermöwenkolonie platzieren. Die Gänse müssen ihre Eier und Jungen zwar vor dem Zugriff frecher Möwen schützen, erwachsenen Gänsen droht aber keine Gefahr. Im Gegenteil: Silbermöwen gründen ihre Kolonien meist an Stellen, die nach der Eis- und Schneeschmelze zu Inseln werden. Außerdem ist die stimmgewaltige Möwenschar eine wirksame »Alarmanlage«, die gefiederte Piraten wie Raub- und Eismöwen in die Flucht schlägt. Und schließlich wird die Vegetation der Umgebung durch Möwenkot so üppig gedüngt, dass für die stets hungrigen Gänsefamilien immer gute Äsung vorhanden ist.
Die Prachteiderente: Königin am Eisrand
Unter allen Entenvögeln hat die farbenfrohe Prachteiderente (Somateria spectabilis) das nördlichste Verbreitungsgebiet. Die meisten Prachteiderenten erblicken im Norden Alaskas, Kanadas und Sibiriens das Licht des arktischen Sommers. Auch an der Nordwest- und Ostküste Grönlands befinden sich Brutplätze. Island bildet fast den südlichsten Vorposten, an dem man den Enten begegnen kann.

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Freyenhagen
Der Erpel der Prachteiderente ist auffällig gefärbt.
Paarbindung im Winter
Europa gehört nicht zum dauerhaften Verbreitungsgebiet dieser Art, wenn man einmal von den sporadischen Vorkommen auf Island und Spitzbergen und von gelegentlichen Brutversuchen in Norwegen absieht. Nur als Wintergäste erscheinen Prachteiderenten regelmäßig an den nordskandinavischen Küsten.
Bereits in den nordischen Winterquartieren kommt es zur Balz und Partnerfindung. Ab Anfang April bewegen sich die verpaarten Vögel, dem schmelzenden Packeis folgend, in Richtung ihrer Brutareale, wo sie zwischen Ende Mai und Mitte Juni eintreffen. Die Prachteiderenten gehen zum Brüten ans Süßwasser: Ihre Nistplätze in der Tundra befinden sich zwar nie weiter als 50 km von der Küste entfernt, aber stets auch in der Nähe kleiner Seen.
Eisfüchse und Möwen lauern
Die Nester liegen gewöhnlich einzeln. Nur in Gebieten mit einer hohen Dichte von Eisfüchsen sind See- und Flussinseln, da sie meist frei von diesen Räubern sind, als Nistplätze so begehrt, dass die Enten dort gezwungenermaßen zusammenrücken. Völlig sicher sind sie aber auch dort nicht. Eis- und Raubmöwen sowie Kolkraben haben stets Appetit auf Enteneier und Jungvögel. Die Gelege aus drei bis sechs olivbraunen Eiern sind im Grün und Braun der niedrigen Tundrenvegetation allerdings so gut wie unsichtbar, zumal das Weibchen beim Verlassen des Nests eine Decke aus graubraunen Daunen über die Eier zieht. Halme und Blätter sorgen für zusätzliche Tarnung.
Prachteiderente Somateria spectabilis
Klasse Vögel
Ordnung Gänsevögel
Familie Entenvögel
Verbreitung arktische Küste von Nordosteuropa, Grönland, Asien und Nordamerika
Maße Länge: 55 cm
Gewicht 1,5–1,8 kg
Nahrung Insekten, Wasserpflanzen, Muscheln, Schnecken, Krabben, Seeigel, Seesterne
Geschlechtsreife mit 2–3 Jahren
Zahl der Eier 3–6
Brutdauer 22–24 Tage
Verluste durch Raubtiere und die traditionelle Jagd sind keine ernste Bedrohung für die Art. Einige Jahre kann es dagegen dauern, bis sich eine Population von plötzlichen Kälteeinbrüchen erholt hat. Frieren sämtliche Gewässer innerhalb kurzer Zeit zu, verhungern ein großer Teil des Nachwuchses und viele Altvögel. All dies gehört aber zu den natürlichen Umweltbedingungen der arktischen Vögel. Der stetige Rückgang der Prachteiderentenbestände in den letzten Jahrzehnten hat vermutlich maßgeblich mit der Erschließung der arktischen Erdölvorkommen zu tun. Der Bau von Straßen und Versorgungseinrichtungen schränkt ihren Lebensraum ein und verschiebt die Räuber-Beute-Relationen zuungunsten der bodenbrütenden Vögel.
Kindheit am Süßwasser
Die Weibchen brüten allein. Nach dem Schlüpfen führen sie ihre Jungen an den nächstgelegenen Tümpel oder See. Dort wimmelt es jetzt im Wasser von Zuckmückenlarven, der Hauptnahrung für die Jungen. Pflanzliche Kost, z. B. zarte Blätter von Wasserpflanzen, spielt eine untergeordnete Rolle. Auch wenn die Nester einzeln liegen, schließen sich die Küken mehrerer Weibchen oft zu Gruppen zusammen, die von einer oder wenigen Müttern begleitet werden. Manchmal können solche Kindergärten mehrere Dutzend, oder sogar bis über hundert Junge umfassen.
Das Aufwachsen der Jungen ist ein Wettlauf gegen sinkende Spätsommertemperaturen. Bereits im August können sich die Süßwassertümpel wieder mit Eis überziehen. Sobald sie die ersten kritischen Lebenstage überstanden haben, geht es deshalb in Richtung Meer, entweder schwimmend und von See zu See über Land laufend oder auf Flüssen, unterstützt von der Strömung. Dort ernähren sich die Jungtiere vor allem von Köcherfliegenlarven.
Nach der Jungenaufzucht begeben sich die Weibchen in die Mausergebiete, wohin die Erpel bereits wenige Tage nach Beginn der Brutzeit entschwunden sind. Die Mauserplätze liegen mehrere hundert, teilweise bis über 2000 km von den Brutplätzen entfernt.
Überleben am Rand der Polarnacht
Außerhalb der Brutzeit sind Prachteiderenten reine Meeresvögel. Als Taucher in Wassertiefen bis 60 m fressen sie Muscheln, Meeresschnecken, gepanzerte Krabben, kurzstachelige Seeigel und Seesterne. Pflanzen wie z. B. Seegras (Zostera) machen nur einen kleinen Teil der Nahrung aus. Wegen ihrer Fressgewohnheiten halten sich die Prachteiderenten meist in Küstennähe auf, auch wenn sie während ihrer Wanderungen Flüge über das offene Meer nicht scheuen. Die gehaltvolle tierische Nahrung ist notwendig, um sich ausreichende Fettdepots anzufuttern. Diese vermindern die Wärmeverluste im eiskalten Wasser und bilden die Energiereserve für den Winter. Erst wenn im Spätherbst dichtes Packeis die Meeresvögel von ihrer Nahrung abzuschneiden droht, weichen die Prachteiderenten an offene Küstenabschnitte aus. Teilweise harren sie dort auch im Dezember und Januar weit nördlich des Polarkreises aus. Sie sind so gut an die hocharktischen Bedingungen angepasst, dass die eisige Kälte und die fast 20-stündige nächtliche Dunkelheit sie nicht nach Süden zwingen können.
Der Sterntaucher: Fischjäger im eiskalten Wasser
Der Sterntaucher (Gavia stellata) baut sein einfaches Nest aus toten Sumpfpflanzen ganz nah am Ufer. Schon der kurze Weg von seinem Gelege zum Wasser bereitet ihm größte Mühe, denn seine Füße sitzen so weit hinten am Körper, dass er sich kaum aufrichten kann. Eher rutscht er das kurze Stück auf dem Bauch.
