Etwas krachte – irgendwo im Wald musste ein Blitz in einen der Bäume eingeschlagen sein. Jaine warf einen unsicheren Blick zum Fenster und hoffte, die Hütte würde halten. Ihre Aufmerksamkeit wurde jedoch schnell wieder von Michael auf sich gezogen. Er saß im Wohnzimmer, den Kopf auf die Hände gestützt.

»Was hast du dir dabei gedacht, mir einfach nachzuspionieren?«, fragte sie abermals. »Woher weißt du überhaupt, wo ich bin?!«

»Ich sagte doch schon, Eileen hat …«

»Eileen weiß nicht, dass ich hier bin!«, erwiderte Jaine wütend. Hatte sie sich so sehr in Michael getäuscht?

Er schien mit sich zu ringen und sah zu Lorna, die stumm an der Wand lehnte, aber seit Michaels Eintreffen nichts gesagt hatte. Es war ohnehin alles chaotisch verlaufen – noch bevor Michael erklären konnte, was er hier machte, hatte der Sturm eingesetzt. Von der einen Sekunde zur anderen war es dunkel gewesen, und Regen, wie ihn Jaine in Neuengland noch nie erlebt hatte, hatte eingesetzt. Erst als sie Zuflucht in der Hütte gesucht hatten, war ihr aufgegangen, warum Michael hier war: Er misstraute ihr und hatte ihr hinterherspioniert.

Die Erkenntnis hatte ihr schlechtes Gewissen wieder angespornt, denn wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie ihn angelogen und hintergangen, als sie sagte, dass sie einfach nur in den Urlaub fahren würde. Und in diesem »Urlaub« hatte sie sich auf Lorna eingelassen, eine Frau, die mit einem Mal viel mehr als eine Aikane für sie war. So viel mehr.

Dennoch konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass Michael ihr nicht vertraute.

»Jaine, du muss mir glauben …«

Er brach ab und warf Lorna einen unsicheren Blick zu, die den Kopf zur Seite neigte, aber dann doch das Zimmer verließ.

»Ich wollte mit dir reden. Es gibt Dinge, die ich dir nicht gesagt habe. Und danach wirst du sehen, dass ich dir vertraue und niemals wehtun wollte. Auch wenn du danach nicht mehr sonderlich gut über mich denken wirst.«

Diese Aussage überraschte Jaine und ließ sie kurzzeitig ihre Wut und sogar den Taifun vor der Tür vergessen, der wild an den verriegelten Fenstern rüttelte.

Sie setzte sich zu Michael auf das weiche Sofa. »Was willst du damit sagen?«, fragte sie, unsicher geworden.

Seine Hand zuckte vor, als wollte sie sich auf ihre legen, aber in der letzten Sekunde hielt er sich zurück. Sein Blick ruhte weich auf ihr. Als er bemerkte, dass sie ihn auch ansah, senkte er ihn rasch wieder.

»Ich wusste von Anfang an, wo ihr hinfahren würdet. Eileen und ich hatten darüber gesprochen. Sie hatte mir erzählt, wie unglücklich du bist, weil unser Sex nicht gut ist, und ich habe mir Vorwürfe gemacht. Eigentlich habe ich dich immer nur glücklich machen wollen, aber es hat nicht funktioniert. Wenn wir miteinander schlafen«, er atmete tief durch und rieb sich nervös über den Handrücken, »du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schön es für mich ist. Wie sehr ich dabei fühle, dass ich dich liebe, und ich will dir das zeigen. Aber ich habe Angst, dir dann wehzutun. Oder etwas falsch zu machen. Ich weiß ja, dass du vor mir noch nie mit einem Mann geschlafen hattest, und gerade deshalb will ich es immer richtig machen. Aber nachdem Eileen bei mir gewesen war, hatte ich verstanden, dass ich damit im Grunde alles falsch machte. Du konntest dich bei mir nicht fallen lassen oder es genießen, weil ich dir einfach nichts gab, was du genießen konntest. Das war auch der Tag, an dem Eileen mit von dem Dreamfair-Resort erzählte. Sie sagte, es würde dir neue Möglichkeiten eröffnen, und ich habe dadurch gehofft, dass du endlich all das bekommst, was ich dir nicht geben konnte.«

Er brach ab und fuhr sich wieder durch die Haare. »Eileen und ich wussten, dass du freiwillig niemals dorthin gehen würdest, und das ist auch einer der Gründe, warum ich dich liebe. Aber auch genau deshalb wollte ich, dass du herfährst. Ich wollte, dass du endlich das bekommst, was du schon so lange verdienst. Also besorgten wir die Pornos und versteckten sie in meinem Nachttisch. Eileen erzählte dir von Dreamfair, und dass sie mit dir dorthin fahren würde. Und es hat auch funktioniert.« Auch wenn er das sagte, war da kein Triumph in der Stimme.

