Ridcully kniff die Augen zusammen.

»Ich dachte, bei Zwergen gäbe es keine derartigen Titel«, sagte er.

»Ich habe der Königin Agantia von Skund einen kleinen Dienst geleistet«, erwiderte Casanunda.

»Ach? Wie klein?«

»So klein nun auch wieder nicht.«

»Aha. Und das ist der Quästor, und das ist der Bibliothekar.« Ridcully wich einen Schritt zurück und ruderte mit den Armen, während seine Lippen folgende stumme Botschaft formten: Sag bloß nicht »Tier«.

»Freut mich, euch kennenzulernen«, sagte Shawn höflich.

Ridcullys Neugier erwachte.

»Der Bibliothekar«, wiederholte er.

»Ja. Das hast du bereits gesagt.« Shawn nickte dem Orang-Utan zu. »Wie geht’s?«

»Ugh.«

»Vielleicht wunderst du dich über sein Aussehen«, vermutete Ridcully.

»Nein.«

»Nein?«

»Meine Mutter sagt immer: Niemand von uns kann was für sein äußeres Erscheinungsbild.«

»Muß eine bemerkenswerte Frau sein«, kommentierte Ridcully. »Wie heißt sie?«

»Frau Ogg, Herr.«

»Ogg? Ogg? Kommt mir irgendwie bekannt vor. Ist sie vielleicht mit Besonnenheit Ogg verwandt?«

»Der war mein Vater.«

»Meine Güte! Du bist der Sohn des alten Besonnenheit! Wie geht’s dem Schlingel?«

»Keine Ahnung, Herr. Er ist tot.«

»Oh. Wie lange schon?«

»Seit dreißig Jahren«, sagte Shawn.

»Aber du siehst nicht älter aus als zwan…«, begann Ponder. Ridcullys Ellenbogen bohrte sich ihm in die Seite.

»Wir sind hier auf dem Land«, zischte er. »Hier geht man anders an die Dinge heran. Und öfter.«

Er wandte sich wieder Shawn zu, blickte in ein rosarotes und hilfsbereites Gesicht.

»Offenbar werden die Leute allmählich wach«, stellte er fest, als hier und dort Fensterläden geöffnet wurden. »Wir frühstücken in der Taverne. Früher gab’s dort ein ausgezeichnetes Frühstück.« Er schnüffelte und strahlte.

»Nun, das nenne ich frische Luft!«

Shawn blickte sich aufmerksam um.

»Ja, Herr«, bestätigte er. »So nennen wir’s ebenfalls.«

Die hastigen Schritte eines verzweifelten Sprinters näherten sich, und abrupte Stille folgte. Wenige Sekunden später kam König Verence II. um die Ecke. Er ging betont langsam und hatte ein erstaunlich rotes Gesicht.

»Tja, die frische Landluft sorgt für eine gesunde Gesichtsfarbe«, meinte Ridcully.

»Der König!« hauchte Shawn. »Und ich habe nicht die Trompete dabei!«

»Ähm«, sagte Verence. »Ist die Post eingetroffen, Shawn?«

»Oh, ja, Euer Majestät«, erwiderte Nanny Oggs Sohn, der fast ebenso nervös war wie der König. »Ich habe sie hier. Keine Sorge: Ich öffne alles und lege es dir auf den Schreibtisch.«

»Ähm…«

»Du, stimmt was nicht, Euer Majestät?«

»Nun, äh, ich glaube…«

Shawn öffnete die ersten Päckchen.

»Hier ist das Buch über Etikette, auf das du gewartet hast, und das Buch über Schweinezucht, und… hier ist noch eins…«

Verence griff danach, und Shawn versuchte aus einem Reflex heraus, es festzuhalten. Der Umschlag riß, und ein besonders dickes Buch fiel aufgeschlagen zu Boden. Der Wind bewegte die Blätter, und deutlich waren Holzschnitte zu erkennen.

Alle Blicke richteten sich nach unten.

»Potzblitz!« entfuhr es Shawn.

»Meine Güte«, sagte Ridcully.

»Ähm«, fügte der König hinzu.

»Ugh?«

Ganz vorsichtig hob Shawn das Buch auf und blätterte fast ehrfurchtsvoll.

»He, seht euch dieses Bild an! Er macht’s mit den Füßen! Ich wußte gar nicht, daß man’s auch mit den Füßen machen kann!« Er stieß Ponder Stibbons an. »Sieh nur!«

Ridcully musterte den König.

»Ist alles in Ordnung, Euer Majestät?«

Verence schien entsetzlich zu leiden.

»Ähm…«

»Und hier machen’s zwei Burschen mit Stöcken…«

»Was?« fragte Verence.

»Donnerwetter«, sagte Shawn. »Vielen Dank, Euer Majestät. Das kann ich wirklich gut gebrauchen. Ich meine, hier und dort hab’ ich was gelernt, was man so aufschnappt, und…«

Verence nahm Shawn das Buch aus den Händen und starrte auf die Titelseite.

»Die Kunst der richtigen Hiebe«, las er. »Richtige Hiebe? Ich bin ganz sicher, daß in meiner Bestellung von Lie…«

»Euer Majestät?«

Ein oder zwei Sekunden lang rang Verence um sein inneres Gleichgewicht, und schließlich siegte er.

»Äh, ja. Ja. Äh. Nun. Ja. In Ordnung. Natürlich. Weißt du, ein gut ausgebildetes Heer ist sehr wichtig für… für die Sicherheit eines Königreichs. Ja, genau. Magrat und ich, wir dachten… Ja. Das Buch ist für dich, Shawn.«

»Ich fange gleich mit dem Üben an, Euer Majestät!«

»Ähm. Gut.«

 

Jason Ogg erwachte und bedauerte es sofort.

An dieser Stelle ist eine Erklärung erforderlich. Viele Fachleute und Experten haben versucht, den Kater beziehungsweise Katzenjammer zu beschreiben. Zur Beschreibung dieses Phänomens werden häufig tanzende Elefanten als Vergleich hinzugezogen. Aber solche Umschreibungen erwecken den falschen Eindruck. Sie klingen immer nach: Hoho, und jetzt was für die Jungs, imponieren wir ihnen mit ein bißchen Kater-Machismo, hoho, he, Wirt, noch mal neunzehn Halbe, hört mal her, Jungs, gestern abend ging’s echt heiß her, hoho…

Einen Knieweich-Kater kann man ohnehin nicht beschreiben. Um wenigstens eine vage Vorstellung vom damit einhergehenden Empfinden zu vermitteln, seien hier aufgelöste Zähne erwähnt, die eine Patina auf der Zunge bilden.

Nach einer Weile hob der Schmied den Kopf und öffnete die Augen.*

Seine Kleidung war vom Tau feucht.

Hinter der Stirn herrschte ein Chaos aus Benommenheitsdunst und unverständlichem Flüstern.

Jason blickte zu den Steinen.

Der Knieweich-Krug lag im Heidekraut. Er griff danach und schüttelte ihn versuchsweise – leer.

Mit dem Stiefel stieß er Weber an.

»Wach auf, du Schlafmütze. Wir haben die ganze Nacht hier verbracht!«

Nacheinander begannen die Moriskentänzer eine schmerzvolle Reise, die in eine recht bittere Realität zurückführte.

»Unsere Eva zieht mir das Fell über die Ohren, wenn ich nach Hause komme«, stöhnte Fuhrmann.

»Oder auch nicht«, erwiderte Dachdecker. Auf Händen und Knien kroch er umher und suchte nach seinem Hut. »Vielleicht hat deine Eva längst jemand anders geheiratet.«

»Möglicherweise sind hundert Jahre vergangen«, sagte Fuhrmann hoffnungsvoll.

»Hoffentlich.« Weber strahlte plötzlich. »Ich habe einen Ankh-Morpork-Dollar in Aktien der Wohlstandsbank von Ohulan investiert. Durch die Zinseszinsen wäre ich inzwischen zum Millionär geworden. Ich hätte ebensoviel Geld wie Krösus.«

»Wer ist Krösus?« fragte Dachdecker.

»Ein berühmter Reicher.« Bäcker zog seine Stiefel aus einem nahen Torftümpel. »Irgendwo im Ausland.«

»Meinst du den Burschen, der alles in Gold verwandelte, was er berührte?« fragte Fuhrmann.

»Nee, das war jemand anders. Irgend’n König oder so. Tja, so was passiert im Ausland. Im einen Augenblick sind die Dinge in bester Ordnung, und im nächsten verwandelt sich alles in Gold, was man anfaßt. Dieser Bursche hat ziemlich darunter gelitten.«

Fuhrmann wirkte recht nachdenklich.

»Und wenn er mal mußte? Wie…«

»Laß dir das eine Lehre sein, junger Fuhrmann«, sagte Bäcker. »Bleib in der Heimat, wo die Leute vernünftig sind. Treib dich nicht in der Fremde herum, wo du plötzlich ein Vermögen in den Händen halten könntest – ohne es für irgendwas ausgeben zu können.«

»Wir haben hier die ganze Nacht geschlafen«, stellte Jason beunruhigt fest. »Das ist gefährlich.«

»Da hast du recht, Schmied«, pflichtete ihm Fuhrmann bei. »Ich glaube, etwas hat mein Ohr als Toilette benutzt.«

»Ich meine, hier schleichen sich einem seltsame Dinge in den Kopf.«

»Genau das habe ich auch gemeint.«

Jason blinzelte. Er war ganz sicher, geträumt zu haben. Er erinnerte sich daran. Aber die Einzelheiten des Traums blieben verschwommen. Nach wie vor glaubte er zu spüren, wie zwischen seinen Schläfen Stimmen erklangen, doch zu weit entfernt, um sie verstehen zu können.

»Na schön.« Beim dritten Versuch gelang es ihm, auf die Beine zu kommen. »Wahrscheinlich ist nichts weiter passiert. Gehen wir nach Hause, um herauszufinden, in welchem Jahrhundert wir uns befinden.«

»Äh, in welchem Jahrhundert sind wir eingeschlafen?« fragte Dachdecker.

»In dem des Flughunds, nicht wahr?« entgegnete Bäcker.

»Aber vielleicht sind wir in einem anderen erwacht«, sagte Fuhrmann hoffnungsvoll.

Er mußte eine Enttäuschung hinnehmen. Die Stadt lieferte ihnen die Bestätigung dafür, daß sie sich noch im heimischen Jahrhundert befanden. In Lancre konnte man kaum etwas mit Zeiteinheiten anfangen, die kleiner waren als eine Stunde und größer als ein Jahr, doch es gab unübersehbare Hinweise, die jeden Zweifel ausräumten: Man schmückte den Platz mit bunten Fähnchen, und einige Männer stellten gerade eine Art Maibaum auf. Jemand nagelte ziemlich schlecht gemalte Bilder an die Wände. Sie zeigten Verence und Magrat, darunter den Slogan: »Möge Gott dasse köhnigliche Paar segnigen«.

Die Moriskentänzer verabschiedeten sich mit einigen knappen Worten, und anschließend ging jeder seines Wegs.

 

Ein Hase hoppelte durch den zerrissenen Morgennebel bis zur alten schiefen Hütte auf der Waldlichtung.

An einem Baumstumpf zwischen Abort und Kräutergarten verharrte er. Die meisten Tiere des Waldes mieden die Nähe der Kräuter, und zwar aus gutem Grund: Wer sie während der vergangenen fünfzig Jahre nicht gemieden hatte, bekam keine Gelegenheit, Nachkommen zu zeugen. Einige Ranken bewegten sich, und das war seltsam, denn es wehte gar kein Wind.

Der Hase hockte sich auf den Stumpf.

Ein Beobachter hätte jetzt vielleicht den Eindruck von Bewegung gewonnen. Etwas verließ den Hasen und schwebte zu einem geöffneten Fenster empor. Das Etwas war natürlich unsichtbar, zumindest für normale Augen.

Das Tier auf dem Baumstumpf veränderte sich. Vorher hatte es zielstrebig gewirkt, doch nun sprang es zu Boden und begann damit, sich die Ohren zu putzen.

Nach einer Weile öffnete sich die Hintertür, und Oma Wetterwachs trat steifbeinig nach draußen. Sie stellte einen Napf mit Brot und Milch auf die Straße, kehrte dann ins Innere der Hütte zurück und schloß die Tür.

Der Hase hoppelte näher.

Niemand weiß, ob Tiere verstehen, was es mit Verpflichtungen und Transaktionen auf sich hat. Eigentlich spielt es für sie auch gar keine Rolle. Das ist eher integraler Bestandteil der Hexerei. Wenn man eine Hexe wirklich verärgern möchte, so erweise man ihr einen Gefallen, ohne daß sie die Möglichkeit hat, sich dafür in irgendeiner Form erkenntlich zu zeigen. In einem solchen Fall läßt ihr die unerfüllte Verpflichtung keine Ruhe.

Oma Wetterwachs hatte sich die ganze Nacht über das Selbst des Hasen geborgt. Dafür schuldete sie dem Tier etwas, und das bedeutet: Während der nächsten Tage warteten an der Hintertür mindestens einmal am Tag Brot und Milch auf das Langohr.

Man mußte alles vergelten, so oder so. Es gab mehr als nur eine Art von Verpflichtung. Manche Leute begriffen das nie, dachte Oma, während sie in die Küche ging. Magrat verstand es ebensowenig wie das Mädchen. Die Dinge mußten im Gleichgewicht sein. Man konnte nicht einfach eine gute oder eine schlechte Hexe sein. So was ging nie gut. Man mußte sich damit begnügen, eine Hexe zu sein – es galt, alle Mühe darauf zu konzentrieren.

Oma nahm am kalten Kamin Platz und widerstand der Versuchung, sich mit dem Bein am Ohr zu kratzen.

Irgendwie war ihnen der Wechsel in diese Welt gelungen. Sie spürte es in den Bäumen, in den Selbstsphären kleiner Tiere. Sie plante etwas – etwas, das bald geschehen sollte. Im okkulten Sinne spielte die Sommersonnenwende keine große Rolle, aber sie hatte Bedeutung für das Denken und Fühlen der Menschen. Und aus jenem Denken und Fühlen bezogen die Elfen Kraft.

Oma wußte, daß es früher oder später zu einer Konfrontation mit der Königin kommen würde. Nicht mit Magrat, sondern mit der Königin.

Und dann drohte ihr, Esme Wetterwachs, eine Niederlage.

Ein ganzes Leben lang hatte sie daran gearbeitet, ihr eigenes Ich unter Kontrolle zu halten, und sie war sehr stolz auf die dabei erzielten Erfolge.

Doch jetzt ließ sie sich plötzlich selbst im Stich. Unter den gegenwärtigen Umständen brauchte sie ihr ganzes Selbstvertrauen, doch in ihr wuchs das sehr unangenehme Gefühl, daß kein hundertprozentiger Verlaß mehr auf sie war. Sie spürte das mentale Tasten der Königin – nach all den Jahren erinnerte sie sich noch immer deutlich an Präsenz und Struktur jenes Bewußtseins. Darüber hinaus schien mit ihrer Fähigkeit des Borgens soweit alles in Ordnung zu sein. Aber ihr Ich… Wenn sie sich nicht alles auf kleine Zettel schrieb, verlor sie die Orientierung. Eine Hexe zu sein… Es bedeutete, genau zu wissen, wer und wo man war. Und gerade in dieser Hinsicht lief Oma nun Gefahr, die Übersicht zu verlieren. Am vergangenen Abend hatte sie den Tisch für zwei Personen gedeckt und versucht, ein Zimmer zu betreten, daß es in ihrer Hütte überhaupt nicht gab.

Und bald mußte sie gegen eine Elfe antreten.

Wenn man gegen eine Elfe antrat und verlor… Dann starb man, mit etwas Glück.

 

Eine fröhliche Millie Chillum brachte Magrat das Frühstück ans Bett.

»Die ersten Gäste sind eingetroffen, Gnäfrau. Und der Platz ist mit bunten Fähnchen und so geschmückt! Und Shawn hat die Krönungskutsche gefunden!«

»Wie kann man eine Kutsche verlieren?« fragte Magrat.

»Sie stand in einem verschlossenen Schuppen, Gnäfrau. Er streicht sie gerade neu an, mit goldener Farbe.«

»Aber die Hochzeit findet hier statt«, wandte Magrat ein. »Wir brauchen nirgends hinzufahren.«

»Der König schlug vor, ein wenig mit der Kutsche durch die Gegend zu fahren, vielleicht bis zum Blöden Kaff. Mit Shawn Ogg als militärischer Eskorte. Damit die Leute winken und Hurra rufen können. Anschließend kehrt ihr hierher zurück.«

Magrat streifte den Morgenmantel über und trat ans Fenster. Von dort aus konnte sie über die Außenmauern des Schlosses hinweg bis zum Stadtplatz blicken, wo sich ziemlich viele Leute eingefunden hatten. Es wäre ohnehin Markttag gewesen, aber jetzt stellte man auch Sitzbänke auf. Der Maibaum stand bereits.

»Ich habe gerade einen Affen auf dem Platz gesehen«, sagte Magrat.

»Die ganze Welt kommt nach Lancre!« entfuhr es Millie, die sogar schon einmal in Schnitte gewesen war.

Magrat bemerkte eins der Bilder, das Verence und sie zeigte.

»So ein Unfug«, murmelte sie.

Millie hörte sie und riß schockiert die Augen auf.

»Wie meinst du das, Gnäfrau?«

Magrat drehte sich um.

»All dies! Für mich

Die Zofe wich furchtsam zurück.

»Ich bin doch nur Magrat Knoblauch! Könige sollten Prinzessinnen und Herzoginnen und so heiraten! Die sind an so etwas gewöhnt! Ich möchte nicht, daß jemand Hurra ruft, nur weil ich mit einer Kutsche vorbeifahre! Noch dazu Leute, die ich überhaupt nicht kenne! Dies alles…« Magrat winkte verzweifelt ab. Ihre Gesten galten dem verhaßten Kleiderschrank, dem gewaltigen Himmelbett und einem Nebenzimmer, in dem steife, teure Kleidung auf sie wartete. »Es ist nicht für mich, sondern für eine Idee. Bestimmt hast auch du als Kind Ausschneidepuppen mit Ausschneidekleidern bekommen, ja, und du konntest mit ihnen machen, was du wolltest, sie anziehen, wie du wolltest. So geht’s mir! Es ist… wie mit den Bienen! Man macht mich zur Königin, ob ich’s will oder nicht!«

»Der König hat dir die vornehmen Kleider besorgt, weil…«

»Ich meine nicht nur die Kleider. Die Leute würden in jedem Fall Hurra rufen – ganz gleich, wer in der Kutsche sitzt!«

»Aber du hast dich als einzige in den König verliebt, Gnäfrau«, wandte Millie tapfer ein.

Magrat zögerte. Bisher hatte sie dieses Gefühl noch keiner gründlichen Analyse unterzogen. »Nein«, erwiderte sie schließlich. »Da war er noch nicht König. Und niemand wußte, daß er einmal der König werden würde. Damals war er nur ein trauriger, netter junger Mann, der eine Narrenmütze mit Glöckchen trug und den niemand beachtet hat.«

Millie wich noch etwas weiter zurück.

»Vermutlich liegt’s an den Nerven, Gnäfrau«, brachte sie unsicher hervor. »Am Tag vor der Hochzeit ist Nervosität durchaus verständlich. Vielleicht… sollte ich dir einen Kräutertee holen…«

»Ich bin nicht nervös! Und ich kann mir selbst Kräutertee kochen, wenn ich welchen will.«

»Die Köchin sieht es nicht gern, wenn jemand anders ihren Kräutergarten betritt«, gab Millie zu bedenken.

»Ich habe den ›Garten‹ bereits gesehen. Da wächst nur kümmerlicher Salbei und gelbliche Petersilie. Wenn man’s nicht in den Hintern eines Huhns stopfen kann, ist es nach Meinung der Köchin überhaupt kein richtiges Kraut! Außerdem… Wer ist hier die Königin?«

»Ich dachte, du wolltest keine sein, Gnäfrau«, entgegnete Millie.

Magrat starrte sie an und schien einige Sekunden lang mit sich selbst zu ringen.

Millie mochte nicht sehr gebildet sein, aber sie war keineswegs dumm. Sie floh und warf die Tür hinter sich zu, bevor sie das Tablett mit dem Frühstück an die Wand knallte. Magrat setzte sich auf die Bettkante und ließ die Schultern hängen.

Sie wollte keine Königin sein. In die Rolle der Königin zu schlüpfen… Dazu mußte man über gute schauspielerische Fähigkeiten verfügen, und Magrat war sicher, daß es ihr ausgerechnet in dieser Hinsicht an Talent mangelte. Es fiel ihr schon schwer genug, sie selbst zu sein.

Der Lärm des regen Treibens auf dem Stadtplatz wurde ins Zimmer geweht. Bestimmt würde das Volk tanzen – das schien unvermeidlich zu sein –, und wahrscheinlich würde es auch singen. Und der ganze Rest: tanzende Bären, fröhliche Jongleure, der Wer-kann-am-schnellsten-den-eingefetteten-Pfahl-erklettern-Wettbewerb, den aus irgendeinem Grund immer Nanny Ogg gewann. Dann das Schweinereiten. Und die Sache mit der Kleienwanne. Für gewöhnlich kümmerte sich Nanny darum. Nur besonders mutige Männer wagten es, ihre Hand in eine Kleienwanne zu stecken, die eine für ihren besonderen Humor bekannte Hexe vorbereitet hatte. Magrat war von solchen Veranstaltungen immer begeistert gewesen. Bis jetzt.

Nun, es gab noch das eine oder andere zu tun.

Zum letztenmal zog sie gewöhnliche Kleidung an und eilte über die Hintertreppe zum entgegengesetzten Turm, in dem man Diamanda untergebracht hatte.

Ein angenehm wärmendes Feuer brannte im Kamin – es war Shawn zu verdanken –, und Diamanda ruhte, schlief einen tiefen Schlaf, aus dem man sie nicht wecken konnte.

Magrat stellte fest, daß Diamanda geradezu hinreißend gut aussah. Und damit nicht genug: Sie hatte den Mut aufgebracht, ausgerechnet Oma Wetterwachs die Stirn zu bieten. Magrat konnte es kaum abwarten, daß sich die Verletzte erholte – um sie dann hingebungsvoll zu beneiden.

Die Wunde schien gut zu verheilen, aber gewisse Gegenstände im Zimmer…

Sie ging zur Kordel in einer Ecke des Raums und zog daran.

Ein oder zwei Minuten später traf ein schnaufender Shawn Ogg ein. An seinen Händen klebte Goldfarbe.

»Was hat es damit auf sich?« fragte Magrat.

»Ähm. Die Frage beantworte ich nicht gern, gnä’ Frau…«

»Zufälligerweise bin ich… fast… die Königin«, betonte Magrat.

