7. Ein Trio in der Unterwelt

 

Es gelang ihnen, den in den anderen beiden Traktoren verbliebenen Treibstoff in Heems Fahrzeug umzufüllen, und sie setzten ihre Fahrt zum Depot mit einer verschwenderischen Geschwindigkeit fort. Heem meldete von dort den Unfall des Squam und fügte eine genaue Ortsangabe hinzu; er erhielt die Zusicherung, daß man den Squam retten würde. Dann überquerten sie weitere Lavabrücken und fuhren den Berghang hinauf, dem Weg folgend.

Sie erreichten eine Stelle, wo man von ihm abbiegen und den besseren Weg erreichen konnte. Doch die Karte erwies sich als irreführend: es war eine steil abfallende Bergflanke. Der Traktor war natürlich durchaus in der Lage, ihn hinabzugleiten, doch das Unfallrisiko war sehr hoch, und es war unmöglich, die Strecke in entgegengesetzter Richtung zu fahren. Niemand konnte zu diesem Weg gelangen.

»Ich bin mißtrauisch«, sagte Jessica. »Warum sollten sie es möglich machen, diesen schlechten Weg zu verlassen, doch nicht, auf ihn zu gelangen?«

»Weil andere, zu spät, die Bedeutung seiner Hochlage erkennen mögen. Niemand, der diesen Weg nicht von Anfang an gewählt hat, kann sich seine Vorteile nutzbar machen.«

Was bedeutete, daß es hier nur wenig Konkurrenz geben würde. Es mochten sich drei Traktoren vor ihnen befinden, auf keinen Fall mehr, und hinter ihnen lag keiner. Doch durfte man sich davon nicht irreführen lassen, denn die wirklichen Konkurrenten konnten auf den vier anderen Wegen voranrollen.

Sie fuhren den Hang hinauf. Als sie den Gipfel des Berges erreichten, war ihr Treibstoffvorrat fast erschöpft. Heem hatte Treibstoff geopfert, um Zeit zu gewinnen, die zu der Zeitreserve kam, die er bereits vorher aufgebaut hatte, von der jedoch nicht viel übrig geblieben war. Er hoffte, daß er trotz allem noch mehr Treibstoff hatte als der vor ihm liegende Traktor. Er wollte unbedingt vor den die Brücken sabotierenden Erb gelangen.

Der abfallende Hang des Berges erlaubte es ihm, den Motor abzustellen und weite Strecken im Leerlauf zu rollen, wobei er weiteren Treibstoff einsparte. Jetzt zahlte sich seine Streckenwahl aus. Sie würden die Traktoren auf den anderen Wegen einholen, und auch die drei, die auf diesem Weg vor ihm lagen. Jede Blockierung der Strecke, die auf den anderen Routen eintreten mochte, war für ihn ein Vorteil. Doch er hatte in der Höhle viel Zeit verloren; war seine derzeitige Geschwindigkeit ausreichend, sie wieder einzuholen?

Sie rollten auf einen liegengebliebenen Traktor zu. »Kein Treibstoff mehr!« rief Jessica aus. »Ist von der kleinen Bodenwelle gestoppt worden. Es klappt, Heem; wir halten länger durch als die anderen!«

So schien es wirklich. Heem schmeckte den anderen Fahrer als Erb; es war der Fahrer, der sie überholt und dann die Falle auf der Brücke für sie aufgestellt hatte.

»Laß ihn in Ruhe!« warnte Jessica. »Er ist aus dem Rennen und kann dir nicht mehr schaden. Laß ihn nur im eigenen Saft kochen. Riskiere nicht deinen Traktor, indem du ihn zu rammen versuchst.« Sie hatte Heems Gedanken aufgefangen, und ein wenig schuldbewußt versicherte er ihr, an dem anderen vorbeizufahren. Das sollte Befriedigung genug sein. Schließlich hatte dieser Erb ihm demonstriert, daß auch diese Kreaturen gefährlich sein konnten; bis dahin hatte er Erbs für harmlos gehalten.

Doch als sie sich dem anderen Traktor näherten, erwachte er plötzlich zum Leben und schob sich ihnen in den Weg. Heem wich ihm aus, doch der andere änderte ebenfalls seine Richtung. Jessica schrie auf, als die beiden Traktoren zusammenkrachten und einander die Flanken eindrückten.

Heem, plötzlich wütend, beschleunigte scharf und verließ sich auf seine Erfahrung in der Beherrschung eines solchen Vehikels. Er drückte das andere zurück. »Versuche doch nicht, deine männliche Überlegenheit zu demonstrieren!« rief Jessica nutzlos.

Doch der Erb beherrschte sein Fahrzeug ebenfalls und verlor nicht die Kontrolle darüber. Jetzt rasten beide Traktoren mit dröhnenden Motoren den Hang hinab, Seite an Seite, auf dem Weg, dessen Breite kaum ausreichte. »Warum tut der Erb dies?« fragte Jessica jammernd. »Er glaubt, siegen zu können, indem er alle, die ihm folgen, vernichtet.«

»Aber das ist doch Wahnsinn! Er muß doch versuchen, die Vorausliegenden einzuholen!«

»Erbs sind eine wahnsinnige Spezies. Pflanzen-Synapsen zählen nicht zu den besten.« Heem war zu sehr mit dem Fahren beschäftigt, um genauer auf diese Frage einzugehen. »Wir müssen diese Auseinandersetzung abbrechen, bevor wir beide zerstört werden; damit wird nur kostbarer Treibstoff vergeudet. Doch das Muster des Geschmacks, das ich voraus spüre, ist unklar.«

»Ich werde dir helfen! Dies ist ein Berghang - gib mir das Geschmacksmuster, damit ich es visuell umsetzen kann - so ist es richtig! Jetzt kann ich es sehen. Der Weg beschreibt ein Stück voraus eine Kurve. Es gibt da einen quer verlaufenden Hang, durch den...«

»Ich verstehe«, sagte Heem. Er beschleunigte wieder, als sie den ersten seitlichen Abfall erreichten, schob den anderen Traktor seitlich vom Weg, und bremste plötzlich, als der Erb ihn zurückzudrängen versuchte. Der Schub und das plötzliche Bremsen brachte den anderen Traktor für eine Sekunde vor den Bug des seinen. Heem rammte ihn hart ins Heck und ließ ihn mit hoher Geschwindigkeit den Hang hinab in das Dschungeldik- kicht rasen.

Der Erb pflügte eine Schneise in die Farnbäume, blieb zwischen ihnen stecken. »Da kommt er nicht so bald heraus«, sprühte Heem voller Befriedigung. »Und er wird eine Menge Treibstoff verschwenden. Tut mir leid, daß ich ihn nicht umgekippt habe.«

»Mir auch«, stimmte Jessica ihm zu. »Wir wollten an ihm vorbei, ohne irgendwelche Schwierigkeiten zu machen, doch er wollte es nicht so. Er ist für den Tod eines seiner eigenen Art verantwortlich, für die Verletzung eines Squam, und...« Sie rief sich nicht die Besamungsangelegenheit ins Gedächtnis zurück; das war nur noch eine Geschmacksfärbung der Betäubung. »Weißt du, Heem, ich habe die Squams nicht so gehaßt wie du. Ich meine, ich bin einem Squam ähnlicher als du, und der in der Höhle schien im Grund genommen anständig zu sein. Ich glaube, daß Squams sich genauso voneinander unterscheiden wie alle anderen Vernunftbegabten, und daß es auch unter ihnen gute und schlechte Individuen gibt. Eine ganze Spezies nach einem einzigen Individuum zu beurteilen oder allein aufgrund der Tatsache, daß es deine Art besiegen kann, wenn es...«

»Das ist es!« sprühte Heem. »Die Erbs hassen HydrOs, so wie die HydrOs Squams hassen. Weil HydrOs Erbs töten können, und Squams HydrOs töten können. Jener Squam empfand keinerlei Feindseligkeit uns gegenüber; er fürchtete uns nicht, obwohl er schwer verletzt war. Doch der Erb wußte, daß wir dem Squam folgten, also stellte er uns eine Falle...«

»Ich glaube, du hast recht, Heem. Eine dreiseitige Psychose des Haßes! Squams müssen Erbs auch hassen.«

Sie waren zwar zu einem neuen Verständnis gelangt, hatten jedoch viel Treibstoff vergeudet. Wie sollten sie die voraus liegenden Traktoren einholen, die auf diesem Weg und die auf den anderen?

»Wir werden es schaffen, weil wir es schaffen müssen«, sagte Jessica.

Heem ließ den Traktor wieder hangabwärts rollen, mit abgeschaltetem Motor. Er hatte jetzt eine neue Vibration, die Heem nicht gefiel: irgendeine Folge der Kollision mit dem Traktor des Erbs. Das würde seine Rolleigenschaften vermindern und bei den Aufwärtsstrecken noch mehr Treibstoff verschwenden.

»Müssen wir es eigentlich schaffen?« fragte er. »Nach der Episode in der Höhle frage ich mich, ob es wirklich Sinn hat, zu meiner Gesellschaft zurückzukehren.«

»Aber natürlich hat es Sinn, Heem! Die Fortpflanzungsart deiner Spezies mag zwar brutal sein, doch besitzt ihr einen hohen Grad von Erwachsenenzivilisation, die nicht von Jugendtraumata geprägt wird. Das kannst du doch nicht einfach wegwerfen. Damit würdest du das Gute zusammen mit dem Schlechten vernichten.«

»Aber das Schlechte ist Bestandteil unserer Art! Jeder lebende HydrO, genaugenommen jeder HydrO, der jemals gelebt hat, existiert allein durch die Vernichtung eines Elternteils. Ich existiere allein dadurch. Ich lebe auf Kosten meines Elternteils, genau wie jeder junge HydrO in Steilfall, und jetzt habe ich mich auf Kosten meiner Partnerin fortgepflanzt. Die Zivilisation der HydrOs beruht auf diesem Anathema...«

»Nein, Heem! Glaube doch nicht an die Erbsünde! Du mußt zu deiner Gesellschaft zurückkehren, damit du noch wirkungsvoller gegen diese Methode protestieren kannst!« Wieder war er dankbar für ihre Unterstützung. Doch er verdiente diese Unterstützung nicht. »Es gibt keine Möglichkeit, die Reproduktionsmethode unserer Spezies zu ändern. Am besten sollte sie völlig aussterben.«

»Das ist keine Lösung, Heem. Sie unterscheidet sich im Grund genommen gar nicht so sehr von anderen. Bei meiner Spezies, den Solariern, produziert ein Männlicher eine solche Unzahl von Samen, daß diese alle gebärfähigen Weiblichen an einem einzigen Tag schwängern könnten, doch werden alle diese Samen bis auf einen verschwendet. Und die Weibliche produziert Eier, eins pro Monat, was im Lauf ihres Lebens für etwa dreihundert Babys ausreichen könnte, wenn sie außerhalb der Gebärmutter aufgezogen würden. Höchstens zehn davon kommen zur Verwendung, gewöhnlich nur zwei, und sehr oft gar keines. Manchmal stirbt die Weibliche bei der Geburt des Kindes. Also sind die Gegebenheiten in etwa gleich, da nur wenige der Samen überleben. Eure Methode gibt den Jungen zumindest eine kleine Chance, ihr eigenes Geschick zu bestimmen, während es bei uns beinahe rein zufällig bei der Konzeption bestimmt wird. Und wir brauchen unterschiedliche Wege, weil es so viele unterschiedliche Planeten und unterschiedliche Lebensbedingungen gibt...«

»Ich glaube, du sprühst Unsinn«, düste Heem. »Aber trotzdem gibst du mir das Gefühl, den Kampf fortzusetzen.« »Oh, gut, Heem! Ich gebe zu, selbstsüchtig zu sein, weil auch ich überleben möchte; doch ich glaube, daß du eurer Kultur viel zu geben hast, und deshalb...«

»Du, Alien! Ich glaube, ich - was ist dieses Konzept, das ihr habt?«

Sie war überrascht. »Was für ein Konzept?« »Von einem Mann zu einer Frau, etwas, das über den Begriff von Bequemlichkeit hinausgeht.«

»Über den Begriff von - oh, du mußt die Liebe meinen.« »Liebe, richtig: wir haben ja schon davon gesprochen. Es ist ein Konzept, das für meine Art sehr begrenzt ist, da es nicht direkt auf die Fortpflanzung bezogen werden kann, weil dabei...« Er flutete jenes Konzept hinaus, doch ein Teil von Geels Explosion drang trotzdem in sein Bewußtsein. »Aber genauso, wie ich die fremde Wahrnehmung durch Sehen zu begreifen beginne, fühle ich auch stärker als zuvor...«

»Nein, Heem! Nein! Du darfst mich nicht lieben. Ich bin eine Alien...«

»Ruft diese Vorstellung jetzt einen Widerwillen in dir hervor?«

»Als wir damals darüber diskutierten, wußten wir nicht, was HydrO- Weiblichen geschieht... Wir sind wirklich so völlig anders als ihr, Heem, und nicht nur körperlich!«

»Und all das, was du eben von den vergeudeten Samen und Eiern eurer Spezies gesagt hast - war das alles nicht wahr?«

»Doch, Heem, es ist so«, kapitulierte sie. »Ich glaube, ich liebe dich auch, so unmöglich es auch erscheinen mag. Ich meine, selbst wenn wir uns physisch vereinigen könnten - und dazu gibt es keine Möglichkeit - und wir stecken in einem Körper - oh, dies ist zu albern.«

»Also bleibt alles so, wie es ist?«

»Wie immer.«

»Trotzdem: das Gefühl ist bis zu einem gewissen Grad unabhängig vom Körper. Dein Solarier-Körper wäre mir ein Greuel. Aber du, du selbst...«

»Ich weiß, Heem. Ich fühle dasselbe.«

Und damit hatten sie die Grenze erreicht. Wieder einmal gab es keine andere Möglichkeit, als das Thema fallen zu lassen.