Jaine sah ihn an. Erst nach einer Weile konnte sie ihrem Ärger endlich Luft machen. »Wie kannst du es wagen, und wie kann Eileen es wagen, mich derartig zu manipulieren?! Du hättest mich jedem Mann auf dieser Insel in die Arme getrieben?!«

»Nein, so meinte ich das nicht!«, verteidigte Michael sich. »Ich wollte nur, dass du glücklich bist.«

»Indem du mich anlügst und irgendwohin verfrachtest, wo ich theoretisch mit einem Dutzend Männern am Tag hätte schlafen können.«

Michael verzog das Gesicht, als hätte ihn jemand geschlagen. »Hast du?«, fragte er leise.

»Ist es ist das, was du wolltest?«, gab sie kühl zurück.

Er ließ die Schultern hängen und sah zu Boden. »Nein«, antwortete er. »Nein, das war niemals das, was ich wollte. Was ich wollte, war, dass du glücklich bist.«

»Ist dir in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht bereits glücklich war, mit dir in Neuengland?!«

»Wohl kaum, sonst hättest du es nicht nötig gehabt, dich von einer Frau mit Gummidildo vögeln zu lassen.«

Die Worte waren ausgesprochen, bevor auch nur einer der beiden es verhindern konnte. Jaine starrte ihren Verlobten an, und der wirkte, als wäre er selbst erschrocken über das, was er gesagt hatte. Sie schüttelte nur den Kopf, riss die Tür auf und lief hinaus in den tosenden Sturm, ohne weiter auf Michael zu achten.

Sie war aus Michaels Blickfeld verschwunden, noch bevor er einen Fuß vor die Tür hatte setzen können. Angst machte sich in ihm breit. Hatte er sie jetzt vollkommen verloren? Er konnte sie doch nicht allein in das tosende Unwetter lassen, vor allem nicht kaum bekleidet und inmitten des riesigen Dschungels. Gerade als er ihr hinterherstürmen wollte, hielt eine zierliche Hand ihn fest. Die schöne Frau namens Lorna sah ihn eindringlich an, und ihre ganze Gestalt erinnerte ihn an einen schwarzen Panther, der ihm notfalls mit wenigen Krallenstrichen das Fleisch von den Knochen fetzen konnte. »Wir suchen sie. Aber nicht so.«

Sie reichte Michael eine wasserdichte Jacke und einen kleinen Rucksack, von dem ein zusammengerolltes Seil hing. Lorna selbst trug ebenfalls eine Wetterjacke und zog sich noch Wanderstiefel an. »Es hilft Jaine nicht, wenn einer von uns bei der Suche nach ihr stürzt und sich etwas tut.«

Michael war sich nicht ganz sicher, was er von dieser Frau halten sollte, die so offensichtlich intim mit seiner Verlobten geworden war, und auch sie wirkte nicht sonderlich glücklich über sein plötzliches Auftauchen, auch wenn er bisher nichts Negatives aus ihrem Mund gehört hatte. Allgemein schien sie nicht sehr gesprächig zu sein.

»Fertig?«

Er nickte und sie gingen hinaus. Der Wind riss ihm fast die Tür aus der Hand, und nur gemeinsam schafften sie es, sie wieder zu schließen. Lorna zog sich die Kapuze über den Kopf und zurrte sie fest, während Michael noch mit seiner kämpfte. Einigermaßen gegen das Unwetter gewappnet, stapften sie los. Michael folgte einfach stumm dieser Pantherfrau. Seine Worte wären ohnehin durch den Wind fortgerissen worden, und was hätte er ihr auch sagen sollen?

