»Ist es gut so?«

»Ja, schon in Ordnung, mach einfach weiter.« Jaine musste unwillkürlich lächeln, als Michael sich wieder einmal während ihres Liebesspiels solche Sorgen um sie machte. Eigentlich fand sie es süß, und es gefiel ihr auch, wirklich, nur manchmal … Jaine unterdrückte ein Seufzen, während Michael seinen Rhythmus wieder aufnahm und in gleichmäßigen Stößen immer wieder in sie glitt.

Manchmal, und nur nach einigen Gläsern Sekt, vertraute sie ihrer besten Freundin Eileen an, dass sie sich hin und wieder beim Sex dabei ertappte, wie sie über die anstehende Renovierung ihrer Frühstückspension nachdachte. Ihr tat es immer unglaublich leid, wenn sie auch nur daran dachte, weil Michael so fürsorglich mit ihr umging.

»Süße«, pflegte Eileen in solchen Momenten zu sagen, »du musst im Bett endlich mal die Zügel in die Hand nehmen. Das geht doch so nicht mehr weiter – immer nach demselben Muster. Du kannst doch bestimmt schon die Uhr danach stellen, wann das Vorspiel vorbei ist und ihr endlich zur Sache kommt.«

Jaine hatte geschwiegen und in einem gespielten Schmollen die Mundwinkel nach unten gezogen, aber insgeheim hatte sie ihrer Freundin recht geben müssen. Michael fing immer am Ohrläppchen an, leckte dann erst an der linken und dann an der rechten Brustwarze und küsste sie auf den Bauchnabel, ehe seine Finger sich zwischen ihre Beine schoben. Und Jaine spreizte schon automatisch die Schenkel, sobald sie Michaels Lippen auf ihrem Bauch spürte.

Jetzt stöhnte er laut auf und küsste sie innig. Jaine seufzte und schlang ihm die Arme um den Oberkörper. »Danke«, raunte ihr Verlobter an ihrem Ohr und zog sich behutsam aus ihr zurück.

»Hast du die Maler schon angerufen?«, fragte Jaine ihn, während sie beobachtete, wie er sich aufsetzte und nach seiner Hose angelte.

»Hab ich gestern schon gemacht, Liebling«, antwortete er und strahlte, als er die Hose endlich erreicht hatte. Er sah dabei aus wie ein kleiner Junge, was Jaine unwillkürlich lächeln ließ. Sie waren schon so lange zusammen, dass sie fast jeden seiner Gesichtsausdrücke kannte, aber immer wieder wunderte sie sich darüber, wie süß Michael sein konnte. Es war genau die richtige Entscheidung gewesen, Ja zu sagen, als er sie vor ein paar Monaten gebeten hatte, seine Frau zu werden. Ein Leben ohne ihn konnte sie sich nicht mehr vorstellen – und sie freute sich darauf, mit ihm zusammen nach der Hochzeit ihre kleine Frühstückspension im Herzen von Neuengland zu eröffnen. Das Leben war perfekt. Na ja, fast.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein!« Eileen warf ihr langes Haar zurück, und die grünen Augen funkelten. »Du bist schon wieder nicht gekommen?!«

Jaine wollte vor Scham im Boden versinken. Die ersten Gäste im Café sahen schon zu ihnen herüber, und sie hob beschwichtigend die Hand. »Um Himmels willen, Eileen, das muss doch auch leiser gehen.«

Tatsächlich beruhigte ihre Freundin sich etwas, aber sie wirkte noch immer verärgert. »Versteh mich nicht falsch, Süße, ich denke, dass dein Michael ein wirklich netter Kerl ist, aber im Bett ist er eine absolute Niete.«

»So schlecht ist er ja nun auch wieder nicht«, murmelte Jaine in ihr Latte-Macchiato-Glas, aber Eileen war nicht mehr zu bremsen.

»Das kann doch nicht sein, dass du ihm seit Monaten einen Orgasmus vorspielst und er es nicht mitbekommt. Gibt er sich denn beim Lecken keine Mühe?«

Jaine verschluckte sich fast an ihrem Milchkaffee. »L… lecken?«

Eileen kniff die Augen zusammen und musterte ihre Freundin äußerst aufmerksam. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht und ihr Mund wurde zu einem runden, erstaunten O. »O mein Gott! Er hat dich noch kein einziges Mal geleckt?«

»Ich steh nicht auf so exotischen Kram«, erwiderte Jaine und betete, dass sich endlich ein Loch im Boden auftat und sie mitsamt Tisch und Eileen verschlang.

