Jaine räkelte sich in ihrem Bett. Es war kurz vor drei, aber sie war eben erst von ihrem Abend mit Lorna zurückgekehrt und freute sich darauf, bis zum frühen Morgen schlafen zu können. Gerade als ihr die Augen zufallen wollten, wurde die Tür der Hütte aufgerissen und schlug kurz darauf krachend wieder zu. Sofort war Jaine hellwach und auf den Füßen. Sie lief zur Tür und sah dort Eileen, offensichtlich bebend vor Wut. Ein wenig erschrocken bemerkte Jaine, dass sogar etwas verdächtig feucht in den Augenwinkeln ihrer besten Freundin glitzerte.

Verunsichert ging sie auf Eileen zu, die vor der Tür stand und auf einen Punkt starrte, den Jaine nicht genau festmachen konnte. Vorsichtig berührte sie sie an der Schulter, und erst jetzt schien Eileen sie wirklich wahrzunehmen.

Jaine hatte recht gehabt – es waren tatsächlich Tränen in Eileens Augen gewesen, die sie gesehen hatte. Und plötzlich liefen sie ihr über die Wangen. Eileen presste die Hand vors Gesicht und ging auf die Knie. Jaine hockte sich neben sie, den Arm um die Schultern ihrer besten Freundin geschlungen, die nicht schluchzte oder schrie, sondern einfach ihren Tränen freien Lauf ließ.

»Was um Himmels willen ist denn passiert?«, traute Jaine sich nach ein paar Minuten zu fragen.

Eileen wandte ihr das Gesicht zu und wischte sich die Tränen vom Kinn. »Nichts«, krächzte sie.

Jaine hob nur die Augenbraue, und Eileen war klug genug zu antworten. »Vielleicht doch. Aber es ist furchtbar.«

Ein dunkler Verdacht keimte in Jaine auf, und sie umfasste Eileens Gesicht mit beiden Händen, um ihr in die Augen sehen zu können. »Ist dir da draußen irgendetwas passiert? Hat dich einer der anderen Gäste …« Sie konnte es nicht über sich bringen, die schreckliche Ahnung in Worte zu fassen.

Aus Eileens Miene sprach nur Unwissenheit. »Was meinst du?«, fragte sie verwirrt.

»Na ja, ob dich irgendjemand … also … du weißt schon, angefasst hat …«

Für einen Moment wirkte Eileen noch ungläubiger als zuvor – und plötzlich fing sie schallend an zu lachen. Sie lachte so laut, dass sie rücklings auf den Boden fiel und sich dort noch schüttelte vor Lachen, bis sie sich den Bauch hielt. Jaine wusste nicht so recht, ob sie beleidigt sein sollte oder nicht, aber schließlich überwog die Erleichterung. Sie grinste und beugte sich über Eileen, die sich nur langsam beruhigte und sich nun die Lachtränen aus den Augen wischte. »Nein«, japste sie. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin keinem gemeingefährlichen Vergewaltiger oder Blitzer über den Weg gelaufen.«

Jaine nickte, zufrieden, dass Eileen ihr nun bestätigt hatte, dass ihre Ängste vollkommen unbegründet gewesen waren. Dennoch blieb die Frage offen, was mit Eileen passiert war. Jaine hatte bisher noch nie erlebt, dass irgendetwas ihre Freundin so sehr erschüttert hatte. Und der Fassungslosigkeit auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, als sie sie vor der Tür angetroffen hatte, deutete darauf hin, dass Eileen so etwas noch nie passiert war.

»Was war es denn dann, Süße?« Aufmunternd strich sie über das glatte braune Haar ihrer Freundin, und Eileen legte den Kopf in Jaines Schoß.

