6. Planet Exzenter

 

Die Oberfläche des Planeten war hell mit weißen Dampfwolken vor einem blauen Himmelsgewölbe und einer dunkelgrünen Linie am Horizont.

Heem hielt an. »Wie kommt es, daß ich all das sehen kann? Ich habe doch keine Lichtrezeptoren! Im Schiff übersetzten wir den Maschinen- Input, der aus einer visuellen Quelle stammte, aber jetzt kann ich nur noch schmecken und fühlen. Ich kann doch den Himmel nicht direkt erfassen.«

»Ich gestehe alles, denn diesmal kann ich nicht lügen«, sagte Jessica. »Die Bilder habe ich aus meinem eigenen Bewußtsein. Ich weiß, wie ein Tag auf einem Planeten aussieht; ich habe sehr oft holografische Gemälde davon angefertigt. Ich fühle mich eben nicht wohl, wenn ich blind bin.«

»Aber wenn dein Bild sich von der Wirklichkeit unterscheidet und mich in die Irre leitet...«

»Das könnte zu einem ernsten Problem werden, wenn du auf Schlängelschreck triffst«, gab sie zu. »Daran hatte ich nicht gedacht. Wenn du gegen den Squam kämpfst, mußt du alle Details genau kennen. Ich denke, wir können deine Geschmacksreize entsprechend übersetzen, aber das müssen wir noch intensiv üben. Deshalb sollten wir uns von Schlängelschreck lieber so lange fernhalten, bis wir ihm nicht mehr unterlegen sind.«

Erleichtert gab Heem ihr recht. Er war zwar entschlossen, sich dem Squam zum Kampf zu stellen, doch er wollte das nur aus einer möglichst sicheren Position tun.

»Trotzdem erhalte ich auch auf direktem Weg einige Eindrücke«, fuhr Jessica fort. »Ich spüre das Sonnenlicht auf deinem Fleisch und die Hitze der Luft; danach müßte es Mittag sein. Daher weiß ich, daß alles, was sichtbar ist, auch zu erkennen sein muß.« Und sie machte das Bild schärfer.

Heem betrachtete die Landschaft. Sie war wunderschön. Das Sehen gefiel ihm, nun, da er es kennengelernt hatte. Sein Geschmackssinn blieb unbeeinträchtigt; er erlebte das Pflaster, die Auspuffgase des Schiffs, die fremdartige Vegetation in seiner nächsten Umgebung und die Reihe Traktoren am Rand des Landefeldes. An dem Anblick war nichts Bedrohliches.

Plötzlich erschienen die Traktoren, als Jessica seinen Gedanken auffing.

Riesige schwarze Maschinen mit mächtigen Ballonreifen und Kühlergrills aus Metall und komplizierten Apparaturen.

»Oh, hör auf!« nadelte er sie an. »Ich habe keinen Geschmack von derartigen Radkonstruktionen oder Kontrollen. Die Geschmackseindrücke weisen auf kleinere Quellen hin, als du sie mir zeigst.«

»Autsch!« Die Ballonreifen wurden durch Metallräder ersetzt, und die Traktoren schrumpften sichtlich.

Heem rollte eilig zum Nächststehenden. Als er ihn berührte und die ihm eigenen Geschmacksreize aufnahm, die Öl- und Treibstoffreste, verschmolzen Geschmacks- und Sichtbild zu einer Einheit. Es war ein Kettenfahrzeug mit einem einzelnen Vorderrad, gerade groß genug für den Körper eines Vernunftbegabten. Die Kontrollen waren in mehrfacher Ausführung vorhanden, so daß HydrO, Squam oder Erb sie bedienen konnten. Heem rollte die schräg geneigte Seitenrampe hinauf und ließ sich in der Kontrollkammer nieder, wo er sich mit den Gegebenheiten vertraut machte. Es handelte sich um ein Standardmodell, dessen Düsenknöpfe in der üblichen HydrO-Weise angeordnet waren. Die Squam- oder Erb-Kontrollen konnte er nicht enträtseln, doch das brauchte er auch nicht.

Das nächste Schiff kam herunter; Heem spürte die Vibrationen. Jessica bediente sich erneut ihrer künstlerischen Fähigkeiten und lieferte das zugehörige Bild: ein glänzender Metallsplitter, der vor einem blauschwarzen Hintergrund auf einer Säule aus orangefarbenem Feuer balancierte.

Das Feuer erstarb.

Heem benadelte die Traktorkontrollen. Die Maschine erwachte stöhnend zum Leben. Flüssigkeit rauschte in die Radkammern, und das Vehikel vollführte einen ruckartigen Satz.

»Was machst du da, Heem?« schrie Jessica. »Solche Kavalierstarts vergeuden nur Treibstoff!«

Heem gab keine Antwort. Er lenkte den Traktor mit voller Beschleunigung direkt in den Dschungel. Die Vegetation kam rasend schnell näher und gab ihre Struktur preis, als Jessica die Geschmacksreize interpretierte: grüne Stämme, die in den Himmel ragten und sich in Seitenstränge auffächerten, welche wiederum in weitere Seitenstämme übergingen. »Nimm dich vor den Farnwedeln in acht!« warnte Jessica. »Heem, du brauchst gar nicht so schnell loszurasen...«

Dann erfolgte der Aufprall. Die Farnbäume schwankten, und der Traktor hüpfte vom Boden hoch.

»Was war das?« »Das landende Schiff. Hast du denn nicht gesehen, daß ihm der Treibstoff ausging? Es mußte einfach abstürzen.«

»Oh. Dann hat jemand wohl zuviel riskiert.« Ernüchtert fuhr sie fort: »Kein Wunder, daß du dich so eilig in Sicherheit gebracht hast! Wir hätten...«

“...vernichtet werden können«, beendete Heem ihren Satz. »Was mit unserem Konkurrenten auch geschehen ist.«

»Dieser Wettstreit sollte doch nicht - lebensgefährlich sein, oder? Ich meine, die Verlierer brauchen nicht...«

»Diejenigen, die es darauf ankommen lassen, begeben sich in eine Gefahr, die sie das Leben kosten kann. Der Pilot hätte aufgeben und den Planeten umkreisen sollen, bis jemand ihn in Sicherheit gebracht hätte. Doch er entschied sich für einen Landeversuch, wobei er hoffte, nicht zu heftig aufzuschlagen - und hätte er nur für einige Sekunden mehr Treibstoff gehabt, dann wäre er jetzt noch am Leben. Sein Risiko war weitaus geringer als unseres beim Vorbeiflug am Loch.«

»Ja«, gab sie ihm leise recht. »Hältst du es für möglich, daß das Schlängelschreck war, der abgestürzt ist?«

»Wohl kaum. Schlängelschreck ist zu gerissen, als daß ihm ein derart dummer Fehler unterläuft. Er liegt einige Schiffe hinter uns, während das abgestürzte uns direkt folgte. Schlängelschreck stirbt nur dann, wenn ich ihn töte.« Falls es Heem gelang und er sich nicht vorher selbst umbrachte.

»Ist es denn gestattet - daß du einen Konkurrenten direkt attackierst?«

»Nein. Nein, es muß wie ein Unfall aussehen, sonst werden wir disqualifiziert, falls wir den Wettkampf gewinnen. Wen wir nicht als erste den Fundort erreichen, ist es sowieso gleichgültig; so streng wird ohnehin nicht auf die Einhaltung der Regeln geachtet.«

»Aber nach dem, was ich in deinem Namen im Raumnetz verkündet habe, wird jeder wissen...«

»Man wird annehmen, daß es ein Bluff war. Bei einem derartigen Wettstreit wird viel geblufft, was im Grunde auch zum Spiel gehört. Wäre ich nicht durch das plötzliche Auftauchen meines Feindes verwirrt worden, hätte ich wahrscheinlich so gehandelt wie du.«

»Schön, ich bin mir noch immer nicht sicher, ob das richtig ist. Versprich mir, daß du Schlängelschreck nicht angreifen wirst.«

»Aber du hast ihn doch selbst herbeigelockt!«

»Nun, ich hab's mir eben anders überlegt. Das ist das Vorrecht der Frauen.«

Heem konnte nicht zugeben, daß er ohnehin Angst hatte, den Squam anzugreifen. Möglich, daß sein neuerworbener Gesichtssinn ihm half, den Kampf zu überstehen, doch von Zuversicht konnte kaum die Rede sein. Es machte einen großen Unterschied, ob man aus sicherer Entfernung seine Rache plante oder ob man seine Pläne in die Tat umsetzte. »Dir zuliebe werde ich Schlängelschreck aus dem Weg gehen.« Er empfand eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. Hätte er doch nur die Kraft, den Squam zu vernichten! Zuverlässige Kraft, nicht nur Hoffnung! Es machte nichts aus, wenn er das Wettrennen um den Fundort der Ahnen verlor, solange er nur den Squam endgültig erledigte. Dann konnte er zufrieden sterben.

»Wir sollten andere Prioritäten setzen. Grundsätzlich konzentrieren wir uns auf das Rennen. Wenn wir verlieren und alles aus ist, und wenn wir davon ausgehen können, daß ich sterbe und du eingekerkert wirst, dann können wir immer noch Jagd auf den Feind machen.«

Das klang durchaus einleuchtend. Manchmal war die solarische Logik doch brauchbar.

Heem widmete seine ganze Aufmerksamkeit seiner Fahrt. Durch Benadeln der Antriebskontrollen dirigierte er das starke, kleine Fahrzeug durch den Dschungel. Diese Farnbäume unterschieden sich von den Pflanzen auf seinem Heimatplaneten; sie lebten nur teilweise von der Atmung, holten sich ihre Nährstoffe auch über Wurzeln aus dem Untergrund. Er hatte diesen Prozeß studiert und begriff sein fremdartiges Prinzip.

Die Tatsache, daß Jessicas Visualisation ihn in die Lage versetzte, die Pflanzen auch mit einem fremdartigen Sinn zu erfassen, rundete den exotischen Eindruck ab. Er begann bereits, sich an den Gesichtssinn zu gewöhnen, und dachte sogar schon in Bildern.

Es gab im Dschungel einen Pfad, der um das Landefeld herumführte. Heem folgte ihm mit seinem Fahrzeug und steigerte seine Geschwindigkeit. Das war nicht viel anders, als ein Schiff durch den Weltraum zu lenken.

»Aber woher weißt du denn, wohin wir fahren?« fragte Jessica.

Heem benadelte die Datenbank des Traktors, und sie versprühte eine Reihe unterschiedlicher Aromen. »Das ist das Muster der Landschaft«, erklärte er. »Die Geschmackskomplexe geben Auskunft über Treibstofflager, Gefahrenpunkte, befestigte Wegstrecken - «

»Aha, eine Landkarte!« unterbrach sie ihn. »Damit kenne ich mich bestens aus. Komm, ich mach sie für dich sichtbar - da!« Eine farbige Bildkarte entstand.

Sie betrachteten sie. Die Karte verriet ihnen, daß sie sich auf einer großen Insel befanden, auf der es vulkanische Berge, lange Flüsse, weite Ebenen und dichte Dschungel gab. Mitten auf der Insel befand sich ihr Zielort, das Objekt des Wettstreits. Der Ahnen-Fundort. Heem spürte, wie ihn ein Schauer der Erregung durchlief, als er die Stelle sah/schmeckte, und er war sich nicht sicher, ob das seine eigene oder Jessicas Reaktion war.

»Es ist unser beider Reaktion«, informierte Jessica ihn. »Die Faszination, die von den Ahnen ausgeht, wirkt auf alle vernunftbegabten Rassen im Cluster. Selbst wenn wir uns nicht in einem Wettrennen befänden, würde ich schnellstens diesen Fundort aufsuchen.«

»Ihr habt in eurem Teil der Galaxis schon von den Ahnen gehört?« fragte Heem mit freundlichem Spott.

