Das Land der Masken
von
JACK VANCE

 

Das Haus­boot ent­sprach voll­kom­men dem ho­hen Ni­veau der Hand­werks­kunst auf Si­re­ne – das heißt, so­weit ein ter­ra­ni­sches Au­ge das ab­schät­zen konn­te.

Die Plan­ken des dun­kel po­lier­ten Hol­zes gin­gen fu­gen­los in­ein­an­der über. Be­fes­tigt wa­ren sie mit flach­ge­schlif­fe­nen Senk­kopf­nie­ten aus Pla­tin. Das Boot war breit und mas­siv, oh­ne je­doch im ge­rings­ten schwer­fäl­lig zu wir­ken. Es lief so ru­hig, daß man das Ge­fühl hat­te, am fes­ten Ufer zu ste­hen.

Der Bug wölb­te sich wie die Brust ei­nes stol­zen Schwans und ging mit groß­zü­gi­gem Schwung in den Vor­ders­te­ven über, von des­sen En­de ei­ne Schmie­de­la­ter­ne hing. Die Tü­ren wa­ren aus braun-grün ge­spren­kel­tem Holz ge­schnitzt. Die viel­fach un­ter­teil­ten Fens­ter be­stan­den aus ro­sa, blaß­grün, blau und vio­lett ein­ge­färb­ten Glim­mer­ta­feln.

Im Bug wa­ren die Räu­me für Skla­ven und Ge­rä­te un­ter­ge­bracht. Zwei Schlaf­ka­bi­nen, ein Spei­se­zim­mer und ein Sa­lon be­fan­den sich im Mit­tel­teil des Boo­tes, wäh­rend sich über das Heck das Be­ob­ach­tungs­deck zog.

So sah Ed­wer This­sells Haus­boot aus, aber der Be­sitz be­rei­te­te ihm we­der Ver­gnü­gen noch Stolz. Das Haus­boot war schä­big ge­wor­den. Die Tep­pi­che wirk­ten ab­ge­tre­ten, die ge­schnitz­ten Zwi­schen­wän­de rau­chig. Und die Bugla­ter­ne war rost­zer­fres­sen.

Vor sieb­zig Jah­ren hat­te der ers­te Be­sit­zer den Er­bau­er ge­ehrt, in­dem er das Boot von ihm an­nahm, und er selbst war ge­ehrt ge­we­sen. Die Hand­lung (es steck­te weit mehr dar­in als ein ein­fa­ches Ge­ben und Neh­men) hat­te das An­se­hen bei­der Män­ner ge­ho­ben.

Die­se Zeit war nun schon lan­ge vor­bei. Das Haus­boot ver­schaff­te sei­nem Be­sit­zer kei­ner­lei An­se­hen mehr.

Ed­wer This­sell, erst seit ei­nem Vier­tel­jahr auf Si­re­ne seß­haft, wuß­te es wohl, aber er konn­te es nicht än­dern. Die­ses be­son­de­re Haus­boot war das ein­zi­ge, das er hat­te auf­trei­ben kön­nen.

Er saß auf dem rück­wär­ti­gen Deck und üb­te die Ganga, ein zi­ther­ähn­li­ches In­stru­ment, das nicht viel grö­ßer als sei­ne Hand­flä­che war. Hun­dert Me­ter wei­ter vorn zeig­te ein Bran­dungs­strei­fen die Küs­te an. Da­hin­ter sah man den Dschun­gel, ab­ge­grenzt von der ge­zack­ten Sil­hou­et­te der dunklen Hü­gel. Am Him­mel stand weiß und glanz­los Mi­reil­le. Sie wirk­te wie durch Hun­der­te von Spinn­web­net­zen ab­ge­dämpft. Und sie ließ die Ober­flä­che der See in al­len Perl­mut­ter­far­ben auf­schim­mern.

Das Bild war ihm so ver­traut, wenn auch nicht so lang­wei­lig wie die Ganga, ge­wor­den, auf der er jetzt seit zwei Stun­den üb­te. Die Ton­lei­tern auf und ab, die­se Sai­te noch ein­mal, ein­fa­che Ton­fol­gen.

Jetzt leg­te er die Ganga weg und nahm statt des­sen das Za­chin­ko, ein klei­nes Tas­ten­in­stru­ment, das mit der rech­ten Hand ge­spielt wur­de. Ein Druck auf die Tas­ten preß­te Luft in ein Rohr, das sich in­ner­halb der Tas­te be­fand, und rief einen zieh­har­mo­ni­ka­ähn­li­chen Ton her­vor. This­sell spiel­te et­wa ein Dut­zend Ton­fol­gen und mach­te nur we­ni­ge Feh­ler. Von den sechs In­stru­men­ten, die er sich vor­ge­nom­men hat­te, er­wies sich das Za­chin­ko als am we­nigs­ten wi­der­spens­tig. Mit Aus­nah­me des Hy­mer­kins selbst­ver­ständ­lich, die­ses klap­pern­den, schnar­ren­den Holz­dings, das aus­schließ­lich im Um­gang mit Skla­ven be­nutzt wur­de.

 

This­sell üb­te wei­te­re zehn Mi­nu­ten, bis er das Za­chin­ko zur Sei­te leg­te. Er streck­te die Ar­me und mas­sier­te die schmer­zen­den Fin­ger. Je­den wa­chen Au­gen­blick seit sei­ner An­kunft hat­te er die­sen In­stru­men­ten ge­wid­met – dem Hy­mer­kin, der Ganga, dem Za­chin­ko, dem Kiw, dem Stra­pan und dem Go­ma­pard.

Er hat­te Ton­lei­tern mit vier­und­zwan­zig No­ten und vier Ton­ar­ten ge­übt, zahl­lo­se Ak­kor­de, In­ter­val­le, die auf den Hei­mat­pla­ne­ten un­denk­bar wa­ren.

Tril­ler, Ar­peg­gi­os, Bin­dun­gen, Na­sa­lie­rung, das Dämp­fen und Her­vor­he­ben von Ober­schwin­gun­gen, Vi­bra­tos und lang­ge­zo­ge­ne Tö­ne, kon­ve­xe und kon­ka­ve Tö­ne.

Er üb­te mit ver­bis­se­nem Ei­fer, und sei­ne ur­sprüng­li­che Mei­nung, daß Mu­sik ei­ne Quel­le der Freu­de sei, war schon längst um­ge­sto­ßen wor­den. Als This­sell die In­stru­men­te an­sah, wi­der­stand er der star­ken Ver­su­chung, sie der Rei­he nach in den Ti­ta­nik zu wer­fen.

Er er­hob sich, ging durch den Sa­lon, das Spei­se­zim­mer, einen Gang ent­lang, vor­bei an der Kom­bü­se, bis er das Vor­der­deck er­reich­te. Er beug­te sich über das Ge­län­der und sah hin­ab in die Un­ter­was­ser­stäl­le, wo To­by und Rex, sei­ne bei­den Skla­ven, die Last­fi­sche für die wö­chent­li­che Rei­se nach Fan an­spann­ten. Der jüngs­te Fisch, ent­we­der aus ei­ner Lau­ne her­aus oder aus Trotz, tauch­te auf und kam an die Was­sero­ber­flä­che. Sei­ne schlan­ke, schwar­ze Schnau­ze stieß durch die Wel­len, und This­sell fühl­te sich pein­lich be­rührt: Der Fisch trug kei­ne Mas­ke.

This­sell lach­te be­un­ru­higt und tas­te­te nach sei­ner ei­ge­nen Mas­ke, die die Form ei­nes Nacht­schwär­me­rs hat­te. Kein Zwei­fel, er ak­kli­ma­ti­sier­te sich all­mäh­lich. Er hat­te die be­deut­sa­me Stu­fe er­reicht, auf der ihn das nack­te Ge­sicht ei­nes Fi­sches scho­ckier­te.

Schließ­lich wa­ren die Fi­sche an­ge­schirrt. To­by und Rex klet­ter­ten an Bord. Ih­re ro­ten Kör­per glän­zen von der Näs­se. Sie tru­gen schwar­ze Ge­sichts­mas­ken. Sie igno­rier­ten This­sell. Wort­los ver­stau­ten sie den Fisch­be­häl­ter und lich­te­ten den An­ker. Die Last­fi­sche leg­ten sich ins Zeug, die Zü­gel spann­ten sich, und das Haus­boot be­weg­te sich nach Nor­den.

This­sell kehr­te aufs hin­te­re Deck zu­rück und nahm den Stra­pan auf – ein runder Kas­ten von zwan­zig Zen­ti­me­ter Durch­mes­ser. Achtund­vier­zig Sai­ten wa­ren von der Mit­tel­na­be zum Rand ge­spannt, wo sie ent­we­der mit ei­nem Glöck­chen oder ei­nem Klin­gel­stab ver­bun­den wa­ren. Wenn man die Sai­ten zupf­te, klin­gel­ten die Stä­be und Schel­len. Wenn man sie strich, gab das In­stru­ment nä­seln­de, klim­pern­de Me­lo­di­en von sich. Ein ge­schick­ter Spie­ler konn­te mit die­sem In­stru­ment aus­drucks­vol­le Dis­so­nan­zen vor­brin­gen. In ei­ner un­ge­üb­ten Hand hin­ge­gen war das Re­sul­tat we­ni­ger glück­lich und hät­te so­gar Spek­ta­kel ge­nannt wer­den kön­nen. Der Stra­pan war This­sells schwächs­tes In­stru­ment. Kon­zen­triert üb­te er wäh­rend der gan­zen Fahrt.

Nach ei­ni­ger Zeit nä­her­te sich das Haus­boot der schwim­men­den Stadt. Die Schlepp­fi­sche wur­den am Rand­stein an­ge­hal­ten, und das Haus­boot wur­de ver­täut. Ent­lang der Docks spa­zier­ten Mü­ßig­gän­ger und prüf­ten je­des an­kom­men­de Schiff mit­samt Skla­ven und Be­sit­zer, wie es hier auf Si­re­ne Sit­te war.

This­sell, der sich an die­ses zu­dring­li­che Gaf­fen noch nicht recht ge­wöhnt hat­te, fand die­se In­spek­tio­nen be­un­ru­hi­gend, um so mehr, als die Mas­ken so starr blie­ben. Ver­le­gen rück­te er sei­ne ei­ge­ne Nacht­schwär­mer-Mas­ke zu­recht und klet­ter­te über die Lei­ter ans Fest­land.

 

Ein Skla­ve, der reg­los am Dock ge­kau­ert hat­te, er­hob sich, be­rühr­te mit den Knö­cheln das schwar­ze Tuch sei­ner Mas­ke und sang einen Drei­ton-Fra­ge­satz:

»Der Nacht­schwär­mer vor mir stellt viel­leicht die Per­sön­lich­keit Sir Ed­wer This­sells dar?«

This­sell spiel­te das Hy­mer­kin, das ihm vom Gür­tel hing, und sang da­zu: »Ich bin Sir Ed­wer This­sell.«

»Ich wur­de mit ei­ner ver­trau­li­chen Bot­schaft ge­ehrt«, sang der Skla­ve. »Seit drei Ta­gen war­te ich hier von der Mor­gen- bis zur Abend­däm­merung. Drei Näch­te lang ha­be ich mich auf ei­nem Floß am Was­ser auf­ge­hal­ten und den Schrit­ten der Nacht­män­ner ge­lauscht. Und nun end­lich kommt die Mas­ke Sir Ed­wer This­sells vor mei­nen Blick.«

This­sell ver­kniff sich ge­ra­de noch ein un­ge­dul­di­ges Klap­pern auf dem Hy­mer­kin. »Was ist der Wort­laut der ver­trau­li­chen Bot­schaft?«

»Ich ha­be einen Zet­tel, Sir This­sell, der für Sie be­stimmt ist.«

This­sell streck­te sei­ne lin­ke Hand aus, wäh­rend die rech­te das Hy­mer­kin be­ar­bei­te­te: »Gib mir die Bot­schaft.«

»So­fort, Sir This­sell.«

Die Nach­richt trug die dick­ge­druck­te Über­schrift:

 

DRIN­GEN­DE MIT­TEI­LUNG! EILT!

 

This­sell riß den Um­schlag auf. Die Nach­richt kam von Cas­tel Cro­mar­tin, dem Chef des In­ter­wel­ten-Po­li­zei­prä­si­di­ums. Nach­dem This­sell die Be­grü­ßungs­flos­keln über­flo­gen hat­te, las er fol­gen­des:

AB­SO­LUT DRIN­GEND! Die fol­gen­den Or­ders müs­sen un­ver­züg­lich durch­ge­führt wer­den. An Bord der Ca­ri­na Cru­zei­ro, Be­stim­mungs­ort Fan, An­kunfts­tag 10. Ja­nu­ar Uni­ver­sal­zeit, be­fin­det sich Ha­xo Ang­mark. Der Ge­nann­te ist ei­ner der schlimms­ten Ver­bre­cher. Bei der Lan­dung von hie­si­ger Po­li­zei fest­neh­men las­sen. Die­se An­wei­sun­gen müs­sen un­be­dingt durch­ge­führt wer­den. Ein Fehl­schlag kann nicht ent­schul­digt wer­den.

ACH­TUNG! Ha­xo Ang­mark ist au­ßer­or­dent­lich ge­walt­tä­tig. Bei An­zei­chen von Wi­der­stand soll er so­fort ge­tö­tet wer­den.

This­sell be­trach­te­te die Bot­schaft na­se­rümp­fend. Als er die Kon­su­lar­ver­tre­tung auf Fan über­nahm, hat­te er nicht mit sol­chen Din­gen ge­rech­net. Er fühl­te we­der die Nei­gung noch die Fä­hig­keit, mit ge­fähr­li­chen Ver­bre­chern um­zu­ge­hen. Nach­denk­lich rieb er über die pel­zi­ge graue Ba­cke sei­ner Mas­ke. So aus­sichts­los war die La­ge gar nicht. Es­te­ban Rol­ver, der Di­rek­tor des Raum­ha­fens, wür­de ihm oh­ne Zwei­fel hel­fen und ihm viel­leicht ei­ne Kom­pa­nie Skla­ven zur Ver­fü­gung stel­len.

This­sell las die Bot­schaft noch ein­mal durch. Zehn­ter Ja­nu­ar, Uni­ver­sal­zeit. Er sah auf dem Um­rech­nungs­ka­len­der nach. Heu­te war der Vier­zigs­te des Bit­te­ren Nek­tars. This­sell fuhr mit dem Fin­ger die Spal­te ent­lang. Da – zehn­ter Ja­nu­ar.

Ein ent­fern­tes Dröh­nen er­weck­te sei­ne Auf­merk­sam­keit. Aus dem Ne­bel tauch­te schat­ten­haft das Bei­boot, das die Leu­te der Ca­ri­na Cru­zei­ro an Bord ge­nom­men hat­te.

This­sell las noch ein­mal die No­te durch, dann hob er den Kopf und sah dem Bei­boot nach. Ha­xo Ang­mark wür­de an Bord sein. In fünf Mi­nu­ten hat­te er den Bo­den von Si­re­ne be­tre­ten. Die Lan­de­for­ma­li­tä­ten hiel­ten ihn viel­leicht zwan­zig Mi­nu­ten auf. Die Lan­de­bahn lag an­dert­halb Mei­len ent­fernt und war mit Fan durch einen lan­gen, ge­wun­de­nen Pfad ver­bun­den, der durch die Hü­gel führ­te.

 

This­sell wand­te sich an den Skla­ven. »Wann kam die­se Bot­schaft an?«

Der Skla­ve beug­te sich ver­ständ­nis­los vor. This­sell wie­der­hol­te die Fra­ge sin­gend, wo­bei er auf dem Hy­mer­kin klim­per­te. »Wie lan­ge hat­test du die Eh­re, die­se ver­trau­li­che Bot­schaft mit dir zu tra­gen?«

Der Skla­ve sang: »Lan­ge Ta­ge war­te­te ich am Kai, und erst bei Ein­bruch der Däm­me­rung zog ich mich auf mein Floß zu­rück. Nun wur­de mei­ne Wa­che be­lohnt. Vor mir steht Sir Ed­wer This­sell.«

This­sell wand­te sich ab und ging wü­tend über die Dock­an­la­gen. Un­fä­hi­ges, dum­mes Volk von Si­re­ne! Warum hat­ten sie die Bot­schaft nicht zu sei­nem Haus­boot brin­gen las­sen? Noch fünf­und­zwan­zig Mi­nu­ten – nein, nur noch zwei­und­zwan­zig …

Auf der Pro­me­na­de blieb This­sell ste­hen und sah nach rechts und nach links, als hof­fe er auf ein Wun­der. Viel­leicht ei­ne Art Luft­trans­por­ter, der ihn im Nu zum Raum­ha­fen brin­gen wür­de, wo er dann mit Rol­vers Hil­fe Ha­xo Ang­mark im­mer noch fest­neh­men konn­te. Oder lie­ber noch ei­ne zwei­te Bot­schaft, die den In­halt der ers­ten für un­gül­tig er­klär­te. Et­was, ir­gend et­was …

Aber Luft­au­tos gab es auf Si­re­ne nicht, und ei­ne zwei­te Bot­schaft kam auch nicht.