»Etwas ganz Furchtbares«, flüsterte sie. »Ich habe mich verliebt.«

Nun musste Jaine aufpassen, nicht laut loszulachen. »Du veräppelst mich doch.«

»Nein«, erwiderte Eileen. »Glaub mir, das war für mich ein genauso großer Schock wie für dich.«

Jaine kicherte. »Ich würde es mehr eine Überraschung nennen. Aber es ist doch wundervoll, dass du dich endlich verliebt hast! Ist er von hier? Und was sagt er dazu?«

Eileens Augen verengten sich. »Er wird niemals etwas davon erfahren!«, erklärte sie. »Das bleibt unter uns – ich treibe mir das schon aus, und spätestens wenn wir von dieser verdammten Insel runter sind, wird das auch wieder aufhören.«

Jaine neigte den Kopf zur Seite. Das war Eileens typische Reaktion, wenn ihr etwas nicht gefiel – sie wurde wütend. Sosehr sie ihre Freundin auch liebte, aber mit diesem Wesenszug kam sie nicht klar. Sie schüttelte den Kopf. Auf dieser Insel hatten sie sich bereits einmal heftig gestritten. Und im Augenblick wollte Jaine ihre Freundin einfach nur schütteln, damit sie endlich verstand, dass Liebe sie nicht umbringen würde. Im Gegenteil. Sosehr Jaine ihre neuen Erfahrungen mit Lorna auch genoss und trotz der Tatsache, dass sie wütend auf Michael war, gab es doch ein winziges Eckchen in ihrem Herzen, das ihn vermisste.

»Jaine, ich mein’s ernst!« Eileen hatte sich aufgesetzt.

»Wem soll ich es denn erzählen?«, entgegnete Jaine müde. »Aber ich denke trotzdem, dass du übertreibst. Was spricht denn dagegen, dass …«

»Dagegen spricht, dass ich mich nicht mehr benutzen lasse!«, fauchte Eileen. »Kein verdammter Mann wird mich jemals wieder so ausnutzen und betrügen wie …« Sie brach abrupt ab und presste die Lippen zusammen, die nun wie ein dünner Strich in Eileens hübschem Gesicht wirkten.

»Wie wer?«, hakte Jaine vorsichtig nach. Seit sie Eileen kannte, war diese Single gewesen. Sie schlief mit Männern, die ihr gefielen, ließ sich aber niemals auf einen ein und verschwand, sobald es ernster wurde. Jaine hatte geglaubt, dass es immer so gewesen war. Dass ihre Freundin doch einmal mit jemandem zusammen gewesen war, hatte sie niemals in Betracht gezogen.

»Niemand«, erwiderte Eileen knapp.

Jaine spürte eine tiefe Enttäuschung in sich aufwallen. »Ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander.«

»Das heißt aber nicht, dass ich dir alles erzählen muss.«

Die Worte trafen sie tief. Jaine war wie vor den Kopf gestoßen. Sie versuchte Eileens Hand zu berühren, um der Freundin eine Möglichkeit zu geben, sich zu entschuldigen und ihr zu zeigen, dass sie es nicht so gemeint hatte. Doch Eileen entzog sich ihr und wich Jaines Blick aus. »Geh am besten«, flüsterte Eileen.

Wortlos stand Jaine auf und ging hinaus.

Eileen stand erst wieder auf, als die ersten Sonnenstrahlen über den Boden krochen. Sie fühlte sich zerschlagen, und ihr Gesicht war ganz heiß. Als sie sich ins Badezimmer geschleppt hatte und einen Blick in den Spiegel warf, sah sie genau das, was sie erwartet hatte: die roten, vom Weinen verquollenen Augen einer Verräterin. Sie hätte es Jaine einfach sagen sollen. Nicht nur die Sache mit ihrem Exmann Miles, sondern auch die Sache mit Michael. Gerade die Sache mit Michael. Stattdessen hatte Eileen in ihrem dummen Stolz einen Menschen verletzt, der ihr sehr viel bedeutete. Einmal mehr.

Eileen spritzte sich einige Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht und mied dabei jeden weiteren Blick in den Spiegel. Stattdessen kroch sie ins Bett und schloss die Augen, um die Welt um sich herum zumindest für einige Stunden auszusperren.

Jaine lief ohne Ziel los – sie wusste nicht, wo sie hingehen sollte, aber sicher war, dass sie nicht weiter in dieser Hütte bleiben wollte. Nein, mehr noch, sie konnte einfach nicht mehr bleiben. Dennoch war sie nicht überrascht, als sie sich plötzlich vor Lornas Tür wiederfand. Obwohl es kurz vor vier war und sie sich erst wenige Stunden zuvor getrennt hatten, öffnete die Frau mit den geheimnisvollen Augen die Tür und begrüßte Jaine herzlich.

