2. Dreifaches Unglück

 

»Wach auf, Heem«, nadelstrahlte die Weibliche gebieterisch. Heem wurde schlagartig wach. Dies war nicht die Weibliche aus seiner Erinnerung, sondern Swoon von Süßsumpf aus seiner Jetztzeit. »Du hast dich qualifiziert?« fragte er besorgt. »Habe ich. Du hast die Wahrheit gespritzt. Als ich deinen Namen ins Spiel brachte, wurde mir die Strafe erlassen, und ich wurde sofort akzeptiert.«

»Du hast aber ziemlich lange gebraucht, um zurückzukommen«, nadelstrahlte Heem gereizt.

»Woher willst du das wissen? Du warst doch bewußtlos.« »Schmerz ist falsch«, sprühte es aus den Nachrichtendüsen. »Zuum von Aromawolke scheidet aus. Plan ist falsch. Baas von Brackwasser ist draußen.« »Gib mir Daten«, sprühte er. »Drei ist falsch«, rieselte es aus den Düsen. »Na schön«, lenkte Swoon ein. »Hier wäre eine Liste der richtigen Begriffe: hart, weich, Freude, dicht, Zaghaftigkeit, Aufstieg, spröde, Humor, Absicht, sauer.«

»Diffus ist richtig«, verkündeten die Nachrichtendüsen. »Diis von Wonnenebel übernimmt Schiff elf.« Eine Nebelwolke ausgelassener Freude breitete sich aus, als Diis seinen Erfolg feierte.

Heem betrachtete die einzelnen Teile des Puzzles, verfügte er doch endlich über die kompletten Angaben - doch er wurde durch die Bekanntgabe eines weiteren Fehlversuchs abgelenkt. Es war schwierig genug, sich auf die immer länger werdende Liste zu konzentrieren und sich dabei noch sämtliche Fehlversuche zu merken, doch ihm war völlig klar, daß er diese Fehler auf keinen Fall ignorieren durfte. »Swoon, wir haben unseren jüngsten Streit beigelegt und uns ausgesöhnt«, nadelstrahlte er. »Doch wir beide haben auch Zeit verloren. Meinst du nicht, wir sollten uns im weiteren gegenseitig helfen?«

»Das wäre sicher das Klügste«, gab sie ihm recht. »Aber nur für diesen Teil des Wettstreits.«

»Einverstanden. Wir arbeiten gemeinsam daran, das Prinzip der Wortfolge zu erkennen, dann formulieren wir daraus zwei Antworten. Sobald wir in unseren Schiffen sitzen, sei unser Bündnis beendet.«

»In Ordnung«, nadelstrahlte sie. »Bist du beim Lösen solcher Rätsel eigentlich gut?«

»Bin ich. Jedoch brauche ich dazu eine Art abrufbaren Datenspeicher, in dem ich die Fehlversuche festhalten kann.« »Ich verfüge über ein hervorragendes Erinnerungsvermögen. Damit bin ich eine recht fähige Raumpilotin, allerdings beim Lösen von Rätseln eine Niete. Streng du deinen Geist an, ich liefere die Daten.«

Heem stürzte sich sofort in seine Aufgabe. Offenbar gab es da ein Muster von Begriffen, von denen keiner sich wiederholte. Hart wurde gefolgt von weich - zwei entgegengesetzte Begriffe, die physikalische Zustände beschrieben. Dann erfolgte ein Schwenk zu einer anderen Begriffsebene. Freude, worauf - dicht folgte. Warum nicht Trauer oder Leid oder Pein? Wenn ein Begriffspaar aus entgegengesetzten Begriffen als richtige Lösung akzeptiert wurde, warum dann nicht auch ein anderes?

Vielleicht hatte niemand daran gedacht, das Gegenteil zu Freude zu erraten, so daß statt dessen ein neuer Begriff, ein neues Prinzip eingeführt worden war. Das würde er sofort überprüfen. »Swoon, wie lauteten die falschen Antworten für Schiff vier?« Er hoffte, daß sie, was ihr hervorragendes Erinnerungsvermögen betraf, nicht übertrieben hatte.

»Sorge, Trauer, Lust«, nadelstrahlte sie augenblicklich.

Sie hatte tatsächlich ein hervorragendes Gedächtnis! Wahrscheinlich half ihr dies beim Lenken eines Raumschiffs, denn dort galt es, eine Vielzahl von Daten über Treibstoffverbrauch, Energieverlust und Flugbahn jederzeit verfügbar zu haben. Heem selbst war auch ein hervorragender Raumschifflenker, jedoch verließ er sich mehr auf seine Erfahrung und auf die intellektuelle Verarbeitung gegenwärtiger Gegebenheiten als auf sein nur durchschnittliches Gedächtnis. Lieber wäre ihm sogar noch weniger Erinnerung gewesen, da seine Jugendsünden ihm noch immer gefährlich werden konnten.

Doch er konnte es sich jetzt nicht leisten, durch derartige Ablenkungen in Gefahr zu geraten! Seine Theorie hatte sich soeben als falsch erwiesen. Sorge oder Trauer hätten richtig sein müssen, doch beide Begriffe waren verworfen worden. Handelte es sich vielleicht um eine bestimmte Zahlenfolge, bei der die Bedeutung der Begriffe völlig unwichtig war? Wurde vielleicht jeder vierte Versuch als richtig gewertet, nachdem drei Kandidaten ausgeschieden waren? Auf diese Weise würden drei Viertel der Wettstreiter ausgemustert, so daß garantiert war, daß genügend Piloten für die freien Schiffe übrigblieben. Ein simples Prinzip - jedoch wären hier keine besonderen Fähigkeiten gefordert. Jede Entität konnte zu einem Schiff kommen, ungeachtet ihrer speziellen Qualitäten.

»Und wie lauteten die Fehlnennungen für Schiff drei?« düste er.

»Furcht ist richtig für Schiff zwölf«, meldete das Ansagesprühsystem. Verärgert schirmte Heem den Rest der Ansage ab; er mußte das System erkennen, nach dem die vorhergehenden Antworten erfolgt waren, und es mit den nachfolgenden vergleichen, die Swoon für ihn im Gedächtnis behalten würde.

»Flockig, Spröde, Kühn«, erwiderte Swoon. Drei Fehler. Gut. Er wußte bereits, daß auch bei Schiff vier drei Fehlnennungen gefallen waren. »Und was war bei Schiff fünf falsch?« »Diffus, Hart, Weich.«

Drei mehr! Hart und Weich waren im weitesten Sinne Wiederholungen und damit automatisch ungültig. Dennoch zählten sie als Fehlnennungen und waren wichtig für die nächste Begriffsgruppe.

»Fehler bei Schiff sechs?«

»Freude, Hart, Weich, Dick.«

Vier Fehlnennungen. Damit war diese Theorie gestorben! Es sei denn, es handelte sich um eine progressive Folge, bei der die einzelnen Begriffsgruppen im Verlauf des Spiels stetig anwuchsen. »Wie viele Fehler bei Schiff zwei?«

»Keiner«, strahlte sie. »Die ersten beiden erratenen Begriffe waren richtig.«

Somit waren da null Fehler, null Fehler, dann drei, drei, drei, vier - das sah nicht günstig aus. »Fehlnennungen für Schiff sieben?«

»Denken, Kühn, Abstieg, Hart, Weich, Freude, Trauer.«

Sie hatte tatsächlich aufgepaßt! Drei Fehler inklusive der Wiederholungen vorheriger Trefferbegriffe. Diese dämlichen Mitspieler versuchten es mit derartigen Wiederholungen und schienen nicht aufgepaßt zu haben. Doch nicht mehr lange, und diese Narren wären eliminiert, und damit würde es auch keine Wiederholungen mehr geben. Außer jeder Versuch vor dem Treffer würde als falsch gewertet, so daß es im Grunde gleichgültig war, wie der falsche Begriff lautete. Aber wie paßten sechs Fehlversuche in das Muster? Dies war keine regelmäßige Progression. Oder mußten die Fehler zahlenmäßig gleich groß sein wie die vorher genannten oder größer? Warum waren dann sechs Begriffe genannt worden, wenn fünf oder vier völlig ausgereicht hätten? Außerdem würden bei diesem Schnitt sämtliche Wettstreiter ausgeschieden sein, ehe alle Schiffe besetzt waren. Und -

»Die Treffer häufen sich jetzt«, meldete Swoon ihm besorgt. »Fünfzehn Schiffe sind weg - jetzt sechzehn.«

»Ich rolle mich langsam heran!« nadelstrahlte Heem zurück, dann nahm er seinen Gedanken wieder auf. Er hatte soeben zwei wesentliche Mängel in seiner Fehler-Anzahl-Theorie entdeckt. Er hatte selbst eine Serie von sieben richtigen Versuchen in Folge geschmeckt, so daß er von Anfang hätte wissen müssen, daß seine Theorie nicht zutreffen konnte. Und selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte das System nicht funktionieren können. Sobald genügend Wettstreiter das Prinzip erkannt hätten, würde niemand sich zu einem Fehlversuch hinreißen lassen. Der Wettkampf würde sich festrollen, da jeder abwartete, damit jemand anderer sich eliminierte. Es mußte einfach eine Möglichkeit geben, viele richtige Antworten zu erhalten.

»Und weitere fünf Richtige«, strahlte Swoon. »Zu viele kommen dem Prinzip jetzt auf die Spur; bist du noch nicht weitergekommen? Bald gehen ihnen die Schiffe aus!«

Heem unterdrückte einen wütenden Druckstrahl. »Zwei Drittel der Schiffe sind noch übrig.« Doch er machte sich Sorgen. Zu viele Konkurrenten, denen von Anfang an die Informationen zur Verfügung gestanden hatten, beschäftigten sich mit dem Problem und erkannten nach und nach das Muster und sicherten sich ihre Schiffe. Einundzwanzig weitere Schiffe konnten praktisch auf einmal vergeben sein.

Zurück zu den Begriffen: gleiche Begriffe wiederholten sich nicht, aber wie war es mit entsprechenden Varianten? Hart und Weich waren physikalische Zustände; desgleichen Dicht. Die Begriffsfolge lautete jedoch Hart-Weich-Freude-Dicht. Wenn Dicht richtig war, warum hatte sich ein anderer physikalischer Zustand, Spröde, als falsch erwiesen, während statt dessen Freude akzeptiert worden war? Gefolgt von ZaghaftAufstieg-Spröde. Und Spröde war schon vorher verworfen worden. Wie kam es, daß ein falscher Begriff plötzlich als richtig akzeptiert wurde?

Der Schlüssel zum System konnte nicht in der Anzahl der Falschnennungen oder in den speziellen Begriffen liegen. Er mußte in der Begriffsfolge zu suchen sein, so daß letztendlich jeder Begriff, an falscher Stelle genannt, als falsch verworfen werden konnte. Welche Ordnung lag dem zugrunde?

»Sieben weitere Schiffe!« nadelstrahlte Swoon verzweifelt.

Heem wusch sie aus seinem Wahrnehmungsfeld ebenso wie das Ansage-Sprühsystem. Er war dem Rätsel auf der Spur; er mußte nur noch ungestört nachdenken können. Zuerst mußte er die Begriffe analysieren und einordnen.

Dann mußte er eine Progressionstheorie aufstellen. Deren Richtigkeit müßte er anschließend dadurch überprüfen, daß er verschiedene Begriffe fehlerfrei voraussagte. Und am Ende mußte er seinen eigenen Versuch machen - ehe der Vorrat an freien Schiffen erschöpft war.