Wasserstart mit Anlauf
Zusammen mit drei weiteren Seetaucherarten besiedelt der Sterntaucher die Tundrenregion rings um die Nordhalbkugel. Bei keiner anderen Vogelgruppe ist das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Flügelfläche so ungünstig wie bei den Seetauchern. Um sich in die Luft zu erheben, brauchen sie eine lange Anlaufstrecke auf dem Wasser. Dabei ist ihr Flug schnell und ausdauernd. Unkonventionell ist auch die Landetechnik: Mit nach hinten gestreckten Füßen benutzen sie Brust und Bauch als breite Landekufe. Ihr eigentliches Element ist das Wasser und dort verbringen sie den größten Teil ihres Lebens.
Wie es sich für Kaltwassertauchexperten gehört, verwenden sie viel Zeit auf die Pflege ihrer »Ausrüstung«: Flügelschlagend, immer wieder kurz untertauchend und sich schüttelnd, baden sie gern ausgiebig. Dann putzen, fetten und ordnen sie ihr Bauchgefieder, während sie sich im Wasser auf die Seite rollen und einen Fuß nach oben strecken. Ihr Tiefgang ist höchst variabel: Mit reichlich Luft unter den Deckfedern liegen sie im Wasser wie eine Ente. Bei den Atempausen während der Fischjagd schaut dagegen oft nur noch ihr Kopf über den Wasserspiegel. Lautlos und ohne Startsprung verschwinden sie dann im kalten Nass und jagen dort auf Sicht nach Saiblingen, Forellen und Barschen.
Keine Brut bei Nahrungsmangel
Ihre Speiseröhre ist so dehnbar, dass sie auch Fische schlucken können, die 20 cm lang sind, gut ein Drittel ihrer eigenen Länge. Doch nicht immer können sie mit solch fetter Beute rechnen. Das Wasser in den Tundrenseen ist oft nährstoffarm und kalt, so dass sich Algen und Zooplankton sowie die von ihnen abhängigen Fische nur langsam vermehren. Damit ist auch die Nahrungsgrundlage für die Fischjäger knapp und in manchen Jahren reicht die Beute in den kleineren Seen kaum für die Altvögel. Zur Nahrungssuche wechseln sie dann mehrmals täglich auf fischreichere Gewässer. Wenn die Saison überall mager beginnt, nehmen die Sterntaucher schon mal eine Auszeit und verzichten auf die jährliche Brut. Die gelegentliche Nullrunde wird durch ein hohes Lebensalter ausgeglichen. Außerdem haben Sterntaucher in guten Jahren auch mehr als die üblichen zwei Jungen.
Der Rücken als Wärmequelle für Küken
Knapp vier Wochen dauert die Bebrütung der Eier. Bei vielen Vogelarten entsteht in dieser Phase ein unbefiederter Brutfleck am Bauch, der eine direkte Wärmeleitung von der Haut des Altvogels auf die Eier sicherstellt. Die Sterntaucher und ihre drei Vettern können sich diesen Luxus nicht leisten: Zu groß wäre der Energieverlust für den Altvogel, wenn er vom Nest aufsteht und ins eiskalte Wasser wechselt. Stattdessen besitzen die Vögel in der befiederten Bauchhaut ein dichteres Netz von Blutgefäßen, die beim Brüten erweitert werden, im Wasser aber zusammengezogen bleiben, um Wärmeverluste zu vermeiden.
Da die Brut mit der Ablage des ersten Eis beginnt, schlüpfen die Jungen zeitversetzt. Obwohl sie von Anfang an geschickt schwimmen und tauchen können, sind sie mehr als sechs Wochen lang auf ihre Eltern angewiesen. Die Alten müssen nicht nur reichlich Insektenlarven und Fisch heranschaffen, sondern die Küken auch immer wieder huckepack in ihrem warmen Rückengefieder herumtragen. Im nur wenige Grad kalten Wasser verlieren die Kleinen, deren Körpertemperatur ohnehin 3 °C unter der der Erwachsenen liegt, sonst zu viel Energie. Die lebende »Isomatte« bietet dem Nachwuchs zugleich Schutz vor Attacken von Raubmöwen und Greifvögeln.
Sterntaucher Gavia stellata
Klasse Vögel
Ordnung Stelz- und Schreitvögel
Familie Seetaucher
Verbreitung circumpolar von der Antarktis bis zu gemäßigten Zonen
Maße Länge: 53–70 cm; Spannweite: 110 cm
Gewicht 1,5–1,7 kg
Nahrung Fische, auch Kopffüßer, Muscheln, Schnecken
Zahl der Eier 1–3
Brutdauer 27 Tage
Höchstalter 25 Jahre
Im Winter aufs Meer
Während der Fortpflanzungszeit sind Sterntaucher recht unduldsam gegenüber Artgenossen, der eigene Partner und der Nachwuchs natürlich ausgenommen. In der übrigen Zeit des Jahres können sie sich aber zu großen Gesellschaften zusammenschließen, vorausgesetzt, es gibt genug Fisch. Bereits im Spätsommer haben sie ihre Schwungfedern gemausert. Ihre Flugfähigkeit erlangen sie gerade dann wieder, wenn auch ihre Jungen flügge werden. Noch bevor die Seen im Herbst zufrieren, wechseln die Sterntaucher aufs Meer. Entlang der Nordmeerküsten fliegen sie dann in die gemäßigten Zonen. Als Winterquartiere dienen die eisfreien Gewässer Nordwesteuropas, Nordamerikas und der asiatischen Pazifikküste. Überwinterer erscheinen auch am Kaspischen Meer, am Schwarzen Meer und sogar am Mittelmeer. Wahrscheinlich sind es in Nordsibirien brütende Vögel, die den Direktflug nach Süden einem Umweg entlang der Küsten vorziehen.
Nonnenkraniche: scheue Sumpfbewohner in Bedrängnis
Von weltweit 14 Kranicharten brütet der Nonnenkranich (Grus leucogeranus) am weitesten im Norden. Wenn er im Mai in den Sümpfen und Mooren der ostsibirischen Tundra eintrifft, hat er eine lange und gefahrvolle Reise hinter sich. Schon auf dem Zugweg haben sich die winterlichen Kranichgesellschaften mehr und mehr aufgelöst, und sobald sie in ihren angestammten Brutgebieten in Jakutien eintreffen, besetzen und verteidigen die Paare ihre großen Reviere in der sumpfigen Einsamkeit. Mit temperamentvollen Tänzen haben sie schon während des Zuges ihre Paarbindung besiegelt.
Anspruchsvolle Sumpfbewohner
Nonnenkraniche sind sehr wählerisch, was die richtige Ausstattung ihres Lebensraumes betrifft. Am wohlsten fühlen sie sich in Moorgebieten, in denen neben Tümpeln und Seen mit breiten, vegetationsreichen Flachwasserzonen auch Schwingrasen, Wollgras- und Seggensümpfe und leicht erhöhte Rücken vorkommen. Ihr großes Bodennest bauen sie dann meist an Stellen, die kein Zwei- oder Vierbeiner trockenen Fußes erreichen kann. Gewöhnlich werden Anfang Juni zwei Eier gelegt. Nach einer vierwöchigen Brutzeit schlüpfen die Jungen, die fast zweieinhalb Monate brauchen, um flügge zu werden.