»Alles in Ordnung, Liebes?«, fragte sie mit echter Besorgnis in der Stimme, aber Jaine ertrug es gerade nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Mit einem rauen Schluchzen sank sie einfach in Lornas Arme und ließ sich von ihr zu ihrem weichen Bett führen, um dort erholsamen Schlaf bis zum nächsten Morgen zu finden.

Jaine wurde durch die zarte Berührung einer Hand geweckt. Sie blinzelte verwirrt und sah ihre Aikane auf dem Bettrand sitzen, die Haare zu einem losen Knoten hochgebunden und ein sanftes Lächeln auf dem Gesicht.

»Du hast so lange geschlafen«, sagte Lorna, und zum ersten Mal bemerkte Jaine die feine Sorgenfalte auf der Stirn.

»Entschuldige, ich bin es nicht gewohnt, die Nächte durchzumachen«, sagte sie verlegen lächelnd und neigte leicht den Kopf zur Seite, als Lorna sie auf die Wange küsste.

»Das ist in Ordnung«, erwiderte die exotische Schönheit und streichelte Jaines Hals. »Aber jetzt steh bitte auf – du musst etwas essen.«

Es hätte ein Befehl sein können, aber Jaine bemerkte, wie sich die Falte vertiefte und Lorna sie aus großen Augen ansah. Daher nickte sie und setzte sich auf. Für die Nacht hatte ihre Aikane ihr ein violettes Trägerkleidchen gegeben, in dem sie jetzt vor dem Bett stand und sich streckte. Ihr entging dabei nicht Lornas aufmerksamer Blick, der über ihren Körper glitt, aber sie sagte nichts dazu. Diese Liebkosung war Jaine zu ihrer eigenen Überraschung nicht einmal unangenehm. Ganz im Gegenteil – sie verspürte ein aufgeregtes Prickeln, und sie genoss es. Allein der Gedanke an das, was Lorna mit ihr anzustellen vermochte …

Und dabei waren sie erst zweimal wirklich intim gewesen! Jaine konnte darüber nur den Kopf schütteln. Alles andere hatte sich auf versteckte Zärtlichkeiten und vereinzelte Küsse beschränkt. Dennoch fühlte Jaine sich geborgen, wie sonst nur … nun, sonst nur bei Michael.

Sie seufzte und versuchte den Gedanken an ihren Verlobten von sich zu schieben. Stattdessen schnupperte sie und war froh, den Geruch von gebratenen Zwiebeln und Balsamico-Essig zu riechen, der von der unteren Etage zu ihr heraufwehte. Anders als ihre Hütte hatte Lornas eine zweite Etage, auf der sich ihr Schlafzimmer befand. Über eine Wendeltreppe aus dunklem Holz gelangte man ins Erdgeschoss und dort direkt die Küche.

Jaine ließ sich auf einen der Küchenstühle sinken und beobachtete Lorna, wie sie eine große Pfanne mit einem dampfenden Omelett brachte und die Eierspeise auf einen Teller gleiten ließ.

»Iss, sonst kippst du mir noch um«, forderte Lorna sie mit einem Lächeln auf.

Jaine griff nach Messer und Gabel und bemerkte nach den ersten Bissen, wie groß ihr Hunger wirklich war. Innerhalb weniger Minuten hatte sie das Omelett verspeist.

Lorna sah sehr zufrieden aus. »Bist du denn einigermaßen ausgeschlafen?«

Jaine massierte sich den Nacken und spürte kurz darauf Lornas kühle Finger, die diese Aufgabe für sie übernahmen. Zufrieden seufzend, schloss sie die Augen. »Ja«, antwortete sie auf Lornas Frage. »Ich habe wahrscheinlich den ganzen Tag verschlafen.«

»Fast«, erwiderte die Aikane schmunzelnd, und kurz darauf spürte Jaine ihren warmen Atem an ihrer Wange.

