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Heinz Behrenz, unter seinem neuen Namen James Nichols als Schlepper in Werk VI eingesetzt, wusch sich in der langen Waschkaue unter der Erde. Mit ihm standen fünfzig andere Arbeiter unter den warmen Brausen und seiften sich die nackten, beschmierten Körper ab. Der Dampf des heißen Wassers und der herumspringenden Leiber legte sich auf die Zunge.

Heinz Behrenz hustete und trat aus dem gekachelten Raum in ein Nebenzimmer, wo seine Kleider, ähnlich wie in den Kohlengruben, an langen Ketten unter der Decke hingen und durch ein paar Züge herabgeholt werden konnten.

Er trocknete sich ab und zog sich an. Man fragte ihn nicht, wo er herkam, wie er hieß. Er war ein Neuer, mochte der Boß im Personalbüro wissen, wer der Mann war. Ein paar sahen zu ihm hin und zogen sich dann weiter an. Wird wohl ein Ersatz für den Nichols, das alte Saufloch, sein, dachte man. Ist ja einfach weggeblieben, der Kerl. Schuldet noch fünf Dollar und fünfzehn Cents vom Pokern. Na ja, laß sie sausen … man verdient hier ja genug in der Stunde.

Heinz Behrenz sprach nicht von selbst mit seinen Arbeitskameraden. Er hielt nur die Augen offen, wo er auch hinkam, betrachtete genau die Cyclotronen, zu denen er Uran 235 schleppen mußte, beobachtete die Stapelung der Graphitblöcke in den Hanford-Brennern und besah sich genau das Kühlsystem und die Bremsvorrichtung für die schnellen Neutronen. Er hatte seine Blicke überall, wo er Wissenswertes zu entdecken glaubte, und er stellte Vergleiche an zu Nagoi, wo unter den Felsen von Hondo ein Atomwerk arbeitete, das ein Zwerg war gegen den Riesen von Los Alamos.

Einmal sah er ganz kurz einen blonden Lockenkopf durch die hohen Räume eilen. Er blickte ihm nach und vergaß, seine Lore weiterzuschieben. Die Arbeiter um ihn herum grinsten sich an.

»Netter Käfer, was?« sagte einer der Schlepper zu ihm und boxte ihm lachend in die Rippen.

»Ist die Tochter vom Alten! Mabel Paerson.«

»Ach so«, sagte Heinz Behrenz und sah ihr nach. Mabel Paerson, dachte er. Sie ist hübsch, was macht sie hier in der Atomstadt?

»Ist sie öfters hier?« fragte er seinen Nebenmann, während er die Lore weiterschob zum Hanford-Brenner.

»In letzter Zeit ja. Sie ist mit dem Dr. Bouth verlobt.«

»Dr. Bouth?«

»Der Assistent vom Alten. Der Lange.«

»Ach der?!«

»Ja.«

Sie schoben die Lore an die Schüttfläche und rollten das Gestein hinab in den Sammler. Dann schoben sie die leere Karre zurück und luden von den Eisenbahnwaggons neues, schwarzes Uran in die Eisenwannen.

Das war gestern gewesen. Heute hatte er Mabel Paerson vergeblich zu treffen versucht, und auch Dr. Bouth war nirgends zu sehen. Irgend etwas von einem Vorfall sickerte in den acht Stunden durch, die Heinz Behrenz seine Lore hin und her drückte. Auch nachher, im Schlafsaal sieben, drittes Plateau, wußte man nichts Genaues über das, was – man konnte jetzt schon deutlicher sprechen – außerhalb des Cañons vorgekommen sein mußte. Nur soviel hatte ein Arbeiter, der wegen einer Handverletzung zum Lazarett mußte, erfahren, daß Prof. Paerson plötzlich erkrankt war und seit dem Morgen sein Haus nicht mehr verlassen hatte. Dr. Bouth war die ganze Zeit bei ihm.

Heinz Behrenz legte sich auf sein Feldbett und nahm die neueste Ausgabe der Santa Fé Times von dem kleinen Tisch, der neben dem Bett stand. Ein Postdienst, der genau kontrolliert wurde, brachte auch die neuen Illustrierten und Tageszeitungen mit.

Wie kann ich meinen Kurzwellenapparat nach Los Alamos bekommen, dachte er, während er ein Lesen der Zeitung vortäuschte. Und wo soll ich ihn hier, wo jeder Winkel bewacht wird, aufbauen? In den Werken ist es unmöglich, in den angrenzenden Cañons liegen die Truppen und die Polizei, und außerdem wäre es ein leichtes, den Sender dann anzupeilen, einen Sender, der wenige hundert Meter vom Funkhaus der Atomstadt entfernt japanische Meldungen funkt!

Er schaute auf seine Armbanduhr. Zweiundzwanzig Uhr dreißig. Jetzt hockt Dr. Hakanaki am Empfänger und sucht den Äther ab. Man wird in Nagoi nicht wissen, was eigentlich los ist mit dem Agenten Heinz Behrenz, Geheimnummer 12 B in den Listen der Militärs. Es muß doch einen Weg geben, den Sender, der in dem schweren Wagen außerhalb Santa Fés in den Hügelketten nahe Las Vegas steht, nach Los Alamos einzuschleppen. Die Zentrale in New York hatte alles pünktlich an die verabredeten Orte gebracht, nur er versagte jetzt, in einem Augenblick, wo es vielleicht um Stunden ging.

Unruhig erhob er sich und brannte sich eine Zigarette an. Ein Arbeiter vom Nebenbett gab ihm Feuer, als er sah, daß er vergeblich in seinen Taschen herumsuchte.

»Danke«, sagte Heinz Behrenz und bot dem Arbeiter eine Zigarette an. Der nickte und setzte sich auf sein knarrendes Bett. Es war ein älterer Mann mit vergilbten Gesichtszügen und einer roten Nase, die weniger wie die eines Trinkers aussah, sondern in einem kalten Winter erfroren sein mußte. Sein Anzug war sauber, aber alt und fadenscheinig. Ein Trauring an der Hand verriet, daß er hier arbeitete, um eine Familie zu ernähren.

»Wo arbeitest du?« fragte er Heinz Behrenz. »In der Strahlabteilung?«

»Nee. Ich bin Schlepper.«

»Block VI?«

»Hm.« Behrenz war vorsichtig und kroch in sich zusammen. Der Alte sog an seiner Zigarette und sah dem Rauch nach.

»Ist 'n komischer Dienst, was? War auch dabei, zuerst, vor zwei Jahren. Aber dann wurde ich zu schlapp und kehre jetzt die Säle aus und die Betonböden neben den Brennern. Immerhin ein Dollar die Stunde. Du kriegst mehr, was?«

»Ein Dollar fünfzig.«

»Ganz nett für 'n solch jungen Burschen wie dich. Als ich so alt war wie du, habe ich in Kanada Pelztiere gejagt, mit 'ner alten Flinte, deren Lauf wackelte, bei jedem Schuß … Menschenskind, und doch habe ich was geschossen und habe immer meinen Whisky bezahlt, droben in Big River im Paradies von Saskatchewan.« Er schaute die glimmende Spitze seiner Zigarette an und schnippte die Asche auf den Boden. »Bis zum großen Bärensee, über den nördlichen Polarkreis hinaus bin ich gewandert und habe Bären, Füchse, Hermeline und Silberottern geschossen. Und habe doch nie die Stunde einen Dollar fünfzig verdient. Hm …«

Heinz Behrenz faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch zurück. »Mit Atomen kann man was verdienen«, meinte er vorsichtig. »So eine Bombe, die ganze Städte wegschmilzt, ist schon was wert!«

»Bombe!« Der Alte machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was redet ihr Jungen immer von Bomben. Bei euch muß es immer krachen, sonst ist alles nichts wert. Ich habe mal gelesen, was der Chef, der Dr. Paerson, in einem Blatt geschrieben hat. Er will keine Bomben … er will mit der Atomforschung uns Menschen glücklich machen. Wie, das weiß ich auch nicht.« Er sah Heinz Behrenz an. »Kannst du glauben, daß man billiger leben wird, wenn man Mehl und Butter und Gemüse und Milch künstlich herstellen kann?«

»Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«

»Der Prof. Paerson schreibt es aber. Er will uns Menschen von der Sonne unabhängig machen, indem er eine neue, viel stärkere Sonne schafft. Das hat noch kein Mensch gewagt, mein Junge.«

»Und wenn diese Sonne explodiert, gibt es keine Welt und keine Menschen mehr.« Heinz Behrenz stockte. Wie ein Strahl plötzlich aus unbekannter Ferne ein Feuer entfacht, so fiel in sein Herz der Gedanke des großen Untergangs.