»Ja, aber der König hat gesagt… Das heißt, Oma Wetterwachs meinte…«

»Oma Wetterwachs herrscht nicht über dieses Königreich«, verkündete Magrat. Sie verabscheute es, auf diese Weise zu reden, aber es schien zu funktionieren. »Außerdem ist sie nicht hier. Ich bin hier, und wenn du mir nicht erklärst, was hier los ist… Dann sorge ich dafür, daß du die ganze Drecksarbeit im Schloß erledigen mußt.«

»Das muß ich ja schon«, erwiderte Shawn.

»Dann sorge ich eben dafür, daß die Dreckarbeit noch dreckiger wird.«

Magrat griff nach einem Bündel. Es bestand aus mehreren Stoffstreifen, die um eine Eisenstange gewickelt waren.

»So was liegt hier überall«, sagte Magrat. »Warum?«

Shawn betrachtete seine Füße. Auch an den Stiefeln glänzte Goldfarbe.

»Nun, unsere Mama meinte…«

»Ja?«

»Unsere Mama meinte, es sei sehr wichtig, daß es hier genug Eisen gibt. Deshalb haben Millie und ich einige Stangen aus der Schmiede geholt und sie umwickelt, und Millie hat sie hierhergebracht.«

»Warum?«

»Um die, äh, Herren und Herrinnen fernzuhalten.«

»Was? Aber das ist doch nur ein alter Aberglaube. Außerdem: Alle wissen, daß Elfen gut sind – was auch immer Oma Wetterwachs behauptet.«

Shawn schnitt eine Grimasse, als Magrat ein Bündel unter der Matratze hervorzog und es in die Ecke warf.

»Hier halten wir nichts von einem derartigen Unfug. Gibt es sonst noch etwas, von dem man mir nichts gesagt hat?«

Shawn schüttelte den Kopf und dachte schuldbewußt an das Wesen im Kerker.

»Na schön. Geh jetzt. Verence möchte ein modernes, effizientes Königreich, und das bedeutet: keine Hufeisen und so. Geh endlich!«

»Ja, Frau Königin.«

Ich habe durchaus die Möglichkeit, hier positive Veränderungen zu bewirken, ging es Magrat durch den Sinn.

Und sie fuhr fort: Ja, genau. Sei vernünftig. Darauf kommt’s an – auf die Vernunft. Rede mit ihm. Sie glaubte fest daran, daß sich alle Probleme lösen ließen, wenn die Leute nur miteinander redeten.

»Shawn?«

Er blieb an der Tür stehen.

»Ja, gnä’ Frau?«

»Ist der König bereits im Großen Saal?«

»Ich glaube, er zieht sich noch an, Frau Königin. Jedenfalls hat er mich bisher nicht angewiesen, die Fanfare erklingen zu lassen.«

Verence mochte es nicht besonders, von Shawn mit schmetternden Trompetenstößen angekündigt zu werden, und deshalb hatte er an diesem Morgen seine Gemächer inkognito verlassen. Magrat wußte nichts davon, ging zu seinem Schlafzimmer und klopfte an.

Warum schüchtern sein? Am nächsten Tag war es auch ihr Schlafzimmer, oder? Sie drehte den Knauf, und die Tür öffnete sich. Fast gegen ihren Willen trat sie ein.

Von den Räumen im Schloß konnte man kaum behaupten, daß sie jemandem gehörten. Im Lauf der Jahrhunderte hatten zu viele Personen darin gewohnt. Die Atmosphäre stellte ein Äquivalent jener Wände dar, in denen zahllose winzige Löcher an zahllose Poster inzwischen längst aufgelöster Rockgruppen erinnerten. Solchen Steinen konnte man keine individuelle Persönlichkeit aufprägen; gegen so etwas waren sie längst immun.

Magrat betrat nun das Schlafzimmer eines Mannes und empfand dabei wie ein Forscher, der jene Region erreichte, die auf der Landkarte mit »Hier könnten Drachen hausen« markiert war.*

Der Raum entsprach nicht ganz ihren Vorstellungen.

Das Schlafzimmerkonzept hatte Verence erst recht spät in seinem Leben kennengelernt. Als er noch ein Junge gewesen war, schlief die ganze Familie im Stroh auf dem Dachboden der Hütte. Als Lehrling in der Gilde der Narren und Witzbolde hatte er sich mit einer einfachen Pritsche in einem großen Wohnheim begnügen müssen, das er mit vielen anderen traurigen und bedrückten Jugendlichen geteilt hatte. Als voll ausgebildeter Narr schlief er zusammengerollt vor der Tür seines Herrn, wie es die Tradition verlangte. Erst viel später als die meisten Leute bekam er Gelegenheit, weiche Matratzen auszuprobieren.

Jetzt erfuhr Magrat vom großen Geheimnis des Königs.

Das Experiment hatte nicht funktioniert.

In der Mitte des Zimmers stand das große Bett von Lancre. Es hieß, daß mehr als zehn Personen darin schlafen konnten, doch in Hinsicht auf die Umstände und das Warum ließ sich keine Gewißheit erlangen. Wie dem auch sei: Das Bett war riesig und bestand aus Eiche.

Ganz offensichtlich hatte niemand darin geschlafen.

Magrat zog die Decke zurück, roch angesengtes Leinen – und sonst nichts. Dieser Geruch teilte mit: Hier hat niemand gelegen und geträumt.

Sie blickte sich um, bis sie das kleine Stilleben an der Tür bemerkte. Es bestand aus einem zusammengefalteten Nachthemd, einem Kerzenhalter und einem kleinen Kissen.

Seit Verence die Königskrone trug, schlief er auf der anderen Seite der Tür.

Bei den Göttern! Er hatte die Nacht immer vor der Tür seines Herrn verbracht. Und nun schlief er vor der Pforte seines Königreichs.

Magrat spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

Man mußte einfach jemanden lieben, der so sentimental war.

Sie fühlte sich fasziniert und wußte gleichzeitig, daß sie an diesem Ort eigentlich nichts zu suchen hatte. Trotzdem: Sie putzte sich die Nase und setzte ihre Entdeckungsreise fort. Einige neben dem Bett liegende Kleidungsstücke wiesen darauf hin, daß. Verence mit seiner Garderobe ebenso rücksichtsvoll umging wie die meisten Angehörigen des männlichen Teils der Bevölkerung. Und noch etwas: Wie viele seiner Geschlechtsgenossen schien er gewisse Schwierigkeiten mit den komplexen topologischen Manövern zu haben, die nötig waren, um Socken auf die richtige Seite zu ziehen.

Die ehemalige Hexe sah eine kleine Frisierkommode samt Spiegel, an dem eine kleine, verwelkte Blume befestigt war. Sie hatte große Ähnlichkeit mit jenen Blumen, die Magrat des öfteren im Haar trug.

An dieser Stelle hätte sie das Zimmer besser verlassen sollen, wie sie später zugeben mußte. Aber sie schien überhaupt keine Kontrolle mehr über sich zu haben.

Mitten auf der Frisierkommode stand eine Art Napf aus Holz. Er enthielt Münzen, Bindfäden und andere Dinge, wie sie für eine abends geleerte Hosentasche typisch zu sein schienen.

Ein zusammengefalteter Zettel fiel Magrat auf. Er sah aus, als hätte er eine ganze Weile in besagter Hosentasche verbracht.

Die Fast-Königin griff danach und entfaltete ihn.

 

An mittwärtigen Hängen der Spitzhornberge gab es überall kleine Königreiche. Jedes schmale Tal und jeder Felssims, der mehr als einer Gemse Platz bot, stellte ein Königreich dar. In den Spitzhornbergen gab es Königreiche, die so klein waren, daß folgendes geschehen konnte: Wenn sie von einem Drachen heimgesucht wurden und ein Held die Gefahr bannte, und wenn ihn der König dafür mit der Hälfte des Reiches belohnen mußte, wie es Paragraph drei der Heldengesetze verlangte – dann blieb überhaupt kein Königreich mehr übrig. So fanden denn lange Annexionskriege statt, weil jemand nach einem Platz suchte, wo er die Kohlen aufbewahren konnte.

Lancre gehörte zu den größeren Königreichen. Immerhin konnte es sich sogar ein stehendes Heer leisten.*

Könige, Königinnen und verschiedene Subformen der Aristokratie strömten derzeit über die Lancrebrücke. Beobachtet wurden sie von einem verdrießlichen und tropfnassen Troll, der den Wachdienst für den heutigen Tag aufgegeben hatte.

Die Türen des Großen Saals standen weit offen. Überall trieben sich Jongleure und Feuerschlucker herum. Oben in der Bänkelsängergalerie spielte ein kleines Orchester auf Instrumenten wie der einsaitigen Fiedel von Lancre oder den berühmten Spitzhorn-Dudelsäcken. Glücklicherweise verloren sich die damit erzeugten Klänge im Lärm der Menge.

Nanny Ogg und Oma Wetterwachs waren ebenfalls im Großen Saal. Da es sich um eine festliche Angelegenheit handelte, trug Nanny jetzt nicht ihren schwarzen spitzen Hut, sondern einen anderen, der zwar die gleiche Form hatte, dafür aber rot glänzte. Sehr dekorative Wachskirschen baumelten daran.

»Alle möglichen Leute sind hier«, freute sich Nanny und nahm ein Glas von einem nahen Tablett. »Sogar einige Zauberer aus Ankh-Morpork, hat mir unser Shawn gesagt. Er meinte, einer von ihnen hat gesagt, ich hätte eine gute Figur. Leider wußte er nicht, wer das war.«

»Muß an Geschmacksverirrung leiden«, murmelte Oma, doch es kam nicht von Herzen. Es handelte sich nur um eine automatische Gemeinheit. Nanny Oggs Besorgnis wuchs – irgend etwas schien ihre Freundin zu belasten.

»Es gibt einige Herren und Herrinnen, die wir hier nicht sehen möchten«, sagte Oma Wetterwachs. »Ich werde erst dann erleichtert aufatmen, wenn dies alles vorbei ist.«

Nanny Ogg reckte den Hals und bemühte sich, über den Kopf eines kleinen Kaisers hinwegzublicken.

»Von Magrat ist weit und breit nichts zu sehen. Da drüben steht Verence und spricht mit einigen anderen Königen, aber Magrat ist nirgends zu sehen. Unser Shawn hat gesagt, daß Millie Chillum meinte, heute morgen sei sie das reinste Nervenbündel gewesen.«

»All diese hochgeborenen Leute«, grummelte Oma und ließ den Blick über die vielen gekrönten Häupter schweifen. »Fühle mich hier wie ein Fisch auf dem Trockenen.«

»Nun, wenn du mich fragst: Jeder schafft sich sein eigenes Wasser.« Nanny nahm einen gebratenen Hähnchenschenkel vom Büfettisch und schob ihn sich in den Ärmel.

»Trink nicht zuviel. Wir müssen wachsam bleiben, Gytha. Denk daran, was ich dir gesagt habe. Wir dürfen uns nicht ablenken lassen…«

»Das ist doch nicht etwa die reizende Frau Ogg, oder?«

Nanny drehte sich um.

Niemand stand hinter ihr.

»Weiter unten«, fügte die Stimme hinzu.

Nanny senkte den Kopf und lächelte.

»Na so was«, sagte sie.

»Ich bin’s, Casanunda«, sagte Casanunda, der noch kleiner wirkte, weil er eine gewaltige gepuderte Perücke* trug. »Erinnerst du dich? Wir haben in Gennua eine ganze Nacht getanzt.«

»Nein, haben wir nicht.«

»Nun, hätte ja sein können.«

»Erstaunlich, daß wir uns ausgerechnet hier wiedersehen«, sagte Nanny taktvoll. Sie erinnerte sich an eine Besonderheit des Zwergs: Je stärker man auf ihn einschlug, desto heftiger prallte er zurück.

»Unsere Sterne stehen günstig«, sagte Casanunda. »Wir sind füreinander bestimmt. Ich möchte deinen Körper, Frau Ogg.«

»Ich benutze ihn noch.«

Zwar vermutete Nanny Ogg nicht zu Unrecht, daß der zweitbeste Liebhaber der Welt diese Taktik bei allen auch nur halbwegs weiblichen Personen benutzte, aber sie fühlte sich trotzdem geschmeichelt. In ihrer Jugend hatte sie sich über viele Bewunderer freuen können, doch die Jahre hatten ihren Körper so verändert, daß man ihn heute bestenfalls als gemütlich bezeichnen konnte. Dazu kam ein Gesicht, das an eine fröhliche Rosine erinnerte. Nun, selbst die hübschesten Blumen verwelken einmal…

Außerdem fand Nanny den Zwerg irgendwie sympathisch. Die meisten Männer machten bei ihren Annäherungsversuchen große Umwege. Casanundas Direktheit war erfrischend.

»Wir passen nicht zusammen«, erwiderte Nanny Ogg. »Es gibt unlösbare Kompatibilitätsprobleme, die bei der Größe anfangen. Ganz zu schweigen davon, daß ich alt genug bin, um deine Mutter zu sein.«

»Ausgeschlossen. Meine Mutter ist dreihundert und hat einen schöneren Bart als du.«

Ein Hinweis, der sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen ließ. Nach den Maßstäben der Zwerge war Nanny kaum älter als ein Teenager.

»Ach, mein Herr!« Nanny gab Casanunda einen leichten Klaps, der es in seinen Ohren klingeln ließ. »Du weißt, wie man einem einfachen Mädchen vom Lande den Kopf verdreht, jawohl!«

Casanunda straffte sich und richtete glücklich die Perücke.

»Ich mag Frauen voller Leidenschaft«, sagte er. »Wie wär’s, wenn wir ein kleines Tête-à-tête veranstalten, wenn das hier vorüber ist?«

Verwirrung erfaßte Nanny Ogg. Normalerweise kam sie mit jeder kosmopolitischen Sprache zurecht, doch jetzt mußte sie passen.

»Einen Augenblick.« Sie stellte ihr Glas auf Casanundas Kopf und bahnte sich einen Weg durch die Menge, bis sie eine vielversprechend aussehende Herzogin bemerkte und sie im Bereich der Turnüre anstieß.

»He, Euer Gnaden, was bedeutet Tähtatäht?«

»Wie bitte?«

»Ein Tähtatäht. Behält man dabei die Kleidung an?«

»Damit ist ein intimes Treffen gemeint, gute Frau.«

»Mehr steckt nicht dahinter? Na gut.«

Nanny Ogg machte mehrmals Gebrauch von ihren Ellenbogen, als sie zum erwartungsvollen Zwerg zurückkehrte.

»Alles klar«, meinte sie.

»Ich dachte, wir könnten vielleicht irgendwo essen, nur du und ich«, sagte Casanunda. »In einer Taverne?«

Noch nie zuvor war Nanny zu einem romantischen Essen eingeladen worden. Ihre Erfahrungen mit Romantik und dergleichen hatten sich eher durch Quantität und nicht so sehr durch Qualität ausgezeichnet.

»Na schön«, antwortete sie knapp.

»Schlag deiner Anstandsdame ein Schnippchen, damit wir um sechs von hier verschwinden können, einverstanden?«

Nanny Ogg sah zu Oma Wetterwachs, die ein wenig abseits stand und sie mißbilligend beobachtete.

»Sie ist nicht meine…«

Dann fiel ihr ein, daß Casanunda Oma nicht wirklich für ihre Anstandsdame halten konnte.

Komplimente und Schmeichelei hatten bei Nannys amourösen Erfahrungen ebenfalls nur eine geringe Rolle gespielt.

»Ja, in Ordnung«, entgegnete sie schlicht.

»Wir sollten uns jetzt besser trennen«, sagte Casanunda. »Ich möchte dich nicht ins Gerede bringen und deinen guten Ruf gefährden.« Er verbeugte sich und küßte Nanny Ogg die Hand.

Ihre Kinnlade klappte nach unten. Nie zuvor hatte ihr jemand die Hand geküßt oder Rücksicht auf ihren Ruf genommen, sie selbst am allerwenigsten.

Als der zweitbeste Liebhaber der Welt fortging und eine Gräfin ansprach, gab Oma Wetterwachs ihren Beobachtungsposten in diskreter Entfernung* auf. »Du hast nicht einmal den Anstand einer Katze, Gytha Ogg«, sagte sie.

»Ich bitte dich, Esme: Du weißt, daß das nicht stimmt.«

»Na schön. Du hast den Anstand einer Katze.«

»Schon besser.«

Nanny Ogg richtete sich die wogenden weißen Locken und fragte sich, ob sie nach Hause zurückkehren und sich dort in ihr Korsett zwängen sollte.

»Wir müssen wachsam sein, Gytha.«

»Ja, ja.«

»Wir dürfen uns von nichts ablenken lassen.«

»Nein, nein.«

»Du hörst mir gar nicht zu, oder?«

»Was?«

»Du könntest wenigstens herausfinden, warum Magrat nicht da ist.«

»Na gut.«

Nanny Ogg schlenderte verträumt davon.

Oma Wetterwachs drehte sich um…

Normalerweise hätten jetzt Violinen erklingen müssen. Unter solchen Umständen rechnete man damit, daß die Hintergrundgeräusche – das Summen und Brummen der vielen Stimmen – allmählich verklangen, daß die Menge auseinanderwich und eine Gasse freigab zwischen Oma Wetterwachs und Ridcully.

Ja, Violinenklänge. Irgend etwas hätte geschehen sollen.

Es geschah tatsächlich etwas: Der Bibliothekar wankte vorbei, benutzte die Arme als zusätzliche Beine und trat – oder stieß – Oma auf den Fuß, als er zum Büfettisch eilte.

Sie bemerkte es kaum.

»Esme?« fragte Ridcully.

»Mustrum?« erwiderte Oma Wetterwachs.

Nanny Ogg trat näher.

»Esme, ich habe Millie Chillum gesehen, und sie meinte…«

Oma Wetterwachs’ Ellenbogen bohrte sich ihr in die Seite. Nanny schnappte nach Luft und schätzte die Situation ab.

»Oh«, sagte sie. »Nun, ich… ich gehe dann wohl besser.«

Erneut trafen sich die Blicke.

Wieder kam der Bibliothekar vorbei, und diesmal trug er ein Tablett mit Obst.

Oma Wetterwachs beachtete ihn nicht.

Der Quästor – er befand sich derzeit im mittleren Bereich seines Zyklus’ – klopfte Ridcully auf die Schulter.

»Hallo, Erzkanzler. Die Wachteleier sind gar nicht so übel…«

»VERSCHWINDE. Stibbons, bitte hol die Froschpillen. Und halte alle Messer von ihm fern.«

Und wieder sahen sie sich an.

»Na so was«, sagte Oma nach ungefähr einem Jahr.

»Dies muß ein verzauberter Abend sein oder so«, sagte Ridcully.

»Ja. Das befürchte ich auch.«

»Du bist es wirklich, nicht wahr?«

»Ich glaube schon«, bestätigte Oma Wetterwachs.

»Hast dich überhaupt nicht verändert, Esme.«

»Du dich auch nicht. Bist noch immer ein schamloser Lügner, Mustrum Ridcully.«

Sie traten aufeinander zu. Und wieder schwankte der Bibliothekar vorbei, und seine Fracht bestand diesmal aus einem großen Teller mit Meringen. Hinter ihm kroch Ponder Stibbons auf dem Boden umher und sammelte verstreute Froschpillen auf.

»Tja«, sagte Ridcully.

»Komisch.«

»Die Welt ist klein.«

»Ja.«

»Du bist du, und ich bin ich. Bemerkenswert. Und jetzt ist es hier und heute.«

»Und damals war’s damals.«

»Ich habe dir viele Briefe geschrieben«, sagte Ridcully.

»Bekam nie welche.«

In den Augen des Erzkanzlers funkelte es.

»Seltsam. Und ich habe sie extra mit einem Richtungszauber ausgestattet.« Er musterte die Hexe von Kopf bis Fuß. »Wieviel wiegst du, Esme? Hast bestimmt kein Gramm Fett am Leib, wie?«

»Warum willst du das wissen?«

»Gönn einem alten Mann seine Neugier.«

»Na schön. Etwa siebenundfünfzig Kilo.«

»Hmm… Müßte eigentlich klappen. Fünf Kilometer mittwärts… Eine leichte Drift nach links, kein Problem…«

Ridcully streckte ruckartig den Arm und griff nach Omas Hand. Er fühlte sich jung und übermütig. Die Zauberer in der Unsichtbaren Universität wären sicher sehr verblüfft gewesen.

»Laß uns woanders hingehen.«

Er schnippte mit den Fingern.

Die Masse muß wenigstens ungefähr erhalten bleiben – das ist eine fundamentale magische Regel. Wenn etwas von A nach B bewegt wird, so muß etwas anderes von B nach A wechseln.

Und dann das Bewegungsmoment. Zwar dreht sich die Scheibenwelt nur langsam, aber verschiedene Punkte bewegen sich in bezug auf die Mitte mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Woraus folgt: Ein Zauberer, der sich in Richtung Rand bewegt, sollte darauf vorbereitet sein, sein Ziel laufend zu erreichen.

Die fünf Kilometer bis zur Lancrebrücke bewirkten nur ein leichtes Zerren, und damit hatte Ridcully gerechnet. Er materialisierte an die Brüstung gelehnt, mit Esme Wetterwachs in den Armen.

Eine Sekunde vorher hatte der Zolltroll jenen Platz eingenommen. Plötzlich fand er sich lang ausgestreckt im Großen Saal wieder, zufälligerweise direkt auf dem Quästor.

Oma Wetterwachs sah in den Fluß hinab, und anschließend richtete sie einen mißbilligenden Blick auf Ridcully.

»Dazu hattest du kein Recht«, sagte sie. »Bring mich sofort zurück.«

»Meine Güte.« Der Erzkanzler hob die Hand. »Scheine überhaupt keine magische Kraft mehr zu haben. Peinliche Sache. Die Finger sind ganz schlaff. Nun, wir könnten natürlich zu Fuß gehen. Es ist ein herrlicher Abend. Hier sind die Abende immer herrlich.«

»Fünfzig oder sechzig Jahre sind vergangen!« entfuhr es Oma. »Du kannst hier nicht einfach wieder auftauchen und so tun, als sei nichts geschehen.«

»Oh, ich weiß, daß viel Zeit verstrichen ist«, erwiderte Ridcully. »Ich bin jetzt das Oberhaupt der Unsichtbaren Universität. Ich brauche nur einen Befehl zu geben, und tausend Zauberer, äh… gehorchen mir nicht oder brummen ›Was?‹ oder erheben irgendwelche Einwände. Wie dem auch sei: Sie sind zumindest gezwungen, mich zur Kenntnis zu nehmen.«

»Ich habe die Universität einige Male besucht«, sagte Oma. »Da gibt’s einen Haufen dicker Männer mit Bärten.«

»Genau. Das sind sie

»Viele von ihnen kommen aus den Spitzhornbergen. Ich kenne einige Jungs aus Lancre, die Zauberer geworden sind.«

»Eine sehr magische Region«, meinte Ridcully. »Vielleicht liegt’s an der Luft.«

Unten rauschte das dunkle Wasser des Flusses. Es tanzte stets den Reigen der Schwerkraft, strömte nie bergauf.

»Es gab sogar mal einen Erzkanzler namens Wetterwachs«, sagte Ridcully.