»Das Weinen muss dich sehr erschöpft haben. Was ist denn passiert?«

Mit diesen Worten kam schlagartig die Erinnerung daran zurück, warum Jaine geweint hatte und wieso sie die Nacht in Lornas Bett anstatt in ihrem eigenen verbracht hatte. Jaine biss die Zähne zusammen und schüttelte leicht den Kopf.

Lorna legte ihre Arme um Jaines Schultern und schmiegte sich an sie. »Du bist bedrückt. Was hältst du davon – ich werde dich heute Abend ablenken, und anschließend zeige ich dir für einige Tage einen Teil der Insel, den du bisher noch nicht gesehen hast. Dort ist es nahezu unberührt, aber wunderschön. Was hältst du davon?«

»Urlaub im Urlaub?«, entgegnete Jaine ungläubig und drehte den Kopf ein wenig, um Lorna ansehen zu können. Diese wirkte angesichts der Feststellung vergnügt. »Ja, so etwas in der Art. Wenn du es denn willst.«

Jaine ließ sich die Vorstellung durch den Kopf gehen. Sie hatte sich geschworen, sich für die Dauer ihres Aufenthaltes neu zu erfinden, mal jemand anderer zu sein als die langweilige Jaine aus Neuengland. Aber hieß das auch, dass sie auf Teufel komm raus an jedem Kurs in diesem Resort teilnehmen musste? Reichte es nicht, dass sie jemanden gefunden hatte, dem sie vertraute? Die Aussicht, mit Lorna allein einige Tage zu verbringen, war verlockend. Und hinzu kam, dass sie keine Lust verspürte, in die Hütte zu Eileen zu gehen. Die Zurückweisung tat einfach weh.

Jaine nickte. »Ich glaube, das würde mir gefallen.«

Lorna lachte hell und streichelte Jaines Schultern. »Wunderbar. Dann komm mit, für heute Abend müssen wir für dich ein passendes Outfit finden. Eins, das atemberaubend ist.«

Es stimmte, befand Jaine, als sie sich selbst kurze Zeit später in dem mannshohen Schrankspiegel in Lornas Schlafzimmer betrachtete. Das Kleid, das ihre Aikane ihr gegeben hatte, schmiegte sich wie ein Liebhaber an ihre Kurven, betonte ihr nacktes Bein durch den Schlitz und hob ihre Brüste angenehm an. Sie hatte die Haare zu einem einfachen Knoten hochgesteckt und korallenroten Lippenstift aufgetragen. Die Kombination der blonden Haare, Jaines blasser, fast weißer Haut, die noch nicht viel von Hawaiis heißer Sonne aufgenommen hatte, mit den roten Lippen ließ Jaine an eine Prinzessin denken. Aber eine verdammt verruchte Prinzessin. Sie schaute auf die Halbmaske, deren Farbton ebenso rot war wie ihr Lippenstift und das Kleid. Lorna hatte sie ihr in die Hand gedrückt und nur verschwörerisch gezwinkert. Sie selbst trug an diesem Abend smaragdgrün, und ihre Maske deckte sich farblich mit Jaines.

Jaine betrachtete sich noch immer – sie fühlte sich schön, begehrenswert. Wie seltsam, dass ein wenig Kleidung doch so viel ausmachen konnte. Plötzlich spürte sie Lornas Hand, die ihren Arm umfasste. »Komm«, sagte sie verschwörerisch. »Es wird Zeit.«

Sie gingen zu Jaines Überraschung nicht zu einem der Gebäude auf der Insel, sondern zurück zum Flughafen, auf dem ein Helikopter auf sie wartete. Jaine blieb der Mund offen stehen, aber Lorna zog sie bestimmt weiter.

»Du hast doch keine Flugangst?«, fragte Lorna und neigte den Kopf. Ihre komplizierte Hochsteckfrisur mit den weiß schimmernden Blüten lenkte den Blick automatisch auf ihren Schwanenhals, der sich anmutig bog.

Jaine schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich wusste nicht, dass wir von der Insel weg müssen.«

»Vertrau mir – es wird dir gefallen.«

Lorna legte ihr den Arm um die Taille und führte sie über den Asphalt zum Helikopter, dessen Rotoren mit lautem Dröhnen angingen, kaum dass die beiden Frauen drinnen Platz genommen hatten.