Er machte sich an die Arbeit, wobei er sich bei der zunehmend nervöser werdenden Swoon gelegentlich Informationen holte. Es gab sieben oder acht verschiedene Begriffskategorien: physikalische Zustandsarten wie Hart, Weich, Dicht, Spröde und Diffus; verstandesorientierte Gefühlsformen wie Freude, Langeweile, Humor, Furcht und Mut; spezielle Bewegungsformen wie Geradeaus, Schräg, Stürzen, Rotieren und Ankunft; Geschmacksempfindungen wie Sauer, Süß, Scharf, Pikant und Fade; flüssige Materie wie Regen, Meer, Feucht, Trocken (z. B. das Fehlen von flüssiger Materie) und Fließend; Zahlen wie Eins, Zwei, Drei, Vier und Fünf; intellektorientierte Eigenschaften wie Weisheit, Dummheit, geistige Gesundheit und Verrücktheit; sowie verschiedene Begriffsfelder, die sich noch nicht eindeutig klassifizieren ließen, da es von jedem zu viele Beispiele gab. Die Begriffskategorien neigten dazu, sich in Randbereichen zu überlagern, wie zum Beispiel dort, wo Geschmacksarten und die sie transportierenden Flüssigkeiten sich vermischten.

Und nun zur Ordnung: die ersten beiden waren physikalische Zustandsformen, die dritte eine verstandesorientierte Gefühlsform, die vierte eine weitere physikalische Zustandsform, die fünfte wieder ein Gefühl, die sechste eine Richtung, die siebente eine weitere physikalische Zustandsform. Hatte er damit schon ein Muster? Schwer zu sagen.

Analysiere das Problem rein mathematisch, dachte er. Dann sei die erste Begriffskategorie A, die zweite B, die dritte C. Exponenten kennzeichnen dann die Wiederholungen.

Heem hielt inne. Hatte wirklich er das gedacht? Normalerweise war dies nicht die Art und Weise, in der sein Verstand arbeitete! Er kannte die Symbolsprache galaktischer Notation - A, B, C -, doch er dachte nicht darin. Die Anspannung übte eine seltsame Wirkung auf ihn aus. Nichtsdestoweniger war es ein guter Gedanke.

Er stellte im Geist eine Liste der erfolgreichen Begriffe auf, wobei er jeden mit einer mathematischen Notation versah. Geschmack A, Geschmack B, Geschmack C und so weiter, wobei er die tatsächlichen Begriffe wegließ, so daß ein Muster entstand, das nicht von den jeweiligen Bedeutungen verwischt wurde. Tatsächlich, das ist es!

Er war am Ziel, öffnete seine Geschmacksbahnen und flößte sich selbst Mut ein. Vielleicht rührte dieser atypische Manierismus von seiner andauernden Desorientierung nach seinem mißglückten Transfersprung her. Er hoffte, daß damit keine Auswirkungen auf seine derzeitige Rolle verbunden waren.

Weiter: Hart-Weich-Freude-Dicht-Langeweile wurden zu A-A-B-A-B. Er hielt sich nicht mit den Exponenten auf; A-A1-B-A2-B1 schienen eine eher überflüssige Eingrenzung darzustellen. Das Muster konnte er auch ohne diese Angaben recht gut erschmecken.

Wie sah es jetzt mit den nächsten fünf Begriffen aus? Würde sich bei ihnen die erste Sequenz wiederholen, oder eine Variante, oder setzte sich bei ihnen eine komplexe Sequenz fort? Keine Zeit, sich in Mutmaßungen zu verlieren; er müßte die Nennungen sofort nach seiner Theorie umformen und das Ergebnis beurteilen. Die Begriffe waren Aufstieg-Spröde- Humor-Geradeaus-Sauer. Kategorien C-A-B-C-D. Keine Wiederholung der ersten fünfstelligen Begriffssequenz.

Nun, es gab keinen triftigen Grund, warum eine Sequenz immer aus fünf Elementen bestehen sollte; er hatte diese Aufteilung nur aus Bequemlichkeit vorgenommen. Insgesamt ergab sich dann: AABABCABCD.

Plötzlich offenbarte sich ihm eine sich wiederholende Untersequenz: ABC-ABC. Eingeleitet von AAB, gefolgt von D. Welche Erkenntnis ließ sich daraus ziehen?

Es war unsinnig, sich damit herumzuschlagen, wo doch so viele Informationen zur Verfügung standen. Er ließ sich von Swoon die nächsten zehn Begriffe zustrahlen und übersetzte sie mit zunehmender Fertigkeit in Geschmackskategorien. Diffus-A, Furcht-B, Sturz-C, Süß-D, Regen-E, Elastisch-A, Mut-B, Rotieren-C, Scharf-D, Meer-E. Und da war sie, wunderschön und lächerlich simpel: eine Begriffsprogression!

Um ganz sicherzugehen, stellte er sie noch einmal allein mit den Symbolen auf: A-AB-ABC-ABCD-ABCDE-ABCDE. Als nächstes müßte der einundzwanzigste Begriff ein F als Notation bekommen - eine neue Kategorie also. Ein intellektueller Prozeß oder eine Zahl oder etwas anderes - nur keine Wiederholung einer Kategorie.

»Nenn mir den richtigen Begriff für Schiff einundzwanzig«, strahlte er.

»Neun«, antwortete Swoon umgehend.

Gewonnen! Das war also die Kategorie Zahl, ein neues Element der Folge. »Und jetzt nenn mir die verbleibenden Schiffe, aber langsam«, düste er ihr zu.

»Selten«, schickte sie ihren Antwortstrahl, und er ordnete diesen Begriff unter A ein. »Vorsicht.« Diesen Begriff versah er mit einem B. Als sie fortfuhr, machte er sich kaum die jeweilige Bedeutung bewußt, so leicht wurden sie zu Geschmackseindrücken. C-D-E-F-G, und dann kam eine neue Folge: ABCDEFGH. Und eine weitere: ABCD-

»Wo ist der nächste Begriff?« nadelte er ungehalten.

»Das war's«, strahlte Swoon. »Vierzig Schiffe sind vergeben! Hast du das Problem endlich gelöst?« Angst mischte sich in ihre Mitteilungen und fügte störende Nebengeschmäcke hinzu.

»Ja. Der nächste wird ein E-Begriff sein, gefolgt von einem...«

»Wie bitte?« Ihr Nadelstrahl war konzentrierte Verwirrung.

Autsch - er hatte ihr seine Notationssymbole zugestrahlt. »Ein Begriff, der sich auf flüssige Materie bezieht und der vorher noch nicht genannt wurde, wie...«

»Fließend ist richtig«, verkündete der Ansagespray.

»Du hast's gefunden!« jubelte Swoon. »Ich hab' verloren«, widersprach er. »Ich hab' mich diesmal nicht am Wettbewerb beteiligt; ein anderer HydrO war das, und er bekommt das Schiff. Die anderen kommen dem Prinzip jetzt auf die Spur.«

»Fünf ist richtig«, verkündete der Ansagespray. »Dummheit ist richtig. Sieg ist richtig.«

»Das waren F, G und H«, düste Heem erschrocken. »Wir müssen uns unsere Schiffe sichern, ehe die nächste Sequenz zu Ende ist!«

»Ja!« stimmte Swoon zu. »Dann nenne mir einen Begriff!« »Er muß zu einer neuen Kategorie gehören. Vielleicht etwas Abstraktes, wie Stärke...«

»Tugend ist korrekt«, rieselte es aus dem Ansagespray. »Das auch; Kategorie I«, nadelstrahlte Heem. »Die nächsten acht sind einfach.«

»Ich werde mein Glück beim nächsten versuchen«, düste Swoon.

»Eine physikalische Zustandsform, die jedoch bisher noch nicht genannt wurde.«

»Wie wäre es mit Leicht, dem Gegenteil von Schwer? Schwer wurde bereits genannt; aber Leicht noch nicht.«

»Eigentlich müßte das glatt durchrollen«, pflichtete er ihr bei.

»Wenn das falsch ist...« Sie strahlte kraftvoll in den Rezeptor ihrer Nische. Nichts geschah.

»Leicht ist richtig«, sprühte der Ansagespray. »Swoon von Süßsumpf erhält Schiff sechsundvierzig.«

Swoon zerfloß regelrecht. »Danke, Heem, danke! Das werde ich wiedergutmachen! Komm auf dem Zielplaneten gleich zu mir...«

Doch Heem setzte wenig Vertrauen in solche Dankbarkeit. »Nur einer kann den Wettstreit gewinnen«, erinnerte er sie.

»Noch ist der Wettstreit nicht vorüber. Vielleicht ergibt sich noch eine Möglichkeit, wieder zusammenzuarbeiten.« Sie badete ihn in einem breitgefächerten Strahl erotischer Verheißung und verließ ihre Nische, um ihren Schlüssel und ihr Schiff zu übernehmen.

Heem brauchte einen Moment, um sich wieder auf den Wettkampf zu konzentrieren. War Swoon auch nicht gerade eine Meisterin im Lösen von Rätseln, so hatte sie doch eine Menge Sex-Appeal!

Er hatte jetzt endlich Gelegenheit, sein eigenes Schiff zu erringen. Das dürfte kein Problem sein. Der nächste Begriff müßte zur Kategorie B...

»Demut ist richtig«, kam es aus dem Ansagespray. »Ankunft ist korrekt.«

Jetzt ging es aber schnell! Achtundvierzig Schiffe von insgesamt Sechsundsechzig waren vergeben! Der nächste Begriff müßte...

»Reich ist korrekt. Czeep von Czeeteich erhält Schiff neunundvierzig.«

Am besten suchte er sich ein späteres Schiff aus, um bereit zu sein, wenn sich für ihn die richtige Chance ergab. Momentan riet er richtig, mußte sich aber gegenüber den anderen, die schneller antworteten als er, geschlagen geben. Er würde es mit dem drittnächsten Schiff versuchen. Reich war ein D-Begriff; E-F-G - er brauchte ein G. G war - er zögerte und grub in seinem Gedächtnis nach -, G waren intellektuelle Fähigkeiten wie Weisheit und Dummheit. Waren diese Begriffe bereits genannt worden? Wahrscheinlich. Also mußte er sich etwas anderes suchen wie zum Beispiel Exzentrik. Das schmeckte irgendwie neu und unverbraucht. Exzentrik - seine Fahrkarte in den Weltraum!

»Strom ist richtig.« Die falschen Versuche wurden seltener; nur die, welche das Prinzip erkannt hatten, meldeten sich. Die Schiffe gingen schnell weg. »Sechs ist richtig.«

Nun war G an der Reihe - seine Chance. Heem schickte sich an zu strahlen...

Und versagte. Seine Düse war verstopft, die Flüssigkeit sickerte bedeutungslos über seine Haut. Was war geschehen? Das paßte gar nicht zu ihm, daß er im kritischen Augenblick versagte.

Eine Wiederholung, dachte er plötzlich. Eine ungültige Antwort!

»Geistige Gesundheit ist korrekt«, meldete sich der Ansagespray. »Wohlstand ist richtig!«

Eine Wiederholung! Durchaus möglich, denn er hatte sich kaum um die speziellen Begriffe gekümmert. Er hatte sie automatisch in den jeweiligen Notationsgeschmack übersetzt und darauf vertraut, daß Swoon von Süßsumpf sich an den einzelnen Begriff erinnerte - und jetzt war sie nicht mehr da! Hinsichtlich möglicher Wiederholungen von Begriffen konnte er sich auf sein Gedächtnis überhaupt nicht verlassen! »Laster ist richtig. Knyfh ist richtig.« Zwei weitere Schiffe weg - das vierundfünfzigste und das fünfundfünfzigste. Nur elf waren noch übrig - und obwohl er das Prinzip erkannte hatte, ließ sein Gedächtnis ihn im Stich! Seine Chancen standen wahrscheinlich zwei zu drei, daß er sich für den richtigen Begriff entschied - doch er wollte seine Freiheit nicht von derartigen Unwägbarkeiten abhängig machen! Er wollte sichergehen. Was sollte er jetzt tun?

