Es war eine mondlose Nacht, bestens geeignet für die Zwecke von Fester Fanggut.

Er fischte Neugierige Tintenfische. Man nannte sie so, weil sie nicht nur Tintenfische waren, sondern auch neugierig. Ihre Neugier konnte bemerkenswerte Ausmaße annehmen.

Zuerst wurden die Tintenfische auf die Laterne neugierig, die Fester Fanggut am Heck des Bootes aufhängte. Kurz darauf galt ihre Neugier der Tatsache, daß manche Artgenossen plötzlich mit einem Platschen himmelwärts verschwanden.

Einige von ihnen wurden für sehr kurze Zeit auf das spitze Ding mit Widerhaken neugierig, das sich ihnen schnell näherte.

Die Neugierigen Tintenfische waren extrem neugierig. Leider verstanden sie es nicht, die Dinge richtig miteinander in Verbindung zu bringen.

Es dauerte recht lange, um das weit entfernte Fanggebiet zu erreichen, aber für Fester Fanggut lohnte sich die Reise. Die Neugierigen Tintenfische waren klein, harmlos und schwer zu finden. Kenner behaupteten, auf der ganzen Scheibenwelt gäbe es keine Geschöpfe, die schlechter schmeckten. Das machte sie zu sehr begehrten Spezialitäten in bestimmten Restaurants, deren hochbegabte Chefköche mit großer Mühe Speisen kreierten, die überhaupt keine Neugierigen Tintenfische enthielten.

In dieser mondlosen Nacht hatte Fester Fanggut ein Problem. Während der Laichzeit waren die Neugierigen Tintenfische besonders neugierig, aber diesmal schienen die Chefköche im Meer am Werk gewesen zu sein.

Weit und breit gab es keine neugierig blickenden Augen. Auch die übrigen Bewohner des Ozeans glänzten durch Abwesenheit, obwohl sich immer einige vom Licht anlocken ließen. Fester sah nur einen einzigen Fisch schnurgerade durchs Wasser schwimmen, und zwar ziemlich schnell.

Er legte den Dreizack beiseite und trat zum anderen Ende des Bootes. Dort blickte sein Sohn Les aufmerksam über das vom Laternenschein erhellte Meer.

»Seit einer halben Stunde zeigt sich gar nichts mehr«, sagte Fester.

»Bist du ganz sicher, daß wir hier an der richtigen Stelle sind, Vater?«

Fester sah zum Horizont. Ein vages Glühen am Himmel wies auf die Stadt Al-Khali an der klatschianischen Küste hin. Er drehte sich um. Der Horizont auf der anderen Seite zeigte ein ähnliches Glühen, das von Ankh-Morpork stammte. Das Boot befand sich auf halbem Weg zwischen den beiden Metropolen.

»Natürlich bin ich mir sicher«, erwiderte Fester, aber die Gewißheit floh aus seiner Stimme.

Eine sonderbare Stille herrschte. Irgend etwas stimmte nicht. Das Boot schwankte ein wenig, aber das lag an den Bewegungen der beiden Insassen.

Es fühlte sich an, als stünde ein Unwetter bevor. Doch am Himmel funkelten die Sterne, und nirgends waren Wolken zu sehen.

Die Sterne funkelten auch auf dem Wasser. Nun, das sah man nicht alle Tage.

»Ich schätze, wir sollten besser von hier verschwinden«, sagte Fester.

Les deutete auf das schlaffe Segel. »Und woher nehmen wir den Wind, Vater?«

In diesem Augenblick hörten sie das Platschen von Rudern.

Fester Fanggut spähte übers Meer und erkannte die Umrisse eines anderen Bootes, das sich ihnen näherte. Er griff nach dem Bootshaken.

»Ich weiß, daß du das bist, du diebischer ausländischer Mistkerl!«

Die Ruder verharrten. Eine Stimme rief übers Wasser.

»Mögen dich tausend Dämonen verschlingen, du Elender!«

Das andere Boot glitt näher. Mit den aufgemalten Augen am Bug sah es sehr fremdartig aus.

»Hast du sie alle weggefischt, was? Ich durchbohre dich mit meinem Dreizack, du hinterhältiger Dreckskerl!«

»Mein krummes Schwert sollst du am Hals spüren, du unreiner Sohn einer noch viel unreineren Frau!«

Les blickte über den Rand des Bootes. Kleine Luftblasen stiegen empor und zerplatzten an der Meeresoberfläche.

»Vater?« sagte er.

»Das ist der Schmierige Arif da draußen!« donnerte Fester. »Sieh ihn dir gut an! Seit Jahren kommt er hierher und stiehlt unsere Tintenfische, der verlogene kleine Teufel!«

»Vater, das Meer…«

»Nimm du die Ruder, und ich schlage ihm die schwarzen Zähne aus!«

Les hörte eine Stimme von dem anderen Boot. »… siehst du, mein Sohn, wie der niederträchtige Fischdieb…«

»Ruder!« rief Fester.

»An die Ruder!« rief jemand im anderen Boot.

»Wem gehören die Tintenfische, Vater?« fragte Les.

»Uns

»Was, bevor wir sie gefangen haben?«

»Sei still und ruder!«

»Ich kann das Boot nicht bewegen, Vater. Wir sitzen an irgend etwas fest!«

»Hier ist das Meer hundert Faden tief, Junge! Woran sollten wir festsitzen?«

Les versuchte, ein Ruder aus dem Etwas zu ziehen, das sich aus dem sprudelnden Meer erhob.

»Sieht wie ein… Huhn aus, Vater!«

Unterhalb der Meeresoberfläche hörten sie ein Geräusch. Es klang nach einem Gong oder einer Glocke, die langsam hin und her schwang.

»Hühner können nicht schwimmen!«

»Dieses Huhn besteht aus Eisen, Vater!«

Fester eilte zum Heck des Bootes.

Es schien tatsächlich ein Huhn aus Eisen zu sein. Es trug einen Mantel aus Tang und Muscheln. Wasser tropfte herab, als sich das Ding den Sternen entgegenreckte.

Das Gebilde hockte auf einer kreuzförmigen Hühnerstange.

Buchstaben bildeten die vier Enden des Kreuzes.

Fester hielt die Laterne etwas näher.

»Was zum…«

Hastig zog er das Ruder frei und setzte sich neben seinen Sohn.

»Ruder, was das Zeug hält, Les!«

»Was ist denn los, Vater?«

»Sei still und ruder! Wir müssen so schnell wie möglich fort von hier!«

»Kommt ein Ungeheuer aus dem Meer, Vater?«

»Etwas viel Schlimmeres als ein Ungeheuer!« rief Fester, als die Ruder durchs Wasser pflügten.

Das Objekt hatte inzwischen eine eindrucksvolle Höhe erreicht. Offenbar stand es auf einer Art Turm…

»Was ist es, Vater? Was ist es

»Ein verdammter Wetterhahn!«

 

Im großen und ganzen hielt sich die geologische Aufregung in Grenzen. Das Versinken von Kontinenten geht für gewöhnlich einher mit Vulkanausbrüchen, Erdbeben und ganzen Flotten von kleinen Booten, mit denen alte Männer aufbrechen, um Pyramiden und mystische Steinkreise in irgendeinem neuen Land zu bauen, wo die Verwalter von uralter okkulter Weisheit darauf hoffen dürfen, daß sie auf junge Frauen attraktiv wirken. Doch das Aufsteigen dieser Landmasse verursachte kaum Störungen in der allgemeinen Struktur. Sie schlich an ihren alten Platz zurück, wie eine Katze, die einige Tage fort gewesen ist und weiß, daß man sich wegen ihr Sorgen gemacht hat.

An den Küsten des Runden Meers schlug eine große Welle auf – als diese das Ufer erreichte, war sie nur noch etwas mehr als anderthalb Meter hoch –, die ein wenig Aufsehen erregte. In manchen sehr tief gelegenen Sumpfregionen wurden einige Dörfer überschwemmt, aber dort wohnten ohnehin nur Leute, um die sich niemand scherte. Rein geologisch gesehen, geschah nicht sehr viel.

Rein geologisch gesehen.

 

»Es ist eine Stadt, Vater! Sieh nur all die Fenster und…«

»Du sollst still sein und rudern!«

Meerwasser floß über die Straßen. Auf beiden Seiten stiegen große, algenverkrustete Gebäude aus den brodelnden Fluten.

Vater und Sohn versuchten, das Boot zu stabilisieren, als es von den Fluten mitgerissen wurde. Unglücklicherweise blickten sie beim Rudern in die falsche Richtung, weshalb sie das andere Boot zu spät bemerkten.

»Irrer!«

»Dummkopf!«

»Rühr das Gebäude nicht an! Dieses Land gehört Ankh-Morpork!«

Die beiden Boote drehten sich auf einem kurzlebigen Strudel.

»Im Namen des Serifen von Al-Khali erhebe ich Anspruch auf dieses Land!«

»Wir haben es zuerst gesehen! Les, sag ihm, daß wir es zuerst gesehen haben!«

»Wir haben es zuerst gesehen, bevor ihr es zuerst gesehen habt!«

»Les, du bist Zeuge, er hat versucht, mich mit dem Ruder zu schlagen!«

»Aber Vater, so wie du den Dreizack schwingst…«

»Sieh nur die alles andere als vertrauenswürdige Art, in der er uns angreift, Akhan!«

Unter dem Kiel der beiden Boote knirschte es. Sie neigten sich zur Seite und sanken dabei in den Schlamm des einstigen Meeresgrunds.

»Da drüben steht eine interessante Statue, Vater…«

»Er hat seinen Fuß auf klatschianischen Boden gesetzt! Der Tintenfischdieb!«

»Nimm die schmutzigen Sandalen vom Territorium Ankh-Morporks!«

»Oh, Vater

Die beiden Fischer schrien sich nicht mehr an, hauptsächlich deshalb, weil sie Luft holen mußten. Krabben krabbelten davon. Wasser floß von Tangfladen und schuf Rinnen im grauen Schlick.

»Da drüben gibt es bunte Fliesen…«

»Es gehört mir!«

»Nein, mir

Les sah Akhan an. Sie wechselten einen sehr kurzen Blick, der trotzdem viele Informationen übermittelte, vor allem die enorme Verlegenheit darüber, einen Vater zu haben.

»Vater, es ist nicht nötig, daß wir…«, begann Les.

»Sei still, Junge! Es geht um deine Zukunft…«

»Ja, aber was spielt es für eine Rolle, wer dieses Land zuerst gesehen hat, Vater? Wir sind beide mehrere hundert Meilen von der Heimat entfernt! Ich meine, wer weiß denn von dieser Sache?«

Die beiden Fischer starrten sich an.

Um sie herum ragten tropfnasse Gebäude empor. Sie hatten Löcher, die einst Türen gewesen sein mochten, und glaslose Öffnungen, die vielleicht einmal als Fenster gedient hatten. Doch in ihrem Innern blieb es finster. Les glaubte, dann und wann Geräusche zu hören, die auf etwas Rutschendes oder Kriechendes hindeuteten.

Fester Fanggut hüstelte. »Der Junge hat recht«, brummte er. »Wie dumm, uns zu streiten. Wir sind hier doch nur zu viert.«

»Ja«, bestätigte Arif.

Sie wichen zurück, wobei jeder Mann den anderen genau im Auge behielt. Und dann riefen beide fast gleichzeitig: »Schnappen wir uns das Boot!«

Nach einigen Sekunden des Durcheinanders liefen und rutschten zwei Paare durch die schlammigen Straßen, jeweils mit einem Boot über den Köpfen.

Kurz darauf kehrten sie zurück, um ihre richtigen Söhne zu holen, und man hörte ein zweistimmiges: »Ein Entführer obendrein, wie?«

Wie alle Fachleute von Forschungsreisen und Entdeckungen wissen: Den Preis bekommt nicht etwa der Forscher, der als erster seinen Fuß auf jungfräulichen Boden setzt, sondern derjenige, der eben diesen Fuß als erster nach Hause bringt. Er kann von Glück sagen, wenn der Fuß dann noch am Bein befestigt ist.

 

Die Wetterhähne von Ankh-Morpork drehten sich knarrend in den Wind.

Nur wenige von ihnen repräsentierten die Gattung Avis domestica. Es gab Darstellungen von Drachen, Fischen und anderen Tieren. Auf dem Dach der Assassinengilde quietschte ein Mitglied mit Dolch und Mantel in eine neue Position. Bei der Bettlergilde streckte ein Blechbettler dem Wind die Hand entgegen und bat um eine Münze. Bei der Fleischergilde schnüffelte ein kupfernes Schwein. Auf dem Dach der Diebesgilde drehte sich ein echter, wenn auch ziemlich toter, nicht lizensierter Dieb, was beweist, wozu man fähig sein kann, wenn man sich wirklich Mühe gibt – oder wenn man ohne Lizenz zu stehlen versucht.

Der Wetterhahn auf dem kuppelförmigen Dach der Universitätsbibliothek ging nach und würde die Veränderung erst in einer halben Stunde anzeigen.

Der Geruch des Meeres trieb über die Stadt.

Auf dem Hiergibt’salles-Platz fanden Volksredner immer wieder ein interessiertes Publikum, vielleicht deshalb, weil die »Volksreden« in den meisten Fällen auf Schimpfkanonaden und Haßtiraden hinausliefen. Manchmal war es auch das selbstvergessene Murmeln von Leuten, die hier und dort wie verträumt durch die Menge wandelten. Aber sie bildeten die Ausnahme. Der Tradition zufolge entwickelte die Rhetorik der Volksredner maximale Lautstärke: Die betreffenden Personen schrien aus vollem Hals. Es hieß, daß der Patrizier diesem Brauch wohlwollend gegenüberstand. Er fand ihn so wichtig, daß seine Beauftragten aufmerksam zuhörten und sich Notizen machten.

Auch die Wache ließ es nicht an Aufmerksamkeit mangeln.

Von Herumspionieren konnte in diesem Zusammenhang keine Rede sein, sagte sich Kommandeur Mumm. Man spionierte herum, wenn man an Mauern entlangschlich und heimlich durch Fenster blickte. In diesem Fall mußte man zurückweichen, um nicht taub zu werden.

Ohne hinzusehen, streckte er die Hand aus und entzündete ein Streichholz an Feldwebel Detritus.

»Das ich gewesen bin«, sagte der Troll vorwurfsvoll.

»Entschuldigung, Feldwebel«, erwiderte Mumm und hob das brennende Streichholz an die Zigarre.

»Es kein Problem sein.«

Ihre Blicke kehrten zu den Rednern zurück.

Es ist der Wind, dachte Mumm. Er bringt etwas Neues…

Normalerweise faselten die Redner von vielen verschiedenen Dingen, wobei sich die meisten Themen am Rand des Wahnsinns aufhielten oder in den friedlichen Tälern jenseits davon wurzelten. Doch jetzt schienen sie alle von einer fixen Idee besessen zu sein.

»… wird es Zeit, daß wir ihnen eine Lektion erteilen!« heulte der nächste Redner. »Warum hören unsere sogenannten Herren nicht auf die Stimme des Volkes? Ankh-Morpork hat genug von den angeberischen Banditen! Sie stehlen unseren Fisch, sie stören unseren Handel, und jetzt nehmen sie uns auch noch das Land weg!«

Es wäre besser gewesen, wenn die Leute gejubelt hätten, fand Mumm. Das Publikum jubelte fast immer, ganz gleich, worum es ging – es machte einfach mehr Spaß, wenn man die Redner anfeuerte. Doch in diesem Fall blieben die Zuhörer stumm und nickten. Sie schienen tatsächlich über die Worte des Redners nachzudenken…

»Sie haben meine Waren gestohlen!« rief ein anderer Redner. »Es ist ein verdammtes Piratenreich! Sie haben mein Schiff geentert! In den Gewässern von Ankh-Morpork!«

Die Antwort war ein allgemeines selbstgerechtes Murmeln.

»Was haben sie dir gestohlen, Herr Jenkins?« fragte jemand aus der Menge.

»Eine Ladung erlesener Seide!«

Die Zuhörer schnappten empört nach Luft.

»Ach? Keine getrockneten Fischinnereien und für den Verzehr ungeeignetes Fleisch? Das ist doch deine normale Fracht, oder?«

Herr Jenkins reckte den Hals, um zu sehen, von wem diese Worte stammten.

»Erlesene Seide!« wiederholte er. »Und schert sich die Stadt darum? Nein!«

»Eine Schande!« tönte es hier und dort.

»Wurde das Verbrechen der Stadt mitgeteilt?« fragte jemand.

Nicht nur Herr Jenkins reckte den Hals, sondern auch einige der Zuhörer. Und dann wichen die Leute beiseite, als sie Kommandeur Mumm von der Stadtwache erkannten.

»Nun, ich…«, begann Jenkins. »Äh… ich…«

»Ich schere mich um so etwas«, betonte Mumm. »Es dürfte eigentlich nicht weiter schwierig sein, eine Ladung erlesene Seide zu finden, die nach Fischinnereien stinkt.« Gelächter erklang. Die Bürger von Ankh-Morpork mochten Abwechslung bei ihrem Straßentheater.

Mumm wandte sich an Feldwebel Detritus, während sein Blick auf Jenkins gerichtet blieb. »Detritus, bitte begleite Herrn Jenkins. Sein Schiff ist die Milka, glaube ich. Er wird dir Frachtbriefe, Rechnungen und Empfangsbescheinigungen und dergleichen zeigen. Es dauert bestimmt nicht lange, dieser Sache auf den Grund zu gehen.«

Mit einem lauten Klong stieß Detritus’ Hand an den Helm.

»Jawohl, Herr Kommandeur!«

»Äh… äh… das geht nicht«, brachte Jenkins hervor. »Sie, äh… haben auch die Frachtpapiere und alle anderen Unterlagen gestohlen…«

»Wirklich? Damit sie das Zeug im Laden umtauschen können, wenn es nicht paßt?«

»Äh… und außerdem ist das Schiff wieder in See gestochen. Ja, genau! Ich muß versuchen, die erlittenen Verluste auszugleichen!«

»Das Schiff ist ohne seinen Kapitän aufgebrochen?« erkundigte sich Mumm. »Vermutlich steht es unter dem Befehl des Ersten Offiziers Skoplett?«

»Ja, ja…«

»Na so was!« Mumm schnippte übertrieben mit den Fingern. »Der Mann, den wir in der vergangenen Nacht wegen frecher Betrunkenheit eingesperrt haben… Ich schätze, wir müssen ihm auch noch zur Last legen, daß er einen falschen Namen benutzt hat. Das bedeutet mehr verdammten Papierkram für uns. Die Aktenberge werden immer höher…«

Jenkins versuchte, sich vom Kommandeur abzuwenden, aber Mumm hielt seinen Blick fest. Das Zittern seiner Lippen deutete darauf hin, daß er eine scharfe Antwort vorbereitete, doch er gelangte noch rechtzeitig zu folgender Erkenntnis: Mumms Grinsen war ebenso humorvoll wie jenes, das sich einem Ertrinkenden ziemlich schnell nähert und oben mit einer Flosse ausgestattet ist.

Jenkins traf die kluge Entscheidung, seine Rede zu beenden. »Ich… äh… ich gehe jetzt besser und… äh… ja, ich gehe jetzt und kümmere ich mich um… äh…« Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und verschwand. Das Publikum blieb noch ein wenig, in der Hoffnung, daß sich weitere interessante Dinge zutrugen. Als nichts geschah, machten sich die Leute enttäuscht auf die Suche nach anderer Unterhaltung.

»Du möchtest, daß ich mir ansehe das Boot?« fragte Detritus.

»Nein, Feldwebel. Es gibt weder Seide noch Frachtpapiere an Bord, nur den allgegenwärtigen Geruch von Fischinnereien.«

»Meine Güte. Die verdammten Klatschianer alles stehlen, was nicht festgenagelt ist, wie?«

Mumm schüttelte den Kopf und schlenderte weiter. »Es gibt keine Trolle in Klatsch, oder?«

»Nein. Es liegen an der Hitze. Troll-Gehirne in Hitze nicht funktionieren. Wenn ich nach Klatsch ginge«, sagte Detritus, und seine Fingerknöchel strichen mit einem leisen Plock-plock übers Kopfsteinpflaster, »ich richtig dumm wäre.«

»Detritus?«

»Ja, Herr Kommandeur?«

»Geh nie nach Klatsch.«

»Nein, Herr Kommandeur.«

Ein anderer Redner hatte ein wesentlich größeres Publikum angelockt. Er stand vor einem großen Spruchband, das verkündete: DREKIGE AUSLENDISCHE FINGER WEG VON LESHP.

»Leshp«, sagte Detritus. »Das ein Name sein, der sich sofort festbeißen.«

»So heißt das Land, das aus dem Meer aufgestiegen ist«, erklärte Mumm niedergeschlagen.

Sie hörten zu, als der Redner von Ankh-Morporks Pflicht sprach, die Blutsverwandten auf dem neuen Land zu schützen. Detritus wirkte verwirrt.

»Wie es sein kann, daß es gibt dort Blutsverwandte, obwohl das Land gerade erst kam aus dem Meer?« brummte er.

»Gute Frage«, erwiderte Mumm.

»Haben sie angehalten den Atem?«

»Das bezweifle ich.«

Es liegt mehr in der Luft als nur das Salz des Meeres, dachte Mumm. Etwas bahnte sich an. Er spürte es ganz deutlich. Es gab ein neues Problem, und es hieß Klatsch.

Seit fast einem Jahrhundert herrschte Frieden – oder zumindest ein Zustand des Nichtkrieges – zwischen Ankh-Morpork und Klatsch. Immerhin war es ein benachbartes Land.