»Natürlich wissen wir von den Ahnen! Wofür hältst du uns, für Wilde? Es war der Solarier Flint von Außenwelt, der die Milchstraße im Ersten Energiekrieg rettete, indem er in einen Ahnen-Fundort eindrang. Und ich bin ein Nachkomme dieses bedeutenden Mannes; mein Zuhause ist das Schloß, wo er sich mit der Gütigen Königin Bess verband und meine Generationslinie begann.«

»Sei friedlich, fremde Frau! Dann hat also ein Solarier einen Fundort geschmeckt. Wer weiß, irgendwann kann man sogar von den Solariern so etwas wie Vernunft erwarten.«

Sie bedachte ihn mit einem heftigen Nadelstrahl. »Du Bastard! Typisch Mann!«

»Du schreist danach. Und das ist typisch weiblich.«

Sie versetzte ihm einen zweiten Nadelstrahl, doch diesmal war es eher eine freundschaftliche Geste mit einem schwachen und reizvollen SexAroma. So fremdartig sie auch sein mochte, sie erinnerte ihn mehr und mehr an Moon von Morgendunst. Er erinnerte sich deutlich an jene ersten glücklichen Stunden im neuen Tal, an das Einander-Näherkommen und die Paarung.

»Als gäbe es nichts anderes im Universum als Sex«, meinte Jessica ernst.

»Gibt es denn etwas anderes?«

»Oh, sieh dir lieber die Landkarte an! Du rast auf einen Berg zu.«

Seinem Geschmack nach stimmte das. Heem lenkte den Traktor zur Seite und wich der Erhebung vor ihm aus. »Laut Karte ist dies eine von fünf Schwierigkeiten, die auf dem Weg zum Fundort zu überwinden sind. Das Problem ist nur, daß es bei fünfzig Traktoren und derart schmalen Fahrwegen ziemlich eng zugehen kann.«

»Eng? Bis zum Fundort sind es mindestens tausend Kilometer! Das bedeutet alle fünfzig Meilen einen Traktor.«

Heem hatte Probleme mit den fremdartigen Maßeinheiten und war nicht in der Lage, sie untereinander und mit seinen eigenen ins Verhältnis zu setzen. Er kannte das solarische Zeitmaß, aber nicht das Längenmaß. »Wenn es keine Unterbrechungen gibt, sind wir mit der Maschine zwei Tage lang unterwegs. Aber die Traktoren sind nicht gleichmäßig über die Strecke verteilt; sie starten in einem großen Pulk und bewegen sich etwa mit derselben Geschwindigkeit, weil sie identische Antriebssysteme und Leistung haben. An den neuralgischen Punkten wird es zu Stauungen kommen. Wenn wir an einem solchen Punkt steckenbleiben, werden die Traktoren auf anderen Strecken uns überholen. Dann verlieren wir, egal, was auf unserer Route geschieht.«

»Aha, ich verstehe. Dann wählen wir am besten einen Weg, der nicht allzu häufig befahren wird, oder wir versuchen unser Glück querfeldein.«

»Nicht querfeldein. Schmeckst du diese dicken Linien auf der Karte? Das sind Lavarinnen. Dieser Planet weist noch aktiven Vulkanismus auf. Wir können diese Gebilde nur auf den eingezeichneten Brücken überqueren.«

»Dann ist man also auch bei dieser Etappe von seinem Glück abhängig«, stellte sie fest. »Wer auf der falschen Fahrspur unterwegs ist, verliert.«

»Wir müssen dafür sorgen, daß wir nicht die falsche Spur benutzen. Auf diese Weise helfen wir unserem Glück ein bißchen nach.«

»Ich weiß Bescheid. Dann laß uns mal die Karte etwas genauer betrachten.«

Heem lenkte den Traktor vom Weg herunter und parkte ihn hinter einer Farnbaumgruppe. »Wir sollten dieser Spur nicht zu weit folgen, bis wir sicher sein können«, düste er. »Es paßt mir zwar nicht, Zeit zu vergeuden, aber da die Spuren sich nach den Treibstofflagern nicht mehr kreuzen...«

»Treibstofflager?«

»Wir müssen einmal nachtanken. Maschinen sind nicht besonders zivilisiert; sie brauchen ständig physische Chemikalien, wie die Squams.«

»Mach schon und nadel es heraus, du Chauvi! Und wie die Solarier! Maschinen essen!«

Dennoch klangen ihre Worte freundlich, anders als ihre Gedanken. Dieser Gegensatz gefiel ihm. Trotz seines Wissens um ihre Natur mochte er sie. Sie ähnelte so wenig einem Squam, nun da er sie etwas eingehender kennengelernt hatte. Immerhin gab es ja eine ganze Reihe von Rassen im Cluster, die physische Substanzen konsumierten. Nicht alle Kreaturen, die aßen und Gliedmaßen hatten, waren durch und durch schlecht.

»Das will ich doch hoffen«, meldete Jessica sich.

Er vergaß ständig, daß sie seine Gedanken schmecken konnte, wenn er sie nicht bewußt abschirmte. Das machte ihm aber nichts mehr aus.

»Die direkteste Route scheint diese zu sein«, düste Heem und wies geistig auf eine bestimmte Linie auf der Karte. »Nahezu eben, keine Sümpfe, nur zwei Lavabrücken. Deshalb werden sich wohl unverhältnismäßig viele Konkurrenten für diese Route entscheiden.«

»Damit wird sie zu einer schwierigen Strecke«, meinte Jessica. »Und dies dort ist die längste, kurvenreichste, gebirgigste Route, mit sechs Lavabrücken. Die wird niemand nehmen.«

»Denn wer sich für die entscheidet, hat das Rennen schon verloren. Es sei denn, die vier anderen Routen sind verstopft.«

»Was durchaus passieren kann, wenn alle diese Strecken wählen. Aber was sollte den Insassen des ersten Raumschiffs davon abhalten, diese Strecke zu benutzen und ohne Behinderung durch die Gegner dem Ziel entgegenzurasen, da kein anderer Traktor aufholen kann?«

»Das ist eine gute Frage. So einfach kann es nicht sein. Diese Rennen sind nicht so organisiert, daß es einen derartigen Sieger gibt. Es muß noch etwas geben, das einen Abstaubersieg des Erstgelandeten verhindert.«

»Ich sehe aber nichts - halt, meinst du Monster, irgendwelche Ungeheuer, die den ersten Ankömmlingen auflauern?«

»Nein, dieser Wettstreit kennt keine großen Gefahren, was bedeutet, daß wir unsere Hindernisse, unsere Gefahren selbst mitbringen, zum Beispiel unsere Konkurrenten. Wegen des Klimas gibt es auf Exzenter nur wenige Tiere. Möglich, daß es in der Wildnis Bestien gibt, die noch niemand gesehen hat, jedoch nicht auf den markierten Wegstrecken.«

»Dann glaube ich, sehen die Schwierigkeiten anders aus. Jeder Traktor, der die Route benutzt, wühlt den Boden etwas mehr auf, bis die Wege praktisch unpassierbar sind. Demnach wird der erste Traktor ständig seinen Vorsprung ausbauen.«

»Das hängt von der Beschaffenheit des Bodens und den Fahrspuren ab. Mit Ketten wie diesen, die in etwa der sinnvollen Fortbewegungsart der

HydrOs entsprechen, dürfte der Weg eher fester und besser werden...«

»Das ist es!« rief sie. »Die Raupenketten walzen die Büsche und Felsen nieder und verwandeln eine Buckelpiste in eine richtige Autobahn! Deshalb holen die später startenden Traktoren die ersten ein und sparen dabei noch Treibstoff.«

»Und verursachen unter Garantie Stauungen«, pflichtete Heem ihr bei. »Aber wenn wir nur aufholen können, solange wir am Schluß liegen, können wir kaum gewinnen...«

»Können wir doch! Es ist genauso wie bei den Raumschiffen! Es kommt nicht darauf an, von wo aus du startest, sondern wieviel Treibstoff du aufsparen kannst. Wenn du damit ökonomisch umgehst, kannst du die anderen am Ende doch noch überholen. Sieh dir doch auf der Karte diese Treibstofflager an - sie liegen näher beim Landefeld als zum AhnenFundort. Um was sollen wir wetten, daß am Ende jeder Traktor auf dem letzten Teilstück ohne Treibstoff liegenbleibt? Also werden alle, die es bis dahin nicht begriffen haben und verschwenderisch mit ihrem Treibstoff umgehen, indem sie sich neue Wege suchen oder einfach drauflos rasen...«

»Du bist ja das reinste Genie, fremdes Wesen! Das ist der Schlüssel zum Sieg! Eine Falle für die Dummen oder Gedankenlosen! Welchen Nutzen hat es, den Haufen anzuführen, wenn am Ende der Traktor seinen Geist aufgibt und man sich aus eigener Kraft fortbewegen muß, während die anderen einen in ihren Maschinen überholen? Die Strategie muß darin bestehen, den meistbenutzten Weg zu wählen, gemütlich hinter den anderen herzurollen, gegen Ende zu attackieren und sich an die Spitze zu setzen.«

»Solange wir nicht in einem Zwei-Tage-Stau steckenbleiben«, erinnerte sie ihn. »Am besten hält man sich ziemlich weit vorne auf, solange die Treibstofflager noch vor einem liegen, und...« Sie hielt inne. »Halt - mir kommt da ein Gedanke, Heem. Gibt es überhaupt genug Treibstoff für alle Traktoren, ganz gleich, wann sie eintreffen?«

Heem überprüfte die Kartenbeschriftung. »Diese Treibstofflager können nur die Hälfte der Traktoren versorgen.«

»Dann ist das die andere Einschränkung.«

»Wie bitte?«

»Der andere Teil der Falle. Fährt man zu schnell, dann geht einem auch sehr frühzeitig der Treibstoff aus. Fährt man zu langsam, kann man nicht mehr nachtanken. Also scheidet man so oder so aus.«

»Mit einer solchen Taktik komme ich ganz gut klar! Wir müssen unter den ersten beim Lager sein und auf der zweiten Teilstrecke sparsam zu Werke gehen.«

»Ich überlege - könnte dies nicht auch eine Falle sein? Jeder rast zum nächsten Lager...«

»Möglich. Aber wenn wir uns nicht beeilen...«

»Ich hab' da meine Zweifel. Das Ganze erscheint mir zu glatt. Wie ist der Treibstoff auf die Depots verteilt? Ich meine, gibt es in jedem Lager dieselbe Menge - vielleicht genug für fünf Traktoren? Das hätte entscheidenden Einfluß auf unsere Strategie.«

»Das hätte es wirklich«, gab Heem zu. Diese Alien war richtig clever! »Aus der Karte scheint hervorzugehen, daß alle Depots die gleiche Treibstoff menge zur Verfügung haben.«

»Dann werden die Lager an der meistbefahrenen Route am ehesten leer sein. Und die Zuspätkommenden schaffen es nicht, auf eine andere Strecke auszuweichen, nicht wahr? Weil sie zu weit voneinander entfernt sind. Demnach werden wir in der ersten Runde die Hälfte der Traktoren hinter uns lassen, darunter auch einige von den Führenden - und die cleveren Konkurrenten, die später eintreffen, tun gut daran, die am wenigsten befahrenen Strecken zu benutzen in der Hoffnung, daß in den jeweiligen Depots noch genug Treibstoff lagert, mit dem sie wieder in das Rennen eingreifen können. Durchaus möglich, daß auf diese Weise die letzten plötzlich die ersten sind.«

»Möglich. Außer daß ein cleverer Führender sich bis zum Ende des Rennens an der Spitze halten könnte. Da muß noch mehr hinzukommen.«

»Diese schlechte Route«, sagte sie. »Sie ist so schlecht, daß niemand sie benutzen würde, außer er läge bereits so weit zurück, daß er weiß, daß er nur dort noch Treibstoff vorfinden könnte. Aber sieh doch - dort gibt es eine quer verlaufende Spur; du startest auf der schlechten Route und kreuzt nach dem Treibstoffdepot auf die bessere.«

»Ja. So müssen wir es machen. Diese kurze Zeitverzögerung für unseren Kriegsrat hat uns wahrscheinlich mehr Vorteile verschafft, als wir hätten hoffen können.« Heem startete den Traktor und steuerte auf die schlechte Route zu.

