Am Ende bleiben nur Janis und ich…


 

Es ist Heiligabend und meine Mutter trägt ihr hellblaues Nachthemd, das so schön flauschig ist. Wir sitzen vor unserem kläglichen Weihnachtsbaum, der nicht einmal einen Meter hoch ist, aber dennoch wundervoll funkelt. Ich sehe die bunten Kugeln vor mir und die Flammen der Kerzen, die das Zimmer in ein warmes Licht tauchen. Meine Mutter lächelt mich an. Sie hat das schönste Lächeln der Welt!

Mein Spatz, hören wir ein wenig Musik?“

Ich nicke ihr nur zu und frage mich, warum sie wohl so glücklich ist, wenn sie Musik hört. Ich bin zwar noch klein, aber ich weiß, dass sie die Musik braucht, um ihr Leben zu ertragen. Ich beobachte sie, wie sie die Schallplatte auflegt und freue mich, weil sie sich so sehr freut. Und dann höre ich die Gitarrenklänge und Janis Joplin erfüllt den Raum.


 

Oh come on, come on, come on, come on

Didn´t I make you feel like you were the only man oh yea

And didn´t I give you nearly everything a woman possibly can

Honey you know I did…


 

Ich höre die Stimme von Janis Joplin, als wäre sie real, als säße sie in unserem Wohnzimmer. „Komm her mein Schatz.“

Ich liebe unser Ritual, das wir seit Jahren vollziehen. Seit ich denken kann, waren meine Mutter und ich allein. Ich und sie und sie und ich. Wir waren ein Team. Sie sitzt im Schneidersitz da und wartet, bis ich mich in ihre Kuhle vor ihren Bauch kuschele und wir zusammen die Songs von Janis hören. Mama liebt Janis und deshalb liebe ich sie auch, obwohl ich eigentlich mehr auf die Songs von den Beatles stehe, aber Mama wird dabei immer so traurig, deshalb suche ich immer Janis aus, dann ist sie glücklich.

Mama, was bin ich alles für dich?“

Meine Mama hat mir mal gesagt, dass ich ihr süßer Fratz bin und da habe ich sie gefragt, wie süß ich denn bin. Und seitdem frage ich sie immer wieder, weil ich es so mag, wenn sie mir antwortet und tausend Spitznamen gibt.

Du bist mein Schaflämmchen, mein Delphinbaby, mein Wellensittich, mein kleiner Cowboy, mein Vögelchen, mein Kätzchen und mein kleines Stinktier.“

Mama, ich bin doch kein Stinktier.“

Dann fangen wir beide an zu lachen und hören wieder der Musik zu.


 

I want you to come on, come on, come on and take it,

Take another little piece of my heat now, baby, (break a…)

Break another little bit of my heart now, darling, yeah. (have a…)

Hey! Have another little piece of my heart now, baby, yeah.

You know you got it if it makes you feel good.

Oh yes indeed.


 

Ich schlafe in den Armen meiner Mama ein und sie trägt mich dann in unser Bett. Wir schlafen auf einer Klappcouch, beide zusammen, denn wir haben nur ein Zimmer, eine Küche und ein kleines Bad.


 

You´re out on the streets looking good, and baby,

Deep down in your heart I guess you know that it ain´t right,

Never, never, never, never, never, never, never hear me when I cry at night,

Baby, I cry all the time!

And each time I tell myself that I, well I can´t stand the pain,

But when you hold me in your arms, I´ll sing it once again.


 

Dann wache ich auf, denn der Trip ist vorbei, der mich in die Vergangenheit katapultierte, die doch so schmerzhaft ist. Ich wische mir den Sabber vom Mund, ziehe mir die Spritze aus dem Arm, die ich vergessen hatte und da ist es wieder weg – das Bild meiner Mutter. Ich brauche neuen Stoff, sonst werde ich diesen verdammten Tag nicht überstehen. Neben mir liegt Amelie - Amelie, die ich in den Dreck gezogen habe. Sie ist weggetreten, ihr Trip wirkt noch, sie braucht noch nicht so viel wie ich – das ist gut, gut für sie. Ich stehe auf, gehe zur Spüle, trinke ein Glas Wasser und schlucke eine Pille, die mich wieder ein wenig auf Trab bringen soll.


 

I´ll say come on, come on, come on, yeah take it!

Take another little piece of my heart now, baby. (break a…)

Break another little bit of my heart now, darling, yeah, (come on…)

Have another little piece of my heart now, baby, yeah.

Well, you know you got it, child, if it makes you feel good.


 

Die Pille hat geholfen, ich fühle mich gut. Ja, sogar sehr gut. Ich wecke Amelie auf. Sie sieht mich mit verschlafenen Augen an und ich küsse sie.