Sie fuhren und fuhren. Die Treibstoffreserve wurde immer geringer, bis sie so gering war, daß sie nur noch kleine Manöver durchführen konnten. »Mit diesem Fahrzeug werden wir nicht mehr viel weiter kommen«, sprühte Heem enttäuscht.

»Vielleicht haben wir den Abstand zu den anderen etwas aufgeholt, aber nicht genug.«

»Noch ist nichts verloren«, sagte Jessica aufmunternd. »Nach der Karte haben wir neun Zehntel der Route hinter uns. Nur noch eine schlimme Strecke über eine Bergkette...«

»Wir werden sie allein überqueren müssen, und das wird verdammt langsam gehen.« Heem lenkte den Traktor eine neue Anhöhe hinauf. Als sie ihren Kamm erreicht hatten, begann der Motor zu spucken und blieb dann stehen. Der Treibstoff war alle.

Sie rollten ohne Antrieb den anderen Hang hinab, bis der Weg eben wurde. »Das war's«, sagte Jessica. »Eins ist zu unseren Gunsten: die Bergkette liegt nicht weit entfernt, und sie überschneidet drei der Routen. Ich bezweifle, daß einer der Traktoren noch genügend Treibstoff hat, um sie überwinden zu können. Die beiden anderen Routen werden durch einen breiten Fluß blockiert. Können Erbs und Squams eigentlich schwimmen?«

»Nein. Sie werden Schwierigkeiten haben, über den Fluß zu gelangen.«

»Dann sind wir also immer noch im Rennen. Laß uns rollen!«

Sie rollten. Heem düste die nächste Anhöhe hinauf, rollte dann ohne Kraft den jenseitigen Abhang hinab. Als er den tiefsten Punkt erreichte, drückte er wieder auf Geschwindigkeit, um mit minimaler Anstrengung über die nächste Kammlinie zu rollen. Da die Route generell abwärts führte, kamen sie gut voran.

»Das ist wirklich eine sehr effiziente Fortbewegungsart«, gab Jessica zu. »Du nutzt die Trägheit aus und kommst doch recht rasch vorwärts. Genauso rasch wie vorher mit dem Traktor, denke ich.«

»Auf einem Terrain wie diesem sind HydrOs eine der schnellsten Reisenden im Segment Tausendstern«, sprühte Heem mit einem gewissen Rassenstolz. »Aber der Traktor hat mir geholfen, die nötige Höhe zu erreichen, um effizient rollen zu können. Ich würde nur sehr langsam vorankommen, wenn ich einen langen Berghang hinaufrollen müßte.«

Sie kamen an einem liegengebliebenen Traktor vorbei. Er gab den Geschmack von Squam ab, war jedoch leer. Der Squam war mit eigener Kraft weitergeglitten und konnte nicht allzuweit voraus sein. »Ich glaube, daß wir sehr bald einen anderen Teilnehmer des Rennens überholen werden«, bemerkte Jessica. »Halte dich nicht damit auf, mit ihm zu streiten. Wir haben deine Sehkraft noch nicht so gut koordiniert, als daß du es mit einem Squam aufnehmen könntest.«

»Du scheinst mich für einen streitsüchtigen Männlichen zu halten.«

»Natürlich tue ich das. Männlich und streitsüchtig sind doch fast identische Begriffe.«

Er nadelte sie mit einer Düse, die kaum mehr als ein Kitzeln hervorrief, und sie stieß einen kleinen Schrei aus, der keine Nerven erschütterte. Es war alles wieder normal.

Sie rollten weiter den Weg entlang. Wenig später überholten sie den Squam, der mit recht gutem Tempo einen Hang hinaufglitt, jedoch nicht Heems akkumulierte Geschwindigkeit erreichen konnte. In Befolgung von Jessicas Anweisung hielt Heem sich nicht mit ihm auf. Er sprühte nicht einmal eine beleidigende Nadel auf die Kreatur, als er vorbeirollte. Dies war schließlich nicht Schlängelschreck, und es lag ein gewißer, wenn auch beschränkter Wahrheitsgehalt in Jessicas Ansicht von Unterschieden zwischen Individuen.

»Beschränkter Wahrheitsgehalt?«

Doch kurze Zeit später mußte er stoppen. Ein weiterer Traktor war auf dem Weg liegengeblieben - und der Weg hörte ein kleines Stück weiter auf. Heem schmeckte und Jessica sah voraus, doch keiner von ihnen konnte eine Fortsetzung des Weges erkennen. Er endete vor einer massiven Steinwand.

»Diese Bergkette ist höher und steiler, als die Karte es angibt«, sprühte Heem.

Ein Erb stand neben dem Traktor und schien die Lage abzuschätzen. Er hatte eine Karte, und Heem erkannte an dem Geschmacksmuster, daß er auf die Karte starrte. Die Lichtrezeptoren des Erb befanden sich an dünnen Stielen in der Mitte seiner Blüte; wenn er seine Blütenblätter zusammenfaltete, um damit etwas zu bohren, waren seine optischen Organe geschützt, sein Sehvermögen jedoch beschränkt. Jetzt waren seine Blütenblätter weit ausgefächert und rotierten langsam.

Heem hatte seine Karte natürlich nicht mitgebracht, sie jedoch recht gut in der Erinnerung behalten. HydrOs mußten nur selten irgend etwas mit sich nehmen, da sie weder Nahrung noch Schutz brauchten wie andere Spezies, und weil sie das meiste dessen, was sie brauchten, in ihrem Gedächtnis behielten. Nur bei besonderen Gelegenheiten, wie beim Umfüllen von Treibstoff von einem Traktor zum anderen, mußten HydrOs jemals etwas transportieren - und bei diesem erst kurz zurückliegenden Fall hatte die Winde des Traktors diese Arbeit erledigt. Heems Erinnerungskarte sagte ihm, daß der Weg sich hier in gerader Richtung fortsetzte. Offensichtlich war der Erb genauso verwirrt.

»Ich habe den Eindruck, daß irgend jemand bei der Wettkampfbehörde ganz sicher gehen wollte, daß keiner der Traktoren die ganze Strecke bis zum Ahnen-Fundort schafft«, sagte Jessica. »Sie wollten dieses Rennen zu einer wirklichen Herausforderung machen, also haben sie uns einige Überraschungen in den Weg gelegt.« »Ich könnte diesen Berg übersteigen«, sprühte Heem. »Doch das würde so viel Zeit kosten, daß ich das Rennen bestimmt verliere. Es wäre besser gewesen, eine Route zu wählen, die am Flußufer endet.«

»Wenn wir es nur gewußt hätten«, stimmte Jessica zu. »HydrOs können unter Wasser rollen, nicht wahr? Und Wasserstoff aus Blasen im Wasser ziehen? Pech gehabt.«

Heem überlegte. »Wir haben früher mit einem Squam zusammengearbeitet, um die Lavastrecke überwinden zu können. Ich frage mich, ob es möglich wäre, mit einem Erb zu kooperieren - und was wir dadurch gewinnen könnten, «

»Heem, du entwickelst einen erstaunlichen Liberalismus! Aber ja: sie haben echtes Sehvermögen, nicht wahr? Und sie können Dinge aufbohren. Ich denke schon, daß wir von diesen Fähigkeiten profitieren könnten.«

»Aber Erbs hassen HydrOs.«

»Das läßt sich leicht regeln. Laßt die Transferer die Verhandlung führen. Dies soll doch kein Wettkampf gegen Erbs oder HydrOs sein, sondern eine Ausscheidung zwischen allen Bewohnern Tausendsterns gegeneinander, unter Verwendung bestimmter Wirte.«

Zögernd stimmte Heem ihr zu. »Du übernimmst also die Verhandlung.«

»Gut. Wir Aliens müssen zusammenhalten.« Sie machte eine Pause. »Hoppla, ich habe eine Kleinigkeit vergessen. Ich kenne die Sprache nicht. Wird der Traktor-Transmitter übersetzen?«

»Nicht, wenn er keine Anweisung dazu erhält. Die Impulse sind kodiert und werden in die Sprache seines Benutzers übertragen.«

»Das ist doch verrückt! Er übersetzt also eine Ausstrahlung, nicht aber einen direkten Dialog? Vorher sind wir doch gut zurechtgekommen.«

»Beim Überqueren der Lava hatten wir zwei Traktoren, die jeweils die Ausstrahlungen des anderen übersetzten. Hier haben wir nur einen.«

»Vielleicht können wir ihn dazu benutzen, zuerst auszustrahlen und dann seine eigene Botschaft zu empfangen und zu übersetzen. Ihn durch einen Trick dazu bringen, auch als Übersetzer zu wirken.«

»Zweifelhaft. Wir sollten vielleicht lieber den Tausendstern-Generalkode benutzen.«

Jessica dachte über diesen Vorschlag nach. »Oh - wie bei der Verhandlung um einen Waffenstillstand mit dem Squam. Ein kleines Vokabular festgesetzter Signale für jede Spezies. Aber wie sollen wir dem Erb Waffenstillstand anbieten? Er kann uns nicht schmecken, und wir können ihn nicht sehen, jedenfalls nicht direkt.« Sie war jedoch dabei, sich ein Bild von der Kreatur zu formen.

»Wir rollen ein Waffenstillstandsmuster«, sprühte Heem. Er begann das Rollen.

Der Erb wich zurück, tänzelte auf seinen winzigen Wurzeln. Sein massiver Blütenstiel schwankte hin und her. »Das erfordert keine Übersetzung«, sagte Jessica. »Er hat Angst vor dir.«

»Das überrascht mich nicht. Erbs sind ängstliche Naturen.«

»Und was ist mit dem, der versuchte, uns zu überrollen?« »In einem Traktor sieht es anders aus. Deine These über den Unterschied zwischen Individuen...«

»Versuche es noch einmal. Bewege dich sehr langsam, um ihn nicht zu schrecken. Wir müssen mit ihm in Verbindung kommen.«

Heem begann wieder das Waffenstillstands-Rollen, betont langsam. Diesmal behauptete der Erb seine Stellung. Doch bevor der Erb reagieren konnte, traf der Squam ein. »Habt ihr Verständigungsschwierigkeiten?« sprühte sein Kommunikator.

»Du hast ein Übersetzungsgerät!« sprühte Heem zurück. »Drei Sprachen?«

»Ich versuche, auf alles vorbereitet zu sein«, antwortete der Squam. »Ich habe bei diesem Wettkampf Schwierigkeiten erwartet. Bist du bereit zu einem Waffenstillstand, um das gemeinsame Bestreben, das Ziel zu erreichen, zu fördern?«

»Ja«, stimmte Heem zu. »Am Ziel muß er beendet werden. Jetzt aber brauchen wir ihn. Wenn wir nicht weiterkommen, wird keiner von uns um den Sieg ringen können. Ich habe versucht, das auch dem Erb zu übermitteln.«

Das Übersetzungsgerät blinkte dem Erb einen Regen von Lichtsignalen zu. Jetzt erklärte die Kreatur sich einverstanden. »Ich ziehe es jedoch vor, in nicht zu nahen Kontakt mit dem HydrO zu kommen«, schränkte sie ein. »Dieser Rasse ist nicht zu trauen.«

»Nicht zu trauen!« explodierte Heem. »Du Hypokrit von einer Pflanze! Vorhin, auf der Route...«

»Waffenstillstand! Waffenstillstand!« unterbrach der Squam. »Wir befinden uns zwar in einem Wettstreit, doch müßt ihr den für den Moment zurückstellen.«

»Und ich ziehe es vor, nicht in Kontakt mit einem Squam zu kommen«, sprühte Heem. »Aber wir müssen uns miteinander verbünden, wenn wir weiterkommen wollen. Wir wollen uns auf folgendes einigen: wenn einer von uns einen anderen angreifen sollte, ist der dritte verpflichtet, den Aggressor anzugreifen. Auf diese Weise sind wir alle geschützt. Nur der Friede kann uns allen nützen.«

»He, das ist eine herrliche Vereinbarung!« rief Jessica aus. »Wer auch immer einen anderen angreift, wird es bedauern. Ich bin froh, daß ihr jetzt in der Lage seid, Squams rational zu sehen.«

»Ebenfalls«, sagte der Squam. »Wollen wir jetzt über unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten sprechen? Ich bin Sickh von Schlanklinie, eine partnerlose Weibliche, wie...«

»Weibliche!« unterbrach Heem.