Ein Schnabel zum Graben
Nicht nur das Sicherheitsbedürfnis treibt die Kraniche in die Einsamkeit der sibirischen Moore. Auch ihre sehr spezielle »Diät« finden sie nur in dem amphibischen Lebensraum in ausreichender Menge und Qualität. Im weichen, nassen Boden stochern sie nach den Rhizomen und Sprossbasen von Seggen und nach den stärkereichen Grundorganen anderer Sauergräser und Sumpfpflanzen. Der für Kraniche recht lange und kräftige Schnabel eignet sich ausgezeichnet zum Freilegen der nahrhaften Pflanzenteile. Feine Hornzähne an den Schnabelkanten erleichtern das Festhalten glatter Nahrung. Vor dem Hinunterschlucken werden die Stücke oft im Wasser abgespült. Besonders im Frühjahr, bevor das Pflanzenwachstum richtig in Gang kommt, sowie im Hochsommer, zur Zeit der Jungenaufzucht, werden aber auch Insekten, Fische, Frösche und Wühlmäuse gefressen. Selbst unvorsichtige Küken anderer Vogelarten sollen gelegentlich im Magen der Nonnenkraniche landen.
Flachwasserspezialisten
Die Brutgebiete sind so entlegen und dünn besiedelt, dass man bis zu den 1980er Jahren die Gesamtzahl der Nonnenkraniche auf wenige hundert schätzte. Dann entdeckten chinesische Ornithologen am Poyang-See im Gebiet des Jangtse-Mittellaufes einen bedeutenden Überwinterungsplatz. Heute weiß man, dass es insgesamt noch 3000 Exemplare gibt. Im Winterquartier treffen die Nonnenkraniche auf drei verwandte Arten: den gewöhnlichen, auch in Nordeuropa brütenden Kranich (Grus grus), den Mönchskranich (Grus monacha) und den Weißnackenkranich (Grus vipio). Nahrungskonkurrenz gibt es zwischen ihnen nicht, denn jede Art hat ihre spezielle Nische. So zeigt sich auch im Winterquartier, dass der Nonnenkranich von allen Arten am liebsten seine Nahrung im flachen Wasser sucht, genauer gesagt im Boden darunter. Neben den Rhizomen von Seggen graben die Vögel dort die Knollen eines Zypergrases (Cyperus rotundus) aus dem Schlamm und rupfen Schwimmpflanzen wie Laichkraut (Gattung Potamogeton) und Wasserschraube (Gattung Vallisneria). Auch fressen sie Süßwassermuscheln.
Schnee- oder Nonnenkranich Grus leucogeranus
Klasse Vögel
Ordnung Kranichvögel
Familie Kraniche
Verbreitung Brutgebiete: subarktische Regionen Russlands und Sibiriens, Überwinterung: Russland, China, Indien, Iran
Maße Länge: 100–125 cm; Standhöhe: 140 cm; Spannweite: 210–230 cm
Gewicht 5–7 kg
Nahrung Graswurzeln, Knollen, Samen, Früchte, auch Insekten, Fische, Frösche, Wühlmäuse, Weichtiere
Geschlechtsreife mit
3–5 Jahren
Zahl der Eier 2
Brutdauer 28–30 Tage
Höchstalter über 30 Jahre
Vom Aussterben bedroht
Obwohl die Ureinwohner Jakutiens die Nonnenkraniche in ihren ostsibirischen Brutgebieten als heilige Vögel verehrten und sie nie jagten, sind die Vögel hochgradig bedroht. Mit einem internationalen Schutzprogramm versuchen China, Russland und mehrere andere asiatische Länder, sie vor dem Aussterben zu bewahren. Für zwei Populationen, die nicht in China, sondern traditionell im indischen Rajasthan und in Iran am Kaspischen Meer überwintern, kommen die Bemühungen vielleicht schon zu spät: Ihr Bestand ist auf unter 20 Tiere gesunken. Die Ursachen sind vielschichtig. Zum einen wurden immer wieder Vögel auf dem Zug von Wilderern geschossen. Der Hauptgrund dürfte aber die sich immer weiter ausbreitende Landwirtschaft sein, derentwegen die Winterquartiere stetig schrumpfen und Störungen zugenommen haben.
Große Sorge bereitet den Naturschützern der Bau des riesigen Drei-Schluchten-Damms in China. Der Wasserstand des Poyang-Sees wird dann im Winter deutlich höher sein als heute und die vegetationsreichen Verlandungszonen des Sees werden den Kranichen fehlen. Das könnte dem Nonnenkranich den Todesstoß versetzen.
Der Raufußbussard: Mäusejäger mit UV-Blick
Meist beobachtet der Raufußbussard (Buteo lagopus) die Umgebung von einem erhöhten Ansitz, etwa einem einzelnen Baum oder einem Felsen aus. An welcher Stelle er mit Beute rechnen darf, erkennt er an der Dichte der Mäusespuren. Der Urin, den die Nager als Duftmarken hinterlassen, fluoresziert, wenn er vom UV-Licht der Sonne getroffen wird. Diese »Farbe«, die für den Menschen nicht sichtbar ist, kann der Bussard wahrnehmen.

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Bezergheanu
Raufußbussarde können auch Duftmarken sehen.
Grundnahrungsmittel: Wühlmäuse
Unter den Greifvögeln der Tundra ist der Raufußbussard am stärksten auf kleine Nagetiere orientiert; vor allem Wühlmäuse bilden seine Nahrungsgrundlage. Da deren Bestände von Jahr zu Jahr sehr stark schwanken, ändert sich auch die Fortpflanzungsrate und Häufigkeit der Raufußbussarde. Neben den kleineren Wühlmausarten, in Nordeuropa beispielsweise Erdmäuse, Sumpfmäuse und Rötelmäuse, fangen sie in guten Lemmingjahren auch viele dieser etwas größeren Nager.
Sind die Kleinsäuger selten, müssen die Bussarde auf Vögel ausweichen. Ihre Jagd auf Schneehühner oder Kleinvögel ist aber selten von Erfolg gekrönt und so haben es selbst erfahrene Altvögel nicht leicht, längere Phasen des Mäusemangels zu überleben. In solchen Jahren noch mehrere hungrige Nestlinge zu ernähren, ist ausgeschlossen. Meist wird schon die Anzahl der Eier oder gar der Fortpflanzungstrieb insgesamt vom Nahrungsangebot bestimmt. So kommt es in schlechten Jahren vor, dass die Paare zwar ein Revier besetzen, vielleicht auch noch am Nest bauen, die Weibchen aber keine Eier legen.
Raufußbussard Buteo lagopus
Klasse Vögel
Ordnung Greifvögel
Familie Habichtartige
Verbreitung Brutgebiet um den nördlichen Polarkreis, häufig in den nordamerikanischen und eurasischen Küstengebieten, Überwinterung in Offenlandschaften südlich des borealen Nadelwaldgürtels
Maße Länge: etwa 60 cm; Spannweite: bis 1,5 m
Gewicht etwa 1,2 kg
Nahrung vor allem Wühlmäuse und Lemminge, selten Vögel
Geschlechtsreife etwa mit 2 Jahren
Zahl der Eier 3–4, selten 7
Brutdauer 31–37 Tage
Höchstalter 18 Jahre
Sind sie in Balzstimmung, festigen die Paare ihre Bindung mit auffälligen Flugspielen. Sie segeln gemeinsam über ihrem Revier, wobei die Männchen häufig »Parabelflüge« vollführen: Mit angelegten Schwingen fallen sie schräg abwärts, um anschließend wieder steil nach oben zu schießen.