Sie schien den Dschungel gut zu kennen, denn sie fand immer einen Weg durch jedes noch so unwegsame Gelände, auch wenn der andauernde Regen und heruntergefallene Äste oder umgestürzte Bäume sie oft zu Umwegen zwangen.

Manchmal riefen sie nach Jaine, und Michael mochte sich kaum ausmalen, wie sie sich fühlte. Seine Angst war wie eine riesige Faust, die sein Herz zu zerquetschen drohte. Ihm wäre es egal, wenn sie ihn ewig hassen würde und plötzlich mit Lorna wegginge, solange er sie nur gesund wiederfand!

Sie liefen zwischen dichten Farnbüscheln, die ein Durchkommen geradezu unmöglich machten. Nur der nahezu weggespülte Pfad ermöglichte ein Durchkommen. Lorna lief weiter voran. Doch plötzlich blieb sie stehen. Der Taifun hatte einen riesigen Baum direkt auf den Weg umstürzen lassen. Er war zu groß, um einfach um ihn herumzugehen oder darüberzuklettern. Michael sah Lorna zögern, bevor sie sich umdrehte.

»Wir gehen einen anderen Weg«, erklärte sie und ließ diesmal Michael vorgehen, doch bald mussten sie wieder haltmachen – wo vorher der Weg gewesen war, befand sich nun ein Wasserfall, der Farn, Erde und Boden mit sich fortriss.

»Hier kommen wir nicht durch!«, rief Michael, und Lorna sah das offensichtlich genauso. Ihr Kopf ruckte herum, und sie deutete auf einige große Felsen, die über ihnen aufragten. »Versuchen wir es dort«, schlug sie vor.

Sie kletterten so gut es ging den matschigen Hang hinauf, bis sie endlich zwischen den Felsen standen. Lorna zog eine Taschenlampe aus Michaels Rucksack und leuchtete in eine dunkle Spalte, die sich erweiterte. Dort gab es eine Höhle. Wortlos und wie auf ein Zeichen passierten sie beide den mit Moos überwachsenen Eingang. Die Höhle wirkte nicht riesig, aber ein erstes Hineinleuchten zeigte zahllose Nischen und Gänge, die sonst wohin führen mochten. Michael hatte jedenfalls keine Lust, das herauszufinden. Für den Moment war er dankbar, dass es für wenige Augenblick trocken war, und er hoffte, dass Jaine so viel Glück wie sie gehabt hatte und sich ein trockenes Plätzchen suchen konnte.

Lorna und er standen am Eingang und sahen in den Regen hinaus. »Du bist ein Idiot«, sagte sie unvermittelt und ohne ihn anzusehen.

Michael runzelte die Stirn. »Wie bitte?!«

»Du hast mich verstanden«, erwiderte Lorna. »Du weißt gar nicht, was für ein Geschenk dir gegeben wurde. Eine Frau wie Jaine ist etwas, was auf dieser Welt gar nicht mehr existiert. Reine, unverfälschte Unschuld. Und du versuchst sie mit allen Mitteln zu etwas zu machen, was sie nicht ist.«

Jetzt war Michael verärgert. »Woher willst du das wissen? Nur weil du einmal mit ihr …«

Lornas Lachen unterbrach ihn. »Denkst du, es geht nur um Sex? Natürlich, es sollte mich nicht überraschen.« Sie schob ihre Kapuze zurück und sah Michael direkt an. »Jaine ist ein Geschenk«, wiederholte sie, »und jeder, der das Glück hat, dass sie ihm ihre Liebe schenkt, sollte so behutsam wie möglich damit umgehen. Du wolltest sie doch nur zu einem willigen Weibchen machen, das dir im Bett alle Wünsche erfüllt.«

»Nein, das ist nicht wahr!« Michaels Stimme hallte laut in der Höhle nach, aber er achtete nicht darauf. »Jaine ist mein Leben – das Letzte, was ich will, ist, dass sie mir zu Diensten ist. Im Gegenteil. Ich will ihr Erfüllung geben, Lust und Liebe. Ich will, dass sie glücklich ist. Und ich hatte gehofft, dass sie das hier finden würde. Eine dumme Hoffnung.«

Lorna sah ihn an, nicht mehr mit Abscheu, sondern mit unverhohlener Neugierde. Nachdenklich wandte sie den Blick wieder ab.