Der Squam fuhr herum und wandte Heem seine Scheren zu. »Hast du etwas dagegen?« nadelte der Übersetzer.

»Na, hast du etwas dagegen?« nadelte Jessica in seinem Inneren.

Heem rollte zurück. »War nur überrascht. Ich war überzeugt, daß nur wenige Weibliche sich an diesem äußerst harten Rennen beteiligen würden.«

»Eine Anzahl der Spezies von Tausendstern haben sehr harte Weibliche, und das spiegelt sich bei ihren Vertretern wider, die auch weibliche Wirte brauchen«, antwortete der Squam. »Du, ein Männlicher, verfügst nicht über die richtigen Mittel, um die verschlagenen Ränke des Mystischen schätzen zu können.« »Ha!« rief Jessica.

Heem war nach außen still. Nach innen sprühte er: »Dieser Squam spricht wie du.« Jessica war bestürzt. »Wirklich?«

Er beruhigte sie. »Nein, nicht wirklich. Sie glaubt, daß sie mir sowohl geistig als auch körperlich überlegen sei. Es wäre wohl das beste, sie nicht zu reizen.«

»Du lernst dazu, Heem! Ich werde sie sehr genau im Auge behalten. Vielleicht bilden wir ein besseres Team, als wir angenommen haben.«

Der Squam fuhr mit der Vorstellung fort. »Ich bin Spezialistin für geologische Formationen, und mein Transferer ist Archäologe. Ich denke, daß wir in der Lage sind, eine günstige Route zum Ziel festzulegen und Zeit zu gewinnen, doch wird sie für ein Einzelwesen recht gefährlich sein.«

Das war eine günstige Verbindung für ein Unternehmen wie dieses; ein Geologe und ein Archäologe waren natürlich in der Lage, Spuren der Alten zu erkennen, die von anderen übersehen werden mochten. Da auch der andere Squam die Gefahren, denen sie sich durch Verlassen des Weges aussetzen würden, sehr exakt definiert hatte, mochten die Warnungen dieses Squams wohlbegründet sein.

»Ja«, stimmte Jessica zu. »Ein verdammt kluges Mädchen.«

Der Erb ließ seinen Übersetzer aufblitzen, und er strahlte ein Sprühen für Heem und Laute für Sickh, den Squam aus. Ein recht vielseitiges Instrument. »Ich bin Windblume, ebenfalls weiblich in meiner jetzigen Lebensphase. Ich bin Studentin der Materien und Theorien der Alten, und mein Transferer ist auf Transfer-Technologie spezialisiert.«

Ein sogar noch nützlicheres Gespann! Die Alten waren Meister der Transfer-Technologie - das war einer der Gründe dafür, daß man so fieberhaft nach ihren Spuren suchte. Doch inwieweit konnten diese Spezialkenntnisse bei dem Wettrennen nützen? Es hatte den Anschein, daß Experten oft nicht die besten Praktiker waren. Das war, wie Heem wußte, allen Experten im ganzen Cluster gemeinsam.

Heem war an der Reihe. »Ich bin Heem von Steilfall, männlich, Spezialist für Raumnavigation und Krieg. Mein Transferer ist Muster-Analytiker.«

»Ausgezeichnet«, sagte der Squam. »Jetzt wollen wir uns darüber beraten, auf welche Weise wir unser gemeinsames Ziel verfolgen können. Die auf der Karte festgelegte Route ist für Traktoren passierbar. Es wäre möglich, eine Rampe an die Bergwand zu bauen und die Winde zu benutzen, um die steile Auffahrt zu bewältigen, doch würde das sowohl Zeit als auch Treibstoff kosten. Windblumes Traktor kann nicht mehr viel Treibstoff enthalten.«

»Richtig«, stimmte der Erb zu. »Nicht mehr genug für diesen Zweck. Wir sind gut und umsichtig gefahren, doch die Karte hat uns getäuscht.«

Gut und umsichtig, in der Tat, dachte Heem. Dieser Traktor mußte es weiter geschafft haben als jeder andere. Diese beiden Kreaturen mußten zu den klügsten und routiniertesten der Wettkampfteilnehmer zählen; eine Tatsache, die man nicht vergessen sollte.

»Deshalb müssen wir unabhängig voneinander vorgehen, entweder entlang der markierten Route oder auf einer von uns selbst gewählten. Die markierte Route beschreibt einen flachen Bogen, ein direkter Weg könnte die Strecke um ein Drittel reduzieren.«

»Der direkte Weg führt über die höchste Erhebung der Bergkette«, blinkte der Erb.

»Ist deshalb unmöglich. Meine flüchtige Analyse deutet jedoch darauf hin, daß diese Bergkette aus porösem Gestein besteht. Es sollte also Höhlen geben, von denen einige vielleicht in unmittelbarer Nähe unseres Ziels zutage treten.« »Das ist wirklich ein schlauer Squam«, sagte Jessica. »Meine Art ist vom Licht abhängig, ausgenommen bei sehr kurzen Entfernungen«, protestierte der Erb. »Wir mögen die Unterwelt nicht und sind dort nicht kompetent.«

»Das ist einer der Gründe, warum eine Zusammenarbeit mit uns für dich vorteilhaft ist«, erklärte der Squam. »Meine Art ist in unterirdischen Umgebungen zu Hause, solange sie trocken und von einigermaßen fester Struktur sind. Wir verwenden den Schall, um Tiefen auszuloten. Wir haben eine Körperform, die es uns gestattet, enge Durchlässe zu passieren. Es mag hier jedoch Stellen geben, die für mich zu schmal sind...«

»Meine Art ist in der Lage, Fels zu sprengen«, blinkte der Erb.

»Meine Art kann sich selbst durch engste Löcher quetschen, wenn man uns genügend Zeit dazu läßt«, sprühte Heem.

»Es könnte dort Sektionen geben, die voller Wasser stehen«, fuhr der Squam fort. »Ich mag kein Wasser.«

»Kein Problem«, sprühte Heem. »Meine Art kann sich unter Wasser fortbewegen, so lange es Wasserstoffverbindungen enthält, was meistens der Fall ist.«

»Es könnte dort steile Berghänge geben, oder Ströme aus heißer Lava, die nur mit Hilfe einer Leine oder durch andere manuelle Operationen überquert werden können. Dafür ist meine Art hervorragend geeignet.« Der Squam machte eine Pause und klickte mit einer Schere zum Zeichen dafür, daß er zu einer Entscheidung gelangt war. »Ich glaube, daß wir gemeinsam die meisten der Hindernisse bezwingen können - wenn wir einander vertrauen.«

»Ich traue dem HydrO nicht!« blinkte der Erb. »Und ich fühle mich in deiner Nähe nicht recht wohl«, erwiderte der Squam. »Und der HydrO fürchtet sich vor mir. Aber wenn wir einander nicht vertrauen, hat keiner von uns eine Aussicht, das Ziel rechtzeitig zu erreichen. Wir sind nicht hier, um uns zu streiten; wir sind hier, um unsere Einwohner auf dem schnellsten Weg dorthin zu bringen. Es wäre eine Pflichtverletzung, wenn wir dies nicht als unser oberstes Ziel ansehen würden. Ich bin der Ansicht, daß wir mehr brauchen als nur einen von Mißtrauen geprägten Waffenstillstand; wir brauchen gegenseitiges Vertrauen. Sonst können wir es nicht wagen, gemeinsam weiterzumachen.«

»Das mag vielleicht eine sehr akademische Überlegung sein«, sprühte Heem. »Du hast darauf spekuliert, daß sich in dem Bergzug Höhlen befinden. Ich schmecke keine.«

»Dann muß ich mein Können unter Beweis stellen. Meine Analyse der Formation deutet auf das Vorhandensein einer dünnen Felswand hin.« Der Squam schlängelte sich zu einer geringfügigen Vertiefung und klopfte mit einer Schere gegen die Wand. »Hier. Ein Rammstoß des Traktors sollte sie aufbrechen.«

»Ich habe genügend Treibstoff für mehrere Rammstöße«, blinkte der Erb. »Ich will es versuchen.«

Sie stieg in ihren Traktor. Jessica assimilierte ein Bild der Wurzeln dieser Pflanze, die sich in die Spalten der Maschine setzten, sich darin festklammerten, die Kreatur hinaufzogen.

Der Traktor setzte sich in Bewegung. Er rammte gegen die Wand. Der Fels zersplitterte und brach zusammen, und als der Geschmack von Staub ein wenig verweht war, nahm Heem das Aroma gestauter, hervorströmender Luft wahr. Es lag in der Tat eine Höhle hinter der Klippenwand.

Trotzdem hatte Heem noch seine Zweifel. »Du hast deine geologische Expertise demonstriert«, sprühte er. »Doch ich habe in der Vergangenheit mehr als einmal schlechte Erfahrungen mit deiner Art gemacht, und ein Erb hat eine Brücke sabotiert, die ich überqueren wollte. Wie kann ich sicher sein, daß ihr beiden besser seid als die anderen?«

»Sabotage?« blinkte der Erb. Jessica war es endlich gelungen, ein Bild von ihm zu formen: die Kreatur richtete ihre Blütenblätter auf die Hauptlichtquelle, reflektierte und konzentrierte ihre Strahlen zu deutbaren Mustern. Sie konnte einen Strahl auf einen bestimmten Empfänger richten, wie den Übersetzer des Squams, oder über eine Bogensehne, die mehrere Empfänger erfaßte. »Identifiziere das schuldige Individuum, und es soll der Strenge des Gesetzes unterworfen werden.«

»Es sitzt in dem letzten Traktor auf dieser Route«, düste Heem.

»Und welcher Natur waren deine Erfahrungen mit Angehörigen meiner Art?« wollte Sickh wissen.

Das nun konnte Heem nicht schildern, ohne seine illegalen Erinnerungen aufzudecken. »Ach, zum Teufel damit!« rief Jessica. »Squams mögen die Metamorphose der HydrOs nicht!«

Das stimmte. Squams waren eine primitivere Spezies, bei der es keine Metamorphose gab. »Ein Squam ist in das Tal gekommen, in dem meine zukünftige Partnerin lebte, überfiel ihre Schwestern und tötete sie.«

»Squams haben in euren Tälern doch nichts zu suchen«, protestierte Sickh. »In diesem Punkt sind die Gesetze äußerst präzise.«

»Dieser ist in unser Tal eingedrungen - und nimmt jetzt an diesem Wettkampf teil. Wir nennen ihn Schlängelschreck.«

»Der Name sagt mir nichts«, antwortete sie. »Ich versichere dir jedoch, daß ich ihn zur Verantwortung ziehen lassen werde, wenn er mir begegnen sollte. Wir sind zivilisiert; wir verstoßen nicht gegen die Gesetze, noch tolerieren wir solche, die es tun.«

»Ich finde dies unglaublich«, blinkte der Erb.

»Ich auch«, sagte Jessica. »Ich stimme dafür, daß wir ihr vertrauen, Heem.«

»Weil sie weiblich ist?« fragte er sie zynisch.

»Nein, das ist keine Empfehlung. Nicht alle weiblichen Squams sind gleich, wie du weißt. Es ist nur eine Intuition, die ich habe. Es erscheint mir logisch, daß eine intelligente, technologische Spezies auch ethische Werte besitzt. Natürlich gibt es bei ihr auch Verbrecher - du selbst bist ja einer, und auch ich, genaugenommen -, doch die Mehrzahl der Individuen dürfte zivilisiert sein, besonders die besser gebildeten. Für uns ist diese Lösung sehr viel günstiger, als wenn wir nicht kooperieren würden und damit aus dem Rennen wären. Also wollen wir diesen Damen vertrauen und sie höflich und entgegenkommend behandeln, wie es die goldene Regel fordert.«

»Ein metallurgisches Gesetz?« fragte Heem, dem diese Redewendung nicht geläufig war.

»Tue anderen, was du willst, daß sie dir tun.«

»Ich bin einverstanden«, sprühte Heem nach außen.

»Dann wollen wir miteinander vereinbaren, diese Passage gemeinsam zu navigieren, und daß keiner von uns versucht, die Fundstätte der Alten zu erreichen, bevor wir alle drei durch die Bergkette hindurch sind«, sagte der Squam.

»Einverstanden«, sprühte Heem, und der Erb blinkte das Wort.

Der Squam löste ein Metallseil vom Traktor des Erb und befestigte sein Ende um die Mitte ihres Körpers. Heem mußte zugeben, daß ihre Fähigkeit, Gegenstände zu ergreifen und zu tragen, in einer Situation wie dieser sehr vorteilhaft war.