»Ich frage mich noch immer«, dachte sie laut nach, »warum bauen sie eine derart schlechte Route, die dann in einen Fluchtweg übergeht? Ich werde schon wieder paranoide, Heem, gibt es eine Möglichkeit, am Lager mehr Treibstoff aufzunehmen und ihn für die letzte Etappe aufzubewahren?« »Nein. Das bezweifle ich. Die Depots geben eine feste Menge ab. Andernfalls würden die zuerst kommenden Traktoren alles stehlen.«

»Dann kannst du nicht auf Vorrat tanken. Am Ende verfügst du demnach genau über einen Tank voll, ganz gleich, auf welcher Route du dich bewegt hast?«

»Stimmt! Vielleicht kann man von der ersten Tankfüllung etwas aufbewahren, um bei der zweiten Teilstrecke besser versorgt zu sein; das ist alles.«

»Heem, sieh dir mal diese schlechte Route an. Sie führt über einige Lavarinnen, dann windet sie sich einen Berg hinauf!«

»Ja. Praktisch unser gesamter Treibstoff würde beim Anstieg verbraucht.«

»Aber danach geht es nur noch bergab. Wir könnten fast aus eigener Kraft bis zum Fundort rollen!«

Heem betrachtete überrascht den Streckenverlauf. »Diese Route ist besser, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie bietet einen langen Anstieg auf Kosten des Treibstoffs, doch dieser Anstieg zahlt sich am Ende aus, wenn das Schiff nach unten rollt. Vorausgesetzt der Traktor schafft es bis auf den Gipfel.«

»Dann laß es uns wagen, Heem! Es ist eine unsichere Sache, aber es gibt viel zu gewinnen. Kein Verkehr, kein Treibstoffmangel, und wir kommen näher an den Ahnen-Fundort heran als auf jeder anderen Route. Weil die Traktoren auf den anderen Strecken in der Ebene mit Maschinenhilfe fahren müssen, während wir unsere Maschine zwischen den Aufstiegen praktisch ausschalten können.«

»Ich bin einverstanden. Wir werden wohl unter den ersten zehn Traktoren sein, selbst wenn wir einen langen Weg zurücklegen müssen und ziemlich langsam starten.«

»Aber nur weil wir uns die Zeit genommen haben, über alles nachzudenken, als blindlings loszurasen.« Sie war zufrieden.

Andere Traktoren setzten sich in Bewegung, nachdem weitere Raumschiffe gelandet waren. Hier war die Fahrspur noch breit; Heem steuerte an zwei Fahrzeugen vorbei, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs waren. In einem befand sich ein unangenehmer Squam, im anderen ein Erb. Falls sie überrascht waren, daß der Traktor in der falschen Richtung fuhr, so zeigten sie es nicht. Wahrscheinlich glaubten sie, daß jeder Narr, der vom richtigen Weg abkam, die Chancen der anderen verbesserte.

Heem fand die schlechte Route. Natürlich war sie praktisch unbenutzt;

nur ein oder zwei Traktoren hatten sie befahren. Die Piste war rauh, aber immer noch besser als unberührte Wildnis. Heem bewegte sich mit der höchsten Geschwindigkeit vorwärts, die er noch für halbwegs verantwortlich hielt.

Er ertappte sich beinahe dabei, wie er in Bildern dachte, trotz seines Wissens, daß es nicht real war. Die Farnbaumgruppen hatten sich zu einem unwegsamen Dschungel verdichtet. Ihre Äste und Blätter waren derart miteinander verfilzt, daß kein Traktor zwischen den Pflanzen hindurchfahren konnte; es gab keine andere Möglichkeit, als auf der zerfurchten Piste zu bleiben.

»Aber es sind keine hohen Bäume«, bemerkte Jessica. »Sie sehen alle aus, als seien sie erst in diesem Jahr gepflanzt worden.«

»Sind sie auch. Der Eklipsen-Winter vernichtet alles. Die Luft wird eisig und legt sich auf die Planetenoberfläche, und jegliche organische Struktur zerbricht und wird zu Pulver zermahlen. Im Frühling ist da nur noch nahrhafter Staub mitsamt der Saat neuen Lebens.«

»Alles neu, jahraus, jahrein!« sagte sie. »Aber wie können Tiere von der Saat groß werden?«

»Deine Rasse wächst nicht aus Saat heran?«

»Nicht auf diese Weise. Wir gebären lebend.«

»Ich verstehe nicht.«

»Die Nachkommen werden aus dem Körper der Mutter geboren. Einige andere solarische Rassen legen Eier. Wie machen die HydrOs es denn?«

»Wir säen.«

»Du meinst wie Gemüsesamen? Wenn das so ist, warum konnte denn deine Saat den Winter hier nicht überstehen, eingeschlossen in gefrorenem Schlamm, wie es bei den hier vorkommenden Samen der Fall ist? Ihr hättet den Planeten kolonisieren können.«

»Nicht wie Gemüsesamen. HydrOs sind stets voller Leben, wach, wenngleich wir schon bald unsere ersten Lebensmomente vergessen, schon vor der Metamorphose. Meine illegalen Erinnerungen reichen bis in die Zeit zurück, als ich noch ein Halbwüchsiger war und die Mehrzahl meiner Geschwister bereits dahingeschieden war. Frost hätte uns getötet. Wir brauchten als Nahrung Wasserstoff und mußten warm genug sein, um ihn zu verarbeiten.«

»Wie gewinnt ihr Energie aus Gas? Das habe ich nie so richtig begriffen.« »Das ist ein natürlicher Prozeß, der keinen Intellekt erforderlich macht. Ich glaube, der Vorgang ist nicht komplexer als die Art und Weise, wie ihr Solarier physisch greifbares Essen verwertet. Etwas Wärme wird frei, die wir regulieren, um den Prozeß in Gang zu setzen und anzukurbeln, und wenn wir bei irgendeiner Gelegenheit einen heißen Nadelstrahl als Waffe...«

Ein weiterer Traktor tauchte hinter ihnen auf und näherte sich, wie sie es erwartet hatten.

»Wir sollten ihn vorbei lassen«, riet Jessica. »Dann können wir ihm folgen und Treibstoff sparen. Wenn die nachzutankende Treibstoffmenge begrenzt ist, dann muß der Traktor Raum für die doppelte Menge haben. Demnach würde ihm der Treibstoff nie ausgehen, noch würde ihm der Tank überlaufen. Alles, was wir jetzt einsparen, wird am Ende unseren Endspurt auf das Ziel entscheidend beflügeln.«

»Stimmt. Aber wenn wir einfach ausweichen und das andere Fahrzeug durchlassen, wird der Lenker mißtrauisch und weigert sich vielleicht, die Führung zu übernehmen. Wir müssen unsere Spitzenposition unter heftigen Diskussionen aufgeben.«

»Toll, ja! Du bist wirklich clever, Heem.«

Geschmeichelt, antwortete Heem nicht. Sie war überaus intelligent, wenn er sich erst einmal mit den Erscheinungen ihres Fremdseins und ihrer Weiblichkeit abgefunden hatte.

Der verfolgende Traktor kam näher. Nun erschmeckte Heem auch die Eigenarten seines Insassen. »Das ist ein Erb«, düste er. »Kein Grund zur Sorge.«

»Auch ein Erb kann dieses Rennen gewinnen«, warnte Jessica. »Ein Erb in einem Traktor kann dich ebenso schnell von der Piste drängen wie ein Squam.«

»Niemals«, sprühte Heem unbekümmert. »Erbs haben gegen Squams keine Chance. Sie sind ja nur Pflanzen.«

»Pflanzen?« fragte sie ungläubig. »Das habe ich aber nach unserem letzten Gespräch über dieses Thema anders in Erinnerung. Du hast mir erzählt, sie seien vernunftbegabt, hätten bewegliche Blattschirme, mit denen sie Lichtenergie aufnehmen können, und daß sie Squams im Kampf besiegen könnten. Für eine Pflanze ist das eine ganze Menge.«

Nun war der andere Traktor dicht hinter ihnen. Heem lenkte sein Fahrzeug so, daß er die Fahrspur blockierte, als hätte er Angst, überholt zu werden. »Wie andere Pflanzen holen sie sich ihre Nährstoffe aus dem Boden. Diese Traktoren haben spezielle Behälter mit Mutterboden in den

Kontrollkammern, damit die Erbs dort ihre Wurzeln hineinbohren können. Außerdem sind diese Abteile offen; die Erbs brauchen nämlich Licht.«

»Das sehe ich alles ein, Heem. Ich verstehe das rein intellektuell, aber ich möchte uns ein Bild schaffen, das wir jetzt sofort betrachten können.«

Heem konzentrierte sich und versuchte, seinen Geschmackseindruck visuell umzusetzen. Als Jessica die entsprechenden Bilder produzierte, fiel es ihm leicht, wenngleich das Ergebnis nicht genau der Wirklichkeit entsprach. Für ihn war es weitaus schwieriger.

»Komm, ich helf dir. Etwa so?« Sie entwarf ein Bild von einem riesigen grünen farnähnlichen Gebilde, dessen Zweige sich sanft im Wind wiegten.

»Nein, überhaupt nicht«, sprühte Heem. »Erbs sind nicht grün. Sie wiegen sich nicht. Sie...« Er analysierte den Geschmack. Im Grunde konnte er, da er noch nie einen Erb gesehen hatte - kein HydrO hatte je einen gesehen! - hinsichtlich der Farbe keine zuverlässigen Angaben machen, doch er wußte genau, daß sie nicht der Farbe der meisten Pflanzen entsprach.

Das Bild wurde verschwommen und veränderte sich, als sie es korrigierten. Plötzlich tauchte der echte Erb neben ihnen auf; Heem hatte nicht aufmerksam genug dessen Aktionen verfolgt. Er versuchte, ihn abzudrängen, aber es war zu spät.

»Laß ihn vorbei«, murmelte Jessica. »Das wollten wir doch, oder?«

Heem hatte es beinahe vergessen. Er ließ seinen Traktor allmählich an Boden verlieren, und der Erb erkämpfte sich die Führung. Als Heem zurückfiel, nahm er eine intensive Geschmacksmischung auf, und plötzlich wurde Jessicas Bild klar.

Es war die Darstellung einer goldenen Säule, die sich unten zu einem Bündel schlanker Äste verbreiterte und oben einen Kelch formte, der aus sich überlappenden Metallplättchen bestand.