Ihre Horste bauen die Raufußbussarde gern an Felsen oder auf einzeln stehenden Bäumen. Da sie aber nicht nur Berg- oder Waldtundren bewohnen, sondern auch baum- und felsfreie Niederungen, bauen sie in manchen Gegenden ihre Nester auch auf der Erde, dann aber immerhin auf einer leichten Erhebung, von der aus sie gute Sicht haben.
Im Fall solch exponierter Nistplätze legen die Raufußbussarde großen Wert auf eine gut isolierte Nistmulde. Dazu tragen sie viel trockenes Gras herbei und drücken es in die Zwischenräume der aus Zweigen bestehenden Unterlage.
Raufußbussarde brüten selten mehrere Jahre hintereinander an einer Stelle. Oft haben sie einige Horste zur Auswahl, die sie abwechselnd benutzen, je nachdem, wo das Nahrungsangebot gerade am besten ist.
Füchse werden attackiert
Die Ende Mai gelegten Eier werden einen Monat lang bebrütet. Das ist Aufgabe des Weibchens, während der Bussardmann Wache hält und nach dem Schlüpfen der Jungen Nahrung herbeischafft. Weitere fünf bis sechs Wochen dauert es, bis die Jungen das Nest verlassen. Während der Jungenaufzucht werden mögliche Nesträuber bereits angegriffen, wenn sie noch 200 bis 300 m entfernt sind. Andere Vögel wie Gänse oder Enten profitieren von diesem Verhalten und nisten selbst gern in der Nähe der Greife, zumal die unmittelbare Umgebung des Horstes als Jagdgebiet für die Bussarde tabu ist. Außerhalb der Fortpflanzungszeit haben die nordischen Bussarde eine deutlich geringere Fluchtdistanz als ihre in Mitteleuropa heimischen Verwandten.
Im Winter in gemäßigte Breiten
Im Winter leben die Wühlmäuse der Tundra vollständig unter der schützenden Schneedecke und sind so für Greifvögel unerreichbar. Die Raufußbussarde verlassen deshalb etwa Ende September den hohen Norden und fliegen für das Winterhalbjahr in gemäßigte Breiten.
Es ist tatsächlich nur der bevorstehende Nahrungsmangel, der die Vögel in den Süden treibt, und nicht die Kälte selbst. Mit ihren befiederten Läufen sind die Raufußbussarde sogar besser gegen niedrige Temperaturen geschützt als beispielsweise der Mäusebussard. Nur wenn eine dicke, geschlossene Schneedecke auch in unseren Breiten die Ernährung schwierig macht, weichen sie noch weiter nach Südwesten aus.
Kampfläufer: Paradiesvögel auf Zeit
An ihren Balzplätzen sieht es aus, als wären bei einer Geflügelzuchtausstellung aus Versehen die Käfigtüren geöffnet worden: Kein Tier gleicht dem anderen. Da sieht man weiße, braune und schwarze Halskrausen, manche einfarbig, andere gebändert oder gefleckt, und auf den Köpfen prangen gescheitelte Federbüschel, die an extravagante Perücken erinnern. Dieses schrille Outfit tragen nur die Männchen der Kampfläufer (Philomachus pugnax) – und auch sie nur in der Paarungszeit von Anfang Mai bis Ende Juni. Danach verwandeln sie sich wieder in schlichte Watvögel und gehen profaneren Beschäftigungen nach: fressen, schlafen und reisen.

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Rauschenbach
Kampfläufer mit Jungvogel
Die Balzspiele und Schaukämpfe der drosselbis taubengroßen Watvögel sind in der eurasischen Vogelwelt einzigartig. Jedes Jahr treffen sich die Hähne auf traditionellen, kurzrasigen Turnierstätten, ausgesuchten ebenen Arenen unweit der bevorzugten Brutplätze. Oft liegen diese in der Nähe von Gewässern in den sumpfigen Tundren. Biologen haben herausgefunden, dass sich die Tiere einer Population an ihren Prachtkleidern persönlich wiedererkennen und dass bestimmte Farbkombinationen mit sozialen Merkmalen verbunden sind. Vögel mit braunen oder schwarzen »Mähnen« sind dominante Männchen, die auf den Balzplätzen täglich ihre festen Minireviere verteidigen, ungefähr so, wie leitende Angestellte einer Firma jeden Morgen ihre Autos auf reservierte Parkplätze stellen. Drohungen und kleine Scharmützel, mit denen sich die Möchtegern-Platzhirsche ihre privilegierten Positionen immer wieder erkämpfen müssen, finden nur dort, auf den besten Plätzen im Zentrum statt. Rangniedere Männchen – erkennbar an einer hellen Halskrause – haben dort nichts verloren.
Kampfläufer Philomachus pugnax
Klasse Vögel
Ordnung Wat- und Möwenvögel
Familie Schnepfenvögel
Verbreitung große Feuchtwiesen, Sümpfe, Moore und nördliche Tundra Eurasiens
Maße Länge: Männchen 29 cm, Weibchen 23 cm
Gewicht Männchen 160–190 g, Weibchen 90–120 g
Nahrung kleine Wassertiere wie Larven, Schnecken, Krebschen und Pflanzensamen
Zahl der Eier 3–4
Brutdauer 21 Tage
Höchstalter über 10 Jahre
Damenwahl
Die ganze Show zielt auf die Aufmerksamkeit der Weibchen, unauffällig hellbraun gefärbte Tiere, die deutlich kleiner und leichter sind als die Herren der Schöpfung. Die Damen stehen aber, obwohl in Brutstimmung, keineswegs dabei und schauen zu, sondern lassen sich von den Männchen erst »herbeiwinken«: Immer wenn in einiger Entfernung potenzielle Partnerinnen vorbeifliegen, strecken die Männchen ihre Schwingen nach oben oder erheben sich zu einem kurzen Rüttelflug. Erscheint ein Weibchen auf der Bühne, kommt es meist rasch zur Sache: Es fordert einen der Hähne zur Paarung auf, kopuliert mit ihm und verschwindet wieder. An aufeinanderfolgenden Tagen schenken die Weibchen ihre Gunst allerdings nicht immer ausschließlich denselben Männchen. So können ihre aus meistens vier Eiern bestehenden Gelege durchaus mehrere Väter haben.
Die Kriterien für die Partnerwahl kennen nur die Weibchen selbst. Vielleicht achten sie nicht nur auf die Position und Kleidung, sondern auch auf die Gesichtsfarbe und die Warzen am Kopf der Männer oder auf deren Bein- und Schnabelfärbung, denn diese Merkmale geben eher Auskunft über die Fitness als die ererbte Gefiederfarbe.
Kleider statt Stimmen
Was die Kampfläufer einmalig macht, ist die Tatsache, dass bei ihnen zwei extrem unterschiedliche »Männertypen«, nämlich die aggressiven »Platzhirsche« und die zurückhaltenden »Gelegenheitsliebhaber«, miteinander konkurrieren. Die auffälligen Farbschläge hingegen dienen vermutlich nur der gegenseitigen Erkennung. Bei vielen anderen Arten wird dies durch individuell unterschiedliche Tönungen der Stimme gewährleistet. Meist sind dann aber die Abstände zwischen den Tieren größer, so dass akustische Unterscheidungsmerkmale zuverlässiger sind als optische. Auf den Turnieren der Kampfläufer geht es bezeichnenderweise stumm zu.
Früher Herbstzug
Die »Partnerschaft« beschränkt sich bei den Kampfläufern auf den Paarungsakt selbst. Nachdem die Weibchen einer Population ihre Nester gebaut und Eier gelegt haben, ziehen die Männchen Richtung Winterquartier. Nach 21 Tagen Brut schlüpfen die Jungen und weitere vier Wochen später sind sie selbstständig und flügge. Dann verlässt auch das Weibchen die Jungen.