Nachbarn – ha! Was bedeutete das? Die Wache konnte das eine oder andere über Nachbarn erzählen. Genauso die Rechtsanwälte, insbesondere die Reichen unter ihnen: Für sie war ein »Nachbar« jemand, der nicht davor zurückschreckte, für einen fünf Zentimeter breiten Gartenstreifen zwanzig Jahre lang zu prozessieren. Die Leute lebten viele Jahre lang friedlich nebeneinander und nickten sich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit zu. Und dann geschah irgend etwas Banales, mit dem Ergebnis, daß sich jemand eine Mistgabel aus dem Ohr entfernen lassen mußte.

Jetzt war irgendein verdammter Felsen aus dem Meer aufgestiegen, und alle verhielten sich so, als hätten Klatsches Hunde die ganze Nacht gebellt.

»Aagragaah«, sagte Detritus kummervoll.

»Nimm keine Rücksicht auf mich«, sagte Mumm. »Spuck mir nur nicht auf die Stiefel.«

»Ich meine…« Detritus hob seine große Hand und gestikulierte. »Ich meine, es sein wie bei den Dingen, wo eins und eins…« Er zögerte und blickte auf die Finger, während sich seine Lippen bewegten. »… zwei ergeben. Aagragaah. Wortwörtlich damit gemeint sein die Zeit, wenn man sieht kleine Kieselsteine und weiß, gleich es kommen zu einem Erdrutsch, und man nicht mehr kann rechtzeitig weglaufen. Einen solchen Moment man nennt Aagragaah.«

Mumms Lippen bewegten sich ebenfalls. »Meinst du vielleicht Vorahnung

»Ja, genau das ich meine.«

»Woher stammt das Wort?«

Detritus zuckte mit den Schultern. »Vielleicht es zurückgeht auf das Geräusch, das man von sich gibt, wenn man wird begraben unter tausend Tonnen Fels.«

»Vorahnung…« Mumm rieb sich das Kinn. »Ja. Nun, ich habe jede Menge Vorahnungen…«

Erdrutsche und Lawinen, dachte er. Schneeflocken fallen, jede von ihnen leicht wie eine Feder. Aber dann gerät plötzlich ein ganzer Berghang in Bewegung…

Detritus richtete einen schlauen Blick auf Mumm. »Ich wissen, daß die Leute sagen: ›Wenn Dummheit weh täte, müßte Detritus den ganzen Tag schreien.‹ Aber mir bekannt sein, aus welcher Richtung weht der Wind.«

Mumm musterte den Troll mit neuem Respekt.

»Du weißt wirklich Bescheid, nicht wahr?«

Detritus klopfte sich mit einem wissenden Finger an den Helm.

»Es ist doch ganz klar«, sagte er. »Du kennen auf den Dächern die kleinen Hähne und Drachen und so? Und den armen Teufel auf dem Dach der Diebesgilde? Man sie nur gut beobachten muß. Sie wissen Bescheid. Ich mich fragen, wieso sie immer in die richtigen Richtung zeigen.«

Mumm entspannte sich ein wenig. Wenn man die Maßstäbe von Trollen anlegte, gab es an Detritus’ Intelligenz nichts auszusetzen: Sie rangierte irgendwo zwischen der eines Kuttelfisches und eines Drahtseilakrobaten. Wenigstens durfte man darauf vertrauen, daß er sich davon nicht belasten ließ.

Detritus zwinkerte. »Und ich mich erinnern an Zeit, als man sich suchte einen großen Knüppel und Großvater zuhörte, der erzählte davon, über die Zwerge herzufallen«, fügte er hinzu. »Etwas in der Luft, nicht wahr?«

»Äh… ja…«, bestätigte Mumm.

Über ihm flatterte etwas. Er seufzte. Eine Nachricht traf ein.

Mit einer Taube.

Sie hatten alles andere ausprobiert. Sumpfdrachen neigten dazu, in der Luft zu explodieren. Kobolde verspeisten die Mitteilungen. Und Signalhelme verursachten Probleme, besonders bei starkem Wind. Und dann hatte Korporal Kleinpo darauf hingewiesen, daß die Tauben von Ankh-Morpork intelligenter waren als andere Tauben, und zwar aufgrund einer natürlichen Auslese, wofür die Wasserspeier in der Stadt verantwortlich waren. Mumm fiel es nicht schwer, sich Dinge vorzustellen, die intelligenter waren als durchschnittliche Tauben; das traf seiner Meinung nach selbst auf den Schimmel auf feuchtem Brot zu.

Er holte eine Handvoll Körner aus der Tasche. Die Taube gehorchte den Geboten ihrer sorgfältigen Ausbildung und landete auf Mumms Schulter. Eine Sekunde später gab sie einem inneren Druck nach und entleerte ihren Darm.

»Wir sollten uns etwas Besseres einfallen lassen«, sagte der Kommandeur und entrollte die Mitteilung. »Wenn wir dem Obergefreiten Abfluß eine Nachricht schicken, frißt er jedesmal den Boten.«

»Weil er ein Wasserspeier sein«, erwiderte Detritus. »Er glauben, daß kommt eine leckere Mahlzeit.«

»Oh«, sagte Mumm. »Seine Exzellenz wünscht mich zu sprechen. Wie nett.«

 

Lord Vetinari wirkte sehr aufmerksam. Schon vor langer Zeit hatte er herausgefunden, daß konzentriertes Zuhören andere Leute verunsicherte.

Bei Begegnungen mit den Würdenträgern der Stadt hörte er immer besonders konzentriert zu, weil die Besucher ihm das sagten, was er hören sollte. Ein großer Teil seiner Aufmerksamkeit galt allerdings den Bereichen außerhalb der Worte. Dort verbargen sich die Dinge, von denen er hoffentlich nichts wußte und über die er auch nichts herausfinden sollte.

Derzeit galt seine Aufmerksamkeit Lord Witwenmacher von der Assassinengilde und den Dingen, die er in seiner langatmigen Darlegung über das hohe Ausbildungsniveau der Gilde sowie ihre Bedeutung für die Stadt zu erwähnen vergaß. Vetinaris aggressives Zuhören ließ Witwenmachers Stimme schließlich verstummen.

»Danke, Lord Witwenmacher«, sagte er. »Ich bin sicher, daß wir alle wesentlich unruhiger schlafen werden, nachdem wir dies erfahren haben. Nur eine kleine Sache… Ich glaube, das Wort ›Assassine‹ stammt aus dem Klatschianischen, nicht wahr?«

»Äh… ja…«

»Und wenn ich mich nicht sehr irre, kommen viele Schüler der Gilde aus Klatsch und benachbarten Regionen.«

»Die einzigartige Qualität unserer Ausbildung…«

»In der Tat. Es läuft also auf folgendes hinaus: Die klatschianischen Assassinen haben größere Berufserfahrung, kennen sich in unserer Stadt gut aus und lassen sich von dir zu Meistern ihres Faches ausbilden.«

»Äh…«

Der Patrizier wandte sich jemand anderem zu.

»Bestimmt haben wir überlegene Waffen, nicht wahr, Herr Burlich?«

»O ja«, erwiderte der Präsident der Waffenschmiedgilde. »Über Zwerge kann man sagen, was man will, aber in letzter Zeit haben wir einige prächtige Dinge hergestellt.«

»Ah. Das ist wenigstens ein Trost.«

»Ja«, sagte Burlich. Er schien sich nicht besonders wohl in seiner Haut zu fühlen. »Allerdings… nun, ein wichtiger Aspekt des Waffengeschäfts… ich meine, der springende Punkt dabei…«

»Du möchtest vermutlich darauf hinweisen, daß der springende Punkt des Waffengeschäfts darin besteht, mit Waffen Geschäfte zu machen«, sagte der Patrizier.

Burlich wirkte wie jemand, dem man gerade die Schlinge vom Kopf gezogen hatte – und der dann spürte, wie sich eine zweite noch enger um den Hals schloß.

»Äh… ja…«

»Mit anderen Worten: Ihr stellt Waffen her, um sie zu verkaufen.«

»Äh… das stimmt…«

»An jeden, der bereit ist, dafür zu bezahlen.«

»Äh… ja…«

»Ungeachtet des Verwendungszwecks?«

Der Gildenpräsident schien beleidigt zu sein.

»Wie bitte? Natürlich. Immerhin sind es Waffen

»Und ich nehme doch an, daß Klatsch in den letzten Jahren ein sehr lukrativer Markt gewesen ist.«

»Nun, ja. Der Serif braucht Waffen, um die entlegenen Regionen seines Reiches zu befrieden…«

Der Patrizier hob die Hand. Sein Sekretär namens Drumknott reichte ihm ein Dokument.

»Der ›Große Gleichmacher‹, ein auf einem Karren montiertes Armbrustgeschütz mit zehn Abschußvorrichtungen und einer Kapazität von fünfhundert Pfund«, las er. »Und dann noch der… ›Meteor‹, eine automatisierte Wurfsternschleuder, die auf eine Entfernung von zwanzig Schritten enthauptet. Und zwar unter Garantie. Wenn nicht, wird das Geld zurückerstattet.«

»Hast du jemals von den D’regs gehört, Euer Exzellenz?« fragte Burlich. »Es heißt, diese Burschen lassen sich nur befrieden, wenn man mehrmals mit einer Axt auf sie einschlägt und das, was dann übrigbleibt, unter einem Felsen vergräbt – unter einem möglichst schweren.«

Der Patrizier betrachtete eine Zeichnung des »Derwischs«: Dargestellt waren Bolas vom Typ III – sie bestanden aus extra scharfem Schneidedraht.

Unangenehme Stille herrschte. Burlich versuchte, die Lücke im Gespräch zu füllen, was stets ein schlimmer Fehler ist.

»Außerdem schaffen wir dringend benötigte Arbeitsplätze in Ankh-Morpork«, murmelte er.

»Indem ihr solche Waffen in andere Länder exportiert«, sagte Lord Vetinari. Er gab das Dokument seinem Sekretär zurück und bedachte Burlich mit einem freundlichen Lächeln.

»Es freut mich, daß es der hiesigen Industrie gut geht«, meinte er. »Das werde ich mir merken.«

Er preßte sanft die Fingerspitzen gegeneinander. »Die Situation ist ernst, meine Herren.«

»Wessen Situation?« fragte Burlich.

»Verzeihung?«

»Was? Oh… Ich dachte an etwas anderes, Euer Exzellenz.«

»Ich dachte an den Umstand, daß einige Bürger unserer Stadt zu dieser Insel aufgebrochen sind. Soweit ich weiß, hat sich eine Gruppe von Klatschianern auf den Weg gemacht.«

»Was haben unsere Landsleute dort draußen vor?« fragte Boggis von der Diebesgilde.

»Sie zeichnen sich durch großen Pioniergeist aus… und die Absicht, in einem neuen Land neue Reichtümer zu finden«, erklärte Lord Vetinari.

»Und die Klatschianer?« fragte Lord Witwenmacher.

»Oh, sie sind ein Haufen von prinzipienlosen Opportunisten, die nie zögern, sich irgend etwas zu schnappen«, sagte der Patrizier.

»Eine ausgezeichnete Beschreibung, wenn du mir diese Bemerkung gestattest«, kommentierte Burlich, der glaubte, verlorenen Boden wieder gutmachen zu müssen.

Lord Vetinari sah noch einmal auf seine Notizen. »Oh, offenbar habe ich die beiden Sätze in der falschen Reihenfolge vorgelesen… Möchtest du etwas dazu sagen, Herr Schräg?«

Der Präsident der Anwaltsgilde räusperte sich. Es klang nach einem Todesröcheln, und eigentlich täuschte dieser Eindruck nicht: Herr Schräg war schon seit mehreren Jahrhunderten ein Zombie. Allerdings deuteten historische Unterlagen darauf hin, daß ihm der Tod gegenüber dem Leben nur einen Unterschied bescherte: Er begann auch während der Mittagspausen zu arbeiten.

»Ja«, sagte Herr Schräg und öffnete einen großen Aktenordner. »Die Geschichte von Leshp und des umliegenden Geländes ist nicht ganz klar. Fast tausend Jahre lang befand sich die Stadt oberhalb des Meeresspiegels, und aus den Aufzeichnungen geht hervor, daß man damals die Meinung vertrat, Leshp gehöre zum Reich von Ankh-Morpork…«

»Um was für Aufzeichnungen handelt es sich, und weisen sie darauf hin, wer solche Meinungen vertrat?« fragte der Patrizier. Die Tür öffnete sich, und Mumm kam herein. »Ah, Kommandeur, bitte setz dich. Ich bin ganz Ohr, Herr Schräg.«

Der Zombie mochte es gar nicht, unterbrochen zu werden. Er räusperte sich erneut. »Die Aufzeichnungen über das verlorene Land reichen einige hundert Jahre zurück, Euer Exzellenz. Und natürlich sind es unsere Aufzeichnungen.«

»Nur unsere?«

»Ich sehe keinen Grund, warum irgendwelche anderen notwendig sein sollten«, erwiderte Herr Schräg streng.

»Wie wär’s zum Beispiel mit klatschianischen?« warf Mumm ein, der am anderen Ende des Tisches saß.

»In der klatschianischen Sprache gibt es nicht einmal ein Wort für Anwalt, Sir Samuel«, sagte Herr Schräg.

»Wirklich nicht?« fragte Mumm. »Wie schön für die Klatschianer.«

Herr Schräg drehte seinen Stuhl so, daß er den Kommandeur nicht ansehen mußte, als er fortfuhr: »Meiner Ansicht nach gehört das neue Land uns, und zwar aufgrund des Enteignungsrechts des Staates, Exterritorialität und vor allem Acquiris Quodcumque Rapis. Soweit ich weiß, war es einer unserer Fischer, der die Insel als erster betrat.«

»Die Klatschianer behaupten, es sei einer ihrer Fischer gewesen«, sagte Vetinari.

Am Ende des Tisches bewegten sich Mumms Lippen. Mal sehen, Acquiris… »›Man bekommt, was man sich greift‹?« übersetzte er laut.

»Wir vertrauen doch nicht etwa auf das Wort der Klatschianer, oder?« fragte Herr Schräg und schenkte dem Kommandeur keine Beachtung. »Entschuldigung, Euer Exzellenz, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sich die stolze Stadt Ankh-Morpork von einigen Dieben mit Handtüchern auf dem Kopf Vorschriften machen läßt.«

»Das finde ich auch!« ließ sich Lord Selachii vernehmen. »Es wird Zeit, den Klatschianern eine Lektion zu erteilen. Erinnert ihr euch an die Sache mit dem Kohl im letzten Jahr? Zehn Schiffsladungen wurden zurückgewiesen!«

»Obwohl doch allgemein bekannt ist, daß Raupen den Geschmack verbessern«, sagte Mumm mehr oder weniger zu sich selbst.

Der Patrizier warf ihm einen Blick zu.

»Das stimmt!« bekräftigte Selachii. »Gutes, ordentliches Protein! Und dann die Probleme, die Kapitän Jenkins mit seiner Fracht aus Hammelfleisch bekam. Man wollte ihn einsperren! In einem klatschianischen Gefängnis!«

»Einfach unerhört«, sagte Mumm. »Hammelfleisch ist erst dann besonders gut, wenn es grün wird.«

»Unter all dem Curry bemerkt man überhaupt keinen Unterschied im Geschmack«, behauptete Burlich. »Ich habe einmal an einem offiziellen Essen in der klatschianischen Botschaft teilgenommen, und wißt ihr, was man mir dort vorsetzte? Von einem Schaf stammendes…«

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Mumm und stand auf. »Es gibt einige dringende Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muß.«

Er nickte dem Patrizier zu und eilte hinaus. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, holte er tief Luft und genoß die frische Luft – unter den gegebenen Umständen hätte er selbst in einer Gerberei tief durchgeatmet.

Korporal Kleinpo stand auf und sah ihn erwartungsvoll an. Sie hatte neben einer Schachtel gesessen, die immer wieder gurrte.

»Etwas bahnt sich an«, sagte Mumm. »Lauf zur… Ich meine, schick eine Taube zur Wache.«

»Ja, Herr Kommandeur?«

»Urlaub ist bis auf weiteres gestrichen. Ich möchte alle Angehörigen der Wache – und ich meine alle – um, sagen wir, sechs Uhr im Wachhaus sehen.«

»In Ordnung, Herr Kommandeur. Das bedeutet eine zusätzliche Taube, wenn ich nicht klein genug schreiben kann.«

Kleinpo eilte fort.

Mumm sah aus dem Fenster. Außerhalb des Palastes herrschte immer reges Treiben, aber heute… Es hatte sich keine Menge in dem Sinne eingefunden, doch draußen standen mehr Leute als sonst und schienen auf etwas zu warten.

Klatsch!

Alle wußten es.

Der alte Detritus hat recht, dachte Mumm. Man hört, wie die ersten Kieselsteine in Bewegung geraten. Es geht nicht nur um einige Fischer und ihren Streit. Es geht um Jahrhunderte von… nun, wie zwei große Männer, die in einem kleinen Zimmer beisammen sind und versuchen, höflich zu sein. Aber irgendwann muß sich einer von ihnen strecken, und dann dauert’s nicht mehr lange, bis das Mobiliar zertrümmert wird.

Aber es konnte doch nicht wirklich geschehen, oder? Der derzeitige Serif galt als ein fähiger Mann, der vor allem versuchte, die fernen, unruhigen Regionen seines Reiches zu befrieden. Und es lebten Klatschianer in Ankh-Morpork, bei den Göttern! Es gab Klatschianer, die in Ankh-Morpork geboren waren. Man traf jemanden, in dessen Gesicht Kamele geschrieben standen, und dann klappte der Bursche den Mund auf und sprach mit typisch ankhianischem Akzent. Oh, sicher, man erzählte sich Witze über komisches Essen und Ausländer, aber…

Nun, eigentlich waren die Witze nicht besonders komisch, wenn man genauer darüber nachdachte.

Wenn man den Knall hört, hat es keinen Sinn mehr, sich zu fragen, wie lange die Zündschnur gebrannt hat.

Laute Stimmen schlugen Mumm entgegen, als er in die Rattenkammer zurückkehrte.

»Dies sind eben nicht die alten Zeiten, Lord Selachii«, sagte der Patrizier gerade. »Es gilt nicht mehr als… nett, ein Kriegsschiff loszuschicken, um die ›dummen Ausländer‹, wie du sie nennst, auf ihre Fehler hinzuweisen. Zunächst einmal: Wir haben gar keine Kriegsschiffe mehr, seit die Mary-Jane vor vierhundert Jahren gesunken ist. Und außerdem haben sich die Zeiten geändert. Heutzutage sieht die ganze Welt zu. Verehrter Lord, man kann nicht mehr ›Was starrst du mich so an?‹ fragen und dem Starrenden anschließend eins aufs Auge hauen.« Er lehnte sich zurück. »Denkt an Chimära und Khanli, an Ephebe und Tsort. Und auch an Muntab. Und an Omnien. Einige der genannten Nationen sind sehr mächtig, meine Herren. Viele von ihnen halten nichts von den derzeitigen expansionistischen Bestrebungen der Klatschianer, aber uns mögen sie ebensowenig.«

»Warum denn?« fragte Lord Selachii.

»Weil wir während unserer Geschichte Kriege gegen die Länder geführt haben, die wir nicht sofort besetzen konnten«, erläutert Lord Vetinari. »Aus irgendeinem Grund behalten es die Leute im Gedächtnis, wenn man Tausende niedermetzelt.«

»Ach, Geschichte«, sagte Lord Selachii. »Das ist alles Vergangenheit.«

»Ein guter Platz für die Geschichte«, erwiderte der Patrizier ernst.

»Ich meine: Warum mögen sie uns heute nicht? Schulden wir ihnen Geld?«

»Nein. In den meisten Fällen sind wir die Gläubiger. Ein Grund mehr, uns nicht zu mögen.«

»Was ist mit Sto Lat und Pseudopolis und den anderen Städten?« fragte Lord Witwenmacher.

»Auch dort sind wir nicht sehr beliebt.«

»Warum denn nicht?« wunderte sich Lord Selachii. »Wir haben doch ein gemeinsames Erbe.«

»In der Tat, aber dieses gemeinsame Erbe besteht zum größten Teil darin, daß wir Kriege gegeneinander geführt haben«, sagte der Patrizier. »Nein, ich glaube, aus dieser Richtung dürfen wir nicht auf Unterstützung hoffen. Was um so bedauerlicher ist, da wir keine eigenen Streitkräfte haben. Nun, ich bin kein Fachmann fürs Militärische, aber ich glaube, man braucht eine Art Heer, um einen Krieg zu führen, nicht wahr?«

Er sah sich am Tisch um.

»Tatsache ist, daß man in Ankh-Morpork immer strikt gegen ein stehendes Heer war«, fügte er hinzu.

»Wir alle wissen, warum die Leute einem Heer mißtrauen«, sagte Lord Witwenmacher. »Viele Bewaffnete, die herumstehen und nichts zu tun haben… Sie könnten auf dumme Gedanken kommen…«

Mumm beobachtete, wie sich Köpfe drehten und Blicke auf ihn richteten.