»Ich verstehe«, sagte Jessica. »Das Wesen sammelt Lichtenergie, indem es die Blätter aufspannt. Aber was geschieht an den Tagen, an denen es kein direktes Sonnenlicht gibt? Diese Wesen können doch nicht genügend Sonnenenergie speichern, um ihren normalen Lebensrhythmus zu erhalten, nicht wahr?«

Heem beschäftigte sich mit dem Bild und veränderte es. Der Erb-Kelch spannte sich zu einer Scheibe auf, diese Scheibe neigte sich und schob sich in den Wind, und die Plättchen richteten sich derart aus, daß sie Windflügel bildeten. Der Wind ergriff sie und ließ sie um die Mittelachse rotieren; die Kraft des Windes wurde in Drehung verwandelt, die vom Körper der Pflanze aufgenommen wurde. »Eine Windmühle!« rief Jessica aus. »Jetzt kann ich es endlich erkennen! Du hast ja schon mal versucht, es mir zu erklären, aber...«

Der Erb-Traktor lag nun vor ihnen und fuhr auf der weniger glatten Piste etwas langsamer weiter. Heem ließ sich Zeit und fiel mit seinem Traktor noch etwas weiter zurück, so daß der Erb nicht bemerkte, welche Absichten er verfolgte. Dabei steigerte Heem seine Treibstoffersparnis erheblich.

»Aber wie verteidigt der Erb sich gegen ein Horrorwesen wie den Squam?« wollte Jessica wissen. »Du meintest doch, Erbs könnten Squams im Kampf schlagen, nicht wahr? Da war von Bohren die Rede.«

»Die Blätter schieben sich zu einem Bohrer zusammen«, sprühte Heem und modifizierte dabei das Bild erneut. Er wurde darin zusehends besser. Das Geheimnis war, einen möglichst detailreichen Entwurf zu schaffen und dann das jeweilige Detail zu projizieren. Jede Einzelheit, die in seinem Geist nur vage existierte, erschien genauso vage auch im Bild. Das war recht günstig! »Visualisiere doch mal, wie ein Squam einen Erb angreift.«

Jessica erzeugte bereitwillig das Bild von einem Squam. Es sah irgendwie fremdartig aus, da sie bis zu einem gewissen Grad ihre eigenen Erfahrungen mit reißzahnbewehrten Raubreptilien verarbeitete, doch es erfüllte seinen Zweck. Der Squam schlängelte sich auf den Erb zu, seine drei Arme ausgestreckt, die drei Scheren offen.

Der Erb im Bild drehte sich und zielte mit seinen scharfkantigen Blättern auf den Squam. Der spitze Kegel drehte sich auf seinem Achsenschaft wie vorher die Windmühle, doch nun wurde die Rotation von innen erzeugt. Als der Squam herankam, neigte sich der Kegel, bis die Spitze auf die Brust des Squam wies, dann stieß er vor.

Die schraubenartig gegliederte Struktur fraß sich in den Körper und zerriß das Gewebe unter den Schuppen. Unmittelbar danach platzte der Körper des Squam auf, da die harten Schuppen der brutalen Kraft des Spiralkegels nicht standhalten konnten. Der Squam wurde schwer verletzt und würde wohl bald sterben.

»Nun, wenigstens verstehe ich jetzt auch dies«, meinte Jessica und ließ das Bild verschwinden. »Damit bleibt also das Drehmoment Sieger! Und ich erkenne, daß der Bohrer gegen den amöbenartigen Körper eines HydrO nichts ausrichten kann. Es ist tatsächlich wie Schere-Stein-Papier.«

»Wie ist das?« fragte Heem verwirrt.

Sie erklärte, was sie meinte, und lieferte die dazugehörigen Bilder. »Scheren sind gegeneinander bewegliche scharfe Kanten, die durch Papier schneiden und es gewissermaßen besiegen. Doch Papier umwickelt Stein und hüllt ihn ein. Und Stein hält der Schere stand. Auf diese Weise schlägt eines das andere. Ähnlich ist es mit den Squams, den Erbs und den HydrOs. Squams haben Scheren, die durch das weiche PapierFleisch der HydrOs schneiden, während der steinharte Bohrer eines Erbs die Schere schlägt. Und die HydrOs - wie werden die HydrOs mit den Erbs fertig? Du hast es mir schon einmal erklärt, aber...«

»Wir umhüllen sie«, gestand Heem. »Wir wickeln sie ein und benadeln sie mit heißem Wasser. Die Scheren der Squams können sie unschädlich machen, doch nicht unsere Flüssigkeit.«

Der Traktor kämpfte sich weiter durch die zahlreichen Kurven und Anstiege der Piste. »Weißt du, je mehr ich von deiner Lebensweise kennenlerne, desto besser gefällt sie mir«, verriet Jessica. Dann verbesserte sie sich. »Nein, im Grunde mag ich sie gar nicht so gerne; ich ziehe meine menschliche Lebensweise vor. Aber deine Eigenarten und Gewohnheiten haben ihren Reiz - mal überlegen - irgend etwas spricht mich an...«

»Deine solarische Existenz bleibt mir in den meisten Bereichen völlig fremd«, düste Heem. »Aber wenn ich eure Art betrachte, wie ihr eure Nachkommen aufzieht, und dann sehe ich dich - also ich wünschte, du wärest eine HydrO.«

»Schön, ich bin eine HydrO, zur Zeit jedenfalls. Ich besetze schließlich deinen Körper, oder etwa nicht?«

»Ich dachte eher an eine eigenständige HydrO. Eine Weibliche. Eine, mit der ich kopulieren könnte.«

»Eine, mit der du - schrecklich, so etwas zu sagen!« rief sie, wobei eine Mischung aus Geschmeicheltsein und Ärger durch sein Bewußtsein spülte. »Immer wenn ich glaube, daß wir gewisse Fortschritte gemacht haben, kommst du mit...«

»Ich bedaure es«, düste Heem schnell. »Ich vergaß, daß deine Rasse die Kopulation für unanständig hält. Ich ziehe den Gedanken zurück.«

»Hee, du kannst keinen Gedanken zurückziehen! Und meine Rasse betrachtet - nun, ich sowieso nicht! Ich - du hast mich ganz einfach überrumpelt. Wir Solarier gehen nicht - ich meine, derartige Dinge werden nicht herausgeblökt, aber ich glaube, man fühlt sie recht deutlich. Zum Beispiel mein Klon-Bruder, der mein Ebenbild ist, nur in männlicher Hülle, ein Y-Chromosom anstelle eines X-Chromosoms - ich - ich glaube, was du wirklich ausdrücken wolltest, entspricht einem natürlichen Drang... «

»Es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe. Ich empfinde für dich etwa das gleiche wie für Moon von Morgendunst, und ich stehe dir jetzt viel näher als ihr... «

»Du hast sie doch nur ein paar Tage gekannt, ehe sie starb«, unterbrach Jessica ihn. »Ich bin etwa die gleiche Zeitspanne bei dir, und wir haben ein Begriffsquiz überstanden, haben an einem Weltraum-Rennen teilgenommen und sind an einem Schwarzen Loch vorbeigeflogen. Wie könntest du etwas sagen, das mich verletzen könnte? Ich - ich bin gerade dabei, mir über meine Gefühle zu dir klarzuwerden. Ich bin überrascht - und zugleich sehr erfreut, Heem. Ich - ich möchte deine Aufmerksamkeit. Denn ich achte dich sehr hoch. Du bist wirklich ein ganz besonderer Mann.«

»Ich bin ein HydrO und kein Mann.«

»Ja, ja, natürlich, Heem. Ich habe es nur symbolisch gemeint. Ich wollte nur sagen, daß ich - ich - o mein Gott, meine Kultur macht es mir schwer, und ich dachte immer, ich wäre in dieser Hinsicht frei und ohne Hemmungen! Aber ich will ehrlich sein. Ich - ich wünschte, ich wäre diese HydrO-Lady. Dann könnte ich - ich weiß, daß Sex für dich keine ernste Sache ist; oft genug ist es das für uns auch nicht. Nicht nur zur Vermehrung praktiziert. Manchmal dient Sex nur dazu, sich gegenseitig seine Gefühle zu offenbaren, und...«

»Aber wir gehören unterschiedlichen Rassen an«, protestierte Heem mit erwachendem Interesse. Anfangs hatte ihn die Anwesenheit eines weiblichen Geistes in seinem entsetzt; nun gefiel ihm dieser Zustand ausnehmend gut.

»Sind wir das wirklich, Heem? Ist das so wichtig? Unsere physischen Körper unterscheiden sich, doch unsere Geister sind sich in den grundsätzlichen Dingen einig, wie zum Beispiel darin, daß man Babies nicht im Stich läßt, damit sie möglicherweise sterben. Wenn ich den Körper einer anderen HydrO besetzen könnte, einer weiblichen, wäre es dann falsch

- was wir dann vielleicht tun?«

»Nein!« sprühte er explosionsartig. »Das wäre nicht falsch!«

»Immerhin tun Kreaturen im Transfer ja alle möglichen Dinge. Das ist typisch für den Transfer. Man lernt dadurch zu verstehen. Man baut seine Fremdenangst ab, verbreitet Informationen. Als in Rom...«

»Wann in welchem Zustand?«

»Zustand?«

»Ich hab' keine Ahnung von dem Zustand Roms.«

»Oh. Das ist eine Stadt auf der alten Erde, der solarischen Heimatwelt. Mein Planet, der Capella umkreist, ist lediglich eine Kolonie genau wie dein Planet Sackgass. Was ich meinte, war, daß wenn jemand sich im

Transfer befindet, er das tut, was der Wirt tut. Daß er sich in der Art und Weise des Wirtes ausdrückt, auch wenn sie sich von der seinen unterscheidet - will sagen, wenn ich mich in einem HydrO-Wirt aufhalte, sollte es doch nur recht sein, wenn ich...«

»Aber du befindest dich in einem männlichen Körper!«

»Ich wünschte, ich täte es nicht. Ich möchte einen weiblichen Körper. Tatsache ist, daß ich mich auch im System Capella in einem männlichen Körper hätte aufhalten können, da ich mich sowieso wie ein Mann benehmen mußte. Demnach macht das jetzt keinen grundlegenden Unterschied! Aber ich hasse es! Ich wünschte, ich wäre weiblich, dann könnte ich - dich wenigstens in der Art der HydrOs begrüßen. Wie Moon von Morgendunst es tat. Ehe ich nach Hause zurückkehre.«

Bevor sie nach Hause zurückkehrte. Heem begriff schlagartig, daß seine Abneigung gegen ihr Eindringen in seine geistige Intimsphäre sich nicht nur gelegt hatte; sie war durch ein positives Gefühl ersetzt worden. Er mochte sie und wollte nicht mehr, daß sie ihn verließ. Ja, sie war eine Alien und weiblich - aber nur sie verdammte ihn nicht wegen seines Verhaltens im Morgendunst-Tal. Sie hatte ihm das neue und nützliche Sehvermögen geschenkt, das er sicher verlieren würde, wenn sie ginge, Nur ein Geist, der auf das Sehen eingestimmt war, konnte diese Fähigkeit vermitteln. Sie wollte nach Hause, aber er wollte, daß sie blieb.

»Nun, vielen Dank, Heem.«

Heem gab einen Sprühstoß der Entrüstung ab. Dieses verdammte Gedankenlesen... das ihm immer reizvoller erschien. Er war nicht mehr allein.