»Davon habe ich gehört«, brummte Oma. »Ein Vetter oder so. Bin ihm nie begegnet.«

Sie starrten beide in den Fluß hinab. Gelegentlich sahen sie ein Stück Holz auf den Wellen wippen.

»Erinnerst du dich an…«, begann Ridcully.

»Ich habe ein… sehr gutes Gedächtnis.«

»Fragst du dich manchmal, wie das Leben für uns gewesen wäre, wenn du ja gesagt hättest?«

»Nein.«

»Ich nehme an, dann wären wir jetzt eine große Familie, mit vielen Kindern und Enkeln und so…«

Oma zuckte mit den Schultern. Solche Bemerkungen stammten für gewöhnlich von romantischen Narren. Andererseits: Heute abend herrschte eine besondere Atmosphäre…

»Was ist mit dem Feuer?« fragte sie.

»Mit welchem Feuer?«

»Unser Haus brannte kurz nach der Heirat nieder. Wir kamen in den Flammen ums Leben.«

»Was? Davon weiß ich überhaupt nichts…«

Oma drehte sich um.

»Natürlich weißt du nichts davon! Weil es uns erspart geblieben ist. Aber so etwas hätte geschehen können. Überlegungen wie ›Wenn dies nicht geschehen wäre, dann hätte sich das ereignet‹ haben keinen Sinn – weil man die jeweilige Alternative überhaupt nicht kennt. Was in diesem Zusammenhang als erstrebenswert erscheint, könnte sich als etwas Schreckliches herausstellen. Wer ›Wenn ich doch nur…‹ sagt, ahnt gar nicht, was er sich damit wünscht. Es gibt keine Gewißheit. Die Vergangenheit ist vergangen. Man kann nichts an ihr ändern und muß sie akzeptieren.«

»Die Hose der Zeit«, murmelte Ridcully verdrossen.

Er griff nach einem von der Brüstung abgebröckelten Stein und warf ihn in den Fluß. Es platschte, wie oft in solchen Fällen.

»Was?«

»Davon plappern die Burschen im Forschungstrakt für hochenergetische Magie. Sind dreist genug, sich Zauberer zu nennen! Du solltest sie hören. Die Kerle würden nicht einmal dann ein magisches Schwert erkennen, wenn es sie am Knie träfe! So sind die jungen Zauberer heutzutage. Sie glauben, die Magie neu erfunden zu haben.«

»Und die jungen Mädchen, die heutzutage Hexen werden möchten«, ließ sich Oma Wetterwachs vernehmen. »Benutzen Samthüte, schwarzen Lippenstift und Spitzenhandschuhe ohne Finger. Außerdem sind sie frech.«

Sie standen jetzt nebeneinander und blickten in den Fluß.

»Die Hose der Zeit«, sagte Ridcully. »Für manche Leute geht’s im einen Bein nach unten, für die übrigen im anderen. Und außerdem wimmelt’s überall vom Kontinuinuinuum-Kram. In meiner Jugend gab es nur ein anständiges Universum, und damit hatte es sich. Man mußte höchstens befürchten, daß sich irgendwelche Wesen aus den Kerkerdimensionen einen Weg ins Diesseits bahnten. Wie dem auch sei: Es gab nur ein verdammtes Universum – unseres –, und man wußte genau, woran man war. Jetzt soll’s plötzlich Millionen von den blöden Dingern geben. Ganz zu schweigen von der Katze, die in einer Schachtel steckt, darin gleichzeitig lebt und tot ist oder so. Und dauernd laufen die Burschen herum und rufen: Herrlich, wunderbar, hurra, da kommt noch ein Quantum. Aber wenn man sie um einen einfachen Levitationszauber bittet… Dann sehen sie einen so an, als würde einem der Sabber aus den Mundwinkeln laufen. Du hättest den jungen Stibbons hören sollen. Sprach davon, daß ich mich nicht zu meiner eigenen Hochzeit eingeladen habe!«

Ein Eisvogel sauste zum Fluß und tauchte so hinein, daß sich das Wasser kaum kräuselte. Eine halbe Sekunde später kam er wieder zum Vorschein und flog mit einem silbrigen, zuckenden Etwas im Schnabel fort.

»Der Kerl quasselte dauernd davon, alles geschähe zur gleichen Zeit und so«, fuhr Ridcully mürrisch fort. »Als wenn man überhaupt nicht die Wahl hätte oder was weiß ich. Man entscheidet einfach nur, durch welches Hosenbein der Zeit man kriecht. Stibbons meinte zum Beispiel, daß wir tatsächlich geheiratet hätten. Seiner Ansicht nach sind alle Möglichkeiten, selbst die absurdesten, irgendwo Realität. Mit anderen Worten: Es existieren viele tausend Versionen von mir, die nie Zauberer wurden – und Hunderte von Esmes, die… Briefe beantworteten. Ha! Für sie sind wir etwas, das gewesen sein könnte. Ich frage dich: Sollte ein junger Zauberer über solchen Unfug nachdenken, hm?

Als ich mit dem Studium begann, war der alte Tudgy Spold Erzkanzler. Wenn ein junger Zauberer so dumm gewesen wäre, ihm gegenüber von derartigen Dingen zu sprechen, so hätte er einen Zauberstab an den Hinterkopf bekommen, jawohl!«

Irgendwo tief unten sprang ein Frosch von einem Stein.

»Meine Güte, seit damals haben wir alle eine Menge Wasser gelassen.«

Es dämmerte Ridcully, daß aus dem Dialog ein Monolog geworden war. Er wandte sich an Oma, die aus weit aufgerissenen Augen in den Fluß sah, als hätte sie nie zuvor Wasser gesehen.

»Dumm, dumm, dumm«, sagte sie.

»Wie bitte? Ich habe doch nur…«

»Ich meine nicht dich, sondern mich selbst. Ja, ich bin dumm. Aber ich bin nicht blöd. Ha! Und ich dachte, mein Gedächtnis ließe mich im Stich! Das Gegenteil ist der Fall! Es erinnert sich an mehr als vorher!«

»Was?«

»Ich hatte schon Angst! Ich! Dachte, ich könnte nicht mehr klar denken! Und dabei habe ich klar gedacht, die ganze Zeit über!«

»Hä?«

»Nun… Es liegt mir fern zu behaupten, daß mir dieser… kleine Ausflug nicht gefallen hat«, sagte Oma. »Aber jetzt muß ich zurück. Schnipp noch einmal mit den Fingern. Und zwar schnell.«

Eine gewisse Verlegenheit zeichnete sich in Ridcullys Zügen ab.

»Das geht leider nicht«, entgegnete er.

»Eben ging’s.«

»Und genau deshalb geht’s jetzt nicht mehr. Die Transmigration ist ziemlich anstrengend.«

»Früher hast du’s oft angestellt, wenn ich mich recht entsinne«, sagte Oma Wetterwachs. Sie riskierte ein Lächeln. »Deine Füße haben kaum den Boden berührt.«

»Früher war ich jünger. Heute ist einmal genug.«

Omas Stiefel knarrten, als sie sich umdrehte und in Richtung Stadt marschierte. Ridcully folgte ihr hastig.

»Warum so eilig?«

»Habe wichtige Dinge zu erledigen«, antwortete Oma, ohne den Kopf zu drehen. »Darf die Leute nicht enttäuschen.«

»Manche Leute wären vielleicht bereit, dies hier für wichtig zu halten.«

»Nein. Dabei handelt es sich nur um eine persönliche Angelegenheit. Und persönliche Angelegenheiten sind nicht automatisch wichtig – auch wenn diese Ansicht weit verbreitet ist.«

»Du machst es schon wieder

»Was denn?«

»Ich weiß nicht, wie jene andere Zukunft gewesen wäre«, sagte Ridcully. »Aber was mich betrifft… Ich hätte sie wenigstens gern mal ausprobiert.«

Oma zögerte, plötzlich erleichtert. Sollte sie von den Erinnerungen erzählen? Sie öffnete den Mund – und überlegte es sich anders. Nein. Sie wollte keine Rührseligkeit bei Ridcully provozieren.

»Ich wäre ständig griesgrämig und schlecht gelaunt gewesen«, sagte sie statt dessen.

»Völlig klar.«

»Ha! Und was ist mit dir? Ich hätte deine Frauengeschichten ertragen müssen. Und sicher wärst du häufig betrunken nach Hause gekommen und so.«

Ridcully wirkte verwirrt.

»Welche Frauengeschichten?«

»Wir sprechen hier von Dingen, die gewesen sein könnten

»Ich bin Zauberer! Bei Zauberern gibt es keine Frauengeschichten. Es gibt Gesetze, die das verbieten. Nun, es sind keine Gesetze in dem Sinne, eher Regeln. Beziehungsweise Richtlinien.«

»Wir reden von einem Leben, das du ohne Zauberei verbracht hast.«

»Und ich bin fast nie betrunken.«

»Als mein Ehemann wärst du’s häufig gewesen.«

Ridcully faßte sich wieder.

»Selbst der junge Ponder faselt nicht so ein Zeug«, stellte er fest. »Du hast dich selbst davon überzeugt, daß wir unsere gemeinsame Vergangenheit verabscheut hätten, nicht wahr?«

»Ja.«

»Warum?«

»Was glaubst du?«

»Ich habe dich gefragt.«

»Ich bin viel zu beschäftigt, um mit dieser Sache Zeit zu vergeuden«, meinte Oma. »Wie ich eben schon sagte: Man darf persönliche Dinge nicht mit wichtigen Angelegenheiten verwechseln. Mach dich nützlich, Zauberer. Du weißt doch, daß es Kreis-Zeit ist, oder?«

Ridcully faßte sich an die Hutkrempe.

»O ja.«

»Und weißt du auch, was das bedeutet?«

»Angeblich werden dabei die Wände zwischen den Realitäten dünner. Die Kreise sind… Welchen Ausdruck hat Stibbons verwendet? Er sprach von Isoresonen. Sie verbinden verschiedene Ebenen von irgendeinem Blödsinn – verschiedene Ebenen der Wirklichkeit oder so. Ich halte das für Unfug. Es klingt so, als könnte man vom einen Universum zum anderen gehen.«

»Hast du’s jemals versucht?«

»Nein!«

»Ein Kreis ist so etwas wie eine halbgeöffnete Tür. Es ist nicht sehr schwer, sie ganz zu öffnen. Schon der Glaube genügt. Deshalb hat man vor vielen Jahren die Tänzer aufgestellt. Die Zwerge haben sich darum gekümmert. Die Steine… Es steckt Donnerkeileisen in ihnen. Das ist ein ganz besonderes Material. Es liebt Eisen. Frag mich nicht, wie’s funktioniert. Elfen hassen es noch mehr als gewöhnliches Eisen. Es bringt ihre… Sinne durcheinander oder so. Doch der Geist kann die Barriere durchdringen…«

»Elfen? Jeder weiß, daß es keine Elfen mehr gibt. Zumindest keine richtigen. Ich meine, hier und dort behaupten Leute, Elfen zu sein, aber…«

»Sie sind elfischer Abstammung. Elfen und Menschen können zusammen Nachkommen zeugen – als sei das etwas, worauf man stolz sein könnte. Das Ergebnis sind dürre Personen mit spitzen Ohren sowie der Neigung, zu kichern und sich leicht einen Sonnenbrand zu holen. Von ihnen geht keine Gefahr aus. Ich meine echte, wilde Elfen, wie wir sie hier schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen haben…«

Die Straße von der Brücke zur Stadt wand sich zwischen hohen Böschungen hin und her. Zu beiden Seiten reichte der Wald bis dicht an den Rand des Wegs, und gelegentlich bildete er sogar ein Dach über ihm. Hoher Adlerfarn erweckte den Anschein einer wie spöttisch erstarrten Flutwelle.

Es raschelte nun im Grün.

Und das Einhorn sprang auf die Straße.

 

Tausende von Universen, aneinandergedrängt wie Fäden, die zu einem Seil geflochten werden…

Irgendwo sickert etwas durch; so etwas läßt sich gar nicht vermeiden. Man stelle sich das mentale Äquivalent der Frequenzüberlagerung bei schlechten Hi-Fi-Anlagen vor, wodurch es möglich wird, bei leisen Musikpassagen die schwedischen Nachrichten zu hören. Kritisch wird’s vor allem dann, wenn man seinen Geist das ganze Leben lang als Empfänger verwendet hat.

Es ist sehr schwer, die Gedanken eines anderen Menschen zu empfangen, denn zwei verschiedene Gehirne haben nie die gleiche Wellenlänge.

Aber irgendwo dort draußen – dort, wo die Paralleluniversen ein Knäuel bilden – gibt es eine Million Egos, die genauso beschaffen sind wie das eigene. Und zwar aus einem offensichtlichen Grund.

Oma Wetterwachs lächelte.

 

Millie Chillum, der König und einige Kletten in menschlicher Gestalt standen vor Magrats Tür, als Nanny Ogg eintraf.

»Was geht hier vor?«

»Ich weiß, daß sie da drin ist«, sagte Verence. Er hielt die Krone in der berühmten Señor-Banditen-haben-unser-Dorf-überfallen-Haltung. »Sie hat Millie ziemlich erregt aufgefordert, das Zimmer zu verlassen, und anschließend hat sie etwas an die Wand geworfen.«

Nanny Ogg nickte weise.

»Die Nerven«, sagte sie. »Kein Wunder. So etwas mußte früher oder später passieren.«

»Man erwartet uns bei der Vorstellung«, meinte Verence. »Magrat sollte mitkommen.«

»Oh, ich weiß nicht«, erwiderte Nanny. »Dabei zuzusehen, wie unser Jason und die anderen mit Perücken herumhüpfen und so… Nun, sie meinen es bestimmt gut, aber ich bezweifle, ob eine junge – eine einigermaßen junge – Braut so etwas unbedingt am Abend vor ihrer Hochzeit sehen muß. Hast du sie gebeten, die Tür aufzuschließen?«

»Ich habe es ihr sogar befohlen«, sagte Verence. »Das war doch richtig, oder? Wenn mir nicht einmal Magrat gehorcht, tauge ich kaum zum König.«

»Äh…« Nanny überlegte und suchte nach den richtigen Worten. »Du hast noch nicht viel Zeit in der Gesellschaft von Frauen verbracht, oder? Ich meine, deine Kenntnisse in Hinsicht auf die Verhaltensweise weiblicher Wesen unterliegen gewissen Beschränkungen, nicht wahr?«

»Nun, ich…«

Die Krone in Verences nervösen Fingern drehte sich immer schneller. Die Banditen hatten nicht nur das Dorf überfallen – wie sich nun herausstellte, veranstalteten die glorreichen Sieben irgendwo ein Picknick.

Nanny klopfte dem König auf den Rücken. »Ich schlage vor, du führst nun bei der Darbietung den Vorsitz und gesellst dich zu den anderen feinen Leuten. Ich kümmere mich um Magrat, keine Sorge. Ich bin selbst dreimal Braut gewesen, dabei sind nur die offiziellen Verlöbnisse gezählt.«

»Ja, aber sie sollte…«

»Vielleicht findet tatsächlich eine Hochzeit statt, wenn wir das Wörtchen ›sollte‹ nicht so häufig verwenden«, sagte Nanny. »Geht jetzt.«

»Wäre es nicht besser, wenn jemand hierbleibt?« fragte Verence. »Shawn hält Wache, aber…«

»An diesem speziellen Ort ist wohl kaum mit einer Invasion zu rechnen, oder?« hielt ihm Nanny entgegen. »Überlaß alles mir.«

»Nun, wenn du meinst…«

»Geht jetzt!«

Nanny Ogg wartete und hörte, wie der König und seine Begleiter die Treppe hinuntergingen. Kurz darauf rollte die Kutsche übers Pflaster, und eine Menge jubelte – die Hochzeitsgesellschaft verließ das Schloß, allerdings ohne Braut.

Nanny zählte stumm bis hundert.

Dann:

»Magrat?«

»Geh weg!«

»Ich weiß, wie es ist«, sagte Nanny. »Am Abend vor meiner ersten Hochzeit war ich auch ziemlich nervös.« Sie widerstand der Versuchung hinzuzufügen: Weil ich fürchtete, daß unser Jason als zusätzlicher Gast erscheinen könnte.

»Ich bin nicht nervös, sondern wütend

»Warum?«

»Das weißt du ganz genau!«

Nanny nahm den Hut ab und kratzte sich am Kopf.

»Ich habe keine Ahnung, was du meinst«, sagte sie.

»Er wußte Bescheid«, erklang Magrats dumpfe Stimme hinter der Tür. »Ich weiß, daß er Bescheid wußte, und ich weiß auch, wer’s ihm gesagt hat. Es war alles arrangiert. Bestimmt habt ihr über mich gelacht!«

Nanny betrachtete gleichgültig das Holz der Tür und runzelte die Stirn.

»Nein«, erwiderte sie.

»Nun, ich werde jedenfalls nichts mehr sagen.«

»Sie sind alle zur Vorstellung gegangen«, bemerkte Nanny Ogg.

Keine Antwort.

»Sie werden später zurückkehren.«

Wieder fehlte für einen Dialog die Antwort.

»Dann gibt’s Wein und Jongleure und Leute, die Wiesel durch ihre Hosenbeine kriechen lassen«, fügte Nanny hinzu.

Stille.

»Und schließlich wird ein neuer Tag beginnen. Was willst du morgen unternehmen?«

Stille.

»Du kannst natürlich zu deiner Hütte zurückkehren. Dort ist niemand anders eingezogen. Oder bleib eine Zeitlang bei mir, wenn du möchtest. Aber eins steht fest: Du mußt dich entscheiden. Du kannst nicht ewig da drin bleiben.«

Nanny lehnte sich an die Wand.

»Vor vielen Jahren hat mir meine Oma von der Königin Amonia erzählt, nun, ich nenne sie Königin, aber eigentlich war sie’s gar nicht, oder nur drei Stunden lang. Tja, während des Hochzeitsfests spielten sie Verstecken, und Amonia kroch in eine schwere, große Truhe auf irgendeinem Dachboden, und der Deckel klappte zu. Man fand sie erst nach sieben Monaten, und da war der Hochzeitskuchen schon ein wenig trocken geworden, wenn du verstehst, was ich meine.«

Stille.

»Wenn du keinen Wert darauf legst, mit mir zu reden…«, sagte Nanny. »Ich kann nicht die ganze Nacht hier im Flur verbringen. Morgen früh sieht alles anders und besser aus.«

Stille.

»Ich schlage vor, du legst dich einfach ins Bett«, fuhr Nanny Ogg fort. »Wenn du läutest, bringt dir unser Shawn heißen Tee. Um ganz ehrlich zu sein: Hier draußen wird’s allmählich recht frisch. Wirklich erstaunlich, wie sehr die Kühle an Gebäuden aus massivem Stein festhaftet.«

Stille.

»Na schön, ich gehe jetzt«, teilte Nanny dem hartnäckigen Schweigen mit. »Kann hier ohnehin nicht viel ausrichten, oder? Willst du wirklich nicht mit mir reden?«

Stille.

»Steh vor deinem Gott, verneige dich vor deinem König und knie vor deinem Mann – das richtige Rezept für ein glückliches Leben«, verkündete Nanny. »Nun, bis dann. Da fällt mir ein: Wie wär’s, wenn ich morgen früh komme und dir bei den letzten Vorbereitungen helfe?«

Stille.

»Dann ist ja alles klar«, sagte Nanny. »Tschüs.«

Sie wartete eine ganze Minute lang und gelangte zu dem Schluß, daß die gewohnten menschlichen Mechanismen in diesem besonderen Fall versagten. Normalerweise hätte Magrat längst den Riegel beiseite schieben, die Tür öffnen, in den Flur spähen und vielleicht sogar nach Nanny rufen sollen. Doch nichts dergleichen geschah.

Nanny schüttelte den Kopf. Sie kannte mindestens drei Methoden, um das Zimmer zu betreten, und nur eine davon erforderte es, die Tür zu passieren. Aber dies war weder der geeignete Zeitpunkt noch der richtige Ort für Hexerei. Nanny Ogg hatte deshalb ein im großen und ganzen recht glückliches Leben geführt, weil sie wußte, wann sie besser darauf verzichtete, Hexe zu sein. Zum Beispiel jetzt.

Sie ging die Treppe hinunter und verließ das Schloß. Shawn hielt am Haupttor Wache und übte heimlich Karateschläge, wobei ihm die Nachtluft als Gegner diente. Als sich Nanny Ogg näherte, unterbrach er sein Training verlegen.

»Ich würde auch gern die Vorstellung besuchen, Mama.«

»Bestimmt wird der König sehr großzügig sein, wenn es darum geht, dich für deine Dienste zu entlohnen«, erwiderte Nanny. »Erinnere mich daran, ihn daran zu erinnern.«

»Willst du dir die Vorstellung nicht ansehen?«

»Ich… Ich mache einen kleinen Spaziergang in der Stadt. Vermutlich hat Esme die anderen begleitet, nicht wahr?«

»Weiß nicht, Mama.«

»Nun, ich muß da noch ein paar Dinge erledigen.«

Sie war nur einige Meter weit gekommen, als eine Stimme hinter ihr erklang. »Hallo, o Mond meines Entzückens.«

»Du schleichst dich regelrecht an die Leute heran, Casanunda.«

»Wir speisen im Ziege-und-Busch«, entgegnete der Zwerg und angebliche Graf.

»Oh, das ist ein sehr teures Restaurant«, sagte Nanny Ogg. »Dort habe ich noch nie gegessen.«

»Angesichts der vielen illustren Hochzeitsgäste bietet man dort besondere kulinarische Spezialitäten an«, sagte Casanunda. »Ich habe mir erlaubt, ein Menü zusammenzustellen.«

 

Was nicht sehr leicht gewesen war.

Das Konzept, Essen als Aphrodisiakum zu verwenden, hatte in Lancre nie konkrete Anwendung gefunden – sah man einmal von Nanny Oggs berühmter Mohrrüben-und-Austern-Pastete ab.* Nach Meinung des Kochs der Taverne Ziege-und-Busch bestand die einzige Verbindung zwischen Nahrungsmitteln und Sex in bestimmten humorvollen Gesten, die vor allem Gurken betrafen. Doch von Schokolade, Bananenschalen, Avocadobirnen, Ingwer, Marshmallows und den tausend anderen Dingen, die gelegentlich verwendet wurden, um im Verkehrschaos der Romantik von einer verstopften Straße zur nächsten vierspurigen Autobahn zu gelangen, hatte er nie etwas gehört. Casanunda hatte ihm seine gastronomischen Vorstellungen zehn Minuten lang erklärt, und anschließend hatte ziemlich viel Geld den Besitzer gewechselt.

Es ging Casanunda um ein sorgfältig vorbereitetes romantisches Abendessen. Er glaubte fest an die Kunst der Verführung.

Viele hochgewachsene Frauen, die mit Hilfe einer Trittleiter erreicht werden konnten, hatten sich über ihn gewundert. Bei den Zwergen bestand die bereits erwähnte Kunst der Verführung schließlich hauptsächlich darin, mehr oder weniger taktvoll herauszufinden, welches Geschlecht sich unter Leder, Kettenhemd und Bart eines anderen Zwergs verbarg. Wie konnte ein solches Volk ausgerechnet einen Casanunda hervorgebracht haben?