Die Männchen haben indessen bereits die sommerliche Mauser durchgemacht und ihr Paradiesvogel-Outfit gegen das Schlichtkleid getauscht, das dem Gefieder der Weibchen ähnelt. In kleineren und größeren Schwärmen suchen die Vögel unterwegs flache Gewässer mit schlammigen Ufern auf und mästen sich für die Weiterreise.
Leben und Überleben in der nordamerikanischen Tundra
Die meisten in Kanada, Alaska und Grönland vertretenen Tierarten oder -gattungen gibt es auch in den Tundren Eurasiens oder aber in anderen Regionen Amerikas. Aber die geografische Isolation durch Gebirge oder Inseln hat zur Entstehung zahlreicher Unterarten mit kleinen Verbreitungsgebieten geführt.
»Die« nordamerikanische Tundra gibt es nicht; der Raum ist durch seine enorme Ausdehnung, unterschiedliche Klimaeinflüsse und die vielseitige Topografie stark gegliedert. Der WWF unterscheidet dort 18 Ökoregionen. Da zahlreiche Täler noch weit nördlich der Nadelwälder bewaldet oder zumindest die Flussufer von Buschwerk gesäumt sind, findet man hier viele Arten, die sonst dem Taigagürtel zuzuschlagen sind. So etwa den gedrungenen Maultieroder Schwarzwedelhirsch (Odocoileus hemionus). In den Gebirgen Alaskas und Kanadas vermischen sich Tundrenelemente und alpine Fauna.
Auf dem Anaktuvuk-Pass, umgeben von den Gipfeln der Brooks Range, der nordwestlichsten Gebirgskette Nordamerikas, würde man ganz sicher keinen Frosch vermuten: Schließlich befindet man sich hier etwa auf dem 68. Breitengrad und damit nördlich des Polarkreises. Und doch reicht das Verbreitungsgebiet des Waldfrosches (Rana sylvatica) mindestens so weit. Von Wald kann hier nicht die Rede sein, aber diese robusten Amphibien nehmen auch mit Bergwiesen, den als »Muskeg« bezeichneten arktischen Torfmooren und eben mit Tundren vorlieb.
Die selten mehr als 7,5 cm langen, variabel gefärbten Frösche haben im Nordwesten deutlich kürzere Gliedmaßen als in den südlicheren Wäldern. Zur Schneeschmelze versammeln sie sich in flachen, temporären oder permanenten Gewässern, um sich zu paaren. Die Entwicklung der Eier und Larven geht rasant vonstatten. Sobald die Kaulquappen 5 cm lang sind, verwandeln sie sich in kleine Frösche, bevor die Tümpel wieder vereisen. Dank spezieller »Frostschutzmittel« aus Glucose können bis zu 65 % des Wassers in ihrem Gewebe gefrieren, und die Körpertemperatur kann auf –12 °C fallen, ohne dass die Tiere Schaden nehmen. Sie überwintern in Moosund Laubnestern unter der Schneedecke.
Unterarten: sein oder nicht sein
Zu den Säugetieren, die zwar auch in Eurasien vertreten sind, aber in Nordamerika eigene Unterarten haben, gehört das Karibu bzw. Rentier (Rangifer tarandus). Exemplare aus verschiedenen Unterarten können sich paaren und werden meist nur durch geografische Barrieren daran gehindert, wodurch kleine Unterschiede in der Gestalt und im Verhalten entstehen und sich allmählich verstärken. Die Einteilung in Unterarten ist schwierig und wird zwischen den Experten immer wieder neu ausgehandelt. So wurde das kanadische Peary-Karibu (Rangifer tarandus pearyi) noch bis 1991 mit der Unterart Rangifer tarandus groenlandicus zusammengefasst; später unterschied man drei Populationen bzw. Großherden. Erst seit Mai 2004 wird das Peary-Karibu als separate Unterart geführt, deren Fortbestand aufgrund dramatischer, klimatisch bedingter Einbrüche in den letzten Jahren gefährdet ist.
Bei dem Hasen Lepus othus in Alaska ringen die Gelehrten ebenfalls noch um seinen Status; manche sehen in ihm eine bloße Unterart, die mit dem Arktishasen (Lepus arcticus) und dem Schneehasen (Lepus timidus) zusammengefasst werden sollte, da molekulare Untersuchungen große Ähnlichkeiten zwischen ihnen an den Tag gebracht haben. Andererseits unterscheiden sie sich morphologisch durchaus, wohl wegen ihrer schon lange getrennten Verbreitungsgebiete. Lepus othus lebt in der Bergtundra und ist mit 50–70 cm recht groß. Er hat kurze Ohren, über die nicht viel Wärme entweichen kann, und 20 cm lange Hinterläufe, mit denen er auf Schnee gut vorankommt. Mit seinen kräftigen Vorderbeinen wehrt er Feinde wie Eulen ab und gräbt Weidenblätter, Triebe, Rinde und Wurzeln aus dem Schnee; im Sommer kommen Beeren und Blüten hinzu.
Winzlinge, die der Kälte trotzen
Bei kleinen Tieren mit einer raschen Generationsfolge entstehen nach erfolgter geografischer Isolation schneller neue Arten als bei langlebigen Tieren mit einem größeren Bewegungsradius. Daher gibt es auf mehreren Inseln im Beringmeer endemische Spitzmäuse. Auf Saint Paul, einer der beiden winzigen Pribilof-Inseln, lebt die Art Sorex hydrodromus, auf Saint Lawrence Sorex jacksoni. Ihre Vorfahren gelangten in der Eiszeit hierher, als der Meeresspiegel niedriger war und die Inseln zum Festland gehörten. Aufgrund ihrer entlegenen Lebensräume ist über ihre Eigenheiten wenig bekannt. Spitzmäuse sind winzig, fressen vor allem Insekten und haben einen unangenehmen Moschusgeruch, der ihnen viele Beutegreifer vom Leib hält. Die Kälte überleben sie mangels dicker Isolierschichten nur, indem sie fast pausenlos fressen und auf Hochtouren Wärme produzieren.
Gefährdete Seeadler
Der Weißkopf-Seeadler ist nördlich des 40. Breitengrads durch die gefährdete Unterart Haliaeetus leucocephalus alascanus vertreten. Zwar bevorzugt diese bewaldetes Terrain, aber auch in der Bergtundra der Mackenzie Mountains findet sie ein Auskommen – Hauptsache, es gibt in der Nähe offener Gewässer einige große Nistbäume. Weißkopf-Seeadler ziehen im Jahresverlauf weit umher. Manche der Tiere, die den Sommer in Alaska oder im Yukon Territory verbringen, leben im Winter in Washington. Teilweise scheinen die Wanderungen genetisch einprogrammiert zu sein. Problematisch wird es für die Seeadler, wenn die Nahrungsquellen, z. B. Lachse, versiegen. Auf Grönland lebt ganzjährig eine endemische Unterart des Seeadlers (Haliaeetus albicilla groenlandicus). Sie kommt nur in der arktischen Tundra im Südwesten vor, besonders an Felsenküsten, Flüssen und großen Seen. Da die Schafzüchter die Adler verdächtigten, viele Lämmer zu reißen, wurden sie verfolgt. Tatsächlich fressen sie vor allem Fisch, kleine Seevögel und im Winter Aas. Seit 1976 gilt die Unterart als vom Aussterben bedroht.