Der Squam schlängelte sich als erster in die aufgebrochene Öffnung. Heem spürte an den Vibrationen, daß sie das Innere der Höhle durch das Ausstoßen von Lauten und Auffangen der zurückgeworfenen Echos erkundete. Heem folgte als nächster, rollte den leicht abschüssigen Tunnel hinab und schmeckte die Luft in allen Details. Der Erb folgte ihm auf ihren dünnen, kurzen Wurzeln.

Die Luft bewegte sich. Das bedeutete, daß die Höhle entweder noch einen zweiten Ausgang besaß, oder aber, daß sie eine solche Ausdehnung hatte, daß der Prozeß von Erwärmung und Abkühlung ein Ausdehnen und Verdichten der Luft hervorrief, und damit Bewegung. Heem konnte es an ihrem Aroma nicht erkennen; es war ein rein innererdiger Geschmack, dem jedoch etwas seltsam Fremdartiges anhaftete.

Die Passage führte leicht abfallend in die Tiefe der Bergkette, stieß dann im rechten Winkel auf eine andere. Das war merkwürdig. Höhlen änderten ihren Verlauf gewöhnlich durch Biegungen und nicht in so präzisen Winkeln.

Der Squam blieb stehen. »Kommt euch auch ein gewisser Verdacht, Gefährten?« fragte sie, und ihr Übersetzer setzte es in Sprühen und Blinken um.

»Dies ist keine natürliche Höhle«, blinkte der Erb zurück. Der Translator strahlte bei Nichtgebrauch ein stetes, mattes Glühen ab, das sie für Re- flektionen verwenden konnte, und es half ihr auch, die Höhle zu erfassen. Heem erkannte das an der Art, wie sie sich bewegte und wie sie reagierte, und Jessica füllte auf diese Weise die Lücken. Das Fehlen von Licht störte Jessicas bildhafte Vorstellungen nicht, da sie aus Hintergrundinformationen und Geschmacksbewußtsein geformt wurden. »Die Höhle ist künstlich, aber alt - sehr alt.«

»Vielleicht so alt wie die Ahnen«, stimmte Heem ihr zu. »Wenn die Karte richtig gewesen wäre, hätte ich ihre Natur nicht erkannt«, sagte der Squam. »Aber als ich die Bergkette vor mir sah, war ich so gut wie überzeugt, daß sie künstlich war. Ist es möglich, daß dies alles eine gewaltige Konstruktion der Alten ist? Was meint ihr dazu?«

»Die Alten waren groß in Erdbewegungen«, stimmte Heem zu.

»Meine geologische Expertise gibt Warnzeichen«, sagte Sickh. »Es könnte Einsturzgefahr bestehen. Dies ist eine unnatürliche Formation.«

»Sie ist drei Millionen Jahre lang intakt geblieben«, sprühte Heem, »also sollte sie noch einen Tag länger halten. Und wenn wir von hier aus Zugang zu der Fundstätte der Alten haben - einen Zugang, von dessen Existenz die Wettkampfbehörde keine Ahnung hat...«

»Dann wäre ein Sieg ungültig«, blinkte der Erb. »Dies ist kein Wettkampf der Entdeckungen, sondern ein Wettkampf der Überlegenheit. Der Stern, der die zum Ziel bestimmte Fundstätte als erster erreicht, erhält das Eigentumsrecht über sie.« Sie machte eine Pause. »Außerdem ist dies nicht eine echte Fundstätte der Alten. Die Struktur ist nicht typisch für sie, wie alle bisherigen Entdeckungen belegen; wenn man zum Beispiel...«

»Nicht nötig«, sprühte Heem. »Du bist die Expertin auf diesem Gebiet.«

»Dann wollen wir weitermachen«, entschied der Squam. »Vielleicht finden wir den Zugang leichter, als wir es erhofft haben.«

Sie zogen weiter. Nach einer Weile wurde der Boden der Passage eben. Dann öffnete sie sich zu einer riesigen Kammer, größer als die Lavablase, mit ebenem Boden und gewölbter Decke.

»Die Größe der Höhle ist gewaltig«, sagte der Squam, »aber sie ist absolut leer.«

Heem stimmte zu. Sein Geschmack entdeckte keinerlei Abgrenzungen außer denen in unmittelbarer Nähe. »Es muß eine Lagerhalle gewesen sein«, meinte Jessica. »Oder auch eine Truppenunterkunft.«

»Aber wenn es keine Konstruktion der Alten ist...«

»Es befindet sich eine Fundstätte der Alten in unmittelbarer Nähe. Vielleicht stammt dies von einer früheren Spezies und wurde von den Alten übernommen.«

»Eine Spezies, die vor den Alten existiert hat?«

»Es hat andere Lebewesen gegeben! Wir nennen die hochtechnologi- sierte Zivilisation nur aus Gewohnheit die Alten.«

Sie durchquerten die riesige Höhle und fanden in der gegenüberliegenden Wand eine weiterführende Passage. Doch sie führte in die Tiefe, nicht aufwärts. »Mir gefällt das nicht«, sagte der Squam.

Und auch Heem gefiel es nicht. Das Ziel des Wettkampfes lag mit Sicherheit an der Oberfläche. Auf diese Weise würden sie unter ihm hindurchgehen und den Wettkampf verlieren.

Doch wohin sollten sie gehen, wenn nicht weiter? Zurückzurollen und dem Traktorpfad zu folgen würde sie unheimlich viel Zeit verlieren lassen.

Der Boden der Passage fiel plötzlich noch steiler ab und versank abrupt unter Wasser. »O nein«, stöhnte Jessica. »Das Abwassersystem!«

»Dies scheint ein Abflußgraben zu sein«, blinkte der Erb. »Die Alten haben so etwas nicht gekannt.«

»Mein Transferer stimmt dir zu«, sagte der Squam. »Viele ältere Zivilisationen haben solche Systeme verwandt, doch die Alten scheinen Flüssigkeiten nicht in so großen Mengen gebraucht zu haben, daß sie so etwas benötigten. Dies ist jedoch typisch für ein System, das uns bekannt ist, und in dem Fall müßte es Öffnungen an beiden Enden einer gefluteten Röhre geben.«

»Ich werde nachsehen«, sprühte Heem. Er rollte an dem Squam vorbei in das Wasser. Der Geschmack war kalt, doch nicht stagnierend; es gab eine geringe Bewegung und genügend gelöstes Wasserstoffgas, um ihn am Leben zu erhalten. Dieses Wasser stammte von der Oberfläche und befand sich noch nicht lange in der Höhle; vielleicht war es Sickerwasser von einem kürzlich niedergegangenen Gewitter. In was für eine noch tiefer liegende Kaverne es abfließen mochte, konnte er nicht einmal erraten.

Dann stieß er auf ein Metallgitter, das verhindern sollte, daß größere Objekte in den tieferen Teil der Abflußrohre eindrangen. Er preßte sich dagegen, doch das Ding war fest verankert. Hier führte der Weg für sie nicht weiter! Er selbst mochte sich hindurchquetschen und auf der anderen Seite sein Körpergewebe wieder in seine ursprüngliche Form bringen können, doch weder Squam noch Erb war das möglich. »Und wir werden sie nicht hier sitzen lassen«, sagte ihm Jessica.

Er rollte zurück, kam bei den anderen wieder ans Ufer des Kanals. Jessica, die ihrem geistigen Bild Illumination hinzufügte, sah den Squam und den Erb, die begierig auf Nachricht warteten.

»Der Weg ist versperrt«, berichtete Heem. »Der Geschmack des Wassers verrät, daß dort andere Passagen vorhanden sind, aber es herrscht eine ziemliche Strömung, und der Geschmack von weiteren Gittern. Ich könnte hindurchkommen, ihr jedoch nicht.«

»Mein Sonar kann keine andere direkte Route zur Stätte der Alten ausmachen«, sagte Sickh. »Wir müssen uns also unseren Weg erzwingen. Windblume, bist du unter Wasser funktionsfähig?«

»Ja«, antwortete der Erb. »Ich brauche jetzt sogar Wasser. Meine Wurzeln sind trocken und sollten gewässert werden. Ich werde uns den Weg durch das Gitter brechen.«

»Heem wird dich zu dem Gitter führen, und zu der nächsten Passage.«

»Habt ihr es gemerkt?« sagte Jessica. »Sie benutzt unsere Namen, und das macht uns noch mehr zu Gleichen, anstatt zu Aliens. Dieser Squam versucht wirklich, uns zu einem Team zu formen.«

»Ich mag nicht mit einem HydrO allein sein«, protestierte der Erb.

»Heems Nadeln können dir im Wasser nichts anhaben«, klärte der Squam sie auf.

»Das stimmt!« blinkte Windblume überrascht.

»Du wirst auch das andere Ende der Leine mitnehmen«, bestimmte der Squam. »Ich kann es nicht lange im Wasser aushaken. Ich muß Sauerstoff oder andere Gase einatmen, um meine Körperfunktionen aufrechterhalten zu können.«

»Zusätzliche zum Essen?« fragte Heem.

»Jeder von uns hat seine Schwächen«, blinkte der Erb nachsichtig.

Der Squam akzeptierte diese Bemerkung mit großem Takt. »Mein Leben wird in deiner Obhut liegen.«

Der Erb, von diesen Worten ermutigt, schlang die Leine um ihren kräftigen Stiel und bewegte sich zum Wasser. Heem folgte.

Als sie das Gitter erreicht hatten, grub der Erb ihre Wurzeln in das Sediment des Kanalbodens und verankerte sich fester, als es irgendeinem Tier möglich gewesen wäre, dann schloß sie ihre Blütenblätter zu dem kräftigen Bohrkeil. Der Bohrer begann zu rotieren und schob sich in das Gitter, es gab rüttelnde Vibrationen, und die Gitterstäbe rissen aus ihren Verankerungen. Kein Wunder, daß Squams sich vor Erbs fürchteten! Heem war es intellektuell bewußt gewesen, daß diese Pflanzen ein gutes Drehmoment besaßen, doch hatte er nicht geahnt, wie mächtig es war.

Windblume warf das verbogene Gitter ins Wasser. Es sank sofort auf den Grund, und Heem schmeckte die Aromen der Sedimente, die es an die Oberfläche wirbelte. Schon bald hatte er ein klares Bild - Jessicas Sehvermögen war wieder eine große Hilfe - von dem ganzen Sektor. Dicht hinter der Stelle, wo Windblume das Gitter herausgerissen hatte, befand sich eine zweite Abflußröhre, die diese rechtwinklig schnitt. Er rollte sich dort hinein, formte seinen Körper flach, wegen der Strömung, und erreichte das Ende der Röhre, die ebenfalls durch ein Gitter abgeschlossen war.

Der Erb folgte ihm. Doch hier ergab sich ein Problem. Das Gitter war zu hoch angebracht; Windblume konnte es nicht erreichen, als sie aus ihren Blütenblättern einen Bohrer formte. Heem konnte sich nicht mit ihr verständigen, da ihnen kein Übersetzer zur Verfügung stand, doch konnte er ihre Schwierigkeit schmecken. Wieder waren sie blockiert. »Kann sie auf dir stehen?« fragte Jessica. Das war es! Gewicht war im Wasser kein großes Problem. Wenn die ängstliche Windblume ihm nur trauen würde... Heem berührte vorsichtig Windblumes Wurzeln. Sie riß sie zurück, als ob sie verbrannt worden wären. Er flachte die Unterseite seines Körpers ab, verankerte sie fest in Rissen und Spalten im Boden des Rohres, und wölbte seinen Rücken empor. Und blieb so, ohne sich zu rühren.

Windblume war ein intelligenter Erb. Sie erkannte, was er beabsichtigte. Vorsichtig berührte sie ihn mit einer Wurzel. Heem blieb reglos. Eine zweite Wurzel. Bald stieg sie auf ihn und verankerte ihre Wurzeln mit einem unguten Gefühl in seiner weichen Haut. Ihm gefiel der Kontakt genausowenig wie ihr! Und doch war da ein fremder Reiz in Windblumes Berührung, die ihm seltsam angenehm war. »Sie ist eine Weibliche«, sagte Jessica. »Männliche mögen die weibliche Berührung, und du bist dafür besonders empfänglich - und nicht nur für die körperliche...« Sie brach den Satz ab, als ihr die Sinnlosigkeit solcher Spekulationen bewußt wurde.

»Auf solarischen Planeten - berühren die Leute einander?« fragte Heem. »Sie düsen einander nicht nur aus der Entfernung zu, sondern stellen engen Kontakt her - so wie hier?« »Das tun sie. Nicht auf diese Art, da wir keine Wurzeln besitzen, doch sehr eng. Wir nennen es eine Umarmung.« »Widerlich!« sagte Heem unwillkürlich. Sie lachte. »Es kann wirklich sehr angenehm sein, Heem; das würdest du bald feststellen, wenn du es probieren könntest.«

»Vielleicht«, sagte er, plötzlich neugierig. Was er über den fremden Gesichtssinn erfahren hatte und über eine Zusammenarbeit mit verschiedenen fremden Kreaturen, machte ihn zunehmend liberaler gegenüber fremden Eigenschaften. Plötzlich durchfuhr eine schwere Erschütterung seinen ganzen Körper. Der Erb begann mit dem Bohren. Heem verankerte sich fester, obwohl sich die Wurzeln noch schmerzhafter in sein Fleisch bohrten. Es gab einen furchtbaren Ruck, der ihn fast vom Boden der Röhre riß. »Festhalten, Heem! Sie bohrt das Gitter auf!«

Er wußte das. Er hielt sich fest. Die Erschütterungen wurden fast unerträglich. Pflanzenfasern mußten wirklich zäh sein, um diese Belastung aushalten zu können. Dann, plötzlich, hörten sie auf. Das Gitter war losgerissen!