Genausogut durfte man von Eskimos erwarten, daß sie einen Fachmann für seltene tropische Pflanzen präsentierten. Die enormen gestauten Wassermengen der Zwergensexualität hatten ein Leck ganz unten am Damm gefunden: Es mochte klein sein, entfaltete jedoch genug Kraft, um einen Dynamo anzutreiben.

Jene Aktivitäten, die alle anderen Zwerge nur dann gelegentlich entfalteten, wenn die Natur es von ihnen verlangte… Casanunda beschäftigte sich praktisch unablässig damit. Ob im rückwärtigen Bereich einer Sänfte oder mit dem Kopf nach unten in einem Baum hängend – er ging mit großer Sorgfalt vor und zeigte typisch zwergenhafte Aufmerksamkeit fürs Detail. Zwerge konnten monatelang an einem besonders kunstvollen Schmuckstück arbeiten, und aus ähnlichen Gründen war Casanunda ein willkommener Gast an vielen Höfen – wobei es ein sonderbarer Zufall wollte, daß er immer dann eintraf, wenn der Hausherr nicht zugegen war. Darüber hinaus kam er gut mit Schlössern zurecht, ein nützliches Talent, wollte man peinliche Momente sur la boudoir vermeiden.

Nanny Ogg war keine schöne, aber eine attraktive Frau. Casanunda war von ihr fasziniert. In ihrer Nähe fühlte man sich sehr wohl, was unter anderem an ihrer Aufgeschlossenheit lag. Die Persönlichkeit vieler Leute bot gerade genug Platz für eine Kammer, in der ein großer Spiegel steht. Bei Nanny hingegen paßten noch drei Fußballfelder, eine Bowlingbahn und ein großes Schlafzimmer mit hinein.

 

»Wenn ich doch nur meine Armbrust dabei hätte«, brummte Ridcully. »Mit dem Kopf an der Wand gäbe es immer eine Stelle, an der ich meinen Hut aufhängen könnte.«

Das Einhorn schnaufte und scharrte mit den Hufen. Dampf löste sich von seinen Flanken.

»Da bin ich mir nicht so sicher«, erwiderte Oma Wetterwachs. »Hast du überhaupt keinen Mumm mehr in den Fingern?«

»Wie wär’s, wenn ich ein Trugbild schaffe?« schlug der Zauberer vor. »Das ist nicht schwer.«

»Hat keinen Sinn. Einhörner gehören zu den elfischen Wesen und weisen daher eine natürliche Immunität gegen Magie auf. Sie lassen sich nicht von Trugbildern täuschen. Kein Wunder: Damit kennen sie sich bestens aus. Was ist mit der Böschung? Könntest du die hochklettern?«

Ihre Blicke wanderten zu der Böschung. Sie bestand aus rotem Lehm und war so aalglatt wie ein Priester.

»Ziehen wir uns zurück«, sagte Oma. »Ganz langsam.«

»Was ist mit dem Bewußtsein des Geschöpfs? Kannst du nicht hineingelangen, um Einfluß darauf zu nehmen?«

»Es befindet sich schon jemand darin. Das arme Ding ist ihr Liebling. Es gehorcht nur der Königin

Das Einhorn folgte ihnen und versuchte, sie beide gleichzeitig zu beobachten.

»Was sollen wir machen, wenn wir die Brücke erreichen?«

»Du hast das Schwimmen doch nicht verlernt, oder?«

»Der Fluß ist ziemlich weit unten.«

»Es gibt da einen tiefen Tümpel. Erinnerst du dich? Du bist dort getaucht, in einer vom Mondschein erhellten Nacht…«

»Damals war ich jung und töricht.«

»Na und? Jetzt bist du alt und töricht.«

»Ich habe mir Einhörner immer… flauschiger vorgestellt.«

»Hüte dich davor, das zu sehen, was du sehen möchtest«. warnte Oma. »Laß dich nicht vom Glamour blenden. Es handelt sich um ein großes Pferd mit einem langen, spitzen Horn am Kopf!«

Die Hufe des Einhorns scharrten zornig über den Boden.

Omas Stiefel knarrten am Rand der Brücke.

»Es ist ohne Absicht hierher gekommen, und jetzt kann es nicht zurück«, sagte sie. »Wenn es nur einen von uns gäbe, hätte es längst angegriffen. So, wir sind jetzt etwa halb über die Brücke…«

»Die Schneeschmelze hat den Fluß anschwellen lassen«, stellte Ridcully skeptisch fest.

»Ja, stimmt«, bestätigte Oma Wetterwachs. »Wir sehen uns beim Wehr.« Und dann war sie verschwunden.

Das Einhorn hatte versucht, ein Ziel auszuwählen. Jetzt sah es nur noch den Erzkanzler.

Es konnte bis eins zählen.

Es senkte den Kopf.

Ridcully hatte nie viel von Pferden gehalten. Seiner Ansicht nach konnte der Wahnsinn in ihnen jeden Moment zum Ausbruch kommen.

Als das Einhorn angriff, sprang er über die Brüstung und fiel ohne besondere aerodynamische Eleganz in die Tiefe. Unten erwartete ihn das kalte Wasser des Lancreflusses.

 

Der Bibliothekar mochte Theater. Wenn in Ankh-Morpork irgendwo ein neues Stück aufgeführt wurde, saß er immer in der ersten Reihe. Seine besondere Natur versetzte ihn in die Lage, nicht nur mit den Händen zu klatschen, sondern auch mit den Füßen. Wenn ihm etwas nicht gefiel, warf er mit Erdnußschalen.

Jetzt wuchs seine Enttäuschung. Im Schloß von Lancre gab es kaum Bücher, abgesehen von einigen Wälzern über Etikette, Viehwirtschaft und Ackerbau. Der Adel schien nicht viel zu lesen.

Darüber hinaus rechnete der Bibliothekar kaum damit, von der Vorstellung begeistert zu sein. Er hatte einen Blick hinters Sackleinen geworfen, das als Trennwand für die Garderobe fungierte, und bei jener Gelegenheit sah er einige kräftig gebaute Männer, die miteinander zankten. Das verhieß nichts Gutes für einen Abend erbauender Thespiskunst. Allerdings: Es gab immer die Möglichkeit, daß sich die Schauspieler mit Sahnetorten bewerfen würden.*

Es gelang dem Bibliothekar, drei Plätze in der vordersten Reihe zu bekommen. Zuerst hatte dort schon jemand gesessen, doch es war immer wieder erstaunlich, wie bereitwillig die Leute zusammenrückten, um Platz zu schaffen. Darüber hinaus war es ihm auch noch gelungen, Erdnüsse aufzutreiben – niemand wußte, wie er das angestellt hatte.

»Ugh?«

»Nein, danke«, erwiderte Ponder Stibbons. »Davon bekomme ich Blähungen.«

»Ugh?«

»Wie gern ich jemandem zuhöre, der gern spricht! Hoppla! Sägemehl und Sirup! Stopf das in deinen Hering und rauch ihn in der Pfeife!«

»Ich glaube, der Quästor möchte ebenfalls keine Erdnüsse«, spekulierte Stibbons.

Der Vorhang ging auf. Besser gesagt: Fuhrmann, der Bäcker, zog ihn beiseite.

Die Vorstellung begann.

Der Bibliothekar beobachtete das Geschehen auf der Bühne, und mit seiner Stimmung ging’s immer mehr bergab. Normalerweise fand er Gefallen an schlecht gespielten Stücken, vorausgesetzt, es gab ausreichend fliegende Torten und dergleichen. Aber diese Schauspieler konnten nicht einmal schlecht schauspielern. Hinzu kam: Niemand schien irgend etwas werfen zu wollen.

Er holte eine Erdnuß aus der Tüte und rollte sie zwischen den Fingern hin und her, während er das linke Ohr von Schneider-der-andere-Weber anvisierte.

Dann sträubten sich seine Haare. Bei einem Orang-Utan wirkt so etwas recht beeindruckend.

Er sah zum Hügel hinter den tolpatschigen Gestalten auf der improvisierten Bühne. Ein leises Knurren entwich seiner Kehle.

»Ugh?«

Ponder stieß ihn an.

»Sei still«, hauchte er. »Die Burschen bekommen allmählich den Dreh raus…«

Einer der Darsteller – er trug eine Strohperücke, die ihn als Frau erscheinen lassen sollte – sagte etwas, und seine Stimme erzeugte eine Art Echo.

»Wie hat sie das angestellt?« fragte Ponder Stibbons.

»Ugh!«

»Wie hat sie das nur fertiggebracht? Ich meine, sie trägt dickes Make-up und…«

Ponder unterbrach sich und schwieg.

Plötzlich fühlte sich der Bibliothekar sehr allein.

Alle anderen Zuschauer blickten starr zur Bühne.

Der Orang-Utan wedelte mit der Hand vor Stibbons Gesicht.

Über dem Hügel flimmerte es, und das Gras am Hang wogte auf eine Weise, die dem Bibliothekar Tränen in die Augen trieb.

»Ugh?«

Oben, zwischen den Steinen des Kreises, begann es zu schneien.

»Ugh

 

Magrat befand sich allein in ihrem Zimmer und holte das Hochzeitskleid hervor.

Dies war noch so eine Sache.

Sie hätte zumindest am Kleid beteiligt sein müssen. Immerhin war es für sie bestimmt, für die Braut – die sie bis vor kurzem gewesen war. Magrat stellte sich vor, wie sie wochenlang den Stoff ausgesucht, anprobiert und es sich wieder anders überlegt, das Material gewechselt, das Muster verändert und wieder anprobiert hätte…

Nun, als unabhängige, selbständige Frau war so etwas eigentlich unter ihrer Würde…

Aber sie hätte gern die Möglichkeit gehabt – wenn auch nur deshalb, um sie abzulehnen.

Das Kleid bestand aus weißer Seide und einer geschmackvollen Menge Spitze. Mit der Sprache der Schneiderei kannte sich Magrat nicht besonders gut aus. Sie wußte, worum es sich bei diesem und jenem handelte, aber die Fachbegriffe fehlten in ihrem Vokabular. All die Rüschen und Falten und Rockbahnen und so…

Sie hob das Kleid und stellte sich darin vor.

An der einen Wand hing ein kleiner Spiegel.

Einige Sekunden lang rang Magrat mit sich selbst, und dann gab sie nach. Was keineswegs bedeutete, daß sie mit dem Gedanken spielte, das Gewand am nächsten Tag zu tragen. Aber: Wenn sie es jetzt nicht ausprobierte, würde sie sich ihr Leben lang fragen, ob es gepaßt hätte.

Es paßte. Besser gesagt: Es paßte nicht, allerdings auf eine sehr schmeichelhafte Art. Der Schneider hatte überaus geschickte Dinge mit dem Stoff angestellt: Das Kleid neigte sich dort nach innen, wo es bei Magrat eher gerade Linien gab, und es wies dort Wölbungen auf, wo sie der Exhexe fehlten.

Seidenblumen schmückten das Stirnband des Schleiers.

Ich fange jetzt auf keinen Fall an zu weinen, dachte Magrat. Ich bleibe verärgert. Ich konzentriere mich so sehr auf den Ärger, daß er wächst und zu Zorn wird. Und wenn Verence, Nanny und die anderen zurückkehren…

Was dann?

Sie konnte ihnen mit unnahbarer Kühle begegnen und majestätisch an ihnen vorbeirauschen – dieses Kleid eignete sich bestens dafür –, was ihnen bestimmt eine Lehre sein würde.

Und dann? Sie konnte unmöglich hierbleiben. Immerhin wußten alle Bescheid. Und wer wider Erwarten keine Ahnung haben sollte, erfuhr sicher bald davon. Von dem Brief. Nachrichten verbreiteten sich in Lancre schneller als Terpentin in einem kranken Esel.

Woraus folgte: Es blieb Magrat nichts anderes übrig, als das Königreich zu verlassen und sich einen Ort zu suchen, wo es keine Hexen gab, um anschließend noch einmal von vorn zu beginnen. Und da war noch ein Problem: Derzeit brachte sie der Hexerei im großen und ganzen ausgesprochen negative Gefühle entgegen. Jeder andere Beruf war ihr lieber – sofern es überhaupt andere Berufe für eine ehemalige Hexe gab.

Sie schob das Kinn vor. Galle blubberte wie eine heiße Quelle in ihr – derzeit war sie genau in der richtigen Stimmung, um einen ganz neuen Beruf zu schaffen. Am besten einen, der ohne Männer und alte Frauen, die sich in alles einmischten, auskam.

Den verdammten Brief wollte sie behalten – als eine Art Andenken.

Die ganze Zeit über hatte sie sich gefragt, wie es Verence gelungen war, schon Wochen vor ihrer Rückkehr mit den Vorbereitungen zu beginnen. Jetzt kannte sie die Antwort. Bestimmt haben sie über mich gelacht…

 

Nanny Ogg dachte kurz daran, daß sie eigentlich woanders sein sollte, doch in ihrem Alter geschah es nicht jeden Tag, daß man zu einem romantischen Essen im Kerzenschein eingeladen wurde. Es mußte auch einmal möglich sein, sich keine Sorgen um die Zukunft der Welt zu machen und den eigenen Bedürfnissen Aufmerksamkeit zu schenken. Ja, irgendwann einmal mußte es Zeit genug geben, um in sich zu gehen.

»Meine Güte, dieser Wein schmeckt wirklich gut«, sagte Nanny Ogg und griff nach der nächsten Flasche. »Wie heißt er?« Sie warf einen Blick aufs Etikett. »Chateau Maison? Chat-eau – ah, das ausländische Wort für Katzenwasser. So sind die Ausländer eben, geben allen Dingen komische Namen, aber keine Angst, es ist nicht wirklich Katzenwasser. Echtes Katzenwasser riecht strenger.« Mit dem Griff des Messers rammte sie den Korken tiefer in die Flasche und schüttelte sie energisch, damit sich das »Gute« darin ordentlich und gründlich verteilte.

»Aber ich halte nichts davon, Wein aus Frauenstiefeln zu trinken«, fuhr Nanny fort. »Ich weiß natürlich, daß so etwas sehr beliebt ist. Aber ich frage mich immer wieder, warum es so toll sein soll, mit nassen Stiefeln nach Hause zu kommen. Hast du gar keinen Hunger? Wenn du den Knorpel da nicht möchtest… Ich esse ihn gern. Gibt’s noch mehr von den Hummer-Dingern? Habe noch nie in meinem Leben Hummer probiert. Und dann die Mayonnaise. Und die kleinen Eier mit Sachen drin. Übrigens: Die Brombeermarmelade schmeckte nach Fisch.«

»Du meinst den Kaviar«, murmelte Casanunda.

Er stützte das Kinn auf die Hand und beobachtete Nanny hingerissen.

Überrascht stellte er fest, wieviel Spaß er hatte, obgleich er noch immer nicht in der Horizontalen weilte.

Mit kulinarischen Ereignissen dieser Art kannte er sich natürlich aus. Es handelte sich um eine der wichtigsten Waffen im Arsenal des Verführers. Die Dame bekam jede Menge erlesenen Wein und viele leicht zu verdauende Köstlichkeiten. Über dem Tisch wurde häufiger Blickkontakt hergestellt, und darunter berührten sich immer wieder die Füße. Hinzu kam das demonstrative Verspeisen von Birnen, Bananen und so weiter. Auf diese Weise steuerte das Schiff der Versuchung langsam in den Hafen.

Und dann gab es da Nanny Ogg.

Nanny wußte erlesenen Wein auf ihre eigene Weise zu schätzen. Es wäre Casanunda nie in den Sinn gekommen, daß jemand Portwein nach Weißwein trinken konnte, nur weil die erste Flasche leer war.

Was das Essen betraf… Nun, auch daran fand Nanny Gefallen. Casanunda hatte nie zuvor eine solche… Nahrungsaufnahme gesehen. Wenn man Nanny Ogg ein gutes Essen vorsetzte, so nahm sie es ohne Rücksicht auf Verluste in Angriff. Zeuge zu werden, wie sie Hummer aß… Es war ein einzigartiges Erlebnis, an das der Zwerg noch in vielen Jahren zurückdenken würde. Die Kellner der Taverne mochten noch in einigen Wochen damit beschäftigt sein, Scherensplitter aus den Holzwänden zu ziehen.

Und der Spargel… Nun, Casanunda konnte natürlich versuchen, die Erinnerungen an eine Spargel essende Nanny Ogg aus seinem Gedächtnis zu verbannen, aber er befürchtete, daß die sich immer wieder in sein Denken und Empfinden einschleichen würden.

Er vermutete, daß es mit der Hexerei zusammenhing. Hexen drückten sich immer sehr klar aus, wenn es um ihre Wünsche ging. Wenn man steile Klippen erkletterte, reißende Ströme überquerte und auf Schiern über lange Gletscherflanken rutschte, um Gytha Ogg eine Schachtel Pralinen zu bringen, so hatte sie bereits die mit Nougat gefüllten Exemplare aus der unteren Lage geholt, noch bevor man die Steigeisen ablegen konnte. Typisch.

Womit auch immer sich eine Hexe beschäftigt, sie ist hundertprozentig bei der Sache.

Hubba, hubba!

»Willst du keine Garnelen mehr? Schieb den Teller einfach rüber.«

Casanunda hatte versucht, ein wenig zu füßeln, um am Ball zu bleiben, gab diese Bemühungen jedoch auf, als Nannys schwerer, mit eisernen Beschlägen ausgestatteter Stiefel auf seine Fußknöchel herabschmetterte.

Und dann der Geige spielende Zigeuner. Zuerst klagte Nanny darüber, daß eine Fiedel jammerte, während sie sich auf das Essen konzentrieren wollte. Aber zwischen zwei Gängen riß sie dem armen Mann das Ding aus der Hand, warf den Bogen in eine Schüssel mit Kamelien und stimmte die Geige so, daß sie wie ein Banjo klang. Im Anschluß daran sang sie aus vollem Hals drei Verse eines Lieds, dem sie aus Rücksicht auf Casanunda den ausländisch klingenden Titel gab: Il porcupino nil sodmy est..

Dann trank sie noch mehr Wein.

Es beeindruckte den Zwerg, daß sich Nanny Oggs Gesicht in eine Masse aus horizontalen Falten verwandelte, wenn sie lachte. Und Nanny Ogg lachte oft.

Casanunda hockte in einer angenehmen, vom Wein geschaffenen Dunstglocke und bemerkte, daß er sich vergnügte.

»Ich nehme an, es gibt keinen Herrn Ogg, oder?« fragte er nach einer Weile.

»O doch, es gibt einen«, sagte Nanny. »Wir haben ihn vor Jahren begraben. Es blieb uns nichts anderes übrig – immerhin war er tot.«

»Es ist bestimmt schwer für eine Frau, ganz allein zu leben, nicht wahr?«

»Eine schreckliche Sache, ja«, bestätigte Nanny Ogg, die nicht mehr gekocht oder Staub geputzt hatte, seit ihre älteste Tochter groß genug geworden war, um ihr diese Arbeiten abzunehmen. Außerdem bekam sie pro Tag mindestens vier von ängstlichen Schwiegertöchtern zubereitete Mahlzeiten.

»Bestimmt bist du nachts besonders einsam«, sagte Casanunda aus reiner Angewohnheit.

»Greebo leistet mir Gesellschaft«, entgegnete Nanny. »Er hält mir die Füße warm.«

»Greebo…«

»Der Kater. Glaubst du, wir bekommen auch noch Pudding?«

Als sie die Taverne verließen, nahm Nanny die letzte Flasche Wein mit.

 

Herr Brooks, der Imker, schöpfte im Schuppen eine grünliche, stinkende Flüssigkeit aus einem Kochtopf, unter dem praktisch ständig ein Feuer brannte. Er füllte den Spritzer damit.

In der Gartenmauer gab es ein Wespennest. Bis zum Morgen des nächsten Tages sollte es sich in einen Wespenfriedhof verwandelt haben.

Es gab da einen seltsamen Aspekt im Verhalten der Bienen. Den Eingang des Stocks bewachten sie stets und verteidigten ihn mit ihrem Leben, wenn es sein mußte. Doch die Wespen fanden irgendwo weiter hinten einen Riß im Holz und drangen in den Stock ein. Komisch: Die Bienen drinnen unternahmen nichts dagegen.

Sie bewachten den Eingang, aber wenn Wespen einen anderen Weg ins Innere fanden, so wußten die Verteidiger nicht mehr, wie sie es verteidigen sollten.

Der Imker betätigte den Hebel des Spritzers. Flüssigkeit drang aus der Düse und hinterließ dampfende Kleckse auf dem Boden.

Wespen mochten recht hübsch aussehen. Aber wenn man auf der Seite der Bienen stand, mußte man gegen Wespen sein.

Im Großen Saal schien irgendein Fest stattzufinden. Herr Brooks erinnerte sich vage an eine Einladung, aber solche Dinge entgingen nur zu leicht seiner Aufmerksamkeit. Erst recht nicht unter den gegenwärtigen Umständen. Etwas ging nicht mit rechten Dingen zu. Bei keinem der Bienenstöcke gab es Anzeichen für baldiges Schwärmen. Überhaupt keine.

Als er im Dunkeln an ihnen vorbeikam, hörte er das Summen. Dazu kam es an warmen Abenden: Ganze Bataillone von Bienen versammelten sich an den Öffnungen der Stöcke und fächelten Luft mit ihren Flügeln, damit es für die Brut nicht zu warm wurde. Doch diesmal bildeten die Bienen eine regelrechte Wolke, die den Stock umgab.

Sie waren aufgeregt und wachsam.

 

An der Grenze von Lancre gab es im Fluß einige Wehre. Oma Wetterwachs zog sich aufs nasse Holz und quatschte zum Ufer, wo sie ihre Stiefel leerte.

Nach einer Weile schwamm der spitze Hut eines Zauberers flußabwärts. Kurz darauf kam darunter ein spitz zulaufender Zaubererkopf zum Vorschein.

Oma streckte die Hand aus und half Ridcully an Land.

»Na bitte«, sagte sie. »Belebend, nicht wahr? Ich hatte ohnehin den Eindruck, daß du ein kaltes Bad gebrauchen konntest.«

Der Erzkanzler versuchte, sich Wasser aus dem Ohr zu schütteln. Er bedachte Oma mit einem finsteren Blick.

»Warum bist du nicht naß?«

»Ich bin naß.«

»Nein, bist du nicht. Du bist nur feucht, im Gegensatz zu mir – habe keinen trockenen Faden mehr am Leib. Wie kannst du durch einen Fluß schwimmen und trotzdem nur feucht sein?«

»Ich trockne schnell.«

Oma Wetterwachs blickte an den Felsen empor. Nicht sehr weit entfernt führte eine Straße über den Hang nach Lancre, aber Esme kannte auch noch andere Wege, die zwischen den Bäumen verliefen und mehr Diskretion in Aussicht stellten.