An der Pro­me­na­de er­hob sich ei­ne Rei­he schmal­brüs­ti­ger Ge­bäu­de, aus fes­tem Stein und Ei­sen zum Schutz ge­gen die Nacht­män­ner. In ei­nem die­ser Ge­bäu­de be­fand sich ein Miets­stall, und This­sell sah einen Mann mit herr­li­cher Sil­ber- und Per­len­mas­ke auf ei­nem der ei­dech­sen­ar­ti­gen Tie­re da­von­rei­ten.

This­sell lief los. Es war im­mer noch Zeit. Mit et­was Glück konn­te er Ha­xo Ang­mark ab­fan­gen. Er eil­te über die Es­pla­na­de. Der Stall­be­sit­zer über­blick­te mit Wür­de sei­ne Tie­re, po­lier­te hier ein paar Schup­pen und ver­jag­te dort ei­ne Flie­ge. Er hat­te fünf erst­klas­si­ge Tie­re, je­des so groß, daß es This­sell bis zur Schul­ter reich­te, mit star­ken Bei­nen, kräf­ti­gen Lei­bern und schwe­ren keil­för­mi­gen Köp­fen. Von ih­ren Fän­gen, die künst­lich ver­län­gert und zu Halb­krei­sen ge­bo­gen wor­den wa­ren, hin­gen gol­de­ne Rin­ge. Ih­re Schup­pen wa­ren rau­ten­för­mig ein­ge­färbt: pur­pur­rot und grün, oran­ge und schwarz, rot und blau, braun und ro­sa, gelb und silb­rig.

This­sell hielt atem­los vor dem Stall­be­sit­zer. Er griff nach dem Kiw, doch dann zö­ger­te er. Der Kiw, fünf Rei­hen Fe­der­me­tall­strei­fen, die man ver­dreh­te und so auf­klin­gen ließ, war viel­leicht nicht das Rech­te. Konn­te man die­sen Han­del als per­sön­li­che Un­ter­re­dung aus­le­gen? Das Za­chin­ko viel­leicht? Aber die Er­klä­rung sei­ner Not­la­ge schi­en kaum ei­ne for­mel­le An­nä­he­rung zu er­for­dern. Doch der Kiw. Er zupf­te ihn, er­wi­sch­te aber aus Ver­se­hen die Ganga.

Un­ter sei­ner Mas­ke grins­te This­sell ent­schul­di­gend. Sei­ne Be­zie­hung zu die­sem Stall­be­sit­zer war kei­nes­wegs in­tim. Er hoff­te auf die hei­te­re Ge­müts­art des Man­nes, und au­ßer­dem hat­te er jetzt wirk­lich kei­ne Zeit, sich lan­ge den Kopf nach dem rich­ti­gen In­stru­ment zu zer­bre­chen. Er schlug ei­ne zwei­te Sai­te an und sang, so gut es Auf­re­gung, Atem­lo­sig­keit und man­gel­haf­te Ge­schick­lich­keit zulie­ßen:

»Sir Stall­be­sit­zer, ich brau­che drin­gend ein schnel­les Reit­pferd. Er­laubt mir, aus Eu­rer Her­de ei­nes zu wäh­len.«

 

Der Stall­be­sit­zer trug ei­ne reich­lich kom­pli­zier­te Mas­ke, die This­sell nicht iden­ti­fi­zie­ren konn­te: ein Ge­bil­de aus la­ckier­tem brau­nem Tuch und ge­fäl­tel­tem grau­em Le­der, aus dem in Stirn­hö­he zwei große rot-grü­ne Ku­geln her­aus­rag­ten, die pein­lich ge­nau wie die Fa­cet­ten­au­gen von In­sek­ten un­ter­teilt wa­ren.

Er sah This­sell lan­ge an. Dann wähl­te er her­aus­for­dernd sein Sti­mic und ent­lock­te ihm ei­ne per­len­de Fol­ge von Tril­lern und Ka­n­ons.

This­sell be­griff die Be­deu­tung des Spiels nicht. Das Sti­mic – drei flö­ten­ar­ti­ge, mit Ven­til­bol­zen ver­se­he­ne Roh­re; Dau­men und Zei­ge­fin­ger an ei­nem Bla­se­balg, der Luft in die Mund­stücke preß­te; zwei­ter, drit­ter und vier­ter Fin­ger an den Zü­gen – die­ses Sti­mic al­so war ein In­stru­ment, das bei Ge­füh­len küh­ler Di­stanz oder so­gar Miß­ach­tung ge­spielt wur­de.

Aber This­sell war sich nicht im kla­ren dar­über, wie kühl die Ab­sa­ge war. Der Mann sang: »Sir Nacht­schwär­mer, ich fürch­te, daß mei­ne Pfer­de für einen Mann Ih­res Ran­ges un­ge­eig­net sind.«

This­sell zupf­te ernst an der Ganga. »Kei­nes­wegs! Sie schei­nen mir al­le ge­eig­net. Ich bin in großer Ei­le und neh­me mit Freu­den je­des von ih­nen.«

Der Stall­be­sit­zer spiel­te ein schäu­men­des, har­tes Cre­scen­do. »Sir Nacht­schwär­mer«, sang er, »die Pfer­de sind al­le krank und schmut­zig. Ich füh­le mich ge­schmei­chelt, daß Sie sie brauch­bar fin­den, aber ich kann Ihr eh­ren­vol­les An­ge­bot nicht an­neh­men. Und –« Hier wech­sel­te er auf sein Kro­datch über, »– ir­gend­wie er­ken­ne ich den Kum­pan und Zunft­ge­nos­sen nicht, der sich mir so ver­traut mit der Ganga nä­hert.«

Die An­spie­lun­gen wa­ren ein­deu­tig. Die Be­nut­zung des Kro­datch al­lein ge­nüg­te. Es war ein schma­ler, vier­e­cki­ger Kas­ten, mit harz­ge­tränk­ten Seh­nen be­spannt, die mit dem Fin­ger­na­gel an­ge­ris­sen wur­den und kla­re, for­mel­le Tö­ne von sich ga­ben. Das Kro­datch war ein In­stru­ment der Zu­rück­wei­sung, ja so­gar der Be­lei­di­gung. This­sell wür­de kein Pferd er­hal­ten.

Er dreh­te sich um und lief auf den Raum­ha­fen zu.

 

Der vo­ri­ge Kon­sul der Hei­mat­pla­ne­ten war auf Zun­dar ge­tö­tet wor­den. Als Ta­ver­nen­wirt ver­klei­det, hat­te er sich ei­nem Mäd­chen ge­nä­hert, das die Mas­ke der Tag- und Nacht­glei­che trug, ein Fre­vel, für den er auf Ort und Stel­le von ei­nem Ro­ten De­mi­ur­gen, ei­nem Son­nen­ko­bold und ei­ner Ma­gi­schen Hor­nis­se ge­köpft wor­den war.

Ed­wer This­sel, erst seit kur­z­em gra­du­iert, wur­de zu sei­nem Nach­fol­ger er­nannt. Man ließ ihm drei Ta­ge Zeit zur Vor­be­rei­tung.

This­sell, ein nor­ma­ler­wei­se be­schau­li­cher, ja so­gar vor­sich­ti­ger Cha­rak­ter, hat­te die Er­nen­nung als Her­aus­for­de­rung be­trach­tet.

Er er­lern­te die Spra­che von Si­re­ne mit Hil­fe sub­ze­re­bra­ler Tech­ni­ken und fand sie sehr ein­fach. Dann las er fol­gen­des in ei­ner Zeit­schrift für Uni­ver­sa­le An­thro­po­lo­gie nach:

Die Be­völ­ke­rung des ti­ta­ni­schen Küs­ten­ge­biets ist im ho­hen Ma­ße in­di­vi­dua­lis­tisch, was wohl auf die äu­ßerst rei­che und groß­zü­gi­ge Land­schaft zu­rück­zu­füh­ren ist, die die Men­schen nicht zwingt, sich in Grup­pen zu tei­len und ge­mein­sam zu ar­bei­ten. Die Spra­che spie­gelt die­sen Cha­rak­ter­zug wi­der. Sie drückt die au­gen­blick­li­chen Ge­füh­le des Spre­chen­den aus, die er ge­gen­über ei­ner be­stimm­ten Si­tua­ti­on emp­fin­det. Das Aus­drücken von Tat­sa­chen steht erst an zwei­ter Stel­le.

Dar­über hin­aus wer­den die Wor­te ge­sun­gen und von ei­nem für die je­wei­li­ge Stim­mung cha­rak­te­ris­ti­schen In­stru­ment be­glei­tet.

Es ist da­her un­ge­heu­er schwie­rig, von ei­nem Ein­ge­bo­re­nen Fans oder Zun­dars, der ver­bo­te­nen Stadt, In­for­ma­tio­nen zu er­hal­ten. Man wird mit ele­gan­ten Ari­en ab­ge­speist oder muß sich vir­tuo­se Stücke von ei­nem der zahl­rei­chen lan­des­üb­li­chen In­stru­men­te an­hö­ren. Wenn sich ein Be­su­cher die­ser fes­seln­den Welt nicht in der Art der Ein­ge­bo­re­nen aus­drücken kann, wird er mit der tiefs­ten Ver­ach­tung be­han­delt.

This­sell mach­te sich ei­ne No­tiz in sein Merk­buch: Klei­ne Mu­sik­in­stru­men­te mit Spiel­an­lei­tun­gen be­sor­gen. Er las wei­ter.

Es gibt an al­len Or­ten und zu je­der Zeit reich­lich, um nicht zu sa­gen über­reich­lich, zu es­sen. Das Kli­ma ist mild. Mit der der Ras­se ei­ge­nen Ener­gie und ei­nem Über­maß an Frei­zeit be­schäf­tigt sich die Be­völ­ke­rung in der Haupt­sa­che da­mit, al­les per­fekt zu ge­stal­ten. Per­fek­te Hand­werks­kunst, wie zum Bei­spiel an den Schnit­ze­rei­en sicht­bar wird, die die Haus­boo­te schmücken. Per­fek­ter Sym­bo­lis­mus, wie er sich in den Mas­ken aus­drückt, die je­der­mann trägt. Die per­fek­te halb­mu­si­ka­li­sche Spra­che, die be­wun­derns­wert auch die kleins­ten Ge­fühls­schwan­kun­gen aus­drückt. Und vor al­lem die phan­tas­ti­sche Per­fek­ti­on in den per­sön­li­chen Be­zie­hun­gen. Pres­ti­ge, Ge­sicht, Ma­na, gu­ter Ruf, Eh­re: Das Wort auf Si­re­ne für all die­se Be­grif­fe ist strakh. Je­der hat ein ganz be­stimm­tes strakh, das ent­schei­dend ist, ob er bei Be­darf ein reich­ge­schmück­tes Haus­boot er­hält, einen schwim­men­den Pa­last mit Edel­stei­nen, Ala­bas­ter­la­ter­nen und ge­schnitz­tem Holz, oder ob er nach lan­gem Zö­gern ei­ne ver­las­se­ne Hüt­te auf ei­nem Floß für sich in An­spruch neh­men darf. Geld gibt es auf Si­re­ne nicht. Die ein­zi­ge Wäh­rung ist strahk.

This­sell rieb sich über das Kinn und las wei­ter.

Die Mas­ken wer­den im­mer ge­tra­gen. Das steht im Ein­klang mit der Phi­lo­so­phie, daß der Mensch nicht ge­zwun­gen wer­den darf, Ge­sichts­zü­ge zur Schau zu stel­len, für die er nichts kann und die ein falsches Bild von ihm er­ge­ben könn­ten. Nach An­sicht der Si­re­ner soll­te der Mensch die Frei­heit ha­ben, das Ge­sicht zu wäh­len, das sei­nem strakh am meis­ten ent­spricht. In den kul­ti­vier­ten Ge­bie­ten von Si­re­ne, das heißt vor al­lem an den Küs­ten des Ti­ta­nik, zeigt kein Mensch im wahrs­ten Sinn des Wor­tes je sein Ge­sicht. Es ist sein grund­sätz­li­ches Ge­heim­nis.

Glückss­pie­le sind auf Si­re­ne un­be­kannt. Es wä­re nicht aus­zu­den­ken, sich durch ein an­de­res Mit­tel als das strakh einen Vor­teil zu ver­schaf­fen. Der Aus­druck ›Glück ha­ben‹ ist auf Si­re­ne nicht be­kannt und kann durch nichts über­setzt wer­den.

This­sell mach­te sich noch ei­ni­ge No­ti­zen: Mas­ke be­sor­gen. Mu­se­um? Oder Thea­ter­gil­de?

 

Das Bei­boot steu­er­te auf die Lan­de­flä­che des si­re­ni­schen Raum­ha­fens zu – ei­ne to­pas­far­be­ne Schei­be, die von den schwar­zen, grü­nen und pur­pur­nen Ber­gen scharf ab­stach. Das Bei­boot lan­de­te, und Ed­wer This­sell stieg aus. Er wur­de von Es­te­ban Rol­ver ab­ge­holt, dem Lei­ter des Raum­ver­kehrs. Rol­ver warf sei­ne Ar­me hoch und trat einen Schritt zu­rück. »Ih­re Mas­ke!« schrie er hei­ser. »Wo ist Ih­re Mas­ke?«

This­sell hielt sie ziem­lich ver­le­gen hoch. »Ich war mir nicht si­cher …«

»Set­zen Sie sie auf«, sag­te Rol­ver und wand­te sich ab. Er selbst trug ei­ne Mas­ke aus la­ckier­tem blau­em Holz mit stumpf­grü­nen Schup­pen. Schwar­ze Fe­der­tuffs stan­den an den Wan­gen ab, und von sei­nem Kinn bau­mel­te ein schwarz-weiß ka­rier­tes Pom­pon, was ihm ins­ge­samt einen grim­mi­gen Cha­rak­ter­zug ver­lieh.

This­sell leg­te die Mas­ke an, un­si­cher, ob er einen Scherz über die La­ge ma­chen oder die sei­nem Pos­ten an­ge­mes­se­ne Wür­de zei­gen soll­te.

»Sind Sie mas­kiert?« frag­te Rol­ver über die Schul­ter hin­weg.

This­sell be­jah­te, und Rol­ver dreh­te sich um. Die Mas­ke ver­barg sei­nen Ge­sichts­aus­druck, aber sei­ne Hand fuhr un­will­kür­lich zu dem klei­nen Tas­t­in­stru­ment, das ihm am Gür­tel hing. Das Ding brach­te einen scho­ckier­ten Tril­ler und höf­li­che Kons­ter­na­ti­on her­vor.

»Sie kön­nen die­se Mas­ke nicht tra­gen!« sang Rol­ver. »Ei­ne Fra­ge – wo­her ha­ben Sie sie?«

»Es ist ei­ne Ko­pie der Mas­ke, die im Po­ly­po­lis-Mu­se­um hing«, er­wi­der­te This­sell steif. »Ich bin si­cher, daß sie au­then­tisch ist.«

Rol­ver nick­te, und sei­ne Mas­ke zeig­te einen grim­mi­ge­ren Aus­druck als vor­her. »Und wie au­then­tisch sie ist! Sie ist ei­ne Va­ri­an­te des See­dra­chen-Er­obe­rers, und sie wird von Leu­ten mit be­son­de­rem Pres­ti­ge nur bei fei­er­li­chen An­läs­sen ge­tra­gen. Von Prin­zen, Hel­den, Hand­werks­meis­tern oder großen Mu­si­kern.«

»Ich wuß­te nicht …«

Rol­ver wink­te ab. Es war ei­ne Ges­te des Ver­ste­hens. »Sie wer­den noch im Lau­fe der Zeit da­hin­ter­kom­men. Se­hen Sie mei­ne Mas­ke an. Heu­te tra­ge ich einen Vo­gel-Tarn. Men­schen von ge­rin­gem Pres­ti­ge – Aus­län­der wie Sie oder ich, zum Bei­spiel – tra­gen sol­che Mas­ken.«

»Ko­misch«, mein­te This­sell, als sie über den Platz auf das nied­ri­ge Be­ton­haus zu­gin­gen. »Ich war der Mei­nung, daß je­der die Mas­ke trägt, die ihm am bes­ten ge­fällt.«

»Ge­wiß«, mein­te Rol­ver. »Ver­su­chen Sie es. Neh­men wir mei­nen Vo­gel-Tarn zum Bei­spiel. Ich will da­mit sa­gen, daß ich nichts dar­stel­le. Ich be­haup­te nicht, daß ich wei­se, tap­fer, mu­si­ka­lisch oder sonst et­was bin, was hier auf Si­re­ne als Tu­gend an­ge­se­hen wird.«

»Was wür­de ei­gent­lich ge­sche­hen, wenn ich mit die­ser Mas­ke durch die Stra­ßen von Zun­dar gin­ge?« woll­te This­sell wis­sen.