»Meine Güte«, sagte er munter. »Ist das vielleicht ein Hinweis auf ›Altes Steingesicht‹ Mumm, der die Stadtmiliz bei der Revolte gegen einen tyrannischen Monarchen anführte, um der Stadt etwas mehr Freiheit und Gerechtigkeit zu bringen? O ja, ich glaube schon! Und war er damals Kommandeur der Wache? Lieber Himmel, ja, das war er tatsächlich! Wurde er gehängt, zerstückelt und an fünf verschiedenen Stellen beerdigt? Und gilt er als ferner Vorfahr des jetzigen Kommandeurs? Meine Güte, so viele Zufälle auf einmal…« Die übertriebene Fröhlichkeit seiner Stimme verwandelte sich in ein Knurren. »Na schön! Das hätten wir also. Und nun… Hat jemand von euch etwas zu sagen?«

Die Würdenträger rutschten auf ihren Stühlen hin und her. Gleichzeitig erklang ein kollektives Seufzen.

»Was ist mit Söldnern?« fragte Burlich.

»Das Problem bei Söldnern besteht darin, daß sie bezahlt werden müssen, damit sie kämpfen«, sagte der Patrizier. »Und wenn man nicht sehr viel Glück hat, muß man ihnen noch mehr Geld geben, damit sie wieder aufhören.«

Selachii klopfte auf den Tisch.

»Und wenn schon«, knurrte er. »Hauptsache, sie zeigen den Klatschianern, daß man mit uns nicht spaßen kann!«

»Offenbar muß ich mich klarer ausdrücken«, erwiderte der Patrizier. »Wir können uns keine Söldner leisten. Weil wir kein Geld haben.«

»Wie ist das möglich?« fragte Lord Witwenmacher. »Wir bezahlen doch unsere Steuern.«

»Ach, ich dachte mir schon, daß wir auf diesen Punkt zu sprechen kommen«, sagte Lord Vetinari. Er hob die Hand, und erneut reichte ihm sein Sekretär ein Dokument.

»Mal sehen… Oh, hier haben wir’s ja. Assassinengilde… Bruttoeinnahmen im vergangenen Jahr: 13.207.048 Ankh-Morpork-Dollar. Im letzten Jahr gezahlte Steuern: siebenundvierzig Dollar und zweiundzwanzig Cent. Hinzu kommt eine Münze, die sich bei genauerer Kontrolle als ein halber herschebianischer Dong erwies, nur den achten Teil eines Cents wert.«

»Das ist alles vollkommen legal! Die Gilde der Buchhalter und Steuerberater…«

»Ah ja, die Gilde der Buchhalter und Steuerberater. Bruttoeinkommen 7.999.011 Ankh-Morpork-Dollar. Gezahlte Steuern: keine. Statt dessen wurde eine Rückerstattung von zweihunderttausend Ankh-Morpork-Dollar beantragt.«

»Was wir bekamen, enthielt übrigens auch einen halben herschebianischen Dong«, sagte Herr Frostich von der Buchhaltergilde.

»Es ist mir völlig unerklärlich, wie so etwas geschehen konnte«, entgegnete Lord Vetinari ruhig.

Er legte das Dokument beiseite. »Man könnte die Besteuerung mit der Milchviehhaltung vergleichen. Es geht darum, ein Maximum an Milch mit einem Minimum an Muhen zu erzielen. Ich fürchte allerdings, daß ich in letzter Zeit nur Muhen bekomme.«

»Soll das heißen, Ankh-Morpork ist bankrott?« fragte Witwenmacher.

»Ja. Und gleichzeitig gibt es viele reiche Leute in der Stadt. Hoffentlich haben sie einen Teil ihres Reichtums in Schwerter investiert.«

»Und du hast diese allgemeine Weigerung, Steuern zu bezahlen, den Leuten einfach so durchgehen lassen?« fragte Lord Selachii.

»Niemand hat sich geweigert, Steuern zu zahlen«, sagte der Patrizier. »Man kann nicht einmal von Steuerhinterziehung reden. Die Steuern wurden nur nicht bezahlt.«

»Das ist abscheulich!«

Der Patrizier hob die Brauen. »Kommandeur Mumm?«

»Ja, Herr?«

»Bitte stell eine Gruppe aus deinen erfahrensten Männern zusammen. Gemeinsam mit den Steuereintreibern soll sie dafür sorgen, daß wieder Geld in die städtischen Kassen kommt. Mein Sekretär gibt dir eine Liste mit den Namen der wichtigsten säumigen Zahler.«

»In Ordnung, Herr«, sagte Mumm. »Und wenn die Betreffenden Widerstand leisten, Herr?«

»Oh, wie könnten sie das wagen? Immerhin entsprechen unsere Maßnahmen dem Willen der wichtigsten Würdenträger dieser Stadt.« Er nahm einen Zettel von Drumknott entgegen. »Nun, ganz oben auf der Liste…«

Lord Selachii hüstelte. »Für solchen Unsinn ist es jetzt viel zu spät«, sagte er rasch.

»Wasser, das den Bach hinuntergeflossen ist«, sagte Lord Witwenmacher.

»Tot und begraben«, fügte Herr Schräg hinzu.

»Ich habe meine Steuern bezahlt«, betonte Mumm.

»Laßt mich rekapitulieren«, sagte Vetinari. »Ich schätze, niemand möchte, daß sich zwei erwachsene Nationen um einen Steinhaufen streiten. Wir wollen nicht kämpfen, aber…«

»Aber so wahr ich hier sitze: Wir zeigen’s ihnen, wenn wir zum Kampf gezwungen werden!« platzte es aus Lord Selachii heraus.

»Wir haben keine Schiffe. Wir haben keine Krieger. Und wir haben auch kein Geld«, sagte Vetinari. »Allerdings steht uns die Kunst der Diplomatie offen. Es ist erstaunlich, was man mit den richtigen Worten erreichen kann.«

»Leider stoßen die richtigen Worte auf weitaus mehr Aufmerksamkeit, wenn man einen spitzen Stock in der Hand hält«, meinte Lord Witwenmacher.

Lord Selachii klopfte erneut auf den Tisch. »Es hat doch keinen Sinn, mit den verdammten Klatschianern zu reden! Meine Herren… Unsere Aufgabe besteht darin, wieder Regimenter zu bilden!«

»Ach, sprichst du da von privaten Streitkräften?« fragte Mumm. »Unter dem Kommando von jemandem, dessen Führungsqualitäten sich darauf beschränken, den Sold für tausend Helme bezahlen zu können?«

An der Mitte des Tisches beugte sich jemand vor, der bis dahin den Eindruck erweckt hatte, friedlich zu schlummern. Als Lord Rust sprach, klang seine Stimme wie ein Gähnen.

»Wir sprechen von Führungsqualitäten, die sich während einer tausendjährigen Familiengeschichte angesammelt haben, Herr Mumm«, verkündete er.

Das Herr prickelte in Mumms Brust. Er wußte, daß er ein »Herr Mumm« war, ein gewöhnlicher Bürger, wie er gewöhnlicher kaum sein konnte. Doch er bestand darauf, für jemanden, der »Jahre« wie »Hjahre« aussprach, Sir Samuel zu sein.

»Oh, Familiengeschichte«, sagte er. »Nein, da muß ich passen. Wenn man das braucht, um die eigenen Leute mit Inkompetenz und Unfähigkeit in den Tod zu schicken…«

»Meine Herren, bitte.« Der Patrizier schüttelte den Kopf. »Wir wollen uns nicht streiten. Immerhin ist dies ein Kriegsrat. Was die Bildung neuer Regimenter betrifft… Nun, das ist natürlich euer gutes Recht. Die Entsendung von Bewaffneten in Zeiten der Not gehört zu den Pflichten ehrenwerter Bürger. Die Geschichte ist auf eurer Seite. Es gibt eindeutige Präzedenzfälle, die ich akzeptieren muß. Laßt mich nur noch einmal darauf hinweisen, daß sich die Stadt keine Streitmacht leisten kann.«

»Diese Leute sollen wirklich mit den Säbeln rasseln dürfen?« brachte Mumm ungläubig hervor.

»Ach, Kommandeur Mumm«, sagte Burlich und lächelte. »Als Soldat müßtest du eigentlich…«

Manchmal erregen Leute Aufmerksamkeit, indem sie schreien. Oder sie schlagen mit der Faust auf den Tisch oder rammen sie jemandem ins Gesicht. Mumm erzielte die gleiche Wirkung, indem er zu absoluter Passivität erstarrte. Kälte ging von ihm aus. Die Falten in seinem Gesicht wirkten wie in Marmor gemeißelt.

»Ich bin kein Soldat.«

Und dann machte Burlich den Fehler, entwaffnend zu lächeln.

»Nun, Kommandeur, der Helm und die Rüstung und so… Es läuft doch aufs gleiche hinaus, oder?«

»Nein.«

»Meine Herren…« Lord Vetinari legte die Hände flach auf den Tisch, sicheres Zeichen dafür, daß die Besprechung zu Ende war. »Morgen werde ich diese Angelegenheit mit Prinz Khufurah erörtern…«

»Ich habe Gutes über ihn gehört«, sagte Lord Rust. »Streng, aber gerecht. Man kann nur bewundern, was er in einigen fernen Regionen des Reiches auf die Beine stellt. Er…«

»Nein«, unterbrach Vetinari den Lord. »Du meinst Prinz Cadram. Khufurah ist sein jüngerer Bruder. Er trifft morgen ein, als Gesandter seines Bruders.«

»Ach, jetzt erinnere ich mich. Der Kerl ist ein Lümmel, Betrüger und Lügner! Es heißt, daß er sich bestech…«

»Herzlichen Dank für deine diplomatischen Informationen, Lord Rust«, sagte der Patrizier. »Wir müssen die Tatsachen so akzeptieren, wie sie sich uns darbieten. Es eröffnen sich immer Möglichkeiten. Unsere beiden Nationen teilen viele Interessen. Außerdem deutet alles darauf hin, daß Cadram diese Sache sehr ernst nimmt – immerhin schickt er seinen eigenen Bruder, um mit uns zu verhandeln. Damit gibt er der internationalen Gemeinschaft ein Zeichen.«

»Ein klatschianisches hohes Tier kommt hierher?« fragte Mumm. »Davon hat mir niemand etwas gesagt!«

»So seltsam es dir auch erscheinen mag, Sir Samuel: Gelegentlich bin ich durchaus imstande, diese Stadt einige Minuten zu regieren, ohne deinen Rat einzuholen.«

»Ich meine, in der Stadt gibt es derzeit ziemlich stark ausgeprägte antiklatschianische Gefühle…«

»Ein echt mieser Bursche«, teilte Lord Rust Boggis in jenem besonderen aristokratischen Flüstern mit, das bis zum Dachgebälk reichte. »Es ist ein Affront, uns eine solche Person zu schicken

»Du wirst bestimmt sicherstellen, daß in den Straßen keine Gefahren drohen, Mumm«, sagte der Patrizier scharf. »Ich weiß, daß du auf solche Dinge sehr stolz bist. Offiziell kommt Khufurah hierher, weil ihn die Zauberer zu ihrem großen Fest eingeladen haben. Er soll einen Ehrendoktortitel bekommen, etwas in der Art. Und anschließend steht ein Essen auf dem Programm. Ich verhandle gern mit Leuten, die in der Unsichtbaren Universität an einem Festessen der Fakultät teilgenommen haben. Normalerweise bewegen sie sich nicht sehr viel und sind bereit, praktisch allem zuzustimmen, wenn die Aussicht besteht, dafür Magenpulver und ein kleines Glas Wasser zu bekommen. Und nun, meine Herren… wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet…«

Die Würdenträger verließen den Raum und schritten einzeln oder zu zweit durch den Flur.

Der Patrizier legte seine Papiere zusammen und strich mit einem dünnen Finger über den Rand des Stapels. Dann sah er auf.

»Du scheinst noch immer hier zu sein, Kommandeur.«

»Du willst doch nicht wirklich erlauben, daß sie Regimenter bilden, oder?« fragte Mumm.

»Kein Gesetz verbietet so etwas, Mumm. Und es wird sie beschäftigt halten. Alle Würdenträger der Stadt sind berechtigt – sogar verpflichtet, wenn ich mich recht entsinne –, in Zeiten der Not Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Und natürlich haben alle Bürger das Recht, Waffen zu tragen. Bitte denk daran.«

»Waffen sind eine Sache. Aber damit Soldat zu spielen… Das ist etwas ganz anderes.« Mumm stützte sich mit den Fingerknöcheln auf dem Tisch ab.

»Weißt du«, fuhr er fort, »ich werde das Gefühl nicht los, daß sich drüben in Klatsch eine Gruppe von Idioten ähnlich verhält. Die Narren wenden sich an den Serif und sagen: ›Es wird Zeit, daß wir den Teufeln in Ankh-Morpork eine Lektion erteilen, Offendi.‹ Und wenn viele Leute herumlaufen, Waffen schwingen und dummes Zeug reden… Unter solchen Umständen gibt es leicht Zwischenfälle. Bist du jemals in einer Taverne gewesen, in der alle bewaffnet sind? Oh, zunächst geht’s ganz zivil zu, aber dann trinkt irgendein Blödmann aus dem falschen Krug oder nimmt aus Versehen das Wechselgeld eines anderen Mannes, und fünf Minuten später liegen überall abgehackte Gliedmaßen herum…«

Der Patrizier blickte so lange auf die Fingerknöchel hinab, bis Mumm die Hände wegzog.

»Morgen wirst du beim Convivium der Zauberer zugegen sein«, sagte Vetinari. »Ich habe dir eine entsprechende Mitteilung geschickt.«

»Aber ich…« Ein verräterisches Bild entstand vor Mumms innerem Auge und zeigte ihm hohe Papierstapel auf seinem Schreibtisch. »Oh«, sagte er.

»Der Kommandeur der Wache führt die Prozession in voller Paradeuniform an. Das ist ein alter Brauch.«

»Was? Ich soll vor allen Leuten marschieren?«

»Ja. Das ist sehr… staatsbürgerlich. Du weißt bestimmt, worauf es dabei ankommt. Ein solches Auftreten demonstriert die freundliche Allianz zwischen der Universität einerseits und der Regierung von Ankh-Morpork andererseits. Diese Allianz besteht im Versprechen der Zauberer, allen unseren Bitten nachzukommen, vorausgesetzt, daß wir sie nie um etwas bitten. Wie dem auch sei: Es ist eine Pflicht, der du dich nicht entziehen kannst. Die Tradition verlangt es. Und Lady Sybil hat mir versichert, daß du morgen mit strahlender Miene zur Stelle sein wirst.«

Mumm holte tief Luft: »Du hast mit meiner Frau darüber gesprochen?«

»Ja. Sie ist sehr stolz auf dich und glaubt, daß du zu erhabenen Dingen fähig bist, Mumm. Sie ist dir sicher ein großer Trost.«

»Nun, ich… Ich meine, ich… ja…«

»Gut. Oh, da wäre noch etwas, Mumm. Zwar habe ich bereits das Einverständnis der Assassinen- und Diebesgilde eingeholt, aber wir sollten kein Risiko eingehen… Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du gewährleisten könntest, daß niemand mit Eiern oder so nach dem Prinzen wirft. So etwas verursacht stets viel Ärger.«

 

Die beiden Seiten beobachteten sich aufmerksam. Sie waren alte Feinde. Schon oft hatten sie ihre Kräfte gemessen, im Kampf um Territorium Siege errungen und Niederlagen erlitten. Diesmal ging es um alles oder nichts.

Knöchel traten weiß hervor. Stiefel scharrten ungeduldig.

Hauptmann Karotte ließ den Ball einige Male hüpfen.

»Also gut, Jungs. Versuchen wir’s noch einmal. Und diesmal keine Balgereien. William, was kaust du da?«

Der geschickte Rippenstoßer schnitt eine finstere Miene. Niemand kannte seinen Namen. Kinder, mit denen er aufgewachsen war, kannten ihn nicht. Vermutlich wußte nicht einmal seine Mutter – wenn er ihr jemals begegnete –, wie er hieß. Aber Karotte war es irgendwie gelungen, seinen Namen herauszufinden. Wenn jemand anders so dumm gewesen wäre, ihn »William« zu nennen, hätte der Betreffende nach seinem Ohr suchen müssen. Und zwar in seinem eigenen Mund.

»Ein Kaugummi, Herr Karotte.«

»Hast du genug für alle mitgebracht?«

»Nein, Herr Karotte.«

»Dann sei bitte so nett und nimm es aus dem Mund. Und nun… Gavin, was steckt da in deinem Ärmel?«

Schleimbeutel Gav versuchte gar nicht erst, die Wahrheit zu verbergen.

»Ein Messer, Herr Karotte.«

»Und ich wette, du hast genug Messer für alle mitgebracht, stimmt’s?«

»Genau, Herr Karotte.« Schleimbeutel grinste. Er war zehn Jahre alt.

»Leg’s zu den anderen auf den Haufen…«

Obergefreiter Schuh blickte entsetzt über die Mauer. Etwa fünfzig Jugendliche standen in der breiten Gasse. Das Durchschnittsalter in Jahren betrug elf. Das Durchschnittsalter in Zynismus und gemeiner Bosheit belief sich auf 163. Zwar gibt es beim Fußball von Ankh-Morpork keine Tore im üblichen Sinne, aber in diesem Fall waren trotzdem zwei Torpfosten aus gestapelten Gegenständen errichtet worden – die überall im Multiversum gebräuchliche Methode.

Ein Stapel aus Messern, der andere aus stumpfen Gegenständen.

Die Jungen trugen die Farben der scheußlichsten Straßenbanden, und mitten unter ihnen stand Hauptmann Karotte. In der einen Hand hielt er eine stark angeschwollene Schweinsblase, die als Ball diente.

Obergefreiter Schuh fragte sich, ob er Hilfe holen sollte. Aber Karotte wirkte erstaunlich ruhig und entspannt.

»Äh… Hauptmann?« fragte er vorsichtig.

»Oh, hallo, Reg. Wir veranstalten gerade ein freundschaftliches Fußballspiel. Jungs, das ist Obergefreiter Schuh.«

Fünfzig Augenpaare sprachen: Wir merken uns dein Gesicht, Bulle.

Reg schob sich an der Mauer entlang, und die Augen sahen den Pfeil, der den Brustharnisch durchbohrt hatte und aus dem Rücken ragte.

»Es hat sich ein Problem ergeben, Hauptmann«, sagte Reg. »Ich hielt es für besser, dir Bescheid zu geben. Vielleicht solltest du dich um die Sache kümmern. Es geht um eine Geiselnahme…«

»Ich komme sofort. Tja, ich bedaure sehr, Jungs. Spielt allein, in Ordnung? Wir sehen uns dann am nächsten Dienstag beim fröhlichen Singen mit anschließender Würstchenbrutzelei.«

»Ja, Herr Karotte«, sagte der Geschickte Rippenstoßer.

»Und Korporal Angua zeigt euch vielleicht, wie man am Lagerfeuer richtig heult.«

»Wir freuen uns schon, Harr Karotte«, brummte Schleimbeutel.

»Und was machen wir, bevor wir auseinandergehen?« fragte Karotte.

Die Krieger der Skats und Mohocks wechselten verlegene Blicke. Normalerweise waren sie nie nervös – wer Furcht zeigte, konnte verstoßen werden. Doch als die Bandenregeln festgelegt worden waren, hatte niemand die Existenz einer Person wie Karotte berücksichtigt.

In den Mienen der Jungen stand Ich-bringe-dich-um-wenn-du-jemandem-davon-erzählst, als sie die Zeigefinger beider Hände bis auf Ohrhöhe hoben und riefen: »Wib wib wib!«

»Wob wob wob!« antwortete Karotte herzlich. »Also gut, Reg. Wir können gehen.«

»Wie hast du das fertiggebracht?« fragte Obergefreiter Schuh, als die beiden Wächter forteilten.

»Oh, man hebt die Finger auf diese Weise«, erklärte Karotte. »Aber bitte verrate es niemandem. Es ist nämlich ein geheimes Zeichen…«

»Es sind Halunken, Hauptmann! Man kann sich kaum schlimmere Schurken vorstellen!«

»Oh, sie sind ein wenig frech. Aber unter der rauhen Schale verbirgt sich ein freundlicher Kern, wenn man ein wenig Geduld hat und versucht, sie zu verstehen…«

»Wie ich hörte, geben sie einem nie genug Zeit, sie zu verstehen! Weiß Herr Mumm von dieser Sache?«

»In gewisser Weise, ja. Ich habe ihm von meiner Absicht erzählt, einen Klub für die Straßenkinder zu gründen, und er meinte, damit sei alles in Ordnung, vorausgesetzt, ich ließe sie ihr Lager am Rand einer sehr hohen Klippe bei möglichst starkem Wind aufschlagen. Aber so etwas sagt er immer. Nun, was ist mit der Geiselnahme?«

»Sie hat bei Vortin stattgefunden. Aber… äh… es ist keine gewöhnliche Geiselnahme, sondern noch schlimmer…«

Hinter ihnen musterten sich die Skats und Mohocks gegenseitig. Dann nahmen sie ihre Waffen und wichen vorsichtig voreinander zurück. Es ist keineswegs so, daß wir nicht kämpfen wollen, teilte ihre Körpersprache mit. Doch zufälligerweise haben wir derzeit Besseres zu tun, und wir gehen jetzt, um herauszufinden, was dies ist.

 

Erstaunlicherweise herrschte bei den Docks kein lautes Stimmengewirr. Die Leute waren zu sehr damit beschäftigt, an Geld zu denken.

Feldwebel Colon und Korporal Nobbs lehnten an einem Holzstapel und beobachteten, wie jemand mit großer Sorgfalt den Namen Stolz von Ankh-Morpork an den Bug eines Schiffes malte. Früher oder später würde er bemerken, daß er das »z« vergessen hatte, und auf diesen kleinen Spaß freuten sich die beiden Wächter.

»Bist du jemals zur See gefahren?« fragte Nobby.