»Sie will also nicht, daß ich dorthin gehe, wie?« brummte sie im Selbstgespräch. »Nun, mal sehen…«

»Dorthin?« wiederholte Ridcully. »Was meinst du damit?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Oma. »Ich weiß nur eins: Wenn sie nicht will, daß ich dorthin gehe, dann gehe ich dorthin. Allerdings… Ich habe nicht damit gerechnet, daß du hier auftauchst und plötzlich Frühlingsgefühle kriegst.«

Ridcully wrang seinen Mantel aus, von dem sich einige Pailletten gelöst hatten. Er nahm den Hut vom Kopf und schraubte die Spitze ab.

Hüte empfangen morphische Vibrationen. Der Hut eines früheren Erzkanzlers hatte für ziemliche Unruhe in der Unsichtbaren Universität gesorgt, weil er aufgrund der vielen magischen Schwingungen auf den Häuptern von Zauberern eine eigene Persönlichkeit entwickelte. Ridcully hatte Vorsorge getroffen, indem er seinen Hut nach bestimmten Angaben von einem vollkommen verrückten Hutmacher in Ankh-Morpork anfertigen ließ.

Es war kein normaler Zaubererhut. Nur wenige Zauberer haben jemals Verwendung für die Spitzen ihrer Hüte gefunden; ihr Einfallsreichtum beschränkte sich höchstens darauf, ein Paar Socken darin zu verstauen.

Ridcullys Hut hingegen verfügte über kleine Schränke. Er hatte eingebaute Überraschungen. Zu seiner Ausstattung gehörten zum Beispiel vier ausziehbare Beine, über die man eine Rolle Ölhaut aus der Krempe ziehen konnte, um so ein kleines Zelt zu bilden. Hinzu kamen ein kleiner Spirituskocher sowie Innentaschen mit diversen eisernen Rationen. Die abgeschraubte Spitze enthielt alkoholische Getränke für Notfälle. Mit anderen Worten: Sie wurden benötigt, wenn Ridcully Durst hatte.

Die hohle Spitze selbst diente als Becher, und der Erzkanzler bot sie Oma an.

»Brandy?« fragte er.

»Was hast du da auf dem Kopf?«

Ridcully tastete behutsam danach.

»Äh…«

»Riecht nach Honig und Pferdeäpfeln. Und was ist das für ein Ding?«

Ridcully griff nach dem kleinen Käfig. Er enthielt eine Tretmühle und eine komplexe Vorrichtung aus Glasstäben. Außerdem waren nicht nur zwei Futternäpfe zu sehen, sondern auch eine haarige und derzeit recht nasse Maus.

»Oh, eine, äh, Idee der jungen Zauberer«, sagte Ridcully verlegen. »Ich habe mich angeboten, die Sache… für sie auszuprobieren. Das Maushaar reibt an den Glasstäben, und dadurch gibt’s Funken, ja, und… und…«

Oma Wetterwachs betrachtete das nicht mehr ganz saubere Haupt des Erzkanzlers und wölbte eine Braue.

»Meine Güte«, kommentierte sie. »Was mag den Burschen als nächstes einfallen?«

»Eigentlich weiß ich gar nicht, wie’s funktioniert, Stibbons ist für so was zuständig, und ich wollte ihm nur ein wenig behilflich sein und so…«

»Welch ein Glück, daß du rein zufällig eine Glatze bekommst, wie?«

 

In der Dunkelheit ihres Zimmers öffnete Diamanda die Augen – die sich verändert und einen perlmuttenen Glanz angenommen hatten.

Ein Lied erklang, gerade an der Schwelle des Hörvermögens.

Die Welt war anders. Ein Teil des erwachten Selbst blieb Diamanda, spähte durch den Dunst der Magie und sah eine Welt, die aus dünnen silbernen Linien bestand. Jene fadenartigen Gebilde bewegten sich ständig und vermittelten den Eindruck, daß alles eine Filigranpatina trug. Alles – bis auf Eisen beinhaltende Bereiche.

Das Mädchen schlüpfte aus dem Bett und schützte seine Hand mit einem Zipfel des Lakens, als es nach der Klinke griff und die Tür öffnete.

 

Shawn Ogg stand ziemlich stramm.

Derzeit bewachte er das Schloß und fand heraus, wie lange er auf einem Bein stehen konnte.

Dann fiel ihm ein, daß sich so etwas nicht für jemanden ziemte, der die Kampfkunst beherrschte. Daraufhin veränderte er die Position und ahmte Nummer 19 nach, »der doppelte Sprungtritt der fliegenden Chrysantheme«.

Nach einer Weile hörte er etwas. Das Geräusch schien einen Rhythmus zu haben und erinnerte ihn vage an eine zirpende Heuschrecke. Es kam aus dem Schloß.

Langsam drehte er sich um und blieb wachsam – für den Fall, daß feindliche Horden aus dem Ausland angriffen, während er ihnen den Rücken zukehrte.

Shawn überlegte. War seine Pflicht, das Schloß vor Dingen zu schützen, die sich darin befanden? Nein, wohl kaum. Gefahr drohte meistens von außerhalb. Deshalb die Mauern und Zinnen und so. Er dachte an das große Poster, eine Beilage des Buches Alle Belagerungswaffen dieser Welt. Ja, mit solchen Sachen kannte er sich aus: Angriffe kamen praktisch immer von draußen.

Man konnte Shawn nicht unbedingt als schnellen Denker bezeichnen, aber er entsann sich nun an den Elfen im Kerker. Das Geschöpf war eingesperrt. Er hatte die Tür selbst abgeschlossen. Außerdem gab’s überall Eisen. Ja, Mama hielt das Eisen für sehr wichtig.

Und doch…

Shawn beschloß, kein Risiko einzugehen. Er zog die Zugbrücke hoch, ließ das Fallgatter herab und sah über die Mauer. Doch seinen argwöhnischen Blicken boten sich nur Nachtluft und Dunkelheit.

Nun spürte er das Geräusch. Aus den Steinen schien es zu kommen, mit einer gezähnten akustischen Kante, die an den Nerven sägte.

Der Elf konnte das Verlies doch nicht verlassen haben, oder? Nein, unmöglich. Welchen Sinn hatte es, Kerker zu bauen, aus denen man entkommen konnte?

Das Geräusch kletterte die Tonleiter empor und stieg sie wieder herab.

Shawn lehnte seine rostige Pike an die Wand und zog das Schwert. Er wußte, wie man damit umging. Zehn Minuten täglich übte er, und meistens bot der Strohsack hinterher einen traurigen Anblick.

Er betrat das Schloß durch die Hintertür, schlich durch leere Flure und Korridore zum Kerker. Nirgends rührte sich etwas. Ganz klar: Alle besuchten die Vorstellung, und sicher dauerte es nicht mehr lange, bis sie zurückkehrten.

Das Schloß fühlte sich groß, alt und kalt an.

Vielleicht brauchten nur noch einige wenige Minuten zu verstreichen, bevor es im Schloß wieder von Hochzeitsgästen wimmelte.

Oder auch nur Sekunden…

Das Geräusch verklang.

Shawn sah um die Ecke. Die Stufen und dahinter die offene Tür des Verlieses…

»Halt!« rief er nur für alle Fälle.

Seine Stimme hallte von den Wänden wider.

»Halt! Oder… oder… oder… Halt!«

Er wagte sich vor, ging die Treppe hinunter und blickte durch den offenen Zugang.

»Seid gewarnt! Ich erlerne gerade den Pfad des jadegrünen Lotos!«

Die Zellentür war ebenfalls geöffnet. Und daneben stand eine in Weiß gekleidete Gestalt.

Shawn blinzelte.

»Du bist doch das Tockley-Mädchen, oder?«

Die junge Frau lächelte, und ihre Augen glühten im matten Licht.

»Du trägst ein Kettenhemd, Shawn«, sagte sie.

»Was?« Er sah erneut zur offenen Tür.

»Es ist häßlich. Leg es ab. Wie kannst du mit all dem Zeug hören?«

Shawn war sich der Leere in seinem Rücken bewußt, doch er brachte nicht den Mut auf, sich umzudrehen.

»Ich höre recht gut«, erwiderte er und schob sich ein wenig zur Seite, um die Wand direkt hinter sich zu wissen.

»Aber du hörst nicht, was wirklich ist«, sagte Diamanda und näherte sich. »Das Eisen macht dich taub.«

Shawn war noch nicht an spärlich bekleidete junge Frauen gewöhnt, die mit verträumtem Gesichtsausdruck auf ihn zutraten. Er wünschte sich plötzlich, den Weg des sofortigen Rückzugs beschreiten zu können.

Er sah zur Seite.

In der offenen Zellentür zeichnete sich eine dürre Gestalt ab. Sie schien zu versuchen, einen möglichst großen Abstand zu ihrer Umgebung wahren zu wollen.

Diamanda bedachte Shawn mit einem sehr sonderbaren Lächeln.

Er floh.

 

Irgendwie hatte sich der Wald verändert. Ridcully zweifelte kaum daran, daß es hier in seiner Jugend Hyazinthen, Schlüsselblumen und… und Hyazinthen und so gegeben hatte. Jetzt schien die Vegetation nur aus Dornenbüschen zu bestehen. Sie zerrten an seinem Mantel, und gelegentlich stießen ihm niedrige Zweige aus reiner Bosheit den Hut vom Kopf.

Was alles noch schlimmer machte: Bei Oma Wetterwachs kam es nicht zu derartigen unliebsamen Zwischenfällen.

»Wie machst du das?« fragte der Erzkanzler nach einer Weile.

»Ich weiß die ganze Zeit über, wo ich bin«, antwortete Oma.

»Na und? Auch ich weiß, wo ich bin.«

»Nein, weißt du nicht. Du bist nur zufälligerweise da. Das ist etwas ganz anderes.«

»Nun, ich frage mich, warum wir nicht einem Weg folgen.«

»Dies ist eine Abkürzung.«

»Zwischen zwei Punkten, die du genau kennst?«

»Ich habe mich nicht verirrt – wenn du das meinst. Ich bin nur… richtungsmäßig herausgefordert.«

»Ha!«

An Selbstsicherheit mangelte es Esme Wetterwachs gewiß nicht – das mußte Ridcully ihr lassen. Sie mochte durchaus fähig sein, sich zu verirren – und er hatte allen Grund zu der Annahme, daß sie tatsächlich die Orientierung verloren hatte; es sei denn, in diesem Wald existierten zwei Bäume mit exakt gleich angeordneten Zweigen und einem Stoffetzen, der aus dem Umhang des Erzkanzlers stammte. Aber Esme verfügte über eine besondere Eigenschaft: Bei Leuten, die keine Hexenhüte und uralten schwarzen Kleider trugen, sprach man in diesem Zusammenhang vielleicht von »Haltung«. Ja, Esme Wetterwachs besaß Haltung. Man konnte sich kaum vorstellen, daß sie sich schwerfällig bewegte – es sei denn, es steckte ihrerseits Absicht dahinter.

Natürlich hatte Ridcully das auch damals bemerkt. Allerdings war er zu jener Zeit vor allem darüber erstaunt gewesen, wie gut Esmes Gestalt in den Rest der Welt paßte. Und…

Der Erzkanzler fand ins Hier und Heute zurück.

»Einen Augenblick!«

»Du trägst völlig falsche Kleidung!«

»Ich habe nicht mit einer Wanderung, durch den Wald gerechnet! Dies ist ein verdammter Zeremonienmantel!«

»Zieh ihn aus.«

»Woher sollen dann die Leute wissen, daß ich Zauberer bin?«

»Ich sage es ihnen!«

Oma Wetterwachs wurde allmählich sauer. Tief in ihrem Innern mußte sie zugeben, daß sie sich tatsächlich verirrt hatte. Obwohl das eigentlich unmöglich war. Zwischen dem Wehr an den Stromschnellen des Lancreflusses und der Stadt Lancre konnte man sich gar nicht verirren. Es ging immer bergauf. Außerdem war Oma Wetterwachs einen großen Teil ihres Lebens im hiesigen Wald herumgestreift. Er gehörte ihr praktisch.

Inzwischen zweifelte sie kaum mehr daran, daß sie dreimal am gleichen Baum vorbeigegangen war. Ein Fetzen von Ridcullys Mantel hing daran.

Oma fühlte sich wie jemand, der im eigenen Garten die Orientierung verloren hatte.

Darüber hinaus glaubte sie, dann und wann das Einhorn gesehen zu haben. Es folgte ihnen. Sie versuchte, sich ins Selbst jenes Wesens zu tasten, aber ebensogut hätte sie probieren können, eine Eiswand zu erklettern.

In ihrem eigenen Ich herrschte keine Ruhe, doch wenigstens durfte sie sicher sein, daß sie nicht den Verstand verlor.

Wenn die Wände zwischen den Universen dünn sind, wenn sich die parallelen Stränge des Wenn und Falls zusammendrängen, um das Jetzt zu passieren, so wechseln gewisse Dinge von einer Seite zur anderen. Es sind sehr leise Signale, doch sie können wahrgenommen werden, wenn der Empfänger richtig eingestellt und sensibel genug ist.

Hinter Omas Stirn flüsterten die beharrlichen Gedanken von tausend Selbstsphären, die alle Esme Wetterwachs hießen.

 

Magrat wußte nicht genau, was sie einpacken sollte. Der größte Teil ihrer ursprünglichen Kleidung schien verschwunden zu sein, seit sie im Schloß wohnte. Und vermutlich bewies sie keine guten Manieren, wenn sie jene Sachen mitnahm, die von Verence stammten. Ähnliches galt für den Verlobungsring. Magrat bezweifelte, ob man ihn in solchen Fällen behalten durfte.

Sie betrachtete sich im Spiegel.

Und nahm sich vor, nicht mehr solche Sachen zu denken. Ihr ganzes Leben hatte sie damit verbracht, sich klein und unwichtig vorzukommen, immer höflich zu sein und sich zu entschuldigen, wenn ihr jemand auf den Fuß trat. Immer hatte sie gute Manieren zeigen wollen. Und das Ergebnis? Man behandelte sie, als wäre sie klein, unwichtig, höflich und hätte gute Manieren.

Sie würde den, den, den verdammten Brief an den Spiegel heften, damit alle wußten, warum sie fortgegangen war.

Ja, und dann würde sie ein neues Leben anfangen, in irgendeiner großen Stadt, als Kurtisane oder so. Was auch immer das sein mochte.

Und dann hörte Magrat den Gesang.

Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie etwas Schöneres vernommen. Die Melodien flossen durch die Ohren ins Gehirn, ins Blut und Knochenmark…

Ein seidenes Mieder rutschte ihr aus der Hand und fiel zu Boden.

Sie zerrte an der Tür, bis sich ein noch halbwegs rationaler Teil ihres Ichs an den Schlüssel erinnerte.

Der Gesang hallte durch den Flur. Magrat hob den Saum des Hochzeitskleids, um schneller zu laufen, eilte zur Treppe…

Etwas sauste durch eine andere Tür, und es kam zu einer Kollision, die Magrat zu Boden schleuderte.

Das Etwas hieß Shawn Ogg. Durch chromatischen Dunst sah Magrat ein besorgtes Gesicht unter der rostigen Kapuze des…

… Kettenhemds aus Eisen.

Der Gesang veränderte sich und blieb doch gleich. Die komplexen Melodien und der faszinierende Rhythmus gewannen eine neue, unangenehme Qualität – Magrat schien das Lied plötzlich mit anderen Ohren zu hören.

Shawn zog sie zur Tür.

»Ist alles in Ordnung mit dir, Fräulein Königin?«

»Was geht hier vor?«

»Ich weiß es nicht genau, Fräulein Königin. Allerdings vermute ich, daß wir es mit Elfen zu tun haben.«

»Mit Elfen?«

»Das Tockley-Mädchen befindet sich in ihrer Gewalt. Ähm. Du hast das Eisen weggenommen…«

»Wovon redest du da?« fragte Magrat verdutzt.

Shawns Gesicht war kalkweiß.

»Der Elf im Kerker begann zu singen, und sie haben das Mädchen gezeichnet, damit es ihnen gehorchen muß…«

»Shawn!«

»Und Mama meinte, sie töten nicht, wenn sich’s vermeiden läßt. Zumindest töten sie nicht sofort. Lebend machen wir ihnen viel mehr Spaß.«

Magrat starrte ihn mit großen Augen an.

»Ich mußte fliehen! Sie versuchte, mir die Kapuze abzunehmen! Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als den Kerker zu verlassen, Fräulein Königin. Verstehst du?«

»Elfen?«

»Besorg dir irgendeinen Gegenstand aus Eisen, Fräulein Königin! Sie verabscheuen Eisen!«

Magrat holte aus und versetzte Shawn eine Ohrfeige. Dabei berührten ihre Finger die metallene Kapuze und schmerzten.

»Du faselst dummes Zeug, Shawn!«

»Sie sind da draußen, Fräulein Königin! Ich habe gehört, wie sie die Zugbrücke herabgelassen haben! Sie sind da draußen und waren hier drin, und sie töten nicht, sie lassen uns zunächst am Leben, um…«

»Stillgestanden, Soldat!«

Etwas anderes fiel Magrat nicht ein. Aber es schien zu funktionieren: Shawn stand stramm.

»Jetzt hör mal…«, begann sie. »Alle wissen, daß es eigentlich gar keine Elfen gibt…« Ihre Stimme verklang, und sie kniff die Augen zusammen. »Das glaubt nur Magrat Knoblauch, nicht wahr? Alle anderen wissen es besser, stimmt’s?«

Shawn zitterte. Magrat packte ihn an den Schultern.

»Meine Mama und Oma Wetterwachs meinten, du solltest nichts davon erfahren!« jammerte der junge Mann. »Sie meinten, es sei eine Hexenangelegenheit!«

»Und wo kümmern sie sich derzeit um Hexenangelegenheiten?« fragte Magrat. »Hier ist weit und breit nichts von ihnen zu sehen, oder? Stehen sie vielleicht hinter der Tür? Nein! Liegen sie unterm Bett? Das scheint seltsamerweise auch nicht der Fall zu sein… Nur ich bin hier, Shawn Ogg. Und wenn du mir jetzt nicht endlich sagst, was du weißt… Dann sorge ich dafür, daß du den Tag bereust, an dem ich geboren wurde.«

Shawns Adamsapfel hüpfte auf und ab, während er darüber nachdachte. Nach einigen Sekunden befreite er sich aus Magrats Griff und lauschte an der Tür.

Der Gesang war verstummt. Magrat glaubte, draußen im Flur eilige Schritte zu hören, die sich entfernten.

»Nun, Fräulein Königin, meine Mama und Oma Wetterwachs waren oben bei den Tänzern…«

Magrat war ganz Ohr.

»Und wo sind alle anderen?« erkundigte sie sich schließlich.

»Weiß nicht, Fräulein Königin. Die Leute sind zur Vorstellung gegangen. Aber inzwischen müßten sie längst zurück sein.«

»Wo findet die Vorstellung statt?«

»Keine Ahnung, Fräulein Königin. Fräulein Königin?«

»Ja?«

»Warum trägst du das Hochzeitskleid?«

»Das geht dich nichts an.«

»Es bringt dem Bräutigam Unglück, wenn er die Braut vor der Trauung im Hochzeitskleid sieht«, sagte Shawn. Er suchte Zuflucht in banalen Klischees, um seinem Entsetzen zu entkommen.

»In diesem Fall stimmt es«, erwiderte Magrat. »Verence kann was erleben, wenn er mir über den Weg läuft.«

»Fräulein Königin?«

»Ja?«

»Vielleicht ist den anderen etwas zugestoßen. Unser Jason wollte in einer Stunde oder so zurück sein. Und inzwischen sind mehrere Stunden vergangen.«

»Aber es sind fast hundert Gäste und alle Leute aus der Stadt. Gegen eine so große Menge können Elfen sicher nichts ausrichten.«

»Das brauchen sie auch gar nicht.« Shawn trat ans unverglaste Fenster heran. »Von hier aus kann ich in den Kornspeicher auf dem Hof springen. Das Dach besteht nur aus Stroh, kein Problem. Dann schleiche ich durch die Küche und verlasse das Schloß durchs kleine Tor im mittwärtigen Turm, und zwar mit militärischer Präzision.«

»Warum?«

»Um Hilfe zu holen, Fräulein Königin.«

»Aber du weißt doch gar nicht, ob es überhaupt Hilfe gibt, die man holen kann.«

»Hast du eine bessere Idee, Fräulein Königin?«

Magrat schwieg.

»Das ist… sehr tapfer von dir, Shawn«, sagte sie kurz darauf.

»Bleib du hier«, meinte Nanny Oggs Sohn. »Dann geschieht dir nichts. Da fällt mir ein… Wie wär’s, wenn ich die Tür abschließe und den Schlüssel mitnehme? Dann kannst du gar nicht hinaus, selbst wenn du den Gesang hörst.«

Magrat nickte.

Shawn lächelte schief. »Ich wünschte, wir hätten hier noch ein Kettenhemd. Aber das ist alles im Arsenal.«

»Mach dir keine Sorgen. Ich komme schon zurecht. Geh jetzt.«

Shawn nickte. Auf dem Fenstersims zögerte er kurz und ließ sich dann in die Dunkelheit fallen.

Magrat schob das Bett vor die Tür und nahm darauf Platz.

Sie spielte mit dem Gedanken, ebenfalls aufzubrechen, doch in dem Fall bliebe das Schloß unbewacht zurück, was ihr nicht richtig erschien.

Außerdem fürchtete sie sich.

Es gab nur eine Kerze im Zimmer, und die war bereits zur Hälfte niedergebrannt. Wenn sie verlöschen würde, gäbe es nur noch Mondlicht. Magrat hatte Mondschein immer gemocht – bis jetzt.

Draußen herrschte Stille. Zumindest die Geräusche der Stadt hätte man eigentlich hören sollen.

Magrat dachte daran, daß es nicht unbedingt eine gute Idee gewesen sein mochte, Shawn mit dem Schlüssel gehen zu lassen. Wenn die Elfen ihn schnappten, konnten sie ohne Probleme ins Zimmer eindringen…

Jemand schrie, und zwar ziemlich hingebungsvoll.

Nach dem langen Schrei kehrte die Stille der Nacht zurück.

Nach einigen Minuten kratzte etwas am Schloß. Es klang nach jemanden, der ein dickes Tuch um den Schlüssel gewickelt hatte – um einen Kontakt mit dem Metall zu vermeiden – und nun versuchte, ihn möglichst lautlos ins Schloß zu schieben.

Die Tür öffnete sich – und stieß nach wenigen Zentimetern ans Bett.

»Willst du nicht herauskommen, Teuerste?«

Die Tür knarrte.

»Willst du nicht mit uns tanzen, hübsche Dame?«

Die Stimme zeichnete sich durch seltsame Schwingungen und ein Echo aus, das noch einige Sekunden nach dem letzten Wort im Kopf nachhallte.

Die Tür schwang ganz auf und stieß das Bett beiseite.

Drei Gestalten huschten ins Zimmer. Eine untersuchte das Bett, und ihre beiden Begleiter nahmen sich die dunklen Ecken des Raums vor. Nach einer Weile ging einer von ihnen zum Fenster und sah nach draußen.