Die Sonne ging bereits unter, als sie in der Luft waren, und Jaine war bezaubert vom Anblick der Dreamfair-Anlage aus so luftigen Höhen. Wie ein grüner Edelstein bot sich die Insel dar, und alle Probleme, die mit ihr zusammenhingen, waren hier oben nicht mehr existent.

Der Flug dauerte nicht lange. Er brachte sie auf eine andere, nahe gelegene Insel. Am Flughafen wurden sie von einem Jeep in Empfang genommen, den ein älterer Mann in Khaki Shorts und Hemd fuhr.

Als sie schließlich vor einer Villa hielten und ausstiegen, sah Jaine mit offenem Mund das Haus an. Es war mehrgeschossig, und der Eingang wurde von zwei Säulen geschmückt. Die Villa lag etwas abseits, versteckt in einem Park und wurde in der lauen Frühlingsnacht von mehreren Lampen erhellt. Vor der großen Eingangstür stand ein breitschultriger Hüne, der beide Frauen unauffällig musterte, als sie näher kamen. Lorna wechselte einige Worte mit ihm, die Jaine nicht genau verstand, woraufhin er ihnen beiden zunickte und die Tür öffnete. Plötzlich wurden sie von Musik eingehüllt – sanfte Streichinstrumente verbanden sich mit leisen Klaviertönen zu zarten Melodien. Ein berauschender Duft nach Orchideen lag in der Luft.

Jaine trat ein und fand sich in einer Art Vorhalle wieder, in der Männer und Frauen in eleganter Abendkleidung hin und her gingen. Sie verschwanden oder kamen aus einer angrenzenden Tür. Alle waren unterschiedlich maskiert, und Jaines Augen wurden groß, als sie sah, wie knapp die Abendgarderobe bei einigen der Gäste ausgefallen war. Sie hatte ihr Kleid bereits für gewagt gehalten, aber einige der Frauen zeigten noch wesentlich mehr weiße oder gebräunte Schenkel oder Brüste in allen Größen und Formen. Auch die Herren waren sich nicht zu fein, sich zu zeigen. Direkt neben Jaine unterhielt sich ein Mann im feinen schwarzen Anzug mit einem Herrn, der lediglich einen nahezu nicht-existenten String über seiner gebräunten Haut trug.

Lorna, der Jaines Erstaunen nicht verborgen blieb, legte ihr die Hand auf den halbnackten Rücken.

»Willkommen im Haus der Tausend Masken«, sagte sie lächelnd und schob Jaine zur Tür. »Aber mach den Mund wieder zu – du hast noch gar nichts gesehen.«

Und die Aikane hatte recht. Als sie die Tür hinter sich gelassen hatten, fand Jaine sich auf einer Empore wieder, von der aus sie den Raum unter sich überblicken konnte. Hier waren noch mehr Männer und Frauen. Die meisten von ihnen tanzten zur Musik; Jaine sah jetzt endlich das Orchester, das auf einer Bühne, genau gegenüber der Empore, stand. Ein Mann in einem Frack sang einen Schlager aus den frühen zwanziger Jahren. Keiner schien sich daran zu stören, dass einige der Tänzer kaum bekleidet waren.

»Was ist das hier?«, flüsterte Jaine Lorna zu, die ihr Handgelenk umfasste und sie die Treppe hinunter auf die Tanzfläche zog.

»Der exklusivste Club in ganz Amerika«, erwiderte sie mit einem Lächeln. »Hier haben schon immer die reichen und einflussreichen Leute des Landes ihre Wünsche und Träume ausgelebt.«

Jaines Aufmerksamkeit wurde auf einen Mann gezogen, der auf einem Sofa abseits der Tanzfläche saß. Er küsste eine Frau in Korsage und Strapsen, die auf der Armlehne hockte. Eine weitere Frau kniete zwischen den gespreizten Beinen des Mannes und nahm seine steife Erektion tief in ihren Mund auf. Das Trio war halb hinter einem Vorhang verborgen, aber noch öffentlich genug, dass jeder ihnen zuschauen konnte.