»Ha, nein, ich nicht!« erwiderte Colon. »Ich gebe dir einen guten Rat: Komm nie auf die Idee, den Klabautermann zu suchen.«

»Keine Sorge«, sagte Nobby. »Ich weiß gar nicht, wo ich nach ihm suchen sollte. Und selbst wenn ich ihn fände: Worüber sollte ich mit ihm reden?«

»Gut.«

»Ich meine, ich kenne ihn doch gar nicht.«

»Du hast überhaupt keine Ahnung, was es mit dem Klabautermann auf sich hat, oder?«

»Nein, Feldwebel.«

»Treibt sich irgendwo auf dem Ozean herum, der Bursche. Durch ihn wird die Seefahrt zu einer riskanten Angelegenheit. So ist das eben mit dem Meer – man kann ihm nicht trauen. Da fällt mir ein… Als ich klein war, habe ich ein Buch über einen Jungen gelesen, der sich in eine Nixe verwandelte, sozusagen, und er lebte unten auf dem Meeresgrund…«

»… beim Klabautermann…«

»Ja, und dort war alles ganz hübsch. Es gab sprechende Fische und rosarote Muscheln und so. Und dann eines Tages verbrachte ich die Ferien in Quirm, und bei der Gelegenheit sah ich das Meer und dachte: Na so was. Und wenn meine Mutter nicht schnell genug reagiert hätte, tja, wer weiß, was damals geschehen wäre, ich meine, der Junge im Buch konnte unter Wasser atmen, woher sollte ich es besser wissen? Man erzählt sich so viele Lügen übers Meer. In Wirklichkeit ist alles nur Igitt mit Hummern drin.«

»Der Onkel meiner Mutter war Seemann«, sagte Nobby. »Aber nach der großen Seuche bekam er es mit Anwerbern der besonderen Art zu tun. Eine Gruppe von Bauern machte ihn betrunken, und am nächsten Morgen erwachte er an einen Pflug gefesselt.«

Die beiden Wächter warteten und beobachteten.

»Offenbar steht ein Kampf bevor, Feldwebel«, sagte Nobby, als der Maler überaus sorgfältig das abschließende »k« malte.

»Dauert bestimmt nicht lange«, erwiderte Colon. »Sind alles nur Feiglinge, die Klatschianer. Sie wetzen über den heißen Sand davon, kaum daß sie kalten Stahl zu spüren bekommen.«

Feldwebel Colon hatte eine umfassende Ausbildung hinter sich. Zuerst war er auf die Schule »Mein Vater hat immer gesagt« gegangen, um anschließend die Universität »Ist doch logisch« zu besuchen. Derzeit absolvierte er das Aufbaustudium »Was mir jemand in der Taverne erzählt hat«.

»Es dürfte also nicht weiter schwer sein, damit klarzukommen, oder?« fragte Nobby.

»Und sie haben nicht mal die gleiche Hautfarbe wie wir«, sagte Colon. »Äh… wie ich«, fügte er hinzu, als er an die unterschiedlichen Schattierungen von Korporal Nobbs dachte.

»Obergefreiter Besuch ist ziemlich braun«, meinte Nobby. »Ich habe nie gesehen, daß er weggelaufen ist. Wenn er die Chance wittert, jemandem eine religiöse Broschüre anzudrehen, läßt der alte Waschtopf nicht locker.«

»Ach, die Omnianer unterscheiden sich eigentlich nicht sehr von uns«, behauptete Colon. »Manchmal verhalten sie sich seltsam, aber im Grunde sind wir aus dem gleichen Holz geschnitzt, mehr oder weniger. Ein Klatschianer hingegen verrät sich schon dadurch, daß er viele Wörter benutzt, die mit ›al‹ beginnen. Daran kann man die Klatschianer sofort erkennen. Sie haben alle Wörter erfunden, die mit ›al‹ anfangen. Wie zum Beispiel Al-kohol.«

»Die Klatschianer haben das Bier erfunden?«

»Ja.«

»Verdammt schlau von ihnen.«

»Ich würde es nicht schlau nennen«, sagte Feldwebel Colon und begriff zu spät, daß er einen taktischen Fehler begangen hatte. »Es dürfte eher ein glücklicher Zufall sein.«

»Und was haben die Klatschianer sonst noch erfunden?«

»Nun… « Colon strengte sein Gehirn an. »Al-gebra. Das sind Summen mit Buchstaben und so. Für Leute, die für Zahlen nicht intelligent genug sind.«

»Tatsächlich?«

»Ja«, bestätigte Colon. Er glaubte sich nun auf sicherem Terrain und fuhr selbstbewußter fort: »Ich hab mal gehört, wie ein Zauberer von der Universität sagte, die Klatschianer hätten nichts erfunden. Angeblich ist das ihr großer Beitrag zur Mathematik. ›Was?‹ fragte ich, und der Zauberer meinte, die Null stamme aus Klatsch.«

»Klingt nicht sehr intelligent«, kommentierte Nobby. »Jeder kann nichts erfinden. Ich zum Beispiel. Hab überhaupt noch nichts erfunden.«

»Eben«, bekräftigte Colon. »Ich habe dem Zauberer gesagt, die Erfinder von Zahlen wie vier und, und…«

»… sieben…«

»… ja, seien die wahren Genies. Nichts brauchte nicht extra erfunden zu werden. Es war bereits da. Bestimmt haben es die Klatschianer einfach nur so entdeckt, rein zufällig.«

»Es liegt an der Wüste«, sagte Nobby.

»Genau! Guter Hinweis. Die Wüste. Wie jeder weiß, besteht eine Wüste größtenteils aus nichts. Für die Klatschianer ist das Nichts gewissermaßen ein wichtiger Rohstoff. Ist doch logisch. Wir aber sind zivilisierter, ich meine, bei uns gibt’s mehr Dinge, und deshalb haben wir die Zahlen erfunden, um sie alle zu zählen. Ich meine… Es heißt, die Klatschianer hätten die Astronomie erfunden…«

»Al-tronomie«, warf Nobby ein.

»Nein, nein… Nein, Nobby, ich schätze, zu der Zeit hatten sie bereits das ›s‹ erfunden. Ich meine, es würde mich gar nicht wundern, wenn sie es uns geklaut hätten. Wie dem auch sei: Die Klatschianer haben die Astronomie erfunden, weil sie gar nichts anderes zu tun hatten, als die Sterne zu beobachten. Jeder kann zu den Sternen hochsehen und ihnen Namen geben, ich meine, mit Erfinden hat das doch gar nichts zu tun. Wir laufen nicht herum und behaupten, irgend etwas erfunden zu haben, nur weil wir einen kurzen Blick darauf geworfen haben.«

»Die Klatschianer sollen viele seltsame Götter haben«, sagte Nobby.

»Ja, und verrückte Priester«, sagte Colon. »Viele von ihnen mit Schaum vorm Mund. Glauben an die sonderbarsten Dinge.«

Einige Sekunden sahen sie dem Maler stumm zu. Colon wartete voller Sorge auf die nächste Frage.

»Worin genau liegt eigentlich der Unterschied zu uns?« erkundigte sich Nobby. »Ich meine, einige von unseren Priestern sind…«

»Ich hoffe, du wirst jetzt nicht unpatriotisch«, sagte Colon streng.

»Nein, natürlich nicht. Ich war nur neugierig. Ich meine, mir ist natürlich klar, daß die klatschianischen Priester viel schlimmer sein müssen als andere. Immerhin sind es Ausländer und so.«

»Und natürlich sind sie alle ganz wild auf den Kampf«, sagte Colon. »Bösartige Burschen, mit ihren krummen Schwertern.«

»Soll das heißen, sie… greifen bösartig an, während sie gleichzeitig feige fortlaufen, sobald sie kalten Stahl zu spüren bekommen?« fragte Nobby, der ein verräterisch gutes Gedächtnis für Details haben konnte.

»Man kann den Burschen nicht trauen, das ist meine Meinung. Und nach den Mahlzeiten rülpsen sie immer.«

»Das machst du auch, Feldwebel.«

»Ja, aber ich tue nicht so, als wäre das höflich

»Nun, wir können von Glück sagen, daß du hier bist, um die Dinge zu erklären, Feldwebel«, sagte Nobby. »Es ist erstaunlich, was du alles weißt.«

»Manchmal bin ich selbst überrascht«, erwiderte Colon bescheiden.

Der Maler lehnte sich zurück, um sein Werk zu bewundern. Die beiden Wächter hörten, wie er aus tiefem Herzen stöhnte, und daraufhin nickten sie zufrieden.

 

Die Verhandlungen bei einer Geiselnahme waren immer heikel, wie Karotte aus Erfahrung wußte. Man durfte die Dinge nicht überstürzen und wartete besser ab, bis die Geiselnehmer ein Gespräch wünschten.

Karotte saß hinter einem umgekippten Karren, der als Schild diente und vor gelegentlichen Pfeilen schützte. Er nutzte die Zeit, um seinen Eltern einen Brief zu schreiben, wobei er immer wieder die Stirn runzelte, am Ende des Stiftes kaute und eine Methode anwandte, die Kommandeur Mumm als ballistische Annäherung an Rechtschreibung und Interpunktion bezeichnete.

 

Liebe Mutter und lieber Fater,

ich hoffe es gehet euch gut so wie auch ich wohlauf binne. Danke für das großige Paket mit dem Zwergenbrot drin das ihr mir geschicket hat, ich habe es gegessen zusammen mit den anderen Zwergen der Wache und sie, meinten es seiet sogar noch besser als das von Eisenkruste (»Dieses Brot wird weder stumpf noch schal«), auserdem kann man den Geschmack eines daheime gebackenen Brotes einfach nicht schlagen, und deshalb gut gemacht Mama.

Alles gehet gut mit dem Wolfsrudel von dem ich euch erzähligt habe aber Kmdr. Mumm ist gar nicht glücklich, ich habe ihm gesagt das es brave Jungs sind tief im Grunde ihres Herzens und bestimmt hilft es ihnen mehr von Natuhr und Wildnis zu erfahren, und er antwortete ha darüber wissen sie bereits bestens Bescheid das ißt ja das Problem. Aber er gabet mir 5 Ankh-Morpork-Dollar für einen Fusball was beweist das er doch Anteil nimmt.

Es gibt wieder einige neuige Gesichter in der Wache was kanne bestimmt nicht schaden wegen der Probleme mit Klatsch, alles scheinet sehr Ernst zu sein, ich fühle es wie die ersten Windstöße vor dem Orkan, ja so deutlich ist es.

Ich muß jetzt Schlus machigen weil einige Einbrecher in Vortins Diamantenlager eingebrochen sind und Korporal Angua als Geisel genommigen haben. Es könnte zu einem schrecklichen Blutvergießen kommen.

Ich bleibe

Euer euch liebender Sohne

Karotte Eisengießersohn (Hauptmann)

PS Morgen schreibe ich wieder

 

Karotte faltete den Brief sorgfältig zusammen und schob ihn unter seinen Brustharnisch.

»Ich glaube, die Geiselnehmer hatten jetzt Zeit genug, um über den letzten Punkt nachzudenken. Was steht als nächstes auf der Liste?«

Obergefreiter Schuh blätterte in einigen schmierigen Papieren und holte einen Zettel hervor.

»Jetzt sind wir bei blinden Bettlern, die Anzeige erstattet haben, weil man ihnen einige Cent gestohlen hat«, sagte er. »Oh, nein, hier ist noch eine wichtige Sache…«

Karotte griff nach Zettel und Megaphon, erhob sich dann vorsichtig und spähte über den Karren hinweg.

»Erneut einen guten Morgen!« sagte er fröhlich. »Wir haben noch etwas entdeckt. Diebstahl von Schmuck bei…«

»Ja! Ja!« erklang es aus dem Gebäude. »Dafür sind wir ebenfalls verantwortlich!«

»Tatsächlich?« erwiderte Karotte. »Ich habe noch nicht einmal gesagt, wann das Verbrechen verübt worden ist.«

»Spielt keine Rolle! Wir waren es! Dürfen wir jetzt bitte nach draußen?« Im Hintergrund erklang ein Geräusch: ein dumpfes, beständiges Knurren.

»Ihr solltet uns sagen, was ihr gestohlen habt«, meinte Karotte.

»Äh… Ringe? Goldene Ringe?«

»Tut mir leid. Ringe werden nicht erwähnt.«

»Perlenketten? Ja, genau, wir haben…«

»Leider nein. Aber es wird schon etwas wärmer.«

»Ohrringe?«

»Ja, jetzt kommen wir der Sache näher«, sagte Karotte in aufmunterndem Tonfall.

»Eine Krone? Vielleicht ein Krönchen?«

Karotte beugte sich zum Obergefreiten hinab. »Hier ist von einem Diadem die Rede, Reg? Können wir…?« Er richtete sich wieder auf. »Wir sind bereit, ›Krönchen‹ zu akzeptieren. Gut gemacht!«

Er sah erneut zum Obergefreiten Schuh.

»Es ist doch alles in Ordnung, nicht wahr, Reg? Ich meine, sie sind eingebrochen, sie haben eine Geisel genommen…«

»Ich schätze, da hast du recht…«

»Bitte! Nein! Sei brav! Runter!«

»Das wär’s«, sagte Reg Schuh und blickte am Karren vorbei. »Sie haben alles gestanden, bis auf den Fall von Exhibitionismus im Hide Park…«

»Das waren wir!« rief jemand.

»… und dahinter steckte eine Frau…«

»Wir waren es!« Diesmal klang die Stimme ein ganzes Stück schriller. »Dürfen wir das Gebäude jetzt bitte verlassen?«

Karotte stand auf und hob das Megaphon vor die Lippen. »Wenn die Herren so gütig wären, mit erhobenen Händen nach draußen zu kommen…«

»Soll das ein Witz sein?« wimmerte jemand, während das Knurren im Hintergrund kurz lauter wurde.

»Na schön, dann haltet die Hände so, daß ich sie sehen kann.«

»In Ordnung!«

Vier Männer wankten auf die Straße. Ihre zerrissene Kleidung flatterte im Wind. Der Anführer deutete mit einem anklagenden Zeigefinger zur Tür, als sich Karotte näherte.

»Den Besitzer des Lagers sollte man vor Gericht stellen!« brachte er hervor. »Ein wildes Tier in dem Raum zu halten… Das ist skandalös! Wir sind ganz friedlich eingebrochen, und das Biest hat uns völlig grundlos angegriffen!«

»Ihr habt auf den Obergefreiten Schuh geschossen«, erwiderte Karotte.

»Aber wir wollten ihn nicht treffen! Nein, das wollten wir nicht!«

Obergefreiter Schuh deutete auf den Pfeil in seinem Brustharnisch.

»Seht euch das an!« jammerte er. »Das ist Arbeit für den Schweißer, und wir müssen die Reparaturen unserer Ausrüstung selbst bezahlen, und es bleibt immer etwas zurück, ganz gleich, welche Mühe man sich gibt – man sieht, daß der Harnisch repariert worden ist.«

Die entsetzten Blicke der vier Männer galten den Nähten an Schuhs Hals und Händen. Ihnen dämmerte die Erkenntnis, daß man bei Menschen zwar viele verschiedene Hautfarben beobachten konnte, es allerdings kaum Lebende gab, deren Haut grünlich-grau schimmerte.

»Du bist ein Zombie

»Hast du vielleicht was gegen Tote?« fragte Obergefreiter Schuh scharf.

»Und ihr habt Korporal Angua als Geisel genommen. Eine Dame«, fuhr Karotte fort. Er sprach noch immer in ruhigem, freundlichem Tonfall, aber etwas in seiner Stimme wies darauf hin, daß irgendwo eine Zündschnur brannte und man besser nicht auf den Knall wartete.

»Ja… in gewisser Weise… aber offenbar ist sie entkommen, als das Biest erschien…«

»Habt ihr sie im Lager gelassen?« fragte Karotte. Er schien die Gelassenheit selbst zu sein.

Die vier Männer sanken auf die Knie. Der Anführer hob beschwörend den Kopf.

»Bitte! Wir sind nur Räuber und Diebe! Wir führen nichts Böses im Schilde!«

Karotte nickte Schuh zu. »Bring sie zur Wache, Obergefreiter.«

»Sofort!« erwiderte Schuh. In seinen Augen blitzte es, als er die Armbrust schußbereit machte. »Die Reparatur des Brustharnischs kostet mich zehn Dollar. Ich bin auch so schon ziemlich sauer, und deshalb rate ich euch, keinen Fluchtversuch zu unternehmen.«

»O nein, wir fliehen nicht, auf keinen Fall! Wir kämen nicht einmal auf den Gedanken.«

Karotte betrat das Gebäude. In offenen Türen zeigten sich besorgte Gesichter, und der Hauptmann lächelte beruhigend, als er sich dem Lagerraum näherte.

Korporal Angua rückte gerade ihre Uniform zurecht.

»Bevor du danach fragst: Ich habe niemanden gebissen«, sagte sie, als Karotte im Eingang erschien. »Nicht einmal Fleischwunden. Ich habe nur ihre Hosen zerrissen. Und das war kein Zuckerschlecken, kann ich dir versichern.«

Ein weiteres besorgtes Gesicht erschien.

»Ah, Herr Vortin«, sagte Karotte. »Du wirst feststellen, daß nichts fehlt. Die Einbrecher haben alles liegen gelassen.«

Der Diamantenhändler wirkte verblüfft.

»Ich habe gehört, daß sie eine Geisel genommen haben…«

»Sie haben ihren Fehler eingesehen«, erwiderte Karotte.

»Und… man hörte ein Knurren… Es klang nach einem Wolf…«

»Ah ja«, sagte Karotte. »Nun, du weißt ja, wenn sich Einbrecher ergeben…« Das war keine Erklärung, aber Karottes Tonfall deutete darauf hin, daß es doch eine war. Als Karotte und Angua gegangen waren, gab sich Vortin ganze fünf Minuten lang damit zufrieden.

»Nun, dieser Tag beginnt recht angenehm«, sagte Karotte.

»Herzlichen Dank, nein, ich bin nicht verletzt«, entgegnete Angua.

»Dadurch lohnt sich die Mühe.«

»Nur mein Haar ist durcheinander, und eine weitere Bluse ist ruiniert.«

»Gute Arbeit.«

»Manchmal habe ich das Gefühl, daß du mir überhaupt nicht zuhörst«, sagte Angua.

»Freut mich, das zu hören«, erwiderte Karotte.

 

Die ganze Wache war angetreten. Mumms Blick glitt über das Meer aus Gesichtern.

Meine Güte, dachte er. Wie viele sind es inzwischen? Vor einigen Jahren konnte man die Angehörigen der Wache an den Fingern der Hand eines blinden Metzgers abzählen, und jetzt…

Es kamen noch mehr herein.

Mumm beugte sich zu Karotte. »Wer sind all diese Leute?«

»Wächter, Herr Kommandeur. Du hast sie dazu ernannt.«

»Was? Einige von ihnen sehe ich heute zum ersten Mal!«

»Du hast die Papiere unterschrieben, Herr Kommandeur. Und jeden Monat unterzeichnest du die Soldscheine – nach einer Weile.«

Bei den letzten Worten lag ein Hauch von Kritik in Karottes Stimme. Mumms Einstellung der Schreibarbeit gegenüber ließ sich folgendermaßen beschreiben: Kümmere dich erst darum, wenn jemand schreit – dann kannst du wenigstens Hilfe erwarten.

»Aber wie sind diese Leute zu Wächtern geworden?«

»Auf die übliche Weise, Herr Kommandeur. Nach der Vereidigung bekam jeder von ihnen einen Helm…«

»He, da steht Reg Schuh! Er ist ein Zombie! Ihm fallen dauernd irgendwelche Körperteile ab!«

»Er genießt hohes Ansehen in der Gemeinschaft der Untoten, Herr Kommandeur«, sagte Karotte.

»Wieso gehört er zu uns?«

»Er beklagte sich in der letzten Woche, daß die Wache einige Schwarze Männer belästigte. Er legte seinen Standpunkt mit… äh… großer Vehemenz dar. Ich überzeugte ihn davon, daß die Wache mehr Sachkenntnis benötigt, daraufhin ließ er sich rekrutieren.«

»Jetzt gibt es keine Beschwerden mehr, nehme ich an.«

»Oh, sogar doppelt so viele wie vorher, Herr Kommandeur. Alle kommen von den Untoten und richten sich gegen den Obergefreiten Schuh. Ich frage mich, was der Grund dafür sein mag.«

Mumm musterte Karotte neugierig.

»Er fühlt sich deshalb sehr verletzt, Herr Kommandeur. Er meint, die Untoten verstünden einfach nicht die Probleme des Polizeidienstes in einer multivitalen Gesellschaft, Herr Kommandeur.«

Bei den Göttern, dachte Mumm. Das hätte ich tun können. Ich ergreife solche Maßnahmen, weil ich keinen Wert darauf lege, nett zu sein. Aber Karotte ist die Nettigkeit in Person. Wenn es eine Goldmedaille dafür gäbe, nett zu sein, hätte man sie ihm schon verliehen. Er kann doch nicht…

Mumm begriff, daß er nie Gewißheit erlangen würde. Nur eins war ihm klar: Irgendwo hinter Karottes unschuldigem Blick war eine Stahltür verborgen.