»Und was, wenn Jaines Glück darin liegen würde, mit mir wegzugehen? Wenn sie bei mir bleiben würde?«

Michael hatte geahnt, dass so eine Frage kommen würde, dennoch traf sie ihn unvorbereitet. Über die Antwort musste er jedoch nicht lange nachdenken.

»Dann würde ich sie gehen lassen«, sagte er leise. Es war die Wahrheit. Wenn Jaine ihn bitten würde, sie gehen zu lassen, damit sie mit Lorna zusammen sein konnte, würde er sie freigeben. Er wollte, dass sie glücklich war. Nicht mehr und nicht weniger.

»Habe ich jemals behauptet, dass ich mit ihr weggehen will?«

Die Stimme war dünn und tränenerstickt. Sowohl Lorna als auch Michael fuhren herum und liefen tiefer in die Höhle hinein. In einer Spalte sahen sie Jaine hocken. Ihre Kleidung war schmutzig und zerrissen. Die Arme wärmend um sich geschlungen, weil sie vom Regen zitterte, schaute sie ihre beiden Liebhaber an.

»Und warum hast du mir nicht gesagt, dass mehr hinter deinen Lektionen steckt?«, fragte sie Lorna.

Jaine erhob weder die Stimme, noch wirkte sie wütend, eher traurig. »Ihr beide habt mich wie ein Kind behandelt. Keiner von euch beiden hat mich in seine Gefühle eingeweiht oder mit mir darüber gesprochen. Ihr habt mich beide manipuliert und das getan, von dem ihr dachtet, es sei das Beste für mich. Aber keiner von euch beiden hat sich die Mühe gemacht zu fragen, was das Beste für mich ist. Ihr habt mir nicht zugetraut, für mich selbst zu entscheiden.«

Sie stockte und sah erst Michael, dann Lorna an. »Und das alles nur, weil ihr mich liebt.«

Lorna senkte beschämt den Blick, aber Michael sah Jaine an. »Ja«, erwiderte er. »Weil wir dich lieben.«

Jaine sah die beiden Menschen vor sich an und ergriff dann Michaels Hand. Sie fror noch immer, aber es war egal. Ihre Arme legten sich um seinen Nacken, und sie küsste ihn innig und mit all der Sehnsucht, die sie über die letzten Tage gespürt hatte. Sie wollte ihm zeigen, dass sie ihm vergeben hatte, und sein Kuss war eine erleichterte Erwiderung.

Etwas raschelte, und aus dem Augenwinkel sah Jaine, dass Lorna sich weiter in die Höhle zurückziehen wollte. Jaine löste sich von Michael und hielt ihre Aikane zurück. »Wo willst du hin?«

»Die Versöhnung nicht stören.« Noch immer hielt Lorna den Blick gesenkt.

Jaine lächelte, umfasste die Wangen ihrer Geliebten und küsste sie ebenso tief wie Michael zuvor. »Du bist doch ein Teil davon, wie sollst du da stören?«

Die Aikane sah sie mit großen Augen an. Ihr Blick huschte zu Michael, der zu den beiden Frauen getreten war und seine Hände sacht auf Jaines Hüften gelegt hatte. Er überragte Jaine ein wenig und war somit auf Augenhöhe mit Lorna. Jaine bemerkte den Blick, den beide tauschten. Es war ein unsicheres Abschätzen und dann das Verstehen, dass sie beide eigentlich nur dasselbe teilten und wollten.

Michael streckte vorsichtig seine Hand aus und legte sie sacht auf Lornas Nacken. Er zog sie näher, in Jaines Arme, die sich an ihre Aikane schmiegte. Lorna atmete zittrig ein und legte das Kinn auf Jaines Schulter. Die Wärme war tröstlich und sorgte dafür, dass Jaine aufhörte zu zittern. Sie öffnete Lornas Jacke und schob ihre noch immer kühlen Hände und Arme darunter. Bereitwillig zog die Aikane sie an sich. Michael öffnete ebenfalls seine Jacke und ließ sich von Lorna näher ziehen, so dass auch Jaines feuchter Rücken gewärmt wurde. Sie seufzte zufrieden. Endlich war alles perfekt.