 

Rol­ver lach­te ge­dämpft durch die Mas­ke. »Wenn Sie über die Docks von Zun­dar schlen­dern – Stra­ßen gibt es hier näm­lich kei­ne –, kön­nen Sie in spä­tes­tens ei­ner Stun­de tot sein. Egal, wel­che Mas­ke Sie tra­gen. So ist es auch Ben­ko, Ih­rem Vor­gän­ger, er­gan­gen. Er wuß­te nicht, wie er sich zu be­neh­men hat­te. Kei­ner von uns Aus­län­dern weiß es. In Fan sind wir ge­dul­det – so­lan­ge wir mög­lichst un­auf­fäl­lig blei­ben. Aber nicht ein­mal in Fan könn­ten Sie mit die­ser Fest­tags­mas­ke her­um­stol­zie­ren. Je­mand mit ei­ner Feu­er­schlan­gen- oder Donner­geist­mas­ke wür­de auf Sie zu­kom­men. Er wür­de sein Kro­datch spie­len, und wenn Sie sei­ne Kühn­heit nicht mit ei­ner Pas­sa­ge auf dem Ska­ra­nyi be­ant­wor­ten könn­ten – ein teuf­li­sches In­stru­ment üb­ri­gens mit du­del­sack­ähn­li­chem Klang –, dann wür­de er sein Hy­mer­kin spie­len, das In­stru­ment für die Skla­ven. Das ist der Aus­druck der tiefs­ten Ver­ach­tung. Oder er schlägt sei­nen Du­el­lier­gong und greift Sie auf der Stel­le an.«

»Ich hat­te kei­ne Ah­nung, daß die Leu­te hier so leicht in Zorn ge­ra­ten«, sag­te This­sell mit un­ter­drück­ter Stim­me.

Rol­ver zuck­te mit den Schul­tern und öff­ne­te die mas­si­ve Stahl­tür, die zu sei­nem Bü­ro führ­te. »Auch auf der Pro­me­na­de von Po­ly­po­lis darf man sich nicht al­les er­lau­ben, oh­ne Kri­tik her­aus­zu­for­dern.«

»Ja, das stimmt«, mein­te This­sell. Er sah sich im Bü­ro um. »Warum all der Be­ton und Stahl?«

»Zum Schutz ge­gen die Wil­den«, er­klär­te Rol­ver. »Sie kom­men nachts aus den Ber­gen, steh­len al­les, was nicht niet- und na­gel­fest ist, und tö­ten je­den, der ih­nen un­ter die Fin­ger kommt.« Er ging zu ei­nem Schrank und hol­te ei­ne Mas­ke her­aus. »Hier. Tra­gen Sie die­se Nacht­schwär­mer-Mas­ke. Sie wird Sie nicht in Schwie­rig­kei­ten brin­gen.«

This­sell un­ter­such­te die Mas­ke oh­ne all­zu große Be­geis­te­rung. Sie war aus maus­far­be­nem Pelz ge­ar­bei­tet. An je­der Sei­te der Mun­d­öff­nung stand ein Bü­schel Haa­re ab, und an der Stirn sa­ßen zwei fe­der­ar­ti­ge Füh­ler. Wei­ße Spit­zen­flü­gel wa­ren an den Schlä­fen an­ge­setzt, und un­ter den Au­gen sah man rot­ge­fäl­tel­ten Stoff, der ei­ne zu­gleich fins­te­re und ko­mi­sche Wir­kung er­ziel­te.

»Stellt die­se Mas­ke einen be­stimm­ten Pres­ti­ge­grad dar?« frag­te This­sell.

»Kei­nen sehr ho­hen.«

»Schließ­lich bin ich Kon­sul«, mein­te This­sell. »Ich re­prä­sen­tie­re die Hei­mat­pla­ne­ten, hun­dert Mil­li­ar­den Men­schen …«

»Wenn die Hei­mat­pla­ne­ten wün­schen, daß ihr Ver­tre­ter ei­ne See­dra­chen-Mas­ke trägt, sol­len sie einen ent­spre­chen­den Mann schi­cken.«

»Ich ver­ste­he«, mein­te This­sell ver­le­gen.

 

Rol­ver wand­te höf­lich den Blick ab, wäh­rend This­sell die Mas­ke des See­dra­chen-Er­obe­rers ab­leg­te und den be­schei­de­neren Nacht­schwär­mer über­streif­te. »Viel­leicht kann ich in ei­nem der Lä­den et­was Pas­sen­de­res fin­den«, mein­te This­sell. »Stimmt es, daß man nur hin­ein­zu­ge­hen braucht und mit­neh­men kann, was ei­nem ge­fällt?«

Rol­ver sah This­sell ab­schät­zend an. »Die­se Mas­ke ist – für den Au­gen­blick we­nigs­tens – voll­kom­men in Ord­nung. Es ist sehr wich­tig, daß Sie nichts aus den Lä­den neh­men, bis Sie nicht den strakh-Wert der aus­ge­wähl­ten Wa­re ken­nen. Der Be­sit­zer ver­liert an Pres­ti­ge, wenn je­mand mit nied­ri­gem strakh sei­ne bes­ten Wa­ren mit­nimmt.«

This­sell schüt­tel­te ver­zwei­felt den Kopf. »Das hat mir kei­ner vor­her ge­sagt. Ich wuß­te na­tür­lich von den Mas­ken und den sorg­fäl­ti­gen Ar­bei­ten der Hand­wer­ker, aber die­ses Be­ste­hen auf Pres­ti­ge – strakh, oder wie das Wort heißt …«

»Macht nichts«, trös­te­te ihn Rol­ver. »Nach ein paar Jah­ren wer­den Sie sich schon zu­recht­fin­den. Ich neh­me an, daß Sie die Spra­che spre­chen.«

»Oh, ja. Na­tür­lich.«

»Und wel­che In­stru­men­te spie­len Sie?«

»Hm – man sag­te mir, daß ir­gend­ein klei­nes In­stru­ment ge­nü­gen könn­te. Oder daß ich nur sin­gen müß­te.«

»Falsch. Nur Skla­ven sin­gen oh­ne Be­gleit­mu­sik. Ich schla­ge Ih­nen vor, daß Sie die fol­gen­den In­stru­men­te so schnell wie mög­lich ler­nen: das Hy­mer­kin für die Skla­ven, die Ganga zur Un­ter­hal­tung mit gu­ten Freun­den oder Frem­den, de­ren strakh ein we­nig un­ter dem Ih­ren liegt. Den Kiw für ein pri­va­tes po­li­ti­sches Ge­spräch. Das Za­chin­ko für for­mel­le Ver­hand­lun­gen. Das Stra­pan oder das Kro­datch für die nie­de­ren ge­sell­schaft­li­chen Schich­ten – in Ih­rem Fall für Be­lei­di­gun­gen, denn ei­ne tiefe­re ge­sell­schaft­li­che Stu­fe als die Ih­re gibt es nicht. Den Go­ma­pard oder das Dop­pel-Ka­mant­hil für Ze­re­mo­ni­en …«

Der Go­ma­pard war ei­nes der we­ni­gen elek­tri­schen In­stru­men­te, die auf Si­re­ne be­nutzt wur­den. Ein Os­zil­la­tor brach­te einen oboe­n­ähn­li­chen Ton her­vor, mo­du­liert, ab­ge­dämpft, vi­brie­rend, laut und lei­se – je nach Kom­bi­na­ti­on der vier Tas­ten.

Das Dop­pel-Ka­mant­hil er­in­ner­te an die Ganga. Nur wur­den hier die Tö­ne er­zeugt, in­dem man ei­ne in Harz ge­tränk­te Le­der­schei­be über ei­ne oder meh­re­re der achtund­vier­zig Sai­ten strich. Rol­ver dach­te einen Au­gen­blick nach.

»Das Cre­ba­rin, die Was­ser­lau­te und der Slo­bo wä­ren auch ganz nütz­lich – aber viel­leicht soll­ten Sie zu­erst die an­de­ren In­stru­men­te ler­nen. Mit ih­nen kön­nen Sie sich we­nigs­tens auf pri­mi­ti­ve Wei­se ver­stän­di­gen.«

»Über­trei­ben Sie nicht ein we­nig?« mein­te This­sell. »Oder wol­len Sie mich auf den Arm neh­men?«

Rol­ver lach­te sein fins­te­res La­chen. »Aber nein – im Ge­gen­teil. Au­ßer­dem wer­den Sie noch ein Haus­boot und Skla­ven brau­chen.«

Rol­ver führ­te This­sell vom Raum­ha­fen zu den Docks von Fan. Es war ein an­dert­halb­stün­di­ger Spa­zier­gang un­ter rie­si­gen Bäu­men, die mit Früch­ten, Ge­mü­se­scho­ten und Beu­teln voll Zucker­saft be­la­den wa­ren.

»Im Au­gen­blick«, be­rich­te­te Rol­ver, »gibt es nur vier Aus­län­der in Fan, Sie mit­ge­rech­net. Ich brin­ge Sie zu We­li­bus, un­se­rem Han­dels­agen­ten. Viel­leicht hat er ein al­tes Haus­boot, das er Ih­nen zur Ver­fü­gung stel­len kann.«

Cor­ne­ly We­li­bus leb­te seit fünf­zehn Jah­ren auf Fan und hat­te be­reits so viel strakh er­wor­ben, daß er sei­ne Süd­wind-Mas­ke mit Wür­de tra­gen konn­te. Es war ei­ne blaue Schei­be mit Ein­leg­ar­bei­ten aus La­pis­la­zu­li, ein­ge­faßt von ei­ner schim­mern­den Schlan­gen­haut. We­li­bus war zu­gäng­li­cher und herz­li­cher als Rol­ver und ver­sorg­te This­sell nicht nur mit ei­nem Haus­boot, son­dern oben­drein mit Mu­sik­in­stru­men­ten und ei­nem Skla­ven­paar.

Ver­le­gen durch die­se Groß­zü­gig­keit, stam­mel­te This­sell et­was von Be­zah­lung, aber We­li­bus schnitt ihm das Wort mit ei­ner Hand­be­we­gung ab. »Wir sind auf Si­re­ne, mein lie­ber Freund. Sol­che Klei­nig­kei­ten kos­ten nichts.«

»Aber ein Haus­boot …«

We­li­bus spiel­te einen höf­li­chen, klei­nen Wir­bel auf dem Kiw. »Ich will of­fen sein, Sir This­sell. Das Boot ist alt und schon schä­big. Ich kann es mir nicht leis­ten, es zu be­nut­zen. Mein Pres­ti­ge wür­de dar­un­ter lei­den.« Ei­ne hüb­sche Me­lo­die be­glei­te­te sei­ne Wor­te. »Pres­ti­ge ist et­was, wor­auf Sie im Au­gen­blick noch nicht so ach­ten müs­sen. Sie brau­chen in ers­ter Li­nie Schutz vor den Nacht­män­nern und Be­quem­lich­keit.«

»Nacht­män­ner?«

»Die Kan­ni­ba­len, die die Docks bei Ein­bruch der Dun­kel­heit durch­strei­fen.« Ein zit­tern­der klei­ner Tril­ler kam von sei­nem Kiw. »Jetzt die Skla­ven.« Er be­rühr­te nach­denk­lich sei­ne Mas­ke. »Rex und To­by müß­ten die Rich­ti­gen sein.« Er spiel­te ei­ne schnel­le Ton­fol­ge auf dem Hy­mer­kin und er­hob sei­ne Stim­me: »Avan esx tro­bu!«

Ei­ne Skla­vin, in ro­sa Tuch­strei­fen ge­wi­ckelt und mit ei­ner zier­li­chen schwar­zen Mas­ke, trat nä­her.

»Fas­cu etz Rex ae To­by.«

To­by und Rex er­schie­nen. Sie tru­gen schwar­ze, lo­se Mas­ken und ein rost­brau­nes Wams. We­li­bus emp­fing sie mit ei­nem kräf­ti­gen Klap­pern des Hy­mer­kins und teil­te sie als Dienst­bo­ten This­sells ein. Er droh­te, sie zu ih­ren Hei­matin­seln zu­rück­zu­schi­cken, wenn sie nicht ge­horch­ten.

Sie war­fen sich zu Bo­den und san­gen mit ih­ren wei­chen, rau­hen Stim­men, daß sie ihm die­nen woll­ten. This­sell lach­te ner­vös und ver­such­te einen Satz in der si­re­ni­schen Lan­des­s­pra­che.

»Geht zum Haus­boot, rei­nigt es und schafft einen Le­bens­mit­tel­vor­rat an Bord.«

To­by und Rex starr­ten ihn durch die Au­gen­schlit­ze ih­rer Mas­ken ver­wirrt an. We­li­bus wie­der­hol­te die Be­feh­le zur Be­glei­tung des Hy­mer­kins. Die Skla­ven ver­neig­ten sich und gin­gen, oh­ne sich zu ver­ab­schie­den.

This­sell warf einen bö­sen Blick auf die Mu­sik­in­stru­men­te. »Ich ha­be nicht die lei­ses­te Ah­nung, wie ich das je ler­nen soll.«

We­li­bus wand­te sich an Rol­ver. »Wie steht es mit Kers­haul? Könn­te man ihn da­zu über­re­den, Sir This­sell die Grund­be­grif­fe bei­zu­brin­gen?«

Rol­ver nick­te be­däch­tig. »Kers­haul könn­te be­reit sein.«

»Wer ist Kers­haul?« frag­te This­sell.

»Der drit­te un­se­rer klei­nen Aus­län­der­grup­pe«, er­wi­der­te We­li­bus. »Ein An­thro­po­lo­ge. Ha­ben Sie sei­ne Bü­cher noch nie in die Hän­de be­kom­men? Das herr­li­che Zun­dar, Sit­ten und Ge­bräu­che auf Si­re­ne, Das Volk oh­ne Ge­sicht? Nein? Scha­de. Aus­ge­zeich­ne­te Sa­chen. Kers­haul ge­nießt ein ho­hes An­se­hen, und ich glau­be, daß er es sich so­gar leis­ten kann, von Zeit zu Zeit nach Zun­dar zu ge­hen. Trägt die Mas­ke ei­ner Höh­le­neu­le, manch­mal so­gar die ei­nes Ster­nen­wan­de­rers oder ei­nes obers­ten Schieds­rich­ters.«

»Er hat sich jetzt auf die Äqua­tor­schlan­ge um­ge­stellt«, be­rich­tig­te Rol­ver. »Die Va­ri­an­te mit dem gol­de­nen Gift­zahn.«

»Tat­säch­lich!« mein­te We­li­bus be­wun­dernd. »Nun, ich muß ehr­lich zu­ge­ben, er hat sie ver­dient. Ein fei­ner Mensch, im­mer hilfs­be­reit.« Und er zupf­te nach­denk­lich an sei­nem Za­chin­ko.

 

Drei Mo­na­te ver­gin­gen. Nach den An­wei­sun­gen von Ma­thew Kers­haul üb­te This­sell das Hy­mer­kin, die Ganga, den Stra­pan, den Kiw, den Go­ma­pard und das Za­chin­ko. Die an­de­ren könn­ten war­ten, hat­te Kers­haul ge­meint, bis This­sell die sechs Grund­in­stru­men­te be­herrsch­te. Er lieh This­sell Auf­zeich­nun­gen über be­mer­kens­wer­te Si­re­ner, die sich in ver­schie­de­nen Ge­müts­s­tim­mun­gen zu ver­schie­de­nen Be­glei­t­in­stru­men­ten un­ter­hiel­ten, so daß er die im Au­gen­blick mo­di­schen Me­lo­di­en er­lern­te und die Nu­an­cie­run­gen der In­to­na­ti­on üben konn­te – die ver­schie­de­nen Rhyth­men, zu­sam­men­ge­setzt, über­kreuzt, ka­non­ar­tig. Kers­haul ver­trat die An­sicht, daß die Stu­di­en der si­re­ni­schen Mu­sik ein über­aus fes­seln­des Ge­biet sei­en, und This­sell muß­te zu­ge­ben, daß die­ses The­ma nicht all­zu leicht er­schöpft wer­den konn­te.

Die Vier­tel­schritt-Ton­lei­ter der In­stru­men­te er­laub­te den Ge­brauch von vier­und­zwan­zig ver­schie­de­nen Klang­cha­rak­teren, die zu­sam­men mit den ge­bräuch­li­chen fünf Ton­ar­ten hun­dertzwan­zig ver­schie­de­ne Ska­len er­ga­ben.