Die alte, an vielen Stellen zerbröckelnde Mauer erstreckte sich leer nach unten, bis zum Strohdach des Kornspeichers.

Die Gestalt nickte zwei weiteren Gestalten zu, die mit wehendem blonden Haar unten auf dem Hof im Mondlicht standen.

Einer von ihnen deutete nach oben, wo eine Gestalt, die ein langes weißes Kleid trug, an der Mauer hochkletterte.

Der Elf am Fenster lachte. Diese Sache machte noch viel mehr Spaß, als er gehofft hatte.

 

Magrat zog sich über den Fenstersims, sank zu Boden und schnappte nach Luft. Sie gönnte sich nur eine kurze Verschnaufpause, stand auf und wankte zur Tür. Es steckte kein Schlüssel im Schloß, aber dafür gab es zwei dicke Holzriegel, die sie jetzt rasch vorschob.

Magrat schloß auch den Fensterladen.

Man würde sie bestimmt nicht noch einmal auf die gleiche Weise entkommen lassen. Sie hatte mit einem Pfeil gerechnet, aber… Nein, etwas so Einfaches machte ihnen nicht genug Spaß.

Finsternis umgab die ehemalige Hexe. Sie befand sich jetzt wieder in einem Zimmer – aber in welchem? Nach kurzer Suche entdeckte sie eine Kerze und Streichhölzer; wenige Sekunden später brannte Licht.

Im unsteten Schein der flackernden Kerzenflamme sah Magrat mehrere kartonartige Behälter mit Reisegepäck, woraus sie schloß: Dies war ein Gästezimmer.

Gedanken tröpfelten durch die Stille in ihrem Kopf, einer nach dem anderen.

Sie fragte sich, ob die Elfen für sie singen würden. Und ob sie dem Gesang widerstehen konnte. Wenn man darauf vorbereitet war…

Es klopfte leise an der Tür.

»Deine Freunde sind unten, Teuerste. Komm und tanz mit mir.«

Magrat sah sich verzweifelt um.

Der Raum war auf die bekannt schlichte Weise von Gästezimmern eingerichtet. Krug und Waschschüssel; der schreckliche »Kleiderschrank«, eher schlecht hinter einem Vorhang verborgen; das Bett, auf dem einige Kleidungsstücke lagen; ein nicht besonders stabil wirkender Stuhl, von dem an mehreren Stellen der Lack abblätterte; und ein Läufer, durch Alter und Staub ergraut.

Das Klopfen wurde lauter; die Tür bebte. »Laß mich eintreten, hübsche Dame.«

Das Fenster bot diesmal keinen geeigneten Fluchtweg. Magrat dachte daran, sich unter dem Bett zu verstecken. Wieviel Zeit gewann sie dadurch? Wohl kaum mehr als zwei Sekunden.

Irgendein schrecklicher Zauber lenkte Magrats Aufmerksamkeit zum Kleiderschrank hinterm Vorhang.

Ihre Füße schienen sich von ganz allein in Bewegung zu setzen, und dem Rest des Körpers blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.

In der Wandnische nahm sie den Deckel ab. Der Schacht darunter bot genug Platz für einen Körper. Dafür waren derartige »Kleiderschränke« bekannt. Die Regierungszeit so manchen unbeliebten Königs wurde an solchen Orten von einem Mörder beendet, der gut klettern konnte, einen Speer mitbrachte und entschlossen war, auf eine sehr direkte Weise in die Politik einzugreifen.

Etwas stieß ziemlich wuchtig gegen die Tür.

»Soll ich für dich singen, Teuerste?«

Magrat traf eine Entscheidung.

Schließlich gaben die Angeln nach. Rostige Bolzen lösten sich aus dem Gestein.

Der halb zugezogene Nischenvorhang bewegte sich im Luftzug.

Der Elf lächelte, trat näher und zog den Vorhang ganz beiseite.

Er sah einen hochgeklappten Holzdeckel. Er beugte sich vor.

Magrat erschien wie ein weißes Phantom hinter ihm und schlug fest mit dem Stuhl zu. Das Ding zerbrach im Nacken des Elfen.

Der Elf versuchte, sich umzudrehen und das Gleichgewicht zu wahren, aber in Magrats Händen war noch immer genug Stuhl übrig, um erneut zuzuschlagen. Das Geschöpf fiel nach hinten und griff nach dem Deckel, der daraufhin zuklappte. Magrat vernahm ein dumpfes Pochen und dann einen langen, zornigen Schrei, als der Elf durch eklige Dunkelheit fiel. Sie durfte natürlich nicht hoffen, daß er sich zu Tode stürzen würde – schließlich würde er auf etwas Weichem landen.

»Der Aufprall bringt ihn nicht um«, murmelte sie. »Aber vielleicht erstinkt er.«

Man mag nur zwei Sekunden Zeit gewinnen, wenn man sich unterm Bett versteckt. Doch manchmal reichen diese zwei Sekunden aus.

Magrat ließ die Reste des Stuhls los. Sie zitterte. Aber sie lebte noch, und das fühlte sich gut an. Darin besteht einer der Vorteile des Lebens: Man kann es genießen, am Leben zu sein.

Magrat spähte in den Flur.

Sie durfte nicht hier bleiben. Entschlossen griff sie nach einem Stuhlbein und wagte sich durch die Tür.

Erneut hörte sie einen Schrei, und zwar vom Großen Saal her.

Magrat sah in die andere Richtung, durch die Lange Galerie. Und sie lief los. Irgendwo mußte es einen Weg nach draußen geben, ein Tor oder ein Fenster…

Ein innovativer König hatte hier die Fenster verglasen lassen. Der Mondschein schimmerte durch große, silberne Blöcke, die sich mit schwarzen Quadraten abwechselten.

Magrat hastete von Licht zu Schatten, von Licht zu Schatten, durch ein endloses Zimmer. Dutzende von Monarchen glitten an ihr vorbei, wie die Geschichte von Lancre im Zeitraffer. König nach König, mit Bärten und Kronen. Königin nach Königin, mit Miedern, Korsetts, sanften Falken, kleinen Hunden und…

Irgend etwas durchdrang die Barriere aus Entsetzen und weckte Magrats Aufmerksamkeit: vielleicht der besondere Gesichtsausdruck eines Gemäldes, ein seltsamer Reflex, hervorgerufen vom wechselhaften Glanz des Mondes…

Sie verharrte vor einem Bild, das sie nie zuvor bemerkt hatte. So weit war sie schließlich auch noch nicht in die Lange Galerie vorgedrungen. Die geradezu idiotische Geistlosigkeit der vielen Königinnen hatte sie zu sehr deprimiert. Doch dieses Porträt…

Es schien eine Botschaft zu verkünden, die Magrat hören konnte.

Sie blieb stehen.

Dieses Bild konnte unmöglich zu Lebzeiten der betreffenden Königin angefertigt worden sein. Damals war nur eine Art Blau bekannt gewesen, das man hauptsächlich am Körper verwendete. Nun, vor einigen Generationen hatte König Lully I. regiert, ein Monarch mit historischen Interessen und einem gewissen Hang zur Romantik. Er stellte Nachforschungen über die Anfänge von Lancre an, und wo deutliche Anhaltspunkte fehlten, folgte er der Tradition engagierter Historiker: Er zog Schlußfolgerungen aus dem Offensichtlichen* und extrapolierte aus zuverlässigen Quellen.** Auf der Grundlage solcher Informationen gab er ein Gemälde in Auftrag, das Königin Ynci die Unbeherrschte zeigte, eine der Gründerinnen des Königreichs Lancre.

Ynci trug einen Helm mit Schwingen und einer Spitze. Die lange Mähne bildete eine dichte Lockenmasse, wobei Blut als Haarfestiger verwendet worden war. Das alles andere als sparsam aufgetragene Make-up wurde der Waid-und-Blut-und-Spiralen-Schule barbarischer Kosmetik gerecht. Der Brustharnisch wies zwei beeindruckend große Stahlkörbe auf, und es fehlte ihm ebensowenig an Spitzen wie den Schulterplatten. Spitzen zierten auch die Knieschützer und Sandalen. Hinzu kam ein recht kurzer Rock mit modischen Karo- und Blutmustern. Eine Hand ruhte lässig auf dem Griff einer großen, mit Spitzen ausgestatteten Streitaxt, und die andere hielt den Arm eines feindlichen Kriegers. Der Rest des Gegners hing an verschiedenen Bäumen im Hintergrund. Das Porträt zeigte auch Spitze, das Lieblingspony der Königin – es gehörte zu jener inzwischen ausgestorbenen Lancrespezies, deren Erscheinungsbild und Leidenschaft am besten mit einem Faß Schießpulver verglichen werden kann – und ihren Streitwagen, dem es ebenfalls nicht an Spitzen mangelte. Mit den Rädern hätte man sich auch rasieren können.

Magrat starrte auf das Bild.

Darauf hatte sie niemand hingewiesen.

Man hatte ihr nur immer von Tapisserien, Stickereien und Reifröcken erzählt, um ihr anschließend noch zu erklären, wie man adligen Herrn die Hand reichte. Von metallenen Spitzen und Brustpanzern und dergleichen erfuhr sie erst jetzt.

Vom Ende der Galerie, aus der Richtung, aus der sie gekommen war, hörte Magrat Geräusche. Einmal mehr hob sie den Saum ihres Kleids und lief los.

Schritte folgten ihr. Schritte und Gelächter.

Nach links, dann nach unten durch den Kreuzgang, und durch die dunkle Passage über der Küche, vorbei an…

In der Dunkelheit bewegte sich ein Schemen. Zähne blitzten. Magrat hob das Stuhlbein und blieb abrupt stehen.

»Greebo?«

Nanny Oggs Kater rieb den Rücken an ihren Beinen, hatte Fell und Ohren angelegt. Dadurch wuchs das Unbehagen in Magrat. Dies war Greebo, unumstrittener König der Katzen von Lancre, in den meisten Fällen auch ihr Vater. Wo er auftauchte, versteckten sich Wölfe und kletterten Bären auf Bäume. Doch diesmal fürchtete sich der Kater.

»Komm her, du dummer Kerl.«

Magrat packte ihn am zernarbten Nacken, woraufhin Greebo ihr dankbar die Krallen in den Arm bohrte* und sich zur Schulter hochzog.

Offenbar befand sie sich nun in der Nähe der Küche, denn das war Greebos Revier. Es handelte sich um eine unbekannte, dunkle Region, um terror incognita. Hier ging das Fleisch von Teppichen und der Gips von Säulen zu Ende; hier offenbarten sich die steinernen Knochen des Schlosses.

Magrat glaubte, schnelle, leichtfüßige Schritte hinter sich zu hören.

Wenn sie lief und die nächste Ecke hinter sich brachte…

Greebo spannte plötzlich die Muskeln, fühlte sich an wie eine zusammengedrückte Feder. Magrat zögerte.

Hinter der nächsten Ecke…

Ganz automatisch ging die Hand mit dem Stuhlbein nach oben.

Sie trat vor – und schlug gleichzeitig zu. Ein triumphierendes Zischen verwandelte sich in ein schmerzerfülltes Heulen, als die improvisierte Keule einen Elfennacken streifte. Das Geschöpf taumelte zur Seite. Magrat stürmte zur nächsten Tür, und Tränen der Panik quollen ihr in die Augen, als sie an der Klinke zog. Die Tür ging auf. Mit einem Satz sprang sie über die Schwelle, riß die Tür hinter sich zu, tastete nach den Riegeln, drückte sie zu… Und sank auf die Knie.

Draußen stieß etwas an die versperrte Tür.

Nach einer Weile öffnete Magrat die Augen und fragte sich sofort, ob sie wirklich die Lider gehoben hatte: An der Dunkelheit änderte sich überhaupt nichts. Irgend etwas teilte ihr mit, daß weiter vorn… Platz war. Es gab viele Dinge im Schloß, unter ihnen auch verborgene Kammern und so… Direkt vor Magrat mochte sich eine tiefe Grube befinden. Praktisch alles war möglich. Die Ex-Hexe hielt sich am Türrahmen fest, als sie aufstand und die andere Hand in Richtung Wand ausstreckte.

Sie ertastete ein kleines Bord. Eine Kerze stand darauf. Und daneben lag ein Bündel Streichhölzer.

Magrat versuchte, das rasende Pochen ihres Herzens unter Kontrolle zu bringen, indem sie dachte: Dies muß ein Zimmer sein, das ab und zu benutzt wird. Die meisten Leute in Lancre benutzten nach wie vor Zunderbüchsen. Nur der König konnte es sich leisten, Streichhölzer aus Ankh-Morpork kommen zu lassen. Oma Wetterwachs und Nanny Ogg benutzten sie ebenfalls. Allerdings wären sie nie auf die Idee gekommen, Streichhölzer zu kaufen – sie gingen einfach davon aus, daß man sie ihnen schenkte. Nun, als Hexe bekam man viele Dinge geschenkt.

Magrat zündete die Kerze an und drehte den Kopf, um festzustellen, in welchem Raum sie sich befand.

Oh…

 

»Na so was«, brummte Ridcully. »Der Baum dort kommt mir bekannt vor.«

»Sei still.«

»Wenn ich mich recht entsinne, hat jemand gesagt, wir müßten nur am Hang nach oben«, fuhr der Erzkanzler fort.

»Sei still.«

»Als wir damals in diesem Wald spazierengegangen sind, hast du mir erlaubt…«

»Sei still.«

Oma Wetterwachs setzte sich auf einen Baumstumpf.

»Man führt uns in die Irre«, sagte sie. »Jemand verwirrt unsere Sinne.«

»Ich erinnere mich an eine Geschichte«, sagte Ridcully. »Es geht dabei um zwei Kinder, die sich im Wald verirren, und es kamen viele Vögel, um sie mit Blättern zu bedecken.« In seiner Stimme zeigte sich Hoffnung auf die gleiche Weise wie ein Zeh, der unterm Rand einer Krinoline hervorragt.

»Ja, solche idiotischen Dinge fallen nur Vögeln ein.« Oma kratzte sich am Kopf.

»Sie steckt dahinter«, kam es von ihren Lippen. »Es ist ein Elfentrick. Wanderer in die Irre zu führen… Sie sät Verwirrung in meinen Gedanken. Direkt hinter meiner Stirn, jawohl! Sie ist ganz schön geschickt. Lenkt unsere Schritte in die Richtung, die sie will. Läßt uns im Kreis gehen. Treibt Schabernack mit mir

»Vielleicht denkst du an andere Dinge«, spekulierte Ridcully. Er gab die Hoffnung nicht auf.

»Natürlich denke ich an andere Dinge – immerhin stolperst du dauernd über die eigenen Füße und faselst irgendwelchen Unsinn. Wenn Herr Schlaumeier Zauberer nicht unbedingt etwas hervorkramen mußte, das überhaupt nie existiert hat… Dann wäre ich gar nicht hier, im Zentrum des was weiß ich, ohne die geringste Möglichkeit, ins allgemeine Geschehen einzugreifen.« Sie ballte die Fäuste.

»Finde dich einfach damit ab«, schlug Ridcully vor. »Es ist ein herrlicher Abend. Wir könnten uns einfach irgendwo setzen und…«

»Du fällst also auch darauf herein«, sagte Oma. »Der zuckersüß-romantische Unsinn von Blicken, die sich über Dutzende von Metern hinweg in einem großen Saal treffen… Meine Güte, wie schaffst du es nur, als oberster Zauberer im Amt zu bleiben?«

»Indem ich jeden Abend sorgfältig das Bett untersuche und immer darauf achte, daß bei einer Mahlzeit jemand anders vor mir den ersten Bissen ißt«, antwortete Ridcully mit entwaffnender Offenheit. »Nun, mit dem Amt des Erzkanzlers hat’s eigentlich gar nicht soviel auf sich. Man muß nur dauernd irgendwelche Dokumente unterschreiben, und gelegentlich darf man Untergebene anbrüllen…«

Ein Blatt schwebte vorbei.

Ridcully seufzte.

»Wie dem auch sei: Du warst ziemlich überrascht, als du mich gesehen hast. Bist blaß geworden.«

»Kein Wunder«, erwiderte Oma. »Jede Frau wird blaß, wenn sie einen erwachsenen Mann erblickt, der zu ersticken scheint.«

»Du gibst nie nach, oder?« fragte Ridcully. »Es ist bemerkenswert. Nicht einen einzigen Zentimeter weit rückst du von deinem Standpunkt ab.«

Noch ein Blatt sank neben dem Erzkanzler zu Boden.

Ridcully drehte den Kopf nicht.

»Weißt du…« Er sprach ganz ruhig. »Entweder beginnt der Herbst in diesem Teil von Lancre ziemlich früh, oder die hiesigen Vögel spielen ebenfalls gern mit Blättern herum. Es kann natürlich auch sein, daß sich jemand im Baum über uns befindet.«

»Ich weiß.«

»Du weißt es?«

»Ja. Ich habe natürlich aufgepaßt, während du damit beschäftigt warst, auf dem Pfad der Erinnerung zu wandeln. Es sind mindestens fünf, und sie starren auf uns herunter. Was ist mit deinen Fingern?«

»Ich könnte vielleicht eine Feuerkugel beschwören.«

»Das nützt uns kaum etwas. Kannst du uns nicht von hier fortbringen?«

»Nicht uns beide.«

»Nur dich selbst?«

»Ich denke schon. Aber natürlich lasse ich dich hier nicht allein zurück.«

Oma Wetterwachs rollte mit den Augen. »Es stimmt tatsächlich«, murmelte sie. »Männer wollen immer nur bei Frauen Eindruck schinden. Verschwinde, du romantischer Narr. Die Elfen haben gar nicht vor, mich zu töten. Zumindest jetzt noch nicht. Aber Zauberer sind ihnen völlig gleich. Sie würden dich einfach so umbringen, ohne einen Gedanken daran zu vergeuden.«

»Du möchtest, daß ich das hier überlebe? Also bedeute ich dir etwas.«

»Ich sehe keinen Sinn darin, daß du stirbst, obwohl du etwas Nützliches anstellen könntest.«

»Die Flucht ist nicht besonders nützlich.«

»Für dich dürfte sie weitaus nützlicher sein als hierzubleiben.«

»Ich würde es mir nie verzeihen, dich jetzt allein zu lassen.«

»Ich würde es dir nie verzeihen, wenn du bleibst«, betonte Oma. »Und ich bin besser darin, nicht zu verzeihen, als du. Geh zu Gytha Ogg, wenn alles vorbei ist. Sag ihr, sie soll in meiner alten Schachtel nachsehen. Sie weiß, was ich meine. Und wenn du jetzt nicht schleunigst losgehst…«

Ein Pfeil bohrte sich in den Baumstumpf neben Ridcully.

»Die Mistkerle schießen auf mich!« ereiferte sich der Erzkanzler. »Wenn ich jetzt meine Armbrust hätte…«

»Warum holst du sie nicht?« entgegnete Oma.

»Ja, genau! Bin gleich wieder da!«

Ridcully verschwand. Eine halbe Sekunde später fielen einige Steine aus dem Schloß dort zu Boden, wo er eben noch gesessen hatte.

»Das Problem wäre gelöst«, sagte Oma Wetterwachs zu sich selbst.

Sie stand auf und ließ ihren Blick durch den Wald schweifen.

»Na schön«, sagte sie laut. »Hier bin ich. Und ich laufe nicht weg. Komm und hol mich. Hier bin ich«, wiederholte sie. Und: »Hier sind wir

 

Magrat beruhigte sich. Natürlich gab es einen solchen Ort. Jedes Schloß verfügte über eine derartige Kammer. Und natürlich wurde diese benutzt. Unübersehbare Fußspuren führten durch dicken Staub zu einem nicht sehr weit entfernten Gestell, an dem einige gelangweilt vor sich hin rostende Kettenhemden hingen, direkt neben den Piken.

Shawn kam wahrscheinlich jeden Tag hierher.

Dies war das Arsenal.

Greebo sprang von Magrats Schulter und wanderte durch die von Spinnweben verhangenen Nischen, auf der Suche nach kleinen, quiekenden Geschöpfen.

Magrat folgte ihm benommen.

Die Könige von Lancre hatten nie etwas weggeworfen. Erst recht nichts, womit man jemand töten konnte.

Es gab Rüstungen für Menschen und für Pferde. Es gab auch welche für Kampfhunde. Es gab sogar einige experimentelle Exemplare für Raben, obgleich hier folgendes festgestellt werden muß: König Gurnt der Dumme plante zwar eine Luftwaffe, aber sie ist nie abgehoben. Magrat sah zahllose Piken, Schwerter, Messer, Säbel, Rapiere, Degen, Breitschwerter, Dreschflegel, Morgensterne, Streitkolben und Keulen mit Spitzen. Sie bildeten große Haufen und hatten dort, wo Regenwasser durchs Dach sickerte, ziemlich viel Rost angesetzt. Lange und kurze Bögen kamen hinzu, sowie Armbrüste in verschiedenen Größen. Wie Feuerholz lagen sie übereinander, und das galt auch für viele braunrote Rüstungsteile. Überall war Rost. Der ganze Raum kam einem Grab für Eisen gleich.

Magrat setzte einen Fuß vor den anderen, wie ein aufgezogenes Spielzeug, das in die einmal eingeschlagene Richtung rasselt, bis es gegen ein Hindernis stößt.

Das Licht der Kerze strich über Helme und Brustharnische. Die für Pferde bestimmten Rüstungen an den Holzgestellen wirkten besonders beeindruckend. Sie sahen aus wie Außenskelette – und wie Skelette erinnerten sie an Sterblichkeit und Tod. Leere Augenöffnungen starrten blicklos zur ehemaligen Hexe.

»Hübsche Dame?«

Die Stimme erklang jenseits der Tür, weit hinter Magrat. Doch die Worte waren im ganzen Arsenal zu hören, hallten von jahrhundertealten Waffen wider.

Dieses Zimmer können sie nicht betreten, dachte Magrat. Hier gibt es zuviel Eisen. Hier bin ich sicher.

»Wenn die hübsche Dame spielen möchte, so holen wir ihre Freunde.«

Magrat drehte sich um, und dabei fiel das Kerzenlicht auf einen ganz besonderen Gegenstand.

Sie zog einen großen Schild beiseite.

»Hübsche Dame?«

Magrat streckte die Hand aus.

»Teuerste?«

Magrat griff nach einem rostigen Helm mit Schwingen.

»Komm und tanz bei der Hochzeit, hübsche Dame.«

Magrat griff nach einem Brustharnisch mit zwei großen Stahlkörben und Spitzen.

Greebo jagte in einer auf dem Boden liegenden Rüstung Mäuse und spähte nun aus einem Bein.

Magrat veränderte sich. Das merkte man daran, wie sie atmete. Noch vor kurzer Zeit hatte sie vor Furcht und aus Erschöpfung geschnauft und dann einige Sekunden lang den Atem angehalten. Jetzt holte sie tief und entschlossen Luft.

Greebo hatte Magrat bisher immer als eine Art Maus in Menschengestalt wahrgenommen und beobachtete nun, wie sie den Schwingenhelm aufsetzte.