»Fest ist richtig. Maat von Hauptström erhält Schiff sechsundfünfzig.«

Der fünfundfünfzigste Begriff war Knyfh gewesen - offensichtlich die neue Kategorie J, Cluster-Geographie. Segment Knyfh war während des Zweiten Energiekrieges das Zentrum der Verteidigung der Milchstraße gewesen. Wahrscheinlich wäre der nächste J-Begriff eines der anderen galaktischen Segmente - Quval, Etamin, LoDo, Weew oder Tausendstern selbst. Doch dies war zu offensichtlich; eine ganze Reihe von Konkurrenten hätten das längst erkannt und wartete darauf, daß J wieder an die Reihe käme, und es wäre reiner Zufall, wenn er seine Antwort als erster abgeben könnte. Er durfte seine Antwort keinen Moment zu früh abstrahlen; eine Antwort an falscher Stelle wurde auch als falsch gewertet.

»Erregung ist korrekt. Aufbruch ist richtig. Aromatisch ist richtig.«

Drei weitere Schiffe wurden vergeben - und Heem hätte eines davon haben können, wenn er eine Wiederholung riskiert hätte. Doch er durfte das Wagnis nicht eingehen! Nach seinen Erkenntnissen über das Muster gehörte zum sechsundsechzigsten Schiff ein völlig neuer Begriff. Während die anderen sich mit dem zweiten J-Begriff herumschlugen, sollte er sich auf den K-Begriff konzentrieren.

Problematisch war nur, daß das K-Schiff, das sechsundsechzigste also, das letzte für einen HydrO-Wirt verfügbare war. Wenn er dies verlor, dann verlor er alles.

»Heiterkeit ist falsch. Sieben ist falsch.« Zwei Fehlversuche. Gefordert war ein E-Begriff, der mit Wasser zu tun hatte, während diese beiden sich auf Gefühl und Zahl bezogen - also zu B und F zählten. Die anderen Konkurrenten wurden zunehmend nervöser, befürchteten sie doch, daß sie allein schon dadurch verlieren würden, wenn sie sich nicht rechtzeitig um die verbleibenden Schiffe bemühten. Na schön, je mehr Narren sich selbst aus dem Wettbewerb herausspülten, desto weniger konnten ihm am Ende, wenn er in den Wettbewerb eingriff, gefährlich werden. Plötzlich wuchs in Heem die Versuchung, sich schon beim nächsten Schiff zu melden. War Ozean schon genannt worden? See? Meer?

»See ist richtig«, rieselte die Antwort auf die Wettstreiter herab. »Soop von Seelennaß gewinnt Schiff sechzig.«

Noch sechs Schiffe. Er hätte Schiff sechzig gewinnen können, hätte er nur See abgestrahlt. Doch angenommen, er hätte es mit See versucht, und der Begriff hätte sich als Wiederholung herausgestellt? Tatsächlich war er nun fast sicher, daß See bereits genannt worden war, als erster oder zweiter E-Begriff. Er sollte an seinem ursprünglichen Plan festhalten: eine völlig neue Begriffskategorie für Schiff Sechsundsechzig zu suchen. Dies war und blieb seine beste Chance.

»Sechs ist falsch. Sieben ist korrekt.«

Jemand hatte nicht aufgepaßt und eine Zahl zum zweitenmal genannt - was auch Heem hätte passieren können. Der nächste Rater hatte die Situation richtig erkannt und mit seiner Nennung das Schiff errungen. Die verbleibenden Konkurrenten standen ebenso wie Heem unter wachsendem Druck; ihnen unterliefen dumme Fehler. Aber das war deren Problem; er mußte sich mit seinem eigenen herumschlagen. Was könnte eine völlig neue Begriffskategorie sein?

»Acht ist falsch. Verrückt ist korrekt. Erfolg ist korrekt.«

Das waren die Schiffe zweiundsechzig und dreiundsechzig. Drei Schiffe waren noch übrig - und Heems Geist war völlig leer. Wo war seine neue Kategorie? Er brauchte sie jetzt!

»Gerechtigkeit ist richtig. Potenz ist falsch.« Verflucht! Zwei Schiffe waren übrig - und er konnte seinen Geist nicht dazu zwingen, die neue Kategorie zu finden! Sollte er sein Glück schon beim vorletzten versuchen, da niemand...

»Etamin ist korrekt. Jool von Juwelenglanz erhält Schiff fünfundsechzig.« Jetzt! Jetzt! Oder für immer verloren! Dennoch konnte er nicht...

Idiot! Potenz lautet der Begriff!

Doch Potenz war eine Wiederholung; er hatte es bereits geschmeckt!

Nein! Nenne es jetzt! »Novaglanz ist falsch.« Potenz. Jetzt!

Verwirrt gab Heem nach. Lieber wollte er mit einem falsch geratenen Begriff ausgewaschen werden, als es überhaupt nicht versucht zu haben. Doch als er seinen Strahl abgab, wußte er, daß es den übrigen ebenso erging wie ihm. Kreuz und quer schossen die Nadelstrahlen durch die Halle.

Mit niederschmetternder Gewißheit kostete er den abschließenden Ansagespray. Einige andere hatten vor ihm gestrahlt! Einer von denen hatte sicherlich die richtige Antwort gefunden.

»Frustration ist falsch. Jubel ist falsch. Spray ist falsch. Tausendstern ist falsch. Zehn ist falsch. Übelkeit ist falsch.

Sand ist falsch. Potenz ist korrekt. Heem von Steilfall hat das letzte Schiff gewonnen. Alle anderen sind ausgeschieden.«

Betäubt verharrte Heem in seiner Nische. Potenz war keine Wiederholung; es war ein verfrühter Versuch gewesen, meldete ihm der Geschmack in seinem Geist. Fehl am Platze, deshalb falsch - vorher.

Immer noch seinen Erfolg nicht fassend, wälzte Heem sich aus seiner Mulde und rollte vor, um den Schlüssel zu Schiff Sechsundsechzig in Empfang zu nehmen.

Der Schlüssel war ein einfacher, dennoch nicht analysierbarer Geschmackscode, der ihm zu Schiff Sechsundsechzig und zu keinem anderen Einlaß gewährte. Heem rollte eilig hin, strahlte den Schlüssel ab und rollte die Rampe hinauf, die sich für ihn öffnete. Er betrat das Schiff, zwängte sich in die Kommandokapsel und begab sich in die Beschleunigungsschale. Niemand außer einem HydrO konnte ein HydrO-Schiff benutzen; die Körper der anderen Intelligenzen waren zu verschieden. Er benadelte den START-Knopf. Die Beschleunigungsklappen schlossen sich um und versiegelten die Kammer; Wasser strömte in das Abteil, und die mächtigen Gasdüsen bliesen nach unten gegen den Untergrund. Wie ein Flachsegler erhob das Schiff sich in den Himmel.

Heem konnte im Augenblick nichts tun. Das Schiff wurde vom Autopiloten gelenkt, bis es die Fluchtgeschwindigkeit erreicht hatte; erst dann würden die Kontrollen für den Passagier freigegeben. Die Anfangsbeschleunigung erzeugte immer einen hohen Druck; glücklicherweise wurde die Physis eines HydrO, wenn entsprechend geschützt, damit bestens fertig. Nur eine Kreatur, die in einem flüssigen Medium lebte, konnte eine derart rapide Beschleunigung aushalten; andere Lebensformen waren in dieser Hinsicht entscheidend gehandikapt, da ihnen die Fähigkeit fehlte, ihr Gewebe auf hydraulische Art zu schützen. Trotzdem waren auch andere Spezies irgendwie in den Weltraum vorgedrungen.

Dieser Gedanke brachte Heem zu einigen ausgedehnten Überlegungen: Wie war seine Art eigentlich in den Weltraum gelangt? Die Technik dazu konnte unmöglich von der HydrO-Spezies entwickelt worden sein, lebten sie doch ausschließlich auf dem Untergrund ihres Planeten. Dennoch konnte diese fast perfekte Anpassung an die Gegebenheiten des Weltraums kaum ein Zufall sein.

Nein, natürlich war es kein Zufall! Die Erkenntnis, daß es einen Weltraum gibt, war der HydrO-Art nicht auf Anhieb gekommen, denn die Strahlung der Sterne war von den Sinnesorganen der HydrOs nicht direkt zu erfassen. Einen Stern konnte man nicht schmecken; er hatte keinen charakteristischen Dampf, keine Vibration; er konnte nicht berührt werden. Der Heimatstern, HydrO, wurde durch seine kalorischen Eigenheiten identifiziert; er heizte Land und Luft bei Tage. Dies war der Schlüssel gewesen, natürlich, obwohl Heem sein jugendliches Lebensstadium auf einer Koloniewelt verbracht hatte und niemals die Umgebung des Sterns HydrO selbst geschmeckt hatte. Wenn ein Ding, das zu weit entfernt war, um berührt werden zu können, den Unterschied zwischen Behaglichkeit und Unbehaglichkeit ausmachte, dann war dieses Ding wichtig genug, um eingehender untersucht zu werden. Angenommen, der Stern HydrO entfernte sich plötzlich oder er verblaßte? Heems Vorfahren hatten sich in eine Lage hineinrollen müssen, in der ihnen so etwas nicht zustoßen konnte.

Daher hatten die Vorfahren den Stern HydrO genauestens studiert und wundervolle Eigenschaften entdeckt. Generationen gingen über der Suche nach Wissen dahin, doch mittlerweile konnte man die grundlegenden Erkenntnisse als gesichert ansehen. Der Stern HydrO war nicht nur dem Wechsel von Tag und Nacht unterworfen (d. h. wechselnden Perioden von Wärme und Kälte), auf ihm gab es auch Jahreszeiten und größere Klimazyklen. Die Ausweitung und Perfektionierung dieser Erkenntnisse war manchmal mit Fehlern behaftet, doch am Ende dieses langen Rollens hatte das Wesen des modernen Universums einen recht eindeutigen Geschmack angenommen.

Die HydrOs hatten erkannt, daß im Universum auch noch andere Lebensformen existieren mußten, genauso wie es auch andere Sterne gab. Nichts erschien allein; wie Jugendliche in einem Tal, waren da immer ein- oder zweihundert. In der Tat, im System HydrO gab es uralte Ruinen, zweifelsfrei Überreste der Anwesenheit einer technologisch hochentwickelten fremden Spezies. Auf einem Planeten innerhalb der Sphäre HydrO, der einen anderen Stern umkreist (ein Stern war eine riesige strahlende Gaskugel; seine Bedeutung erhielt er durch eine zugeordnete intelligente Lebensform), gab es die Überreste einer vollständigen Lebensökologie, die einstmals in voller Blüte gestanden hatte, nun jedoch vollkommen ausgelöscht war. Analysen der Spuren hatten ergeben, daß die Fremden andere Perzeptoren benutzten als den Geschmackssinn. Sie schienen fähig gewesen zu sein, die reflektierte Strahlung der Sterne direkt wahrzunehmen. Da diese Strahlung sich, laut Forschung der HydrOs, geradlinig und überaus schnell ausbreitete - ganz anders als Dampf und Geschmacksnuancen - hatte dies die Fremden in die Lage versetzt, viel direkter auf stellare Erscheinungen zu reagieren. Und tatsächlich mußte diese Fähigkeit für raumfahrende Kreaturen von unschätzbarem Wert sein und könnte sogar auf der Oberfläche von Planeten von Nutzen sein. Infolgedessen hatten die HydrOs Geräte zum Empfang dieser Strahlung entwickelt und sie in Geschmacksmoleküle übersetzt, wobei sie ähnlich verfuhren wie Heem bei dem Wettstreit, als er die genannten Begriffe codiert hatte. Dies hatte zu einem dramatischen

Zuwachs an astronomischen Informationen geführt.