Da er au­ßer sei­nen wö­chent­li­chen Be­su­chen bei Ma­thew Kers­haul nicht un­mit­tel­bar in Fan zu tun hat­te, brach­te This­sell sein Haus­boot acht Mei­len nach Sü­den, wo er es im Schutz ei­nes klei­nen Vor­ge­bir­ges ver­an­ker­te. Wenn er nicht un­abläs­sig hät­te üben müs­sen, wä­re das Le­ben hier drau­ßen idyl­lisch ge­we­sen. Die See war ru­hig und kris­tall­klar. Die Küs­te, um­rahmt von dem grau­en, grü­nen und pur­pur­nen Laub des Wal­des, lag in der Nä­he sei­nes An­ker­plat­zes. So konn­te er sich die Bei­ne ver­tre­ten, wenn ihm das Schiff zu klein wur­de.

To­by und Rex be­leg­ten zwei Räu­me auf dem Vor­der­schiff. Die Ka­bi­nen des Hecks wa­ren frei. Manch­mal spiel­te This­sell mit dem Ge­dan­ken, noch einen Skla­ven ein­zu­stel­len, viel­leicht so­gar ei­ne jun­ge Frau, da­mit et­was Schwung in den ein­tö­ni­gen Haus­halt kam. Aber Kers­haul riet ihm ab, wohl weil er be­fürch­te­te, daß da­durch die Kon­zen­tra­ti­on sei­nes Schü­lers nach­las­sen wür­de. This­sell gab nach und wid­me­te sich ganz sei­nen In­stru­men­ten.

Die Ta­ge ver­gin­gen schnell. This­sell wur­de nie mü­de, das er­ha­be­ne Schau­spiel von Son­nen­auf­gang und -Un­ter­gang zu be­trach­ten. Aber er lieb­te auch die wei­ßen Wol­ken und die blaue Far­be des Mee­res, den Nacht­him­mel mit den neun­und­zwan­zig Ster­nen des Stern­bilds SI 1-715. Die wö­chent­li­che Rei­se nach Fan un­ter­brach das Ei­ner­lei. To­by und Rex be­sorg­ten Ver­pfle­gung, und This­sell be­such­te das ver­schwen­de­risch aus­ge­stat­te­te Haus­boot von Ma­thew Kers­haul.

Dann, drei Mo­na­te nach This­sells An­kunft, kam die­se Bot­schaft, die den re­gel­mä­ßi­gen Le­bensab­lauf völ­lig durch­ein­an­der­brach­te: Ha­xo Ang­mark, ein Mör­der, Lock­spit­zel, ein rück­sichts­lo­ser, ver­schla­ge­ner Ver­bre­cher, war nach Si­re­ne ge­kom­men. Bei Lan­dung fest­neh­men las­sen! hieß der Be­fehl.

Und: Ach­tung! Ha­xo Ang­mark ist au­ßer­or­dent­lich ge­walt­tä­tig. Er muß oh­ne Zö­gern ge­tö­tet wer­den.

 

This­sell war nicht in bes­ter Kon­di­ti­on. Er lief fünf­zig Me­ter, bis er kei­ne Luft mehr hat­te. Dann ver­leg­te er sich aufs Ge­hen. Vor­bei an Hü­geln, auf de­nen wei­ßer Bam­bus und Baum­far­ne stan­den. Über Wie­sen, die von Gras­nüs­sen gelb wa­ren. Durch Obst­gär­ten und Wein­ber­ge.

Zwan­zig Mi­nu­ten ver­gin­gen, fünf­und­zwan­zig Mi­nu­ten. This­sells Ma­gen krampf­te sich zu­sam­men. Er wuß­te, daß er zu spät kam. Ha­xo Ang­mark war ge­lan­det und konn­te ihm so­gar auf die­sem Weg ent­ge­gen­kom­men, oh­ne daß er es merk­te.

Aber auf der gan­zen Stre­cke traf This­sell nur vier Leu­te: einen Jun­gen in der gro­tesk-wil­den Mas­ke ei­nes Alk-In­sel­be­woh­ners, zwei jun­ge Frau­en als Rot­vo­gel und Grün­vo­gel und ein Mann, der als Wald­geist ver­klei­det war. Als der Mann her­an­kam, blieb This­sell ste­hen. Konn­te er Ang­mark sein?

This­sell ver­such­te es mit ei­ner List. Er ging kühn auf den Mann zu und starr­te auf die ent­setz­li­che Mas­ke.

»Ang­mark«, rief er in der Spra­che der Hei­mat­pla­ne­ten, »Sie sind ver­haf­tet!«

Der Wald­geist starr­te ihn ver­ständ­nis­los an und ging dann ein­fach wei­ter.

This­sell stell­te sich ihm in den Weg. Er griff nach sei­ner Ganga, doch dann er­in­ner­te er sich an die Re­ak­ti­on des Stall­be­sit­zers und schlug statt des­sen ei­ne Sai­te des Za­chin­kos an. »Sie kom­men vom Raum­ha­fen«, sang er. »Was ha­ben Sie dort ge­se­hen?«

Der Wald­geist nahm sein Horn, ein In­stru­ment, mit dem man Geg­ner auf dem Schlacht­feld ver­spot­te­te oder mit dem man Tie­re her­bei­rief.

»Wo­hin ich rei­se und was ich se­he, geht au­ßer mir nie­man­den et­was an. Tre­tet zu­rück, oder ich ge­he durch Euch hin­durch!«

Er ging wei­ter. Hät­te This­sell sich nicht mit ei­nem schnel­len Sprung in Si­cher­heit ge­bracht, so hät­te der Mann sei­ne Dro­hung viel­leicht wahr ge­macht.

This­sell starr­te ihm noch lan­ge nach. Ang­mark? Un­wahr­schein­lich, da er das Horn so si­cher be­herrsch­te. This­sell zö­ger­te, dann dreh­te er sich um und setz­te sei­nen Weg fort.

Am Raum­ha­fen an­ge­kom­men, ging er di­rekt auf das Bü­ro zu. Die schwe­re Tür stand weit of­fen. Als This­sell nä­her kam, er­schi­en ein Mann im Ein­gang. Er trug ei­ne Mas­ke mit stumpf­grü­nen Schup­pen, Glim­mer­split­tern, blau­la­ckier­tem Holz und schwar­zen Tuffs – der Vo­gel-Tarn.

»Sir Rol­ver«, rief This­sell ängst­lich, »wer kam mit der Ca­ri­na Cru­zei­ro?«

Rol­ver be­trach­te­te This­sell lan­ge und auf­merk­sam. »Wes­halb fra­gen Sie?«

»Wes­halb ich fra­ge?« wie­der­hol­te This­sell. »Sie müs­sen das Raum­te­le­gramm ge­se­hen ha­ben, das ich von Cas­tel Cro­mar­tin er­hielt.«

»Ach so!« mein­te Rol­ver. »Na­tür­lich, na­tür­lich!«

»Ich er­hielt es erst vor ei­ner hal­b­en Stun­de«, mein­te This­sell bit­ter. »Ich rann­te so schnell wie mög­lich hier­her. Wo ist Ang­mark?«

»Ver­mut­lich in Fan«, mein­te Rol­ver.

This­sell fluch­te vor sich hin. »Warum ha­ben Sie ihn nicht fest­ge­hal­ten?«

Rol­ver zuck­te mit den Schul­tern. »Ich hat­te we­der die Er­laub­nis noch die Mög­lich­keit noch Lust da­zu.«

This­sell kämpf­te sei­nen Är­ger nie­der. Mit müh­sam be­herrsch­ter Stim­me sag­te er: »Auf dem Weg hier­her kam ich an ei­nem Mann vor­bei, der ei­ne scheuß­li­che Mas­ke trug. Au­gen so groß wie Tas­sen und ro­te Kehl­lap­pen.«

»Ein Wald­geist«, sag­te Rol­ver. »Ang­mark brach­te die­se Mas­ke mit.«

»Aber er spiel­te das Horn«, pro­tes­tier­te This­sell. »Wie könn­te Ang­mark …«

»Er kennt sich auf Si­re­ne gut aus. Er hat fünf Jah­re hier in Fan ge­lebt.«

This­sell fauch­te wü­tend. »Cro­mar­tin hat das in sei­nem Schrei­ben nicht er­wähnt.«

»Es ist all­ge­mein be­kannt«, mein­te Rol­ver schul­ter­zu­ckend. »Er war frü­her an­stel­le von We­li­bus Han­dels­agent der Hei­mat­pla­ne­ten.«

»Kann­te er We­li­bus?«

Rol­ver lach­te kurz und tro­cken. »Na­tür­lich. Aber ver­däch­ti­gen Sie den ar­men We­li­bus nicht. Der wür­de in sei­nem Le­ben nichts an­de­res tun, als sei­ne Bi­lan­zen nach­prü­fen. Ich kann Ih­nen ver­si­chern, daß er sich nicht mit Gau­nern von Ang­marks Sor­te ein­lie­ße.«

»Könn­ten Sie mir ei­ne Waf­fe lei­hen?« frag­te This­sell.

Rol­ver sah ihn ver­wun­dert an. »Sie ka­men oh­ne Waf­fe hier­her, um Ang­mark zu fan­gen?«

»Ich hat­te kei­ne an­de­re Wahl«, er­wi­der­te This­sell. »Wenn Cro­mar­tin einen Be­fehl gibt, dann er­war­tet er, daß er aus­ge­führt wird. Au­ßer­dem wuß­te ich, daß Sie mit Ih­ren Skla­ven hier sind.«

»Zäh­len Sie nicht auf mei­ne Hil­fe«, er­klär­te Rol­ver un­wirsch. »Ich tra­ge den Vo­gel-Tarn und muß mich so un­auf­fäl­lig be­neh­men, wie es mei­ner Mas­ke ent­spricht. Aber ich kann Ih­nen ei­ne Ener­gie­pis­to­le lei­hen. Sie ist seit lan­gem nicht mehr be­nutzt wor­den. Ich kann nicht ga­ran­tie­ren, daß sie ge­la­den ist.«

»Bes­ser als gar nichts«, mein­te This­sell.

Rol­ver ging in sein Bü­ro und kehr­te einen Au­gen­blick spä­ter mit der Pis­to­le zu­rück.

»Was ha­ben Sie jetzt vor?«

This­sell schüt­tel­te mü­de den Kopf. »Ich wer­de ver­su­chen, Ang­mark in Fan auf­zu­spü­ren. Oder wird er sich nach Zun­dar be­ge­ben?«

Rol­ver über­leg­te. »Ang­mark könn­te in Zun­dar durch­kom­men. Aber er wird erst sei­ne Mu­sik­kennt­nis­se auf­fri­schen wol­len. Ich glau­be, er wird ein paar Ta­ge in Fan blei­ben.«

»Aber wie kann ich ihn fin­den? Wo­hin soll ich mich zu­erst wen­den?«

»Das kann ich auch nicht sa­gen«, er­wi­der­te Rol­ver. »Si­che­rer für Sie wä­re es, wenn Sie ihn nicht fin­den. Ang­mark ist ein ge­fähr­li­cher Mann.«

 

This­sell kehr­te auf dem glei­chen Weg nach Fan zu­rück, den er ge­kom­men war.

Da, wo der Pfad aus den Ber­gen in die Pro­me­na­de über­ging, stand ein ebener­di­ges Ge­bäu­de mit di­cken Mau­ern. Die Tür be­stand aus ei­ner mas­si­ven, schwar­zen, ge­schnitz­ten Plat­te. Vor den Fens­tern be­fan­den sich Git­ter­stä­be aus Ei­sen. Es war das Bü­ro von Cor­ne­ly We­li­bus, dem Han­dels­agen­ten, Im­port und Ex­port.

Als This­sell an­kam, saß We­li­bus be­quem auf sei­ner mit Flie­sen aus­ge­leg­ten Ve­ran­da. Er trug ei­ne be­schei­de­ne Ab­art der Wal­de­mar-Mas­ke. Und er schi­en ge­dan­ken­ver­lo­ren. Viel­leicht hat­te er This­sells Nacht­schwär­mer-Mas­ke er­kannt, viel­leicht auch nicht. Je­den­falls grüß­te er nicht.

This­sell nä­her­te sich.

»Gu­ten Mor­gen, Sir We­li­bus.«

We­li­bus nick­te ge­dan­ken­ab­we­send und sang lei­se, in­dem er nach­läs­sig an sei­nem Kro­datch zupf­te: »Gu­ten Mor­gen.«

This­sell war au­ßer sich. Das war kaum das In­stru­ment, das man ge­gen­über ei­nem Freund und Lands­mann be­nutz­te, selbst wenn er die Mas­ke des Nacht­schwär­me­rs trug.

Kühl frag­te This­sell: »Darf ich fra­gen, wie lan­ge Sie hier schon sit­zen?«

We­li­bus über­leg­te ei­ne hal­be Mi­nu­te. Als er sang, be­glei­te­te er sei­ne Wor­te auf dem et­was herz­li­che­ren Cre­ba­rin.

»Ich bin seit fünf­zehn oder zwan­zig Mi­nu­ten hier. Wes­halb fra­gen Sie?«

»Ich woll­te wis­sen, ob Sie viel­leicht einen Wald­geist be­merkt ha­ben.«

We­li­bus nick­te. »Er ging auf die Pro­me­na­de. Wenn ich mich recht er­in­ne­re, be­trat er den ers­ten Mas­ken­la­den.«

This­sell pfiff durch die Zäh­ne. Das wür­de na­tür­lich Ang­marks ers­ter Schach­zug sein.

»Ich wer­de ihn nie fin­den, wenn er erst ein­mal ei­ne an­de­re Mas­ke auf­ge­setzt hat«, mur­mel­te er.

»Wer ist die­ser Wald­geist?« frag­te We­li­bus höf­lich, aber un­in­ter­es­siert.

This­sell sah kei­nen Grund, den Na­men ge­heim­zu­hal­ten. »Ein Ge­wohn­heits­ver­bre­cher: Ha­xo Ang­mark.«

»Ha­xo Ang­mark!« stöhn­te We­li­bus und lehn­te sich in sei­nem Ses­sel zu­rück. »Sind Sie si­cher, daß er hier ist?«

»Ganz si­cher.«

We­li­bus rieb die zit­tern­den Hän­de ge­gen­ein­an­der. »Das ist ei­ne schlech­te Nach­richt – wirk­lich, ei­ne sehr, sehr schlech­te Nach­richt. Er ist skru­pel­los.«

»Sie ken­nen ihn gut?«

»So gut, wie man nur je­man­den ken­nen kann.« We­li­bus be­glei­te­te sei­ne Wor­te jetzt mit dem Kiw. »Er hat­te die Stel­le in­ne, die ich jetzt be­set­ze. Ich kam als In­spek­tor hier­her und fand her­aus, daß er die Hei­mat­pla­ne­ten um et­wa vier­tau­send Um­is im Mo­nat be­trog. Si­cher­lich hegt er kei­ne all­zu großen Dank­bar­keits­ge­füh­le mir ge­gen­über.«

We­li­bus warf einen ner­vö­sen Blick auf die Pro­me­na­de. »Hof­fent­lich fan­gen Sie ihn.«

This­sell wand­te sich zum Ge­hen. Als er den Weg ent­lang­ging, hör­te er, wie die schwar­ze Tür ver­rie­gelt wur­de.

Er schlen­der­te die Pro­me­na­de hin­un­ter bis zum La­den des Mas­ken­ma­chers und blieb drau­ßen ste­hen, als be­wun­de­re er das Schau­fens­ter.

Nur der Mas­ken­ma­cher selbst be­fand sich im La­den, ein knor­ri­ger, fins­te­rer Mann in ei­ner gel­ben Ro­be, der ei­ne täu­schend ein­fa­che Mas­ke trug: die des Uni­ver­sal­ex­per­ten. Sie be­stand in Wirk­lich­keit aus über zwei­tau­send Split­tern ver­schie­de­ner Höl­zer, die zu ei­nem Gan­zen zu­sam­men­ge­fügt wor­den wa­ren.

This­sell über­leg­te, was er sa­gen und wie er sei­ne Wor­te be­glei­ten soll­te, und be­trat dann den La­den.

Der Mas­ken­ma­cher, der die Nacht­schwär­mer-Mas­ke und die schüch­ter­ne Hal­tung ih­res Be­sit­zers wohl be­merk­te, fuhr ru­hig in sei­ner Ar­beit fort.

This­sell wähl­te das leich­tes­te sei­ner In­stru­men­te, den Stra­pan. Es war viel­leicht kei­ne sehr glück­li­che Wahl, denn das In­stru­ment drück­te einen ge­wis­sen Grad an Her­ab­las­sung aus. This­sell ver­such­te die­sen Nach­teil gutz­u­ma­chen, in­dem er in war­men, na­he­zu schmel­zen­den Tö­nen sang und den Stra­pan ko­misch schüt­tel­te, wenn er ei­ne falsche No­te griff.