Magrat wußte um die Macht von Hüten.

Zwischen ihren Schläfen hörte sie das Donnern von Streitwagen.

»Hübsche Dame? Wir holen deine Freunde, um für dich zu singen.«

Sie wandte sich um.

Das Kerzenlicht funkelte in ihren Augen.

Greebo zog sich in die Sicherheit der Rüstung zurück. Er entsann sich an die Sache mit der Füchsin. Normalerweise wurde er mit einem Fuchs fertig, ohne dabei aus der Puste zu kommen, doch in diesem besonderen Fall hatte die Füchsin Junge gehabt. Und das hatte Greebo erst herausgefunden, als er sein vermeintliches Opfer bis in den Bau verfolgt hatte. Er hatte die Spitze eines Ohrs und recht viel Fell verloren, bevor ihm die Flucht gelungen war.

Magrats Gesichtsausdruck erinnerte ihn an jene Füchsin.

»Greebo? Komm her!«

Der Kater drehte sich um und suchte nach einem sicheren Platz im Brustharnisch der Rüstung. Er zweifelte allmählich daran, daß er diese Nacht überleben würde.

 

Elfen durchstreiften die Schloßgärten. Eine Zeitlang hatten sie sich mit den Goldfischen in dem kleinen Teich vergnügt und sie dann getötet.

Herr Brooks stand auf einem Küchenstuhl und arbeitete an einem Riß in der Stallwand.

Er ahnte, daß im Schloß irgend etwas vor sich ging, aber es betraf Menschen und war daher nur von untergeordneter Bedeutung. Weitaus mehr Aufmerksamkeit schenkte er der Veränderung im Summen der Bienen und dem Knacken von splitterndem Holz.

Ein Bienenstock war umgekippt worden. Zornige Bienen umschwirrten drei Gestalten, deren Füße Waben und Brut zertrampelten.

Das Gelächter verstummte, als der in Weiß gekleidete und mit einem Schleier ausgestattete Imker an der Hecke erschien. Er hob ein langes Metallrohr.

Niemand wußte, womit Herr Brooks seinen Spritzer lud. Das Zeug enthielt alten Tabak, aufgekochte Wurzeln, Baumrinde und Kräuter, die nicht einmal Magrat kannte. Glänzende Flüssigkeit zischte über die Hecke hinweg, traf den mittleren Elf zwischen den Augen und spritzte auch auf die anderen beiden.

Unbewegt beobachtete der Imker, wie die Gestalten zuckten. Nach einer Weile rührten sie sich nicht mehr.

»Wespen«, sagte er.

Er holte eine Schachtel, entzündete eine Laterne und achtete nicht auf die Stiche, als er damit begann, den Bienenstock zu reparieren.

 

Shawn hatte kaum mehr Gefühl im Arm, abgesehen von dem dumpfen Schmerz, der auf mindestens einen gebrochenen Knochen hindeutete. Darüber hinaus wußte er, daß zwei seiner Finger normalerweise anders aussahen. Er schwitzte, obgleich er nur Unterwäsche trug. Er hätte das Kettenhemd nicht ausziehen dürfen, aber man kann schlecht »nein« sagen, wenn man von einem elfischen Bogenschützen bedroht wird. Shawn wußte, was glücklicherweise vielen anderen Leuten unbekannt blieb: Kettenhemden bieten keinen nennenswerten Schutz vor Pfeilen. Erst recht nicht, wenn der Pfeil zwischen die Augen zielt.

Man hatte ihn durch Korridore und Flure zum Arsenal geführt. Mindestens vier Elfen hielten sich hier auf, aber es fiel schwer, ihre Gesichter zu erkennen. Shawn erinnerte sich an das Spektakel des reisenden Magiers Lampendorn. Damals hatte er überaus fasziniert beobachtet, wie verschiedene Bilder auf eins von Nanny Oggs Bettlaken projiziert worden waren. Mit den Elfengesichtern verhielt es sich ähnlich. Irgendwo darin befanden sich Augen und ein Mund, aber alles andere schien nur vorübergehenden Bestand zu haben – die Züge der Elfenmienen veränderten sich ständig.

Sie redeten nicht viel, doch dafür lachten sie häufig. Elfen waren fröhlich, besonders dann, wenn sie feststellten, wie weit sie einem den Arm auf den Rücken drehen konnten.

Die Elfen berieten sich in ihrer Sprache, und dann wandte sich einer an Shawn, deutete dabei zur Tür des Arsenals.

»Wir möchten, daß die Frau herauskommt«, meinte er. »Sag ihr folgendes: Wenn sie das Zimmer nicht verläßt, spielen wir noch ein wenig wilder mit dir.«

»Was macht ihr mit uns, wenn sie drin bleibt?« erkundigte sich Shawn.

»Oh, dann spielen wir ebenfalls mit dir«, antwortete der Elf. »Deshalb ist ja alles so lustig. Aber sie soll hoffen, nicht wahr. Sag es ihr jetzt.«

Man schob ihn zur Tür. Er klopfte an, auf eine Weise, die er für respektvoll hielt.

»Ähm. Fräulein Königin?«

»Ja?« erklang Magrats gedämpfte Stimme.

»Ich bin’s, Shawn.«

»Ich weiß.«

»Stehe hier im Flur. Ähm. Ich glaube, die Elfen haben Fräulein Tockley verletzt. Äh. Sie wollen mir auch noch etwas weh tun, wenn du drin bleibst. Aber du brauchst nicht herauszukommen, denn die Elfen können nicht zu dir hinein, wegen des Eisens. Also würde ich an deiner Stelle gar nicht auf sie hören.«

Er rasselte und klapperte. Kurz darauf ertönte ein leises Twoing.

»Fräulein Magrat?«

»Frag die hübsche Dame, ob sie da drin zu essen und zu trinken hat«, sagte ein Elf.

»Fräulein Königin, ich soll dich…«

Einer der Elfen zerrte ihn grob beiseite. Zwei warteten zu beiden Seiten der Tür, und ein dritter lauschte daran.

Nach einigen Sekunden ging er in die Hocke, um durchs Schlüsselloch zu blicken. Er achtete jedoch peinlich darauf, das Metall des Schlosses nicht zu berühren.

Ein Geräusch erklang, nicht lauter als ein Klicken. Der Elf verharrte zunächst reglos, dann kippte er nach hinten und fiel zu Boden.

Shawn blinzelte.

Das Ende eines Armbrustbolzens ragte aus dem Auge des Elfen. Die Federn fehlten – sie waren während des kurzen Flugs durchs Türschloß abgerissen.

»Donnerwetter!« entfuhr es Shawn.

Die Pforte des Arsenals ging langsam auf, und dahinter kam… Dunkelheit zum Vorschein.

Einer der Elfen begann zu lachen.

»Er hat’s nicht besser verdient«, sagte er. »Wie dumm von ihm… Teuerste? Hör dem Krieger zu…«

Er griff nach Shawns gebrochenem Arm und drehte ihn.

Shawn versuchte, nicht zu schreien. Purpurne Lichter blitzten vor seinen Augen auf. Er fragte sich, was geschehen mochte, wenn er in Ohnmacht fiel. Er wünschte sich, seine Mutter wäre hier.

»Hübsche Dame?« fragte der Elf. »Wenn du…«

»Na schön.« Magrats Stimme kam irgendwo aus der Finsternis. »Ich komme heraus. Bitte versprich mir, daß du mir nichts tust.«

»Oh, natürlich verspreche ich das, Teuerste.«

»Läßt du auch Shawn los?«

»Ja.«

Die beiden Elfen rechts und links der Tür nickten sich zu.

»Bitte?« fügte Magrat hinzu.

»Ja.«

Shawn stöhnte. Seine Mutter oder Frau Wetterwachs hätten sich bestimmt zur Wehr gesetzt und bis zum Tod gekämpft, jawohl. Mama hatte recht: Magrat war viel zu sentimental und weich und so…

Allerdings hatte sie gerade mit einer Armbrust durchs Schlüsselloch geschossen.

Eine Art achter Sinn veranlaßte Shawn dazu, vorsichtig das Gewicht zu verlagern. Wenn der Elf seinen Griff auch nur für einen Sekundenbruchteil lockerte… Er wollte die Chance sofort nutzen, um zur Seite zu taumeln.

Magrat erschien in der Tür. Sie trug eine ziemlich alt aussehende Holzkiste; an der einen Seite bildete abblätternde Farbe das Wort »Kerzen«.

Shawn blickte hoffnungsvoll durch den Flur.

Magrat bedachte den Elfen an ihrer Seite mit einem freundlichen Lächeln. »Das ist für dich«, sagte sie und reichte ihm die kleine Kiste. Der Elf nahm sie automatisch entgegen. »Aber öffne sie nicht. Und denk daran: Du hast versprochen, mir kein Leid zuzufügen.«

Die anderen Elfen näherten sich ihr von hinten. Einer von ihnen holte mit einem Steinmesser aus.

»Junge Dame?« fragte er und drehte die hölzerne Kiste langsam hin und her.

»Ja?« erwiderte Magrat fast unterwürfig.

»Ich habe gelogen.«

Das Messer zielte auf den Rücken der ehemaligen Hexe.

Und zerbrach dort.

Der Elf vor Magrat musterte das unschuldige Gesicht seines vermeintlichen Opfers und öffnete die Kiste.

Greebo hatte zwei lange und ihn sehr verärgernde Minuten hinter sich. Wenn sich eine Katze – oder, wie in diesem Fall, ein Kater – in einem geschlossenen Behälter befindet, so kann sie entweder tot sein oder noch leben. Man erfährt es erst, wenn man nachsieht – das Öffnen des Behälters entscheidet über den Zustand der Katze. Unter den gegenwärtigen Umständen gab es jedoch drei mögliche Zustandsformen: lebendig, tot oder verdammt wütend.

Shawn neigte sich zur Seite, als Greebo wie ein ganz spezieller Sprengsatz explodierte.

»Sei ihm nicht böse«, sagte Magrat verträumt, als der Elf nach dem zornigen Kater schlug. »Eigentlich ist er ein lieber Kerl.«

Sie zog ein Messer hervor, drehte sich um und rammte dem hinter ihr stehenden Elfen die Klinge in den Leib. Sie traf nicht etwa das Herz oder ein anderes lebenswichtiges Organ, aber das brauchte sie auch gar nicht – das Messer bestand aus Eisen.

Im Anschluß daran hob sie den Saum ihres Kleids und trat dem dritten Elf vors Knie.

Shawn sah das Metall aufblitzen, als der Fuß wieder unter weißer Seide verschwand.

Magrat stieß den schreienden Elf mit dem Ellenbogen beiseite, eilte noch einmal ins dunkle Zimmer und kehrte mit einer Armbrust zurück.

»Wer hat dir weh getan, Shawn?« fragte sie.

»Alle«, antwortete er. »Aber Greebos Gegner hat Diamanda verletzt.«

Der entsprechende Elf zog sich gerade den Kater vom Gesicht. Grünblaues Blut strömte aus Dutzenden von Wunden, und Greebo krallte sich an dem Arm fest, während er immer wieder an die Wand geschmettert wurde.

»Hör auf«, sagte Magrat.

Der Elf sah die Armbrust und erstarrte.

»Ich werde nicht um Gnade flehen«, sagte er.

»Gut.« Magrat schoß.

Damit blieb nur noch der Elf übrig, der auf dem Boden hin und her rollte und sich dabei das Knie hielt.

Magrat stieg gleichgültig über den Köper eines anderen Elfen hinweg, verschwand erneut im Arsenal und kam kurze Zeit später mit einer Axt wieder heraus.

Das Geschöpf auf dem Boden rührte sich plötzlich nicht mehr und sah zu Magrat auf.

»Nun«, begann die Fast-Königin im Plauderton, »in Hinsicht auf deine Chancen will ich dich nicht belügen – du hast keine. Ich werde dir gleich einige Fragen stellen. Doch vorher möchte ich deine Aufmerksamkeit wecken.«

Der Elf hatte damit gerechnet, und deshalb gelang es ihm, sich rechtzeitig zur Seite zu wälzen. Die Axt ließ Steinplatten splittern.

»Fräulein?« brachte Shawn hervor, als Magrat erneut ausholte.

»Ja?«

»Meine Mama hat gesagt, Elfen spüren keinen Schmerz.«

»Nein? Aber ich nehme an, manche Dinge sind ihnen trotzdem unangenehm.«

Magrat ließ die Axt sinken.

»Zum Beispiel Metall«, sagte sie. »Wir könnten diesen Burschen in eine der Rüstungen da drin stecken. Na, wie wär’s damit?«

»Nein!«

Der Elf versuchte fortzukriechen.

»Warum nicht?« meinte Magrat. »Ist doch besser als Axthiebe, oder?«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Es fühlt sich an, als sei man in der Erde vergraben«, ächzte der Elf. »Keine Augen, keine Ohren, kein Mund!«

»Na schön. Dann hüllen wir dich in ein Kettenhemd«, schlug Magrat vor.

»Nein!«

»Wo ist der König? Wo sind alle anderen?«

»Ich werde nichts sagen.«

»Wie du willst.«

Magrat betrat das Arsenal und kehrte mit einem langen Kettenhemd zurück.

Der Elf verdoppelte seine Bemühungen, fortzukrabbeln.

»Du schaffst es nie, ihm das Hemd überzustreifen«, sagte Shawn, der ebenfalls auf den Steinplatten lag. »Die Arme sind im Weg.«

Magrat griff nach der Axt.

»O nein«, stieß Shawn hastig hervor. »Fräulein Königin!«

»Du bekommst ihn nie zurück«, sagte der Elf. »Den König, meine ich. Sie hat ihn.«

»Warten wir’s ab«, erwiderte Magrat. »Nun gut, Shawn. Was fangen wir mit ihm an?«

Sie brachten ihn in einem Lagerraum unweit des Kerkers unter und ketteten ihn dort an die Gitterstangen des Fensters. Beim Kontakt mit dem Eisen wimmerte er. Magrat warf die Tür zu.

Shawn hielt einen respektvollen Abstand zu Magrat, vor allem deshalb, weil sie so seltsam lächelte.

»Und jetzt sehen wir uns deinen Arm an«, sagte sie.

»Mit mir ist soweit alles in Ordnung«, behauptete Shawn. »Diamanda in der Küche geht es weitaus schlechter.«

»War sie es, die so geschrien hat?«

»Äh. Zum Teil. Ähm.« Shawn betrachtete die toten Elfen fasziniert, während Magrat achtlos an ihnen vorbeiging.

»Du hast sie getötet«, stellte er fest.

»War das falsch?«

»Ähm, nein«, entgegnete Shawn vorsichtig. »Du bist dabei, äh, ziemlich tüchtig gewesen.«

»In der Grube ist noch einer«, fügte Magrat hinzu. »Du weißt schon – in der Grube. Welcher Tag ist heute?«

»Dienstag.«

»Und du reinigst die Grube immer am…?«

»Mittwoch. Allerdings bin ich am vergangenen Mittwoch nicht dazu gekommen, weil…«

»Dann brauchen wir uns vermutlich um den nicht mehr zu kümmern. Gibt es hier noch mehr?«

»Ich… glaube nicht. Äh. Fräulein Königin?«

»Ja, Shawn?«

»Könntest du vielleicht die Axt herunternehmen? Ich würde mich viel besser fühlen, wenn du die Axt herunternähmst. Die Axt, Fräulein Königin. Du schwingst sie dauernd hin und her. Die Schneide könnte sich jeden Augenblick vom Stiel lösen.«

»Welche Axt?«

»Ich meine jene, die du in der Hand hältst.«

»Oh, diese Axt.« Magrat schien sie jetzt zum erstenmal zu bemerken. »Der Arm sieht nicht besonders gut aus. Gehen wir in die Küche, damit ich ihn dort schienen kann. Und die Finger auch. Haben die Elfen Diamanda umgebracht?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, warum sie das Mädchen gequält haben. Ich meine, es hat ihnen doch geholfen.«

»Ja. Warte einen Moment.« Magrat verschwand abermals im Arsenal und holte einen Sack. »Komm, Greebo.«

Der Kater warf ihr einen argwöhnischen Blick zu und putzte sich nicht mehr.

»Weißt du, was an Lancre komisch ist?« fragte Magrat, als sie über die Treppe nach unten schlichen.

»Nein, Fräulein.«

»Wir werfen nie etwas weg. Und weißt du noch etwas?«

»Nein, Fräulein.«

»Das Bild konnte gar nicht zu ihren Lebzeiten angefertigt worden sein. Ich meine, damals vergeudete niemand Zeit damit, irgendwelche Porträts zu malen. Aber die Rüstung… Ha! Man brauchte nur ihre Rüstung zu betrachten, um einen Eindruck von ihr zu gewinnen. Und weißt du was?«

Furcht erwachte in Shawn. Natürlich geschah es nicht zum erstenmal, daß er sich fürchtete, aber bisher waren solche Empfindungen unmittelbar gewesen und hatten sich auf eine konkrete, physische Gefahr bezogen. Doch Magrat auf diese Weise zu erleben… Das jagte ihm viel mehr Angst ein als die Elfen. Er fühlte sich wie jemand, der von einem Schaf angegriffen wurde.

»Nein, Fräulein?« erwiderte er.

»Niemand hat mir etwas über sie erzählt. Ich dachte, es ginge nur um Tapisserien und lange Kleider und so!«

»Was meinst du, Fräulein Königin?«

Magrat machte eine umfassende Geste.

»Dies alles!«

»Bitte«, stöhnte Shawn in Kniehöhe.

Magrat sah nach unten.

»Was ist los?«

»Bitte nimm die Axt herunter.«

»Oh. Entschuldige.«

 

Festgreifaah schlief in einem kleinen Schuppen neben den Falkenkäfigen. Auch er hatte eine Einladung fürs Hochzeitsfest bekommen, doch sie war ihm aus der Hand gerissen und verspeist worden, und zwar von Lady Jane, einem alten, unberechenbaren Gierfalken, der den Zettel mit einem menschlichen Finger verwechselt hatte. Aus diesem Grund befaßte sich der Falkner mit seinem üblichen Abendritual: Er wusch seine Wunden und verspeiste eine Mahlzeit, die aus trockenem Brot und recht altem Käse bestand. Anschließend ging er früh zu Bett, um im Schein einer Kerze sanft zu bluten und die neueste Ausgabe von Schnäbel und Krallen zu lesen.

Als er Geräusche bei den Käfigen hörte, stand er auf, griff nach der Kerze und ging nach draußen.

Ein Elf sah sich die Vögel an. Lady Jane hockte auf seinem Arm.

Wie Herr Brooks schenkte Festgreifaah Dingen, die nichts mit seinen Interessen zu tun hatten, praktisch keine Beachtung. Er wußte, daß sich viele Besucher im Schloß befanden, und soweit es ihn betraf: Wer sich die Falken ansah, war jemand, der seinen Enthusiasmus teilte.

»Mein bester Vogel«, sagte er stolz. »Fast schon zahm. Er ist wirklich gut. Ich dressiere ihn. Er ist sehr intelligent. Gehorcht insgesamt elf verschiedenen Befehlen.«

Der Elf nickte würdevoll, nahm Lady Jane die Kapuze vom Kopf und nickte in Richtung des Falkners.

»Töte ihn«, sagte er.

Lady Janes Augen glitzerten im Kerzenschein. Sie sprang los und bohrte dem Elf Krallen und Schnabel in die Kehle.

»Das macht der Vogel auch bei mir«, meinte Festgreifaah. »Entschuldige. Er ist sehr intelligent.«

 

Diamanda lag in einer Blutlache auf dem Boden der Küche. Magrat kniete neben ihr.

»Sie lebt noch, zumindest ein wenig.« Magrat griff nach dem Saum ihres Kleids und versuchte, einen Streifen abzureißen.

»Verdammtes Ding. Hilf mir, Shawn.«

»Fräulein Königin?«

»Wir brauchen Verbandszeug.«

»Aber…«

»Glotz nicht so und hilf mir endlich.«

Der Rock riß. Mindestens zehn Spitzenrosen zerfledderten.

Shawn wußte nicht, was Königinnen unter ihren Kleidern trugen. Er hatte inzwischen mit entsprechenden Beobachtungen begonnen, die insbesondere Millie Chillum betrafen, und von dort aus wollte er sich langsam nach oben arbeiten. Wie dem auch sei: Metallene Unterwäsche hatte er bisher nicht in Erwägung gezogen.

Magrat klopfte sich auf den Brustharnisch.

»Paßt ziemlich gut«, sagte sie, um einem Hinweis darauf vorzubeugen, daß an gewissen Stellen recht viel Luft zwischen dem Metall und Magrat blieb. »Obgleich einige zusätzliche Nieten hier und dort sicher nicht schaden könnten. Steht mir die Rüstung?«

»O ja«, versicherte Shawn der ehemaligen Hexe. »Äh. Eisen steht dir wirklich gut.«

»Findest du?«

»Ja.« Shawn bemühte verzweifelt seine rhetorische Phantasie. »Du bist wie geschaffen dafür.«

Magrat schiente ihm den Arm und die Finger. Sie arbeitete methodisch, verwendete Seidenstreifen als Verband. Bei Diamanda erwies sich die Sache als weitaus problematischer. Magrat reinigte und nähte und verband, während Shawn zusah und versuchte, den heißen, stechenden Schmerz in seinem Arm zu ignorieren.

»Sie lachten und stachen mit ihren Steinmessern auf sie ein«, wiederholte er immer wieder. »Das Mädchen hat nicht einmal versucht, wegzulaufen. Die Elfen… Sie schienen mit Diamanda zu spielen

Aus irgendeinem Grund blickte Magrat zu Greebo, der wenigstens den Anstand hatte, verlegen zu wirken.

»Spitze Ohren und ein Fell, das man streicheln möchte«, sagte sie gedankenverloren. »Und sie sind faszinierend. Und sie verursachen ein angenehm klingendes Geräusch, wenn sie sich wohl fühlen.«

»Wie bitte?«

»Schon gut, hab’ nur nachgedacht.« Magrat stand auf. »Na schön. Ich schüre das Feuer, hole einige Armbrüste und bereite sie für dich vor. Und du sorgst dafür, daß die Tür geschlossen bleibt, klar? Laß niemanden herein. Wenn ich nicht zurückkehre… In dem Fall solltest du besser einen Ort aufsuchen, wo sich auch noch andere Leute aufhalten. Geh zu den Zwergen von Kupferkopf. Oder zu den Trollen.«

»Was hast du vor?«

»Ich will feststellen, was mit den anderen passiert ist.«

Magrat öffnete den Sack, der aus dem Arsenal stammte. Er beinhaltete einen mit Schwingen ausgestatteten Helm, den Shawn für unpraktisch hielt.* Hinzu kamen Kettenhemd-Handschuhe und einige rostige Waffen.