>Ich kann nicht sehen<, dachte er verzweifelt.

Wie bitte? Natürlich konnte er nicht sehen; das war der Begriff, der die direkte Wahrnehmung von Strahlung bestimmter Wellenlängen bezeichnete, zu der ausschließlich Maschinen und Aliens fähig waren und womit ein Ausgleich zu deren unzureichenden Geschmacksfähigkeiten geschaffen war. Kein HydrO konnte diese technische Leistung vollbringen, falls er dies gewollt hätte; die Instrumente reichten völlig aus, die Auswirkungen von Strahlung verständlich zu machen. Sollte ihm jemals sein Geschmackssinn abhanden kommen, dann hätte er wohl Grund zum Verzweifeln; warum also beklagte er das Fehlen eines fremdartigen Wahrnehmungsvermögens?

>Ich bin blind!< dachte er wieder.

Blind: ein speziell geschaffener Begriff, der die Unfähigkeit der Strahlungswahrnehmung bezeichnete. Im Groben ließ sich dieser Zustand mit Geschmackslosigkeit gleichsetzen - zumindest traf dies auf eine Spezies zu, die töricht genug war, sich auf Strahlungswahrnehmung als primäre Umwelterfassung zu verlassen. Ein solcher Verlust konnte sehr unangenehm sein. Doch nicht für Heem, der eine solche Fähigkeit nie besessen hatte und auch nicht den Wunsch danach verspürte.

Möglich, daß dies eine vorübergehende Anomalie seines Denkens war, hervorgerufen durch den Beschleunigungsdruck. Heem war schon früher durch den Weltraum geflogen, ohne sich mit einem derartigen Problem herumschlagen zu müssen, doch es war möglich, daß seine Untauglichkeit sich auch auf diesen Bereich erstreckte. Litt er etwa unter einer Störung seiner geistigen Gesundheit?

»Ich kann fühlen, ich kann schmecken«, sprühte er, obwohl sein Sprühstoß in diesem durch die Beschleunigung beanspruchten Wassermilieu kaum eine Wirkung haben konnte. Er erinnerte sich daran, wie er auf den Flachsegler gewartet hatte, vor langer Zeit, als er noch ein Jugendlicher war, und sich ähnlich eingeengt gefühlt hatte. »Das ist alles, was ich fordere.«

»Nicht du, Idiot! Ich bin es, der blind ist!«

Nadelstrahlte er sich selbst etwas zu? Schon immer war er voller Gedanken gewesen, doch nie zuvor hatte er versucht, sich selbst zu besprühen.

»Ich hätte nie gedacht, daß es so sein würde! Keine Augen, keine Ohren ich bin eingesperrt in eine dunkle und absolut geräuschlose Zelle. Ich verliere allmählich den Verstand!« »Demnach strahle ich mich selbst an«, düste Heem sich auf dieselbe Art die Antwort zu. »Wenn ich schon meinen Verstand verliere, wie ich befürchte, dann doch wenigstens im freien Raum und nicht in Gefangenschaft.« Technisch betrachtet gab es nichts Einengenderes als die Raumfahrt; keine zur Klaustrophobie neigende Kreatur konnte ein Raumschiff lenken. Doch jenseits jenes engen und bedrückenden Metalls lag die grandiose Weite des Raums, das Höchste an Unbeengtheit. »Aber warum beschäftige ich mich so intensiv mit - wie hießen noch mal diese Organe zur Wahrnehmung von Strahlung?«

»Augen! Ohren! Um zu sehen und zu hören. Wie kannst du es nur ertragen, blind und taub, sogar ohne Hände?«

»Hände! Das einzige Wesen mit jenen schrecklichen Anhängseln, das ich jemals traf, ist...«

»Alle vernunftbegabten Kreaturen haben Hände! Oder seitenspezifische Finger oder Entsprechendes. Damit sie Werkzeuge bedienen, Maschinen steuern können, damit sie eine dem Cluster-Niveau entsprechende Technologie entwickeln.«

»Das sind nicht meine Gedanken!« nadelte Heem erregt. »Möglich, daß ich meine geschmacksanalytischen Fähigkeiten allmählich einbüße, aber nicht mein logisches Denkvermögen. HydrOs haben keine Hände, dennoch zählen wir zu den technologisch am weitesten entwickelten Spezies im Segment Tausendstern. Und ich lenke zur Zeit ein HydrO-Raumschiff ganz ohne Hände.«

»Natürlich sind es nicht deine Gedanken. Es sind meine. Ich hätte niemals erwartet, daß es so sein würde.«

Der Geschmack des Verstehens strömte über seine Oberfläche. »Der Transferer! Er ist trotz allem angekommen!«

»Es - ich meine ich - kam fast tot am Ziel an. Ich bin im Augenblick kaum bei Bewußtsein. Ich halte mich nur durch Willenskraft aufrecht; schon in ein paar Stunden, wenn ich mich nicht aus diesem Alptraum befreien kann, breche ich völlig zusammen. Mit meiner Willenskraft kann ich nur kurze Zeit durchhalten; und zwar kann ich so gut wie alles geduldig ertragen, wenn ich genau weiß, daß es sich nur um einen vorübergehenden Zustand handelt. Aber wenn meine Kräfte erst einmal nachlassen...«

»Deshalb wurde ich also von der Wettbewerbsleitung nicht disqualifiziert! Ich besaß eine andere Aura!«

»Genauso funktioniert doch der Transfer, nicht wahr? Was hast du erwartet?«

»Ich rechnete mit einer Persönlichkeit, die mir einen Besuch abstatten will. Dafür bekam ich einen Hieb verpaßt, der mich beinahe ausgeschaltet hätte.«

»Mich auch«, düste der Transferer. Doch es war ein imaginärer Strahl; es war eine interne Kommunikation, die man am ehesten mit einem Gedanken vergleichen kann.

»Du bist - der Solarier? Erfahren im Spinnen von Intrigen?«

»Hattest du schon früher Transferer? Ist es immer so wie jetzt?«

»Ich bin bisher noch nicht Wirt gewesen. Doch keiner der anderen Wirte schien irgendwelche Probleme zu haben. Ich dachte, ich hätte keine Aura empfangen. Aber du hast nicht geantwortet: Bist du der Solarier?«

»Ich bin solarischer Herkunft.« Eine komplexe Woge aus Denken und Fühlen, unentzifferbar.

»Mäßige deine Reaktionen!« nadelte Heem. »Wenn du ein Dutzend fremde Gedanken auf einmal denkst, kann ich keinen einzigen analysieren!«

»Nun, so bleibt mir wenigstens ein Teil meiner privaten Sphäre.«

»Du wurdest nicht in meinen Körper transfert, um dich in deiner privaten Sphäre ausruhen zu können! Wir müssen einen Wettkampf gewinnen!«

»Nun, ja, das weiß ich. Und ich habe dabei erheblich geholfen, glaube ich.«

»Geholfen! Indem du mich schon vor der ersten Aufgabe ausgeschaltet hast?«

»Dich ausgeschaltet?« wiederholte der Alien indigniert. »Ich habe mich nur zusammengerissen und einen Teil meines Bewußtseins rechtzeitig wiedergewonnen, damit ich das Begriffsmuster entschlüsseln konnte - und diese Anstrengung ließ mich erneut das Bewußtsein verlieren. Die Schrecken totaler Blindheit...«

»Du hast das Muster entschlüsselt? Ich habe die Analyse vorgenommen, und...«

»Und hast versucht, dich mit einer Wiederholung selbst zu disqualifizieren, dann hast du beim letzten Begriff gekniffen, als suchtest du plötzlich den Tod. Ich bin nicht scharf aufs Sterben! Ich mußte den richtigen Begriff durch dein blockiertes Aliengehirn, oder was immer es sein mag, regelrecht hindurchhämmern. Hast du überhaupt ein Gehirn?«

Das war eine ernsthafte Frage. »Wenn du darunter eine organisierende Intelligenz verstehst, ja, dann habe ich eins. Es ist über meinen ganzen Körper verteilt, verarbeitet jeden Eindruck und Aspekt, wie es auch seine Aufgabe ist. Sind Solarier denn anders aufgebaut?«

»Und wie wir das sind! Wir haben einen Kopf mitsamt den meisten unserer auf äußere Wahrnehmung spezialisierten Organen in direkter Nähe des Gehirns, wo sie am wirkungsvollsten eingesetzt werden können.«

»Oben? Ihr kennt bei euren Körpern eine Seite, die oben ist?«

»Natürlich. Ihr nicht?«

»Natürlich nicht. Wie kann man denn vorwärtsrollen, wenn eine Seite stets oben sein muß?«

»Wer will denn schon freiwillig rollen? Oh, gib mir darauf keine Antwort! Wie kannst du dich nur als Wirt zur Verfügung stellen, wenn du nichts über die Eigenschaften deines Transferers weißt?«

»Und wie konntest du so. einfach in den Transfer gehen, wenn du keine Ahnung hattest, daß du in einem Wirt ohne Gesichtssinn landen würdest?«

»Touché«, gestand die Kreatur ein. »Aber ich hab' zuerst gefragt.«

»Die Identitäten der Transferer wurden geheimgehalten, damit keiner favorisiert werden konnte. Bis zur Vorstellung hatte ich keine Ahnung, daß ich als HydrO-Repräsentant auftreten sollte. Alles, was ich von den Solariern weiß, ist, daß es eine wilde, undisziplinierte Rasse ist, die über wenig Raffinesse verfügt und ausgesprochen kriegslüstern ist.« Er hielt inne. »Ich wollte dich damit nicht beleidigen, Transferer.«

Der anwachsende Zorn des Solariers verwandelte sich in Heiterkeit. »Keine Beleidigung, du wandelnde Pfütze! Du liegst gar nicht so schief mit deiner Beschreibung.«

»Wir müssen einige Anfangsmanöver gemeinsam durchführen. Daher sollten wir uns mit unseren Eigenarten anfreunden, um beim eigentlichen Wettbewerb angemessen zusammenwirken zu können. Die anderen Konkurrenten hatten auf dem Planeten genügend Zeit, sich zu akklimatisieren, doch wir sind ziemlich spät dran. Sobald das Schiff die vorgeschriebene Fluchtgeschwindigkeit erreicht und einen stabilen Kurs eingeschlagen hat, werden wir uns mit der Lage des Zielplaneten und mit der Art der Herausforderung vertraut machen. Danach werden wir sehr beschäftigt sein, denn unser Schiff startete als letztes. Wir müssen uns mit größter Sorgfalt der Steuerung widmen, damit wir mindestens zwei Drittel der vor uns gestarteten Schiffe überholen und einen freien Traktorstrahl erwischen, der uns bis auf die Oberfläche des Zielplaneten leitet.«

»Wir? Ich hab' keine Ahnung vom Lenken eines Raumschiffs.«

Das hatte Heem befürchtet. »Dann müssen wir vorher zu einem gegenseitigen Verständnis gelangen, damit ich nachher nicht abgelenkt werde. Ich bin zwar ein hervorragender Pilot, jedoch werde ich auch mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.«

»Ja.« Die fremde Entität hielt inne. »Es gibt da etwas, das du wissen solltest, und etwas, das ich wissen sollte.« »Dann werd los, was dich beschäftigt, aber schnell.« »Ich - ich bin ein Hochstapler. Ich bin für diese Mission gar nicht qualifiziert.«