»Das sehe ich«, murmelte Jaine. Lorna folgte ihrem Blick und zuckte mit den Schultern. »Das ist noch harmlos. Stört es dich?«

Jaine wurde rot. »Ich habe so etwas noch nie gemacht«, gestand sie und reckte den Hals, um die drei besser zu sehen. »Aber irgendwie … hat es was.«

Tatsächlich spürte Jaine, wie ihr warm wurde. In aller Öffentlichkeit Sex zu haben und dann auch noch zu dritt, war für sie neu. Vielleicht hätte sie sich abgestoßen fühlen sollen, aber sie merkte, wie ein sanfter Schauer über ihren Rücken und dann zwischen ihre Beine lief, während sie beobachtete, wie die Lippen der Frau immer tiefer glitten und der Mann in dem Mund der zweiten Frau aufstöhnte.

Umsichtig lotste Lorna Jaine an der Menge der tanzenden Gäste vorbei zu einer Bar. Sie bestellte und reichte Jaine dann ein Champagnerglas.

»Ich bin froh, dass ich dich richtig eingeschätzt habe«, meinte sie lächelnd und stieß mit Jaine an. »Auf einen schönen Abend, und dass du deine Sorgen vergessen kannst.« Jaine nickte. »Darauf, dass alle Sorgen vergessen werden«, wiederholte sie und nippte an dem Champagner. Er prickelte auf ihrer Zunge und ihren Lippen.

Plötzlich wurde das Licht gelöscht. Ein aufgeregtes Raunen ging durch das Publikum – nicht ängstlich, sondern erwartungsvoll. Noch ehe sich Jaines Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, flammte ein Lichtspot auf und beleuchtete einen kreisrunden Bereich auf der Bühne. Das Orchester und auch der Sänger waren nicht mehr zu sehen, die Musik lief jedoch weiter. Anscheinend war das Lied der letzten Minuten bereits von Band gekommen, und Jaine hatte es nicht bemerkt.

Auf der Bühne war eine breite leere Chaiselongue zu sehen. Eine Frau betrat die Bühne. Sie wiegte sich zum Takt der Musik, tanzte mit lockenden und gleichzeitig präzisen Bewegungen. Tangomusik erklang, und ein Mann erschien auf der Bühne. Jaine runzelte die Stirn. Er trug eine schlichte weiße Halbmaske. Jaine erkannte ihn jedoch, als ein zweiter Mann die Bühne betrat – sein Haar war fast weiß und die Augen hinter der schwarzen Maske tiefblau.

Beide Männer trugen nichts weiter als eine schwarze Hose, und Jaine sah, dass der eine trainiert und ein wenig massiger war als der drahtige Gegenspieler. Die Blicke beider Männer lagen konzentriert auf der Frau, die sich mal auf den einen, mal auf den anderen zubewegte.

Ihre Körper waren gespannt, und ihre Blicke verrieten einen ungeheuren Hunger auf die tanzende Frau, deren Bewegungen immer lockender und deren Tanzschritte immer erotischer wurden. Der Mann mit der weißen Maske zog sie plötzlich mit einem Ruck an sich, presste ihren Unterleib an seinen und führte sie über die Bühne. Die beiden schienen im Tanz miteinander zu verschmelzen, während der andere Mann die Fäuste ballte. Er besah sich das einige Augenblicke und entwand dann während einer Drehung die Hand der Frau. Sie ließ sich willig entführen, schmiegte sich jetzt ebenso an ihn, wie sie es zuvor mit dem anderen getan hatte.

Jaine vergaß ganz an ihrem Champagner zu nippen. Gebannt schaute sie dem Spektakel auf der Bühne zu, ohne zu bemerken, dass jemand zu ihr trat. Erst, als sie eine warme Hand auf ihrem nackten Oberarm spürte, sah sie auf. Lornas bernsteinfarbene Augen funkelten hinter der grünen Halbmaske. Die Maske verdeckte zwar Lornas obere Gesichtspartie, doch sie lenkte die Aufmerksamkeit nur umso deutlicher auf alles, was darunterlag. Was sie sah, waren sinnliche, schön geformte Lippen, und ein zart gerundetes Kinn.

»Gefällt dir das Schauspiel?«, fragte Lorna leise. Ihr Atem erzeugte einen wohligen Schauer auf Jaines Rücken. Jetzt nippte sie doch an ihrem Champagner, der sich warm in ihrem Bauch ausbreitete.