»Sieh doch, Heem, ich fühle dasselbe. Ich spürte deine Reaktionen, als ich dich küßte, und ich wollte dich nicht necken, deshalb schwieg ich. Aber ich - ich wünschte, ich könnte bleiben. Ich kann aber nicht; wir beide wissen das. Wir müssen diesen Wettstreit gewinnen und mich im Transfer zurückschicken. Anderenfalls landest du im Gefängnis und ich vergehe, weil meine Aura sich auflöst. Deshalb ist es absolut sinnlos - sich miteinander einzulassen, denn selbst wenn das möglich wäre, wäre es trotzdem unmöglich.«

Sie hatte auf ihre weibliche Art völlig recht. Wenn sie den Wettkampf als Verlierer beendeten, müßten sie beide sterben. Langsam, grauenvoll, in erstickender Gefangenschaft. Wenn sie gewännen, würden sie sich trennen und eine halbe Galaxis getrennt voneinander weiterleben. Selbst wenn Jessica in ihrem physischen Körper seine Welt per Materietransmission aufsuchen könnte oder er die seine, wären Sie Angehörige total unterschiedlicher Rassen. Bis dahin waren sie zusammen - und konnten nichts tun, denn sie hatten nur einen einzigen Körper. Deshalb hatte sie völlig recht: selbst wenn es möglich wäre, wäre es völlig unmöglich. Daher war es sinnlos und töricht, über mögliche Alternativen auch nur nachzudenken; die ganze Sache war aussichtslos. Doch irgendwie schien da noch eine gewisse Chance zu bestehen. Angenommen, sie versagten im Wettkampf, blieben aber auf dem Planeten Exzenter als freie Wesen? Wenigstens wären sie dann zusammen und könnten gemeinsam auf den mörderischen Winter warten. Er wollte sie bei sich haben - selbst unter diesen Aussichten. Es war ein Gefühl, das er bisher noch nicht kennengelernt hatte, diese Bereitschaft, ja die Sehnsucht, alles zu opfern, nur um bei einer anderen Kreatur sein zu können.

»Möglich, daß deine Rasse dieses Gefühl nicht kennt«, sagte Jessica. »Eure Paare scheinen nach der Reproduktion nicht zusammenzubleiben. Bei uns nennt man dieses Gefühl Liebe.«

»Dieses Konzept habe ich bisher noch nie geschmeckt«, gestand Heem. »Es muß wieder etwas aus deiner Persönlichkeit sein, wie die Sehfähigkeit. Ich weiß nicht, wie ich damit zu Rande kommen soll.«

»Das brauchst du auch nicht, Heem. Es ist unfair, dich zu Reaktionen auf ein Gefühl zu zwingen, das deine Rasse überhaupt nicht besitzt. Ich werde versuchen, es auszulöschen...«

»Nein! Ich verstehe es nicht, aber es gehört zu dir, und ich muß es bewahren. Es ist eine Qual, die ich genieße.«

»O verdammt, Heem!« Dennoch schien ihr der Zustand zu gefallen.

Dann kam ihm ein anderer Gedanke. »Der Wettkampf - wir brauchen gar nicht zu gewinnen. Ich werde mich den Behörden stellen, und die werden dich dann zurückschicken...«

»Und dich einkerkern. So möchte ich meine Freiheit nicht zurückbekommen.«

»Aber wenn ich doch sowieso untergehen muß...« »Du mußt gar nicht untergehen. Du kannst die restliche Sommerzeit auf Exzenter in Freiheit verbringen, dann kannst du wie gewünscht hinscheiden, dank der Wirkung des Lochs. Du kannst dich von mir aus hineinstürzen. Das ist dein Recht, Heem, und das will ich dir nicht streitig machen.«

»Ich will meine Freiheit nicht, wenn du stirbst!« »Heem, wenn du ins Gefängnis gehst, dann geht mein Herz mit dir, ganz gleich, wo mein Körper sich aufhält oder meine Aura. Versuch nur, dich selbst auszuliefern, und ich paralysiere dich mit meinen Schreien. Wir werden uns nicht auf diese Art trennen. Nur wenn wir gewinnen und ich davon ausgehen kann, daß du noch eine Zukunft vor dir hast - dann erst kann ich nach Hause zurückkehren.«

Und damit bluffte sie nicht. Sie hatte ebenso törichte Prinzipien wie er. »Dann müssen wir eben den Sieg erringen.« »Und das werden wir nicht, wenn wir nicht etwas sorgfältiger darauf achten, wo wir hinfahren. Warum hörst du nicht auf, dich mit Weiblichen anzulegen, und widmest dich endlich deinen Aufgaben?« Aber sie schickte ihm gleichzeitig einen Kuß.

Der Karte nach näherten sie sich der ersten Brücke. Der Traktor brach aus dem Dschungel und war vom unangenehmen Aroma von geschmolzenem Gestein umgeben.

»Flüssige Lava!« schrie Jessica entsetzt auf. »Dann stimmt es wirklich! Die Vulkane hier sind wirklich noch aktiv!« Sich an seinem Geschmack orientierend, schuf sie ein sichtbares Bild: einen Spalt im Untergrund, aus dem rotflüssiger Felsen herausquoll und zischend bergab floß.

Ein Traktor näherte sich von hinten. Zwei Traktoren, drei. Die Nachkommenden benutzten in wachsender Anzahl diese >schlechte< Route, da sie ähnlich wie Heem und Jessica zu der Erkenntnis gekommen waren, daß dort die Chancen auf einen Sieg am größten waren. Heem konzentrierte sich und nahm die Geschmacksreize auf. Die neuen Konkurrenten waren ein HydrO, ein Squam und ein Erb. Sie fächerten sich auf dem breiten Pfad neben der Lavarinne auf und rasten der Brücke entgegen.

»Wir sollten uns beeilen, wenn wir unsere Position halten wollen«, riet Jessica.

»Wir wissen, daß ein Erb vor uns liegt«, entgegnete Heem. »Dem Geschmack der Piste nach zu urteilen, wurde sie vor uns von nicht mehr als zwei Traktoren benutzt. Wenn wir davon ausgehen, daß im Depot Treibstoff für nur fünf Traktoren gelagert ist, können wir eine der nachfolgenden Maschinen getrost vorbei lassen, keine mehr - und unsere Piste wird leichter zu befahren sein, wenn noch ein weiterer Traktor vor uns liegt.«

»Das ist aber ziemlich riskant, Heem.«

»Wir müssen etwas wagen, wenn wir gewinnen wollen. Wir müssen Treibstoff sparen und uns eine Reserve schaffen. Am Ende werden die, die am umsichtigsten geplant haben, übrig sein - und wir müssen mindestens zu den ersten fünf gehören.«

»Die ersten fünf? Warum diese Anzahl? Es gibt hier keine Abkürzung, oder?«

»Ich glaube, daß alle Traktoren ihren Treibstoff noch vor dem Finish verbraucht haben, wie wir vermuten. Die Führenden werden über ein weites Gebiet verteilt sein. Wir werden wohl unseren Weg ohne die Maschinen fortsetzen müssen. Sicher haben wir die Chance, ein paar zu überholen aber wenn wir nicht in der Spitzengruppe sind, kann von einer Chance nicht mehr die Rede sein. Ich schätze, daß nur insgesamt fünf Konkurrenten eine reelle Chance haben, Sieger zu werden.«

»Ich verstehe. Natürlich hast du recht. Du hast die Sache besser durchdacht als ich. Na schön, dann gehen wir jetzt ein hohes Risiko ein, damit wir zuschlagen können, wenn es wirklich um alles oder nichts geht.«

Die drei Traktoren sparten überhaupt keinen Treibstoff. Jeder wollte der erste sein. Es war nun offensichtlich, daß es bei der Geschwindigkeit der Traktoren keine Beschränkung gab, wie Heem anfangs angenommen hatte. Doch je schneller ein Vehikel unterwegs war, desto mehr Treibstoff verbrauchte es auch. Entweder hatten die drei Fahrer ihren Verbrauch nicht so genau berechnet wie Heem, oder sie hatten keine Ahnung, wie begrenzt die zur Verfügung stehende Menge war. Jeder wollte sich einen Platz zum Nachtanken sichern.

Nein - sie veranstalteten nicht nur ein Wettrennen, sie kämpften regelrecht gegeneinander. Der Erb fuhr in der Mitte auf der besten Fahrspur, doch als er vorziehen wollte, drängten die beiden anderen von der Seite heran und attackierten ihn heftig, wodurch seine Fahrt behindert wurde. Jessica fügte ein Bild aus Heems Geschmacks- und Vibrationswahrnehmungen zusammen, das die drei Traktoren bei ihrer Schlacht zeigte.

»Ich denke, wir sollten uns von denen fernhalten«, düste Heem und beschleunigte seinen eigenen Traktor. »In diesem Gedränge kann von sparsamer Fahrweise nicht die Rede sein.«

Doch dann ertönte erneut ein Dröhnen von einem Zusammenprall. Alle drei Fahrzeuge schleuderten, und der Erb machte einen Satz nach vorn. Heem mußte die Piste freigeben, um eine Kollision zu vermeiden. Das brachte ihn genau vor den anderen HydrO, und er mußte auf den Dschungel zusteuern, um ihm zu entgehen. Das Dickicht bremste seine Ketten, und er mußte bremsen.

Alle drei Traktoren schossen an ihm vorbei. Durch einen einzigen Fehler hatte er seine Position verloren. Anstatt die Brücke vor den drei Verfolgern zu überqueren, mußte er nun hinter ihnen herfahren. »Fressen!« fluchte er.

Jessica, die genauso angespannt war wie er, brach in ein hysterisches Gelächter aus. »Für dich ist wohl das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst, etwas Eßbares«, keuchte sie. »Für uns sind dies Exkremente, oder...«

Heem brachte sein Fahrzeug wütend auf die Piste zurück. »Oder was?« »Oder Kopulation.«

Nun war es an ihm, seine Belustigung zu zeigen. »Ihr Solarier seid schon richtig seltsame Aliens! Die Kopulation ist eure schlimmste Sache?« Der Traktor gewann wieder an Geschwindigkeit, hatte einen ruhigen Lauf und holte zu den anderen auf - doch Heem wußte nur zu gut, daß er mindestens zwei von ihnen zwischen Brücke und Treibstofflager überholen mußte. Das würde schwierig sein und ihn Treibstoff kosten. Er hätte die Brücke als erster überqueren sollen. Dann hätte er einen Traktor vorbeilassen können, wenn sie alle genügend Platz gehabt hätten.

»Irgendwie ist das sehr dumm«, gab Jessica zu. »Wir haben gute und schlechte Ausdrücke für ein und dieselbe Sache. Dinge, die völlig natürlich und notwendig sind. Eure Denkweise erscheint da viel einleuchtender. Eure Flüche beziehen sich auf Funktionen, die eurem Metabolismus fremd sind.«

Nun war die Brücke deutlich zu erkennen. Sie war, nach dem sie umgebenden Aroma, das Jessica in ein weiteres Bild umsetzte, ein schmaler Bogen aus erhärteter Lava, der eine Rinne überspannte und gerade breit genug für einen einzigen Traktor war. Es schien eine natürliche Brücke zu sein; es war für die Veranstalter des Wettbewerbs einfacher, einen Weg nach den natürlichen Gegebenheiten festzulegen, als eine Brücke über fließendes Gestein zu bauen.

Der Erb jagte hinauf und donnerte über der flüssigen Lava dahin. Er mußte sich beeilen, denn die Luft über der Rinne war kochendheiß. HydrO und Squam kamen schleudernd zum Stehen. »Das Gewicht von zwei Traktoren könnte die Brücke zum Einsturz bringen«, erklärte Heem und verlangsamte auch die Fahrt seines eigenen Vehikels. »Es hat keinen Sinn, sich zu drängen, wenn Zerstörung die Folge ist; wir müssen erst den Erb rüber lassen.«

»Wenigstens wissen wir jetzt, daß für einen Traktor keine Gefahr besteht, denn der erste Erb hat sie überquert.«

In diesem Moment, der Erb hatte gerade den Scheitelpunkt erreicht, brach die Brücke zusammen. Lavagestein und Traktor stürzten in den brodelnden Fluß. Der Kanal war schmal; durch das Traktorwrack aufgestaut, schäumte die Lava hoch und trat über die Ufer. Hastig wendeten die zurückgebliebenen Traktoren und rasten in den Dschungel, um sich vor der sich ausbreitenden Flüssigkeit in Sicherheit zu bringen. Die Pflanzen, die der rotglühende Strom erreichte, gingen in Flammen auf.