Komm schon, lass uns Party machen.“

Sie lässt sich nicht lange bitten, denn auf Party stehen wir mehr als auf Sex. Ich gebe ihr zwei Pillen, sie legt sie sich auf die Zunge und ich folge ihnen auf den Weg in ihren Körper. Ich spüre förmlich, wie ihr Körper sich danach sehnt. Es geht ihr bald besser und wir feiern im Club bis zum frühen Morgen.

 

I need you to come on, come on, come on, come on and take it.

Take another little piece of my heart now, baby. (break a…)

Break another little bit of my heart, darling, yeah. (have a)

Have another little piece of my heart now, baby.

You know you got it (waaaaaahhhh)


 

Ich komme gerade von der Toilette. Ich weiß nicht, wie lange ich dort war. Ein paar Minuten, oder eine Stunde? Ich suche nach Amelie, doch ich sehe nur zugedröhnte Menschen, die mich mit ihren Fratzen anstarren. Ich dränge mich durch das Partyvolk, der Schweiß rinnt mir von der Stirn. Was ist das für ein Zeug? Was hat mir der Idiot angedreht? Ich muss mich setzen, das Licht ist plötzlich unglaublich grell, die Musik dringt nur langsam und leise zu mir durch.


 

Take a… Take another little piece of my heart now, baby (break a…)

Break another little bit of my heart, and darling, yeah, yeah (have a)

Have another little piece of my heart now, baby.

You know you got it, child, if it makes you feel good.


 

Hey Alter, was ist mit dir los?“

Es rüttelt jemand an mir herum? Gott, was ist passiert?

Alles klar bei dir?“

Ich starre in das Gesicht eines Mannes, ich kenne ihn nicht. Ich muss unbedingt Amelie finden.

Ja, geht schon.“

Ohne ihn weiter zu beachten, hetze ich aus dem Club. Langsam komme ich wieder zu mir. Ich gehe um das Gebäude, sehe knutschende Paare, Dealer und da… da sehe ich Amelie. Amelie mit einem anderen. Plötzlich ist alles wieder real. Er legt seinen Arm um ihre Schulter. Was macht sie mit dem Typen? Er küsst sie. Ich sinke zu Boden, spüre die Nässe durch meine Jeans dringen und weine.


 

Oh come on, come on, come on, come on

Didn´t I make you feel like you were the only man oh yea

And didn´t I give you nearly everything a woman possibly can

Honey you know I did…


 

Ich sehe meine Mutter, wie sie mit ihm weg geht. Diesem bösen Mann, der alles kaputt macht. Sie gibt mir einen Abschiedskuss.

Hier hast du es besser mein Schatz.“

Dann drückt sie mich noch einmal an sich. Nein, Mama hier habe ich es nicht besser. Ich will bei dir bleiben. Will wieder mit dir auf der Klappcouch schlafen, denke ich mir, aber ich sage nichts. Meine Oma bringt mich in mein neues Zimmer und ich sehe Mama nie wieder.


 

I want you to come on, come on, come on and take it,

Take another little piece of my heat now, baby, (break a…)

Break another little bit of my heart now, darling, yeah. (have a…)

Hey! Have another little piece of my heart now, baby, yeah.

You know you got it if it makes you feel good.

Oh yes indeed.


 

Wieder habe ich von ihr geträumt. Habe ihren Atem förmlich gespürt, doch sie ist nicht da. Dann höre ich Amelie. Sie ist nicht mit mir nach Hause gekommen.

Mach schon auf. Ich konnte nichts dafür, ich wusste nicht, was ich tat.“

Sie soll bloß die Klappe halten. Ich kann mich nicht konzentrieren, sie bringt mich ganz durcheinander. Amelie poltert gegen die Türe, doch ich kann nicht öffnen, noch nicht. Mein Blick fällt auf die Weihnachtskugel, die ich von meiner Mutter bekommen habe. Ich habe sie immer aufbewahrt. Es ist eine schöne Kugel, in der der Weihnachtsmann mir immer zuwinkte, und wenn ich sie auf den Kopf stellte, schneite es. Sie ist groß und schwer und fühlt sich gut an in meiner Hand. Ich weiß nun, was ich tun muss. Ich öffne langsam die Türe und sehe ihre strahlenden Augen, die schnell einen panischen Zug bekommen, als sie sehen, was ich vorhabe. Immer wieder schlage ich auf sie ein. Höre auch nicht auf, als sie schon längst tot ist.


 

You´re out on the streets looking good, and baby,

Deep down in your heart I guess you know that it ain´t right,

Never, never, never, never, never, never, never hear me when I cry at night,

Baby, I cry all the time!

And each time I tell myself that I, well I can´t stand the pain,

But when you hold me in your arms, I´ll sing it once again.


 

Dann gehe ich zurück in mein Zimmer, schließe die Türe ab und lege Janis auf.