»Es ist anregend«, erwiderte sie und warf einen weiteren flüchtigen Blick zur Bühne. Die weiße Maske hatte die Frau zurückerobert und hielt sie nah bei sich. Der Gegenspieler versuchte es jetzt auf eine andere Art – er stand hinter ihr und hielt ihre Oberarme umfasst. Einer der beiden Männer hatte ihr das Kleid bis zu den Hüften heruntergezogen; sie trug keinen BH, und ihre Brüste waren für alle im Saal deutlich zu sehen. Der Mann mit der schwarzen Maske bewegte sich im gleichen Rhythmus wie die Frau. Seine Hände wanderten über ihre Arme zu den prallen Brüsten, die sich nur zu willig an seine Hände schmiegten. Von ihrer Position aus konnte Jaine deutlich sehen, wie die Brustwarzen der Frau zu kleinen, harten Nippeln wurden. Sie atmete tief ein; fast glaubte Jaine, die Hitze der Männerhände auf sich zu spüren.

Lorna neben ihr beugte sich abermals herunter, als wollte sie ihr wieder etwas ins Ohr flüstern. Aber ihre Lippen taten etwas ganz anderes. Jaine entfuhr ein leises Keuchen, als sie warme Nässe auf ihrem bloßen Hals spürte.

»Was tust du da?«, fragte sie.

Lorna richtete sich wieder auf und sah sie lächelnd an. »Du bist nicht die Einzige, die dieses Schauspiel anregend findet. Obwohl ich zugeben muss, dass der Geschmack deiner Haut noch viel verführerischer ist.«

Leicht amüsiert, schüttelte Jaine den Kopf. »Du bist ziemlich fordernd heute Abend«, erwiderte sie nicht ganz ernst und merkte, wie sehr es ihr gefiel, mit Lorna zu flachsen. Mit dem Champagner im Magen fühlte sie sich auf einmal so leicht, unbeschwert und frei.

Lorna lächelte. Ihre Finger strichen zart über Jaines Nacken. Seufzend schloss diese die Augen.

Es raschelte, als die Federn an Jaines Maske Lornas Maske streiften. Lornas Mund war quälend nah und doch so schmerzhaft weit entfernt.

»Ich will mich nicht mehr verstecken – die Maske reicht mir«, sagte die Aikane ungewohnt ernst. »Heute Nacht gibt es nur dich für mich.«

Jaine spürte ein warmes Prickeln und die Sehnsucht, diese Lippen zu berühren. »Ich bin also dein Lustobjekt für heute Nacht?«, fragte sie schmunzelnd.

Lorna lachte leise. »Du bist meine Königin für diese Nacht«, sagte sie an Jaines Mund, entzog sich ihr aber, als eine Frau deutlich hörbar stöhnte. Jaine schaute mit verschleiertem Blick wieder zur Bühne. Die Frau trug mittlerweile nur noch einen Slip und die High Heels – der Mann in der schwarzen Maske hatte sie nun für sich erobert und widmete sich hingebungsvoll dem langen schlanken Hals, während sie sich an seinem Nacken festhielt. Der andere Mann stand etwas versetzt zu dem Paar und küsste ihre Schulter. Eine Hand lag auf ihrem Po, die andere war tief zwischen ihren Schenkeln vergraben. Der Ausdruck auf dem Gesicht der Frau zeugte von reiner Lust.

Jaine spürte, wie unter dem Kleid ihre eigenen Brustwarzen fest wurden und sich gegen die Seide drückten. Lorna neben ihr strich darüber, und Jaine seufzte tief auf. Das schien der Aikane Einladung genug: Sie streifte das Kleid so weit herunter, dass Jaines Brüste freigelegt wurden.

Lorna beugte sich tiefer und küsste sie. Ihre Hand spielte mit der linken Brust, während ihr Mund die rechte verwöhnte, den steifen Nippel küsste und mit der Zungenspitze umkreiste. Jaine presste die Lippen zusammen, um nicht allzu laut zu werden, aber ein Blick in das nahe Publikum zeigte ihr, dass das gar nicht nötig war. Viele der Anwesenden hatten sich ebenso vom Anblick auf der Bühne verführen lassen wie Jaine. Einige schauten dem Spektakel noch weiter zu, andere hatten sich in die Ecken und Nischen zurückgezogen, um sich ungehindert ihrer Lust hingeben zu können. Ein paar liebten sich gleich auf der Tanzfläche.