»Unmöglich. Du warst im Transfer. Und das konnte kein Irrtum sein. In einer solchen Angelegenheit würde das Segment Etamin niemals betrügen.«

»Ich - der eigentliche Transferer war verhindert. Also bin ich - für ihn eingesprungen.«

»Unmöglich«, wiederholte Heem. »Nicht qualifizierte Stellvertreter werden nicht akzeptiert.«

»Sie wußten nicht, was mit mir los war. Ich benutzte die Identität der richtigen Persönlichkeit.«

»Die Maschine hätte niemals deine Aura durch den Transfer gehen lassen. Eine Aura-Überprüfung läßt sich nicht täuschen. Ich müßte das eigentlich am besten wissen; ich hab' etwas Ähnliches vor gar nicht langer Zeit ebenfalls versucht.«

»Meine Aura - ist der seinen sehr ähnlich. Die Maschine konnte keinen Unterschied feststellen.«

»Irgend etwas rollt hier ziemlich schief. Mag sein, daß Solarier ein bißchen rückständig sind, aber doch nicht so dämlich. Offensichtlich bist du die ausgewählte und in den Wettkampf entsandte Entität; etwas anderes ist kaum möglich, wenn man die strengen Überprüfungen in deiner Heimat und hier bedenkt. Es sei denn, du bist eine Schöpfung meiner gepeinigten Phantasie. Willst du mir das zustrahlen? Bist du nicht wirklich?«

»Ich bin real und solarischen Ursprungs. Ich bin ein Transferer. Aber ich wurde nicht für diese Mission ausgebildet. Ich bin nicht die Person, die hergeschickt werden sollte. Es tut mir leid.«

Heem dachte und empfand die Angelegenheit als zunehmend reizvoll. »Jetzt kann ich auch begreifen, warum ich es vorzog, mir vorzustellen, ich hätte einen Transferer; es hätte mir eine gute Portion Selbstvertrauen verschafft, diese Mission durchzustehen. Ich kann deutlich schmecken, warum ein derartiger eingebildeter Besucher versuchen würde, mich von seiner Authentizität zu überzeugen; der Trick würde keine Wirkung haben, wenn ich nicht von seiner Existenz überzeugt wäre. Aber ich sehe keinen Sinn darin, daß ein solches Phantasieprodukt sich selbst in Mißkredit bringt. Das würde doch nur...« »Ihm selbst schaden?«

»Ja, ihm selbst. Ich stelle deine Eignung nicht in Frage, das tust du. Indem du auf einen offensichtlichen Haken in deiner Geschichte hinweist. Also...«

»Oh, Sprachverwirrung. Mannperson Einzahl, Standard-Definition.«

Heem ließ das vorbeirollen. Der Transferer wollte ihn mit Spitzfindigkeiten ablenken, während das Wesentliche in den Hintergrund trat. Er nahm den Geschmack wieder auf. »Also bezweifle ich, daß du ein Produkt meiner Phantasie bist; mein Geist arbeitet einfach zu logisch, um etwas wie dich willkürlich zu schaffen. Das bedeutet, daß du wirklich sein mußt.«

»Was meinst du mit >zu logisch für mich<? Ich bin mindestens ebenso logisch wie du.«

»Das ist es ja, was wir feststellen wollen. Ich akzeptiere dich als real, stelle jedoch deine Logik in Frage. Du behauptest, du hättest eine unfehlbare Maschine überlistet.«

»Ich hab' sie getäuscht!«

»Ist dir denn nicht klar, daß es keine zwei gleichen Auren gibt und daß die Maschine den jeweiligen Aura-Typ eindeutig identifiziert? Sonst könnte sie die Aura nämlich nicht in den Transfer schicken.«

»Ja, natürlich weiß ich das. Doch dies ist ein Sonderfall.«

»Das muß es auch sein. Und zwar ein höchst ungewöhnlicher.«

»Ist es auch.«

»Du müßtest schon mit dem ursprünglichen Kandidaten praktisch völlig identisch sein. Was wiederum bedeutet...«

»Nicht ich. Meine Aura - sie ist mit der anderen identisch.«'

Heem rollte geistig aus dem Gleichgewicht. »Keine zwei Auren sind identisch. Jede Aura ist in der gleichen Weise unterschiedlich, wie die Entität unterschiedlich ist, zu der sie gehört. Daher kann die Identität in einem fremden Wirt wiedergeschaffen werden, denn der Kern der Identität liegt in der Aura und nicht im Körper. Du behauptest, du seiest nicht der ursprünglich vorgesehene Kandidat. Du behauptest auch, daß deine Aura, der Ursprung deiner Identität gleich...«

»Ja. Das ist doch das einmalige.«

»Und du behauptest außerdem, stets logisch vorzugehen?«

»Ich bin ein Klon!« explodierte der Solarier mit einem überscharfen Geschmacksimpuls.

Das rollte Heem irgendwie zurück. »Ein Klon! Eine Person, die mit einer anderen identisch ist und aus demselben genetischen Muster geschaffen wurde. Eine geteilte Persönlichkeit. Ich nehme an, das könnte funktionieren, theoretisch.«

»Und in der Praxis.«

»Du behauptest, du wärest von einem erwachsenen Solarier geklont worden?«

»Nein, geklont wurde ich bereits bei der Empfängnis. Wir wurden als Geschwister geboren.«

»Aber die Aura wird doch durch gemachte Erfahrungen verändert. Zur Zeit deiner Metamorphose hättet ihr zu unterschiedlich sein müssen, um die Maschine zu betrügen.«

»Wir wuchsen gemeinsam auf, erlebten alles gemeinsam. Unsere Auren waren in ständiger Verbindung und konnten so jegliche Unterschiede ausgleichen. Wir waren nicht identisch - im Gegenteil! -, aber Maschinen sind auf Klons nicht eingestellt.«

»Und dennoch fehlen dir Training und Fähigkeiten deines Klon-Bruders? Es fällt mir schwer zu glauben, daß ihr euch ähnlich genug wart, die Maschine zu übertölpeln, aber nicht ähnlich genug, um die Mission durchzuführen.«

»Ich verfüge über die gleichen Voraussetzungen, die gleichen Anlagen, jedoch fehlt mir die spezielle Ausbildung, von der der wesentliche Teil erst vor kurzem vorgenommen wurde. Ich glaube, die Maschine suchte nicht nach Unterschieden in Bereichen, in denen es tatsächlich gewisse Unterschiede gibt. Möglich, daß diese Unterschiede sich beim eigentlichen Transfer auswirkten.«

»So daß du leicht phasenverschoben ankamst und uns beide kurzzeitig ausgeknockt hast!« strahlte Heem in plötzlichem Verstehen. »Es tut mir leid.«

»Dir tut es nur leid! Du hättest mich fast aus dem Wettbewerb geworfen!«

»Ich hatte wirklich keine andere Wahl. Mein Klon-Bruder hatte den Vorschuß angenommen, den gesamten Betrag ausgegeben, und als er schließlich den Unfall hatte...«

»Bist du vorgerollt, um für ihn einzuspringen - zumindest so lange, wie es der Gang des Geschehens erlaubte.«

»Ich sehe ja ein, daß das dir gegenüber unfair war. Aber wir waren so verzweifelt. Unser ganzes Leben... Meine Alternative bestand darin, meinen Bruder zu töten oder seine Einwilligung zu widerrufen, ohne Vorbehalte...« »Ich verstehe.«

»Wenn du also mit mir schimpfen willst...« »Solarier, in deiner Situation hätte ich genauso gehandelt. Mein eigenes Geschwister starb und ermöglichte mir das Überleben, doch wenn ich zurückgetreten wäre, dann hätte ihm das sowieso nicht geholfen.« »Du bist nicht verärgert?«

»Auch ich bin im weitesten Sinne widerrechtlich in dieser Sache drin. Ich mußte auf schnellstem Weg vom Planeten runter, daher benutzte ich den einzigen möglichen Weg - diesen Wettstreit -, obwohl ich genau wußte, daß ich dafür überhaupt nicht qualifiziert war.«

Der Transferer war verblüfft. »Du hast ja dieselbe Taktik benutzt wie ich!«

»Stimmt. Demnach kann ich dir wegen deines Verhaltens wohl kaum irgendwelche Vorwürfe machen. Von der Persönlichkeit her scheinst du genauso strukturiert zu sein wie ich, obgleich dein Körper sich von dem meinen wahrscheinlich drastisch unterscheidet.« Er überlegte und rief sich die verschiedenen Hinweise ins Gedächtnis zurück, die der Solarier hinsichtlich dieser Unterschiede von sich gegeben hatte. »Ich weiß wirklich nicht, wie die physische Gestalt eines Solariers beschaffen ist.«

»Mit der Gestalt eines HydrO ist sie überhaupt nicht zu vergleichen, das kann ich dir versichern! Wir haben Muskeln und Knochen und tragen den Kopf hoch, und wir haben Arme und Beine und Augen und Ohren...«

»Schrecklich!« sprühte Heem. »Du schmeckst ja fast wie ein...« Er zögerte, da er keine Streitsituation schaffen wollte.

»Wie was?« wollte der Fremde wissen. »Ich hab' das Aroma des Abscheus sehr wohl schmecken können. Wie fauliger Gullyschlamm - grauenvoll!«

»Woher gewinnen Solarier ihre Lebensenergie?« lenkte Heem ab.

»Wir nehmen Nahrungsmittel zu uns wie jede andere Kreatur.«

»Aber nicht wie die HydrOs oder die Erbs oder hundert andere SegmentRassen.«

»HydrOs essen nicht?« strahlte der Fremde neugierig.

»Wir absorbieren Wasserstoff und Sauerstoff aus der Atmosphäre und schaffen zwischen ihnen gezielt eine Verbindung, bei der Energie freigesetzt wird. Diese treibt unseren Metabolismus an, und das Endprodukt ist OH2

»Meinst du Wasser? H2O? Dein Abfallstoff ist Wasser?« »Wohl kaum Abfall. Wir brauchen es zur Fortbewegung, zum Kampf, zur Kommunikation, Manipulation von Gegenständen, zur Reizaufnahme, als Dämpfungsmedium bei irgendwelchen Stößen - gerade in diesem Moment werden wir davon gegen den Druck...«

»Aromatisiertes Wasser anstelle von Worten!« sprühte der Fremde entzückt. »So etwas hätte ich niemals für möglich gehalten.«

»Es ist nicht nur möglich, sondern auch praktisch. Für die Kommunikation und als Lebensstil. HydrOs können auf jedem Planeten mit einer erträglichen Atmosphäre und Temperatur überleben und funktionieren.«

»Aber ich hatte immer gedacht, es kostet mehr Energie, Sauerstoff und Wasserstoff im Wasser voneinander zu trennen, als man beim Herstellen der Verbindung erhält.«

»Wir holen sie ja gar nicht aus dem Wasser heraus. Wir besorgen uns die Elemente, die wir brauchen, aus der Luft und verwenden Enzyme, um sie entsprechend zu verarbeiten. Dies ist die bei weitem ergiebigste Energiequelle, und die in Spuren vorhandenen Unreinheiten verwenden wir zum Aufbau von Körpermasse.«

»Ich nehme an, das funktioniert. Du bist hier; das ist der Beweis. Möglicherweise ist deine Atmosphäre von der unseren verschieden.«

»Vielleicht. Stickstoff ist im Cluster weitverbreitet, aber für derart seltsame Systeme wie Sol kann ich mich nicht verbürgen. Wir HydrOs sind die Elite der vernunftbegabten Rassen im Segment Tausendstern, im Gegensatz zu... «

»Du verbirgst irgend etwas! Das spüre ich in deinem System.«

»Im Gegensatz zu den essenden Rassen«, fuhr Heem unwillig fort. »Die unsere natürlichen Feinde sind.«

Eine Periode der Geschmackslosigkeit trat ein. »Ist das dein Ernst?«

»Ich meine, daß deine Art, so wie du sie beschreibst - die Augen, Ohren, Gliedmaßen, Eßöffnungen und andere zugeordnete Organe - der Rasse am nächsten kommt, die wir die Squams nennen. Die Augen fehlen bei ihnen, doch abgesehen davon...«

»Oh, ich hab' diese schlimme Gefühlsregung wohl bemerkt! Du scheinst die Squams richtig zu hassen. Und zwar nicht nur die Rasse als solche.«

»Ich habe meine Gründe«, sprühte Heem.