Windblume warf das Gitter ins Wasser. Sie zog ihre Wurzeln aus Heems Körper. Auch das war schmerzhaft. Doch er hatte das Schlimmste überstanden, und seine Haut war nicht wirklich beschädigt worden.

Sie folgten der Röhre, bis sie an ihr Ende und in eine andere Passage gelangten. Sie hatten das Abwassersystem überwunden! Windblume zog noch immer das Seil hinter sich her. Jetzt verankerte sie ihre Wurzeln im Boden der neuen Passage, war jedoch nicht imstande, das Seil einzuholen. Ihre oberen Ranken waren zwar dazu geeignet, Dinge zu halten, doch nicht, eine Last heranzuziehen.

»Das können wir übernehmen«, sagte Jessica zu Heem. »Lege das Seil auf den Boden, rolle auf ihm entlang und wickle es dabei um dich auf, wie eine Spule - begreifst du, was ich meine?«

»Nein.« Heem hatte noch nie eine Leine benutzt. Sie formte ein Bild für ihn, und plötzlich war es ihm klar. Heem plazierte sich auf einem losen Teil der Leine, rollte dann auf ihr entlang bis zu der Stelle, wo sie ins Wasser eintrat. Hier lag das Seil in einer Art Schleifenform. Er schob seinen Körper in diese Schleife, bildete eine Kerbe in seinem Rücken und ließ die lockere Leine in diese Kerbe gleiten.

»Wie ein Yo-Yo«, sagte Jessica und ließ eine Darstellung davon aufblitzen. »Jetzt krümme dich um die Leine, halte sie fest, und dann ziehe sie aus dem Wasser.

Heem folgte ihrer bildhaften Anweisung. Er konnte sich umdrehen und das in der Kerbe verankerte Seil mit sich ziehen. Als er vom Wasser wegrollte, straffte die Leine sich. Jetzt drückte er seinen Körper nach vorn, und die straffe Leine mußte sich über ihn hinweg unter ihn winden, wo sie von seinem Gewicht festgehalten wurde. Er war tatsächlich wie die Spule, die sie ihm bildhaft dargestellt hatte, holte die Leine ein, ohne sie tatsächlich zu umfassen. Oder wie die Gleiskette eines Traktors, die von seinem Antriebsrad aufgespult wurde. Es war harte Arbeit, von der seine Haut aufgescheuert wurde, doch er wußte, daß sie notwendig war. Er zog wieder und wieder.

Endlich tauchte der Squam neben dem Erb aus dem Wasser. Mit einer ihrer Scheren hatte sie sich an der Leine festgeklammert, in einer anderen hielt sie ihren Übersetzer. Ihre vorderen und hinteren Extremitäten schleppten hinterher. »Meine Anerkennung euch beiden«, sprühte und blinkte der Übersetzer, der durch das Bad keinerlei Schaden gelitten hatte. »Ich hätte mich aus eigener Kraft nie durch das Wasser bewegen können. Meine Schallorientierung ist in einem flüssigen Medium absolut unbrauchbar.«

»Was einer der Gründe dafür ist, daß deine genau treffenden Nadeln einen Squam völlig hilflos machen können«, kommentierte Jessica. »Squams sind sehr stark von ihrem Gehör abhängig, und Wasser an den falschen Stellen nimmt ihnen diesen Sinn.«

Der Erb zog ihre Wurzeln aus dem Boden und streckte ihren Blütenstengel, um sich zu entspannen. Während der ganzen Zeit, die sie mit Heem allein gewesen war, hatte sie eine starke Nervosität gezeigt; die Anwesenheit des Squam war ihr eine Erleichterung. Die beiden, Erb und HydrO, hatten gut zusammengearbeitet, doch ohne das Obersetzungsgerät und die persönlichen Versicherungen des Squam hätte der Erb sich nie darauf eingelassen.

»Mache ihr ein Kompliment«, riet Jessica. »Tue etwas, damit sie dich mag. Alle Weiblichen stehen auf Komplimente. Dadurch läßt sich besser mit ihnen auskommen.«

Heem beschloß, den Rat der Expertin über die Natur des Weiblichen zu befolgen. »Windblume ist besonders tüchtig gewesen«, sprühte er. »Sie hat zwei Gitter herausgerissen und das Seil verankert, trotz aller Schwierigkeiten und Mühen.«

Der Erb reagierte nicht. »Sie hat es aber sehr genau registriert«, versicherte Jessica ihm. »Sie weiß, daß du sehr viel von der Arbeit geleistet hast und trotzdem ihr Anerkennung zolltest.«

Sickh schlang wieder das Seil um ihren Körper, und sie zogen weiter. Der Tunnel rührte aufwärts. Näherten sie sich seinem Ende?

»Ich höre etwas«, sagte Sickh. »Es befindet sich eine lebende Präsenz in der Passage.« »Oh-oh«, sagte Jessica.

Heem konzentrierte sich. Ja, der leichte Luftstrom trug einen bedrohlichen Geschmack zu ihm.

»Tier, nicht Pflanze«, sagte er. »Aber man hat mir doch versichert, daß es auf Exzenter keine gefährlichen Tiere gibt.«

»Niemand kann sagen, was in der Tiefe lebt«, bemerkte der Squam. »Kleine Tiere, die sich von Fungus ernähren vielleicht, deren Eier hier vor der Winterkälte einigermaßen geschützt sind.«

Die Bestätigung für die Richtigkeit dieser Annahme ließ nicht lange auf sich warten. Ein Schwärm pelziger kleiner Kreaturen kam den Tunnel entlang auf sie zu. Heem schmeckte die Haare ihres Fells und die Schwielen an ihren Füßen.

»Sie strahlen Licht ab«, blinkte der Erb. »Sie sind auf den Gesichtssinn orientiert, produzieren im Gegensatz zu meiner Art jedoch ihre eigenen Lichtstrahlen, wenn diese auch recht schwach sind. Es sind sehr viele von diesen Kreaturen; sie bewegen sich auf drei Gliedmaßen und haben eine Wurzel an ihrem hinteren Ende, die ihnen hilft, ihr Gleichgewicht zu halten. Sie scheinen von einer essenden Spezies zu sein.«

»Das ist schlecht«, sagte Jessica finster. »Die essenden Spezies haben in diesem Teil der Galaxie einen sehr schlechten Ruf.« Heem bezweifelte nicht, daß die anderen Transferer ihren Wirten ähnliche Warnungen zukommen ließen.

»Vielleicht kommen sie nur hier vorbei, auf dem Weg zum Wasser«, sagte der Squam.

Eine eitle Hoffnung! Sekunden später fiel die Horde über sie her. »Sie besitzen Waffenöffnungen«, meldete Windblume. »Mit Schneidflächen aus Horn oder Knochen.«

»Zähne!« sagte Jessica. »Ich glaube, die ähneln am meisten einer Tierart, die wir Ratten nennen. Sehr gefährlich!«

Da war ein Aufblitzen, das in einem Geschmack puren Horrors übersetzt wurde. Heem konnte die Reflektionen des Erb nicht direkt empfangen, doch Jessicas Bilddarstellung ließ sie real erscheinen. »Sie fressen an mir!« schrie der Erb. Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte Heem. »An mir auch!« sprühte er. Eine Ratte hatte ihre primitive, zahnbewehrte Öffnung dazu benutzt, Heems Fleisch aufzureißen. »Sitz doch nicht nur herum und laß dich fressen. Nadle sie!« schrie Jessica.

Heem nadelte die Ratte. Die Kreatur gab eine Vibration von sich und wich zurück, aus der Nadel-Wunde blutend. Sofort stürzten ihre Artgenossen sich auf sie und rissen sie in Stücke. Heem schmeckte das Zerfetzen von Fleisch, das Verströmen von Körpersäften. »Das ist ja schlimmer als das, was Squams tun!« sprühte er und vergaß, daß diese Bemerkung äußerst undiplomatisch war.

»Sie nehmen unverdautes Fleisch zu sich!« blinkte Windblume.

»Ekelhaft!« rief Sickh. »Verdauung sollte immer außerhalb des Körpers stattfinden, damit die Abfallprodukte beseitigt werden können.«

Zwei andere Ratten fielen Heem an. Er nadelte sie beide, tötete sie. Inzwischen war der Squam auf den Erb zugeglitten, der diesem Angriff ziemlich hilflos ausgesetzt war. Sickhs Scheren klickten; Heem spürte die Vibrationen, schmeckte die hervorschießenden Rattensäfte und wußte, daß der Squam die empfindlichen Wurzeln des Erb beschützte.

Doch immer mehr Ratten kamen den Tunnel herabgestürmt. Sie waren klein, doch lag etwas sehr Erschreckendes in ihrer Fortbewegungsart auf Füßen. »Der Tumult hat alle Monster der Nachbarschaft auf den Plan gerufen«, sagte Jessica. »Es muß eine Unzahl von diesen Viechern geben. Wir müssen rasch weg von hier, bevor sie uns unter sich begraben.«

»Sie mögen kein Wasser«, verkündete Heem den anderen. »Sie weichen selbst vor meinen leichten Düsenstrahlen zurück. Wir müssen in die Abflußröhre zurück.«

Sie zogen sich zurück. Heem wurde dabei mehrere Male gebissen; die Tiere griffen so schnell und überraschend an, daß es unmöglich war, jedes rechtzeitig zu nadeln. Er war sicher, daß der Erb das gleiche Problem hatte. Nur der Squam war immun - zum Glück, weil der Squam sich nicht lange in dem schützenden Wasser aufhalten konnte.

Sie erreichten den Abflußkanal und tauchten darin unter. Die Ratten drängten sich an seinem Rand, blitzten mit ihren schwachen Lichtstrahlen, fletschten wütend die Zähne.

»Es scheint, daß wir vorläufig sicher sind«, blinkte Sickh. »Aber wie sollen wir weiterkommen und unser Ziel erreichen?«

»Du kannst weitermachen«, sprühte Heem von dem Teil seines Körpers, der sich außerhalb des Wassers befand, »Deinen Panzer können sie nicht durchdringen.«

»Ich darf nicht allein weitermachen; das verbietet mir unsere Abmachung. Wir müssen uns alle aus dieser Lage befreien - oder keiner.«

»Sie meint es ernst«, sagte Jessica. »Es hält nichts sie hier zurück außer ihrer Ehre.«

»Ehre bei einem Squam!« sprühte er bewundernd. »Ich weiß, es war nicht sehr lustig in dem Lava-Dom! Aber du beurteilst noch immer eine ganze Spezies nach einem einzigen Individuum.« »Wir können uns auf demselben Weg zurückziehen, auf dem wir gekommen sind«, blinkte der Erb.

»Und damit jede Siegchance aufgeben«, sprühte Heem. »Dieses Ungeziefer hat Angst vor Wasser«, sagte Sickh. »Unser Freund, der HydrO, hat das begriffen. Vielleicht können wir diese Angst als Waffe benutzen.«

»Das Monster versucht, mir zu schmeicheln«, sprühte Heem innerlich für Jessica. »Genauso, wie ich auf dein Drängen hin dem Erb geschmeichelt habe.«

»Aber es tut dir gut, wenn dir jemand schmeichelt, nicht wahr? Selbst wenn es ein Squam ist.«

Heem machte ein Geschmacksseufzen. »Ja, ich bin nun mal ziemlich schwach den Weiblichen gegenüber.«

»Was ich bereits vor einiger Zeit feststellen konnte.« Doch ihre Stimmung war in diesem Moment ausgezeichnet. »Unter all deinem düsteren Sprühen bist du doch ein verdammt netter Kerl, Heem.« »Jetzt tust du es!«

»Nun ja, gleiche Brüder, gleiche Kappen...« »Kappen?« »Nicht wichtig.« »Ob es eine Möglichkeit gibt, den Tunnel zu fluten?« fragte Windblume. »Damit könnten wir diese Biester vernichten.«

»Ein ausgezeichneter Vorschlag!« stimmte der Squam zu. »Es könnte jedoch recht schwierig sein, etwas zu tun, das die Äonen nicht geschafft haben.«

»Wir könnten die Gitter verwenden, die wir entfernt haben, sie durch andere Materialien verstärken, damit das Abflußrohr blockieren und so den Wasserstand anheben«, fuhr der Erb fort. »Es könnte schwierig sein, vielleicht auch gefährlich. Aber für mich ist eine zu lange Einkerkerung im Dunkel ebenfalls gefährlich und äußerst unangenehm.«

»Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sie sich fühlt«, sagte Jessica.