»Das ist nicht exotisch – das ist essentiell«, erklärte Eileen. »Ist er denn wenigstens mit den Fingern gut?«

»Eileen, verdammt!« Jaine spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss und versteckte sich wieder hinter ihrem Glas. Aber schon im nächsten Augenblick hätte sie fast ihren Latte quer über den Tisch gespuckt.

»Besorgst du es dir wenigstens selbst?«

»Bist du wahnsinnig? Was für eine Frage ist das denn?!«

Eileen warf den Kopf in den Nacken und lachte. Sie tätschelte Jaines Hand und kicherte, während sie sagte: »Du meine Güte, Liebes, jetzt sag bloß nicht, dass du eine solche Jungfer bist?«

Jaine war nahe daran, wirklich beleidigt zu sein. »Nur weil ich nicht jede Nacht mit einem anderen …« Sie biss sich auf die Lippe. Das war Eileen gegenüber nicht fair. Diese schien sich aber nicht daran zu stören.

»Ich habe gerne Sex«, gab sie ruhig und ohne jeden Vorwurf zu. »Und wenn mir ein Mann gefällt, schlafe ich mit ihm. Ich bin einfach nicht der Typ für eine feste Bindung, und ich genieße mein Singledasein und Sex. Mich macht es glücklich, so zu leben. Und ich würde mir zumindest wünschen, dass du wenigstens ein bisschen von diesem Glück abbekommst.«

Nun fühlte Jaine sich mies, und ihr Gesicht war nicht nur rot, es brannte regelrecht. »Entschuldige, ich wollte das auch nicht sagen.«

»Doch, das wolltest du, und das ist auch okay. Aber das löst nicht das Hauptproblem.«

»Eigentlich ist es ja auch kein Problem«, log Jaine.

»Doch, das ist es«, widersprach ihr Eileen und schob ihren kalt gewordenen Espresso von sich, nachdem sie einen Schluck davon probiert und dann angeekelt das Gesicht verzogen hatte. »Du hast ebenso sehr Anspruch auf Befriedigung wie dein Michael. Und wenn du offensichtlich nicht weißt, wie das geht, dann solltest du es lernen.«

Nun musste Jaine leise lachen. »Gibt es so etwas wie eine Sex-Schule?«, fragte sie und musste über diesen völlig absurden Gedanken grinsen.

Aber Eileen war noch immer ernst. Sie sah nachdenklich in die Luft. »Ich habe eine Freundin in New York. Sie leitet eine erotische Agentur namens Petite Mort. Und wenn jemand Näheres darüber weiß, dann sie.«

Jaines Grinsen verschwand. »Das meinst du doch nicht ernst?«

Eileen lächelte.

Zwei Tage später erhielt sie eine E-Mail von Eileen, mit einem Link und dem Satz: »Schau es dir an – das ist perfekt.« Sie sah sich um, ob Michael in der Nähe war, aber um diese Zeit war er meist nicht im Haus, sondern in der Pension, um zu sehen, wie die Maler vorankamen. Dennoch wollte sie auf Nummer sicher gehen, ehe sie den Link anklickte. Jaine war früher schon durch Zufälle auf Pornoseiten gewesen und war von den Bildern wild hüpfender Frauen auf monstergroßen Schwänzen eher angewidert als angeregt gewesen, und sie befürchtete, dass Eileens Link sie zu genau so einer Seite führen würde. Wenn Michael sie mit so etwas erwischte, würde sie vor lauter Scham sterben!

Mit einem weiteren Klick war sie auf der Homepage, und Jaine merkte, dass sie nervös auf ihrer Unterlippe herumbiss. Sie beugte sich vor, als die Homepage endlich geladen wurde. Der Anblick war erfreulich harmlos und erinnerte mehr an die Seite eines Ferienresorts. Ein großes Foto von einem weißen Strand am Meer war zu sehen. Darüber prangte ein ebenso weißer Schriftzug – Dreamfair.