»Dem ist wohl so. Ich spüre, wie der entsprechende Geschmack deinen ganzen Körper durchsetzt. Dabei weiß ich noch nicht einmal, was überhaupt ein Squam ist! Warum zeigst du mir kein mentales Bild?«

»Ein was??«

»Ein Bild. Eine Darstellung, damit ich sehen kann...« Sie unterbrach sich. »Ach ja, ich verstehe. Du hast keine Augen. Du denkst noch nicht einmal mit Begriffen des Sehens. Du kennst diesen Sinn nur durch die Kontakte deiner Spezies mit anderen galaktischen Kreaturen. Du kannst gar kein Bild erzeugen.«

»Ich kann aber mit einem Geschmacksmuster dienen«, bot Heem an.

»Na schön. Versuch es damit. Ich bin ziemlich gut im Analysieren von Mustern. Wir nennen dies Kunst. Ich arbeite mit Hologrammen, also mit dreidimensionaler Kunst. Kunst ist eine Gabe, die in der rechten Hemisphäre des Gehirns angesiedelt ist und der Fähigkeit zur Logik in der linken Hemisphäre gegenübersteht.«

»Hemisphären? Dein Gehirn besteht aus verschiedenen Teilen?«

»Halte dich damit nicht auf. Übermittle mir nur das Muster.«

Heem projizierte den Geschmack des schrecklichen Squam, so wie sein Geschwister Hoom ihn in seiner Jugend kennengelernt hatte. Noch immer verursachte das Muster des Grauens ihm starkes Unbehagen - und dies war die Ursache sowohl für seinen Erfolg wie auch sein Versagen als Erwachsener.

»Ich ersticke fast«, sprühte der Fremde. »Es ist furchtbar! Aber ich kann es noch immer nicht sehen!«

Sie hatten ein Kommunikationsproblem. Der Solarier schien Dinge nicht zu begreifen, es sei denn, er konnte sie visualisieren, während Heem nur sein Geschmackssinn zur Verfügung stand. Sie diskutierten über ihre unterschiedlichen Methoden der Umwelterfassung, gingen die verschiedenen Punkte durch, die Heem über die Squam aus seinem Gedächtnis beisteuern konnte, und schließlich begann der Solarier zu begreifen. »Ich entwerfe jetzt ein mentales Bild. Es ist keine direkte Übersetzung deiner Erinnerungsinhalte, sondern eher eine Art Rekonstruktion aus dem, was ich rein intellektuell erfasse. Dieses Monster ist mir überhaupt nicht ähnlich. Es ist eine Schlange - eine Schlange mit Armen und keinem richtigen Kopf. Ich habe Beine, die die Schlange nicht hat, und ich spucke auch nicht meinen Magen aus. Heem, wenn du mich sehen könntest, würde dir klar, wie wenig Ähnlichkeit zwischen mir und einem Squam besteht.«

»Dann gib mir mal ein Geschmacksmuster deiner physischen Erscheinung«, strahlte Heem.

Der Fremde versuchte es, doch es kam nicht mehr durch als eine Mischung unklarer Aromen. Der Fremde konnte mit Geschmacksnuancen ebensowenig umgehen, wie Heem mit optischen Erscheinungen zurechtkam. »Es ist ein Glück, daß wir überhaupt miteinander kommunizieren können«, nadelte der Solarier am Ende.

»Sinnübermittlung ist eine separate Funktion, die allen Vernunftbegabten zu eigen ist«, strahlte Heem. »Transferer haben niemals Sprachprobleme. Ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt irgendwelche Kommunikationsprobleme haben; ich gehe davon aus, daß sogar Kreaturen mit grundsätzlich unterschiedlichen Lebensweisen und Perzeptionsmodi sich im Transfer normalerweise perfekt ergänzen. Deine Darstellung des für diese Mission ursprünglich vorgesehenen Solariers mag als Beweis dafür dienen.«

»Schon möglich«, gab der Solarier zu. »Doch da ist noch etwas anderes.«

»Du bist voller Überraschungsroller! Zuerst bist du nicht qualifiziert, dann gleichst du meinem schlimmsten Feind. Was nun?«

»Du - hat deine Art verschiedene Geschlechter? Männlich und weiblich?«

»Ja, wir sind eine zweigeschlechtliche Rasse.«

»Und du - welches Geschlecht hast du?«

»Ich bin natürlich männlich.«

»Das - habe ich befürchtet.«

»Befürchtet? Warst du so scharf auf ein Neutrum als Wirt?«

»Nein. Aber sieh doch, ich bin weiblich.«

»Unmöglich!« explodierte Heem. »Gemischtgeschlechtliche Transfers gibt es nicht. Wahrscheinlich haben wir es mit einer Begriffsverwechslung zu tun.«

»Gemischtgeschlechtliche Transfers dürfen nicht vorkommen«, nadelte sie. In Wirklichkeit drückte sie sich akustisch oder optisch aus, jedoch empfing er einen Nadelstrahl. »Sie benutzen den Transfer sogar als Methode der Geschlechtsbestimmung, wenn dies in bestimmten Fällen nicht auf Anhieb möglich ist. Zum Beispiel wenn der Vertreter einer Spezies in verschiedenen Lebensabschnitten das Geschlecht wechselt, wie bei den Mintakern zum Beispiel. Wenn eine Aura in einem männlichen Wirt landet, dann ist sie auch männlich.«

»Einverstanden. Deshalb muß das, was du mit dem Begriff >weiblich< belegst, in Wirklichkeit männlich sein.«

»Ist es bei deiner Spezies üblich, daß die männlichen Vertreter Nachkommen hervorbringen?«

»Nein. Das tun bei uns die weiblichen Individuen.« »Ich - tue es.«

»Du hast doch behauptet, du stammst aus dem Klon eines Männlichen!«

»Das stimmt auch. Nach dem Klonen wurde nur ein Detail verändert.«

»Von wegen Detail! Nach der Veränderung konntest du dich nicht mehr als dieselbe Persönlichkeit betrachten wie vorher!«

»Ich hatte kaum die Möglichkeit der Wahl, da es bereits wenige Stunden nach der Empfängnis geschah.«

Heem ignorierte ihre seltsame Zeiteinteilung. »Du mußt dich doch völlig anders entwickelt haben als deine andere Hälfte.«

»Nein. Wir wurden als Geschwister großgezogen, wie ich vorhin schon verlauten ließ. Wir wurden genau gleich behandelt und erzogen. Ich wurde als männlich bezeichnet, damit es keinen Streit gab - doch Jess und ich kannten die Wahrheit, von Anfang an. Als wir erwachsen wurden, lebten wir getrennt von unseresgleichen und in völliger Anonymität für unsere Nachbarn. Was nicht allzu schwierig war, denn wir waren von adligem Geblüt. Unsere Auren veränderten sich gemeinsam, indem sie ständig in engster Verbindung miteinander standen. Eher glich das Gebilde schon einer einzigen Aura mit zwei Körpern.«

Eine unbehagliche Pause trat ein. »Der Transfer hätte gar nicht stattfinden dürfen«, strahlte Heem schließlich. »Du hättest in einem weiblichen Wirt landen oder abgestoßen werden müssen.«

»Genau damit habe ich auch gerechnet. Wenn der Transfer gelang, würde ich einen weiblichen Wirt besetzen, oder mindestens ein Neutrum aus dem Segment Tausendstern, und die Schuld meines Bruders wäre abgegolten gewesen. Er brauchte sich nur zum Transfer zu melden; mehr wurde nicht garantiert. Wenn er abgestoßen würde, dann hätte das bedeutet, daß ein Wirt von Tausendstern nicht geeignet und die Vorschußzahlung an Jesse verfallen wäre. Ich rechnete damit, zurückgeworfen zu werden - und auf diese Weise das Besitztum unserer Familie retten zu können, ohne eine Mission übernehmen zu müssen, für die ich gar nicht qualifiziert war.«

»Sie werden es sofort erkennen - die Gemeinschaft der Wirte wird deinen Körper sofort als weiblich identifizieren, wenn sie ihn durch Übungen fit halten.«

»Wir haben dem vorgebeugt, für den Fall, daß etwas schiefging. Unser alter Diener auf dem Gut, Flowers, sollte den Körper zur Pflege mit nach Hause nehmen, so daß niemand ihn zu Gesicht bekäme. Ich glaube, es war sehr gut, daß wir das veranlaßt haben.«

»Aber daß es tatsächlich zum Transfer kam - in einen männlichen Wirt!

Das läßt sich durch nichts erklären.«

»Sicher, das erscheint einmalig. Meine Ankunft war für uns beide schmerzvoll; fast wäre ich abgestoßen worden, doch es kam nicht so ganz dazu. Der Effekt ist für mich noch immer spürbar; dein System stößt meine Aura grundsätzlich ab. Ich glaube, der Klon-Faktor hat den Transfer ermöglicht. Meine Aura konnte die Maschine täuschen, daher wurde ich als Vertreter männlichen Geschlechts in den Transfer geschickt, und dein System mußte mich als männliche Persönlichkeit annehmen, obwohl ich es gar nicht war. Ich bin es auch nicht! Da die ursprüngliche Entität vor dem Klonen männlich war, war ich als männlicher Vertreter mit einem zusätzlichen X-Chromosom anzusehen. Wirklich. Jesses Aura ist der meinen schrecklich ähnlich. Unter gewissen Umständen...«

»Deine Logik ist weiblich. Also verhält es sich wohl so, wie du es beschreibst«, nadelte Heem lahm. »Daher läßt sich auch die anfängliche Bewußtlosigkeit erklären, unter der wir beide litten, und die Probleme, die wir jetzt bei unseren Kommunikationsversuchen haben. Es liegt nicht daran, daß du eine Fremde bist, und damit die fremdartigste Kreatur von allen. Dein Geist arbeitet nicht nach eindeutigen und verständlichen Gesetzen.«

»Unter gewissen Umständen bin ich gehalten, es auf eine Diskussion ankommen zu lassen. Ich habe dir drei Katastrophen beschert, und ich weiß noch nicht einmal, wie ich auch nur eine davon wiedergutmachen kann.«

Heem rollte die drei Katastrophen in seinem Geist herum. Zuerst war da ein unqualifiziertes Medium, das dadurch eher eine Belastung als eine Hilfe darstellte, und das ausgerechnet in einem Moment, in dem er gerade diese Hilfe dringend nötig gehabt hätte. Zweitens die Kreatur einer abstoßenden Rasse: einer Spezies, die von Eßbarem lebte. Drittens eine weibliche Vertreterin ihrer Rasse. Drei Dinge, die sich in ihrer unheilvollen Wirkung steigerten.

Doch war er dabei wirklich frei von Schuld? Auch er hatte sich für diesen Wettstreit nicht qualifiziert, und für sie war er der verhaßte Fremdling ohne die Perzeptionsorgane, die sie dringend brauchte, und sie wollte ebensowenig einen männlichen Wirt besetzen, wie er sich einen weiblichen Transferer gewünscht hatte.