»Es ergäbe sich außerdem noch das Problem, diese Barriere abzudichten«, erklärte der Squam. »Aber die Alternative...«

»Ich kann sie abdichten«, sprühte Heem. »Mit meinem Körper. Über das Gitter gebreitet.«,

»Mit deinem Körper!« rief Sickh. »Solch ein Opfer erwarten wir nicht von dir!«

»Ich habe nicht die Absicht, mich zu opfern«, nadelte Heem. »Der Körper eines HydrO ist dazu konstruiert, allmählichen Druckanstieg ertragen zu können und seine Form den Gegebenheiten anzupassen. Wenn ein geeigneter Rahmen vor die Röhre gesetzt wird, wie zum Beispiel eins dieser Gitter, kann ich mich darüber breiten und auf diese Weise den Abfluß des Wassers verhindern, bis es ratsam erscheint, ihn wieder freizugeben.«

»Wie willst du dich dann retten? Der Druck würde dich festhalten.«

»Nein, der HydrO-Körper kann sich durch ein Gitter pressen, wenn auch nur langsam.«

»Dann hättest du also auch ohne uns vorankommen können«, blinkte der Erb. »Deinetwegen hätten die Gitter nicht entfernt werden müssen.«

»Aber nein«, sprühte Heem verlegen. »Unsere Abmachung...«

»Ja, genau«, sagte Jessica befriedigt.

»Was ich nicht tun kann«, sprühte Heem, »ist, die Gitter einzusetzen.«

»Das kann ich machen«, sagte der Squam. »Aber ich kann nicht bleiben, um sie festzuhalten, wenn das Wasser steigt. Ich brauche Luft.«

Eigenartig, dachte Heem, der allein von Gasen lebte, daß er unbeschränkt lange unter Wasser bleiben konnte, während der Squam, der nur teilweise von Gasen abhängig war, diese ständig benötigte. Das war wert, in der Erinnerung festgehalten zu werden, für den Fall, daß er jemals in der Nähe von Wasser mit einem Squam in Konflikt geraten sollte. Selbst ein kurzes Untertauchen mochte einen Squam kampfunfähig machen.

»Ich kann das Gitter verankern«, erklärte der Erb.

»Dann haben wir ein durchführbares Programm«, schloß Sickh. »Wenn wir diesen Tunnel so weit fluten können, daß diese Ungeziefer vertrieben werden, ist es uns vielleicht möglich, ihn zu passieren, bevor sie zurückkommen. Wenn es uns dann nicht gelingen sollte, wieder an die Oberfläche zu gelangen, müssen wir zum Traktor zurück und dort Hilfe von der Wettkampfbehörde abwarten, denn dann sind wir aus dem Rennen.«

Heem rollte durch das Hauptrohr, erkundete es durch Tast- und Geschmackssinne. Sie hatten Glück. Dicht hinter der Einmündung des Rohrs verengte es sich. Es schien an dieser Stelle ein riesiges, altes Ventil zu geben, halb im schlammigen Sediment vergraben, dessen Bedienung natürlich jenseits ihrer Fähigkeiten lag, dessen Vorhandensein jedoch zu ihrem Vorteil war, da es sich als Widerlager für ihre Gitter verwenden ließ. Er rollte zurück und berichtete.

»Reichen zwei Gitter?« fragte der Squam.

»Eins tut es auch«, versicherte Heem. »Aber da sind die Löcher, die Windblume gebohrt hat. Es wäre sicher besser, beide zu verwenden, gegeneinander versetzt, so daß die Löcher bedeckt sind. Die Gitter müssen festgehalten werden, bis der Wasserdruck hinter ihnen stark genug ist.«

»Und wenn das geschieht, wird der Druck vor ihnen absinken«, sagte Sickh. »Vielleicht ist dann dort Luft vorhanden.«

»Es befindet sich schon jetzt eine Luftblase im Ventil«, erinnerte sich Heem. »Eingefangen von der Engstelle der Röhre. Die Luft ist brauchbar; ich habe sie geschmeckt.«

Sie sprachen eilig die Einzelheiten ab und machten sich an die Arbeit. Windblume hob und trug die Gitter langsam zu dem Ventil und lehnte sie dagegen. Dann zog sie Sickh an dem Seil heran - genaugenommen wurde das Seil von dem Erb nur verankert und die Strömung trieb den Squam zu ihr. Sickh half Windblume, die beiden Gitter genau einzupassen, packte sie dann mit ihren Scheren und hielt sie fest. Dabei reckte sie ihr Atmungsorgan in die Luftblase. Windblume grub ihre Wurzeln fest in die Sedimente des Bodens, schlang ihre oberen Triebe um die Gitterstangen und hielt sie aufrechtstehend fest. Und Heem breitete seinen Körper flach aus, machte ihn zu einer dünnen, weiten Scheibe auf den Gittern und verhinderte so den Abfluß des Wassers.

Sofort stieg der Wasserdruck an. Es herrschte an dieser Stelle eine spürbare Strömung, die anzeigte, daß erhebliche Wassermengen hindurchflossen. Jetzt staute sich dieses Wasser auf, drang allmählich in den Tunnel ein. Da dessen Boden nur geringfügig anstieg, reichte schon eine geringe Anhebung des Wasserspiegels aus, um eine weite Tunnelstrecke zu überfluten. Aber wie weit mußte das Wasser vordringen, um alle Ratten zu vertreiben? Und wenn es sich statt dessen in Richtung der großen Zentralhöhle ergoß, würden sie ihren Tunnel nie räumen können. Sie konnten nur hoffen, daß die schmale Passage vor ihnen tiefer lag als die hinter ihnen liegende. Heem hielt das für wahrscheinlich.

»Wir müssen eine Weile warten, denke ich«, sagte der Squam. »Wollen wir uns die Zeit durch ein Gespräch verkürzen? Wenn du, Heem, in der Lage bist, von deiner trockenen Seite aus zu sprühen, und du, Windblume, eins deiner Blütenblätter hier hindurchsteckst... «

Sie schafften es. Der Erb streckte ein Blütenblatt durch einen Spalt zwischen Gitter und Rohrwand, und Heem versiegelte den Rest der Öffnung mit seinem Körper. Sie waren jetzt in physischem Kontakt, doch hatten sie sich daran schon gewöhnt.

»Ich würde gerne wissen, Heem, wie deine Spezies die Raumtechnologie entwickelt hat«, sagte Sickh, einer Standardfrage zur Eröffnung einer Inter-Spezies-Konversation, wie Heem vermutete. »Wir waren, bis uns das Zusammentreffen mit den Intelligenzen anderer Sternsysteme eines besseren belehrte, der Überzeugung, daß es dazu erforderlich sei, eine akkurate Vibrations- und Radiationsperzeption zu besitzen, sowie auch manipulierbare Extremitäten. Aber HydrOs haben keins von beiden. Ich weiß inzwischen, daß ihr recht gut mit Raumschiffen, Traktoren und anderen Geräten umgehen könnt - aber wie wart ihr in der Lage, dies alles zu konstruieren?«

»Ist das nicht offenkundig?« sprühte Heem überrascht. »Natürlich ist es nicht offenkundig, du Trottel!« sagte Jessica in seinem Inneren. »Wir So- larier stellten uns die gleichen Fragen. Wie konntet ihr wachsen, jagen, Nahrung sammeln oder zubereiten, um nur ein Beispiel zu nennen, wenn ihr keine - oh!«

Jessicas Kommentar mochte zwar etwas deplaciert gewesen sein, doch lieferte er Heem den Schlüssel für seine Antwort an den Squam. »HydrOs sind nicht mit den Sorgen um Nahrungsaufnahme und Schutz belastet, wie es bei gewissen anderen Spezies der Fall ist«, sprühte er delikat. »Folglich können wir alle unsere Kräfte intellektuellen und taktischen Interessen widmen. Wir sind in der Lage, Objekte von erheblicher Größe zu bewegen, indem wir sie schieben oder rollen, hielten es jedoch für praktischer, Maschinen zu entwickeln, die uns diese groben Arbeiten abnehmen.« »Aber wie habt ihr...«, begann der Squam. Heem stellte fest, daß ihm dies Spaß machte. »Wir geschmacksanalysierten eine Anzahl verschiedener Substanzen und stellten fest, daß einige von ihnen Eigenschaften besaßen, die uns dienlich sein konnten. Wenn wir gewisse Steine mit einer bestimmten Kraft fortdüsten, wurden dadurch in ihnen Spuren elektrischer Ströme freigesetzt, die wir schmecken konnten.«

»Halbleiterdioden!« rief Jessica.

»Und bestimmte Metalle leiteten Strom von einer Region zu einer anderen, wenn man seinen Fluß durch bestimmte Vorrichtungen dazu brachte, seine Natur zu verändern, sich in Wärme zu verwandeln oder eine anziehende Kraft für andere Substanzen zu bilden...«

»Drähte, Transformatoren, Widerstände, Magnete«, fuhr Jessica fort. »Damit hattet ihr die Grundlagen für den Elektromotor.«

»Und die entsprechende Kombination solcher Substanzen und elektrischen Ströme führte zur Konstruktion der ersten einfachen elektrischen Maschinen. Es war wirklich nicht sehr schwierig, da wir die Natur eines jeden Stromkreises und Stromflusses genau schmecken konnten. Unsere kleinen Maschinen wurden dazu verwandt, größere Maschinen zu konstruieren, eine Entwicklung, die uns schließlich bis in den Weltraum führte. Für uns war es immer ein Rätsel, wie Kreaturen, die nicht über einen feinen analytischen Geschmackssinn verfügten und deshalb unfähig waren, die präzisen Eigenschaften von Materie zu erfassen, jemals ein vergleichbares technologisches Niveau erreichen konnten.«

»Du stellst das mit einer. bewundernswerten Klarheit dar«, sagte Sickh. »Jetzt begreife ich, daß ihr von der molekularen Ebene zur makroskopischen gegangen seid - ein sehr vernünftiger Schritt. Meine Spezies ist den umgekehrten Weg gegangen, unter Ausnutzung des Prinzips der Hebelwirkung und der Verwendung brennbarer Substanzen, um große, primitive Maschinen zu erzeugen, aus denen wir dann kleinere, präzisere entwickelten. Am raschesten war der Fortschritt auf dem Gebiet der Akustik, jedoch erlangten wir im Lauf der Zeit die nötige Kompetenz, um auch auf anderen technischen Gebieten vorankommen zu können.«

»Wie euer Multi-Spezies-Übersetzer beweist«, sagte Jessica. »Das ist ein sehr nettes Gerät, wenn man seine handliche Größe berücksichtigt.«

»Und wir Erbs«, blinkte Windblume, »begannen mit der Optik. Wir waren uns von Anbeginn an der Sterne des Universums bewußt; genaugenommen ist wahrscheinlich die ständige Beobachtung dieser nächtlichen Phänomene der Hauptstimulus dafür gewesen, daß wir Mobilität entwikkelt haben. Wir wollten diese Lichter genauer studieren und erkannten schon sehr früh, daß jedes von ihnen eine schier unerschöpfliche Quelle lebenspendenden Lichts war, genau wie unser naher Stern. Wir begannen mit der Entwicklung der Optik; von einfacher Reflektion, wie wir sie für die gewöhnliche Kommunikation verwenden, drangen wir bis zur Lasertechnologie vor, breiteten dann unsere Blätter aus, um damit die Erleuchtungen anderer Disziplinen aufzufangen. Wir waren erstaunt zu entdecken, daß Intelligenz auch ohne die Sehkraft möglich war. Rückblickend mag es scheinen, daß Intelligenz sich in fast jeder Lebensform entwickeln kann, wenn die anderen Umstände den Erfordernissen entsprechen.«

»Selbst bei Spezies, die Gesichtssinn und Glieder besitzen und Nahrung zu sich nehmen«, stimmte Heem zu. »Das wirst du mir büßen!« sagte Jessica. »Wir scheinen wirklich die ultimative Einheit in der Intelligenz zu erreichen, so verschieden unsere Ursprünge auch sein mögen«, erklärte Sickh. »Es ist möglich, daß nicht alle von uns überleben. Für den Fall, daß ich sterbe, bitte ich die Überlebenden zu berichten, was mit mir und meinem Transferer geschehen ist, der uns natürlich in jeder Weise unterstützt und die gleichen Risiken auf sich genommen hat wie wir. Mein Transferer ist Hov vom Sternsystem Salivar; ihre Spezies besitzt zu ihrem Bedauern eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ungeziefer in diesem Tunnel; doch nur im Aussehen, sonst ist sie ein sehr sympathisches Wesen.«

»Physische Substanz besitzt keinerlei Bedeutung«, blinkte Windblume. »Es gibt Pflanzen, die Licht mutwillig verstreuen und alles, was um sie ist, verbrennen, auch andere Pflanzen, die auf eine konstruktive Art intelligent sind. Wir freuen uns, dich kennenzulernen, Hov von Salivar.«

»Ich danke dir, Windblume von Erb.«

»Mein Transferer möchte sich ebenfalls vorstellen«, fuhr der Erb fort. »Sie ist Wryv vom Sternsystem Ffrob, eine funguide Intelligenz.«

Sie tauschten mit Wryv höfliche Begrüßungsformeln aus.