Ich bin ja hier, durchzuckte es ihn plötzlich, diesen Untergang zu fördern. Ich soll ja spionieren, damit nicht Amerika, sondern Japan der Staat ist, der es in der Hand hat, die Menschheit wegzufegen. Ich selbst, ich, der kleine Mensch Heinz Behrenz, bin ja mitschuldig an der Katastrophe, vor der sie zittern … draußen, die Mütter und Frauen und Bräute, die Väter, Männer und Verliebten. Ich gehöre ja zu denen, die die Fackel des Entsetzens in den Händen tragen und sich nicht scheuen, durch Lüge und Betrug, durch Kampf mit allen Mitteln sich dieses einen Wahns zu bemächtigen – Herr über diese Erde zu sein! Ich sitze ja hier in der Arbeitskleidung auf einem Feldbett in Los Alamos, weil Japan, weil die heimliche Atomstadt Nagoi Angst hat, daß einer weiter in der Vernichtung sein könnte als sie. Mein Gott, warum rede ich denn noch? Warum springe ich nicht auf und sage diesem alten Mann da: »Freund, nimm den ersten besten Gegenstand und schlage ihn mir über den Schädel. Ich bin ein Lump. Ein Verräter! Nicht ein Verräter an Amerika oder Japan, sondern ein Verräter der Menschheit und der Menschlichkeit! Mein Gott … o mein Gott … warum hast du mir das nicht früher gesagt …?«

Auf einmal kam ihm sein Hiersein sinnlos vor, verbrecherisch, mörderhaft. Er hatte aus Haß gehandelt, weil ihm ein amerikanischer Major in Okinawa drei Zähne ausschlug … er, der dicke Sieger dem armen, wehrlosen Gefangenen. Das war sein Haß gewesen gegen das Land Amerika, aus diesem Haß ging er nach Los Alamos, um es zu vernichten … wegen drei Vorderzähnen setzte er die Menschheit auf das Spiel.

Er tastete mit den Fingern unter die Lippen und fühlte die drei künstlichen Zähne, die durch eine schmale Goldbrücke mit den gesunden verbunden waren. Ein japanischer Zahnarzt hatte sie ihm eingesetzt, eine unbekannte Kasse hatte sie bezahlt … die Kasse, die nun einen einlösfälligen Wechsel präsentierte: Spionage für Japan.

Spionage gegen den Menschen.

»Was würdest du tun, wenn man dir drei Zähne ausschlägt?« fragte er den Alten mit verhaltener Stimme.

»Ich würde wiederschlagen.«

»Aber du kannst es nicht. Du bist gefesselt, wehrlos, rechtlos. Du mußt stillhalten, du mußt einfach. Und dann kommt so ein großer dicker Mann und schlägt dir drei Zähne aus. Mit einem Schlag … und er lacht dabei, wie du Blut und Zähne auskotzt und freut sich, daß dir die Tränen der Wut und Scham über die Backen laufen. Was würdest du da tun?«

»Ich würde still sein und denken: Gebe Gott, daß du nicht einen Menschen findest, der dich einmal noch schlimmer behandelt wie du jetzt mich. Du würdest winseln … ich aber bleib stumm. Und dann würde ich die Augen schließen und nichts mehr sehen.«

»Und das nennt man richtig?!«

Der Alte wiegte den Kopf. Er nahm den Rest der Zigarette zwischen die Nägel und zog noch ein paarmal daran, bis er sie auf den Boden warf und austrat.

»Richtig. Was ist richtig auf der Welt, mein Junge? Der Mensch ist ein Tier, wenn er groß ist und Gewalt hat, und er ist ein Tier, wenn er klein ist und getreten wird. Was liegt dazwischen? Eigentlich nichts. Warum sich über ein Nichts Gedanken machen?«

Heinz Behrenz stützte den Kopf in beide Hände und starrte auf die Beine des Alten, die über der Asche der ausgetretenen Zigarette hin und her pendelten. Die Schuhe waren derb, aber sauber gewichst, die Hose alt, aber an manchen Stellen sorgsam geflickt. Und nun pendelten die Beine hin und her, und der Mund, der weiter oben in einem vergilbten Gesicht war, sagte: Es ist alles Nichts.

Der Alte stieß Behrenz an die Stirn. »Du, woran denkst du?«

»An das, was du gesagt hast. Es muß alles so sein, weil es nichts gibt, was richtig ist. Ich glaube, du, du hast wirklich recht.«

»Das meine ich auch. Ich habe immer so gedacht. Damals, als man mich in Kanada aus der Hütte jagte, weil ich die niedrigen Preise für die Felle nicht annehmen wollte, da habe ich mir die Nase erfroren. Siehst du sie – ganz rot ist sie geblieben. Damals, da habe ich geflucht, da wollte ich den fetten Kerl vom Fellsyndikat einfach in der Nacht umknallen, mit der alten Flinte, weißt du, an der immer der Lauf wackelte. Aber dann habe ich es doch nicht getan, trotzdem mir die Nase einfror, weil sie mir die Mütze vom Kopf gerissen hatten. Die Mütze, Junge, bei vierunddreißig Grad Kälte. Ich habe nicht geschossen, denn sie hätten mich gelyncht, die besten Kameraden, die, mit denen ich am Großen Bärensee im Schnee gelegen habe, um den Füchsen aufzulauern, die aus meiner Flasche den Brandy tranken, denen ich das Leben rettete. Sie hätten mich einfach an den nächsten Ast gehängt, obwohl ich im Recht war. Ich hatte ein moralisches Recht – so sagte man doch so schön. Moral. Guter Junge. Der Fellkerl war ihr Brotgeber, und wenn ich den umgelegt hätte, wären sie ohne Whisky gewesen und ohne Dollars für die Weiber in Winnipeg. Und das wäre schlimm gewesen, schlimm nach fünf Monaten Wildnis und Schnee, wo man höchstens ein Eskimomädchen traf, das widerlich nach Tran stank. Recht? Moral? Es sind schöne Sachen, mein Junge, wenn die anderen auch so denken würden. Aber dann stehst du immer allein, dann bist du immer das Gesicht, das geohrfeigt wird, dann bist du ein Blöder, der an den Weihnachtsmann glaubt. Also sage ich: Alles ist nichts! Und ich freue mich, wenn es dann doch etwas ist … eine Frau und die Kinder, das Häuschen draußen bei Bernalillo und der kleine Garten, in dem ich Tomaten ziehe und wunderschöne gelbe Äpfel, die schmecken wie Ananas.« Der Alte holte tief Atem. Die lange Rede machte ihn durstig. Er schielte nach dem Hintergrund des Schlafsaals, wo eine primitive Theke aufgebaut war. »Wenn du das alles einmal hast, mein Junge, dann machst du dir keine Gedanken mehr, außer einem … wie lebe ich weiter und wie behalte ich das, was ich habe …« Er erhob sich und nickte Behrenz zu. »Komm, ein Gin kann nicht schaden. Man schläft dann besser.«

Behrenz schüttelte den Kopf. Er blickte nicht auf, als der Alte fortstampfte. Wie lebe ich weiter … daran denken die Menschen. Und hier lebe ich und suche einen Weg, dieses Leben auf einen Sekundenblitz zu verkürzen.