»Es ist wirklich nett, daß du so denkst, aber...«

»Ich denke nach«, strahlte Heem langsam. »Ich mußte unbedingt in den Weltraum hinaus, und ich wußte genau, daß ich einen Transferer brauchte. Ich muß wohl jede Aura, die ankam, mit offenen Rezeptoren angenommen haben, wobei ich die natürliche Vorsicht meines Systems völlig ausschaltete. Die Schuld an dem Desaster kann ebensogut bei mir wie bei dir gelegen haben.«

»Deine Art der Logik ziehe ich der meinen aber bei weitem vor«, gestand sie.

»Und du hast erreicht, was ich anstrebte«, fuhr er fort. »Sie müssen deine und meine Aura überprüft haben und ließen mich zur Teilnahme an dem Wettstreit zu, während ich noch über eine Möglichkeit nachdachte, ohne Transferer die Kontrolle zu überstehen. Am Ende habe ich es doch geschafft, vom Planeten wegzukommen. Und nun...«

»Und jetzt stört dich meine Anwesenheit«, sagte sie. Es erschien ihm jetzt einfacher, ihre Kommunikation mit Begriffen zu belegen, die aus seinem Erfahrungsbereich stammten; sie nadelte und sie sprühte nicht, noch nicht einmal in ihrem Geist. Sie redete. Sie schien einfacher zu verstehen zu sein, als er diese fremde Wirklichkeit akzeptierte.

»Ich hatte wirklich kaum Hoffnung, den Wettstreit zu gewinnen. Ich bin schon zufrieden, daß ich nicht mehr auf dem Planeten stehe, sei es nun mit oder ohne Transfer-Aura. Aber ich hab' keine Ahnung, wie du wieder in deinen naturgegebenen Körper zurückkehren sollst, nachdem wir aus dem Wettstreit ausgestiegen sind.«

»Ich muß wieder zurück!« schrie sie. »Ich kann doch den Rest meines Lebens nicht taub und blind verbringen!«

»Um das zu schaffen, werden wir den Wettstreit gewinnen müssen. Und das wird nicht so einfach sein.«

»Aber nur eine Person kann Sieger sein. Kehren nicht alle Transferer nach Hause zurück, wenn alles vorbei ist?«

»Sollten sie wohl. Aber ich habe keine Lust, auf meinen Heimatplaneten zurückzugehen, so daß mein Besucher den Retransfer durchführen kann. Du könntest deine Heimat wiedersehen - doch ich wäre für immer und ewig gefangen. Ich hab' an dem Wettkampf teilgenommen, um ebendiesem Schicksal zu entgehen.«

»Aber wenn wir nun gewinnen...«

»Dann kehre ich als Held zurück, und meine Schuld wird gestrichen. Man hat mir entsprechende Zusagen gemacht.«

»Dann ist alles klar. Wir "haben beide den richtigen Ansporn. Wir werden aus der Konkurrenz siegreich hervorgehen.«

»Solarierin...«

»Jessica. So lautet mein Name.« »Jessica Solarierin - dieser Wettkampf könnte sich als weitaus gefährlicher erweisen, als dir recht ist. Möglicherweise gehen wir beide unter.«

»Ich hatte geglaubt, die Mission sei nur mit einem geringen Risiko verbunden.«

»So soll es auch sein. Doch ich habe von früheren Wettkämpfen gehört. Wenn das zu erreichende Ziel von besonderer Bedeutung ist, werden die Konkurrenten zunehmend verbissener. Es kommt zu Betrug, manchmal gibt es sogar Gewaltausbrüche. So etwas sollte nicht vorkommen, doch es passiert.«

»Oh«, hauchte sie schwach. »Aber vielleicht ist der Ausgang dieses Kampfes gar nicht so wichtig.«

»Vielleicht. Das werden wir bald erfahren. Das Schiff stabilisiert sich: wir haben die Fluchtgeschwindigkeit fast erreicht.«

»Hmmm«, pflichtete sie ihm nervös bei. »Dann wird es sicherlich gleich richtig rundgehen. Paß auf, Heem, wir sollten uns etwas besser kennen, damit jeder weiß, was er vom anderen erwarten kann. Das könnte wichtig werden. Wir müßten unsere Erinnerungen austauschen, Notizen miteinander vergleichen, Situationen einschätzen...«

Er hatte endgültig genug davon. »Nein!« strahlte er. »Verschwinde!«

»Das geht nicht. Und das weißt du auch. Ich stecke hier in deinem Körper, bis wir zu einer Aura-Transfer-Kammer kommen; abgesehen davon möchte ich dir wirklich und wahrhaftig helfen. Ich fühle mich dafür verantwortlich, daß...«

»Ich will deine Hilfe nicht!«

»Na schön, aber meine Hilfe wurde dir aufgezwungen. Du hättest dich für diese Mission eben nicht melden dürfen, wenn es dir tatsächlich widerstrebt...«

Heem unterbrach sie mit einem Nadelstrahl schärfster Ablehnung.

»Heh! Das hat weh getan!« protestierte sie.

»Dann werde geschmacksfrei. Sei still. Ich will von deiner Anwesenheit nichts spüren, wenn ich das Schiff gleich selbst lenken muß.«

»Gut, du hast meine Hilfe gebraucht, und ich glaube, du wirst sie wieder brauchen. Da mein eigenes Wohlergehen so eng mit dem deinen verknüpft ist...«

Heem, der sich über ihre Sturheit maßlos aufregte, nadelte ihr seine ohnmächtige Wut entgegen.

Jessica gab ihm mit gleicher Münze zurück. Der Impuls wusch durch seinen Geist und verursachte ihm Unbehagen.

»Siehst du, ich kann das auch!« triumphierte sie. »Ich kann deinem Geist ebenso übel mitspielen wie du dem meinen. Und ich werde es tun, wenn ich muß. Doch ich wünsche mir, daß es nicht notwendig wird.«

»Was willst du eigentlich?« wollte Heem wissen. Ein Teil seines Ichs fragte sich, warum er ein derart negatives Verhalten an den Tag legte, und ein anderer Teil seines Ichs hatte wenig Interesse an der Antwort.

»Ich will dich nur kennenlernen. Damit ich weiß, in welche Sache ich verwickelt bin. Ich will es wirklich wissen, anstatt deine Erklärung...«

»Nein!«

»Nun beruhige dich doch, Heem. Du bist richtig bockig. Was hast du eigentlich gegen mich? Vielleicht kann ich ein Mißverständnis ausräumen.«

Heem bereitete einen heftigen Nadelstrahl vor, überlegte es sich anders und sprühte zornig: »Du bist eine Fremde, ein Alien! Ich will nicht, daß du in meinem Geist herumstocherst.«

»Ich denke, das haben wir bereits hinter uns, Heem. Was jeder von uns in dieser Hinsicht wünscht, ist ziemlich nebensächlich. Du wußtest, daß es einen Transfer geben würde...«

»Aber ich habe nicht mit einem weiblichen Transferer gerechnet!«

»Na und, jetzt ist es passiert, oder? Es ist nicht nur der Schock darüber, auf einen weiblichen Partner zu treffen, den du überhaupt nicht erwartet hast. Du bist ein ausgesprochener Chauvi!«

»Frauen gehören an den ihnen angestammten Platz.«

»Und wo befindet sich dieser Platz? In der Küche, im Kinderzimmer, in der Waschküche...«

Heem unterbrach sie mit einem Sprühstoß des Nichtverstehens. »Was ist eine Küche? Ein Kinderzimmer? Eine Waschküche?«

»O nein! Am besten versuche ich, etwas mehr über eure Frauen zu erfahren. Fangen wir mal ganz von vorne an. Eure Frauen gebären doch Kinder, nicht wahr, demnach...«

»Sie produzieren Würfe.« Doch er wollte dieses Thema nicht weiterverfolgen. Es war eine den Weiblichen vorbehaltene, ganz persönliche Angelegenheit, von der er so gut wie keine Ahnung hatte. »Was ist diese Küche, in die eure weiblichen Vertreter gehören? Diese Waschküche?«

»Sie gehören nicht - ach, laß nur. In dem einen bereiten wir unsere Mahlzeiten zu, in dem anderen reinigen wir unsere Kleidung.« »Mahlzeiten? Kleidung?«

»Das kennst du doch alles. Das haben wir längst abgehandelt. Lebensmittel, zum Essen, und...«

»Dir wird nicht übel?«

»Die Einzelheiten sparen wir uns für später auf. Was hast du eigentlich gegen Frauen?«

»Ich habe nichts...«

»Doch, hast du. Du bist nicht gegen mich, weil ich eine Fremde bin, sondern weil ich eine Frau bin. Dem möchte ich auf den Grund gehen. Warum willst du dich nicht mit einem weiblichen Partner verbünden?«

»Weil du in meine Privatsphäre eindringst! Es gibt Gedanken, die nicht für die Vertreter deiner Art bestimmt sind.«

»Gedanken? Das ist doch nicht so, als würde ich nackt herumlaufen! Ich...« »Nackt?«

»Ohne Kleider. Entblößt.«

»Wir tragen solche Hüllen nicht. Unsere Körper sind immer entblößt. Warum sollte eine Kreatur nicht entblößt sein?«

»Schön, wir Solarier kennen einen gewissen Grad der Entblößung. Ich dachte da an eine sexuelle Verbindung. An Paarung in der Öffentlichkeit, etwas in dieser Richtung.« »Was ist denn an einer Paarung so privat?« »O nein! Ich glaube, ich erkenne jetzt das Problem. Für Solarier ist jegliche sexuelle Aktivität etwas Persönliches, Privates, während Gedanken anderen Wesen millionenfach zugänglich gemacht werden können. Für euch HydrOs, vermute ich...«

»Gedanken sind strikt privat!« sprühte Heem geschockt. »Unter klugen, mündigen Männern können Gedanken unter bestimmten Umständen ausgetauscht werden. Aber niemals in gemischter Gesellschaft!«

»Und dann komme ich, eine Frau, die viele deiner Gedanken aufnehmen kann - ich denke, das hat auf dich dieselbe Wirkung wie auf mich, wenn man mich nackt in einem Raum voller Männer einsperren würde.«

»Ich verstehe deine Analogie nicht ganz, aber zumindest sind deine Empfindungen ähnlich.«

»Ach ja. Und ich muß zugeben, daß deine Ansicht ebenso verständlich ist wie meine. Körper sind wirklich nichts Obszönes; es ist allein der Geist, der sie dazu macht. Ich hätte es auch bei bestimmten Gelegenheiten nicht allzu gerne, wenn meine Gedanken publik gemacht würden.«

»Du wehrst dich nicht dagegen, daß ein männlicher Vertreter in deine privatesten Gedanken eindringt?« Heem fand diese Vorstellung einfach unfaßbar.

»Klar, du bist doch für mich ein Alien. Dein Metabolismus ist von meinem völlig verschieden. Ich hätte auch nichts dagegen, mich einem Hund oder einem Pferd oder gar einem Drachen, gleich welchen Geschlechts, nackt zu zeigen; bei denen handelt es sich doch um völlig andere Lebewesen. Die Reaktion der Vertreter meiner eigenen Art wäre überwältigend. Und nun du - du bist ein Alien, aber du bist auch vernunftbegabt. Das macht eine Wertung schwierig. Aber ich nehme an, du würdest meinen menschlichen Attributen kaum Beachtung schenken, deshalb würde es praktisch keinen Unterschied machen, wenn du sie sähest. Wenn du zum Sehen überhaupt fähig wärest.«

Heem dachte darüber nach. Sie hatte also nur etwas dagegen, von denen betrachtet zu werden, die begriffen, was sie sahen? Sie war wirklich in jeder Hinsicht eine Alien! Dennoch ergab ihre Argumentation seltsamerweise einen gewissen Sinn. Sie war ihm im Grunde so fern, daß sie von seinen Sorgen so gut wie nichts verstand. Welche Bedeutung hatte in diesem Fall schon ihr Geschlecht? Sein Unbehagen ließ nach, und er entspannte sich.