Heem war an der Reihe. »Sollen wir es ihnen sagen?« fragte er Jessica.

»Oh, meinetwegen. Ich möchte auch, daß die anderen von mir wissen. Also laß die Katze aus dem Sack.«

Heem kannte den Begriff nicht und wollte schon fragen, was eine Katze sei, blieb dann jedoch beim Thema. »Ich bin ein Vertreter der HydrO- Spezies«, sprühte er. »Mein Transferer kommt nicht von Tausendstern. Sie ist Jessica vom Sternsystem Sol im Segment Etamin, körperlich ähnlich den Squam, besitzt jedoch Sehvermögen und ist weiblich.«

Einen Moment herrschte Schweigen. »Habe ich dich nicht richtig verstanden?« fragte Sickh schließlich. »Ich habe vom Segment Etamin in dem kaum bekannten Teil der Galaxis gehört und auch vage von dem Stern Sol in der stellaren Wildnis. Aber ich war sicher, daß du ein Männlicher bist.«

»Es ist ungewöhnlich«, sprühte Heem, »doch wir haben hier tatsächlich einen weiblichen Transferer in einem männlichen Wirt.«

»Ungewöhnlich!« schrie der Squam. »Das ist die Untertreibung aller...«

»Wenn es so ist«, blinkte Windblume, »brauche ich dich nicht zu fürchten. Eine Weibliche, die sehen kann...«

»Das ist weibliche Unlogik«, sprühte Heem. »Typisch auch für meinen Transferer.«

»Sehr gut!« rief Jessica. »Wenn es sie beruhigt, wollen wir zufrieden sein!«

Sickh war ernsthafter. »Erklärt diese bemerkenswerte Kombination deine Verwandlung von der robusten Persönlichkeit von Schiff H- Sechsundsechzig zu dem mitfühlenden Individuum, das für einen meiner Art Hilfe herbeigeholt hat? Mir scheint, als ob sich da ein deutlicher weiblicher Einfluß erkennen ließe.«

»Ich hatte nicht die Absicht, einem von deiner Art zu helfen«, gab Heem zu. »Sie hat mich dazu gedrängt.« »Laß sie mit uns blinken«, bat Windblume. Heem überließ seinen Körper Jessica. Wenn diese Leute glaubten, er hätte sie belogen, und versuchen wollten, ihn mit Hilfe einer weiblichen Unterhaltung zu fangen, würden sie enttäuscht werden.

»Hallo, Mädchen«, sagte Jessica, und dann begannen sie einen fröhlichen Trialog, während Heem ein kleines Nickerchen machte.

Er wurde in die Wirklichkeit zurückgeholt, als jemand eine Frage an ihn richtete. Jessica hatte ihm seinen Körper zurückgegeben. »Steht das Wasser jetzt hoch genug?« fragte der Squam. »Wir dürfen nicht mehr viel Zeit vergeuden, damit die anderen die Fundstätte nicht vor uns erreichen und all unsere Mühe zunichte machen.«

Heem schmeckte das Wasser. »Das Aroma beweist, daß eine erhebliche Menge ehemals trockener Oberfläche jetzt vom Wasser bedeckt ist und viele der kleinen Tiere ertrunken sind. Doch noch mehr scheinen am Leben geblieben zu sein.«

»Laßt uns noch ein wenig länger warten«, rief Sickh. »Das Ungeziefer muß restlos beseitigt werden.«

»Nicht viel länger«, blinkte Windblume. »Ich bin nun schon eine ganze Weile ohne Licht und habe eine Menge Energie verbraucht; ich werde allmählich schwach.«

»Und ich verspüre - ich bitte um Entschuldigung - Hunger«, sagte der Squam. »Doch zum Essen bleibt nicht genug Zeit. Glaubst du also, daß es jetzt sicher ist, das Wasser abzulassen?«

»Sicher? Nein«, erklärte Heem. »Doch dieses Ungeziefer besitzt keine Intelligenz. Die Tiere merken vielleicht nicht, daß das Wasser zurückweicht, und bleiben zurück. Für eine Weile zumindest.«

»Dann wollen wir den Einsatz wagen. Wir werden mit einer Krise anderer Art konfrontiert, wenn wir zu lange warten.«

Die Krise eines hungrigen Squam? Heem zog seinen Körper wieder zusammen und ließ das Wasser durch das Ventil abfließen. Er wollte den Stau so rasch wie möglich aufheben, damit den Ratten weniger Zeit blieb, die Veränderung zu bemerken.

Und es wurde kein sanftes Abfließen. Es bildete sich eine reißende Strömung, die ihre Körper fortzuschwemmen drohte. Heem versuchte, sie einzudämmen, indem er sich wieder ausbreitete, doch es gelang ihm nicht; die Gitter wurden von der Kraft des Wassers bereits beiseite gedrängt, und er mußte sich eiligst von ihnen lösen, um nicht mitgerissen zu werden. Er klammerte sich fest, indem er das Ventil umschloß und auch einen Teil des Erb. Irgend etwas krallte sich schmerzhaft in sein Fleisch, rief eine Geschmackserinnerung an seinen so lange zurückliegenden Kampf mit Schlängelschreck wach. Er versuchte verzweifelt, sich festzuhalten, als die Turbulenzen ihn fortrissen. All ihre Mühen waren umsonst, dachte er, als sie durch das Abflußrohr fortgespült wurden. Wegen eines einzigen Denkfehlers, den er begangen hatte.

»Mach dir keine Vorwürfe, Heem«, sagte Jessica. »Das konnte niemand voraussehen.«

»Aber ich beherrsche die Strömungs-Dynamik. Ich hätte vorsichtiger sein müssen.«

»Wie oft hast du schon mit einem Millionen von Jahren alten Abflußsystem zu tun gehabt? Wir alle machen Fehler, besonders, wenn wir in Eile sind. Halte nur durch.«

Er hielt durch, wie sie es ausdrückte. Endlich ließ die Turbulenz nach. Das Wasser kehrte zu seinem ursprünglichen Niveau zurück, nahm aber nicht wieder seinen ursprünglichen Geschmack an. Die SedimentAblagerungen waren aufgewühlt und im Wasser verteilt worden, wodurch der Geschmack verändert wurde. Heem schmeckte auch die Säfte der toten Ungeziefer, die von der Strömung mitgeschwemmt wurden. Zumindest etwas hatte er erreichen können.

Er entdeckte, daß eine von Sickhs Scheren sich in sein Fleisch gegraben hatte. Das war es, was er vorhin gespürt hatte. Es schmerzte stark, doch Heem wußte, daß Sickh es nur aus Verzweiflung getan hatte, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden.

Der Erb ging zur querverlaufenden Röhre zurück. Heem wollte folgen - und wurde von dem Squam festgehalten. »Sie ist bewußtlos«, sagte Jessica. »Vielleicht sogar tot - ertrunken. Wir müssen sie sofort aus dem Wasser bringen, Heem!«

Heem versuchte es. Das Seil war fort, und auch das Übersetzungsgerät; er konnte den Squam nicht einmal bitten, ihn loszulassen - und wenn sie ihn losließe, wäre sie verloren, denn er konnte sie ja nicht tragen. Er rollte voran, düste mit aller Kraft durch das Wasser, wuchtete ihren Körper dabei um sich herum und über sich hinweg. Das Wasser reduzierte ihr Gewicht; er konnte es schaffen. Wenn sie vor ihm war, rollte er sich über sie hinweg; ihren gepanzerten Körper konnte er dabei nicht zerbrechen. Dann weiter. Es kostete ihn viel Kraft, doch er kam voran. Er wuchtete Sickh um die Ecke und durch das Ausgangsrohr. Endlich waren sie in freier Luft.

Windblume war bereits dort, konnte sie jedoch im Dunkel nicht sehen. Ihre Ranken fuhren besorgt über seinen Körper, fanden die in Heems Fleisch gegrabene Schere Sickhs. Da wußte sie, was zu tun war. Sie formte ihren Bohrer, die harte Spitze zwängte sich in die Schere, und diese sprang plötzlich auseinander. Heem war frei.

Der Erb hob den Körper des Squam vom Boden auf und schüttelte ihn. Wasser rann aus seinen Öffnungen. Sickh erschauerte leicht.

»Sie lebt«, sagte Jessica erleichtert. »Es wäre schrecklich gewesen, wenn sie ertrunken wäre.«

Heem mußte zustimmen. Er hätte nie geglaubt, so etwas für einen Squam fühlen zu können, aber natürlich hatte er bis dahin noch nie mit einem weiblichen Squam zu tun gehabt.

Jetzt befanden sie sich in dem Rattentunnel, ohne Seil und ohne Übersetzer. Sie mußten weiter. Heem hoffte, daß sich keine weiteren Schwierigkeiten ergeben würden, die jetzigen reichten ihnen völlig.

Sickh hatte sich soweit erholt, daß sie sich fortbewegen konnte. Sie zogen weiter, so rasch, wie es ihnen möglich war. Heem hatte die Führung übernommen, da der Erb nicht mehr sehen konnte, während Heems Wahrnehmung nicht gelitten hatte; er konnte Gefahren so rechtzeitig erkennen, daß er die anderen davor bewahren konnte. Der Squam besaß ebenfalls seine volle Wahrnehmung, war jedoch körperlich stark geschwächt.

Die Ratten waren verschwunden; das Wasser hatte sie besiegt. Es hatte auch den Boden des Tunnels gereinigt, wodurch das Fortkommen etwas erleichtert wurde.

Die Passage führte jetzt leicht aufwärts. Sie erreichten die Wassergrenze und gelangten von feuchtem auf trockenen Grund, doch keine Ratte ließ sich blicken. Heem schmeckte ihre Spuren; viele von ihnen waren hier entlanggelaufen, doch sie schienen vor dem verfolgenden Wasser große Angst gehabt zu haben. Ein gutes Zeichen.

Sie gelangten wieder in eine große Kammer, die gleich der ersten war, durchquerten sie eilig, in der Hoffnung, auf ihrer anderen Seite einen weiterführenden Tunnel zu finden. Sie fanden ihn, folgten ihm über einen in Querrichtung verlaufenden Seitengang hinweg und kamen schließlich zu...

Zu einer weiteren Kammer an seinem Ende; ohne einen zweiten Zugang. Genau wie die Kammer, in die sie von außen eingebrochen waren und wo sie ihren Trip in die Unterwelt begonnen hatten.

»Eine Kaserne, ohne Zweifel«, sagte Jessica. »Unterkunftsräume und eine zentrale Speisehalle - zwei Unterkünfte, für zwei Bataillone, einander spiegelgleich, mit einem gemeinsamen Abwassersystem. Das Problem ist nur: wie kommen wir hinaus?«

»Der Erb soll ein Loch bohren«, antwortete Heem. »Hast du Windblume genau angesehen? Sie ist lange Zeit ohne Licht gewesen; sie verwelkt. Ich glaube nicht, daß sie es schaffen kann.«

Um ihre Lage noch schlimmer zu machen, kamen jetzt die Ratten zurück. Vielleicht waren es andere, welche die Gefahr des höhersteigenden

Wassers nicht kennengelernt hatten, und so zeigten sie Mut. Glücklicherweise waren sie nicht so zahlreich; anscheinend war das Nahrungsangebot in diesem Teil der unterirdischen Welt etwas kärglich. Bis jetzt! Doch mit einem Erb am Rande der Erschöpfung, der sie nicht sehen konnte, und mit einem Squam, dem es kaum besser ging, war die Lage alles andere als rosig.

Die Ratten wurden dreister. Es konnte den dreien Schlimmeres passieren, als den Wettkampf zu verlieren, wenn es ihnen nicht gelang, bald einen Ausweg aus diesem Labyrinth zu finden.

Der Squam ergriff die Initiative. Sie packte den Erb vorsichtig mit einer ihren Scheren und führte sie an die Außenwand. Dann tippte sie deutend dagegen. Der Erb mußte versuchen, sie zu durchbohren, erschöpft oder nicht. Ihr Leben hing davon ab.

Eine Ratte griff an. Sie hatte Windblume als geschwächte, leichte Beute erkannt. Heem rollte auf sie zu und nadelte sie mit Präzision. Das Ding fiel auf den Rücken, zappelte mit seinen drei Beinen. Heem plazierte sich hinter den Erb, um weitere Angriffe abzuwehren, während der Squam den Bohrer an die Wand führte.

Ihre Zusammenarbeit war sehr effizient - auch ohne den Übersetzer. Weil sie einander jetzt kannten, einander vertrauten, und weil ihnen gar nichts anderes übrig blieb.