Ein Blitz in der Nacht Asiens.

Wegen drei lächerlicher Zähne.

Wegen nichts.

Nichts!

Er warf sich auf das Bett, mit dem Gesicht nach unten. Es würgte in seinem Hals. Er ekelte sich vor sich selbst.

Durch den Boden, getragen durch die Stahlbeine des Bettes, spürte er das Vibrieren des Bodens unter den Maschinen in den Felsen. Es war ein Zittern, das durch seinen ganzen Körper rann.

Mit der Ablösung der Nachtschicht ließ sich auch Heinz Behrenz aus Los Alamos hinausfahren. Wieder passierte er die Kontrollen, nannte seinen Namen – James Nichols – erhielt einen Stempel in den falschen Paß und verließ den Sperrgürtel der Atomstadt. Am Rand von Santa Fé setzte man ihn von dem Lastwagen ab. Dann entfernten sich die roten Rücklichter.

Die warme Sommernacht war um ihn. Über dem Himmel der Stadt stand der fahle Widerschein der Lampen. Um ihn herum dehnte sich das flache Sandplateau mit den bizarren Kakteen.

Frei, dachte er glücklich. Endlich wieder frei. Erlöst. Gerettet.

Er breitete die Arme aus und atmete die Luft ein.

Wie ein Vogel, der den ersten Flug wagt, wiegte er die Arme auf und ab.

Wie soll ein neues Leben aussehen, dachte er. Arbeiter auf einer Farm, oder Fahrer eines Lastwagens, oder Kumpel in einer Erzgrube? Egal – es gibt so manchen Dollar in Amerika, den man verdienen kann, wenn man will.

Er wanderte durch die Nacht. In den Taschen klimperte der Lohn von zwei Tagen.

Vierundzwanzig Dollar.

Zweitausendvierhundert Cents.

Kerls, was kostet die Welt!

Er schlug die Straße nach Las Vegas ein, wo in den Hügeln der Wagen der Zentrale wartete. Das Auto mit dem Funkgerät nach Nagoi.

Als er beim Morgengrauen die Hügelkette liegen sah, atmete er auf. Jetzt noch ein Funkspruch, und alles ist erledigt, dachte er. Ich werde Dr. Hakanaki sagen, daß ich nicht schuldig sein will an den Tränen von Millionen.

Ich will ihm sagen …

Und dann verbrenne ich das Gerät … Das Gerät und mein bisheriges Leben …

Mit schnellen Schritten eilte er Las Vegas entgegen.

*

Der Marokkaner Kezah ibn Menra hatte in dieser Zeit Santa Fé noch nicht verlassen. Er saß noch immer in der Herberge für reisende Kaufleute und lebte den sorglosen Tag eines Händlers, der auf seinen Zügen einen guten Abschluß gemacht haben mußte. Er ging viel spazieren, immer in der Stadt, saß in den Cafés herum und las in den Tageszeitungen und Journalen. Er fiel nicht auf, er war einer von den vielen Tausenden, die täglich durch Santa Fé gingen und das Wohlleben der Stadt bewunderten.

Aber er war nicht untätig. Was Heinz Behrenz und Gregoronow nebst Zanewskij als erste Aufgabe gestellt bekamen, nämlich Verbindungen zu suchen, fiel bei ibn Menra fort. Er kannte innerhalb von vier Stunden alle altspanischen Geschäfte Santa Fés, die sich wehrten, im Amerikanismus unterzugehen und treu zum alten Mutterland hielten, er wußte innerhalb sechs Stunden die Adressen spanischer Emigranten und einer Gruppe Männer, die Verbindung hatten zu Ingenieuren von Los Alamos. Er suchte spanische Wirtschaften auf, ließ sich bei einem spanischen Friseur rasieren und erfuhr aus vielen Einzelheiten das, was Behrenz und die Russen vergeblich suchten. Er war einer der ersten außerhalb des engen Kreises in Los Alamos, der von der Entführung Mabels wußte und der mit einer angeborenen Intelligenz, ohne in Tanarenia anzufragen, beschloß, sich in dieses Spiel der Kräfte einzuschalten.

Still. Unauffällig. Aus dem Dunkel heraus.

Während Gregoronow und Zanewskij noch in ihrer Höhle am Fuße des Emmons Peak saßen und mit Nowo Krasnienka funkten, während Heinz Behrenz auf der Straße nach Las Vegas wanderte, ein neuer Mensch mit dem Vorsatz, alles hinter sich abzubrechen, saß ibn Menra vor einem Telefon und sprach mit einem spanischen Fellhändler in Salt Lake City.

Es war ein reines Privatgespräch, das er führte. Der Händler war ein guter Bekannter, und ibn Menra freute sich, ihn jetzt wieder einmal hören zu können.

So erfuhr er ganz nebenbei und begünstigt von einem unvorstellbaren Glück, daß man am Ufer des Salzsees, bei Ogdon, in einer Höhe von 1.200 Metern die Trümmer eines verbrannten Flugzeuges gefunden habe, dessen Herkunft nicht mehr festzustellen sei. Die Polizei von Nevada rätselte herum und habe die Trümmer beschlagnahmt.

Kezah ibn Menra war wie elektrisiert. Er notierte sich die Angaben fieberhaft und verglich sie auf einer Karte.

Die Alëuten. Alaska. Kalifornien. Großer Salzsee. Santa Fé. Los Alamos. Es mußte stimmen, es gab gar keine andere Lösung. Es war das Flugzeug der Russen, die Mabel entführten. Und wo das Flugzeug war, mußten auch die Männer sein, mußte sich das Lager befinden, in dem man Mabel Paerson gefangen hielt.

Wie zufällig zeigte der Finger ibn Menras auf den Emmons Peak.

Die Augen des Marokkaners verengten sich. Sie wurden klein, schmal, kalt.

Seine Hand griff nach dem Telefon.

»Bitte, Los Alamos«, sagte er langsam, jedes Wort betonend. »Herrn Dr. Bouth oder Prof. Dr. Paerson. Die Nummern kenne ich nicht. Es eilt, Fräulein, es eilt sehr.«

Dann hängte er ein und wartete, trank seinen Kaffee und las weiter in der Zeitung, als sei in den letzten fünf Minuten nichts Besonderes geschehen.

Auch als der Apparat schellte, hatte er keine Eile, sondern legte die Zeitung bedächtig hin und warf noch einmal einen Blick nach der Karte.

Dann erst nahm er den Hörer ab.

Die Atomstadt Tanarenia, Spanien, griff in das Spiel ein.

*

In der Höhle unterhalb des Emmons Peaks standen Wassilij Gregoronow und Piotre Zanewskij vor Mabel Paerson.

Das Mädchen saß auf dem Feldbett und starrte die beiden Russen an, als erwarte sie jeden Augenblick einen Anfall. Sie hatte die drei Decken eng um ihren Körper gewickelt und die Beine angezogen. Es war trotz der Sommerhitze in den Bergen innerhalb der Höhle feucht und kalt. Das moosige Gestein atmete Fäulnis aus.

Zanewskij betrachtete Mabel Paerson mit dem breiten Grinsen eines Mannes, der im Augenblick über jeder Situation steht. Er stand, gegen die feuchte Felswand gelehnt, und rauchte eine Zigarette. Gregoronow kaute an den Knochen eines Koteletts und wischte sich dann die Finger an einem Handtuch ab, das er um den Hals gelegt hatte. Seine Blicke tasteten Mabel Paerson ab – sie waren hungrig nach Schönheit und blondem Erleben.