Lorna kümmerte sich um nichts davon – ohne Scheu verwöhnte sie Jaines Brüste, spielte mit ihnen und widmete sich nur ihr.

Die junge Frau drückte den Rücken durch und stützte sich auf dem Barhocker hinter sich ab, um Lorna ihren ganzen Körper zu schenken. Und Lorna nahm das Geschenk an, indem sie vor ihr niederkniete und langsam den Saum ihres Kleides höher schob. Jeden Zentimeter der nackten Haut bedachte sie mit Küssen, Lecken und zarten Bissen. Jaines spürte, wie das Blut in ihren Ohren rauschte. Scham meldete sich von irgendwoher, aber es war eine fremde Stimme, die ihr zuflüsterte, dass man so etwas nicht täte. Nicht ihre eigene. Lornas sanfter, suchender Mund brachte sie schnell zum Schweigen.

Jaines Blick wanderte immer wieder von dem schmalen Rücken, der vor ihr kniete, zu den dreien auf der Bühne. Die Frau stand mittlerweile zwischen beiden Männern. Der eine hielt ihre Beine gespreizt, während die Finger des anderen deutlich in ihren Schoß glitten, um die Klitoris kreisten und sie neckend anstupsten. Die Frau hatte den Kopf in den Nacken gelegt und stöhnte ihre Lust hemmungslos hinaus. Manchmal wurde ihr ein Kuss von einem der beiden Männer geraubt, und sie ließ es gerne zu.

Lorna hatte Jaine das Kleid mittlerweile bis zum Po hochgeschoben und ihre Beine gespreizt. Als sie sie ansah, lag eine Frage in ihrem Blick, die Jaine mit einem Nicken beantwortete.

Die Aikane schmunzelte, und zog Jaines Höschen mit einem Ruck herunter. Jaine, die nun fast auf dem Rand des Hockers saß, schluckte hart und fuhr mit den Fingern durch Lornas Haar. Es war weich und fühlte sich wundervoll an. Sie grub alle zehn Finger hinein und brachte Lorna dazu, zu ihr aufzusehen.

»Meine Königin«, murmelte diese mit dunklem Blick, ehe sie den Kopf wieder senkte und ihre Zunge tief in Jaine stieß. Diesmal schrie Jaine wirklich auf und drängte ihre Scham näher an Lornas Mund. Lornas Zunge war geschickt – mal reizte sie sie, indem sie jeden Winkel ihrer nassen Weiblichkeit erkundete, mal machte sie ihre Zunge hart und fickte sie damit tief und heftig.

Jaine wand sich, hielt ihre Hände in Lornas Haar vergraben und sah aus halbgeschlossenen Augen, wie auch die Frau auf der Bühne sich dank der beiden Männer ihrem Höhepunkt näherte.

Jaine keuchte, als sie spürte, wie ihr Körper sich anspannte. Sie legte ihre Hand in den Nacken ihrer Aikane und zog sie zu sich herauf. Diese schien zu ahnen, was sie wollte, beeilte sich, aufzustehen und Jaine mit einem tiefen Kuss in Besitz zu nehmen. Ihr Arm schlang sich um ihre Taille und ihre Finger brachten zu Ende, was ihre Zunge begonnen hatte.

Der Orgasmus war überwältigend – Jaine sah zu und wurde selbst beobachtet, während sie sich einfach der Ekstase hingab und jede einzelne Sekunde davon genoss. In diesem Augenblick nahm sie alles viel deutlicher wahr: den Geruch der Lust ihrer Aikane, die sie hielt, die harten Muskeln in ihren Schultern, in die sie sich krallte, ihren Mund, der sie vor wenigen Augenblicken noch hatte aufstöhnen lassen und sie jetzt so sanft liebkoste.

Und Jaine wünschte sich, dass es auf ewig so bleiben würde.