Brutgebiete vieler Vögel
Neben zahlreichen Vögeln wie Regenpfeifern, Goldregenpfeifern und Ammern, die auch in anderen Teilen Nordamerikas brüten, beherbergt die Tundra solche, die nur hier zur Fortpflanzung kommen. Beim Borstenbrachvogel (Numenius tahitiensis) dauerte es allerdings lange, bis man dahinterkam. Wie der lateinische Name schon andeutet, hat man diesen ca. 43 cm großen Schnepfenvogel zunächst in seinen Winterquartieren in Ozeanien beobachtet und ihn für einen reinen Bewohner der Südhalbkugel gehalten. Erst 1948 fand man seine Brutgebiete in Alaska. 7000 bis 10 000 km legen die Tiere im Frühjahr zurück, um am Westrand des Yukondeltas oder in den Bergen der Seward-Halbinsel nördlich des Norton-Sunds zu brüten. Um sich vor Fressfeinden zu schützen, legen sie ihre Nester zwischen Zwergsträuchern oder unter Weiden an oder suchen die Nachbarschaft von Raubmöwen, die Füchse, Kolkraben etc. vehement von ihren eigenen Nistplätzen vertreiben. Auf nur 3200 Brutpaare schätzt man den Gesamtbestand der Borstenbrachvögel. Fast ebenso selten ist mit ca. 6000 Paaren die Bering-Schneeammer (Plectrophenax hyperboreus), die nur auf den Inselchen Hall und Saint Matthew in der Beringsee brütet und an Alaskas Küsten überwintert. Fast alle 250 000 Klippenmöwen (Rissa brevirostris) der Welt brüten auf den Pribilof-Inseln.
Der Schwarzkopf-Steinwälzer (Arenaria melanocephala) ist das Neuwelt-Pendant zum Steinwälzer der altweltlichen Tundra. Der ca. 23cm große Schnepfenvogel mit den orangeroten, kurzen Beinen brütet an der Westund Südküste Alaskas. Wie sein eurasischer Verwandter ernährt er sich von Insekten und deren Larven, Kleinkrebsen und Weichtieren. Er findet sie vor allem unter Tang oder Kieseln, die er mit seinem Schnabel umdreht.
Traditionelle Gänsejagd
95 % aller Kaisergänse (Anser canagica) brüten auf der Yukonhalbinsel. Sobald sie Ende Mai oder Anfang Juni aus ihren Winterquartieren eintreffen, bauen sie an der höchsten Flutlinie der Küste oder in der Moortundra einfache Nester aus Zweigen und Ähnlichem, in die sie meist vier bis sieben Eier legen. Die Weibchen brüten allein, während die Ganter sich in der Nähe der Kolonien zusammenscharen. Die Verluste sind groß: Nur aus etwa jedem vierten Ei geht schließlich ein überlebensfähiger Jungvogel hervor, der mit den Alten ab Ende September nach Süden zieht. Zuvor müssen sich die Altvögel jedoch mausern. Ihre etwa zwei Wochen währende Flugunfähigkeit nutzen die Inuit der Region zur traditionellen Jagd: Mit Booten werden die Tiere vom Wasser in Gänsepferche am Ufer getrieben, wo sie sich leicht erlegen lassen. Neben der Alëuten-Kanadagans (Branta canadensis leucopareia), die an den Küsten Kanadas und Alaskas nistet, zählt auch die Zwergschneegans (Anser rossii) zu den Brutvögeln der dortigen Tundra, obgleich ein Teil ihres Brutgebiets – die Wrangelinsel – schon zu Sibirien zählt. Sie ähnelt der Schneegans, ist aber kleiner, hat einen kürzeren Schnabel und einen kurzen Hals. Bis auf die schwarzen Flugfedern ist sie ganzjährig völlig weiß. Um ihre Nachkommen vor Raubtieren zu schützen, halten sich die Gänse vor allem auf überschaubaren Inseln auf. Die Tiere fliegen im Winter in Schwärmen nach Süden oder nach Nordwesteuropa, vereinzelt sogar bis nach Deutschland.
Höhlenkäfer in Wikingersiedlungen
Grönland ist von einem im Westen bis zu 150 km breiten Streifen mit Tundrenpflanzen gesäumt. Trotz der Isolation und klimatischen Unwirtlichkeit findet man hier 700 Insektenarten, darunter 50 Schmetterlinge, zwei Hummeln und eine Mücke. Diese Flora und Fauna ernährt 235 Vogelarten, von denen aber nur wenige ganzjährig bleiben. Über das Eis sind auch Raubtiere wie der Vielfraß auf die Insel vorgedrungen.
Eine Kuriosität stellen die ursprünglich eurasischen Höhlenkäfer Quedius mesomelinus und Xylodromus concinnus dar. Diese lichtscheuen Insekten kamen wohl mit den Wikingern auf die Insel und lebten in deren Behausungen. Als die Nordmänner Grönland wieder verließen, zogen sich die Käfer in die Grassoden- oder Plaggenhütten der Inuit zurück. Nachdem diese ihre traditionellen Siedlungen in den 1960er Jahren endgültig aufgaben, wurde es den Käfern in den leeren Ruinen zu kalt: Sie starben aus.
Schneegänse: Wiedervereinigung durch veränderte Reiserouten
Die meisten Schneegänse sind bis auf die schwarzen Handschwingen schneeweiß. Allerdings kommen in der kleineren Unterart Anser caerulescens caerulescens, die den Sommer in Ostsibirien, auf der Wrangelinsel, in Nordalaska oder Nordkanada verbringt, auch schiefergraue Vögel vor, denen die ganze Art ihre wissenschaftliche Bezeichnung (caerulescens, »bläulich«) verdankt. In der größeren Unterart Anser caerulescens atlanticus, die im Nordwesten Grönlands und auf den benachbarten Inseln brütet, tritt dieser Farbschlag nicht auf. Bis 1961 galten die unterschiedlich gefärbten Tiere als separate Unterarten. Erst seit wenigen Generationen durchmischen sie sich wieder.

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Typisch für Schneegänse: weißes Gefieder mit schwarzen Flügelspitzen
Klasse Vögel
Ordnung Gänsevögel
Familie Entenvögel
Verbreitung Brutgebiete: Küsten Alaskas, Kanadas, Grönlands, Ostsibiriens; Überwinterung: Nordamerika, China, Korea
Maße Länge: 60–75 cm; Spannweite: 150 cm
Gewicht 2,5–4 kg
Nahrung Wasserpflanzen, Gräser, Samen, Wurzeln
Zahl der Eier 4–8
Brutdauer 22 Tage
Höchstalter 20 Jahre
Eher Land- als Wasservögel
Schneegänse gehören zu den Entenvögeln und suchen ihre Nahrung überwiegend an Land. Die familientypischen Schnabelhornleisten, die Enten zum Durchseihen des Wassers und Schwäne zum Ausrupfen von Wasserpflanzen einsetzen, nutzen die Gänse vor allem zum Abschneiden von Gras in der Tundra. Schneegänse sind aber nicht nur gute Läufer, sondern auch ausdauernde Flieger und vorzügliche Schwimmer. Schnabel und Beine der Tiere sind rosa bis fleischfarben. Beim blau- bis dunkelgrauen Farbschlag bleiben Hals und Kopf und bisweilen auch die Unterseite weiß.