Zanewskij blies den Rauch gegen die Decke. »Nachdem Sie getobt haben, Mabel, werden Sie sicherlich einsehen, daß es sinnlos ist, sich mit uns anders zu unterhalten als vernünftig. Es läßt sich nicht leugnen, daß wir im Augenblick den Vorteil auf unserer Seite haben und alles versuchen werden, ihn auszunützen.«

»Was wollen Sie eigentlich von mir?« Mabel Paerson sah Zanewskij haßerfüllt an. Aber in ihrem Blick lag mehr Verachtung und Ekel als Wut. »Sie haben mich mit Chloroform betäubt und in diese Höhle geschleppt. Sie haben mir dumme Fragen gestellt, auf die ich Ihnen keine Antwort geben kann.«

»Will!« sagte Gregoronow hart.

Zanewskij winkte ab. Schweig, sollte das heißen. Zu einem Verhör braucht man Intelligenz. Deine Stärke kommt erst, wenn Worte nicht zu überzeugen vermögen. Er schnippte die Asche von seiner Zigarette. Er sah elegant aus, überlegen. Unheimlich sicher in diesem Augenblick.

»Sie mögen recht haben, Mabel Paerson. Sie wissen nichts. Aber Ihr Vater weiß es, und Dr. Bouth weiß es auch, nämlich das, was wir wissen wollen. Da es aussichtslos ist, sich mit diesen beiden Herren privatim zusammenzusetzen, haben wir aus der Klamottenkiste politischer Machtkämpfe die größte und älteste Klamotte genommen: Entführung zum Zwecke der Erpressung! Es bewahrheitet sich auch hier, daß die guten, alten Hausmittel doch immer die besten sind.«

»Mein Vater hat Ihnen schon geantwortet?«

Zanewskij schüttelte den Kopf. »Nein. Unser Schreiben kommt erst heute in seine Hände.« Er lächelte verbindlich. »Sie mögen uns für Gauner halten – wenn Ihr Vater oder Dr. Bouth sich weigert, werden Sie sehen, daß wir sogar Mörder sein können, aber ich stehe auf dem Standpunkt, daß dieses Mittel der Freiheitsberaubung immer noch das beste ist. Sehen Sie, da hat man von Moskau aus unter einem gewissen Yakowiew einen großen Spionagering in Amerika aufgezogen. Unser berühmter Fachmann A. A. A. –« Zanewskij lachte leise vor sich hin – »der gute Arthur Alexandrowitsch Adam spann sein Netz über ganz USA, nur zu dem Zweck, um hinter die Cañons von Los Alamos zu blicken. Man schickte den kleinen, dicken Chemiker Harry Gold nach Santa Fé, man brachte ihn mit dem Dr. Klaus Fuchs zusammen, einem der drei Engländer, der Einblick in die amerikanische Atombombengeheimnisse besaß, man scheute keine Mittel, man spielte mit den raffiniertesten Tricks. Und der Erfolg? Man bekam so etwas wie einen Teil der Atombombe in die Hand, eine Zündeinrichtung, eine Mantelprobe, ein wenig technische Zeichnungen über die Innendekoration … Dinge, die jetzt alle veraltet sind und deshalb wertlos. Und dafür der Riesenaufwand, dafür die Opfer auf dem elektrischen Stuhl, dafür der Kampf gegen den starken General Leslie Groves, der Los Alamos bewachte.« Zanewskij drückte seine Zigarette an der feuchten Mauer aus. Es zischte leise. »Heute spielen wir ein offeneres Spiel, primitiver, aber wirksamer: Ihr Tod oder das Geheimnis!«

Der letzte Satz riß Mabel Paerson empor. »Sie wollen mich umbringen?«

»Ihr Vater wird es tun, wenn er nicht auf unsere Vorschläge eingeht«, sagte Gregoronow gemein und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, als bereite ihm dieser Gedanke einen kulinarischen Genuß.

»Sie Tier!« Mabel Paerson wandte den Kopf zur Seite, damit andeutend, daß sie nicht mehr gewillt war, auf die Fragen der Russen zu antworten.

Zanewskij warf Gregoronow einen wütenden Blick zu und nickte mit dem Kopf zur Tür. Widerwillig ging Gregoronow aus dem Raum und schloß hinter sich die Bohlentür.

»Miß Paerson?« Zanewskij trat einen Schritt näher. Mabel fuhr herum und verkrampfte die Finger ineinander.

»Rühren Sie mich nicht an«, zischte sie.

»Keinesfalls. Diese Absicht habe ich nicht. Ich möchte mich mit Ihnen nur allein unterhalten. Gregoronow ist ein Affe.« Er setzte sich auf einen Hocker, der neben der Gummiwanne stand. »Es wäre schade«, sagte er eindringlich, »wenn eine Frau wie Sie für immer verschwinden würde.«

»Mein Vater wird mich erlösen.«

»Aber nur gegen sein Geheimnis.«

»Das wird er nie preisgeben!«

»Auch nicht um den Preis seiner Tochter?!«

»Auch um den nicht!« Sie sah ihn starr an. »Ich würde es selber nicht wollen!«

»Sie sprechen leichtsinnig über Ihr Leben, Miß Paerson.«

»Weil ich weiß, daß Dr. Bouth Sie jagen wird, und wenn es sein muß rund um die Welt!«

Zanewskij lächelte zynisch. »Überschätzen Sie den jungen Mann da nicht ein wenig? Hinter mir steht Moskau.«

»Und hinter Dr. Bouth steht der Glaube an das Gute!«

Zanewskij lachte. »Merken Sie nicht, daß dies ein bißchen dumm klingt? Etwas sehr dramatisch? So wie im Film, wenn Errol Flynn seinen Degen zieht, Flynn, der edle Ritter! Das wahre Leben, Miß Paerson, ist grausamer. Sie kennen es noch nicht – was Sie heute erleben, ist nur eine kleine Ouvertüre. Spätestens morgen abend werden wir Ihren Vater sprechen. Ganz unromantisch in der Nacht in einem Waldstück. Sagt er ja, sind Sie frei – sagt er nein …« Zanewskij schwieg und betrachtete seine Fingernägel. »Wie gesagt –«, er hatte die Stimme gesenkt, »– ich würde es rein menschlich sehr bedauern, Miß Paerson.«

Mabel schauderte unter ihren drei Decken zusammen. Sie sah plötzlich, daß die Worte des Russen keinerlei Drohung mehr enthielten, sondern sie mit der Zukunft, die sie zu erwarten hatte, nüchtern und kalt bekannt machte. Sie wußte plötzlich, daß es keinen Ausweg mehr gab, daß kein Reden mehr nützte, keine Vorhaltungen, kein Flehen und Erbarmen … Dieser Mensch war kalt und leblos wie das Gestein über und neben ihr. Er war eine seelenlose Maschine, die man in Moskau aufzog und die nun ablief, präzise, mit der Genauigkeit eines feinmechanischen Uhrwerkes. Gregoronow war ein Tier, triebhaft und ohne Skrupel … aber dieser Zanewskij wußte, was er sagte, er wog die Worte ab und gab ihnen den eindeutigen Sinn, gegen den es keine Polemik mehr gab. Er war die Intelligenz, die zum Verbrecher wurde.

»Warum sagen Sie mir das alles?« fragte sie leise.