»Ein Frem­der ist ei­ne Per­son, mit der man gern Han­del treibt. Sei­ne Ma­nie­ren sind un­ge­wohnt, er er­regt Neu­gier. Vor we­ni­ger als zwan­zig Mi­nu­ten be­trat ein Frem­der die­sen zau­ber­haf­ten La­den und tausch­te sei­ne lang­wei­li­ge Wald­geist-Mas­ke ge­gen ei­ne der phan­ta­sie­vol­len Schöp­fun­gen, die hier zur Schau ge­stellt wer­den.«

Der Mas­ken­ma­cher warf This­sell einen Sei­ten­blick zu. Wort­los spiel­te er ei­ne Me­lo­di­en­fol­ge auf ei­nem In­stru­ment, das This­sell noch nie ge­se­hen hat­te – ein sack­ähn­li­ches Ge­bil­de, das in der Hand lag, wäh­rend zwi­schen den Fin­gern drei Pfei­fen ge­führt wur­den. Wenn man auf den Sack preß­te, ent­wich die Luft durch die Pfei­fen­schlit­ze. Es ent­stand ein oboe­n­ähn­li­cher Klang. This­sells Ohr, das sich all­mäh­lich an die ver­schie­de­nen Klän­ge ge­wöhn­te, nahm wahr, daß das In­stru­ment äu­ßerst schwie­rig zu spie­len war, daß aber der Mas­ken­ma­cher ein Vir­tuo­se war. Die Mu­sik drück­te völ­li­ge Gleich­gül­tig­keit ge­gen­über den In­ter­es­sen ei­nes Frem­den aus.

This­sel ver­such­te es noch ein­mal, in­dem er müh­sam auf dem Stra­pan her­um­fin­ger­te.

Er sang: »Für einen Aus­län­der auf ei­nem frem­den Pla­ne­ten ist die Stim­me ei­nes Lands­man­nes wie Was­ser für ei­ne ver­dor­ren­de Pflan­ze. Je­mand, der zwei sol­che Men­schen zu­sam­men­bringt, könn­te Ge­fal­len an ei­ner gu­ten Tat ha­ben.« Selbst in sei­nen Oh­ren klan­gen die Tö­ne falsch.

Der Mas­ken­ma­cher griff spie­le­risch nach sei­nem ei­ge­nen Stra­pan und be­weg­te die Fin­ger so schnell, daß das Au­ge kaum fol­gen konn­te. Er spiel­te ei­ne har­te, schnei­den­de Me­lo­die. Sein Ge­sangs­stil war for­mell:

»Ein Künst­ler liebt die Au­gen­bli­cke der Kon­zen­tra­ti­on. Er legt kei­nen Wert dar­auf, sei­ne Zeit zu ver­schwen­den, in­dem er mit Per­so­nen von höchs­tens durch­schnitt­li­chem strakh ba­na­le Wor­te aus­tauscht.«

This­sell ver­such­te ei­ne Ge­gen­me­lo­die an­zu­stim­men, aber der Mas­ken­ma­cher schlug neue Sai­ten an, de­ren Sinn This­sell ent­ging.

»In den La­den kommt ein Mann, der of­fen­sicht­lich zum ers­ten­mal ein In­stru­ment von so ho­hem Schwie­rig­keits­grad spielt, denn sei­ne Mu­sik ist kri­tik­wür­dig. Er singt von Heim­weh und von der Sehn­sucht, an­de­re sei­ner Art zu tref­fen. Er ver­birgt sein enor­mes strakh hin­ter der Mas­ke ei­nes Nacht­schwär­me­rs. So muß es sein, denn er wagt es, einen Meis­ter­hand­wer­ker mit dem Stra­pan an­zu­spre­chen und mit ver­ächt­li­chem Spott zu sin­gen. Der in ed­len Sit­ten er­zo­ge­ne Künst­ler über­sieht die Her­aus­for­de­rung. Er spielt ein höf­li­ches In­stru­ment, bleibt ru­hig und ver­traut dar­auf, daß der Frem­de von sei­nem Tun ab­las­sen und ge­hen wird.«

 

This­sell nahm sei­nen Kiw auf. »Der ed­le Mas­ken­ma­cher miß­ver­steht mich völ­lig …«

Er wur­de durch ein Stak­ka­to des Stra­pans un­ter­bro­chen. »Der Frem­de hält es of­fen­bar für an­ge­bracht, über die Geis­tes­kraft des Künst­lers zu spot­ten.«

This­sell kratz­te wü­tend über sei­nen Stra­pan. »Um mich vor der Hit­ze zu schüt­zen, kom­me ich in die­sen klei­nen, un­an­sehn­li­chen Mas­ken­la­den. Der Künst­ler, ob­wohl noch ab­ge­lenkt von der Un­ge­wohn­heit des Werk­zeugs, hat noch Aus­sicht, sei­ne Ge­schick­lich­keit zu ver­bes­sern. Des­halb übt er so eif­rig, daß er es ab­lehnt, mit Frem­den zu spre­chen, ganz gleich, was ihr An­lie­gen sein mag.«

Der Mas­ken­ma­cher leg­te ru­hig sein Schnitz­werk­zeug hin. Er er­hob sich, ging hin­ter einen Wand­schirm und kehr­te kurz dar­auf mit ei­ner Mas­ke aus Gold und Stahl wie­der, auf der senk­rech­te Flam­men stan­den. In ei­ner Hand trug er ein Ska­ra­nyi, in der an­de­ren einen Krumm­sä­bel. Er schlug ei­ne wir­beln­de Me­lo­die an und sang:

»Selbst der voll­kom­mens­te Künst­ler kann sein strakh er­hö­hen, wenn er Seeun­ge­heu­er, Nacht­män­ner oder un­ge­zo­ge­ne Fau­len­zer tö­tet. So ei­ne Mög­lich­keit ist mir jetzt ge­ge­ben. Der Künst­ler war­tet mit sei­nem An­griff zehn Se­kun­den, weil der Be­lei­di­ger die Mas­ke des Nacht­schwär­me­rs trägt.« Er schwang sei­nen Krumm­sä­bel und wir­bel­te ihn über sei­nem Kopf.

This­sell schlug ver­zwei­felt sei­nen Stra­pan an. »Be­trat ein Wald­geist den La­den? Ver­ließ er ihn mit ei­ner neu­en Mas­ke?«

»Fünf Se­kun­den sind ver­gan­gen«, sang der Mas­ken­ma­cher zu ei­nem dro­hend mo­no­to­nen Rhyth­mus.

This­sell rann­te ver­zwei­felt und wü­tend hin­aus.

Er über­quer­te den Platz und sah über die Pro­me­na­de. Hun­der­te von Män­nern und Frau­en schlen­der­ten über die Docks. An­de­re stan­den am Deck ih­rer Haus­boo­te. Und sie al­le tru­gen Mas­ken, die ih­re Stim­mung aus­drücken soll­ten, ihr Pres­ti­ge und ih­re be­son­de­ren Cha­rak­terei­gen­schaf­ten. Und über­all klang das Ge­klap­per und Ge­zir­pe der Mu­sik­in­stru­men­te.

This­sell stand ver­lo­ren da. Der Wald­geist war ver­schwun­den. Ha­xo Ang­mark lief frei in Fan her­um. Und This­sell hat­te die Be­feh­le Cas­tel Cro­mar­tins nicht aus­füh­ren kön­nen.

Hin­ter ihm er­klang ei­ne spie­le­ri­sche Me­lo­die auf dem Kiw.

»Sir Nacht­schwär­mer This­sell, Sie ste­hen in Ge­dan­ken ver­sun­ken.«

 

This­sell dreh­te sich um und sah hin­ter sich ei­ne Höh­le­neu­le, in düs­te­res Schwarz­grau ge­klei­det. This­sell er­kann­te die Mas­ke, das Sym­bol der Bil­dung und der ge­dul­di­gen Er­for­schung ab­strak­ter Ge­dan­ken­gän­ge.

Ma­thew Kers­haul hat­te sie auch bei ih­rem Zu­sam­men­tref­fen vor ei­ner Wo­che ge­tra­gen.

»Wie steht es mit dem Stu­di­um?« woll­te er wis­sen. »Schaf­fen Sie jetzt die C-Plus-Ska­la auf dem Go­ma­pard? Wenn ich mich recht ent­sin­ne, fie­len Ih­nen die­se Um­kehr-In­ter­val­le nicht ganz leicht.«

»Ich ha­be sie ge­übt«, mein­te This­sell düs­ter. »Aber da man mich oh­ne­hin nach Po­ly­po­lis zu­rück­ru­fen wird, ist das wohl rei­ne Zeit­ver­schwen­dung ge­we­sen.«

»Aber, aber – was heißt das?«

This­sell er­klär­te, wie die Sa­che stand. Kers­haul nick­te ernst.

»Ich kann mich an Ang­mark er­in­nern. Kei­ne an­ge­neh­me Per­son, aber ein aus­ge­zeich­ne­ter Mu­si­ker. Hat be­weg­li­che Fin­ger und ein ech­tes Ta­lent für neue In­stru­men­te.« Er strich nach­denk­lich über den Eu­len­spitz­bart. »Was wol­len Sie un­ter­neh­men?«

»Nichts«, er­wi­der­te This­sell und spiel­te ei­ne trau­ri­ge Wei­se auf dem Kiw. »Ich ha­be kei­ne Ah­nung, was für Mas­ken er tra­gen wird. Und wenn ich nicht ein­mal weiß, wie er aus­sieht, wie soll ich ihn dann fin­den?«

Wie­der strich sich Kers­haul über den Spitz­bart. »Frü­her hat­te er ei­ne Schwä­che für die Mas­ken des Exo-Kam­bi­an-Zy­klus. Und er be­saß, wenn ich mich nicht täu­sche, einen gan­zen Satz Fremd­län­der-Mas­ken. Na­tür­lich kann er sei­nen Ge­schmack in­zwi­schen ge­än­dert ha­ben.«

»Das ist es ja«, be­klag­te sich This­sell. »Er kann zwei Me­ter von mir ent­fernt sein, und ich weiß es nicht.« Er warf einen bö­sen Blick auf den La­den des Mas­ken­ma­chers. »Kei­ner wür­de mir hel­fen. Ich glau­be fast, es ist ih­nen gleich­gül­tig, ob sich ein Mör­der un­ter ih­nen be­fin­det.«

»Ganz recht«, be­merk­te Kers­haul. »Die Si­re­ner han­deln nach an­de­ren Nor­men als wir.«

»Sie ha­ben kei­nen Ver­ant­wor­tungs­sinn«, er­klär­te This­sell. »Ich be­zweifle, daß sie ei­nem Er­trin­ken­den ein Seil zu­wer­fen wür­den.«

»Es ist wahr, daß sie es nicht lie­ben, sich in die An­ge­le­gen­hei­ten an­de­rer zu mi­schen«, sag­te Kers­haul. »Da­ge­gen un­ter­strei­chen sie die Ver­ant­wor­tung, die je­der für sich selbst trägt.«

»In­ter­essant«, mein­te This­sell. »Aber ich tap­pe noch im­mer im dun­keln. Wie soll ich mit Ha­xo Ang­mark fer­tig wer­den?«

Kers­haul sah ihn ernst an. »Glau­ben Sie, Sie könn­ten mit ihm fer­tig wer­den?«

»Ich muß die Be­feh­le mei­ner Vor­ge­setz­ten aus­füh­ren«, er­klär­te This­sell ver­bis­sen.

»Ang­mark ist ein sehr ge­fähr­li­cher Mann«, über­leg­te Kers­haul. »Er hat Ih­nen ei­ni­ges vor­aus.«

»Dar­an kann ich jetzt nicht den­ken. Es ist mei­ne Pflicht, ihn nach Po­ly­po­lis zu­rück­zu­schaf­fen.«

 

Kers­haul dach­te nach. »Ein Aus­län­der kann sich nicht hin­ter ei­ner Mas­ke ver­ste­cken, we­nigs­tens nicht vor ei­nem Si­re­ner. Hier auf Fan le­ben vier Aus­län­der – Rol­ver, We­li­bus, Sie und ich. Soll­te noch ei­ner ver­su­chen, hier Fuß zu fas­sen, wird sich das bei den Ein­hei­mi­schen bald her­um­spre­chen.«

»Und wenn er nach Zun­dar geht?«

Kers­haul zuck­te mit den Schul­tern. »Ich weiß nicht, ob er das wa­gen wür­de. An­de­rer­seits …«

Kers­haul mach­te ei­ne Pau­se. Dann be­merk­te er This­sells Un­auf­merk­sam­keit und dreh­te sich um. Er folg­te This­sells Bli­cken.

Ein Mann in der Mas­ke des Wald­geis­tes kam über die Pro­me­na­de auf sie zu.

Kers­haul leg­te be­schwich­ti­gend die Hand auf This­sells Arm, aber This­sell schüt­tel­te sie ab und stell­te sich dem Wald­geist mit der ge­lie­he­nen Pis­to­le in den Weg.

»Ha­xo Ang­mark!« rief er. »Kei­ne Be­we­gung, oder ich schie­ße. Sie ste­hen un­ter Ar­rest.«

»Sind Sie si­cher, daß das Ang­mark ist?« frag­te Kers­haul be­un­ru­higt.

»Das wird sich zei­gen«, sag­te This­sell. »Ang­mark, dre­hen Sie sich um, und neh­men Sie die Hän­de hoch.«

Der Wald­geist stand steif vor Über­ra­schung und spiel­te ein fra­gen­des Ar­peg­gio auf sei­nem Za­chin­ko. Da­zu sang er: »Warum be­läs­tigst du mich, Nacht­schwär­mer?«

Kers­haul trat einen Schritt nach vor­ne und spiel­te ei­ne be­sänf­ti­gen­de Me­lo­die auf sei­nem Slo­bo. »Ich fürch­te, daß ein Fall von Ver­wechs­lung vor­liegt, Sir Wald­geist. Sir Nacht­schwär­mer sucht einen Aus­län­der, der ei­ne Wald­geist-Mas­ke trägt.«

Die Me­lo­die des Wald­geis­tes wur­de dro­hen­der. Er war auf das Sti­mic über­ge­gan­gen. »Er be­haup­tet, ich sei ein Aus­län­der? Er soll sei­ne Be­haup­tung be­wei­sen, sonst wird ihn mei­ne Ra­che tref­fen.«

Kers­haul sah ver­le­gen auf die Men­ge, die sich um die Strei­ten­den ge­sam­melt hat­te, und spiel­te von neu­em ei­ne lie­bens­wür­di­ge Wei­se. »Ich bin über­zeugt, daß Sir Nacht­schwär­mer …«

Der Wald­geist über­tön­te ihn mit ei­nem Ska­ra­nyi. »Er soll selbst sei­ne Be­haup­tung be­wei­sen oder sich dar­auf vor­be­rei­ten, daß Blut flie­ßen wird.«

»Gut«, sag­te This­sell, »ich wer­de mei­ne Be­haup­tung be­wei­sen.« Er trat einen Schritt nach vor­ne und pack­te die Mas­ke sei­nes Ge­gen­übers. »Wir wol­len uns sein Ge­sicht an­se­hen, da­mit wir sei­ne Iden­ti­tät fest­stel­len kön­nen.«

Der Wald­geist sprang mit ei­nem wil­den Satz zu­rück. Die Men­ge keuch­te und be­gann dann dro­hend die In­stru­men­te zu spie­len.

Der Wald­geist er­griff die an sei­nem Nacken be­fes­tig­te Schnur und riß wild an ihr. Der Du­el­lier­gong er­tön­te. Mit der an­de­ren Hand griff er nach dem Krumm­sä­bel.

Kers­haul trat einen Schritt vor. Er spiel­te das Slo­bo mit großer Er­re­gung. This­sell wich nun ver­le­gen zu­rück. Er wur­de sich be­wußt, daß die Men­ge ei­ne dro­hen­de Hal­tung an­ge­nom­men hat­te.

Kers­haul sang Er­klä­run­gen und Ent­schul­di­gun­gen. Der Wald­geist ant­wor­te­te. Kers­haul rief über die Schul­ter hin­weg This­sell zu: »Lau­fen Sie weg, sonst wird man Sie tö­ten! Schnell!«

 

This­sell zö­ger­te. Der Wald­geist hob die Hand, um Kers­haul bei­sei­te zu schie­ben. »Lau­fen Sie!« schrie Kers­haul. »Zum Bü­ro von We­li­bus! Sper­ren Sie sich ein.«

This­sell rann­te los. Der Wald­geist setz­te ihm ein paar Me­ter nach, dann blieb er ste­hen und sand­te ihm ei­ne ver­ächt­li­che, spot­ten­de Me­lo­die auf dem Horn nach, wäh­rend ihn die Men­ge mit dem Ge­klap­per der Hy­mer­kins be­glei­te­te.

Aber man ver­folg­te ihn nicht wei­ter.

An­statt sich in das Im­port-Ex­port-Bü­ro zu flüch­ten, bog This­sell un­ter­wegs ab und lief auf das Dock zu, an dem sein Haus­boot an­ker­te.