»Aber da draußen sind sicher noch mehr Elfen!«

»Besser da draußen als hier drinnen.«

»Kannst du kämpfen?«

»Keine Ahnung«, sagte Magrat. »Hab’s nie probiert.«

»Wenn wir hier warten… Früher oder später kommt sicher jemand.«

»Ja, genau das befürchte ich.«

»Ich meine: Du mußt nicht hinaus.«

»Doch. Ich heirate morgen. So oder so.«

»Aber…«

»Sei still!«

Sie geht in den Tod, dachte Shawn. Es genügt nicht, ein Schwert in der Hand zu halten. Man sollte auch wissen, welches Ende man in den Leib des Gegners stoßen muß. Meine Pflicht besteht darin, alle Gefahren vom Schloß fernzuhalten, und jetzt bricht Fräulein Magrat auf, um sich umbringen zu lassen…

Aber…

Aber…

Sie hat einen Elfen erschossen, durchs Schlüsselloch. Ich wäre dazu nicht in der Lage gewesen. Ich hätte zuerst »Hände hoch!« oder so gesagt. Die Elfen waren ihr im Weg, und deshalb beschloß sie einfach, sie… aus dem Weg zu räumen.

Trotzdem wird sie sterben. Vermutlich auf eine sehr tapfere Weise.

Ich wünschte, meine Mama wäre hier

Magrat rollte die fleckigen Reste des Hochzeitskleids zusammen und verstaute sie im Sack.

»Haben wir Pferde?«

»Äh…wir haben Elfenpferde. Auf dem Hof, Fräulein Königin. Aber ich bezweifle, ob du in der Lage bist, eins von ihnen zu reiten.«

Shawn begriff sofort, daß es klüger gewesen wäre, auf die letzte Bemerkung zu verzichten.

 

Das Tier war schwarz, und Magrat hielt es für viel größer als ein normales menschliches Pferd. Es starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an und versuchte, sich in die richtige Position für einen Tritt zu bringen.

Magrat gelangte nur deshalb auf den Rücken des Rosses, weil sie vorher alle Beine an den Ringen in der Stallwand festband. Doch als sie erst einmal auf dem Rücken saß, veränderte sich das Pferd. Von einem Augenblick zum anderen legte es den Gehorsam absoluter Hoffnungslosigkeit an den Tag; es schien überhaupt keinen eigenen Willen mehr zu haben.

»Das Eisen ist der Grund«, sagte Shawn.

»Was bewirkt es denn? Es fügt ihm doch keine Schmerzen zu, oder?«

»Weiß nicht, Fräulein Königin. Irgendwie sorgt Eisen dafür, daß Pferde innerlich erstarren oder so.«

»Laß hinter mir das Fallgatter herunter.«

»Fräulein…«

»Soll ich vielleicht hier im Schloß bleiben?«

»Aber…«

»Sei still.«

»Aber…«

»Ich erinnere mich an ein Volkslied, in dem es um eine vergleichbare Situation geht«, sagte Magrat. »Die Elfenkönigin stahl einer jungen Frau ihren Verlobten, und die vergeudete keine Zeit damit, Tränen zu vergießen. Nein, sie ritt los, um den Entführten zu befreien. Daran nehme ich mir nun ein Beispiel.«

Shawn rang sich ein Lächeln ab.

»Willst du singen?« fragte er.

»Ich werde kämpfen. Dazu habe ich auch allen Grund, oder? Die Umstände lassen mir gar keine andere Wahl.«

Du irrst dich! wollte Shawn rufen. Wirklich in den Kampf ziehen… Mit irgendwelchen Volksliedern hat das überhaupt nichts zu tun. Im wirklichen Kampf droht einem der Tod. In Volksliedern braucht man sich nur einen Finger ins Ohr zu stecken und mit der nächsten Strophe zu beginnen. Aber auf einem Schlachtfeld singt niemand »Fiedelbumm trallala«. Auf dem Schlachtfeld erklingen die grausamen Melodien des Todes!

Statt dessen sagte Shawn:

»Aber wenn du nicht zurückkehrst…«

Magrat drehte sich im Sattel um.

»Ich kehre zurück.«

Shawn beobachtete, wie sie das träge Pferd antrieb und über die Zugbrücke ritt.

»Viel Glück!« rief er.

Dann ließ er das Fallgatter herab und kehrte in die Schloßküche zurück. Dort lagen drei Armbrüste schußbereit auf dem Tisch.

Daneben ruhte das Buch über Kampfkunst, von dem Shawn noch immer glaubte, daß es der König extra für ihn bestellt hatte.

Er legte einige Holzscheite ins Feuer, drehte den Stuhl zur Tür, griff nach dem Buch und schlug das Kapitel für Fortgeschrittene auf.

 

Magrat hatte die Hälfte des Weges zum Stadtplatz hinter sich gebracht, als der Adrenalinspiegel in ihrem Blut sank und das bisherige Leben zu ihr aufschloß.

Sie blickte an sich herab, sah Rüstung und Pferd und dachte: Ich bin übergeschnappt.

Der verdammte Brief ist schuld daran. Und ich hatte Angst. Außerdem wollte ich den Leuten zeigen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin. Jetzt können sie bald feststellen, daß ich gar nicht aus Holz bestehe, sondern aus Fleisch und Blut…

Bei den Elfen hatte ich einfach nur Glück. Und ich hab’ gehandelt, ohne nachzudenken. Wenn ich mit dem Nachdenken anfange, klappt’s nicht mehr. Bestimmt habe ich nicht noch einmal soviel Glück…

Glück?

Fast sehnsüchtig erinnerte sich Magrat an ihre vielen Talismane und anderen magischen Gegenstände, die nun auf dem Grund des Flusses lagen. Eigentlich hatten sie gar nicht funktioniert. Zumindest waren sie nicht imstande gewesen, Magrats Leben zu verbessern. Allerdings… Ein schrecklicher Gedanke regte sich nun in ihr: Vielleicht hatten sie verhindert, daß ihr Leben schlechter wurde.

Es brannten kaum Lichter in der Stadt, und die meisten Fensterläden waren geschlossen.

Die Hufe des Pferds klapperten laut auf dem Kopfsteinpflaster. Magrat spähte in die Schatten. Bis vor kurzer Zeit waren es einfach nur Schatten gewesen; jetzt mochten es Tore zum Irgendwo sein.

Von der Scheibenweltmitte her schoben sich Wolken heran. Magrat schauderte.

So etwas sah sie jetzt zum erstenmal.

Dies war eine wahre Nacht.

Bisher hatte es in Lancre nur immer ganz normale Nächte gegeben, doch in diesem Fall handelte es sich nicht nur um die Abwesenheit des Tages, um eine Zeit der Dunkelheit, regiert von Mond und Sternen. Diese Finsternis war das Echo von etwas, das existiert hatte, bevor man die Dunkelheit mit dem Nichtvorhandensein von Licht beschreiben konnte. Sie entfaltete sich aus Baumwurzeln, tropfte aus dem Innern von Steinen und kroch übers Land.

Jene Sachen, die Magrat einst für wichtig gehalten hatte, lagen nun auf dem Grund des Lancreflusses, aber mehr als zehn Jahre lang war sie Hexe gewesen, was bedeutete: Sie spürte den Schrecken in der Luft.

Einzelne Personen erinnern sich schlecht. Aber die Gesellschaft – der Schwarm – hat ein wesentlich besseres Gedächtnis. Es codiert die Informationen, um sie an der Zensur des Bewußtseins vorbeizuschmuggeln und sie von der Großmutter an den Enkel weiterzugeben, in Form von kleinen Stücken Unsinn, die es nicht zu vergessen lohnt. Manchmal benutzt die Wahrheit den einen oder anderen Trick, um die offiziellen Hüter der Information zu überlisten und sich selbst zu bewahren.

Und jetzt regten sich uralte Fragmente in Magrats Kopf, flüsterten und raunten…

Auf dem hohen Berge, auch im tiefen Tal…

Aus Gespenstergeschichten und Schauermärchen…

Meine Mutter sagte, ich soll nie…

Wir wagten nicht, auf die Jagd zu gehen, weil…

Geräusche im Dunkeln…

Spiel mit den Elfen im Wald…

Magrat saß auf einem Pferd, dem sie nicht traute, hielt ein Schwert in der Hand, mit dem sie nicht umzugehen wußte, während sich Erinnerungssplitter zusammenfügten und ein Bild ergaben.

Sie stehlen Vieh und kleine Kinder…

Sie stehlen Milch…

Sie lieben Musik und stehlen die Musiker…

Sie stehlen alles.

Nie können wir so frei sein wie sie, so schön wie sie, so klug wie sie, so leicht wie sie. Im Vergleich mit ihnen sind wir Tiere.

Kühler Wind rauschte im Wald hinter der Stadt. In früheren Nächten war es angenehm gewesen, dort spazierenzugehen, doch das konnte jetzt nicht mehr der Fall sein, wußte Magrat. Die Bäume hatten Augen bekommen; und bestimmt hörte man hier und dort lachende Stimmen.

Sie stehlen alles.

Magrat ließ das Pferd im Schritt gehen. Irgendwo im Ort fiel eine Tür ins Schloß.

Und sie geben uns Furcht.

Auf der anderen Straßenseite hämmerte es: Ein Mann nagelte dort etwas an die Tür. Erschrocken blickte er sich um, sah Magrat und sprang ins Haus.

Er hatte ein Hufeisen ans Holz nageln wollen.

Magrat rutschte vom Pferd und band es an einen Baum. Sie klopfte an, doch niemand öffnete.

Wer wohnte hier? Fuhrmann, der Weber, nicht wahr? Oder vielleicht Weber, der Bäcker?

»Mach auf! Ich bin’s, Magrat Knoblauch!«

Neben der Eingangsstufe bemerkte sie etwas Weißes.

Eine Schüssel stand dort. Mit Milch gefüllt.

Einmal mehr dachte Magrat an Greebo. Der Kater stank, war unzuverlässig, gemein und rachsüchtig – aber er konnte auch schnurren und bekam jeden Abend einen Napf mit frischer Milch.

»Habt ihr nicht gehört? Öffnet endlich!«

Nach einer Weile wurde der Riegel beiseite geschoben, und ein Auge erschien an einem sehr winzigen Spalt.

»Ja?«

»Du bist Fuhrmann, der Bäcker, nicht wahr?«

»Ich bin Weber, der Dachdecker.«

»Und weißt du, wer ich bin?«

»Fräulein Knoblauch?«

»Laß mich rein!«

»Bist du allein?«

»Ja.«

Der Spalt verbreiterte sich, bis er Magrat genug Platz bot.

Im Zimmer dahinter brannte eine Kerze. Weber wich zurück, bis er auf eine ziemlich unbequeme Weise am Tisch lehnte. Magrat sah an ihm vorbei.

Die übrigen Familienmitglieder hockten unterm Tisch. Vier Augenpaare blickten furchtsam zu Magrat auf.

»Was geht hier vor?« fragte sie.

»Äh…«, antwortete Weber. »Habe dich mit dem Flügelhelm zuerst nicht erkannt, Fräulein…«

»Solltest du nicht bei der Vorstellung sein? Was ist passiert? Wo sind denn alle? Wo ist mein zukünftiger Gemahl?«

»Äh…«

Ja, wahrscheinlich lag es tatsächlich am Helm. Das vermutete Magrat später. Bestimmte Gegenstände – zum Beispiel Schwerter, Zaubererhüte, Kronen und Ringe – übernehmen etwas vom Wesen ihrer Eigentümer. Königin Ynci hatte wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben keine Tapisserie gesehen, und zweifellos war ihr Vorrat an Geduld schon nach kurzer Zeit zur Neige gegangen, möglicherweise bereits nach einigen New Yorker Sekunden.* Derzeit hielt es Magrat für besser zu glauben, daß der Helm tatsächlich etwas von Yncis Selbst beinhaltete – etwas, das sich nun wie eine ansteckende Krankheit auf sie übertrug. Mit Situationen wie der gegenwärtigen kam Ynci sicher besser zurecht.

Sie packte Weber am Kragen.

»Wenn du noch einmal ›äh‹ sagst, hacke ich dir die Ohren ab.«

»Äh… oh, ich meine… es sind die Herren und Herrinnen, Fräulein Königin!«

»Es stecken wirklich die Elfen dahinter?«

»Bitte!« stieß Weber flehentlich hervor. »Nenn nicht den Namen! Wir haben gehört, wie sie durch die Straßen zogen, Dutzende von ihnen. Sie haben die Kuh des alten Dachdeckers gestohlen, und dann auch noch Skindels Ziege. Sie brachen Türen auf und…«

»Warum hast du eine Schüssel mit Milch nach draußen gestellt?« fragte Magrat.

Webers Mund öffnete und schloß sich mehrmals. »Weißt du«, brachte er schließlich hervor, »meine Eva sagte, daß ihre Oma immer eine kleine Schüssel mit Milch für sie rausgestellt hat, damit sie sich freuen und zufrie…«

»Ich verstehe«, unterbrach Magrat den Mann kühl. »Und der König?«

»Der König?« wiederholte Weber, um etwas Zeit zu gewinnen.

»Der König«, bestätigte Magrat. »Eher klein, tränende Augen, abstehende Ohren – im Gegensatz zu jemandem, der gleich keine Ohren mehr haben wird.«

Webers Finger waren ständig nervös in Bewegung, wie Schlangen, die nicht genau wußten, in welche Richtung sie fliehen sollten.

»Nun… nun… nun…«

Er sah Magrats Gesichtsausdruck und gab nach.

»Das Stück wurde aufgeführt«, sagte er. »Mehrmals habe ich vorgeschlagen, statt dessen den Stock-und-Eimer-Tanz zu tanzen, aber sie wollten nicht auf mich hören. Ja, und deshalb führten wir das Stück auf, und zuerst ging alles gut, und dann, und dann, und dann… Plötzlich erschienen sie, zu Hunderten, und alle liefen weg, und jemand rempelte mich an und da bin ich in den Fluß gefallen, und dann gab’s überall diese komischen Geräusche, und ich sah, wie Jason Ogg vier Elfen niederschlug, und zwar mit dem ersten Gegenstand, den er zur Hand bekam…«

»Mit einem anderen Elfen?«

»Ja, und dann fand ich Eva und die Kinder, und viele Leute flohen nach Hause, und wir begegneten ihnen, sie saßen auf Pferden, und ich hörte sie lachen, und schließlich trafen wir hier ein, und Eva meinte, ich sollte ein Hufeisen an die Tür nageln, und…«

»Was ist mit dem König?«

»Keine Ahnung. Als ich ihn zum letztenmal sah, lachte er über Dachdeckers Strohperücke.«

»Und Nanny Ogg und Oma Wetterwachs? Was ist mit ihnen passiert?«

»Weiß nicht. Hab’ sie nirgends gesehen. Überall hat es von Leuten gewimmelt, die versuchten, sich in Sicherheit zu bringen…«

»Und wo hat sich das alles ereignet?«

»Bitte?«

»An welchem Ort begann das Chaos?« fragte Magrat und versuchte, möglichst deutlich zu sprechen.

»Bei den Tänzern. Du weißt schon. Die alten Steine und so.«

Magrat ließ den Mann los.

»Ja«, murmelte sie in sich hinein. »Erzählt Magrat nichts. Sie braucht von dieser Sache nichts zu erfahren. Die Tänzer, wie? Na schön.«

»Uns trifft keine Schuld. Ich meine, wir haben nur unsere Rollen gespielt. Es ging uns nicht darum, sie zu rufen.«

»Ha!«

Magrat öffnete die Tür.

»Wohin willst du?« fragte Weber, der bei einem Wettbewerb für schnelles Begreifen nicht einmal einen Trostpreis bekommen hätte.

»Wohin wohl?«

»Aber du kannst kein Eisen…«

Magrat warf die Tür hinter sich zu und trat so wütend nach der Milch, daß die Schüssel bis zur anderen Straßenseite flog.

 

Jason Ogg kroch vorsichtig durch den nassen Adlerfarn. Knapp zwei Meter entfernt hockte eine Gestalt. Nanny Oggs Sohn hob den Stein…

»Jason?«

»Bist du das, Weber?«

»Nein, ich bin’s, Schneider.«

»Wo sind die anderen?«

»Kesselflicker und Bäcker haben eben Tischler gefunden. Hast du Weber gesehen?«

»Nein, dafür aber Fuhrmann und Dachdecker.«

Dunstwolken schwebten durch die Luft, als Regentropfen auf warmen Boden pochten. Die sieben überlebenden Moriskentänzer versammelten sich an einem tropfnassen Busch.

»Morgen früh werden wir unser blaues Wunder erleben«, stöhnte Fuhrmann. »Wenn sie uns erwischt, zieht sie uns bestimmt das Fell über die Ohren.«

»Wir müssen Eisen finden, um uns zu schützen«, sagte Jason.

»Eisen hat auf sie überhaupt keine Wirkung! O Mann, sie wird uns durch die Mangel drehen…«

Fuhrmann zog die Knie an und schlang entsetzt die Arme darum.

»Wer?«

»Frau Wetterwachs!«

Dachdecker stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. Regenwasser spritzte von den nahen Blättern und floß ihnen allen in den Nacken.

»Sei nicht dumm! Du hast diese Dinger doch auch gesehen! Was spielt die alte Vettel da noch für eine Rolle?«

»Sie wird uns das Fell über die Ohren ziehen, jawohl! Bestimmt gibt sie uns die Schuld an allem!«

»Hoffentlich bekommt sie Gelegenheit dazu«, murmelte Kesselflicker.

»Wir sitzen ganz schön in der Tinte«, stellte Dachdecker fest.

»Nein«, widersprach Fuhrmann. »Wir sitzen nicht in der Tinte, sondern im Regen. Der Unterschied besteht darin, daß der Regen nicht ganz so schwarz ist. Ja, wir sitzen im Regen und bei diesem Busch hier! Und sie suchen uns! Und vielleicht finden sie uns bald!«

»Was ist eigentlich bei der Vorstellung passiert?« fragte Tischler.

»Wen interessiert jetzt noch, was bei der Vorstellung passiert ist?« erwiderte Jason. »Eine viel wichtigere Frage lautet: Wie kommen wir nach Hause?«

»Bestimmt wartet sie auf uns«, jammerte Fuhrmann.

Es klimperte in der Dunkelheit.

»Was ist das?« fragte Jason.

»Der Sack mit den Requisiten«, erwiderte Fuhrmann. »Du hast gesagt, es sei meine Aufgabe, mich um den Sack mit den Requisiten zu kümmern.«

»Hast du ihn bis hierher mitgeschleppt?«

»Ich wollte auf keinen Fall in Schwierigkeiten geraten, weil ich Requisiten verliere oder so.«

Fuhrmann zitterte.

»Zu Hause bitte ich unsere Mama, dir ein paar dieser neuen getrockneten Froschpillen zu besorgen«, meinte Jason.

Er zog den Sack zu sich heran und öffnete ihn.

»Hier sind Glöckchen drin«, sagte er. »Und Stöcke. Wer hat dir gesagt, daß du das Akkordeon mitnehmen sollst?«

»Ich dachte, wir tanzen vielleicht den Stock-und…«

»Nie wieder wird der Stock-und…«

Irgendwo am regennassen Hang lachte jemand, und es raschelte im Adlerfarn. Jason fühlte sich plötzlich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.

»Sie sind da draußen!« brachte Fuhrmann hervor.

»Und wir haben keine Waffen«, fügte Kesselflicker hinzu.

Mehrere Messingglocken trafen ihn an der Brust.

»Sei still«, sagte Jason. »Und leg die Glocken an. Fuhrmann?«

»Sie warten auf uns!«

»Um keinen Zweifel daran zu lassen…«, brummte Jason. »Dies ist das allerletztemal, daß wir den Stock-und-Eimer-Tanz tanzen, klar?«

 

Die Moriskentänzer von Lancre wandten sich einander zu. Die vom Regen durchnäßte Kleidung klebte ihnen auf der Haut.

Bei Fuhrmann vermischten sich Tränen des Entsetzens mit Make-up und Regenwasser, als er das Akkordeon zusammendrückte. Es erklang jener in die Länge gezogene Ton, der allen Volksliedern vorausgehen muß – damit Unschuldige, die sich zufällig in der Nähe befinden, die Chance bekommen, rechtzeitig zu fliehen.

Jason hob die Hand und zählte an den Fingern.

»Eins, zwei…« Er runzelte die Stirn. »Eins, zwei, drei…«

»Vier…«, flüsterte Kesselflicker.

»Vier«, sagte Jason. »Und los geht’s!«

Sechs große Stöcke klackten über sechs Köpfen aneinander.

»Eins, zwei, nach vorn, eins, zurück, und drehen…«

Die ersten Klänge von Frau Stubenreins Untermieter tönten durch den Dunst. Die Tänzer sprangen und quatschten durch die Nacht.

»… zwei, drei, und springen…«

Erneut hämmerten die Stöcke aneinander.

»Sie beobachten uns«, schnaufte Schneider, als er an Jason vorbeihüpfte. »Ich kann sie sehen!«

»Eins, zwei… Sie unternehmen nichts, solange die Musik erklingt! Zurück, zwei, und drehen… Sie lieben Musik… Und vorwärts, und zurück, und drehen… Eins und sechs, hebt die Quadratlatschen. Und springen, und drehen…«

»Sie kommen aus dem Adlerfarn!« rief Tischler, als die Stöcke pochten.

»Ja, ich sehe sie… Zwei, drei, vorwärts und zurück… Fuhrmann – zurück und drehen – du tanzt durch die Mitte, und los…«

»Ich komme aus dem Rhythmus, Jason!«

»Reiß dich zusammen! Zwei, drei, und drehen…«

»Sie sind überall um uns herum!«

»Du sollst tanzen

»Sie beobachten uns! Und sie kommen näher!«

»… drehen und zurück, springen… Wir haben fast die Straße erreicht…«

»Jason!«

»Erinnert ihr euch daran, als wir – zwei, drei – als wir den Pokal gegen die ohulanischen Aus-Spaß-an-der-Freud-Musikanten gewannen? Und drehen…«

Die Stöcke knallten aneinander. Füße traten Erdklumpen in die Luft.

»Jason, du meinst doch nicht etwa…«

»Zurück, zwei… los…«

»Fuhrmann – eins, zwei – gerät außer Atem…«

»… zwei, und drehen…«

»Das Akkordeon löst sich in seine Einzelteile auf, Jason«, schluchzte Fuhrmann.

»Eins, zwei, und nach vorn…«

Das Akkordeon keuchte. Und die Elfen kamen noch etwas näher. Aus den Augenwinkeln sah Jason ein Dutzend lächelnde, faszinierte Gesichter.

»Jason!«

»…eins, zwei… Fuhrmann in die Mitte… eins, zwei, drehen…«

Sieben Stiefelpaare stampften auf den Boden.

»Jason!«

»Eins, zwei, drehen… haltet euch bereit… eins, zwei… zurück, zurück… eins, zwei, drehen… TÖTEN… und zurück, eins, zwei…«

 

Die Taverne glich einem Trümmerhaufen. Die Elfen hatten alle eßbaren Dinge hervorgeholt und jedes Faß geöffnet. Nur einem sehr reifen Käse im Keller war es gelungen, ihnen erfolgreich Widerstand zu leisten.

Lords und Ladies
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