»Sie werden es mir nicht glauben, Mabel – weil Sie mir leid tun! Es wäre mir lieber gewesen, nicht Sie hätten in dem Wagen gesessen, sondern Dr. Bouth. Ich spreche über diese Dinge am Rande des Lebens lieber mit einem Mann als mit einer Frau, die ich insgeheim bewundere. Mit Männern verstehe ich umzugehen … bei Frauen – verzeihen Sie, Mabel – habe ich Hemmungen … als Mann.«

»Und trotzdem wollen Sie mich umbringen?«

Mabel wunderte sich, wie einfach und klar sie dieses schreckliche Wort in dieser Stunde aussprechen konnte, wie glatt es von ihren Lippen kam, ohne das Gefühl der Angst und der Verzweiflung aufkommen zu lassen. Bin ich denn schon so weit, daß mich der Tod nicht scheuen kann? Bin ich schon so gleichgültig gegen alles geworden, was ich im Innern kommen fühle? Kann ein Mensch, der vor einer Ausweglosigkeit steht, so nüchtern werden, daß er sich über sein Ende wie über einen neuen Film unterhält?

Sie steckte die Arme aus den Decken und preßte sie gegen die Stirn und Schläfen.

Zanewskij beobachtete sie und schien zu fühlen, was sie dachte.

»Ich will es nicht, Miß Paerson«, sagte er bedauernd und hob beide Arme, als wolle er diese Feststellung wie beschwörend bekräftigen. »Ich werde es müssen. Man wird in Nowo Krasnienka verlangen, daß alle Zeugen unserer Bemühungen um das Atom in Amerika verschwinden. Wir werden ein Vakuum hinterlassen.«

»Soll das heißen, daß Sie sich auch mit der Bekanntgabe des Spaltungsgeheimnisses nicht zufrieden geben?«

»Allerdings. Ich bewundere Ihre Begabung, meiner Dialektik zu folgen. Nehmen wir an, Ihr Vater löst Sie wirklich aus. Wir erhalten die Formeln und die technischen Daten. Bevor wir sie in Nowo Krasnienka und auf unseren Versuchsfeldern in Sibirien, in den Tschur-Njar-Sümpfen, den Flußniederungen zwischen Markuoka und Ygyetta und der einsamsten Gegend der Welt, dem Plateau südlich des Werinjach-Gebirges unterhalb des nördlichen Polarkreises in Hintersibirien ausprobieren – Sie sehen, ich spreche ganz offen zu Ihnen und nenne Ihnen Orte, die noch keiner kennt außer einer Handvoll russischer Atomphysiker – bevor wir zur Erprobung der Angaben kommen, ist Ihr Vater uns schon wieder voraus! Das wäre also dieses Mal eine genauso sinnlose Spionage wie die der Genossen Dr. Fuchs, Harry Gold und A.A. Adam.« Zanewskij drückte mit dem Zeigefinger gegen die Wand der Gummiwanne und schien sich an dem elastischen Spiel zu amüsieren. »Unsere Aktion hat nur einen Sinn, wenn nach dem Bekanntwerden der neuen Spaltung alle Personen, die darüber wissen, liquidiert werden.«

»Sie wollen meinen Vater töten?« schrie Mabel auf.

»Er wird das Opfer seiner eigenen Erfindung sein. Auch Dr. Bouth wird ihm folgen müssen.«

»Sie Satan!«

»Miß Mabel, Sie überschätzen mich. Ich bin sogar bereit, Sie freizulassen und nicht wieder zu belästigen, wenn wir unsere Aufgabe erfüllt haben! Das ist gefährlich für uns, weil Sie uns kennen, aber ich bin für Gerechtigkeit. Sie haben uns nichts getan, Sie haben nichts zu verheimlichen. Sie wissen von nichts … warum sollten wir Sie liquidieren? Was die Herren von Los Alamos erleiden, ist Erfinderschicksal. Bei anderen Zweigen ist es die Materie selbst, die vernichtet – denken Sie an die Medizin, die Chemie, die Toxikologie, die Archäologie –, hier ist die Materie personifiziert und hat ihre Handlanger – uns!«

»Sie sind mir unheimlich.« Mabel Paerson erhob sich und trat hinter das Bett. In ihren Augen stand keinerlei Schrecken oder Angst, sondern eine Art von Traurigkeit, die schon jenseits der Sphäre lag, in der man das Gefühl der Auflehnung gegen das Schicksal sucht. »Haben Sie persönlich einen Vorteil davon, wenn Sie Ihre schreckliche Arbeit vollendet haben?«

»Ich werde einen Orden bekommen.« Zanewskij lachte leise. »Vielleicht auch eine nette Villa auf der Krim. Die Armee wird mir eine schöne Pension geben. Das wird genügen, um den weiteren Rest meines Lebens mit meiner Familie sorglos leben zu können.«

Mabel Paerson sah Zanewskij groß an.

»Sie haben eine Frau?«

»Ja. Wanda Feodora Zanewskaja.«

»Und Sie haben Kinder?«

»Drei Stück, Miß Paerson. Gregor, Iwanow und die kleine Terufina.«

Er sah Mabel Paerson an, die plötzlich vor ihm stand. An ihrem Blick zerbrach er innerlich. Bewundernd und mit aufquellendem Haß erkannte er, daß sie stärker war als er.

»Was für ein Mensch sind Sie nur …« sagte sie leise.

Er schloß die Augen und wandte sich ab.

»Piotre Zanewskij …« stotterte er. »Sonst nichts …«

Schnell verließ er das Zimmer.

*

Der Brief, den Prof. Dr. Paerson an diesem Tage erhielt, bestätigte die Vermutungen General McKinneys und die geheimnisvolle Funkmeldung. Die Entführung Mabels war eine Erpressung zur Gewinnung des neuen Spaltungsgeheimnisses.

Das Schreiben war ordnungsgemäß mit der Post gekommen, die in Santa Fé besonders kontrolliert wurde. Als Aufgabeort war Panguitch im Staate Utah genannt, ein kleiner Ort nahe dem Bryce Cañon National-Park, in dem ein Nebenfluß des Colorado, der sich tief in die Felsen einschneidenden Eskalante, entspringt. Sofort nach Empfang des Schreibens gab Dr. Bouth den Inhalt nach Washington durch, wo General McKinney sämtliche Außenstellen des FBI alarmierte, die innerhalb vier Stunden das gesamte Gebiet Panguitch und Kanab, südlich des Zion-National-Parks umstellte und hermetisch abriegelte. Daß Gregoronow den Brief fast 300 Kilometer südlich des Emmons Peaks aufgegeben hatte, ahnte niemand.

Im Außenministerium lag der Wortlaut des Briefes ebenfalls vor. Der Sinn war klar und konnte nicht mißverstanden werden. General McKinney verlas ihn unter atemloser Spannung aller Anwesenden und schämte sich nicht beim Lesen der Zeilen in große Erregung zu kommen.

Der Brief lautete in seiner kurzen, knappen, deshalb doppelt wirksamen Sprache:

»Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Paerson!

Ihre Tochter befindet sich zur Zeit gesund und der Lage entsprechend auch wohlbehalten in den Händen einer Gruppe, die bereit ist, Ihre Tochter Mabel sofort und ohne weitere Repressalien freizugeben, wenn uns von Ihnen folgende Informationen ausgehändigt werden:

a) die Masse, die Sie spalten;

b) das Material des äußeren Mantels;

c) die Kühlung der neuen Elektronengeschütze sowie der umkonstruierten Brenner;

d) die Formel und technischen Daten aller neuen Versuche;

e) genaueste Angaben über die jetzige kritische Größe Ihrer Spaltung unter Berücksichtigung der industriellen Auswertung.

Falls Sie diese Angaben zu unterbreiten gewillt sind, wird ein Herr unserer Gruppe Sie oder Ihren bevollmächtigten Vertreter drei Tage nach Erhalt dieses Schreibens im Südcañon von Gleenwood Springs (Colorado) erwarten. Sollten Sie die Polizei oder Militär benachrichtigen und unserem Unterhändler Schwierigkeiten entstehen, wird Ihre Tochter Mabel erschossen werden. Das gleiche trifft zu, wenn Sie sich weigern sollten, uns die Angaben zu machen.«

General McKinney schwieg. Die Herren sahen sich an und blickten dann auf ihre Notizblocks.