Als er end­lich an Bord kam, war die Abend­däm­merung nicht mehr fern. To­by und Rex kau­er­ten auf dem Vor­deck, um­ge­ben von den Vor­rä­ten, die sie mit­ge­bracht hat­ten. Wei­den­kör­be mit Früch­ten und Ge­trei­de, blaue Glas­krü­ge mit Wein, öl und pi­kan­ten Säf­ten, drei jun­ge Fer­kel in ei­nem ge­floch­te­nen Be­häl­ter.

Sie bis­sen Nüs­se auf und spuck­ten die Scha­len über Bord. Sie sa­hen This­sell an, und er hat­te das Ge­fühl, daß sie sich mit un­ge­wohn­ter Läs­sig­keit er­ho­ben. To­by mur­mel­te halb­laut et­was. Rex un­ter­drück­te ein Ki­chern.

This­sell spiel­te är­ger­lich das Hy­mer­kin. »Bringt das Boot vom Ufer weg. Heu­te nacht blei­ben wir in Fan.«

In­ner­halb der vier Wän­de sei­ner Ka­bi­ne nahm er die Nacht­schwär­mer-Mas­ke ab und be­trach­te­te die ihm un­ge­wohnt ge­wor­de­nen Zü­ge im Spie­gel. Dann er­griff er die Mas­ke und stu­dier­te das ver­haß­te Ding. Die pel­zi­ge graue Haut, die blau­en Sta­chel, die lä­cher­li­chen Spit­zen­lap­pen. Kaum ei­ne wür­di­ge Ver­kör­pe­rung für einen Kon­sul der Hei­mat­pla­ne­ten. Das heißt, er wuß­te ja nicht, ob er die­sen Pos­ten be­hielt, wenn Cro­mar­tin er­fuhr, wie es ihm er­gan­gen war.

This­sell warf sich in sei­nen Ses­sel und starr­te fins­ter vor sich hin. Heu­te hat­te er ei­ne gan­ze Rei­he von Rück­schlä­gen er­lit­ten. Aber noch gab er sich nicht ge­schla­gen. Nein. Mor­gen wür­de er Ma­thew Kers­haul be­su­chen und mit ihm be­ra­ten, wie man Ha­xo Ang­mark am bes­ten über­füh­ren könn­te.

Wie Kers­haul schon ge­sagt hat­te, konn­te ein wei­te­rer Aus­län­der in Fan nicht un­be­merkt blei­ben. Ha­xo Ang­mark konn­te sich nicht ver­ber­gen. Und er selbst muß­te sich mor­gen ei­ne an­de­re Mas­ke be­sor­gen. Nichts Be­son­de­res, nichts Auf­fal­len­des, aber doch ei­ne Mas­ke, die ihm ein Min­dest­maß an Wür­de und Selbst­ach­tung ver­lieh.

In die­sem Au­gen­blick klopf­te ei­ner der Skla­ven an der Tür, und This­sell zog schnell die ver­haß­te Nacht­schwär­mer-Mas­ke über das Ge­sicht.

 

Früh am nächs­ten Mor­gen, noch be­vor das Däm­mer­licht ganz ge­wi­chen war, brach­ten die Skla­ven das Haus­boot zu dem Teil des Docks, das man den Aus­län­dern zur Be­nut­zung über­ließ. We­der Rol­ver noch We­li­bus oder Kers­haul wa­ren bis jetzt ge­kom­men. This­sell war­te­te mit Un­ge­duld.

Ei­ne Stun­de ver­ging, dann brach­te We­li­bus sein Boot an das Dock. Da This­sell kei­ne Lust hat­te, mit We­li­bus zu spre­chen, blieb er in sei­ner Ka­bi­ne.

Kur­ze Zeit spä­ter leg­te auch Rol­vers Boot an. Durch das Fens­ter sah This­sell Rol­ver an Land ge­hen. Er trug sei­nen ge­wöhn­li­chen Vo­gel-Tarn. Auf dem Dock traf er mit ei­nem Mann zu­sam­men, der die bu­schi­ge, gel­be Mas­ke ei­nes Sand­ti­gers trug. Der Mann sang zu der for­mel­len Be­glei­tung sei­nes Go­ma­pards ir­gend­ei­ne Bot­schaft, die This­sell nicht ver­ste­hen konn­te.

Rol­ver schi­en über­rascht und be­un­ru­higt. Nach kur­z­er Über­le­gung nahm er sei­nen ei­ge­nen Go­ma­pard und sang, wo­bei er auf This­sells Haus­boot deu­te­te. Dann ver­beug­te er sich und ging sei­ner We­ge.

Der Mann mit der Sand­ti­ger-Mas­ke klet­ter­te schwer­fäl­lig auf das Floß und klopf­te an This­sells Haus­boot.

This­sell kam an Deck und schlug nur ei­ne fra­gen­de Me­lo­die auf sei­nem Za­chi­no an.

Der Sand­ti­ger spiel­te sei­nen Go­ma­pard und sang: »Die Däm­me­rung über der Bucht von Fan ist meist ein herr­li­cher An­blick. Der Him­mel ist weiß und gelb und grün. Wenn Mi­reil­le sich er­hebt, ver­bren­nen die Ne­bel und he­ben sich hin­weg wie Rauch­schwa­den. Der Sän­ger kann die köst­li­che Stun­de bes­ser ge­nie­ßen, wenn die Lei­che ei­nes Aus­län­ders ihm nicht den An­blick ver­gällt.«

This­sells Za­chin­ko spiel­te bei­na­he von selbst ei­ne er­reg­te Fra­ge. Der Sand­ti­ger ver­beug­te sich mit Wür­de.

»Der Sän­ger hat nicht sei­nes­glei­chen an Stand­haf­tig­keit. Aber er fürch­tet die Pos­sen ei­nes un­be­frie­dig­ten Geis­tes. Da­her be­fahl er sei­nen Skla­ven, einen Rie­men an den Knö­cheln des To­ten zu be­fes­ti­gen. Wäh­rend un­se­rer Un­ter­re­dung ha­ben sie ihn am Heck Ih­res Haus­boo­tes be­fes­tigt. Sie wer­den sich um die Ri­ten küm­mern wol­len, die Aus­län­dern bei ih­rem Be­gräb­nis zu­ste­hen. Der Sän­ger wünscht Ih­nen einen gu­ten Mor­gen und zieht sich nun zu­rück.«

This­sell rann­te zum Heck sei­nes Haus­boo­tes. Dort, na­he­zu un­be­klei­det und sei­ner Mas­ke be­raubt, schweb­te der Kör­per ei­nes Man­nes in mitt­le­ren Jah­ren auf dem Was­ser.

This­sell stu­dier­te die Ge­sichts­zü­ge des To­ten. Sein Aus­druck wirk­te leer und cha­rak­ter­los – viel­leicht ei­ne Fol­ge des lan­gen Mas­ken­tra­gens.

Der Mann war von mitt­ler­er Grö­ße und mitt­le­rem Ge­wicht. This­sell schätz­te sein Al­ter auf fünf­und­vier­zig bis fünf­zig. Das Haar war ver­wa­schen braun, die Zü­ge wa­ren vom Was­ser auf­ge­schwemmt.

Man konn­te nicht fest­stel­len, wor­an der Mann ge­stor­ben war.

Es muß­te Ha­xo Ang­mark sein, dach­te This­sell. Wer sonst hät­te es sein kön­nen? Ma­thew Kers­haul? Rol­ver und We­li­bus wa­ren be­reits von Bord ge­gan­gen. This­sell such­te die Bucht nach Kers­hauls Haus­boot ab und ent­deck­te, daß es be­reits am Dock ver­täut war. Noch wäh­rend er es be­ob­ach­te­te, sah er Kers­haul an Land sprin­gen.

Er schi­en in Ge­dan­ken ver­sun­ken, denn er ging an This­sells Haus­boot vor­bei, oh­ne auch nur die Bli­cke vom Bo­den zu he­ben.

This­sell sah wie­der den To­ten an. Al­so Ang­mark. Hat­ten nicht Rol­ver, We­li­bus und Kers­haul in ih­ren üb­li­chen Mas­ken die Boo­te ver­las­sen? Of­fen­sicht­lich Ang­marks Lei­che …

Die ein­fa­che Lö­sung woll­te ihm nicht ein­ge­hen. Kers­haul hat­te an­ge­deu­tet, daß ein wei­te­rer Aus­län­der schnell ent­deckt wä­re. Wie soll­te Ang­mark sich ver­ste­cken? Wenn nicht …

This­sell schob den Ge­dan­ken bei­sei­te. Der To­te muß­te Ang­mark sein.

Und doch …

This­sell rief sei­ne Skla­ven und be­fahl ih­nen, einen ge­eig­ne­ten Be­häl­ter von den Docks zu ho­len, da­mit man die Lei­che hin­ein­le­gen konn­te.

Dann ging er über die Docks und die Pro­me­na­de, vor­bei an We­li­bus’ Bü­ro und den hüb­schen klei­nen Pfad ent­lang, der zum Raum­ha­fen führ­te.

 

Als er an­kam, sah er, daß Rol­ver noch nicht er­schie­nen war. Ein Ober­skla­ve, er­kennt­lich an der gel­ben Ro­set­te über der schwar­zen Tuch­mas­ke, frag­te, ob er viel­leicht die­nen kön­ne. This­sell deu­te­te an, daß er ei­ne Bot­schaft nach Po­ly­po­lis ab­schi­cken woll­te.

Je­der­zeit, er­klär­te der Skla­ve. Wenn Sir This­sell sei­ne Bot­schaft in deut­li­cher Druck­schrift ab­fas­sen könn­te, wür­de man sie so­fort ab­schi­cken.

This­sell schrieb:

BE­WOH­NER DER HEI­MAT­PLA­NE­TEN TOT AUF­GE­FUN­DEN. VER­MUT­LICH ANG­MARK. AL­TER 48, MIT­TEL­GROSS, BRAU­NES HAAR. BE­SON­DE­RE KENN­ZEI­CHEN FEH­LEN. ER­WAR­TE BE­STÄ­TI­GUNG ODER WEI­TE­RE BE­FEH­LE.

Er adres­sier­te die Bot­schaft an Cas­tel Cro­mar­tin in Po­ly­po­lis und hän­dig­te sie dem Ober­skla­ven aus. Einen Au­gen­blick spä­ter hör­te er das cha­rak­te­ris­ti­sche Rat­tern des Trans­raum-Spruchs.

Ei­ne Stun­de ver­ging. Rol­ver tauch­te nicht auf.

This­sell ging ru­he­los vor dem Bü­ro auf und ab.

Ei­ne wei­te­re hal­be Stun­de ver­ging, und schließ­lich kam Rol­ver. Er trug sei­nen üb­li­chen Vo­gel-Tarn. Gleich­zei­tig hör­te This­sell die her­ein­kom­men­de Bot­schaft.

Rol­ver schi­en über­rascht, This­sell hier zu se­hen. »Was führt Sie so früh hier­her?«

This­sell er­klär­te ihm die Zu­sam­men­hän­ge. »Es han­delt sich um den To­ten, den der Frem­de heu­te mor­gen brach­te. Sie er­in­nern sich si­cher, Sie schick­ten den Mann zu mei­nem Boot. Ich sand­te mei­nem Vor­ge­setz­ten einen Be­richt dar­über.«

Rol­ver hob den Kopf und horch­te. Auch er hat­te das Klap­pern ver­nom­men. »Sie schei­nen Ant­wort zu be­kom­men. Ich ge­he lie­ber hin­ein.«

»Warum denn?« frag­te This­sell. »Ihr Skla­ve ist sehr tüch­tig.«

»Es ist mei­ne Auf­ga­be«, mein­te Rol­ver. »Ich bin für das ord­nungs­ge­mä­ße Ab­sen­den und für den ord­nungs­ge­mä­ßen Emp­fang von Bot­schaf­ten ver­ant­wort­lich.«

»Ich kom­me mit Ih­nen«, sag­te This­sell. »Ich woll­te schon im­mer mal se­hen, wie so et­was funk­tio­niert.«

»Ich fürch­te, das ver­stößt ge­gen die Re­geln«, sag­te Rol­ver.

Er öff­ne­te die Tür zu ei­nem klei­nen Raum. »Einen Au­gen­blick.«

This­sell woll­te pro­tes­tie­ren, aber Rol­ver igno­rier­te es und ging in den klei­nen Raum.

Fünf Mi­nu­ten spä­ter kam er wie­der. Er trug einen schma­len gel­ben Um­schlag.

»Kei­ne all­zu gu­ten Nach­rich­ten«, kün­dig­te er an. Das Mit­leid in sei­ner Stim­me klang nicht sehr über­zeu­gend.

This­sell öff­ne­te fins­ter den Um­schlag. Die Bot­schaft lau­te­te:

 

TO­TER NICHT ANG­MARK. ANG­MARK HAT SCHWAR­ZES HAAR. WARUM HA­BEN SIE IHN NICHT BEI LAN­DUNG AB­GE­FAN­GEN? SCHWE­RER VER­STO­SS, BIN HÖCHST UN­ZU­FRIE­DEN. BIT­TE UM RÜCK­KEHR NACH PO­LY­PO­LIS ZUM NÄCHST­MÖG­LI­CHEN TER­MIN.

CAS­TEL CRO­MAR­TIN

 

This­sell steck­te die Bot­schaft in die Ta­sche. »Üb­ri­gens, dürf­te ich nach Ih­rer Haar­far­be fra­gen?«

Rol­ver spiel­te einen über­rasch­ten klei­nen Tril­ler auf dem Kiw. »Ich bin hell­blond. Wes­halb fra­gen Sie?«

»Rei­ne Neu­gier.«

Rol­ver spiel­te ei­ne wei­te­re Fol­ge auf dem Kiw. »Ich ver­ste­he. Mein lie­ber Freund, Sie sind aber miß­trau­isch. Se­hen Sie!« Er dreh­te sich um und teil­te die Fal­ten sei­ner Mas­ke am Nacken. This­sell sah, daß Rol­ver in der Tat blond war.

»Sind Sie jetzt be­ru­higt?« spöt­tel­te Rol­ver gut­mü­tig.

»Aber na­tür­lich«, sag­te This­sell. »Üb­ri­gens, ha­ben Sie kei­ne Mas­ke, die Sie mir lei­hen könn­ten? Ich kann den Nacht­schwär­mer nicht mehr se­hen.«

»Ich fürch­te nein«, er­wi­der­te Rol­ver. »Aber Sie brau­chen doch nur in einen Mas­ken­ma­cher­la­den zu ge­hen und Ih­re Wahl zu tref­fen.«

»Ja, ge­wiß«, mein­te This­sell. Er ver­ab­schie­de­te sich von Rol­ver und kehr­te nach Fan zu­rück.

 

Als er am Bü­ro von We­li­bus vor­bei­kam, zö­ger­te er. Doch dann trat er ein. Heu­te trug We­li­bus ei­ne Pracht­mas­ke aus grü­nen Glaspris­men und Sil­ber­per­len. This­sell hat­te das Stück noch nie ge­se­hen.

We­li­bus be­grüß­te ihn zu­rück­hal­tend mit ei­ner Me­lo­die auf dem Kiw. »Gu­ten Mor­gen, Sir Nacht­schwär­mer.«

»Ich will Ih­nen Ih­re Zeit nicht steh­len«, sag­te This­sell, »aber ich muß Ih­nen ei­ne ziem­lich per­sön­li­che Fra­ge stel­len: Was ha­ben Sie für ei­ne Haar­far­be?«

We­li­bus zö­ger­te für den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de, dann dreh­te er sich um und öff­ne­te die Mas­ke einen Spalt. This­sell sah dich­te schwar­ze Lo­cken.

»Be­ant­wor­tet das Ih­re Fra­ge?« woll­te We­li­bus wis­sen.

»Voll­kom­men.« This­sell über­quer­te die Pro­me­na­de und ging zu den Docks hin­über, wo Kers­hauls Boot ver­an­kert lag.

Kers­haul be­grüß­te ihn oh­ne große Be­geis­te­rung und lud ihn mit ei­ner re­si­gnier­ten Hand­be­we­gung ein, an Bord zu kom­men.