Zunahme der Grauen
Die Erbanlagen für das dunkle Gefieder sind dominant und setzen sich bei Mischpaarungen durch. Wieso sind weiße Schneegänse dann auch in der kleineren Unterart noch deutlich in der Überzahl? Ist weißes Gefieder ein Selektionsvorteil oder ist die Gefiederfarbe mit anderen wichtigen Eigenschaften wie der Gelegegröße gekoppelt? Einige Forscher vertraten tatsächlich die Ansicht, dass weiße Schneegänse mehr Eier legen. Die Zunahme der grauen Exemplare in den letzten Jahrzehnten wurde auf die Erwärmung der Arktis zurückgeführt, die den Vorteil eines weißen Tarngefieders mindere. Offenbar sind beide Annahmen falsch. Heute geht man aufgrund genetischer Untersuchungen und Rekonstruktionen der früheren Mengenverhältnisse davon aus, dass die Farbschläge bis vor wenigen Jahrzehnten getrennte Unterarten waren: Im Osten Nordamerikas brüteten die grauen Schneegänse, im Westen die weißen. Erst vor knapp 100 Jahren kamen die Unterarten in ihren Winterrevieren oder an Zwischenstationen miteinander in Kontakt, als sich ihre Zugrouten wegen des Anbaus von Reis und anderem Getreide, der Einrichtung von Schutzgebieten und der Vertreibung aus ihren traditionellen Ruheplätzen im Marschland änderten. Da die monogamen Schneegänse im Winter auf Partnersuche gehen, fließen seither Gene zwischen den Populationen hin und her. Die Vermischung geht aber nur langsam vonstatten, da die Jungvögel im Nest auf die Farbe ihrer Eltern und Geschwister geprägt werden und daher z. B. die Kinder überwiegend grauer Familien eine Vorliebe für graue Partner haben.
Extrem kurze Brutzeit
Wenn die Schneegänse im Frühjahr die grasige Tundra an der Küste Alaskas und Kanadas, in Grönland und in der ostsibirischen Arktis erreichen, fressen sie zunächst sehr viel, um die Reifung der bereits befruchteten Eier voranzutreiben. Dabei wählen die Weibchen gezielt eiweißreiche Pflanzenteile aus. Diesen Luxus können sie sich leisten, da Gänse zu den »capital breeders« gehören. Das sind Zugvögel, die noch im Brutgebiet von den Fettvorräten zehren, die sie sich im Winter angefressen haben. Je früher eine Gans die Arktis erreicht, desto mehr Eier legt sie. Trifft sie jedoch zu früh ein und wird von einem Kälteeinbruch überrascht, resorbiert sie ihre bereits angelegten Eier und muss dieses Jahr ganz auf Nachwuchs verzichten.
Nach nur 22 Bruttagen schlüpfen aus den vier bis acht Eiern die Jungen, die das Nest rasch verlassen.
Im Winter riesige Schwärme
Im Herbst ziehen die Jungen gemeinsam mit ihren Eltern und tausenden von Artgenossen in die Winterquartiere. Am Pazifik sind Kalifornien und die Küste von Washington die beliebten Reiseziele, am Atlantik die Chesapeake Bay und der Golf von Mexiko. Auch die meisten Tiere von der Wrangelinsel und aus der sibirischen Kolyma-Tiefebene überwintern in Nordamerika.
Der weite Zug erzwingt bei Vögeln einen leichten, ineffizienten Verdauungstrakt. Daher müssen die Gänse viel fressen und die am leichtesten verdaulichen Teile auswählen. Man sieht ihnen sogar an, welche Kost sie in ihrem Winterrevier vorfinden: Tiere, die im Marschland überwintern, sind im Mittel größer als ihre Artgenossen, die sich auf Äckern und Wiesen mästen.
Der Trompeterschwan: Rettung im letzten Augenblick
Drei Arten von Schwänen leben im nördlichen Nordamerika: die aus Europa eingeführten Höckerschwäne, die ihre neuweltlichen Verwandten manchenorts zu verdrängen drohen, die in der arktischen Tundra brütenden Zwergschwäne und die Trompeterschwäne (Cygnus buccinator). Sie unterscheiden sich von der einen Art durch ihren höckerlosen, schwarzen statt gelben Schnabel und von der anderen durch ihre Größe und die flache Stirn. Der Schnabel geht im Profil fast nahtlos in den Kopf über. Ihren Namen verdanken die nahen Verwandten der eurasischen Singschwäne dem tiefen, lauten, trompetenartigen »Ku-hu«-Ruf. Nachdem sie durch Bejagung schon fast ausgerottet waren, haben sich ihre Bestände inzwischen erholt.

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Der Trompeterschwan ist der größte Wasservogel in Alaska
Trompeterschwan Cygnus buccinator
Klasse Vögel
Ordnung Gänsevögel
Familie Entenvögel
Verbreitung Nordamerika
Maße Länge: 1,4–1,7 m; Spannweite: 2,1–3 m
Gewicht bis 13,5 kg
Nahrung Wasserpflanzen, Insekten, Muscheln, Schnecken, Krebse
Geschlechtsreife mit 4 bis 6 Jahren
Zahl der Eier 3–9
Brutdauer 35 Tage
Höchstalter 30 Jahre
Erfolgreiche Schutzmaßnahmen
Die systematische Verfolgung durch weiße Siedler im 19. Jahrhundert brachte die Trompeterschwäne in Bedrängnis. Neben dem schmackhaften Fleisch wurde ihnen ihr Gefieder zum Verhängnis: Die Daunenschicht ist bis zu 5 cm dick und lässt die Tiere selbst Temperaturen von unter –30 °C ertragen. Um die Jahrhundertwende waren sie bereits extrem selten und Anfang der 1930er Jahre war der bekannte Bestand in den USA auf knapp 70 Vögel zusammengeschrumpft. 1935 richtete die US-Regierung in Montana das Red-Rock-Lakes-Schutzgebiet ein und stellte Bisamrattenbaue unter Schutz, auf denen die Schwäne gerne nisten. Auch im
Der Goliath unter den Wildschwänen
Mit einer Länge von 1,4–1,7 m, bis zu 3 m Flügelspannweite und 13,5 kg Höchstgewicht ist der Trompeterschwan der schwerste Entenvogel der Neuen Welt. Während die Altvögel überwiegend Vegetarier sind, die sich auf die Blätter, Stängel und Wurzeln von Wasserpflanzen spezialisiert haben, benötigen die Jungen viel Eiweiß und fressen daher Insekten, Muscheln, Schnecken und Krebschen. Mit etwa fünf Wochen haben sie sich auf Pflanzenkost umgestellt.
Nester auf Bisamrattenund Biberburgen
Im Winter leben die geselligen Vögel in größeren Trupps, im Sommer paarweise. Die Partner bleiben einander ein Leben lang treu. Auch die Jungen bleiben lange bei den Eltern, was ihre Überlebenschancen erhöht. Erst mit vier bis sechs Jahren fangen die Vögel an zu brüten. Wenn die Paare im Frühjahr in den benachbarten Yellowstone-Nationalpark konnten sie wieder ungestört brüten. Nachdem eine Umsiedlung von vier Exemplaren Erfolg versprechend verlief, brachte man in den nächsten Jahrzehnten immer wieder Trompeterschwäne in ehemalige Siedlungsgebiete, wo sie neue Populationen begründeten. Auch die Nachzucht in Zoos gelang immer besser. Um 1970 gab es bereits wieder fast 5000 Exemplare. Heute leben in der Tundra Alaskas ca. 12 000 Trompeterschwäne, die zusammen mit den etwa 1000 Vögeln aus Westkanada und weiteren aus Schutzgebieten im Westen der USA die Pazifikküstenpopulation bilden.