Das Schweigen war drückend und ohnmächtig.

»Ich stelle fest«, sagte General McKinney laut, »daß keiner der Herren einen Weg weiß.«

Senator Petterson, ein großer, dicker, weißhaariger Mann, schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Es gibt da keinen Ausweg mehr! Die Arbeit geht weiter!«

»Und Mabel Paerson?«

Petterson schielte zu dem General hinüber. »Wie verhält sich Prof. Paerson?«

»Er ist vollkommen zusammengebrochen. Er wird seine Arbeit niederlegen. Das Labor führt im Augenblick Dr. Bouth. Prof. Paerson ist unfähig, irgendwelche Verhandlungen zu führen.«

Petterson schnaufte und steckte die Fäuste in die Hosentaschen.

»Es geht nicht um ein Mädchen«, brummte er. »Es geht um die Welt!«

»Das weiß Prof. Paerson. Aber Sie haben doch auch eine Tochter, eine sehr schöne Tochter sogar, Herr Senator?«

»Lassen Sie Virgin aus dem Spiel, Herr General«, schnaubte Petterson. »Ich habe keine Atome gespalten! Ich habe mir nicht diese Bürde aufgeladen.«

»Aber Sie verlangen von anderen, daß man sie trägt!«

Der Staatssekretär des Außenministeriums hob beide Hände.

»Meine Herren – bitte keine privaten Diskussionen. Wenn ich einen Vorschlag machen darf: hinhalten! Wenden wir die Taktik der Russen an … verhandeln mit der Gruppe, zögern wir die Entscheidung hinaus … vielleicht eine oder zwei Wochen. Bis dahin haben wir Mittel gefunden, Miß Paerson zu erlösen. Wir werden außerdem in einer sehr scharfen Note in Moskau gegen dieses Vorgehen protestieren.«

»Wie Sie wünschen.« McKinney packte seine Aktenmappe ein. »Ich fliege heute mit dem Regierungsflugzeug selbst nach Los Alamos und werde mit Paerson sprechen. Vielleicht haben wir die Möglichkeit, mit falschen, aber glaubwürdigen Angaben die Russen zu täuschen. Wenn Dr. Bouth in der Lage ist, innerhalb drei Tagen eine unmögliche Spaltung technisch und formelgetreu auszuarbeiten, hätten wir vielleicht eine Gelegenheit, neben der Auslösung Miß Paersons den russischen Forschungen durch eine gewaltige Atomexplosion einen Riegel vorzuschieben.«

»Nicht übel.« Der Staatssekretär erhob sich. Senator Petterson knöpfte sich den Hemdkragen auf. Es war ihm schwül geworden.

»Wenn man bedenkt«, sagte er, »daß man in zehn Minuten über den Fortbestand der Erde entscheiden kann, kann man an gar nichts mehr glauben.«

*

Wenn man aus Tokio hinausgeht, nach Süden hin, liegt der Flußlauf des Roku hinter den Häusern der Riesenstadt. In den weiten Schilfwäldern, die bis nach Kowa reichen, wiegen sich die Blumenboote im trägen, lehmig gelben Wasser. Es sind die Boote, die tagsüber den schwimmenden Markt Tokios bilden, auf denen es Obst gibt, Gemüse, Reis, gebratene Hühner und gesottenen Fisch in Öl. Man kann hier seinen Reisschnaps trinken, den widerlich süßen Sakhi, der schmeckt wie brennendes Zuckerwasser und den Europäer nach zwei Gläsern umwirft, man kann hier seinen Curry essen, seinen Stockfisch mit Sahnetunke und kleinen Klößen aus gesäuertem Fischmehl. Hier, auf diesen Blumenbooten wohnen die fleißigen japanischen Wäscher, die ein Oberhemd blütenweiß und gestärkt mit feinstem Reispuder aus den alten, schmutzigen Bottichen zaubern; es wohnen hier die Geldwechsler, die Lackmaler, die Tonformer, die Korbflechter und des Abends, wenn über Tokio das Lichtermeer der Glühlampen aufflammt, die Armee der Mädchen für käufliche Liebe.

Seit Tokio der Sitz der amerikanischen Besatzungszentrale ist, herrscht lautes und vielfältiges Leben an diesen Blumenbooten auf dem Roku. Es fällt nicht auf, wenn gut gekleidete Männer aller Hautfarben bei Dunkelheit an den Ufern stehen oder an den Bootsstegen im Schilfwald verhandeln. Eine Blüte ist über die Blumenboote gekommen, ein Wohlstand, wie ihn die Kulis, die Getretenen, die Rechtlosen, die Menschen, deren Sehnsucht eine Handvoll Reis und ein getrockneter Fisch war, es nie erträumten.

So fiel es auch nicht auf, daß außerhalb Tokios ein kleiner schmutziger Sportwagen parkte und zwei elegant gekleidete Japaner dem Ufer des Roku zugingen. Sie beeilten sich nicht, sondern blieben öfter stehen, blickten auf ihre Armbanduhren und sahen einer Gauklertruppe zu, die auf dem flachen Dach eines Bootes vor einigen angetrunkenen amerikanischen GIs ihre trickhaften Kunststückchen zeigten.

Die Soldaten amüsierten sich sehr. Ihr Gejohle drang weit über den stillen Fluß.

Der eine der Japaner schaute wieder auf die Uhr.

»Noch zehn Minuten, Dr. Hakanaki«, sagte er leise.

»Es ist gut.«

Dr. Yamamaschi fühlte in die Rocktasche. Der metallene Griff der Pistole war kalt und glatt.

»Wollen Sie allein mit ihm sprechen?« fragte er.

Dr. Hakanaki nickte. »Es ist vielleicht besser. Bleiben Sie in Sichtweite, Yamamaschi. Wenn ich huste, kommen Sie sofort.«

Sie gingen von dem Gauklerboot fort und wanden sich durch das Schilfdickicht bis zu einem Knick des Flusses durch. Hier, an der seichten Stelle, lagen die Boote der käuflichen Mädchen – die Boote der himmlischen Freude, wie sie der Japaner blumenreich nennt. Es war dunkel hier, man scheute sich, Lampen anzubrennen. Nur auf den Booten in den weit gestreckten Aufbauten, glühten hinter dichten Vorhängen, die ab und zu einen Ritz freigaben, die Kerzen der Blumenmädchen.

Dr. Hakanaki nickte Yamamaschi zu. Während dieser stehenblieb, ging Hakanaki weiter und trat auf einen Platz, der künstlich als Rastplatz aus dem das Ufer überwuchernden Schilf geschlagen war. Schwach konnte der Zurückbleibende die dunklen Konturen des Mannes gegen den etwas fahleren Nachthimmel sehen.

Er blieb stehen. Dr. Yamamaschi beugte sich etwas vor und griff in die Tasche. Fest umklammerte er den Griff der Waffe.

Aus dem Schilf trat eine zweite, dunkle Gestalt. Sie blieb etwa zwei Meter vor Dr. Hakanaki stehen. Der Fremde trug einen weiten, schwarzen Mantel, aus dessen Kragen ein schmaler, blondhaariger Kopf hervorragte.

Dr. Hakanaki hob erstaunt den Kopf. Es war das einzige Zeichen seiner grenzenlosen Überraschung.

Ein Europäer, dachte er. Ein Deutscher?

»Sie haben unseren Brief erhalten?« sagte die Gestalt. An der Art, wie er die englische Sprache betonte, erkannte Hakanaki den Deutschen.