Bald war das Hindernis geschmolzen, und die Lava kehrte wieder in ihr Bett zurück. Viel blieb zurück, erkaltete und verhärtete und konnte nicht abfließen. Eine kleine neue Lavafläche war entstanden. Weitere Lava war an der Stelle, wo sie über das Kanalufer getreten war, kalt geworden und bildete den Anfang einer neuen Brücke. So wurde vorgeführt, wie solche Erscheinungen entstanden, doch es war kaum angeraten, sich diesem neuen Gebilde jetzt schon anzuvertrauen; es würde Tage dauern, ehe die neue Brücke abgekühlt wäre.

»Was machen wir jetzt?« fragte Jessica entmutigt.

»Wir folgen dem Erb in den Fluß«, erwiderte Heem, dessen Hoffnungen ebenfalls vernichtet waren.

Sofort erwachte ihr Kampfgeist. »O nein, das tun wir nicht! Es muß einen anderen Weg geben!«

Der Squam-Traktor kam langsam auf sie zu. Heem fragte sich, ob Schlängelschreck dessen Lenker war, und bereitete sich innerlich schon auf ein Traktor-Duell vor, doch schon bald teilte ihm das Geschmacksmuster mit, daß es sich um einen Fremden handelte. Ein seltsames Klopfen kam von dem Insassen: das Signal für einen Waffenstillstand.

»Heem, laß mich das übernehmen«, sagte Jessica. »Ich stehe dem Squam-Typ näher als du. Wir sitzen jetzt alle im selben Boot.« Heem gab bereitwillig nach, da er keine Lust hatte, mit dem Monster zu verhandeln, und Jessica benutzte seinen Körper, um eine der Traktorkontrollen zu benadeln. Der Traktor gab ein ähnliches Klopfgeräusch von sich und erklärte sich mit dem Waffenstillstand einverstanden.

Der andere HydrO stimmte mit ein und kam ebenfalls heran.

»HydrO«, sprühte der Squam und benutzte den KurzstreckenKommunikator seines Traktors. Die Anrede erschien in Heems Gerät in HydrO-Übersetzung, da er HydrO-Kontrollen benutzte. Der Squam hatte natürlich nicht richtig gesprüht. »Wir sind Gegner, stehen aber vor einem Problem, das uns alle betrifft. Wenn wir unseren Weg nicht fortsetzen können, haben wir verloren.«

Das stimmte auffallend. »Richtig«, düste Jessica ihre Antwort in den Kommunikator ihres eigenen Traktors und wußte dabei, daß der angedüste Squam aus seinem Kommunikationsgerät die Übersetzung in Form von Geräuschen geliefert bekam, die seiner Sprache angehörten.

»Weißt du, wer als letzter diese Brücke überquert hat?«

»Ein Erb lag vor uns«, düste Jessica.

»Könnte dieser Erb die Brücke präpariert haben?«

»Typisch Squam, so etwas anzunehmen!« sprühte Heem innerlich. »Natürlich ist das der Fall! Er muß am anderen Ende einen Lavabrocken herausgeschlagen haben, um die Tragfähigkeit des Bogens zu beeinträchtigen. Niemand würde ihn danach überholen können.«

»Wir glauben, daß es so war«, düste Jessica den Squam an. Nun, da sie nahe heran war, klärte sich auch das Bild. Der Squam ruhte zusammengerollt in seinem Abteil, beide Extremitäten unter sich, die drei Gliedmaßen von der erhöhten Mittelfläche hochreckend. Drei Scherenfinger an jedem Glied waren gespreizt. Die Farbe der Kreatur war dunkel, die Schuppen glänzten metallisch, und der untere Teil seines Körpers glich stark einer Schlange. Für den Rest gab es keinen solarischen Vergleich, daher wurde das Bild dort verschwommen.

»Unsere Landkarte weist eine andere natürliche Brücke aus, stromabwärts, wo die Lava auseinanderfließt und abkühlt«, fuhr der Squam fort. »Aber das Gelände ist sehr rauh, wahrscheinlich für ein Fahrzeug zu unwegsam. Helft ihr mit, damit einer oder zwei von uns wieder in das Rennen einsteigen können?«

»Nein!« sprühte Heem.

»Ja«, stimmte Jessica zu, obwohl er widersprochen hatte.

»Sich mit einem Squam verbünden?« fragte Heem. »Das ist unmöglich.«

»Ja«, folgte der andere HydrO mit seinem Sprühstoß.

»Es ist möglich und notwendig«, sagte Jessica geistig zu Heem. »Der Squam erweist sich als entgegenkommend; wir müssen uns genauso verhalten.«

»Einem Squam kann man nicht trauen!«

»Das können wir nicht grundsätzlich behaupten. Sicherlich gibt es auch bei Squams Unterschiede ebenso wie bei Erbs. Und auch bei den HydrOs. Von einem Erb hätten wir doch eine solche gemeine Taktik nicht erwartet, oder? Und der andere HydrO scheint vor Squams nicht so viel Angst zu haben wie du. Du leidest unter akuter Squamphobie, Heem; durchaus möglich, daß deine Angst ungerechtfertigt ist.«

»Ungerechtfertigt! Ein Squam hat Moon von...«

»»Ein Squam, ja; dieser Squam, nein.«

»Wir brauchen Leinen, um unsere Fahrzeuge aneinanderzubinden, um uns durch das Gelände zu kämpfen«, fuhr der Squam fort. »Sollen wir uns darauf einigen, daß wir das Rennen in der Reihenfolge fortsetzen, in der wir an der Brücke angelangt sind?«

Damit läge Heem mit seinem Fahrzeug auf dem letzten Platz. Trotzdem erschien der Vorschlag fair. »Nein, das ist nicht fair!« protestierte Heem. »Wir alle drei fallen erheblich zurück.«

»Das ist nicht die Schuld des Squam«, erinnerte sie ihn. Dann zu dem Squam: »Einverstanden!«

Zwischen dem Squam und dem anderen HydrO kam es zu einem kurzen Dialog, wer der erste sein sollte. Dann begann die Suche nach der natürlichen Brücke. Sie alle wußten, daß Tempo jetzt das Ausschlaggebende war.

Im freien Gelände war das Fortbewegen ein schwieriges Unterfangen. Die Farnbäume wucherten so dicht um die Lavarinne, wie die abstrahlende Hitze der Lava es zuließ, wodurch die Traktoren nur wenig Platz zum Manövrieren hatten. Hintereinander fuhren sie weiter.

Dann flachte die Rinne ab. Die Lava ergoß sich ins Gelände, verteilte sich, wurde langsamer und verhärtete. Flache Platten hatten sich gebildet, wurden von weiterem flüssigen Gestein überflossen, das erkaltete und hart wurde, so daß eine terrassenartige Formation entstanden war. Einige Rinnen hatten sich durch diese Landschaft gefressen, doch selbst das erkaltete Gestein war ausgesprochen unregelmäßig geschichtet.

Der Traktor des Squam hielt an. »Wir müssen Ausschau halten«, schlug der Squam vor.

Die drei Insassen stiegen aus ihren Fahrzeugen. Die beiden HydrOs kamen mit dem Squam zusammen. Nun war keine sprachliche Kommunikation mit dem Squam möglich, doch das war auch nicht notwendig. Sie wußten auch so, was sie zu tun hatten.

Sie schwärmten aus und untersuchten die Lavarinnen. Das Gestein war an einigen Stellen noch warm, an anderen heiß; sie mußten sich eine Route suchen, die kalt und solide genug war, um das Gewicht der Traktoren zu tragen. An einer Stelle bildete die Lava einen beachtlichen Berg, als hätte sie in heißem Zustand eine Blase geformt, welche sich verfestigt hatte und von weiteren Lavaschichten bedeckt wurde. Der andere Teil der Kuppel befand sich auf der anderen Seite der Rinne; Heem konnte die Vegetation auf jener Seite schmecken. Die glühendheiße Lava verschwand irgendwo unter der Kuppel aus dem Wahrnehmungsbereich. Dies war eine gigantische Brücke!

Sie kehrten zu ihren Fahrzeugen zurück, berieten sich und kamen überein: sie würden versuchen, diese Kuppel zu überqueren. Sie schien stabil genug zu sein, ihr Gewicht zu tragen. Doch an den Seiten war sie sehr steil.

»Eine Winde«, meinte Jessica. »Ein Traktor zieht ein Kabel, das über die Kuppel läuft. Der andere Traktor schiebt den dritten. Ist der eine erst einmal oben, kann er die anderen hochziehen.« Sie aktivierte den Kommunikator ihres Traktors, damit sie ihre Idee dem Squam erklären konnte. Der Squam war einverstanden. Da Jessica es vorgeschlagen hatte, durften sie und Heem es als erste versuchen. Jeder Traktor verfügte über eine Winde - es waren Multifunktionsfahrzeuge -, doch die Kabel waren nicht lang genug. Sie mußten zwei Kabel aneinanderhängen.

Dann parkte der Squam so dicht am Lavafluß wie möglich und benutzte seine Scheren, um die miteinander verbundenen Kabel über die Kuppel zu legen, wobei er sie in eine Kerbe bettete, damit sie seitlich nicht herunterrutschten. Der andere HydrO, eine Weibliche, drehte ihr Fahrzeug, um zu schieben.

»Wenn das nicht klappt«, sprühte Heem pessimistisch, »dann stürzen wir wenigstens als erste in den Fluß.«

»Oder wir bleiben oben auf der Kuppel hängen«, meinte Jessica fröhlich.

Druck und Zug. Heem setzte seine Ketten in Bewegung. Sie rutschten ab, denn die Neigung war an dieser Stelle nahezu lotrecht. Dann riß das Kabel das vordere Ende hoch. Der Traktor kippte gefährlich und drohte seitlich abzurutschen; dann faßten die Ketten und halfen mit, ihn die Wölbung hinauf zuschieben. Ohne Winde hätte er diese Neigung niemals überwunden.

Heem blieb auf dem Scheitelpunkt, wo die Blase in eine ebene Fläche überging, stehen. Der Squam, die einzige Kreatur, die dazu fähig war, schlängelte hinauf, um die Winde zu lösen. Dann wendete Heem sein Fahrzeug auf der Kuppelwölbung, während der Squam zu der Stelle fuhr, wo Heems Traktor gestartet war. Dann wurde die Winde wieder befestigt, und Heem setzte mit seinem Traktor zurück und rutschte auf der anderen Seite über die Kuppel nach unten, bis die hinteren Ketten den Boden berührten. Er war drüben!

Nun schickte der andere HydrO sich an, den Squam zu schieben, während Heem ihn mit der Winde hochzog. Die Traktorschnauze des Squam richtete sich auf. Am schwersten wurde es für die Winde, als die Ketten des Squam-Traktors abrutschten, denn das Kabel verlief nun über die gesamte Kuppel und erzeugte einen hohen Reibungswiderstand. Fast kam es Heem so vor, als würde sein eigener Traktor angehoben, obwohl er die Ketten verankert hatte. Doch die kräftigen Winden verrichteten störungsfrei ihre Arbeit. Heem machte sich dabei Gedanken über den Treibstoffverbrauch.

Dann wurde das Kabel plötzlich schlaff - und spannte sich wieder und riß dabei Heems Traktor kurz mit den Hinterketten hoch. Dann riß das Kabel, und der Traktor stürzte ab. Jessica schrie auf.

»Laß das!« sprühte Heem und versuchte das durchdringende Gefühl zu dämpfen. Er schaltete den Motor aus und rollte aus dem Traktor heraus. Er fand eine Rinne und bewegte sich fast mit dem Tempo und der Gewandtheit eines Flachseglers über die Kuppel.