Brutgebieten in Südalaska oder in Kanada eintreffen, suchen sie sich an einem Binnengewässer ein Revier. Aus Pflanzenstängeln wird ein Nesthaufen errichtet, der an der Basis bis zu 3 m breit sein kann. Beliebte Nistplätze sind die Burgen von Bisamratten oder Bibern. Muss das Weibchen während des Brutgeschäfts das Nest verlassen, bedeckt es seine Eier sorgfältig mit Nistmaterial. Nach ca. 35 Tagen schlüpfen die etwa 200 g schweren Jungen.
Zeitversetzte Mauser
Etwa vier bis sechs Wochen nach dem Schlüpfen ist die Brut so selbstständig, dass die Eltern sich in die gefährliche, etwa 30-tägige Mauser begeben können. Erst erneuert das Weibchen sein Gefieder, danach das Männchen, so dass immer ein Elternteil flugfähig bleibt und die Jungen verteidigen kann. Ende September beginnen deren Flugübungen und kurz vor dem Zufrieren der Gewässer bricht die Familie in die Wintergebiete auf, deren Flüsse entweder so schnell fließen oder so weit im Süden liegen, dass sie eisfrei bleiben.
Der Kanadakranich: Bodypainting zur Tarnung und Werbung
Elf der 15 Kranicharten der Welt gelten als gefährdet, u. a. wegen ihrer starken Abhängigkeit von den empfindlichen und schrumpfenden Feuchtgebieten. Der Kanada- oder Sandhügelkranich (Grus canadensis) zählt nicht dazu: Wegen seines recht großen Brutgebiets, das vom äußersten Nordosten Sibiriens quer durch Nordamerika bis Kalifornien, Texas und Florida reicht, seiner Flexibilität, die ihm Bruterfolge in Tundren ebenso wie in Mooren und auf Grasflächen beschert, und der üppigen Maisfelder in seinen Überwinterungsgebieten, ist er noch recht häufig. Nur die Unterart auf Kuba bedarf dringend des Schutzes. Von den anderen vier brütet die kanadische Unterart Grus canadensis rowani am weitesten im Norden.

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Zwei Kanadakraniche bei der Nahrungssuche
Obwohl sie auf den ersten Blick ähnlich aussehen, sind Kraniche (Familie Gruidae) nicht näher mit Reihern oder Störchen verwandt. Der Kopf ist bei erwachsenen Exemplaren kahl oder mit Borsten bedeckt. Beim Sandhügelkranich nimmt eine mattrote Kappe Stirn und Scheitel ein; je erregter er ist, desto leuchtender wird das Rot. Bei den Jungvögeln bedecken noch graubraune Daunen diesen Signalgeber, so dass sie gut getarnt sind. Auch das Gefieder der Erwachsenen ist unauffällig grau. Zudem reiben sie ihren Rücken und die Schulterfedern beim Putzen gern mit rötlichem Schlamm, manchmal auch mit Pflanzenteilen und Insekten ein, wodurch sie einen Stich ins Rotbraune bekommen. Diese mit dem Schnabel aufgetragene »Bemalung« dürfte ebenfalls der Tarnung dienen. Sie könnte aber auch zum Werberitual gehören, denn viele Kanadakraniche suchen zu Beginn der Brutzeit gezielt Stellen auf, an denen roter Ton zutage tritt. Anders als Reiher recken Kraniche den Hals beim Fliegen gerade nach vorn; auch die schwarzen Beine sind normalerweise nach hinten ausgestreckt, aber bei großer Kälte können sie eingeklappt und im Brustgefieder gewärmt werden.
Allesfresser mit Vorliebe für Getreide
Im Sommer ernähren sich die Kanadakraniche von unter- und oberirdischen Pflanzenteilen wie Zwiebeln, Samen und Beeren, von Wasserpflanzen, aber auch von tierischer Kost: Regenwürmern, Schnecken, Heuschrecken, Spinnen, Käfern und ihren Larven, Fröschen, Eidechsen und kleinen Nagetieren. Sie versuchen sich von Menschen fernzuhalten und bevorzugen entlegene Süßwassermarschen inmitten von Wäldern oder Buschland sowie das weite Grasland der Tundra.
Auf ihren Zügen und an den Winterstationen beziehen die Kraniche den Großteil ihrer Energie aus dem, was auf abgeernteten Weizen-, Mais- und Luzernefeldern liegen geblieben ist. Ihre geraden, kurzen Schnäbel sind also Vielzweckwerkzeuge, mit denen sie im Boden, in der Laubstreu oder im Wasser herumstochern und nach Tieren schnappen können.
Zwischenstopp am Platte River
Traditionell kehren Kanadakraniche jeden Winter in großen Scharen in dieselben Quartiere zurück, wo sie nachts im Seichtwasser der Lagunen schlafen und tagsüber nach Nahrung suchen. Ab Ende Februar reisen sie in Etappen zurück nach Norden. Etwa 80 % von ihnen machen im Frühjahr im Tal des Platte River Halt, um ihre Fettreserven aufzufrischen. In einigen Uferabschnitten kommen dabei über 12 000 Vögel auf einen Kilometer. Vor allem frühmorgens und in der Abenddämmerung ziehen sie auf Grasflächen, wo sie mittags auch in großen Schwärmen rasten. Vormittags und nachmittags suchen sie Getreidefelder auf, wo sie sich mit Körnern mästen. Auf Luzernefeldern suchen sie – wie auf den Wiesen – vor allem nach Wirbellosen. Täglich braucht ein Kanadakranich etwa 80–150 g Mais und das Angebot ist so groß, dass selbst nach dem Durchzug von mehreren hunderttausend Vögeln noch über 100 kg/ha übrig bleiben. Warum stöbern die Tiere trotz dieses paradiesischen Nahrungsangebots noch mühsam nach Kleintieren? Weil man von Mais allein, so sättigend er ist, nicht leben kann. Das Getreide ist extrem calciumarm und ihm fehlen bestimmte Aminosäuren. Um Proteine aufzubauen, müssen die Vögel ihre Kost also ergänzen, wobei es angesichts der Kalorienfülle nichts ausmacht, dass sie bei der Suche nach Eiweißquellen mehr Energie verbrennen als gewinnen.
Kanadakranich Grus canadensis
Klasse Vögel
Ordnung Kranichvögel
Familie Kraniche
Verbreitung vom Nordosten Sibiriens über Alaska und Kanada bis Kalifornien, Texas und Florida
Maße Länge: 120 cm; Spannweite: 190 cm
Gewicht Weibchen bis 3,5 kg, Männchen bis 5,1 kg
Nahrung Allesfresser: vor allem Insekten, Wasserpflanzen, Wirbellose, kleine Nagetiere sowie Getreide, Samen und Beeren
Zahl der Eier 2
Brutdauer 29–32 Tage
Höchstalter etwa 30 Jahre
Im Durchschnitt bleiben die Kraniche knapp vier Wochen in diesem Kohlenhydrat-Eldorado und erhöhen dabei ihren Körperfettanteil von ca. 8 % auf 23 %. Sobald im April das Wetter günstig ist, brechen sie zu ihren Brutgebieten in Kanada, Alaska und Sibirien auf.
Dank ihrer Fettpolster können die Weibchen dann im Brutgebiet ohne Rücksicht auf den Energiegehalt proteinreiche Nahrung suchen, die für die Reifung der Eier nützlich ist. Wie die meisten Kraniche legen die Kanadakraniche zwei Eier und schaffen es meist, beide Jungtiere am Leben zu erhalten.