Der Bohrer begann zu rotieren. Selbst Heem spürte, daß er sich nicht mit der gewohnten Kraft drehte. Er fraß sich in die Felswand. Der Geschmack von Steinstaub wirbelte auf. Dann lösten sich Felsbrocken und polterten zu Boden. Die Wand barst. Sie schaffte es!

Der Bohrer blieb stehen. Windblume neigte sich zu Boden. Heem musterte sie besorgt. Ein leichter Fäulnisgeschmack ging von ihr aus.

»Sie verwelkt!« rief Jessica. »Sie hat den letzten Rest ihrer Kraft verbraucht! Sie muß Licht haben! Sofort!«

Die Ratten, die ihren Vorteil spürten, griffen an. Heem nadelte drei auf einmal und war erstaunt, wie leicht ihm das gelang; nur wenige HydrOs würden das schaffen. »Es ist das Sehvermögen«, sagte Jessica. »Erinnerst du dich daran, wie es dir dabei half, das Nadelöhr von Lochstern zu durchfliegen? Jetzt kannst du die Ratten sehen und sie vernichten. Das ist eine ausgezeichnete Übung.«

Und das war es auch. Noch nie hatte Heem eine so vollkommene Kontrolle besessen, war es ihm möglich gewesen, mehrere Ziele gleichzeitig zu nadeln. Doch er wollte seiner Macht ganz sicher sein.

Immer mehr Ratten stürmten heran. Sie hatten jetzt die Grenze seiner Reichweite erkannt und drängten sich dicht außerhalb davon; selbst mit seinen verstärkten Kräften gab es für ihn Grenzen. Bald würden sie angreifen, in einer so großen Überzahl, daß er ihnen nicht standhalten können würde - falls es ihm nicht gelang, seine Reichweite zu vergrößern.

Der Erb sank zu Boden. Die Ratten krochen langsam auf sie zu. Heem breitete sich halb über sie und nadelte die vordersten der anschleichenden Ratten. Es hatte alles keinen Sinn. Sie waren hier gefangen und würden hier ihr Ende finden, doch bis zu diesem Ende wurde er kämpfen.

Und diese Zielübungen machten ihm Spaß. Er wurde tatsächlich besser, erledigte Ratten in einer zweifachen Entfernung seiner normalen Reichweite, trieb die ganze Horde verschüchtert zurück. Er dezimierte sie aus der Entfernung und hätte sie in Kürze restlos vertilgen können - wenn nicht immer mehr von ihnen aus dem hinteren Tunnel herausgekommen wären.

Der Squam glitt an seine Seite. Zwei Ratten griffen sie an, schlugen ihre Zähne in ihren Oberkörper. Sie konnten sie nicht verletzen, doch sie war darüber verärgert. Sie packte die beiden Ratten mit zweien ihrer Scheren, zerquetschte sie, so daß ihre Körpersäfte herausspritzten, und schleuderte sie dann blutend in die Masse ihrer Artgenossen. Sie war jetzt wieder bei Kräften; sie könnte den Ratten widerstehen. Doch sie konnte nicht allein durch das Abflußrohr gelangen, also war auch sie zum Sterben verurteilt.

Sickh klopfte mit einer Schere gegen die Felswand. Sie glitt weiter und klopfte wieder. Was hatte sie vor? »Sie sucht nach der dünnsten Stelle, nach Rissen«, erklärte Jessica. »Der Erb hat die Wand geschwächt; wenn man sie durch Stöße ganz durchbrechen kann...«

Sickh hatte die richtige Stelle gefunden und schlug härter gegen die Felswand, schließlich mit allen drei Scheren gleichzeitig. Bang - bang - bang! Heem spürte die Vibrationen, immer stärker und stärker.

Dann ein Rütteln, als irgend etwas brach. »Sie schafft es!« schrie Jessica. »Sie hat die richtige Stelle gefunden! Wenn sie es jetzt nur zu Ende bringen kann...«

Sickh schlängelte sich in die Mitte der großen Höhle. Dann bewegte sie sich so schnell sie konnte auf die Wand zu und warf ihren gepanzerten Körper gegen den Fels. Wieder eine Erschütterung, viel stärker dieses Mal, Felsbrocken polterten herab. Doch es zeigte sich kein Durchbruch. »Wenn wir nur einen Traktor hätten, wie vorhin«, sagte Jessica.

Die Ratten gerieten durch die Vibrationen in Panik. Sie reagierten offensichtlich auf das Fallen von Stein genauso empfindlich wie auf das Fluten von Tunnels. Sie rasten wild in der Kammer umher. Der Squam schien unschlüssig.

»Sie kann nicht genügend Geschwindigkeit entwickeln, wenn ihr die Ratten in den Weg laufen«, sagte Jessica. »Wir müssen sie verjagen. Mal sehen, ob wir das schaffen, Heem.« Sie formte Bilder von den Kreaturen und stellte sich vor, daß einige von ihnen eine Zielscheibe an ihrem Körper trügen. »Zielübung - Abschlußprüfung.«

Heem orientierte sich, sammelte seine Körpersäfte und feuerte eine ganze Kanonade von Nadeln gleichzeitig ab. Jessica hatte sieben der Ratten markiert, und er brauchte jetzt all sein fast unheimliches Können. Jede Ratte, die er nicht erledigte, würde Sickh in den Weg kommen. Selbst auf diese weite Distanz erledigte er sechs Ratten. Die siebente war nur verwundet; sofort jagte Heem noch eine Nadel hinterher, und diesmal traf er richtig. Dies war nicht nur seine persönliche Bestleistung, sondern auch das genaueste multiple Nadeln, das er jemals bei einem seiner Art geschmeckt hatte. Er war ein Super-HydrO!

»Laß dir das nur nicht zu Kopf steigen«, warnte Jessica ihn. »Wenn du uns die Wand aufdüsen könntest, dann hättest du einen Grund zum Krähen.«

Er gewöhnte sich allmählich an ihre albernen Bemerkungen. Aber sie hatte recht; er verdankte sein Können allein ihrem Sehvermögen, nicht seiner eigenen Fähigkeit.

Der Weg war frei. Sickh raste durch die Halle, warf sich mit aller Kraft gegen die Wand, brach sie auf. Ein Wandstück brach zusammen. Heem spürte einen plötzlichen Wechsel von Geschmack in der Luft. Die Ratten stoben in heller Panik davon. »Das ist der Geschmack von Licht!« schrie Jessica. »Sie hat die Wand durchbrochen!«

Der Squam war zusammengesunken und lag reglos auf dem Boden. Die harte Kollision hatte sie verletzt. Sie bewegte matt eine ihrer drei Scheren, dann rührte sie sich nicht mehr.

»So nahe! So dicht vor dem Ziel!« stöhnte Jessica. »Beide - wenn sie nur noch ein wenig länger durchgehalten hätten - und wir, die wir bei Kräften sind, konnten sie hier nicht einsetzen. Welch eine Ironie!«

»Licht!« sprühte Heem. »Der Erb - sie braucht Licht. Wenn wir sie sofort ins Licht bringen, ist sie vielleicht gerettet.«

Sie versuchten es. Die Ratten stellten im Moment keine Gefahr dar. Er konzentrierte sich völlig auf seine Arbeit, schob einen Teil von sich unter Windblumes Körper und stieß harte Düsenstrahlen aus, wie für ein Berganrollen. Seine Körpermasse schob sie ein Stück vor sich her, dann glitt sie unter ihn. »Versuche es noch einmal, Heem!« rief Jessica. »Schaffe sie in den Lichtbalken, der dort hereinfällt!«

Heem drückte wieder und wieder, und jedesmal schob er sie ein Stück weiter. Ihr Körper war nicht fest, etwa wie ein Stein; sie war schlank und biegsam, und es war schwer, festen Halt daran zu finden. Die Arbeit war mühevoll und langsam. Doch schließlich waren sie neben dem Squam, und Windblumes Stengel glitt ins Licht.

Der Erb regte sich. Ihre Blätter schwankten wie von einer Brise bewegt; die Geschmacksqualität veränderte sich. Sie bog sich, reckte sich dem Licht entgegen, absorbierte es.

Die Ratten kamen zurück; sie hatten ihren ersten Schock überwunden. Sie waren schließlich sehfähige Kreaturen; sie stießen kleine Lichtblitze aus, um ihre Umwelt erkennen zu können. Die stärkere Strahlung von außen verwirrte sie anfangs ein wenig, konnte ihnen jedoch nichts anhaben. »Halte sie zurück, Heem«, sagte Jessica. »Wir müssen Windblume Zeit geben, wieder zu Kräften zu kommen. Vielleicht hat sie Körperreserven, die sie mobilisieren kann, wenn sie erkennt, daß wir es fast geschafft haben.«

Heem hielt die Ratten zurück, machte dabei weiter seine Zielübungen. Doch auch seine Kraft ließ jetzt nach. Die lange, harte Arbeit hatte seine Körpertemperatur ansteigen lassen; seine heißen Nadeln waren zwar äußerst effektiv, doch er mußte sich abkühlen, da er sonst seine Körpergewebe zerstören würde. Sein Flüssigkeitsreservoir zeigte Ebbe; er verbrauchte den freien Wasserstoff dieser Atmosphäre rascher als die langsame Luftzirkulation ihn erneuerte, und jede Nadel verbrauchte mehr davon. Etwas Frischluft drang zwar durch den Riß in der Felswand herein, doch längst nicht genug. Er begann unter akutem Wasserstoffmangel zu leiden und wurde zunehmend matter.

»Nicht aufgeben!« forderte Jessica. »Windblume kommt wieder zu Kräften. Halte nur noch für kurze Zeit die Ratten zurück...« Und sie gab ihm einen ermutigenden Kuß.

Heem hielt sie noch für eine lange Zeit zurück. Er verlor allmählich das Bewußtsein und konzentrierte sich auf unmittelbare Gefahren. Wenn eine Ratte direkt angriff, nadelte er sie, und sie fiel tot zu Boden. Doch die Reichweite seiner Nadeln wurde ständig geringer, und der Halbkreis der Ratten drängte ständig näher. Wenn diese dummen Kreaturen erkannten, wie hilflos er jetzt gegenüber einem massierten Angriff war...

Doch jedesmal, wenn Heem in ermattete Resignation versank, riß Jessica ihn durch Schmeicheln, Anfeuern, Drohen und Anschreien wieder heraus. Nach und nach vermischten sich alle diese Dinge in seinem Bewußtsein zu dem Massengeschmack des Gemurmeis einer großen

Menge, doch er zwang sich trotzdem dazu, sich davon aus seinem Dämmerzustand reißen zu lassen. Er war hilflos nicht nur gegenüber den Ratten, sondern auch gegenüber den Ermutigungen und Drohungen der Alien, und mußte tun, was sie befahl.

Der Erb zog sich langsam auf die Wurzeln. Sie stand wieder aufrecht! Sie formte ihren Bohrer und rammte ihn in den Riß der Felswand. Sie versetzte ihn in Rotation und spreizte gleichzeitig ihre Blütenblätter - und plötzlich klaffte der Riß zu einem breiten Spalt auf; ein Teil der Wand stürzte ein. Dicke Staubwolken wirbelten auf, Steintrümmer polterten herab und begruben den bewußtlosen Squam halb unter sich. Eine Lichtflut strömte herein, badete sie alle in ihrer Wärme.

Heem sackte zusammen. Das Licht machte ihm nichts, doch die Wärme trieb seine ohnehin schon gefährlich hohe Körpertemperatur an die Grenze des Todes. Er hatte getan, was möglich war, und konnte nichts mehr geben. Er mußte seinen Körper zusammensacken lassen und Wasserstoff hineinpumpen. Doch der Erb war gerettet; er konnte weiterziehen und das Ziel erreichen. Einer würde entkommen. Aber Windblume zog nicht weiter. Sie vergrößerte das Loch und stieg dann mühsam über die Gesteinstrümmer in die Kammer zurück. Sie entdeckte Sickh - denn sie konnte natürlich wieder sehen -, schob ihren Bohrer unter die Trümmer, unter denen sie lag, und schleuderte sie beiseite. Die Ratten stoben wieder davon, als ein Hagel von schweren Steinbrocken auf sie herabprasselte. Welch eine enorme Kraft steckte in einem Erb, der genügend Licht bekam!

Sickh regte sich. Sie war sehr lange bewußtlos gewesen und kam jetzt wieder zu sich. Sie kroch über die Steintrümmer auf Heem zu. Zwei würden entkommen.

Der Squam packte Heems weiches Fleisch mit einer Schere und begann zu zerren. Es tat weh, doch es war gut; sie zog ihn auf das Loch zu.

Auf - was?

»Idiot!« fuhr Jessica ihn an. »Dein wirrer Verstand verwechselt dieses Loch mit dem Schwarzen Loch. Also reg dich wieder ab!«

Heem entspannte sich. Dies war nicht das Ende, es war die Rettung. Aufwärts und hinaus bewegten sie sich, in den herrlichen Geschmack und den frischen Wasserstoff eines lebendigen Tages.

Drei waren entkommen.