»Ja.« Der Physiker versuchte, in der Dunkelheit mehr zu sehen als die blonden Haare. »Es war unvorsichtig von Ihnen, einfach an General Simanuschi zu schreiben.« Er dachte an diesen Brief, der gestern abend von einem Eilkurier in die unterirdische Stadt Nagoi gebracht wurde. Man hatte ihn genau auf Fingerabdrücke untersucht, aber nichts feststellen können. Auch der Absender war unbekannt. Der Brief war auf dem Hauptpostamt in Tokio aufgegeben worden. Er enthielt nichts als die Bitte, am nächsten Abend Dr. Hakanaki an dem zweiten Knick des Roku bei den Blumenbooten zu schicken, da eine sehr wichtige Angelegenheit im Zusammenhang mit den neuesten Ereignissen in Amerika zu besprechen wäre.

Keine Unterschrift. Keine näheren Angaben – nichts.

Dr. Hakanaki hatte sich nach einem Gespräch mit General Simanuschi sofort bereit erklärt, dieser Aufforderung des Unbekannten Folge zu leisten. Er ahnte etwas von einer Sensation und wies alle Angebote zurück, sich von Militär oder Geheimpolizisten begleiten zu lassen. Dr. Yamamaschi durfte ihn begleiten, während General Simanuschi am Stadtrand Tokios in einer großen Limousine wartete und ungeduldig mit seinen Handschuhen spielte.

Jetzt stand Hakanaki dem Fremden gegenüber. Und es war ein Deutscher.

Der Fremde schien zu lächeln.

»Wir sahen keine andere Möglichkeit, mit Ihnen in Verbindung zu treten.«

Dr. Hakanaki schüttelte den Kopf. »Woher wissen Sie, daß es ein Nagoi gibt? Woher kennen Sie mich? Was wissen Sie über die Atomversuche Japans?«

»Eigentlich alles.« Der Unbekannte sah, wie Dr. Hakanaki zusammenzuckte und hob die Hand. »Bitte, sorgen Sie sich nicht. Hätten wir die Absicht, Nagoi zu verraten, wäre dieses längst geschehen. Wir sind eine Gruppe kriegsgefangener deutscher Soldaten, die aus Rußland nach Japan flüchteten. Ein Teil ist noch an der Wolga, in der Nähe von Nowo Krasnienka. Sie werden von unseren Geheimsendern Kenntnis haben, Dr. Hakanaki …«

Der Physiker atmete auf. »Sie sind die geheimnisvolle Informationsquelle? Es ist mir angenehm, mit Ihnen zu sprechen.«

»Wir kommen heute im Auftrag von Dr. v. Kubnitz zu Ihnen. Dr. v. Kubnitz leitet neben Prof. Dr. Kyrill die russischen Atomversuche in Nowo Krasnienka. Er ist unser Verbindungsmann zum russischen Atomzentrum.«

»Sehr interessant.« Dr. Hakanaki beugte sich vor. »Was hat mir der deutsche Kollege zu sagen?«

»Sie wissen von der Entführung Mabel Paersons?«

»Ja. Ihr Sender gab es durch. In Amerika schweigt man darüber. Es stimmt also, daß zwei russische Agenten diesen Handstreich ausführten?«

»Ja. Man will Prof. Paerson zwingen, gegen die Freigabe seiner Tochter sein Geheimnis zu verraten. Uns ist auch bekannt, daß Japan einige Agenten in Amerika hat.«

»Sie arbeiten gut. Das Kompliment muß ich Ihnen machen.«

»Danke. Wir kommen nun mit einem Vorschlag zu Ihnen. Unter Zurückstellung aller eigenen Interessen bitten wir Sie, Ihre Agenten anzuweisen, unverzüglich den Kampf gegen die Russen aufzunehmen, Mabel Paerson aus ihren Händen zu befreien. Wir sind in der Lage, Ihnen beim Gelingen dieser Aufgabe genaue Informationen über den Stand der russischen Atomversuche zu geben.«

Dr. Hakanaki sah den Unbekannten lange an. Das Gesicht des Fremden lag im Schatten der Schilfgräser.

»Was haben Sie für einen Vorteil, wenn Mabel Paerson befreit wird?«

»Keinen, Dr. Hakanaki. Wir haben keine Mittelsmänner in den Vereinigten Staaten, um selbst in Aktion zu treten. Wir müssen aber agieren, da es unmöglich ist, daß Rußland das Geheimnis der Atomkernspaltung Paersons erhält. Es bedeutete Folgen, die nicht zu übersehen sind.«

»Und bei Japan befürchten Sie das nicht?«

»Nein, Japan wird nie mehr die Macht haben, gegen eine Welt zu ziehen.«

Dr. Hakanaki richtete sich steil auf. »Sie sind sehr ehrlich«, sagte er hart.

»Es ist das einzige Prinzip, auf dem wir eine Zusammenarbeit aufbauen könnten.« Der Unbekannte lachte. »Wissen Sie, was der große französische Schauspieler und Dichter Sascha Guitry einmal sagte? ›Es gibt ein sicheres Mittel, jeder Versuchung ein Ende zu machen‹.«

Hakanaki schüttelte den Kopf. »Und was ist das für ein Wundermittel?«

Der Fremde schien zu lächeln. »Der Versuchung zu erliegen.«

Dr. Hakanaki verzog sein blasses Gesicht. »Sie haben einen guten sarkastischen Geist in Europa. Gut – wie Sie wünschen. Ich darf Ihnen sagen, daß wir unseren Agenten bereits in Amerika zu erreichen versuchten, um von uns aus gegen die russische Gewalttat vorzugehen, allein aus der Erkenntnis heraus, die Konkurrenz auszuschalten. Aber unser Agent antwortet nicht. Wir wollen noch einen Tag warten und dann einen anderen Mann mit einem Fallschirm absetzen.«

Der unbekannte Deutsche griff in die Tasche und reichte Dr. Hakanaki einen Zettel hinüber. Dabei kam er etwas näher, und der Physiker blickte in ein bartloses, weißes Gesicht. Nur sekundenlang war es deutlich, dann verschwand es wieder im Schatten.

»Unter dieser Nummer werden Sie uns immer telefonisch erreichen. Forschen Sie nicht nach – die Nummer läuft im Telefonbuch unter dem Namen des Fellhändlers Matsoukiyo. Er weiß nicht, daß wir an seiner Leitung eine Nebenleitung haben, die von vierundzwanzig Uhr japanischer Zeit ab besetzt ist.«

Dr. Hakanaki steckte den Zettel ein. »Ich danke Ihnen. Und welche Garantie geben Sie mir für Ihre angebotene Gegenleistung?«

Der Fremde trat an das Schilf zurück. »Sie werden morgen mit der gewöhnlichen Briefpost einen genauen technischen Plan über die neuen Konstruktionsmerkmale der russischen Atombombe erhalten. Die Details und Zeichnungen stellen wir Ihnen nach der Rückkehr Mabel Paersons nach Los Alamos zu.«

Es raschelte im Schilf. Dr. Hakanaki stand allein in der Nacht. Er rannte ein paar Schritte vorwärts und drang in das Schilf ein. Als er das Ufer des Roku erreichte, sah er, wie ein kleines, dunkles Ruderboot still und langsam über den Fluß glitt. Die große Gestalt saß hinten auf dem Sitz, während eine kleinere Gestalt, anscheinend ein Japaner, die Ruder durch das Wasser zog.

Hakanaki stand am Ufer und starrte dem Boot nach, bis es von der Dunkelheit aufgesaugt wurde. Als er die Hand in die Tasche steckte, raschelte der Zettel zwischen seinen Fingern.

Langsam ging er zu Dr. Yamamaschi zurück, der ungeduldig auf ihn wartete.