Der Traktor des Squams war durch die Kuppelwölbung gebrochen und hinabgestürzt. Jetzt lag er in dem, was Jessicas Bild als einen Lichtfleck zeigte, der aus dem Loch drang. Umgeschlagen.

»Ein Squam erledigt«, bemerkte Heem, nicht sonderlich beeindruckt.

»Das wissen wir nicht!« sagte Jessica. »Geh hinab und sieh nach. Es ist eine lebende Kreatur, die uns geholfen hat; wir müssen auch ihm helfen.«

»Aber es ist hoffnungslos. Selbst wenn das Monster leben sollte, der Traktor ist zerstört.«

Der andere HydrO trat zu ihnen. »Die Kruste war schwächer, als wir annahmen«, sprühte sie. »Der veränderte Zugwinkel...«

»Geh hinab, Heem«, wiederholte Jessica scharf.

Heem gab nach. Die Vorstellung, einem Squam zu helfen, war noch immer neu für ihn, doch war es ihm fast unmöglich, Jessica etwas abzuschlagen. Ihre Emotionen waren so wunderbar edel. »Wir müssen uns vom Zustand des Squam überzeugen«, sprühte er dem anderen HydrO.

»Warum?« fragte sie logisch.

Heem zögerte. »Wenn du nicht antwortest, werde ich es tun!« sagte Jessica.,

»Der Squam ist ein intelligentes Wesen«, sprühte Heem widerwillig. »Er hat uns geholfen. Wir haben unter Waffenstillstandsbedingungen operiert. Wenn wir ihn jetzt hängen ließen, würden wir zu Mitschuldigen seiner Vernichtung, unter Mißachtung des Waffenstillstands.«

»Vielleicht«, stimmte der HydrO widerstrebend zu.

Die Trümmer des Einsturzes senkten sich in einem passierbaren Neigungswinkel vor dem Traktor des HydrO in die Tiefe. Sie rollten vorsichtig hinab.

»Squam«, sprühte Heem. »Lebst du?«

Sofort sprühte der Traktor des anderen HydrOs die Antwort. Es schien, als ob der Squam in sein eigenes Gerät sprach, das nach wie vor sendete. Auf diese Weise trieb der Geschmack, ein wenig verschwommen durch die Entfernung, auf sie zu: »Ich bin zerquetscht, habe aber überlebt. Werde jedoch ohne Hilfe nicht lange durchhalten können.«

Heem zögerte wieder, doch Jessica nadelte ihn. »Welche Art von Hilfe können wir dir geben, Squam?« Als seine Düse den Traktor des anderen HydrOs erreichte, spürte Heem die harten Vibrationen, als das Kommunikationsgerät des Squam-Traktors übersetzte.

Dann kam die indirekte Antwort zurück. »Lediglich Benachrichtigung der Wettkampfbehörden. Ich benötige massive Medikation.« »Ich bezweifle, daß unsere Sender so weit reichen«, sprühte Heem. »Sie sind nur für Kurzstreckenkommunikation eingerichtet, und wir haben uns weit von der festgelegten Route entfernt. Ich glaube, daß sich im Treibstoffdepot ein Funkgerät befindet. Aber nur mein Traktor ist auf dieser Seite; ich müßte also euch beide zurücklassen und allein zu diesem Depot fahren.«

»Das läßt sich dann eben nicht ändern«, sprühte der andere HydrO. »Ich bin aus dem Rennen.«

Das war sie auch. Es gab jetzt für sie keine Möglichkeit mehr, ihr Fahrzeug hinüberzubringen. Heem wandte sich wieder an den Squam. »Können wir dir helfen, dich aus deinem Fahrzeug zu holen?«

»Das wäre begrüßenswert«, stimmte der Squam zu. »Ich habe einige Schmerzen, und größere Bewegungsfreiheit würde dazu beitragen, sie etwas zu lindern.«

Sie benutzten die Winde des anderen HydrOs dazu, große Trümmerstücke der Lava fortzuräumen, dann düsten sie den Sand und Staub fort. Jessica sah dem Vorgang interessiert zu; sie mußte sich eingestehen, daß sie erstaunt war, auf welche Weise handlose Lebewesen Dinge bewegten, und beobachtete jetzt die Technik, kleine Trümmerteile unter einem großen hervorzudüsen, damit dieses rollen konnte. Innerhalb kurzer Zeit hatten sie einen Tunnel unter den auf dem Rücken liegenden Traktor vorgetrieben. Der Squam fiel in die Ausgrabung und bewegte sich mit Hilfe von zwei seiner Gliedmaßen voran. Das dritte war gebrochen, und ein Teil seines Körpers war in der Tat zerquetscht.

Sie halfen dem Squam, sich neben seinen Traktor zu setzen.

»Dies ist eine unerwartete Freundlichkeit von einem Mitglied eurer Rasse«, stellte der Squam fest.

»Wir handeln unter Waffenstillstandsbedingungen«, erinnerte Heem ihn. »Du hast uns geholfen, jetzt helfen wir dir.«

»Es ist gut, daß ihr nicht so seid wie viele eurer Art, die mich ohne jeden Grund hassen.«

Heem spürte den Wunsch, die verbliebenen Gliedmaßen des Monsters zu nadeldüsen, doch Jessica hielt ihn zurück. »Er ist nicht Schlängelschreck! Er ist uns gegenüber anständig gewesen! Vergiß das nicht!«

»Es gibt Ehre, die unabhängig von der Spezies ist«, sprühte Heem. »Ich bin kein besonderer Freund deiner Art, aber man muß auch an deinen Transferer denken.« Und an den meinen! fügte er in Gedanken hinzu, mit einer stillen Wut auf Jessica.

»Dann werde ich dir helfen«, antwortete der Squam. »Mein Transferer ist

Tränt von Trammel, der die Lebensräume intelligenter Wesen studiert. Er hat mich soeben darüber informiert, daß diese Höhle alle Aspekte einer Fortpflanzungslokalität für HydrOs aufweist.«

Die weibliche HydrO reagierte sofort. »Ich bin Geel von Juwelenblüte. Auf welche Weise ist diese Höhle vor den Unbilden des Winters geschützt?«

»Sie wird durch den unterirdischen Lavafluß erwärmt«, antwortete Tränt von Trammel durch den Squam. »Vor Stürmen geschützt, behält sie selbst während der Tiefe der Eklipse Bedingungen bei, die das Überleben gewährleisten. Du bemerkst sicher die funguiden Gewächse, die mehrere Jahreszeiten alt sind. Eure Art, die von Nahrung und Licht unabhängig ist, kann hier überleben - zumindest während der kurzen Periode extremer Kälte an der Oberfläche.«

»Das ist wahr!« sprühte Geel. »Durch Zufall haben wir eine Möglichkeit entdeckt, diese Region zu kolonisieren! Wir müssen sie besamen!«

Heem fühlte eine plötzliche innere Anspannung. Auf diese Art wurde er wieder auf das Thema der Reproduktion gestoßen. »Dies ist keine herrenlose Region«, protestierte er. »Die Squam leben hier.«

»Wir verstehen deine Bedenken«, kommunizierte der Squam. »Squams haben hin und wieder die Jungen eurer Art getötet, obwohl das nach den Artikeln des interplanetaren Friedens ungesetzlich ist. Ich muß jedoch betonen, daß ich, selbst wenn ich als Individuum außerhalb der Gesetze stehen würde, ziemlich immobil bin und wahrscheinlich nicht in der Lage wäre, einen rollenden HydrO jeder beliebigen Größe zu fangen. Auf jeden Fall: Wenn ihr die Wettkampf-Behörden von meiner Anwesenheit hier in Kenntnis setzt, würde man mich von hier entfernen, und die Höhle wäre dann sicher.«

Wie geschickt hatte die Kreatur seinen Einwand zurückgewiesen! Heem sah sich wieder gezwungen, dem Problem gegenüberzutreten, das ihn schon einmal vernichtet hatte. Sollte er sich dazu entschließen, seine Art zu reproduzieren, oder sollte er das nach wie vor ablehnen? Wenn er sich wieder weigerte, würde selbst ein Sieg in diesem Wettkampf ihm keine Vergebung bringen. Doch wenn er nachgäbe... »Oh, nun mach schon Heem, tu es!« sagte Jessica.

Das war ein Schock. »Ich dachte, daß du meine Einstellung für richtig hieltest!«

»Das tue ich auch. Doch dies ist eine andere Situation. Es gibt hier keine natürlichen Raubtiere. Du kannst diese Höhle verschließen, nach Beendigung des Wettkampfes zurückkommen, dich mit einer Weiblichen deiner Art vereinigen und deine Jungen selbst aufziehen. Heem, du hast jetzt die Chance, es richtig zu tun - und gleichzeitig dein Leben zu retten, falls du das Rennen nicht gewinnen solltest. Du mußt dann nicht im Exzentrischen Winter sterben!«

Dies war ein neues Aroma! Sie hatte recht. Er konnte seinen Haupteinwand gegen die Reproduktionsmethode der HydrOs überwinden und seinen Verrat wiedergutmachen - ohne seine Chance beim Wettkampf opfern zu müssen. Trotzdem zögerte er. »Du kannst nicht überleben, wenn...«

»Das hat keinen Einfluß auf mein Oberleben, Heem! Wenn du den Wettkampf gewinnst, werde ich leben, wenn du ihn verlierst, sterbe ich. Das einzige, was dich zu kümmern hat, sind dein eigenes Überleben und dein Status.«

»Wenn irgend etwas geschehen sollte und ich nicht zurückkehren kann...

»Geel von Juwelenblüte wird immer noch hier sein, nicht wahr? Ihr Traktor steckt auf der falschen Seite der Blase fest; sie kann nicht herüberkommen, und wahrscheinlich hat sie nicht genug Treibstoff, um zum Raumflughafen zurückfahren zu können. Sie muß also bleiben - und welche Mutter würde das nicht tun?«

»Meine Mutter nicht!« nadelte Heem. »Keiner meiner Eltern ist in Steilfall geblieben - oder in Morgendunst. Erwachsene HydrOs bleiben nicht dort, wo sie säen; wenn sie sich ihres Samens entledigt haben, lassen sie ihre Nachkommen zurück, ohne Schutz, ohne jede Information. Geel wird mit der Wettkampfbehörde fortgehen, wenn jemand von ihnen herkommt, um Tränt von Trammel und seinen Squam-Wirt abzuholen.«

»Vielleicht, möglich. Doch wird die Situation diesmal anders sein, weil - weil du dann die Oberhand haben wirst, Heem.«

Irgend etwas störte ihn noch immer. »Du - wie kannst du, eine Weibliche, von der ich annahm, sie sei interessiert, mit mir zu - wie kannst du mir dazu raten... ?« Seine Gedanken wurden verworren.