»Du hast ihn in die Wache aufgenommen, stimmt’s?«

»Nein, Herr Kommandeur. Dieses Verdienst gebührt dir. Du hast nicht nur die Aufnahmepapiere unterschrieben, sondern auch den Ausrüstungsschein und die aktuelle Einsatzorder.«

An Mumms innerem Auge zogen zahllose Dokumente vorbei, unter die er in aller Eile seinen Namen gekritzelt hatte. Es ließ sich nicht leugnen: Durch seine Unterschrift waren Reg Schuh und die anderen zu Wächtern geworden. Es stimmte auch, daß sie neue Leute brauchten, aber trotzdem regte sich Unbehagen in ihm, und er dachte: Früher bin ich es gewesen, der…

»Außerdem darf jeder rekrutieren, der mindestens den Rang eines Feldwebels bekleidet«, fügte Karotte hinzu, als könnte er die Gedanken des Kommandeurs lesen. »So steht es in der Dienstvorschrift. Auf Seite zweiundzwanzig, direkt unter dem Teefleck.«

»Und… wie viele neue Wächter hast du rekrutiert?«

»Nur ein paar. Wir sind noch immer unterbesetzt.«

»Offenbar brauchen wir so dringend Leute, daß wir sogar auf Tote zurückgreifen.«

»Auf Untote, Herr Kommandeur. Möchtest du jetzt zu den Wächtern sprechen?«

Erneut glitt Mumms Blick über die versammelte… Menge. Es genügte einfach nicht, von »vielen« zu sprechen, fand er. Die Beschreibung »Menge« traf den Kern der Sache ziemlich genau, denn dieses Wort ließ auch ausreichend Platz für Unterschiede.

Mumm sah große und kleine Wächter, dicke und dünne. Er sah Trolle mit Flechten auf den steinernen Schultern, bärtige Zwerge, den tönernen Golem namens Dorfl, mehrere Untote… Noch immer wußte er nicht genau, ob er auch Korporal Angua zu ihnen zählen sollte. Sie war eine intelligente junge Frau und konnte zu einem Wolf werden, wenn die Umstände es erforderten. Leute, die woanders keinen Platz fanden, hatte Colon einmal gesagt. In der Tat: Nur aus solchen Außenseitern und Heimatlosen konnten Polizisten werden.

Im Grunde trugen sie alle Uniform, allerdings von sehr individueller Art. Jeder von ihnen war zum Arsenal geschickt worden, um sich dort mit passenden Dingen ausrüsten zu lassen. Das Ergebnis war eine wandelnde historische Ausstellung: »Komisch gekleidete Soldaten aus allen Epochen«.

»Äh… meine Damen und Herren…«, begann Mumm.

»Bitte seid still und hört Kommandeur Mumm zu!« donnerte Karotte.

Mumm begegnete dem Blick von Angua, die an der Wand lehnte. Sie rollte hilflos mit den Augen.

»Ja, ja, danke, Hauptmann Karotte«, sagte er und wandte sich wieder an die versammelte Wache von Ankh-Morpork. Er öffnete den Mund. Und erstarrte. Dann schloß er den Mund wieder, bis auf einen kleinen Teil im Winkel. Aus diesem Winkel fragte er: »Was hat der Haufen auf dem Kopf des Obergefreiten Feuerstein zu bedeuten?«

»Das ist Obergefreiter Knuddel Winzig, Herr Kommandeur. Er mag eine gute Aussicht.«

»Er ist ein Gnom

»Stimmt haargenau, Herr Kommandeur.«

»Noch einer von deinen Leuten?«

»Von unseren, Herr Kommandeur«, erwiderte Karotte jetzt wieder in dem ein wenig vorwurfsvoll klingenden Tonfall. »Ja, Herr Kommandeur. Seit letzter Woche gehört er zum Personal der Wache in der Kröselstraße.«

»Meine Güte…«, ächzte Mumm.

Knuddel Winzig bemerkte seinen Blick und salutierte. Er war etwa dreizehn Zentimeter groß.

Mumm versuchte, sein geistiges Gleichgewicht wiederzufinden. Dick und dünn, klein und groß… Außenseiter und Heimatlose. Leute, die woanders keinen Platz finden, fuhr es ihm durch den Sinn. Wir alle.

»Ich will nicht viele Worte verlieren«, sagte er. »Ihr kennt mich. Besser gesagt: Die meisten von euch kennen mich«, korrigierte er sich und sah dabei kurz zu Karotte. »Ich halte keine langen Reden. Sicher habt ihr bemerkt, daß die Leshp-Angelegenheit erhebliche Unruhe in der Stadt ausgelöst hat. Man munkelt von Krieg und dergleichen. Nun, der Krieg geht uns nichts an. Für den Krieg sind Soldaten zuständig. Unsere Aufgabe besteht darin, den Frieden zu wahren. Ich möchte euch etwas zeigen…«

Er trat zurück und holte mit einer eleganten Geste etwas aus der Tasche. Das war zumindest seine Absicht. Doch das Objekt leistete unerwarteten Widerstand, woraufhin Mumm mit etwas mehr Nachdruck zog…

Leinen gab nach und riß. Etwas löste sich aus dem Stoff.

»Verdammter Mist…«

Mumm hob einen Gegenstand aus glänzendem schwarzem Holz hoch. Am einen Ende befand sich ein silberner Knauf.

Die Wächter reckten den Hals.

»Dies… äh… dies…« Der Kommandeur suchte nach den richtigen Worten. »Vor ein paar Wochen kreuzte ein alter Knabe aus dem Palast auf und gab mir dieses verdammte Ding. Daran klebte ein Etikett mit der Aufschrift Insignien des Kommandeurs der Wache, Ankh-Morpork. Wißt ihr, im Palast geht nichts verloren; dort wird nie etwas weggeworfen.«

Er winkte mit dem Objekt. Das Holz war erstaunlich schwer.

»Der Knauf ist mit einem Wappen geschmückt, seht nur.«

Dreißig Wächter versuchten, das Wappen zu erkennen.

»Und ich dachte… Ich dachte, lieber Himmel, das soll ich tragen? Und ich dachte darüber nach, und dann dachte ich, nein, es ist richtig, dieses eine Mal haben sie’s richtig hingekriegt. Es ist nicht einmal eine Waffe, nur ein Ding. Man benutzt es nicht, man hat es einfach nur dabei. Genau darum geht es. Ähnlich verhält es sich mit Uniformen. Wißt ihr, ein Soldat wird durch seine Uniform zum kleinen Teil einer Menge aus vielen anderen Teilen, die alle die gleiche Uniform tragen, aber bei einem Polizisten dient die Uniform…«

Mumm unterbrach sich. Die verwirrten Mienen der Zuhörer verrieten ihm, daß er auf bestem Wege war, ein komplexes Kartenhaus auf einem Fundament zu weniger Karten zu errichten.

Er hüstelte.

»Wie dem auch sei«, fuhr er fort und machte mit einem finsteren Blick deutlich, daß die Wache besser vergaß, was er in den vergangenen zwanzig Sekunden gesagt hatte. »Unsere Aufgabe besteht darin zu verhindern, daß die Leute gegeneinander kämpfen. Auf den Straßen passiert ziemlich viel. Wahrscheinlich habt ihr gehört, daß wieder Regimenter gebildet werden. Nun, von mir aus sollen die Würdenträger der Stadt nach Herzenslust rekrutieren, aber eins steht fest: Ich lasse keinen Mob zu. Es herrscht eine ziemlich scheußliche Stimmung. Ich weiß nicht, was geschehen wird, aber wir müssen bereit sein, wenn es soweit ist.« Mumm sah sich im Raum um. »Und noch etwas. Morgen trifft ein klatschianischer Gesandter ein. Ich bezweifle, daß die Assassinengilde in dieser Hinsicht irgend etwas plant, aber heute nacht überprüfen wir den Weg, den die Prozession der Zauberer morgen nehmen wird. Ein hübscher kleiner Auftrag für die Nachtschicht. Und in diesem besonderen Fall sind wir alle für die Nachtschicht eingeteilt.«

Die Wache stöhnte.

»Wie mein alter Feldwebel zu sagen pflegte: Wenn ihr keinen Spaß vertragen könnt, hättet ihr nicht Wächter werden sollen«, fügte Mumm hinzu. »Ich dachte da an eine freundliche Tür-zu-Tür-Inspektion. Klinkenputzen. Ein wenig frische Luft an die Uniform lassen und so weiter. Irgendwelche Fragen? Gut. Vielen Dank.«

Füße scharrten, und die Wächter entspannten sich, als sie begriffen, daß sie wegtreten durften.

Karotte begann zu klatschen.

Es war nicht jene Art von Klatschen, mit der Mittlinge Unterlinge veranlaßten, Oberlingen zu applaudieren.1 Hinter diesem Klatschen steckte echte Begeisterung, und das machte alles nur noch schlimmer. Einige der noch leicht zu beeindruckenden neuen Wächter klatschten ebenfalls, wie Kieselsteine, die den Erdrutsch ankündigen. Wenige Sekunden später ließ donnernder Applaus die Wände des Raums erzittern.

Mumm schnitt eine Grimasse.

»Sehr inspirierend, Herr Kommandeur!« rief Karotte, als das Klatschen noch lauter wurde.

 

Regen strömte auf Ankh-Morpork herab. Er füllte die Dachrinnen und Gossen, floß über ihre Ränder und wurde vom Wind fortgetragen. Nach Salz schmeckte er.

Die Wasserspeier hatten ihre schattigen Tagesplätze verlassen und hockten nun auf Türmen und Vorsprüngen, streckten Ohren und Flügel aus, um alles Eßbare aus den Fluten zu filtern. Es war bemerkenswert, was auf Ankh-Morpork herabfallen konnte. Niemand verlor ein Wort darüber, wenn es kleine Fische und Frösche regnete, aber Bettgestelle erregten doch Aufmerksamkeit.

Aus einer schadhaften Regenrinne spritzte der Regen am Fenster von Ostie Brunt vorbei, der auf dem Bett saß, weil es im Zimmer weder Stühle noch andere Einrichtungsgegenstände gab. Derzeit machte ihm das nichts aus. In ein oder zwei Minuten ärgerte er sich vielleicht darüber – oder vielleicht auch nicht.

Ostie war keineswegs verrückt. Freunde hätten ihn als ruhigen Burschen bezeichnet, der gern allein blieb, aber solche Beschreibungen blieben aus, da er keine Freunde hatte. Nun, es gab einige Männer, die am Dienstagabend den Schießstand aufsuchten, um sich im Umgang mit Pfeil und Bogen zu üben, und manchmal begleitete er sie anschließend in eine Taverne und hörte dort ihren Gesprächen zu. Einmal hatte er gespart, um eine Runde zu spendieren, obwohl sie sich vermutlich nicht daran erinnerten, oder sie würden vielleicht sagen: »Oh… ja… Ostie.« Auf diese Weise sprachen die Leute von ihm. Sie neigten dazu, ihm ebensowenig Beachtung zu schenken wie leerem Raum.

Er war nicht dumm. Er dachte ein wenig über die Dinge nach. Manchmal saß er stundenlang da und starrte an die gegenüberliegende Wand, wo sich in feuchten Nächten Regenflecken zeigten. Bei solchen Gelegenheiten zeichnete er in Gedanken Karten von Klatsch.

Jemand hämmerte an die Tür. »Herr Brunt? Kann ich hereinkommen?«

»Derzeit habe ich zu tun, Frau Geifer«, erwiderte er. Hastig schob er den Bogen und die Zeitschriften unters Bett.

»Es geht um die Miete!«

»Ja, Frau Geifer?«

»Du kennst meine Regeln!«

»Ich bezahle morgen, Frau Geifer«, sagte Ostie und sah zum Fenster.

»Bis Mittag, bar auf die Hand. Sonst sitzt du auf der Straße!«

»Ja, Frau Geifer.«

Er hörte, wie sie die Treppe hinunterstapfte.

Ganz langsam zählte er bis fünfzig, griff dann unters Bett und holte den Bogen wieder hervor.

 

Angua war mit Nobby auf Streife. Von einer idealen Einteilung konnte man in diesem Zusammenhang nicht sprechen, aber Karotte mußte sich um andere Aufgaben kümmern, und in solchen Nächten hatte der für den Dienstplan verantwortliche Fred Colon das geradezu unheimliche Glück, für die Büroarbeit eingeteilt zu sein.

»Wenn ich über eine persönliche Angelegenheit mit dir reden dürfte…«, fragte Nobby, als sie Türklinken ausprobierten und mit ihren Laternen in dunkle Gassen leuchteten.

»Ja, Nobby?«

»Es geht um eine sehr persönliche Angelegenheit.«

»Oh.«

»Ich würde Fred fragen, aber ich fürchte, er würde das nicht verstehen, im Gegensatz zu dir. Ich meine, immerhin bist du eine Frau und so. Zumindest die meiste Zeit über.«

»Worum geht’s, Nobby?«

»Um meine… äh… sexuelle Natur.«

Angua schwieg. Regen prasselte auf Nobbys schlecht sitzenden Helm.

»Es wird Zeit, daß ich der Sache ganz offen in die Augen sehe.«

Angua verfluchte ihr gutes Vorstellungsvermögen.

»Und… äh… wie willst du das anstellen, Nobby?«

»Ich meine, ich habe mir das eine oder andere bestellt. Zum Beispiel Cremes.«

»Cremes«, wiederholte Angua.

»Zum Einreiben«, erklärte Nobby.

»Einreiben.«

»Und ein Ding, mit dem man übt…«

»Bei den Göttern…«

»Verzeihung?«

»Was? Oh… mir ist nur gerade etwas eingefallen. Ich bin ganz Ohr. Übungen?«

»Ja. Um den Bizeps zu entwickeln und so.«

»Ach, Übungen. Im Ernst?« Nobby schien überhaupt keinen nennenswerten Bizeps zu haben. Eigentlich gab es kaum etwas, woran diese Muskeln sitzen konnten. Irgendwo mußten Arme existieren, denn die Hände waren an den Schultern befestigt, aber mehr konnte man beim besten Willen nicht sagen.

Entsetztes Interesse übernahm die Kontrolle von Anguas Mund.

»Warum, Nobby?«

Er senkte verlegen den Blick.

»Nun… ich meine… du weißt schon… Frauen und so…«

Angua beobachtete erstaunt, wie Nobby errötete.

»Soll das heißen…«, begann sie. »Du… du suchst nach einer…«

»Oh, ich will nicht nur… Ich meine, ich will alles richtig machen, wie es sich gehört… Ich meine, nein.« Nobby unterbrach sich und holte Luft. »Ich meine folgendes: Wenn man älter wird, denkt man darüber nach, sich zur Ruhe zu setzen und jemanden zu finden, mit dem man Hand in Hand die holprige Landstraße des Lebens wandern kann… Warum steht dein Mund offen?«

Angua klappte ihn wieder zu.

»Aber es gelingt mir einfach nicht, Frauen kennenzulernen«, fügte Nobby hinzu. »Nun, ich meine, ich begegne ihnen – und dann laufen sie weg.«

»Trotz der Creme.«

»Ja.«

»Und der Übungen.«

»Ja.«

»Nun, du hast es mit allen Mitteln versucht, das sehe ich«, sagte Angua. »Es ist mir ein Rätsel, wieso du bisher noch keinen Erfolg hattest.« Sie seufzte. »Was ist mit Stamina Klimper in der Ulmenstraße?«

»Sie hat ein Holzbein.«

»Oder wie wär’s mit… Wilma Schubwagen? Sie hat den Muschel-Imbißstand in der Rauhreifstraße.«

»Meinst du ›Hammerhai‹? Die stinkt die ganze Zeit nach Fisch. Und außerdem schielt sie.«

»Aber sie hat ihr eigenes Geschäft. Und sie macht eine ausgezeichnete Fischsuppe.«

»Aber sie schielt.«

»Eigentlich nicht richtig, Nobby.«

»Ja, aber du weißt, was ich meine.«

Angua mußte zugeben, daß sie es tatsächlich wußte. Wilma Schubwagen schielte nicht in dem Sinne; eher im Gegenteil: Beide Augen schienen bestrebt zu sein, einen Blick ins angrenzende Ohr zu werfen. Wenn man mit ihr sprach, hatte man den Eindruck, daß sie in zwei verschiedene Richtungen fortgehen wollte. Aber niemand konnte Fische besser ausnehmen als sie.

Angua seufzte erneut. Sie kannte das Syndrom. Die Männer behaupteten, daß sie nach einer Seelenfreundin und Gefährtin suchten, aber früher oder später standen auf der Wunschliste auch seidene Haut und große, feste Brüste.

Karotte bildete die einzige Ausnahme. Das war ein Aspekt seines Wesens, über den man sich fast… ärgern konnte. Angua vermutete, daß er nicht einmal enttäuscht gewesen wäre, wenn sie sich das Haar abschnitt oder einen Bart wachsen ließ. Er nahm solche Dinge durchaus zur Kenntnis, aber sie schienen ihm gleichgültig zu sein, und eine solche Einstellung fand Angua aus irgendeinem Grund entnervend.

»Ich kann dir nur einen Tip geben«, sagte sie. »Frauen fühlen sich oft zu Männern hingezogen, die sie zum Lachen bringen.«

Nobbys Miene erhellte sich. »Wirklich? Damit sollte ich keine Probleme haben.«

»Gut.«

»Die Leute lachen dauernd über mich.«

Weit oben achtete Ostie Brunt nicht auf den Regen, der ihn bereits bis auf die Haut durchnäßt hatte. Er prüfte das Ölzeug, das den Bogen schützte, und bereitete sich dann auf das lange Warten vor.

 

Regen war der Freund von Polizisten. In dieser Nacht fanden alle Verbrechen zu Hause statt.

Mumm stand im Windschatten eines Springbrunnens auf dem Hiergibt’salles-Platz. Schon seit Jahren funktionierte die Fontäne nicht mehr, aber er wurde trotzdem so naß, als wäre sie in voller Aktion. Nie zuvor hatte er echten horizontalen Regen erlebt.

Weit und breit war niemand zu sehen. Der Regen marschierte wie… eine Armee über den Hiergibt’salles-Platz…

Dieses Bild stammte aus seiner Kindheit. Seltsam, wie solche Dinge plötzlich aus den dunklen Ecken des Gehirns hervorsprangen.

Regentropfen, die auf Wasser fielen…

Ah ja… Als Junge hatte er sich vorgestellt, das Prasseln in den Rinnsteinen würde von Soldaten hervorgerufen. Von Millionen Soldaten. Und die vorbeischwimmenden Blasen waren Reiter.

Mumm erinnerte sich nicht daran, womit er damals den gelegentlich vorbeitreibenden toten Hund verglichen hatte. Vielleicht mit einer Belagerungswaffe.

Wasser gurgelte an seinen Stiefeln vorbei und tropfte von seinem Umhang. Als er versuchte, sich eine Zigarre anzuzünden, blies der Wind das Streichholz aus, und der vom Helm herabströmende Regen durchnäßte die Zigarre.

Mumm lächelte.

Er wurde – vorübergehend – zu einem glücklichen Mann. Er war allein, Kälte und Nässe ausgesetzt, um drei Uhr in einer stürmischen Nacht. Einige der besten Nächte seines Lebens hatte er auf diese Weise verbracht. Bei solchen Gelegenheiten konnte man die Schultern so hochziehen und den Kopf so nach vorn beugen, um zu einer kleinen Insel der Wärme und des Friedens zu werden, während der Regen auf den Helm prasselte und die Gedanken dahintrieben, die Welt zu enträtseln versuchten…

So war es damals gewesen, als sich niemand um die Wache scherte und Wächter eigentlich nur versuchten, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Damals hatte es nicht viel zu tun gegeben.

Das stimmt nicht, widersprach eine innere Stimme. Damals gab es ebensoviel zu tun wie heute. Ihr habt euch nur nicht darum gekümmert.

Mumm spürte das Gewicht des offiziellen Schlagstocks in der besonderen Tasche, die Sybil seiner Hose hinzugefügt hatte. Warum ist es nur ein Stück Holz? hatte er sich gefragt, als er das Objekt zum erstenmal sah. Warum kann es nicht ein Schwert sein? Das Schwert symbolisiert Macht…

Und dann begriff er, warum es kein Schwert sein konnte.

»Heda, braver Bürger! Darf ich fragen, was dich in dieser ungemütlichen Nacht hierher führt?«

Mumm seufzte. Das Licht einer Laterne erschien in der Dunkelheit, umgeben von einem Heiligenschein aus Wasser.

Heda, braver Bürger… Es gab nur eine Person in der Stadt, die solche Worte benutzte und sie auch ernst meinte.

»Ich bin’s, Hauptmann.«

Das Licht kam näher und erhellte das feuchte Gesicht von Hauptmann Karotte. Der junge Mann salutierte so zackig, daß selbst der kritischste Ausbilder begeistert gewesen wäre. Um drei Uhr nachts, dachte Mumm.

»Was machst du hier, Herr Kommandeur?«

»Ich wollte nur… einige Dinge überprüfen«, antwortete Mumm.

»Das hättest du mir überlassen können«, sagte Karotte. »Delegieren ist der Schlüssel zur erfolgreichen Kommandoführung.«

»Tatsächlich?« erwiderte Mumm verdrießlich. »Meine Güte, man lernt nie aus.« Und du lernst ziemlich schnell, dachte Mumm im stillen Kämmerlein seines Kopfes. Gleichzeitig war er fast davon überzeugt, ungerecht und dumm zu sein.

»Wir sind so gut wie fertig, Herr Kommandeur. Alle leeren Gebäude haben wir kontrolliert. Eine Sondereinheit bewacht die Route, und die Wasserspeier klettern so hoch wie möglich. Du weißt ja, wie gut sie beobachten können.«

»Die Wasserspeier? Ich dachte, wir hätten nur den Obergefreiten Abfluß…«

»Und jetzt auch den Obergefreiten Fenstergiebel, Herr Kommandeur.«

»Einer von deinen Leuten?«

»Einer von unseren, Herr Kommandeur. Du hast die Aufnahmepapiere unterschrieben.«

»Oh. Ja, natürlich. Das habe ich bestimmt. Verdammt!«

Wasser strömte aus einer Rinne, die nicht noch mehr Regen aufnehmen konnte. Ein Windstoß griff danach und ließ die Nässe in Mumms Kragen verschwinden.