Unvermittelt floß das flüssige Polster der Beschleunigungskammer ab, und Heem fand sich im freien Fall wieder und mit der Aufgabe betraut, das Schiff selbst zu lenken. Er betätigte mit einem Nadelstrahl den mit >Mission< beschrifteten Knopf.

»Willkommen zum Wettstreit«, sprühte die Infodüse des Schiffs. »Der Zielplanet ist Exzenter in diesem System. Die drei Wirtsspezies sind HydrO, Erb und Squam.«

»Exzenter!« explodierte Heem. »Ich hatte mit Ggoff gerechnet!«

»Ich bin mit deiner lokalen Geographie nicht vertraut«, sagte Jessica. »Ich nehme an, dies ist das System HydrO, so daß der Planet Exzenter sehr nahe bei deiner Heimatwelt zu suchen ist. Aber wo ist Ggoff?«

»Dies ist nicht das System HydrO!« korrigierte Heem sie. »Dies ist das Koloniesystem Lochstern, das von drei Rassen bevölkert wird. Meine Heimatwelt ist Sackgass. Ggoff befindet sich im System Erb, das dem unseren benachbart ist.«

»Ich komme jetzt schon völlig durcheinander!« »Ggoff liegt so nahe bei uns wie auch bei den Erbs; eigentlich uns näher, wenn man berücksichtigt, daß wir hier eine weiter entwickelte Sub-Sphäre haben. Ggoff kann sowohl von Erbs wie auch von HydrOs bevölkert werden, deshalb...« »Da wir ja gar nicht auf Ggoff landen werden, verschon mich bitte mit Nebensächlichkeiten. Was gibt es von Exzenter zu erzählen?« »Exzenter ist eine ganz andere Kiste.« »Das Ziel ist ein alter Fundort«, fuhr der Infosprüh des Schiffs nach einer angemessenen Pause fort, »der vermutlich noch funktionsfähig ist.«

»Ein funktionsfähiger Ahnen-Fundort!« rief Jessica aus. »Das ist ja das Wichtigste, was es geben kann!« Dann dämmerte ihr die Erkenntnis: »Was bedeutet, daß dies der härteste Wettstreit des Jahrhunderts wird...«

»Stimmt«, strahlte Heem düster. »Das gibt Mord und Totschlag.«

»Wir sollten uns beeilen.«

»Nein. Ich beabsichtige, mich am Ende der langen Schlange zu halten und mit niemandem um eine bessere Position zu streiten.«

»Das begreife ich nicht.«

»Dieses Schiff ist unter den HydrOs das letzte in einem Rennen, das garantiert zu einem Schlachtfest wird. Das Rennen kann ich nicht gewinnen, deshalb muß ich dafür sorgen, daß ich am Leben bleibe. Das kann ich am besten, indem ich meinen Treibstoff einspare, bis zum Planeten Exzenter fliege, dort in der Wildnis lande - was nicht schwer ist, da es sich um einen von Wildnis überwucherten Planeten handelt - und mich darauf vorbereite, dort zu überwintern. Wenn ich genügend Treibstoff übrigbehalte, kann ich vielleicht sogar das Schiff dazu benutzen, mir eine Behausung zu bauen.«

Ihre Reaktion war seltsam gespannt. »Du bist dir doch klar darüber, daß dies meinen Tod bedeutet? Ich kann nicht unbegrenzt lange in einem fremden Wirt überleben.«

»Das ist mir bewußt. Aber da ich dich nur retten kann, wenn ich diesen Wettstreit gewinne, es aber klar ist, daß ich überhaupt nicht gewinnen kann, muß ich wenigstens für mich selbst sorgen.«

Eine kurze Pause trat ein. »Wenn du sowieso nach Exzenter fliegst, warum kannst du dich nicht etwas beeilen? Vielleicht bist du schnell genug, um dir den nächsten Vorteil zu verschaffen und dir einen Traktorstrahl zu angeln. Wenn nicht, dann wärest du ja immer noch auf dem Planeten.«

»Und unter der Kontrolle der Wettkampfleitung, die mich auf meinen Heimatplaneten zurückschicken würde. Hieße das Ziel Ggoff, was viel weiter wäre, hätte ich vielleicht die Chance gehabt, schnell genug dorthin zu gelangen; ich war schon mal dort. Doch die Route nach Exzenter ist so eng, daß sie durch Bojen markiert werden muß und ich nicht genug aufholen kann. Ich werde zu spät kommen, also ist es mir lieber, ich hänge noch weiter zurück, um möglicherweise der Wettkampfleitung aus dem Weg zu gehen.«

»Oh.« Sie dachte wieder nach. »Du hast von einem harten Winter auf Exzenter gesprochen. Gibt es dort Kolonisten, die dir unter Umständen helfen können? Ich meine, du müßtest doch nicht nach Hause zurück? Du könntest dich freiwillig als Siedler melden...«

»Nein. Keine Kolonisten. Der Winter ist zu schlimm.«

»Warum willst du dann den Winter alleine durchstehen?«

»Das ist zumindest dem vorzuziehen, was mich auf Sackgass erwartet, und außerdem dauert es bis zum Winter noch einige Zeit. Wenigstens habe ich den langen Sommer für mich.«

»Und darauf folgt der lange Winter.«

»Ein kurzer Winter. Kurz, aber heftig.«

»Das verstehe ich nicht. Der Winter spielt sich doch nicht auf einem gesamten Planeten ab; ist auf der einen Hälfte Winter, dann herrscht auf der anderen Hälfte Sommer. Du könntest doch einfach in eine andere Zone...«

»Der Winter bricht gleichzeitig auf dem gesamten Planeten aus.«

»Das heißt doch... Bewegt Exzenter sich denn nicht auf einer Umlaufbahn, die - ach ja, natürlich. Exzenter! Ähnlich einem Kometen oder einem Planetoiden. Mit einem kurzen, heißen Sommer in der Zeit größter Sonnennähe, und - aber du hast von einem kurzen Winter geredet.«

»Dies ist ein Doppelsystem«, erklärte Heem düster. »Lochstern. Ein Stern und ein Loch. Exzentrische Orbits...« »Ein Loch?« erkundigte sie sich verblüfft. »So wird es genannt. Ein kollabierter Stern, dessen Masse so dicht ist, daß sie noch nicht einmal Licht reflektiert.«

»Ach ja - wir nennen so etwas ein Schwarzes Loch. Dem in die Quere zu kommen, habe ich wenig Lust.«

»Exzenter befindet sich in der Nähe eines solchen Lochs. Er umkreist sowohl Stern wie auch Loch, und regelmäßig verdunkelt das Loch den Stern. Dann...«

»Dann wird alles Licht von dem Loch verschluckt! Das muß aber ein verdammt düsterer Schatten sein!« »Ein unangenehmer Winter«, gab Heem ihr recht. »Und was ist mit dem Planeten Sackgass? Der Winter sollte doch...«

»Nein. Sackgass umkreist das Dualsystem in einem bestimmten Winkel. Der Planet wird von dem Loch überhaupt nicht berührt, so daß seine Winter ziemlich normal verlaufen.« »Zwei verschiedene Orbitalebenen«, murmelte Jessica. »Ein Stern und ein Schwarzes Loch. Ist das ein wildes System.«

»Richtig. Exzenter befindet sich zur Zeit am fernen Ende des Doppels. Die Schiffe müssen das Loch umgehen, um ihr Ziel zu erreichen. Da die Bojen den direktesten Weg bezeichnen, ist daran nichts Gefährliches. Der kluge Pilot wird sich nicht allzuweit vom markierten Kurs entfernen; er würde entweder seine Position im Wettkampf verlieren oder in das Kraftfeld des Schwarzen Loches geraten.«

»Ja. Jetzt begreife ich auch deine Vorsicht«, gab sie zu.

»Ich nehme an, daß eine Umlaufbahn um ein Schwarzes Loch technisch betrachtet nicht gefährlicher ist als die Umkreisung eines normalen Sterns. Aber die Vorstellung ist weitaus schrecklicher.«

»Nicht für mich«, düste Heem und entspannte sich. »Ich finde das eher reizvoll. Ich wäre schon daran interessiert, einmal in der Zone ohne Wiederkehr meine Forschungen zu betreiben, außer...«

»Verdammt, ich will nicht blind sterben!« schrie sie plötzlich und schien an seinen Nerven zu zerren. »Du mußt diese Konkurrenz gewinnen!«

»Warum sollte ich meine Überlebenschancen davonrollen lassen bei dem vergeblichen Versuch, dir behilflich zu sein?« nadelte Heem erbost. »Du bist ja nur eine Squam in fremder Verkleidung.«

»Ich bin keine Squam. Ich bin ein menschliches Wesen!«

»Wie ich es schon beschrieb. Eine weibliche Alien, die Lebensmittel zu sich nimmt...«

»Aha, fängst du schon wieder damit an! Du kannst den Gedanken an einen unbequemen weiblichen Geist in deinem öden maskulinen hirnlosen Hirn nicht ertragen.«

Es war sinnlos, aber er fuhr fort. »Frauen gehören einfach nicht in die Geister vernunftbegabter Wesen.«

»Vernunftbegabte Wesen haben in männlichen Geistern nichts zu suchen!«

»Würze es, wie du willst. Jedenfalls gehörst du nicht in meinen Geist.«

»Nichts anderes sage ich die ganze Zeit! Ich würde am liebsten sofort aus diesem Durcheinander ausbrechen, ehe ich völlig verrückt werde.«

»Nun, du hast es bald geschafft.«

»Schön, ich verliere aber nicht als einziger den Verstand! Wenn du nicht wenigstens versuchen solltest, mich nach Hause zu transferen, werde ich dich mitnehmen, wo immer ich hingehe. Wenn es sein muß direkt in den Wahnsinn. Wie gefällt dir das?«

»Wenn du lieber verrückt als tot wärest, dann roll mal los.«

»Ich bin im Begriff, etwas schwierig zu werden. Und darin bin ich eine wahre Meisterin, Heem.«

»Sei von mir aus so schwierig, wie du willst. Ich kontrolliere jedenfalls meinen Körper.«

»Eine freundschaftliche Warnung: Ich schreie.«

»Ich weiß noch nicht einmal, was ein Schrei ist.«

Jessica schrie, und der Klang ihrer Stimme wurde von seinem Geschmackssinn umgeformt, und es war einfach grauenvoll. Die wilden, rohen Impulse suchten sich entlang seiner Nervenbahnen ihren Weg. Ihr Schrecken ließ sich von seinen eigenen Empfindungen nicht mehr unterscheiden; er empfand immer stärker Bewunderung und Angst, obwohl er wußte, daß es für diese Gefühle eigentlich keinen triftigen Grund gab. Ihr Schrei nötigte ihm Bewunderung ab.

Sie konnte ihn wirklich mit sich mitrollen! Weil sie in seinem Geist saß; er konnte sie nicht ausschließen. Bald schon wäre er ebenso verdreht wie sie.

»Dämpfe dein Aroma!« sprühte er heftig. »Ich will versuchen, den Wettstreit zu gewinnen.«

Das Schreiaroma versiegte sofort. »Wie süß von dir, Heem.«

Sie ähnelte wirklich einer Squam.