Jaine scrollte hinunter und fand dort neben den üblichen Hinweisen auf das Impressum und andere Dinge auch zwei Menüpunkte in verschnörkelter Schrift, die sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen: Team und Kurse. Der Cursor fuhr über den Bildschirm und blieb über dem Punkt »Kurse« stehen. Nach kurzem Zögern klickte Jaine den Schriftzug an, und sie wurde auf eine andere Seite weitergeleitet. Der Hintergrund wurde weiß, und darauf erschienen mehrere Vierecke in verschiedenen Farben. In jedem dieser Kästchen standen dick gedruckt der Kursname und eine kurze Beschreibung. Jaine klickte probeweise das violettfarbene Kästchen mit der Aufschrift »Kamasutra« an, und das Viereck vergrößerte sich, bis es den gesamten Bildschirm einnahm. Eine Grafik kam hinzu, von einem Pärchen, das sich in einer unwirklich wirkenden Pose umeinander wand. Darunter stand: »Lernen Sie die Kunst des fallenden Kusses kennen und die Genüsse, die Lingam und Yoni sich gegenseitig schenken können. Egal ob Hündin, Häsin oder Stute – egal ob Elefantenbulle, Fuchs oder Tiger. Die Kunst des Kamasutra wird Ihnen beibringen, wie Sie die Fähigkeiten Ihres Körpers voll auskosten können.«

Ein weiterer Klick auf das violette Bild verkleinerte es wieder. Insgesamt machte die Seite auf Jaine einen ganz sympathischen Eindruck – als sie ein wenig nach Preisen suchte, fand sie heraus, dass zwei Wochen in diesem auf Hawaii liegenden Dreamfair gerade noch in ihrem Budget lagen. Die Webseite versprach, dass man in zwei Wochen mühelos lernte, wie man das Liebesleben mit dem eigenen Partner um ein Vielfaches steigern konnte. Die einzige Bedingung war, dass man nicht als Pärchen anreiste.

Jaine schloss die Seite wieder. Ohne Michael würde sie so etwas nicht einmal in Erwägung ziehen! Das konnte Eileen sich abschminken. Sie schrieb ihrer Freundin, dass ihr das Angebot zwar gefiel, aber für sie nicht infrage kam. Toller Sex war schließlich nicht alles im Leben.

Am Abend war Michael noch immer in der Pension. Er rief Jaine von dort aus an und erklärte ihr, dass er auch in der Pension übernachten würde, da sich so spät eine lange Fahrt nicht mehr lohnte. Jaine kannte das schon, und sie ging daher nicht unglücklich allein ins Bett. Dort fiel es ihr aber schwer einzuschlafen. Und nachdem sie sich mehrmals hin und her gewälzt hatte, beschloss sie, in Michaels Nachttischschublade nach ein bisschen unbekanntem Lesestoff zu suchen. Ihre tastenden Finger fanden ein Magazin, und sie zog es heraus – nur um es Sekunden später sprachlos anzustarren.

Auf dem Cover räkelten sich zwei nackte Frauen, und zwischen ihnen lag ein Mann, zwischen dessen Beinen eine deutliche Erektion aufragte. Die drei schienen Spaß daran zu haben, sich auf dieser Spielwiese namens Bett zu wälzen. Jaine wusste, sie sollte das Heft weglegen, aber von einem inneren Impuls getrieben, blätterte sie es durch. Der Inhalt zeigte eigentlich immer das Gleiche: zwei Frauen und einen Mann in verschiedenen Positionen.

Sie legte das Heft schließlich doch zurück und beugte sich über die Schublade. Dort fand sie noch mehr Hefte dieser Art und auch zwei DVDs. Und immer wieder ein Mann mit zwei Frauen. Jaine spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Wünschte Michael sich das? Betrog er sie vielleicht sogar mit anderen Frauen, um seine Neigungen auszuleben? Träumte er beim Sex mit ihr heimlich davon, dass noch eine andere Frau dabei wäre?

In Jaines Kopf drehte sich alles. Sie fühlte sich verraten, verwirrt und vor allem unglaublich unsicher. Mit so etwas hätte sie niemals gerechnet. Alles in ihr schrie: Weg von hier! Und genau aus dem Grund griff sie zum Telefon und rief Eileen an.