»Für was hältst du mich eigentlich? Für eine eifersüchtige Megäre? Nein, antworte nicht darauf! Du willst die Wahrheit hören, und du verdienst die Wahrheit. Ich bin eifersüchtig. Aber ich bin auch verdammt neugierig, genau zu erfahren, wie HydrOs sich fortpflanzen. Ich kann es von deinem Gehirn nicht erfahren, weil du es selbst nicht in allen Einzelheiten weißt. Und ich will es wissen, weil...« Hier machte sie eine Pause, und ein Geruch von trotziger Scham flutete durch sie hindurch. »Weil ich es vielleicht selbst tun möchte, eines Tages, falls sich jemals Gelegenheit dazu ergeben sollte. Ich weiß, daß es nie der Fall sein wird, also ist dies alles sehr akademisch, ein Wunschtraum, doch wenn ich das eingestehe, gestehe ich ein, daß ich an meinem Überleben zweifle... verdammt, vielleicht will ich nur eine Ersatzerfahrung. Es ist vielleicht besser als nichts, und das ist es, was mir sonst bevorstehen würde. Oder vielleicht möchte ich sehen, wie es vom Blickpunkt eines Männlichen aus ist, wenn ich dich beobachte. Ich habe den männlichen Gesichtspunkt so lange schauspielern müssen, daß ich - ich nicht behaupten kann, daß alle meine Motive rein und unschuldig und unkompliziert sind. Vielleicht bin ich im Grund meines Herzens ein Spanner. Auf jeden Fall glaube ich wirklich, daß du es tun solltest - und dann den Wettkampf fortsetzen. Weil ich nicht eine Sekunde vergesse, daß ich nie nach Hause zurückkommen werde, wenn du nicht gewinnst!«

Doch Heem konnte nicht zu einer Entscheidung gelangen. »Wir müssen die Höhle untersuchen«, sprühte er. »Sie könnte sich als weniger verwendbar erweisen, als wir annehmen.« Die Höhle - oder die Situation?

Er und Geel rollten in der Höhle umher. Sie war geräumig, mit vielen Abzweigungen und Nebenhöhlen, doch schien es keinerlei Ausgänge zu geben, die nicht von heißer Lava blockiert waren, mit Ausnahme dessen, den der Traktor gemacht hatte. Die Kälte würde während des Winters zweifellos in die Höhle eindringen, doch schien es viele Alkoven in unmittelbarer Nachbarschaft zu heißer Lava zu geben, die trotzdem warm bleiben würden. Man würde eine ständige Wasserstoffquelle brauchen; und die war durch das Loch gewährleistet; gefrorene Gase würden hereinströmen, verdunsten und die Passagen füllen. An vielen Stellen befand sich üppiger Fungus-Bewuchs, und es gab keine Raubkreaturen. Dann, im Frühling, würde das Leben draußen wieder erwachen, und den jungen HydrOs stand eine ganze Welt offen. Die Umstände waren, von einem HydrO-Standpunkt aus gesehen, ideal.

»Also was hast du?« fragte Jessica. »Noch immer Hemmungen, mich bei deinem Akt der Prokreation zusehen zu lassen?«

»Vielleicht«, gab er zu.

»Schön, aber tu es trotzdem. Du darfst dich durch deine alberne Schüchternheit nicht abhalten lassen.«

Dann hatte er den richtigen Einwand gefunden. »Sie werden alle eines Geschlechts sein. Wo sollen sie Partner finden?«

»Der erste HydrO des passenden Geschlechts, der von Sackgass auf Besuch kommt, wird das regeln - wenn ein dafür geeigneter Ort existiert«, erklärte sie. »Wenn nicht, spielt es ohnehin keine Rolle: HydrOs reproduzieren nicht, wenn sie keine geeignete Umwelt vorfinden.«

Heem schmeckte keine Alternative dazu. Von innen wie von außen durch diese beiden Weiblichen bedrängt, und von seiner eigenen Natur getrieben, die es tatsächlich für unabdingbar hielt, einen so geeigneten Ort zu besäen, mußte er es tun. Doch mochte er nicht von den Umständen vergewaltigt werden. »Wenn es jemals eine Situation geben sollte, wo ich eine deiner fundamentalen Schamgefühle nadeln kann...«, dachte Heem aggressiv zu Jessica.

»Wenn die Zeit kommen sollte, werde ich brav meine Medizin schlucken. Doch sie wird nicht kommen. Du müßtest mich in menschlicher Gestalt erwischen und mir in aller Öffentlichkeit die Kleider vom Leib reißen, wenn alle herumstehen und lachen, wie in meinem Alptraum, und das ist wirklich unmöglich. Also hör endlich auf, dich zu zieren, und tue, was getan werden muß.«

Sie wollte ihn aufreizen, und er wußte das. Trotzdem war ein bitterer Geschmack von Angst in Heem. Er fürchtete, daß irgendeine Katastrophe eintreten könnte, war jedoch nicht, in der Lage, sie zu definieren.

Nach und nach, während er die Höhlen erforschte, setzte Jessicas Logik sich durch. Seine Einwände gegen die Vermehrungsmethode seiner Spezies waren abgeklungen. Wenn er es nicht schaffen sollte, diesen Wettkampf zu gewinnen, konnte er immer noch hierher zurückkehren, sicher vor seiner eigenen Art, und sich um seine heranwachsenden Nachkommen kümmern. Er konnte sie vor dem nahenden Winter warnen, wenn sie das nicht wüßten, so daß keiner von ihnen sich hinauswagte. Er konnte sie über die von den Squams drohenden Gefahren aufklären und sie lehren, wie sie sich am besten gegen sie verteidigen könnten.

»Und wenn du den Wettkampf verlieren solltest, werde ich bei dir bleiben, bis meine Aura verblaßt«, erinnerte ihn Jessica. »Ich werde dir dabei helfen, deine Jungen aufzuziehen.«

Wie konnte er sie zurückweisen? Wenn er sie in ihren eigenen Körper zurückschickte, wäre er ein Gefangener und nicht in der Lage, zu seinem Wurf zurückzukehren. Die Falle schnappte unwiderruflich zu.

Sie kehrten zum Traktor zurück, wo der Squam wartete. »Du hattest recht, Squam«, sprühte Geel. »Diese Region muß besät werden; sie wird unseren Wurf während des Winters schützen, und im Frühjahr kann sie sich über den ganzen Planeten verbreiten.«

»Sorgt nur dafür, daß ich von hier entfernt werde«, antwortete der Squam. »Dann braucht ihr euch über natürliche Gefahren keine Sorgen mehr zu machen.«

Schlauer Squam! Jetzt brauchte er nicht mehr nur auf die Hilfe der HydrOs zu hoffen, jetzt wußte er, daß sie für seine Rettung sorgen würden. War das der wahre Grund dafür, daß er diesen idealen Raum für sie identifiziert hatte?

Heem stand jetzt unmittelbar vor der Entscheidung - und stellte fest, daß sie bereits gefällt worden war. Er war bereit, diese Höhle zu besäen. Diese Bereitschaft war für ihn eine phänomenale Erlösung. Es war nicht leicht oder bequem gewesen, sich den Traditionen und dem Trieb seiner Kultur und seiner Art zu widersetzen.

Geel von Juwelenblüte rollte auf ihn zu und versprühte ihren Kopulationsduft. Er war nicht so verführerisch wie der von Moon von Morgendunst, jedoch völlig ausreichend für diese Situation. »So also ist es, wenn die Weiblichen Männliche anlocken«, bemerkte Jessica. »Ich habe sexuelle Aufreizung immer als ein Spiel betrachtet, doch vom Standpunkt eines Mannes aus ist es erheblich ernster.«

Heem ignorierte sie. Er reagierte auf die Ouvertüre Geels, indem er einen noch intensiveren Geschmack auf sie düste. Sie fing diesen Geschmack auf und sprühte ihn auf Heem zurück, um ihm ihre Bereitschaft kundzutun. Keine bewußten Entscheidungen waren erforderlich; die Natur war mit dem Mechanismus wohlvertraut.

»Das ist ja wunderbar!« sagte Jessica. »Der Dialog absoluter Hingabe!«

Plötzlich, ungewollt, nadelte Heem Geel mit seiner Signatur: dem präzisen Geschmack seines Seins, von dem seine Individualität reproduziert werden konnte. Bei nichtssagender Kopulation wurde diese Signatur vom Männlichen stets zurückgehalten oder von der Weiblichen zurückgewiesen. Geel akzeptierte sie, ließ sie ihre eigene Essenz, ihren ganzen Körper durchdringen.

»Dies ist genauso wie menschliche Reproduktion. Die Essenz des Männlichen vermischt sich mit der weiblichen Essenz im Körper der Weiblichen, Same trifft auf Ei, befruchtet es...«

Geel explodierte. Fetzen ihres Körpers klatschten auf den Traktor, auf den Boden und an die Decke der Höhle, wurden weit in den Hauptgang geschleudert. Ein paar von ihnen

trafen sogar den Squam und Heem. Nichts blieb von ihrem Körper zurück.

Der Squam war erschüttert. »Sie ist zerstört worden!«

»Was ist geschehen?« fragte Jessica entsetzt.

Einen Augenblick wurde Heem von der Angst befallen, daß ein anderer Squam mit einer Waffe auf sie beide eingedrungen wäre. Doch das war nicht der Fall. Ein vages Begreifen dämmerte in ihm auf. »Die Teile der Weiblichen - sie bilden die Saat. Das ist der Grund dafür, daß keine weibliche HydrO zurückbleibt, um für ihre Jungen zu sorgen. Und der Männliche muß zum Teil der Zivilisation werden. Deshalb gibt es weitaus mehr männliche HydrOs als weibliche. Keiner von beiden darf bleiben, damit sie nicht der neuen Generation die Wahrheit übermitteln können, und dem Prozeß noch einen weiteren Horror hinzufügen.«

»Es tut mir leid, das nicht gewußt zu haben«, sagte der Squam, nach wie vor durch das Kommunikationsgerät in Geels Traktor. »Ich hatte nicht die Absicht, die Weibliche zu zerstören. Vielleicht weiß mein Transferer das

- und wir befinden uns doch im Waffenstillstand.«

»Keiner von uns wußte es«, sprühte Heem. »Auf jeden Fall Geel nicht.« Aber hatte er, Heem, es vielleicht vermutet? Dieser bittere Geschmack, der ihn bis dahin davor zurückgehalten hatte - war das eine Vorahnung gewesen?

»Heem, es tut mir leid«, sagte Jessica, und ihre Emotion war stark und echt. »Es ist meine Schuld. Ich habe mich in etwas eingemischt, das mich nichts anging, und dich dazu gedrängt.«

»Du hast es nicht wissen können, weil ich es nicht wußte«, düste er in einem Versuch, sie zu beruhigen. Doch es war ein schwacher Versuch nach dieser katastrophalen Enthüllung. Geels Transferer war ebenfalls zugrunde gegangen. All der Horror, von dem er zuvor erfüllt worden war, war wieder in ihn zurückgekehrt. Und dieses Mal teilten die Solarierin und der Squam die Schuld.

»Jetzt wissen wir, daß dein Bruder Hiim tot war«, sagte Jessica in femininer Irrelevanz. »Weil Meen von Morgendunst mit ihm kopuliert haben würde, wenn sie ihn gefunden hätte - und sie hat überlebt und ist eine Erwachsene geworden. Zumindest ihr hast du das Leben gerettet, Heem.«

Doch diese Region war nach dem Brauch seiner Art besät worden. Jetzt begriff Heem einen weiteren Grund für die Metamorphose: die Löschung der Erinnerung an das, was die Besäung mit sich brachte, aus dem Gedächtnis des Männlichen, damit die Spezies in Unwissen und Unschuld weiterhin verbreitet wurde. Da dies immer in Abwesenheit anderer HydrOs geschah und nur der Männliche den Vorgang überlebte, war die Geheimhaltung ziemlich gesichert.

Er spürte nicht mehr den Drang, hierher zurückzukehren und seine Nachkommen zu lehren, die sich jetzt von der durch den harten Fall verursachten Benommenheit aufrappelten und ihr erstes, unsicheres Rollen probierten. Er würde so vielen wie möglich dabei helfen, sich von der Decke und aus irgendwelchen Spalten und Ritzen zu lösen, in die sie geschleudert worden waren, und sie dazu bringen, in die sichersten Teile der Höhle zu rollen, doch danach lag alles bei ihnen. Was konnte er sie lehren, das sie zu wissen wünschten? Sollten sie in Unwissenheit und Unschuld aufwachsen.

»In Unschuld«, wiederholte Jessica. Sie weinte.