»Es heißt, die neue Insel bringt alle Luftströmungen durcheinander«, meinte Karotte.

»Nicht nur die Luft«, erwiderte Mumm. »Wenn du mich fragst: Es herrscht ziemlich viel Aufregung wegen einiger Quadratkilometer Schlamm und Ruinen! Wen kümmert so etwas?«

»Angeblich ist die Insel strategisch sehr wichtig«, sagte Karotte. Die beiden Männer setzten sich in Bewegung und gingen nebeneinander her.

»Strategisch wichtig wofür? Derzeit führen wir gegen niemanden Krieg. Ha! Aber vielleicht ziehen wir wegen einer blöden Insel in den Krieg, die nur im Falle eines Krieges Bedeutung hat.«

»Oh, der Patrizier wird das Problem heute lösen«, verkündete Karotte fröhlich. »Wenn sich vernünftige Leute mit gutem Willen an einen Tisch setzen, lassen sich alle Meinungsverschiedenheiten überwinden.«

Davon ist er wirklich überzeugt, dachte Mumm niedergeschlagen. »Weißt du viel über Klatsch?« fragte er.

»Ich habe ein wenig darüber gelesen, Herr Kommandeur.«

»Dort soll es sehr sandig sein.«

»Ja, Herr Kommandeur. Davon habe ich gehört.«

Irgendwo krachte etwas, und ein Schrei erklang. Wächter wurden schon nach kurzer Zeit zu Spezialisten für Schreie. Für einen wahren Kenner gab es erhebliche Unterschiede zwischen »Ich bin betrunken, habe mir gerade selbst auf die Finger getreten und kann nicht aufstehen« und »Achtung, er hat ein Messer«.

Mumm und Karotte liefen los.

Licht kam aus einer schmalen Seitenstraße. Hastige Schritte entfernten sich und verschwanden in der Nacht.

Flackernder Schein fiel durch ein zertrümmertes Fenster. Mumm wankte durch die Tür, streifte den nassen Umhang ab und warf ihn auf das Feuer, das mitten im Zimmer brannte.

Es zischte, dann roch es nach heißem Leder.

Mumm trat zurück und versuchte festzustellen, wo er sich befand.

Leute starrten ihn an. Ein Teil von ihm sammelte ganz automatisch Hinweise: Turban, Bart, die Frau, ihr Schmuck…

»Woher kam er? Wer ist dieser Mann?«

»Äh… guten Morgen?« sagte Mumm. »Hier scheint es einen Zwischenfall gegeben zu haben.« Vorsichtig hob er den Umhang.

Darunter kamen eine zerbrochene Flasche und siedendes Öl zum Vorschein.

Mumm sah zu dem zertrümmerten Fenster. »Oh…«

Es befanden sich noch zwei weitere Personen in der Nähe: ein Junge, fast ebenso groß wie sein Vater, und ein kleines Mädchen, das sich hinter der Mutter zu verstecken versuchte.

Mumm spürte, wie sich in seinem Innern etwas versteifte.

Karotte erschien in der Tür.

»Ich habe sie aus den Augen verloren«, schnaufte er. »Es waren drei, glaube ich. In dem Regen erkennt man kaum etwas… Oh, du bist’s, Herr Goriff. Was ist passiert?«

»Hauptmann Karotte! Jemand hat eine Flasche mit brennendem Öl durchs Fenster geworfen und dann ist dieser Bettler gekommen und hat das Feuer gelöscht!«

»Was hat er gesagt?« fragte Mumm. Und: »Was hast du gesagt? Du sprichst Klatschianisch?«

»Nicht sehr gut«, erwiderte Karotte bescheiden. »Die Kehllaute bekomme ich nicht richtig hin, und…«

»Aber… du kannst ihn verstehen, nicht wahr?«

»Ja. Übrigens: Er hat dir seinen Dank ausgesprochen. Es ist alles in Ordnung, Herr Goriff. Er gehört zur Wache.«

»Aber du sprichst…«

Karotte ging in die Hocke und betrachtete die Flasche.

»Oh, du weißt ja, wie das ist. Man kommt während der Nachtschicht ab und zu hierher, um frisches Kümmelbrot zu essen, und dabei plaudert man miteinander, schnappt das eine oder andere Wort auf…«

»Das eine oder andere Wort? Nun, ›Vindaloo‹ vielleicht, aber… du sprichst fließend…«

»Dies ist eine Brandbombe, Herr Kommandeur.«

»Ich weiß, Hauptmann.«

»Eine schlimme Sache. Wer könnte zu so etwas fähig sein?«

»Derzeit?« erwiderte Mumm. »Ich glaube, die halbe Stadt.«

Er richtete einen hilflosen Blick auf Goriff. Der Mann erschien ihm vage vertraut. Viele Klatschianer in Ankh-Morpork waren… Gesichter am anderen Ende von Armen, die Curry-Spezialitäten anboten. Dieser Laden öffnete sehr früh am Morgen und spät am Abend, wenn die Straßen den Bäckern, Dieben und Wächtern gehörten.

Das Lokal hieß Banale Mahlzeiten. Von Nobby Nobbs wußte Mumm, daß Goriff nach einem Wort gesucht hatte, das soviel bedeutete wie »ganz gewöhnlich« und »normal«. Seine Wahl fiel schließlich auf banal, weil ihm der Klang dieses Wortes gefiel.

»Äh… sag ihm… sag ihm, daß du hierbleibst«, wandte sich Mumm an Karotte. »Ich kehre zur Wache zurück und schicke jemanden, der dich ablösen soll.«

»Danke«, sagte Goriff.

»Oh, du verste…« Mumm kam sich wie ein Narr vor. »Natürlich verstehst du unsere Sprache. Immerhin bist du schon seit fünf oder sechs Jahren in der Stadt, nicht wahr?«

»Es sind schon zehn Jahre.«

»Tatsächlich?« Mumm fühlte sich immer mehr in die Enge getrieben. »So lange bist du schon hier? Im Ernst? Meine Güte… Äh… ich gehe jetzt besser… Einen guten Morgen euch allen…«

Er eilte in den Regen hinaus.

Seit Jahren gehe ich in dem Lokal ein und aus, dachte Mumm, als er durch die Dunkelheit platschte. Trotzdem fällt es mir selbst heute noch schwer, die Namen der Speisen richtig auszusprechen. Aber Karotte spricht fließend Klatschianisch.

Meine Güte, ich kann einigermaßen Zwergisch und kann auf Trollisch wenigstens »Leg den Felsen hin, du bist verhaftet« sagen, aber Klatschianisch…

Er betrat das Wachhaus, und Regenwasser strömte an ihm herab. Fred Colon döste friedlich an seinem Schreibtisch. Aus Respekt vor der Tatsache, daß er Fred schon seit vielen Jahren kannte, nahm Mumm den nach Öl riechenden Umhang möglichst geräuschvoll ab.

Als er sich offiziell umdrehte, saß der Feldwebel kerzengerade.

»Ich wußte gar nicht, daß du heute nacht hierherkommen wolltest, Herr Mumm…«

»Es ist ein inoffizieller Besuch, Fred«, erwiderte der Kommandeur. Bei manchen Leuten hatte er nichts gegen ein »Herr« einzuwenden. In gewisser Weise verdienten sie es, ihn so nennen zu dürfen. »Schick jemanden zum Banale Mahlzeiten in der Skandalgasse. Dort gab es einen Zwischenfall.«

Er ging zur Treppe.

»Bleibst du hier?« fragte Fred.

»Ja«, erwiderte Mumm grimmig. »Ich muß mich um den verdammten Schreibkram kümmern.«

 

Auf Leshp regnete es so heftig, daß es für die Insel kaum einen Unterschied machte, daß sie aus dem Meer aufgestiegen war.

Die meisten Forscher schliefen jetzt in ihren Booten. Es gab Gebäude auf dem neuen Land, aber…

Irgend etwas ging in ihnen nicht mit rechten Dingen zu.

Fester Fanggut spähte unter der Plane hervor, die er über dem Deck gespannt hatte. Dunst stieg vom nassen Boden auf, und gelegentliche Blitze ließen ihn erglühen.

In diesem unsteten, flackernden Schein wirkte die Stadt… unheilvoll. Manche der Dinge konnte Fanggut erkennen – Säulen, Stufen, Torbögen –, aber einige andere ließen ihn schaudern. Es sah aus, als hätte jemand versucht, uralten Gebäuden einen menschlichen Aspekt hinzuzufügen.

Es war Fester Fangguts Sohn zu verdanken, daß jetzt alle in ihren Booten blieben.

Am vergangenen Morgen hatten eine Gruppe von Fischern aus Ankh-Morpork die Insel aufgesucht, um dort nach jenen Schätzen Ausschau zu halten, von denen es – wie alle wußten – auf dem Meeresgrund geradezu wimmelte. Sie entdeckten einen vom Regen aus dem Schlick gewaschenen Fliesenboden. Hübsche blaue und weiße Quadrate bildeten ein Muster, das Wellen, Muscheln und, in der Mitte, einen Tintenfisch zeigte.

»Der sieht ziemlich groß aus«, hatte Les gesagt.

Daraufhin sahen sich alle Anwesenden in dem von Tang bedeckten Gebäude um und teilten den Gedanken, der unausgesprochen blieb und aus vielen kleinen Gedanken bestand. Gedanken an Tümpel, deren Wasseroberfläche sich plötzlich kräuselte, oder an ein jähes Plätschern, das aus dunklen, überfluteten Kellern kam und Vorstellungen von Klauen weckte, die durch finstere Tiefen strichen. Die Fischer erinnerten sich an das, was gelegentlich ans Ufer geschwemmt wurde oder in ihren Netzen hängenblieb – manchmal holten sie Dinge aus dem Ozean, die einem für immer den Appetit auf Meeresfrüchte verderben konnten.

Auf einmal war niemand mehr an Forschungsausflügen interessiert, denn sie alle befürchteten, dabei etwas zu entdecken.

Fester Fanggut zog den Kopf unter die Plane zurück.

»Warum kehren wir nicht heim?« fragte sein Sohn. »Du hast doch gesagt, daß dir dieser Ort unheimlich ist.«

»Ja, aber es ist ankh-morporkianische Unheimlichkeit, und kein Ausländer hat das Recht, sie anzurühren.«

»Vater?«

»Ja?«

»Wer war Herr Hong?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Ich meine, als wir zu den Booten zurückkehrten, sagte einer der anderen Männer: ›Wir wissen ja, was mit Herrn Hong geschah, als er in der Drachenstraße sein Restaurant Dreimal Glücklicher Fischimbiß öffnete, bei Vollmond und genau dort, wo früher der Tempel eines sonderbaren Fischgottes stand…‹ Nun, ich weiß nicht, was mit ihm. geschah.«

»Äh…« Fester Fanggut zögerte. Nun, inzwischen war Les ein großer Junge…

»Er… schloß sein Lokal und brach auf, Sohn. Er hatte es so eilig, daß er einige Dinge zurückließ.«

»Was denn?«

»Wenn du’s unbedingt wissen willst: ein halbes Ohrloch und eine Niere.«

»Cool!«

Das Boot erbebte, und Holz splitterte. Fanggut stieß die Plane nach oben. Wasser spritzte über ihn hinweg. Irgendwo in der nassen Dunkelheit rief jemand: »Warum hast du keine Positionslampe gesetzt, du Vetter eines Schakals?«

Fanggut holte eine Laterne hervor und hob sie hoch.

»Was machst du in den Gewässern von Ankh-Morpork, du kamelfressender Teufel?«

»Diese Gewässer gehören uns!«

»Wir waren zuerst hier!«

»Ach? Wir waren zuerst hier!«

»Wir waren bereits hier, bevor ihr zuerst hier wart!«

»Du hast mein Boot beschädigt! Das ist Piraterie

Um sie herum ertönten weitere Stimmen – in der Finsternis waren die beiden kleinen Flotten miteinander kollidiert. Bugspriete zerrissen Takelagen. Schiffskörper donnerten gegeneinander. Die kontrollierte Panik der normalen Seefahrt verwandelte sich in jene Art von verzweifelter Panik, die durch Dunkelheit, sprühende Gischt und zuviel zerreißende Takelage entsteht.

In einer solchen Situation sollte man sich auf die alten Traditionen besinnen, die alle Seefahrer veranlassen, ihre Kräfte im Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu vereinen: den hungrigen und erbarmungslosen Ozean.

Doch genau zu diesem Zeitpunkt holte Herr Arif mit einem Ruder aus und traf Herrn Fanggut am Kopf.

 

»Hnh? Wsn?«

Mumm öffnete das einzige Auge, das bereit war, ihm zu gehorchen. Ein schrecklicher Anblick bot sich ihm dar.

Ich laß ihm seine Rechte vor woraufhin er meinet, du kannst mich mal Bulle. Fwbl. Detritus gemahnigte ihn zur Vorsicht woraufhin er sagte, autsch…

Es gibt viele Dinge, mit denen ich nicht besonders gut zurechtkomme, dachte Mumm. Aber wenigstens weiß ich, daß man Rechtschreibung und Interpunktion nicht solche Gewalt antun darf…

Er rollte den Kopf fort von Karottes gräßlicher Grammatik. Der Papierstapel unter ihm bewegte sich.

Jemand hüstelte höflich. Erneut drehte Mumm den Kopf und sah das große, rosarote Gesicht von Willikins, Lady Sybils Diener. Eigentlich war er auch sein Diener, aber Mumm dachte nicht gern auf diese Weise von ihm.

»Ich glaube, wir sollten uns besser beeilen, Sir Samuel. Ich habe die Paradeuniform mitgebracht, und das Rasierzeug liegt am Waschbecken bereit.«

»Was? Was?«

»In einer halben Stunde erwartet man dich bei der Universität. Lady Sybil hatte die Güte, mich auf folgendes hinzuweisen: Wenn du nicht pünktlich zur Stelle bist, will sie deine Gedärme als Strumpfwaren-Zubehör verkaufen.«

»Hat sie bei diesen Worten gelächelt?« fragte Mumm, stand auf und wankte zum dampfenden Becken.

»Nur ein wenig, Herr.«

»Bei den Göttern…«

»Ja, Herr.«

Mumm versuchte, sich zu rasieren, während Willikins hinter ihm die Paradeuniform vorbereitete. Draußen begannen die Uhren der Stadt zehn zu schlagen.

Es muß fast vier gewesen sein, als ich am Schreibtisch Platz nahm, dachte Mumm. Ich habe den Wachwechsel um acht gehört und dann versucht, Nobbys Spesen auszurechnen, was an höhere Mathematik grenzt…

Er versuchte, zu gähnen und sich gleichzeitig zu rasieren, was nie eine gute Idee ist.

»Verdammt!«

»Ich hole sofort etwas Seidenpapier, Herr«, sagte Willikins, ohne sich umzudrehen. Als Mumm sein Kinn betupfte, fuhr der Diener fort: »Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um eine Angelegenheit von gewisser Bedeutung zur Sprache zu bringen, Herr…«

»Ja?« Mumm starrte auf die rote Strumpfhose hinab, die ein wichtiger Bestandteil der Paradeuniform zu sein schien.

»Bedauerlicherweise muß ich um Sonderurlaub bitten, der mit meiner Nachricht beginnt, Herr. Ich möchte zur Fahne.«

»Zu welcher Fahne, Willikins?« fragte Mumm und hob ein Hemd mit Puffärmeln hoch. Dann gelang es seinem Gehirn, die Botschaft der Ohren zu verarbeiten. »Du willst Soldat werden?«

»Es heißt, wir müßten Klatsch eine Lektion erteilen, Herr. Ein Willikins ist immer zur Stelle, wenn seine Heimat ruft. Ich glaube, Lord Venturiis Schwere Infanterie eignet sich für mich. Dort trägt man eine besonders attraktive rotweiße Uniform, Herr. Mit goldenen Rangabzeichen.«

Mumm zog die Stiefel an. »Hast du militärische Erfahrung?«

»O nein, Herr. Aber ich lerne schnell, und ich kann gut mit dem Tranchiermesser umgehen.« Patriotischer Eifer zeigte sich im Gesicht des Dieners.

»Du hast mit gebratenen Truthähnen und so geübt«, sagte Mumm.

»Ja, Herr«, bestätigte Willikins und polierte den Zeremonienhelm.

»Und du möchtest gegen die heulenden Horden von Klatsch in den Kampf ziehen?«

»Wenn es nötig ist, Herr«, entgegnete Willikins. »Ich glaube, der Helm glänzt jetzt auf angemessene Weise, Herr.«

»Ein ziemlich sandiger Ort, heißt es. Klatsch, meine ich.«

»In der Tat, Herr.« Willikins zog den Riemen des Helms unter Mumms Kinn stramm.

»Und felsig. Ja, es soll dort viele Felsen geben. Und jede Menge Staub.«

»Ein teilweise recht trockenes Land, Herr. Ich glaube, da hast du ganz recht.«

»Und in dieses sandfarbene Land mit sandfarbenen Felsen und sandfarbenem Sand willst du ziehen, Willikins, mit deinen Besteck-Erfahrungen und in einer rotweißen Uniform?«

»Mit goldenen Rangabzeichen, Herr.« Willikins schob das Kinn vor. »Ja, Herr. Falls es notwendig werden sollte.«

»Kommt dir eine solche Vorstellung überhaupt nicht seltsam vor?«

»Herr?«

»Oh, schon gut.« Mumm gähnte. »Nun, wir werden dich vermissen, Willikins.« Zittert, ihr Klatschianer, fügte er in Gedanken hinzu.

»Lord Venturii meinte, bis Silvester sei alles vorbei, Herr.«

»Ach? Ich wußte gar nicht, daß es schon angefangen hat.«

 

Mumm eilte die Treppe hinunter. Der Geruch von Curry wehte ihm entgegen.

»Wir haben etwas für dich aufgespart, Herr Kommandeur«, sagte Feldwebel Colon. »Du hast geschlafen, als der Junge es brachte.«

»Er meint Goriffs Jungen«, erklärte Nobby und versuchte, ein Reiskorn auf seinem Blechteller einzufangen. »Genug für die halbe Schicht.«

»Der Lohn der Pflicht«, kommentierte Mumm und hastete zur Tür.

»Brot und eingelegte Mangos und so weiter«, schwärmte Colon. »Ich habe immer gesagt, daß der alte Goriff gar nicht so übel ist, für einen Handtuchkopf, meine ich.«

Eine Lache aus siedendem Öl… Mumm verharrte an der Tür. Die Familie, dicht zusammengedrängt… Er holte die Uhr hervor. Zwanzig nach zehn. Wenn er lief…

»Würdest du mich bitte in mein Büro begleiten, Fred?« fragte er. »Es dauert nicht lange.«

»Bin schon unterwegs.«

Mumm führte den Feldwebel nach oben und schloß die Tür.

Nobby und die anderen Wächter spitzten die Ohren, hörten jedoch nur ein unverständliches Murmeln, das eine Zeitlang dauerte.

Die Tür öffnete sich wieder. Mumm kam die Treppe herunter.

»Nobby, bitte komm in fünf Minuten zur Universität, in Ordnung? Ich möchte in Kontakt bleiben und habe keine Lust, diese Uniform von einer Taube bekleckern zu lassen.«

»In Ordnung, Herr Kommandeur.«

Mumm verließ die Wache.

Einige Sekunden später kehrte Feldwebel Colon mit langsamen Schritten in den Wachraum zurück. Sein Blick schien nach innen gekehrt zu sein, und er trat mit einer Lässigkeit zum Schreibtisch, die nur extrem besorgte Personen erzielen können. Eine Zeitlang drehte er die Zettel auf dem Tisch hin und her.

»Dir ist es doch gleich, wie dich die Leute nennen, nicht wahr, Nobby?« fragte er schließlich.

»Wenn’s mir nicht gleich wäre, müßte ich die ganze Zeit besorgt sein«, erwiderte Korporal Nobbs fröhlich.

»Ja. Ja! Und für mich spielt es ebenfalls keine Rolle, was die Leute über mich sagen.« Colon kratzte sich am Kopf. »Eigentlich ergibt es überhaupt keinen Sinn. Ich schätze, der Kommandeur hat einfach zuwenig geschlafen.«

»Er ist ein sehr beschäftigter Mann, Fred.«

»Weil er versucht, alles selbst zu erledigen. Übrigens, Nobby…«

»Ja?«

»Es heißt ›Feldwebel Colon‹, herzlichen Dank.«

 

Es gab Sherry. Bei solchen Gelegenheiten gab es immer Sherry. Sam Mumm geriet dabei nicht in Versuchung – schon seit einer ganzen Weile trank er nur noch Fruchtsaft. Er hatte gehört, daß man Sherry herstellte, indem man Wein schlecht werden ließ. Er sah einfach keinen Sinn darin.

»Und du wirst versuchen, würdevoll auszusehen, nicht wahr?« fragte Lady Sybil und rückte seinen Umhang zurecht.