»Ich möch­te Ih­nen nur kurz ei­ne Fra­ge stel­len«, mein­te This­sell. »Was für ei­ne Haar­far­be ha­ben Sie?«

Kers­haul lach­te kum­mer­voll. »Die paar Sträh­nen, die ich noch auf dem Kopf ha­be, sind schwarz. Aber wes­halb fra­gen Sie?«

»Rei­ne Neu­gier.«

»Na, Sie kön­nen mir doch nichts weis­ma­chen«, er­klär­te Kers­haul mit un­ge­wöhn­li­cher Di­rekt­heit. »Da steckt mehr da­hin­ter.«

This­sell hat­te das Ge­fühl, sich je­man­dem an­ver­trau­en zu müs­sen. Er nick­te. »Die La­ge ist fol­gen­der­ma­ßen: Ein to­ter Aus­län­der wur­de heu­te mor­gen im Ha­fen ge­fun­den. Er hat brau­nes Haar. Ich bin nicht völ­lig si­cher, aber von – hm – drei Chan­cen ste­hen zwei da­für, daß Ang­mark schwarz­haa­rig ist.«

Kers­haul zupf­te an sei­nem Höh­le­neu­len­bart. »Und wor­aus be­rech­nen Sie die­se Chan­cen?«

»Die Bot­schaft ging durch Rol­vers Hän­de. Er selbst ist blond. Wenn Ang­mark Rol­vers Rol­le spielt, hat er na­tür­lich die Bot­schaft in sei­nem Sin­ne ge­än­dert. Sie und We­li­bus ha­ben zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen schwar­zes Haar.«

»Hm«, mein­te Kers­haul. »Mal se­hen, ob ich Ih­re Schluß­fol­ge­run­gen recht ver­ste­he. Sie sind der Mei­nung, daß Ang­mark ent­we­der Rol­ver, We­li­bus oder mich ge­tö­tet hat und die Rol­le des Ge­tö­te­ten spielt. Stimmt das?«

This­sell sah ihn über­rascht an. »Sie selbst sag­ten doch, daß Ang­mark hier als Aus­län­der nicht un­er­kannt blei­ben wür­de. Er­in­nern Sie sich nicht?«

»O doch. Fah­ren wir fort. Rol­ver hat Ih­nen ei­ne Bot­schaft über­reicht, in der steht, daß Ang­mark dun­kel­haa­rig ist. Er selbst be­weist Ih­nen, daß er blond ist.«

»Ja. Könn­ten Sie das be­stä­ti­gen? Ich mei­ne, was den frü­he­ren Rol­ver be­trifft.«

»Nein«, sag­te Kers­haul trau­rig. »Ich ha­be we­der Rol­ver noch We­li­bus je oh­ne Mas­ke ge­se­hen.«

 

»Wenn Rol­ver nicht Ang­mark ist«, über­leg­te This­sell, »kom­men nur noch Sie oder We­li­bus in Fra­ge.«

»Sehr in­ter­essant«, sag­te Kers­haul. Er sah This­sell arg­wöh­nisch an. »Wenn das so ist, könn­ten auch Sie Ang­mark sein. Was für ei­ne Haar­far­be ha­ben Sie?«

»Braun«, sag­te This­sell kurz. Er hob die graue Nacht­schwär­mer-Mas­ke ein we­nig im Nacken.

»Aber Sie könn­ten mir den Text der Bot­schaft falsch wie­der­ge­ben«, be­harr­te Kers­haul.

»Nein.« This­sell wink­te mü­de ab. »Sie kön­nen Rol­ver fra­gen, wenn Sie wol­len.«

Kers­haul schüt­tel­te den Kopf. »Nicht nö­tig. Ich glau­be Ih­nen. Aber et­was an­de­res: Wie steht es mit den Stim­men? Sie ha­ben un­se­re Stim­men vor und nach Ang­marks An­kunft ge­hört. Er­gibt sich da kein Hin­weis?«

»Nein. Ich pas­se so ge­nau auf, daß mir je­de Stim­me ver­än­dert vor­kommt. Und die Mas­ken dämp­fen.«

Kers­haul zupf­te wie­der an dem Bart der Mas­ke. »Ich se­he im Au­gen­blick auch kei­ne Lö­sung die­ses Pro­blems.« Er ki­cher­te. »Und ist ei­ne Lö­sung denn so wich­tig? Vor Ang­marks An­kunft wa­ren wir vier: Rol­ver, We­li­bus, Kers­haul und This­sell. Und jetzt sind wir wie­der vier – mit dem glei­chen Na­men. Wer könn­te sa­gen, ob das neue Mit­glied nicht ei­ne Ver­bes­se­rung des al­ten dar­stellt?«

»Ein völ­lig neu­er Ge­dan­ke, der be­stimmt nicht un­in­ter­essant ist«, mein­te This­sell zu­stim­mend. »Aber zu­fäl­lig ha­be ich ein per­sön­li­ches In­ter­es­se dar­an, Ang­mark ding­fest zu ma­chen. Mei­ne Kar­rie­re steht auf dem Spiel.«

»Ich ver­ste­he«, mur­mel­te Kers­haul. »Das Gan­ze läuft al­so schließ­lich und end­lich auf einen Kampf zwi­schen Ih­nen und Ang­mark hin­aus.«

»Sie wer­den mir nicht hel­fen?«

»Nicht ak­tiv. Ich bin schon durch­drun­gen vom In­di­vi­dua­lis­mus der Si­re­ner. Sie wer­den se­hen, daß Rol­ver und We­li­bus ähn­lich wie ich rea­gie­ren.« Er seufz­te. »Wir le­ben al­le drei schon zu lan­ge hier.«

This­sell stand ge­dan­ken­ver­lo­ren da. Kers­haul war­te­te einen Au­gen­blick und sag­te dann: »Ha­ben Sie noch et­was auf dem Her­zen?«

»Nein«, mein­te This­sell. »Ich möch­te Sie le­dig­lich um einen Ge­fal­len bit­ten.«

»Gern, wenn ich Ih­nen hel­fen kann«, er­klär­te Kers­haul höf­lich.

»Bor­gen Sie mir für et­wa zwei Wo­chen einen Ih­rer Skla­ven.«

Kers­haul spiel­te ei­ne amü­sier­te Ton­fol­ge auf sei­ner Ganga. »Ich tren­ne mich nicht sehr gern von mei­nen Skla­ven. Sie ken­nen mich und mei­ne Art.«

»So­bald ich Ang­mark ge­fan­gen ha­be, be­kom­men Sie ihn zu­rück.«

»Schön«, sag­te Kers­haul. Er be­fahl et­was zu den Klän­gen sei­nes Hy­mer­kins, und ein Skla­ve er­schi­en. »An­thony«, sang Kers­haul, »du sollst Sir This­sell be­glei­ten und ihm für kur­ze Zeit die­nen.«

Der Skla­ve ver­beug­te sich lust­los.

 

This­sell nahm An­thony zu sei­nem Haus­boot mit und stell­te ihm meh­re­re Fra­gen. Die Ant­wor­ten no­tier­te er säu­ber­lich auf ei­nem Blatt Pa­pier. Dann schärf­te er An­thony ein, nichts von die­ser Un­ter­re­dung ver­lau­ten zu las­sen und über­ließ ihn der Ge­sell­schaft von To­by und Rex. Er gab Be­fehl, das Haus­boot vom Dock ab­zu­sto­ßen und bis zu sei­ner Rück­kehr nie­mand an Deck zu las­sen.

Wie­der ein­mal mach­te er sich auf den Weg zum Raum­ha­fen. Rol­ver saß ge­ra­de beim Mit­tages­sen. Vor sich hat­te er ein Ge­richt mit Ge­würz­fi­schen, ge­rie­be­ne Rin­de vom Sa­lat­baum und ei­ne Ab­art von Jo­han­nis­bee­ren. Er be­fahl et­was zum Klang des Hy­mer­kins, und ein Skla­ve brach­te ein Ge­deck für This­sell.

»Wie schrei­ten die Un­ter­su­chun­gen fort?«

»Ich kann kaum sa­gen, daß ich schon Er­fol­ge er­zielt hät­te«, mein­te This­sell. »Darf ich auf Ih­re Hil­fe rech­nen?«

Rol­ver lach­te tro­cken. »Ich kann Ih­nen nur mei­ne gu­ten Wün­sche mit­ge­ben.«

»Kon­kre­ter aus­ge­drückt«, fuhr This­sell fort, »wür­de ich mir für kur­ze Zeit gern einen Ih­rer Skla­ven aus­lei­hen.«

Rol­ver hör­te zu es­sen auf.

»Wo­für?«

»Das möch­te ich lie­ber nicht er­klä­ren«, sag­te This­sell. »Aber Sie kön­nen si­cher sein, daß es kei­ne blo­ße Gril­le von mir ist.«

Rol­ver gab sich kei­ne Mü­he, über­höf­lich zu wir­ken. Er rief einen Skla­ven her­bei und übergab ihn This­sell.

Auf dem Rück­weg stell­te sich This­sell noch in We­li­bus’ Bü­ro ein.

We­li­bus sah von sei­ner Ar­beit auf. »Gu­ten Tag, Sir This­sell.«

This­sell kam so­fort zu sei­nem An­lie­gen. »Sir We­li­bus, könn­ten Sie mir für ein paar Ta­ge einen Ih­rer Skla­ven zur Ver­fü­gung stel­len?«

We­li­bus zö­ger­te, dann zuck­te er mit den Schul­tern.

»Warum nicht?«

Er schlug sein Hy­mer­kin, und ein Skla­ve er­schi­en. »Ist das der Rich­ti­ge? Oder hät­ten Sie lie­ber ein jun­ges Mäd­chen?« Er ki­cher­te – ziem­lich be­lei­di­gend für This­sells Oh­ren.

»Nein, dan­ke. Das ist ge­nau das, was ich su­che.«

This­sell setz­te den Weg zu sei­nem Haus­boot fort. An­ge­kom­men, ver­hör­te er die bei­den neu­en Skla­ven ge­trennt und mach­te sich wie­der No­ti­zen.

Sanft kroch die Däm­me­rung über den Ti­ta­nik. To­by und Rex brach­ten das Haus­boot vom Dock weg, hin­aus auf das sei­dig glän­zen­de Was­ser. This­sell saß an Deck und hör­te den lei­sen Stim­men zu, dem Zwit­schern und Klin­geln der Mu­sik­in­stru­men­te.

Die Lich­ter der an­de­ren Haus­boo­te schie­nen sanft­gelb und was­ser­me­lo­nen­rot. Das Ufer lag im Dun­kel. Bald wür­den die Nacht­män­ner lei­se über die Docks schlei­chen und nei­disch die im Was­ser lie­gen­den Haus­boo­te an­star­ren.

In neun Ta­gen lan­de­te die Bue­na­ven­tu­ra plan­mä­ßig auf Si­re­ne. This­sell hat­te Be­fehl er­hal­ten, nach Po­ly­po­lis zu­rück­zu­keh­ren. Konn­te er in neun Ta­gen Ang­mark fas­sen?

Neun Ta­ge wa­ren nicht viel.

Viel­leicht ge­nü­gen sie mir, dach­te This­sell und ging in sei­ne Ka­bi­ne.

 

Zwei Ta­ge ver­gin­gen und drei und vier und fünf. Täg­lich ging This­sell ans Ufer, und täg­lich be­such­te er Rol­ver, Kers­haul und We­li­bus.

Je­der rea­gier­te an­ders auf sei­nen Be­such. Rol­ver war spöt­tisch und fins­ter, We­li­bus for­mell und zu­min­dest ober­fläch­lich lie­bens­wür­dig, Kers­haul mild und nach­sich­tig, aber os­ten­ta­tiv un­per­sön­lich und un­nah­bar.

This­sell ließ sich nicht be­ir­ren. Und je­den Tag, wenn er von sei­nen Be­su­chen zu­rück­kehr­te, mach­te er sich No­ti­zen.

Der sechs­te, der sie­ben­te und der ach­te Tag ka­men und ver­gin­gen. Rol­ver er­kun­dig­te sich mit ziem­lich bru­ta­ler Of­fen­heit, ob This­sell ei­ne Pas­sa­ge auf der Bue­na­ven­tu­ra bu­chen wol­le.

This­sell über­leg­te und mein­te: »Ja, bu­chen Sie einen Platz.«

»Zu­rück in die Welt der Ge­sich­ter«, sag­te Rol­ver schau­dernd. »Ge­sich­ter! Über­all die­se blas­sen, fisch­äu­gi­gen Ge­sich­ter. Tei­gi­ge Mün­der, knol­li­ge, ver­bo­ge­ne Na­sen. Form­lo­se, ver­weich­lich­te Ge­sich­ter. Ich glau­be nicht, daß ich das nach all den Jah­ren auf Si­re­ne er­tra­gen könn­te. Gott sei Dank sind Sie noch kein rich­ti­ger Si­re­ner ge­wor­den.«

»Aber ich ha­be gar nicht die Ab­sicht, zur Er­de zu­rück­zu­keh­ren«, er­klär­te This­sell.

»Ich dach­te, ich soll­te Ih­nen einen Platz re­ser­vie­ren?«

»Nicht für mich – für Ha­xo Ang­mark. Er wird mit dem Schiff nach Po­ly­po­lis flie­gen.«

»So, so«, sag­te Rol­ver. »Sie ha­ben ihn al­so ent­deckt?«

»Na­tür­lich«, mein­te This­sell. »Sie nicht?«

Rol­ver zuck­te die Schul­tern. »Ent­we­der Kers­haul oder We­li­bus, das weiß ich auch. Aber so­lan­ge er sei­ne Mas­ke trägt und sich ent­we­der Kers­haul oder We­li­bus nennt, ist die Sa­che für mich oh­ne Be­deu­tung.«

»Für mich steht mehr auf dem Spiel«, sag­te This­sell. »Um wel­che Zeit geht mor­gen das Bei­boot nach oben?«

»Um ge­nau elf Uhr zwei­und­zwan­zig. Wenn Ha­xo Ang­mark mit­flie­gen will, soll er pünkt­lich sein. Be­stel­len Sie ihm das von mir.«

»Er wird kom­men«, ver­sprach This­sell.

Er sah wie üb­lich bei We­li­bus und Kers­haul vor­bei. In sei­nem Haus­boot an­ge­kom­men, schrieb er drei letz­te No­ti­zen auf die Blät­ter.

Der Be­weis war da, klar und über­zeu­gend. Kein ab­so­lu­ter und un­um­stöß­li­cher Be­weis na­tür­lich, aber doch stark ge­nug, um einen ent­schei­den­den Schritt zu un­ter­neh­men. Er prüf­te sei­ne Pis­to­le. Mor­gen war der Tag der Ent­schei­dung. Er konn­te sich kei­nen Feh­ler leis­ten.

 

Der Tag zog klar und hell her­auf. To­by und Rex ver­an­ker­ten das Haus­boot am Dock. Die an­de­ren drei Boo­te der Aus­län­der schau­kel­ten noch ver­schla­fen auf den Wel­len.

Ein Boot be­hielt This­sell be­son­ders im Au­ge. Auf ihm be­fand sich Ha­xo Ang­mark, der den ur­sprüng­li­chen Be­sit­zer ge­tö­tet und ins Meer ge­wor­fen hat­te.

Die­ses Boot be­weg­te sich jetzt auf das Ufer zu, und Ha­xo Ang­mark selbst stand am Vor­der­deck. Er trug ei­ne Mas­ke, wie This­sell sie noch nie zu­vor ge­se­hen hat­te: ein Ge­bil­de aus schar­lach­ro­ten Fe­dern, schwar­zem Glas und sta­che­li­gem grü­nem Haar. Sie wirk­te sehr ein­drucks­voll.

Ang­mark ging nach un­ten. Das Haus­boot leg­te am Dock an. Skla­ven war­fen die Taue aus und senk­ten die Lauf­plan­ke. This­sell ging an Bord. Er hielt die Pis­to­le in den Kleider­fal­ten ver­bor­gen. Er stieß die Tür zum Sa­lon auf. Der Mann am Tisch hob über­rascht den Kopf, der von der rot-grün-schwar­zen Mas­ke ein­gehüllt war.

This­sell sag­te: »Ang­mark, bit­te leis­ten Sie kei­nen Wi­der­stand oder …«

Et­was Har­tes, Schwe­res griff ihn von hin­ten an. Er wur­de zu Bo­den ge­wor­fen. Ei­ne ge­üb­te Hand ent­wand ihm die Waf­fe.

Hin­ter ihm klap­per­te das Hy­mer­kin. Ei­ne Stim­me sang: »Bin­det den Nar­ren die Ar­me.«

Der Mann, der am Tisch ge­ses­sen hat­te, er­hob sich, nahm die rot­ge­fie­der­te Mas­ke ab und trug dar­un­ter die schwar­ze Skla­ven­mas­ke. This­sell wand­te den Kopf. Hin­ter ihm stand Ha­xo Ang­mark. Er trug ei­ne Mas­ke, die This­sell als die des Dra­chen­zäh­mers er­kann­te. Sie be­stand aus schwar­zem Me­tall, die Na­se war aus ei­nem Mes­ser­blatt ge­formt, die Au­gen­lö­cher steck­ten in tie­fen Ta­schen, und drei Käm­me lie­fen über den Skalp.

Ang­marks Stim­me klang tri­um­phie­rend: »Sie ha­ben sich leicht fan­gen las­sen.«

»Sie auch«, er­wi­der­te This­sell. Der Skla­ve hat­te ihm die Hand­ge­len­ke ge­bun­den. Ein Wir­bel auf Ang­marks Hy­mer­kin schick­te ihn jetzt weg.