»Ja, Schatz.«

»Was wirst du versuchen?«

»Würdevoll auszusehen.«

»Und bitte sei diplomatisch.«

»Ja, Schatz.«

»Was wirst du sein?«

»Diplomatisch, Schatz.«

»Du sprichst wieder im Tonfall eines Ehemannes, der unter dem Pantoffel steht, Sam.«

»Ja, Schatz.«

»Du weißt, daß das nicht fair ist.«

»Nein, Schatz.« Mumm hob die Hand zu einer kapitulierenden Geste. »Na schön, na schön. Es ist wegen der Federn. Und wegen der Strumpfhose.« Er schnitt eine Grimasse und versuchte, gewisse Dinge möglichst unauffällig zurechtzurücken, um keinen Buckel in der Leistengegend zu bekommen. »Ich meine, stell dir nur vor, mich sieht jemand…«

»Du sollst gesehen werden, Sam. Immerhin führst du die Prozession an. Und ich bin sehr stolz auf dich.«

Sie strich ihm Fusseln von der Schulter.2

Federn am Hut, dachte Mumm bedrückt. Und eine viel zu knapp sitzende Strumpfhose. Und ein glänzender Brustharnisch. Ein Brustharnisch sollte nicht glänzen, sondern stumpf und verbeult sein. Und diplomatisches Gerede. Woher soll ich wissen, wie man diplomatisch redet?

»Und jetzt muß ich gehen und mit Lady Selachii sprechen«, verkündete Lady Sybil. »Es ist doch alles in Ordnung mit dir, oder? Du gähnst dauernd.«

»Oh, keine Sorge. Ich hab in der letzten Nacht nur wenig geschlafen, das ist alles.«

»Versprichst du mir, nicht wegzulaufen?«

»Ich? Ich bin nie…«

»Du bist vor der großen Abendgesellschaft weggerannt, die zu Ehren des gennuanischen Botschafters gegeben wurde. Alle haben es gesehen.«

»Ich bekam die Nachricht, daß die De Bris-Bande Vortins Diamantenlager ausräumen wollte!«

»Es ist nicht nötig, daß du selbst jeden Verbrecher verfolgst, Sam. Dafür gibt es jetzt andere Leute.«

»Wir haben die Burschen erwischt«, stellte Mumm zufrieden fest.

Er lächelte verträumt, als er an den Einsatz zurückdachte. Nicht nur wegen der Verfolgungsjagd, die er als sehr erfrischend empfunden hatte, mit dem samtenen Umhang in einem Baum und dem Hut in irgendeiner Pfütze. Dazu kam das Wissen: Während er auf diese Weise beschäftigt war, mußte er keine dummen Appetithäppchen essen und noch dümmere Gespräche führen. Richtige Polizeiarbeit leistete man Mumms Ansicht nach erst dann, wenn man auf eine Weise aktiv wurde, die gewisse Leute mit wachsender Besorgnis erfüllte.

Als Sybil in der Menge verschwunden war, suchte sich Mumm eine halbdunkle Ecke und verbarg sich dort. Von dort konnte er fast den ganzen Großen Saal der Universität überblicken.

Er mochte die Zauberer. Sie verübten keine Verbrechen. Zumindest nicht die Art von Verbrechen, um die sich Mumm kümmerte. Das Okkulte fiel nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Die Zauberer mochten das Gefüge von Zeit und Raum durcheinanderbringen, aber sie verursachten keine Schreibarbeit, und diesen Umstand begrüßte Mumm.

Viele von ihnen befanden sich nun im Saal, in all ihrer Pracht. Es gab nichts Eindrucksvolleres als feierlich gekleidete Zauberer – es sei denn, jemand fände einen Weg, einen Paradiesvogel aufzupumpen, unter Verwendung von Gas und eines Gummibands. Doch heute bekamen die Zauberer Konkurrenz: Ihre Gäste waren entweder Adlige oder Gildenoberhäupter – oder beides –, und das Convivium weckte den Pfau in ihnen allen.

Mumms Blick glitt über die Gesichter der Plaudernden, und er fragte sich, was sie verbrochen haben mochten.3

Auch einige Botschafter waren zugegen. Es fiel dem Kommandeur nicht schwer, sie zu erkennen, denn sie trugen die traditionelle Kleidung ihrer Heimat. Allerdings wirkten sie darin fehl am Platz. Seide und Federn schmückten die Körper, doch in Gedanken trugen die Betreffenden weiterhin Anzüge.

Sie bildeten kleine Gruppen und unterhielten sich. Ein oder zwei nickten Mumm einen Gruß zu, als sie an ihm vorbeikamen.

Die Welt beobachtet uns, dachte der Kommandeur. Wenn etwas schiefging und es durch die Leshp-Angelegenheit zu einem Krieg kam, so bestand die Aufgabe dieser Männer darin, Vereinbarungen mit dem Sieger zu treffen, wer auch immer das sein mochte. Dann spielte es keine Rolle, wer mit den Feindseligkeiten begonnen hatte und auf welche Weise gekämpft worden war – wichtig war einzig und allein die Frage, wie es weitergehen sollte. Sie repräsentierten das, was man »internationale Gemeinschaft« nannte. Und wie bei allen Begriffen, die das Wort »Gemeinschaft« enthielten, konnte man nie ganz sicher sein, wer dazugehörte.

Mumm zuckte mit den Schultern. Es war nicht seine Welt, den Göttern sei Dank.

Er schob sich an Korporal Nobbs heran, der krumm und schief am Haupteingang stand – ein lebender Nobbs konnte einfach nicht besser Haltung annehmen.

»Alles ruhig, Nobby?«

»Ja, Herr Kommandeur.«

»Ist überhaupt nichts los?«

»Nein, Herr Kommandeur. Nirgends rührt sich was.«

»Wirklich nirgends

»Nein, Herr Kommandeur.«

»Gestern gab’s überall Probleme!«

»Ja, Herr Kommandeur!«

»Du hast Fred doch gesagt, daß er eine Taube schicken soll, wenn sich was tut?«

»Ja, Herr Kommandeur.«

»Was ist mit den Schatten? In ihnen geht es nie friedlich zu…«

»Derzeit herrscht dort völlige Ruhe.«

»Verdammt

Mumm schüttelte den Kopf angesichts der Unzuverlässigkeit des Verbrechens in Ankh-Morpork.

»Du könntest nicht zufällig einen Ziegel nehmen und…«

»Lady Sybil hat sich sehr präzisisch ausgedrückt, als sie meinte, daß du hierbleiben solltest«, sagte Nobby und blickte starr geradeaus.

»Präzisisch?«

»Ja, Herr Kommandeur. Sie kam und sprach mit mir. Gab mir einen Dollar«, fügte Nobby hinzu.

»Ah, Sir Samuel!« erklang eine laute Stimme hinter dem Kommandeur. »Ich glaube, du hast den Prinzen Khufurah noch nicht kennengelernt, oder?«

Mumm drehte sich um. Erzkanzler Ridcully hielt geradewegs auf ihn zu, zwei dunkelhäutige Männer im Schlepptau. Hastig setzte er seine offizielle Miene auf.

»Das ist Kommandeur Mumm, meine Herren. Sam… nein, das ist die falsche Reihenfolge, kriege das mit dem Protokoll einfach nicht richtig hin – es muß noch viel geklärt werden, und der Quästor hat sich wieder im Tresor eingeschlossen, wir wissen gar nicht, wie es ihm gelingt, dabei den Schlüssel zu behalten, ich meine, an der Innenseite hat die Tür nicht einmal ein Schlüsselloch…«

Der erste Mann streckte die Hand aus, als Ridcully davonstapfte. »Prinz Khufurah«, sagte er. »Mein Teppich ist erst vor zwei Stunden eingetroffen.«

»Teppich? Oh… ja… du bist geflogen…«

»Ja. Ziemlich kühl und windig. Und man bekommt keine anständige Mahlzeit. Und du? Hast du den Mann erwischt?«

»Was? Wie bitte?«

»Wenn ich mich recht entsinne, sprach unser Botschafter davon, daß du den Empfang in der vergangenen Woche ganz plötzlich verlassen mußtest…« Der hochgewachsene Prinz schien einmal recht sportlich gewesen zu sein, bis ihn die häufigen Festessen hatten zunehmen lassen. Außerdem hatte er einen Bart. Alle Klatschianer hatten einen Bart. Bei diesem Klatschianer kamen intelligente Augen hinzu. Sie schienen auf geradezu beunruhigende Weise intelligent zu sein. Wenn man in sie hineinsah, wurde der Blick von mehreren Schichten Persönlichkeit erwidert.

»Was? Oh. Ja. Ja, wir haben sie alle erwischt«, sagte Mumm.

»Gute Arbeit. Offenbar hat er sich zur Wehr gesetzt.«

Mumm musterte den Prinzen verwirrt. Khufurah hob den Zeigefinger und klopfte sich damit nachdenklich gegen den Unterkiefer.

Mumms Hand fuhr nach oben und ertastete einen Rest Seidenpapier.

»Oh… äh… ja.«

»Niemand entgeht Kommandeur Mumm«, sagte der Prinz.

»Nun, das würde ich nicht unbedingt sagen…«

»Vetinaris Terrier«, fuhr der Prinz fort. »So nennt man dich, habe ich gehört. Ist immer bereit, die Verfolgung aufzunehmen. Und läßt nie locker.«

Mumm begegnete einem ruhigen, wissenden Blick.

»Ich schätze, am Ende des Tages wird jeder von uns zum Hund eines anderen«, erwiderte er unsicher.

»Es ist ein glücklicher Zufall, daß ich dir ausgerechnet jetzt begegnet bin, Kommandeur.«

»Tatsächlich?«

»Ich habe mich gefragt, was das Wort bedeutet, das man mir auf dem Weg hierher zugerufen hat. Vielleicht kannst du es mir erklären.«

»Nun… äh… ich…«

»Ich glaube, es lautete… ja, jetzt fällt es mir wieder ein… Handtuchkopf

Der Blick des Prinzen klebte an Mumms Gesicht fest.

Der Kommandeur spürte, wie seine Gedanken immer schneller wurden und dabei eine eigene Entscheidung zu treffen schienen. Wir erklären es später, sagten sie. Du bist viel zu müde für Erklärungen. Derzeit und diesem Mann gegenüber ist es viel besser, ehrlich zu sein…

»Es… bezieht sich auf deinen Kopfschmuck«, sagte er.

»Oh. Ist es ein hintergründiger Scherz?«

Er weiß natürlich Bescheid, fuhr es Mumm durch den Sinn. Und er weiß auch, daß ich es weiß…

»Nein«, erwiderte er. »Es ist eine Beleidigung.«

»Ach? Nun, wir können natürlich nicht für das dumme Gerede von Idioten zur Verantwortung gezogen werden, Kommandeur.« Der Prinz lächelte. »Übrigens gratuliere ich dir.«

»Wieso?«

»Du weißt mehr als deine Mitbürger. Ich habe diese Frage heute morgen mehr als zehn Personen gestellt, und niemand konnte sie beantworten. Außerdem litten die Betreffenden plötzlich an einem seltsamen Husten.«

Eine diplomatische Pause folgte, und jemand nutzte sie für ein Kichern.

Mumms Blick glitt zu dem anderen Mann, der ihm nicht vorgestellt worden war. Er war kleiner und dünner als der Prinz, und unter dem schwarzen Turban zeigte sich ein Gesicht, in dem es überhaupt keinen Platz mehr zu geben schien. Ein komplexes Netzwerk aus Narben umgab eine Nase, die wie der Schnabel eines Adlers wirkte. Auch diese Person trug einen Bart, aber die Narben hatten das Wachstum der Haare so beeinflußt, daß sie größere und kleinere Büschel bildeten, die in sonderbaren Winkeln aus der Haut ragten. Der Mann sah aus, als wäre ihm ein Igel gegen den Mund geprallt. Sein Alter ließ sich kaum feststellen.

Einige der Narben schienen frisch zu sein.

Der Mann hatte genau jene Art von Gesicht, die jeden Polizisten sofort veranlassen würde, ihn zu verhaften. Es war schlicht und einfach unmöglich, daß eine solche Person unschuldig sein konnte.

Der Bursche bemerkte die Miene des Kommandeurs, grinste und zeigte dabei mehr Gold, als Mumm jemals in einem Mund – oder an einem anderen Ort – gesehen hatte.

Mumm merkte plötzlich, daß er wortlos starrte, obwohl man diplomatische Konversation von ihm erwartete.

»Na schön«, brummte er. »Sollen wir uns wegen der Leshp-Angelegenheit in die Wolle geraten oder nicht?«

Der Prinz zuckte mit den Schultern.

»Pfui«, sagte er. »Einige wenige Quadratmeilen unbewohnten fruchtbaren Bodens, hervorragend gelegen in einer unvergleichlich guten strategischen Position? Wie dumm für zivilisierte Leute, sich über so etwas zu streiten.«

Erneut fühlte Mumm den Blick des Prinzen auf sich ruhen und von ihm durchdrungen. Ach, zum Teufel damit. »Entschuldigung, aber mit der Diplomatie komme ich nicht besonders gut zurecht. Meinst du, was du gerade gesagt hast?«

Es kicherte erneut. Mumm drehte den Kopf und sah wieder in das grinsende Narbengesicht. Er bemerkte jetzt auch einen Geruch, der fast Gestank gleichkam – es roch nach Gewürznelken.

Lieber Himmel, er kaut die gräßlichen Dinger…

»Ah«, sagte der Prinz, »darf ich dir 71-Stunden-Ahmed vorstellen?«

Ahmed grinste erneut und verbeugte sich. »Offendi«, sagte er mit einer Stimme, die wie ein Kiesweg klang.

Und damit hatte es sich. Es hieß nicht »Dies ist 71-Stunden-Ahmed, Kulturattache«, oder »71-Stunden-Ahmed, mein Leibwächter«, oder gar »71-Stunden-Ahmed, wandelnder Tresor und Mottenkiller«. Alles deutete darauf hin, daß jetzt wieder Mumm am Zug war.

»Das ist ein… äh… ungewöhnlicher Name«, kommentierte er.

»Ganz und gar nicht«, entgegnete der Prinz glatt. »In meiner Heimat gibt es viele Leute, die Ahmed heißen.«

Er beugte sich ein wenig vor. Mumm interpretierte das als Hinweis darauf, daß die nächsten Worte vertrauliche Bedeutung hatten. »Übrigens: Die schöne Dame, die ich vorhin sah… Ist sie deine erste Frau?«

»Äh, meine erste und einzige«, antwortete Mumm. »Ich meine…«

»Darf ich dir zwanzig Kamele für sie anbieten?«

Mumm sah einige Sekunden in die dunklen Augen, betrachtete dann wieder Ahmeds 24-Karat-Lächeln und fragte:

»Dies ist wieder ein Test, nicht wahr?«

Der Prinz straffte die Gestalt und wirkte zufrieden.

»Ausgezeichnet, Sir Samuel. In diesen Dingen bist du gut. Weißt du, daß Herr Boggis von der Diebesgilde sich mit fünfzehn Kamelen abfinden wollte?«

»Für Frau Boggis?« Mumm winkte ab. »Nein, höchstens vier Kamele, oder vier und eine Ziege. Vorausgesetzt, Frau Boggis hat sich vorher rasiert.«

Die umherschlendernden Gäste drehten sich um, als sie das schallende Gelächter des Prinzen hörten.

»Hervorragend! Wirklich gut! Ich fürchte, einige deiner Mitbürger halten uns Klatschianer für Barbaren, nur weil wir die Mathematik und das Rund-um-die-Uhr-Campen erfunden haben. Kaum sehen sie einen Turban, glauben sie auch schon, jemand wollte ihre Frauen kaufen. Nun, es überrascht mich, daß man mir hier einen Ehrendoktortitel verleihen will – immerhin bin ich doch so schrecklich primitiv.«

»Um was für einen Titel handelt es sich?« fragte Mumm. Kein Wunder, daß dieser Mann zum Diplomaten geworden war. Man konnte ihm nicht einen Zentimeter weit trauen. Er dachte in Schleifen und wirkte trotzdem sympathisch.

Der Prinz holte einen Brief unter seinem Umhang hervor.

»Er heißt Doctorum Purgamenti madidi Stimmt was nicht, Sir Samuel?«

Es gelang Mumm, ein verräterisches Lachen in einen Hustenanfall zu verwandeln. »Nein, nein, es ist alles in Ordnung«, brachte er hervor.

Er wünschte sich verzweifelt, das Thema wechseln zu können. Glücklicherweise sah er etwas, das ihm Gelegenheit dazu bot.

»Warum trägt Herr Ahmed ein so großes krummes Schwert auf dem Rücken?« fragte er.

»Ah, du bist Polizist und bemerkst solche Dinge…«

»Es ist wohl kaum eine verborgene Waffe. Das Ding ist fast größer als er. Man könnte ihn als halb verborgenen Eigentümer bezeichnen.«

»Das Schwert hat zeremonielle Bedeutung«, sagte der Prinz. »Und Ahmed wird immer sehr unruhig, wenn er es zurücklassen muß.«

»Und worin genau besteht seine…«

»Ah, da seid ihr ja«, erklang Ridcullys Stimme. »Ich glaube, wir sind jetzt soweit. Du gehst ganz vorn, Sam…«

»Ja, ich weiß«, sagte Mumm. »Ich habe Seine Hoheit gerade gefragt…«

»… und wenn Seine Hoheit und du, Herr… meine Güte, was für ein großes Schwert, bitte komm mit und gesell dich den Ehrengästen hinzu, es geht gleich los…«

So ist das eben, wenn man die ganze Zeit wie ein Polizist denkt, dachte Mumm, als Zauberer und Gäste versuchten, eine würdevolle und ordentliche Reihe hinter ihm zu bilden. Wenn sich jemand von seiner sympathischen Seite zeigt, schöpft man sofort Verdacht. Man glaubt, daß etwas dahintersteckt, wenn sich jemand Mühe gibt, sympathisch zu sein. Nun, er ist ein Diplomat, aber trotzdem… Ich hoffe nur, daß er sich nie mit den alten Sprachen befaßt hat.

Jemand klopfte Mumm auf die Schulter. Er drehte sich um und blickte geradewegs in das Grinsen von 71-Stunden-Ahmed.

»Wenn hdu ändern deine Meinung, offendi, ich hdir geben fünfundzwanzig Kamele, kein Problem«, sagte er und zog eine Gewürznelke zwischen den Zähnen hervor. »Mögen hdeine Lenden Früchte tragen.«

Er zwinkerte. Es war die anzüglichste Geste, die Mumm jemals beobachtet hatte. »Ist das schon wieder ein Te…«, begann er, doch Narbengesicht war bereits in der Menge verschwunden.

»Meine Lenden sollen Früchte tragen?« wiederholte er leise. »Lieber Himmel!«

71-Stunden-Ahmed erschien an seinem anderen Ellenbogen, umgeben von einer dichten Wolke aus Gewürznelkenaroma. »Ich gehe, ich hkehre zurück«, knurrte er fröhlich. »Der Prinz meint, hder Titel lautet ›Doktor von Nichts‹. Hdie Zauberer einen Scherz sich erlauben. Oh, hwie sehr wir lachen.«

Und dann war er fort.

 

Das Convivium war ein großes Ereignis für die Unsichtbare Universität. Ursprünglich hatte das Fest dazu gedient, akademische Grade zu verleihen, doch im Lauf der Zeit ging es immer mehr darum, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Universität und Stadt herauszustellen, und man durfte sich darüber freuen, daß heutzutage kaum mehr jemand befürchten mußte, in eine Venusmuschel oder dergleichen verwandelt zu werden. Da es in Ankh-Morpork weder einen Festzug des Bürgermeisters noch eine feierliche Eröffnung des Parlaments gab, bot das Convivium den gewöhnlichen Bürgern der Stadt eine der wenigen Gelegenheiten, den sozial Höherstehenden zuzujubeln beziehungsweise über Leute zu lachen, die Strumpfhosen und lächerliche Kostüme trugen.

Die Feier hatte solche Ausmaße gewonnen, daß sie im Opernhaus stattfand. Argwöhnische Leute – Personen mit der Tendenz, die Dinge aus Mumms Perspektive zu sehen – vermuteten hingegen, daß man das Opernhaus gewählt hatte, weil man dadurch Gelegenheit zu einer Prozession bekam. Es wirkte sehr eindrucksvoll, wenn die Zauberer der Universität würdevoll durch die Stadt schritten, um Freundschaft zu demonstrieren und die nachdenklicheren Beobachter daran zu erinnern, daß es nicht immer so gewesen war. Seht uns an, schienen die Zauberer zu sagen. Einst herrschten wir über die Stadt. Seht nur unsere großen Stäbe mit dem Knauf am Ende. In den falschen Händen könnten sie ziemlich viel Schaden anrichten, und deshalb ist es doch sehr erfreulich, daß sie sich derzeit in den richtigen Händen befinden. Wie schön, daß wir alle so gut miteinander auskommen.

Irgendwann hatte jemand beschlossen, daß der Kommandeur der Wache die Prozession anführen sollte, aus symbolischen Gründen. Über viele Jahre hinweg war das nicht weiter wichtig gewesen, weil es gar keinen Kommandeur gegeben hatte. Aber jetzt existierte einer, und er hieß Samuel Mumm. Er trug ein rotes Hemd mit Puffärmeln, dazu eine rote Strumpfhose und eine kurze Hose, die wie aufgeblasen wirkte – diese Kleidung schien bereits zur Faustkeilära aus der Mode gewesen zu sein. Hinzu kamen ein kleiner glänzender Brustharnisch und ein Helm mit Federn.

Und Mumm war müde.

Und er mußte den Schlagstock tragen.

Er hielt den Blick darauf gerichtet, als er durchs Haupttor der Universität schritt. Der Regen der vergangenen Nacht hatte die Wolken vom Himmel vertrieben. Die Stadt dampfte.

Wenn er auf den Schlagstock starrte, bemerkte er nicht, wer alles über ihn kicherte.

Der Nachteil war nur, daß er den Schlagstock sah.

Auf einem kleinen, angelaufenen Schild, das erst gründlich gereinigt werden mußte, bevor es seine Botschaft offenbarte, stand geschrieben: Beschützer des Königs Friedens.

Das hatte die Stimmung ein wenig verbessert.

Federn und Antiquitäten, Goldabzeichen und Pelz…

Vielleicht lag es an der Müdigkeit oder daran, daß er versuchte, dem Rest der Welt möglichst wenig Beachtung zu schenken. Mumm wurde langsamer, schlenderte in der typischen Gangart eines Wächters und ließ die Gedanken treiben.

Es war fast ein Pawlowscher Reflex.4 Die Beine schwangen, die Füße berührten den Boden, der Kopf entwickelte ein bestimmtes Denkmuster. Es war nicht in dem Sinne ein traumartiger Zustand. Ohren, Nase und Augen verbanden sich mit dem uralten Du-verdächtiger-Mistkerl-Knoten im Gehirn, wodurch sich die restliche Hirnmasse mit anderen Dingen befassen konnte.

Pelz und Strumpfhosen… Gehörte es sich für einen anständigen Wächter, solche Kleidung zu tragen? Nein. Die angemessene Kleidung eines Wächters bestand aus einem zerbeulten Brustharnisch, einer Hose aus schmierigem Leder und einem schmuddeligen Hemd mit Flecken vom Blut einer anderen Person. Ja, so war es richtig… Das Kopfsteinpflaster unter den Stiefelsohlen bot ein vertrautes Gefühl, wirklich angenehm…

Hinter ihm wurde die Prozession von Verwirrung erfaßt, als Zauberer und Ehrengäste versuchten, sich dem veränderten Tempo anzupassen.

Ha, Beschützer des Königs Teils… Und wie lautete die Frage, die er an den Mann gerichtet hatte, der ihm den Schlagstock brachte? »Welches Teil ist damit gemeint?« Doch diese Worte stießen natürlich auf taube Ohren… Eigentlich ein absurdes Ding: ein kurzes Holzstück mit einem Klumpen Silber am Ende… Selbst ein gewöhnlicher Obergefreiter bekam ein ordentliches Schwert, was sollte er damit anstellen, etwa den Leuten zuwinken? Bei den Göttern, es war Monate her, seit er zum letzten Mal durch die Stadt gewandert war… Heute schienen ziemlich viele Leute unterwegs zu sein, vielleicht fand eine Art Parade oder so statt…

»Meine Güte«, sagte Hauptmann Karotte in der Menge. »Was macht er jetzt?«

Neben ihm stand ein Tourist aus dem Achatenen Reich und zog immer wieder den Hebel seines Ikonographen.

Kommandeur Mumm blieb stehen und blickte verträumt in die Ferne, als er sich den Schlagstock unter den Arm klemmte und nach seinem Helm griff.

Der Tourist sah zu Karotte auf und zupfte höflich an seinem Ärmel.

»Bitte, was macht er jetzt?« fragte er.

»Äh… er… holt etwas hervor…«

»O nein«, ließ sich Angua vernehmen.

»Ja, er holt sein zeremonielles Zigarrenetui aus dem Helm«, erklärte Karotte. »Oh… und jetzt zündet er eine an…«

Der Hebel des Ikonographen klickte mehrmals unter dem fleißigen Finger des Touristen.

»Eine sehr historische Tradition, nicht wahr?« vergewisserte er sich.

»Ausgesprochen denkwürdig«, kommentierte Angua.

Die Menge schwieg. Niemand wollte Mumms Konzentration stören. Erwartungsvolle Stille herrschte, als tausend und mehr Personen den Atem anhielten.

»Was macht er jetzt?« fragte Karotte.

»Kannst du’s nicht sehen?« erwiderte Angua.

»Ich halte mir die Augen zu. Ach, der arme Mann…«

»Er… er bläst Rauchringe…«

»Typisch für ihn, die erste Zigarre des Tages…«

»Und jetzt geht er weiter. Und jetzt wirft er den Schlagstock hoch und fängt ihn wieder auf. Genau das macht er auch mit seinem Schwert, wenn er nachdenklich ist… Er scheint recht glücklich zu sein…«

»Er sollte den Moment des Glücks genießen, denn ich fürchte, er dauert nicht lange«, sagte Karotte.

Dann erhob sich ein Murmeln. Die Prozession hatte hinter Mumm angehalten. Einige der leichter zu beeindruckenden Leute, die nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten – und jene, die den recht guten Sherry der Unsichtbaren Universität zu ausgiebig probiert hatten –, suchten in ihren Taschen nach Gegenständen, die sich in die Höhe werfen und auffangen ließen. Immerhin handelte es sich um eine traditionelle Zeremonie. Wenn man auf gewisse Dinge verzichten wollte, nur weil man sie für lächerlich hielt, hätte man ebensogut nach Hause gehen können.

»Er ist müde, daran liegt’s«, sagte Karotte. »Seit Tagen beaufsichtigt er alles. Während der Nacht- und der Tagschicht. Du weißt ja, daß er die Zügel gern fest in der Hand hält.«

»Wollen wir hoffen, daß ihm der Patrizier weiterhin die Chance dazu gibt.«

»Oh, Seine Exzellenz würde auf keinen Fall… Ich meine, das wäre doch völlig ausgeschlossen, oder?«

Gelächter erklang. Mumm hatte damit begonnen, den Schlagstock mit der einen Hand hochzuwerfen und mit der anderen aufzufangen.

»Er kann das Schwert dreimal in der Luft drehen lassen und es dann wieder am Heft fangen…«

Mumm drehte den Kopf. Er sah nach oben. Der Schlagstock fiel aufs Kopfsteinpflaster und rollte in eine Pfütze, ohne daß ihm der Kommandeur Beachtung schenkte.

Dann lief Mumm los.

Karotte sah ihm nach und versuchte zu erkennen, was seine Aufmerksamkeit geweckt hatte.

»Auf dem Vorwerk«, sagte er. »Das Fenster dort oben… Steht dort nicht jemand? Entschuldigung, Entschuldigung, bitte um Verzeihung, Entschuldigung…« Er bahnte sich einen Weg durch die Menge.

Mumm war bereits zu einer kleinen Gestalt in der Ferne geschrumpft. Sein roter Umhang wehte wie eine Fahne hinter ihm.

»Na und?« fragte Angua. »Viele Leute beobachten die Parade von guten Aussichtspunkten. Was ist so besonders daran?«

»Dort oben sollte niemand sein!« Karotte lief los, als sich ihm keine Hindernisse in Form von Publikum mehr in den Weg stellten. »Weil die Fenster dort vernagelt sind!«

Angua sah sich um. Alle Gesichter waren dem Straßentheater zugewandt, und ein Karren stand in der Nähe. Sie seufzte, trat hinter den Wagen und setzte dabei einen Gesichtsausdruck mißtrauischer Unbekümmertheit auf. Ein Keuchen erklang, gefolgt von einem leisen, organischen Geräusch, einem leisen Knurren und dem Klappern zu Boden fallender Rüstungsteile.

 

Mumm wußte nicht, warum er lief. Ein sechster Sinn veranlaßte ihn dazu. Sein Gehirn hatte aus dem Äther den Hinweis erhalten, daß etwas Schlimmes passieren würde. Doch es blieb nicht genug Zeit, um nach einer rationalen Erklärung zu suchen, und deshalb übernahm das Hirn einfach die Kontrolle übers Rückgrat, ohne Zeit mit irgendwelchen bewußten Gedanken zu vergeuden.

Niemand konnte aufs Vorwerk gelangen. Damals, als Ankh-Morpork ein angreifendes Heer noch nicht für einen vielversprechenden Wirtschaftsfaktor gehalten hatte, war das Vorwerk ein befestigter Zugang zur Stadt gewesen. Einige Bestandteile wurden noch benutzt, doch die Hauptmasse war eine sechs oder sieben Etagen hohe Ruine, ohne Treppen, denen ein vernünftiger Mensch Vertrauen schenken würde. Jahrelang war das Vorwerk als inoffizielle Nachschubquelle für Mauerwerk benutzt worden. In windigen Nächten lösten sich hier und dort Steine. Selbst die Wasserspeier mieden das Gebäude.

Mumm merkte, wie sich das Geräusch der Menge hinter ihm in Geschrei verwandelte. Er drehte sich nicht um. Was auch immer dort geschah: Karotte wurde bestimmt damit fertig.

Etwas überholte ihn. Der Schemen sah wie ein Wolf aus, zu dessen Vorfahren klatschianische Jagdhunde mit langem Fell gehörten. Es war eins jener anmutigen Geschöpfe, die nur aus Schnauze und Haaren zu bestehen schienen.

Es lief voraus und sprang durch den Eingang des Vorwerks.

Von dem Wolf war nichts mehr zu sehen, als Mumm eintraf. Doch diese Abwesenheit erschien ihm weniger wichtig als die Präsenz einer Leiche, die mitten im Durcheinander aus halb zerbröckelten Steinen lag.

Eins der Dinge, auf die Mumm häufig hinwies – beziehungsweise eins der Dinge, von denen er behauptete, daß er oft auf sie hinwies, und niemand widerspricht einem vorgesetzten Offizier –, betraf winzige Details. Manchmal packt etwas, das man unter normalen Umständen überhaupt nicht bemerken würde, die Sinne an der Kehle und ruft: »Sieh mich!«

Ein seltsamer Geruch lag in der Luft, und in einer schmalen Lücke zwischen zwei Pflastersteinen lag eine kleine Gewürznelke.

 

Es war fünf Uhr nachmittags. Mumm und Karotte saßen im Vorzimmer des Patriziers. Es war still, abgesehen vom unregelmäßigen Ticken der Uhr.

Nach einer Weile sagte Mumm: »Laß es mich noch einmal sehen.«

Karotte holte gehorsam ein kleines Papierquadrat hervor. Mumm blickte darauf hinab. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, was es zeigte.

Er ließ das Papierquadrat in seiner eigenen Tasche verschwinden.

»Äh… warum möchtest du es behalten, Herr Kommandeur?«

»Was denn?« fragte Mumm.

»Das Ikonographenbild, das ich mir von dem Touristen ausgeliehen habe.«

»Ich weiß gar nicht, wovon du redest«, erwiderte Mumm.

»Aber du…«

»Du bringst es sicher nicht weit in der Wache, Hauptmann, wenn du Dinge siehst, die überhaupt nicht existieren.«

»Oh.«

Die Uhr schien etwas lauter zu ticken.

»Du denkst etwas, nicht wahr, Herr Kommandeur?«

»Manchmal verwende ich mein Gehirn für einen solchen Zweck, Hauptmann. So seltsam es dir auch erscheinen mag.«

»Was denkst du, Herr Kommandeur?«

»Was sie wollen, daß ich denke«, antwortete Mumm.

»Wer sind sie

»Das weiß ich noch nicht. Eins nach dem anderen.«

Eine Glocke klingelte.

Mumm stand auf. »Du weißt ja, was ich immer sage«, meinte er.

Karotte nahm den Helm ab und polierte ihn mit dem Ärmel. »Ja, Herr Kommandeur. ›Alle sind schuldig, besonders die Unschuldigen.‹«

»Nein, das andere…«

»Äh… ›Vergeßt nie die Möglichkeit, daß ihr mit euren Vermutungen total daneben liegt‹?«

»Nein, das auch nicht.«

»Äh… ›Wie kommt es, daß Nobby zum Wächter geworden ist?‹ Das sagst du ziemlich oft, Herr Kommandeur.«

»Nein! Ich meine, ›Stell dich dumm‹, Karotte.«

»Oh, in Ordnung, Herr Kommandeur. Von jetzt an werde ich mich daran erinnern, daß du das immer sagst.«

Sie klemmten die Helme unter die Arme. Mumm klopfte an die Tür.

»Herein«, sagte eine Stimme.

Der Patrizier stand am Fenster.

Lord Rust und die anderen Würdenträger waren zugegen. Mumm hatte noch immer nicht ganz verstanden, auf welche Weise jemand zu einem Würdenträger wurde. Offenbar erschienen sie einfach, wie Reißzwecken an der Schuhsohle.

»Ah, Mumm«, sagte Vetinari.

»Herr…«

»Ich schlage vor, wir reden nicht um den heißen Brei herum, Mumm. Wie konnte der Mann aufs Vorwerk gelangen, obwohl deine Leute in der vergangenen Nacht alles so gründlich kontrolliert haben? Vielleicht durch Magie?«

»Ich weiß es nicht, Herr.«

Der starr geradeaus blickende Karotte blinzelte.

»Deine Leute haben das Vorwerk doch untersucht, oder?«

»Nein, Herr.«

»Sie haben darauf verzichtet

»Nein, Herr. Ich habe die Kontrolle selbst vorgenommen.«

»Du hast das Gebäude höchstpersönlich überprüft, Mumm?« fragte Boggis von der Diebesgilde.

An dieser Stelle konnte Hauptmann Karotte Mumms Gedanken regelrecht fühlen.

»Das stimmt… Boggis«, sagte der Kommandeur, ohne den Kopf zu drehen. »Aber… wir glauben, daß jemand dort ins Vorwerk eingedrungen ist, wo die Fenster vernagelt sind, und anschließend die Bretter wieder befestigt hat. Es waren Spuren im Staub…«

»Und du hast nichts davon bemerkt, Mumm?«

Mumm seufzte. »Selbst bei Tageslicht wäre es schwierig, die gelösten und danach wieder festgenagelten Bretter zu entdecken, geschweige denn mitten in der Nacht.« Wir haben sie auch gar nicht in dem Sinne entdeckt, dachte er. Angua hat den daran haftenden Geruch bemerkt.

Lord Vetinari nahm an seinem Schreibtisch Platz. »Die Situation ist ernst, Mumm.«

»Ja, Herr?«

»Seine Hoheit wurde schwer verletzt. Und soweit wir wissen, ist Prinz Cadram außer sich vor Zorn.«

»Die Klatschianer bestanden darauf, Cadrams Bruder in der Botschaft zu behalten«, warf Lord Rust ein. »Das ist ein ganz bewußter Affront. Als wenn wir keine guten Ärzte in der Stadt hätten…«

»Ja, natürlich«, bestätigte Mumm. »Viele von ihnen wären sogar dazu fähig, den Prinzen zu rasieren und ihm die Haare zu schneiden.«

»Verspottest du mich, Mumm?«

»Das käme mir nie in den Sinn. Meiner bescheidenen Ansicht nach haben keine anderen Ärzte so sauberes Sägemehl auf dem Boden wie unsere.«

Rust bedachte Mumm mit einem finsteren Blick.

Der Patrizier hüstelte.

»Hast du den Attentäter identifiziert?« fragte er.

Karotte rechnete damit, daß Mumm vom »mutmaßlichen Attentäter« sprach, aber statt dessen sagte er:

»Ja. Er heißt… ich meine, er hieß Ostie Brunt. Von einem anderen Namen wissen wir nichts. Er wohnte in der Marktstraße und verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Ein Einzelgänger. Verwandte oder Freunde haben wir bisher nicht gefunden. Die Ermittlungen dauern an.«

»Und mehr wißt ihr nicht?« fragte Lord Witwenmacher.

»Wir haben eine Weile gebraucht, um den Toten zu identifizieren«, sagte Mumm ruhig.

»Ach? Und warum?«

»Nun, ich möchte dich nicht mit Einzelheiten langweilen. Nur soviel: Ich hatte den Eindruck, daß man in diesem Fall keinen Sarg brauchte – man hätte die Leiche zwischen zwei Holzplatten unterbringen können.«

»Hat er den Anschlag verübt?«

»Wir haben nur eine Leiche gefunden. Und ziemlich viel Mauerwerk, das vor kurzer Zeit heruntergefallen ist. Woraus wir den Schluß zogen…«

»Ich meine, gehörte er zu einer Organisation? Gibt es Hinweise auf antiklatschianische Einstellungen?«

»Abgesehen davon, daß er versucht hat, einen Klatschianer umzubringen? Wir ermitteln noch.«

»Nimmst du diese Sache ernst, Mumm?«

»Ich habe meine besten Leute mit Nachforschungen beauftragt.« Wer sieht besorgt aus? »Feldwebel Colon und Korporal Nobbs.« Wer wirkt erleichtert? »Sehr erfahrene Männer. Die Grundpfeiler der Wache.«

»Colon und Nobbs?« wiederholte der Patrizier. »Tatsächlich?«

»Ja, Herr.«

Ihre Blicke trafen sich kurz.

»Das klingt alles sehr seltsam, Mumm«, sagte Vetinari.

»Was soll ich sagen, Herr? Ich sah jemanden auf dem Vorwerk und lief los. Jemand schoß einen Pfeil auf den Prinzen, und dann fand ich einen Mann am Turm, einen ziemlich toten Mann, um ganz genau zu sein. Er lag inmitten von Steinen, die erst kürzlich heruntergefallen waren, und außerdem entdeckten wir einen zerbrochenen Bogen in unmittelbarer Nähe. Ich schätze, das Unwetter in der vergangenen Nacht hat einen Teil des Mauerwerks gelockert. Ich kann keine Fakten erfinden, die nicht existieren, Herr.«

Karotte beobachtete die Gesichter am Tisch. Offenbar herrschte allgemeine Erleichterung.

»Ein einzelner Bogenschütze«, sagte Vetinari. »Ein Narr, der irgendeinen irren Groll hegte. Und der bei dem Versuch starb, einen Mord zu begehen. Nun, das kühne Vorgehen unserer Wächter verhinderte zumindest einen sofort tödlichen Schuß.«

»Kühnes Vorgehen?« wiederholte Witwenmacher. »Hauptmann Karotte eilte zu den Ehrengästen, und Mumm lief zum Turm. Aber ehrlich gesagt, Mumm, dein seltsames Verhalten kurz vorher…«

»Das ist jetzt nebensächlich«, sagte Lord Vetinari. Mit distanzierter Stimme, so als erstattete er jemandem Bericht, fuhr er fort: »Wenn Kommandeur Mumm nicht dafür gesorgt hätte, daß die Prozession langsamer vorankam, hätte der Attentäter vermutlich besser zielen können. Aber die besonderen Umstände ließen ihn in Panik geraten. Ja… der Prinz dürfte bereit sein, sich mit dieser Erklärung abzufinden.«

»Der Prinz?« fragte Mumm. »Aber der arme Kerl…«

»Sein Bruder«, sagte der Patrizier.

»Ah. Der Nette?«

»Danke, Kommandeur«, fügte Lord Vetinari hinzu. »Ich danke euch allen, meine Herren. Ich möchte euch jetzt nicht länger aufhalten. Oh, Mumm, wenn du noch einige Minuten erübrigen könntest… Du kannst gehen, Hauptmann Karotte. Bestimmt wird irgendwo ein Verbrechen verübt.«

Mumm starrte an die gegenüberliegende Wand, während sich um ihn herum das Zimmer leerte. Vetinari stand auf und trat erneut ans Fenster.

»Es sind seltsame Zeiten, Kommandeur«, sagte er.

»Herr.«

»Zum Beispiel erfuhr ich, daß Hauptmann Karotte heute nachmittag auf dem Dach des Opernhauses herumkletterte und Pfeile in Richtung Schießstand schoß.«

»Ein sehr aufmerksamer junger Mann, Herr.«

»Es könnte durchaus sein, daß die Entfernung zwischen dem Dach des Opernhauses und den Zielscheiben des Schießstandes ebenso groß ist wie die zwischen dem Vorwerk und der Stelle, an der Prinz Khufurah getroffen wurde.«

»Ein sonderbarer Zufall, Herr.«

Vetinari seufzte. »Und warum war Karotte in der Richtung aktiv?«

»Nun, es ist komisch, Herr, aber neulich sprach er davon, jeder Bürger der Stadt sei verpflichtet, sich eine Stunde pro Tag im Bogenschießen zu üben. Der Gesetz stammt aus dem Jahr 1356 und wurde nie außer…«

»Weißt du, warum ich Hauptmann Karotte eben fortgeschickt habe, Mumm?«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Weil er sehr ehrlich ist, Mumm.«

»Ja, Herr.«

»Und weißt du auch, daß er zusammenzuckt, wenn er dich lügen hört?«

»Wirklich, Herr?« Verdammt.

»Ich ertrage es einfach nicht zu beobachten, wie der arme Junge dauernd das Gesicht verzieht, Mumm.«

»Das ist sehr rücksichtsvoll von dir, Herr.«

»Wo befand sich der zweite Bogenschütze, Mumm?«

Verdammt! »Der zweite Bogenschütze, Herr?«

»Hast du jemals den Wunsch verspürt, zur Bühne zu gehen, Mumm?«

Im Augenblick wäre ich zu allem bereit, nur um dieses Zimmer zu verlassen, dachte Mumm.

»Nein, Herr.«

»Schade. Ich glaube, du bist ein großer Verlust für die Schauspielkunst. Wenn ich mich recht entsinne, hast du erwähnt, das Fenster sei wieder geschlossen worden.«

»Ja, Herr.«

»Indem man es mit Brettern vernagelt hat?«

Mist. »Ja, Herr.«

»Von außen?«

Mist! »Ja, Herr.«

»Ein sehr geschickter einzelner Bogenschütze.«

Mumm verzichtete auf einen Kommentar. Vetinari setzte sich wieder an den Schreibtisch, preßte die Fingerspitzen gegeneinander, hob sie an die Lippen und musterte den Kommandeur.

»Colon und Nobbs kümmern sich um den Fall? Im Ernst?«

»Ja, Herr.«