»Ste­hen Sie auf«, sag­te Ang­mark. »Set­zen Sie sich.«

»Wor­auf war­ten wir?« woll­te This­sell wis­sen.

»Zwei un­se­rer Kol­le­gen sind noch auf ih­ren Haus­boo­ten in der Nä­he. Ich brau­che sie nicht als Zu­schau­er für mein Vor­ha­ben.«

»Und worin be­steht die­ses Vor­ha­ben?«

»Sie wer­den es noch recht­zei­tig er­fah­ren«, sag­te Ang­mark. »Uns bleibt noch et­wa ei­ne Stun­de Zeit.«

This­sell zerr­te vor­sich­tig an den Fes­seln. Sie wa­ren zwei­fel­los fest.

 

Ang­mark setz­te sich ihm ge­gen­über. »Wie ka­men Sie ge­ra­de auf mich? Ich ge­be zu, ich bin neu­gie­rig.«

Er schüt­tel­te den Kopf, als This­sell schwei­gend da­saß. »Na, na«, spöt­tel­te er, »wol­len Sie nicht ein­ge­ste­hen, daß ich Sie be­siegt ha­be? Sie ma­chen die Sa­che nur für sich selbst un­an­ge­neh­mer.«

This­sell zuck­te die Schul­tern. »Ich ha­be nach ei­nem ein­fa­chen Prin­zip ge­ar­bei­tet: Ein Mensch kann sein Ge­sicht, nicht aber sei­ne Per­sön­lich­keit ver­ber­gen.«

»Aha«, sag­te Ang­mark. »In­ter­essant. Fah­ren Sie fort.«

»Ich lieh mir einen Skla­ven von Ih­nen und den bei­den an­de­ren Aus­län­dern und frag­te sie ge­nau aus. Wel­che Mas­ken hat­ten ih­re Her­ren in dem Mo­nat vor Ih­rer An­kunft ge­tra­gen? Ich be­rei­te­te ei­ne Ta­bel­le vor und schrieb die Ant­wor­ten ne­ben­ein­an­der auf. Rol­ver trug den Vo­gel-Tarn acht­zig Pro­zent der Zeit, die üb­ri­gen zwan­zig Pro­zent ver­teil­ten sich auf den So­phis­ten und die Kom­pli­zier­te Schwar­ze Mas­ke.

We­li­bus hat­te ei­ne Vor­lie­be für die Mas­ken des Kan-Dachan-Zy­klus. Er trug den Cha­le­kun, den Un­er­schro­cke­nen Fürs­ten und den Meer­hel­den. Dar­über hin­aus hat­te er noch für zwei Ta­ge der Wo­che den Süd­wind und den Fröh­li­chen Ge­sel­len.

Kers­haul war kon­ser­va­ti­ver. Er trug die meis­te Zeit sei­ne Höh­le­neu­le und nur ab und zu den Ster­nen­wan­de­rer und zwei oder drei an­de­re Mas­ken.

Wie ich schon sag­te, er­lang­te ich die­se In­for­ma­tio­nen durch die si­chers­te Quel­le: die Skla­ven. Mein nächs­ter Schritt be­stand dar­in, euch drei zu über­wa­chen. Je­den Tag no­tier­te ich die Mas­ken, die ich sah, und ver­glich sie mit mei­ner Ta­bel­le.

Rol­ver trug sechs­mal den Vo­gel-Tarn und zwei­mal die Kom­pli­zier­te Schwar­ze. Kers­haul trug fünf­mal die Höh­le­neu­le, ein­mal den Ster­nen­wan­de­rer, ein­mal die Fün­fer­glie­de­rung und ein­mal das Ide­al der Per­fek­ti­on. We­li­bus trug zwei­mal den Sma­ragd­berg, drei­mal den drei­fa­chen Phö­nix, ein­mal den Un­er­schro­cke­nen Fürs­ten und zwei­mal den Hai­fisch-Gott.«

Ang­mark nick­te ge­dan­ken­voll. »Ich se­he mei­nen Feh­ler ein. Ich ha­be un­ter den Mas­ken von We­li­bus aus­ge­wählt – aber nach mei­nem ei­ge­nen Ge­schmack. Da­mit ha­be ich mich, wie Sie aus­füh­ren, ver­ra­ten. Aber nur Ih­nen ge­gen­über.«

Er er­hob sich und ging ans Fens­ter. »Kers­haul und Rol­ver kom­men jetzt ans Ufer. Sie wer­den bald ih­ren Ge­schäf­ten nach­ge­hen. Ob­wohl ich be­zweifle, daß sie über­haupt ein­grei­fen wür­den. Sie sind bei­de ech­te Si­re­ner ge­wor­den.«

This­sell war­te­te schwei­gend. Zehn Mi­nu­ten ver­gin­gen. Dann ging Ang­mark an ein Re­gal und hol­te ein Mes­ser. Er sah This­sell an. »Ste­hen Sie auf!«

This­sell er­hob sich lang­sam. Ang­mark nä­her­te sich ihm von der Sei­te. Blitz­schnell hol­te er aus und riß ihm die Mas­ke vom Ge­sicht. This­sell keuch­te und mach­te einen ver­geb­li­chen Ver­such, sie wie­der an sich zu brin­gen.

Zu spät. Sein Ge­sicht war nackt.

 

Ang­mark dreh­te sich um, nahm sei­ne ei­ge­ne Mas­ke ab und setz­te die Nacht­schwär­mer-Mas­ke auf. Er schlug sein Hy­mer­kin an.

Zwei Skla­ven ka­men her­ein und blie­ben wie vom Don­ner ge­rührt ste­hen, als sie This­sell oh­ne Mas­ke sa­hen.

Ang­mark spiel­te einen schnel­len Wir­bel und sang da­zu: »Bringt die­sen Mann so­fort auf die Docks hin­aus.«

››Ang­mark!« schrie This­sell. »Ich ha­be kei­ne Mas­ke!«

Die Skla­ven pack­ten ihn und schlepp­ten ihn trotz sei­ner Ge­gen­wehr hin­aus auf Deck und über die Lauf­plan­ke ans Ufer.

Ang­mark leg­te einen Strick um This­sells Hals. Er sag­te: »Sie sind jetzt Ha­xo Ang­mark, und ich bin Ed­wer This­sell. We­li­bus ist tot. Sie sind nun auch bald tot. Ich kann Ih­re Stel­le oh­ne Schwie­rig­kei­ten ein­neh­men. Ich wer­de die Mu­sik­in­stru­men­te wie ein Nacht­mann spie­len und da­zu wie ein Ra­be kräch­zen. Ich wer­de den Nacht­schwär­mer tra­gen, bis er in Brü­che geht, und mir dann ei­ne neue Mas­ke be­schaf­fen. Nach Po­ly­po­lis geht der Be­richt, daß Ha­xo Ang­mark tot ist. Al­les wird sich in Wohl­ge­fal­len auf­lö­sen.«

This­sell hat­te ihm kaum zu­ge­hört. »Das kön­nen Sie nicht«, flüs­ter­te er. »Mei­ne Mas­ke, mein Ge­sicht …«

Ei­ne große Frau mit ei­ner blau-ro­sa Blu­men­mas­ke kam über das Dock. Sie sah This­sell, stieß einen schril­len Schrei aus und warf sich zu Bo­den.

»Kom­men Sie nur«, sag­te Ang­mark hei­ter. Er zerr­te an dem Strick und zog This­sell über die Docks. Ein Mann in der Mas­ke ei­nes Pi­ra­ten­häupt­lings kam ge­ra­de von sei­nem Haus­boot ans Ufer und blieb starr vor Schreck ste­hen.

Ang­mark spiel­te das Za­chi­no und sang: »Weicht aus, hier kommt der Ge­wohn­heits­ver­bre­cher Ha­xo Ang­mark. In al­len Wel­ten ist sein Na­me mit Schmutz und Schan­de be­fleckt. Jetzt ha­be ich ihn ge­fan­gen, und er soll einen schimpf­li­chen Tod ster­ben. Weicht aus, hier kommt Ha­xo Ang­mark!«

Sie wand­ten sich in Rich­tung der Pro­me­na­de. Ein Kind schrie vor Angst. Ein Mann fluch­te. This­sell stol­per­te. Aus sei­nen Au­gen lie­fen Trä­nen. Sie ver­zerr­ten das Bild und lie­ßen ihn nur ver­wisch­te For­men und Far­ben er­ken­nen. Ang­marks wohl­klin­gen­de Stim­me schall­te her­aus­for­dernd über die Pro­me­na­de:

»Weicht aus, weicht ihm aus, dem Ver­bre­cher der Hei­mat­pla­ne­ten, Ha­xo Ang­mark! Ver­folgt sei­ne Hin­rich­tung!«

Schwach rief This­sell: »Ich bin nicht Ang­mark. Ich bin Ed­wer This­sell. Er selbst ist Ha­xo Ang­mark.«

Aber nie­mand hör­te ihm zu. Nur Ru­fe des Ent­set­zens, der Angst und des Ab­scheus wur­den laut, als die Men­schen sein un­be­deck­tes Ge­sicht sa­hen.

Er rief Ang­mark zu: »Ge­ben Sie mir mei­ne Mas­ke – oder we­nigs­tens ein Skla­ven­tuch.«

Ang­mark sang ju­belnd: »In Schan­de leb­te er, in Schmach soll er ster­ben!«

Ein Wald­geist stell­te sich vor Ang­mark. »Nacht­schwär­mer, hier tref­fen wir uns schon wie­der.«

Ang­mark sang: »Geh zur Sei­te, Freund Wald­geist. Ich muß die­sen Ver­bre­cher rich­ten. In Schan­de leb­te er, in Schmach soll er ster­ben!«

Ei­ne Men­schen­trau­be hat­te sich um die Grup­pe ge­bil­det. Mas­ken starr­ten This­sell mit Schau­dern und Ent­set­zen an.

Der Wald­geist ent­riß Ang­marks Hand das Seil und warf es zu Bo­den. Die Men­ge schrie. Stim­men der Angst wur­den laut: »Kein Du­ell, kein Du­ell. Tö­tet zu­erst das Un­ge­heu­er!«

 

Ein Tuch wur­de über This­sells Kopf ge­wor­fen. This­sell er­war­te­te die Klin­ge. Aber statt des­sen wur­den ihm die Fes­seln durch­ge­schnit­ten. Has­tig um­hüll­te er sein Ge­sicht mit dem Tuch und starr­te durch die Fal­ten auf die Sze­ne.

Vier Män­ner hiel­ten Ha­xo Ang­mark fest. Der Wald­geist stand ihm ge­gen­über und spiel­te das Ska­ra­nyi.

»Vor ei­ner Wo­che hast du dei­ne Hand aus­ge­streckt, um mich mei­ner Mas­ke zu be­rau­ben. Nun hast du dein per­ver­ses Ziel er­reicht.«

»Aber er ist ein Ver­bre­cher«, schrie Ang­mark. »Er ist ein ent­setz­li­cher Ge­wohn­heits­ver­bre­cher.«

»Was für Ta­ten wirft man ihm vor?« sang der Wald­geist.

»Er hat ge­mor­det, be­tro­gen. Er hat Schif­fe zum Un­ter­gang ge­bracht, er hat Men­schen ge­fol­tert. Er hat be­tro­gen, ge­raubt und Kin­der in die Skla­ve­rei ver­kauft. Er hat …«

Der Wald­geist un­ter­brach ihn. »Dei­ne re­li­gi­ösen Über­zeu­gun­gen sind mir gleich­gül­tig. Aber für dei­ne ei­ge­nen Ver­bre­chen mußt du be­straft wer­den.«

Der Stall­be­sit­zer trat nä­her. Er sang mit dröh­nen­der Stim­me: »Die­ser fre­che Nacht­schwär­mer hat vor neun Ta­gen ver­sucht, mich um mein bes­tes Pferd zu brin­gen.«

Ein an­de­rer Mann dräng­te sich nach vor­ne durch. Er trug die Mas­ke des Uni­ver­sal­ex­per­ten und sang: »Ich bin ein Meis­ter im Mas­ken­an­fer­ti­gen. Ich er­ken­ne die­sen Aus­län­der, der die Mas­ke des Nacht­schwär­me­rs trägt. Erst vor kur­z­em be­trat er mei­nen La­den und ver­spot­te­te mei­ne Kunst. Er ver­dient den Tod.«

»Tod dem Un­ge­heu­er aus dem Aus­land«, schrie die Men­ge. Die Män­ner dräng­ten vor­wärts.

Stahl­klin­gen wur­den ge­ho­ben. Sie er­reich­ten ihr Ziel.

This­sell be­ob­ach­te­te die Sze­ne. Er war nicht fä­hig, sich zu rüh­ren. Der Wald­geist nä­her­te sich ihm, spiel­te sei­ne Sti­mic und sang ernst:

»Für dich ha­ben wir Mit­leid, aber auch Ver­ach­tung. Ein wah­rer Mann soll­te sich ei­ner sol­chen Un­wür­de nie­mals aus­set­zen.«

This­sell hol­te tief Atem. Er griff nach sei­nem Gür­tel und fand das Za­chin­ko. Er sang:

»Mein Freund, du sagst har­te Wor­te! Kannst du nicht ech­ten Mut wür­di­gen? Was wür­dest du vor­zie­hen? Im Kampf zu ster­ben oder oh­ne Mas­ke über die Pro­me­na­de zu ge­hen?«

Der Wald­geist ant­wor­te­te: »Dar­auf gibt es nur ei­ne Ant­wort. Lie­ber wür­de ich im Kampf ster­ben. Ich könn­te die Schan­de nicht er­tra­gen.«

This­sell sang: »Ich hat­te auch die Wahl. Ich konn­te mit ge­fes­sel­ten Hän­den kämp­fen und ster­ben. Oder ich konn­te Schan­de er­tra­gen und da­durch mei­nen Feind be­sie­gen. Du gibst zu, daß es dir an strakh für ei­ne sol­che Tat fehlt. Ich ha­be mich als Held er­wie­sen. Ich fra­ge euch, die ihr hier steht, ob ei­ner von euch den Mut auf­ge­bracht hät­te, es mir gleich­zu­tun?«

»Mut?« frag­te der Wald­geist. »Ich fürch­te nichts, nicht ein­mal den Tod aus der Hand der Nacht­män­ner.«

»Dann ant­wor­te!«

 

Der Wald­geist trat einen Schritt zu­rück. Er spiel­te das Dop­pel-Ka­mant­hil. »Es war in der Tat Tap­fer­keit, wenn du von sol­chen Mo­ti­ven ge­lenkt wur­dest.«

Der Stall­be­sit­zer spiel­te ei­ne un­ter­drück­te Me­lo­die auf sei­nem Go­ma­pard und sang: »Nicht ei­ner un­ter uns hät­te ge­wagt, was die­ser mas­ken­lo­se Mann ge­tan hat.«

Die Men­ge mur­mel­te Bei­fall.

Der Mas­ken­ma­cher nä­her­te sich This­sell und strich fei­er­lich über sein Dop­pel-Ka­mant­hil. »Ich bit­te Sie, in mei­nen be­schei­de­nen La­den zu tre­ten, der gleich hier ge­gen­über liegt, und die­sen schmut­zi­gen Lap­pen ge­gen ei­ne Mas­ke ein­zut­au­schen, die Ih­rem Hel­den­tum ent­spricht.«

Ein an­de­rer Mas­ken­ma­cher sang: »Be­vor Sie wäh­len, Held von Si­re­ne, se­hen Sie auch mei­ne Schöp­fun­gen an.«

Ein Mann in der leuch­ten­den Mas­ke des Him­mels­vo­gels trat vor und nä­her­te sich This­sell un­ter­wür­fig.

»Ich ha­be so­eben ein pracht­vol­les Haus­boot ge­schaf­fen. Sieb­zehn Jah­re Ar­beit ste­cken dar­in. Ge­währt mir die Gna­de, die­ses Meis­ter­stück ed­ler Hand­werks­kunst an­neh­men zu wol­len. An Bord wer­den Sie flin­ke Skla­ven und hüb­sche Skla­vin­nen be­die­nen. Im Vor­rat liegt bes­ter Wein, und die Decks sind mit wei­chen Sei­den­tep­pi­chen be­legt.«

»Dan­ke«, sag­te This­sell und schlug das Za­chin­ko mit sol­cher Macht und sol­chem Selbst­ver­trau­en wie nie zu­vor. »Ich neh­me es mit Freu­den an. Aber zu­erst brau­che ich die Mas­ke.«

Der Mas­ken­ma­cher schlug einen fra­gen­den Wir­bel auf sei­nem Go­ma­pard.

»Wür­de der Held von Si­re­ne ei­ne See­dra­chen-Er­obe­rer-Mas­ke als un­ter sei­ner Wür­de be­find­lich be­trach­ten?«

»Kei­nes­wegs«, sang This­sell. »Ich hal­te sie für an­ge­mes­sen und zu­frie­den­stel­lend. Ge­hen wir. Ich will sie mir an­se­hen.«