»Nun?« fragte er.

»Sofort zu General Simanuschi.« Dr. Hakanaki fuhr sich über die Augen. Sein blasses Gesicht mit den dunklen Schatten unter den Augen war wie eingefallen. »Wenn Sie nicht bei mir wären, Yamamaschi«, sagte er leise, »würde ich glauben, ich träumte noch immer …«

Wenig später raste der kleine Sportwagen dem Stadtrand von Tokio entgegen.

Der Roku floß träge durch das Schilf. In den Blumenbooten kicherten die Mädchen. Ein Betrunkener zankte sich mit einem bellenden Hund.

Etwas oberhalb der Boote lag im Dickicht eine alte Hütte. Sie diente früher als Stapelplatz für Stockfische. Jetzt war sie verlassen und verfiel langsam.

In ihrem Innern tickte zu dieser Stunde ein kleines Gerät. Es tickte merkwürdige Zeichen hinaus in den Äther. Ein Mann lag auf dem Bauch vor dem Apparat und bediente die Taste.

Und in der Kolchose bei Ljebjashie nahm man die Zeichen auf und schrieb sie verwandelt auf ein Stück Papier.

»Auftrag erfüllt«, stand darauf.

»An B 93 Achtung: Auftrag erfüllt …«

*

Heinz Behrenz brauchte in dem Hügelgelände von Las Vegas nicht lange zu suchen. Der Plan, den er in Nagoi bekommen hatte und den die japanische Zentrale in New York ausgearbeitet hatte, war hervorragend. Er bezeichnete genau die Stelle, wo in einem Seitental, angelehnt an den Berg, eine schmale Hütte stand, äußerlich aussehend wie ein Schober oder eine Abstellaube für Feldgeräte. In ihrem Innern stand ein schneller, gepanzerter Studebaker, dessen Radioanlage und Antenne gleichzeitig ein Kurzwellensender war, eingerichtet zum Morsen wie zum Sprechfunk. Ein Mikrofon befand sich am Armaturenbrett unter der Uhr, unsichtbar selbst dem kritisch forschenden Auge.

Die Gegend war einsam und nicht begangen. Die Straße nach Watrous führte 500 Meter hinter zwei Hügeln vorbei, die jede Sicht in dieses Tal abdeckten.

Heinz Behrenz schloß die Tür der Hütte auf und betrachtete den Wagen. Ein Gefühl wie Komik überkam ihn. Da steht man mit vierundzwanzig Dollar in der Tasche und hat einen Wagen für einige tausend. Man kann in Amerika herumfahren, so lange das Benzin reicht, – es werden immerhin mit dem Reservetank und den gefüllten Kanistern im Kofferraum gute 1.000 Kilometer sein –, und wenn man dann auf der Straße stehenbleibt, weil das Benzin verbraucht ist, kann man ein Feuerchen anlegen und den guten Studebaker in die Luft jagen. Ihn mit dem Kurzwellensender und den eingebauten Panzerplatten zu verkaufen, wäre unmöglich.

Sinnend stand Heinz Behrenz vor dem Wagen. Meine letzte Tat für Japan, dachte er. Ich melde mich ab und werde Landarbeiter irgendwo, wo es Dollars zu verdienen gibt. Ich habe einen Paß auf James Nichols, ich bin Amerikaner, in Durham geboren, neunundzwanzig Jahre alt, von Beruf Bauarbeiter, im Augenblick ohne Arbeit und hungrig wie ein Grisly im Winter. Na ja – es wird sich zeigen, ob der goldene Westen wirklich golden ist.

Er setzte sich hinter das Steuer und fuhr den Wagen langsam hinaus in die Schlucht. Dann schaltete er den Sender auf Sprache um und suchte die Wellenlänge von Nagoi. Als er sie gefunden hatte, klopfte er gegen das Mikrofon und sagte laut: »Hier B 12. Hier B 12. Meldet euch.«

Der Hebel flog herum. Eine Stimme, fern, durch Störungen schwankend und zitternd, geisterte aus dem Lautsprecher. Heinz Behrenz beugte sich vor und lauschte. Er erkannte Dr. Hakanakis Stimme und mußte lächeln. Hakanaki, dachte er. Jetzt um diese Zeit? Das war ungewöhnlich. Was wird er sagen, wenn ich ihm melde, daß ich Schluß mache mit ihm und der ganzen Schweinerei, die man Atomzeitalter nennt?

»Wir hören«, sagte die Stimme. »Wir hören B 12! Warum bisher so schweigsam? Ist etwas vorgefallen?«

Heinz Behrenz legte den Hebel um.

»Nein, Dr. Hakanaki. Ich war in Los Alamos und habe es verlassen. Endgültig verlassen. Ich befinde mich jetzt an Platz 5 des Planes. Und ich werde auch nicht mehr nach Los Alamos zurückkehren. Ich will nicht mehr, hören Sie, Dr. Hakanaki? Ich will nicht mitschuldig sein an der Angst der Menschheit.«

Der Hebel flog herum. Im Apparat knackte es. Dr. Hakanaki antwortete nicht. Dann, als sei eine Störung gewesen, kam wieder die Stimme.

»Auftrag in Los Alamos für Sie erledigt. Neuer Auftrag unter eilt: Suchen Sie Mabel Paerson. Mabel Paerson ist von zwei Russen, Zanewskij und Gregoronow, entführt worden.«

»Was?« schrie Heinz Behrenz. Er vergaß, den Hebel auf Senden herumzulegen. »Mabel Paerson entführt?« Die Tragweite dieser Meldung fiel über ihn wie ein gewaltiger Schlag. Er duckte sich und riß den Hebel herum.

»Auftrag verstanden«, sagte er stockend. »Ich werde Mabel suchen. Was soll mit ihr geschehen?«

Hebel rum … die Stimme:

»An Prof. Paerson zurückgeben, sonst nichts. Wenden Sie sich an das Gemüsegeschäft Pierre Verneuille in El Paso. Dort liegen 2.000 Dollar für Sie.«

Hebel rum.

»Danke, Dr. Hakanaki.« Heinz Behrenz sank mit dem Kopf an die Frontscheibe des Wagens. »Ich werde alles versuchen. Ende.«

Er stellte den Sender ab und starrte auf die Uhr, hinter der sich das Mikrofon befand. Leise tickte sie … der Zeiger kroch über das weiße Zifferblatt.

Mein neues Leben, dachte er. Das ist es! Nicht Arbeiter auf einer Farm für einen Dollar die Stunde, sondern Hetzhund Japans für zweitausend Dollar. Hetzhund nach einem Mädchen, das der Schlüssel zur Weltherrschaft werden soll.

Die blonde Mabel, der er in Los Alamos sehnsüchtig nachschaute.

Es gibt keine Ruhe auf dieser Welt, dachte er. Es wird immer Jäger und Gejagte geben. Immer. Wie sagte doch der Alte in Los Alamos? Alles ist eigentlich nichts. Nur das, was man selbst schafft, ist etwas, und das sollte man festhalten, darum sollte man leben. Und das Etwas ist jetzt die Welt, deren Leben man angreifen will, angreifen durch ein junges, blondes Mädchen …

Heinz Behrenz richtete sich auf. Mit einem Ruck riß er den Zündschlüssel herum. Der schwere Motor heulte auf. Mit einem Satz schoß der Wagen vorwärts, holperte über den Feldweg und bog auf die Straße ab.

Das gewalzte Band unter sich, zitterte er und raste dann nach Süden, der newmexikanischen Wüste entgegen, zur Südgrenze Amerikas, nach El Paso.

Der Motor sang und fraß hungrig die Kilometer in sich hinein. Über der Straße hing flimmernd die heiße Luft.

Wie soll ich Mabel Paerson finden, dachte Heinz Behrenz verwirrt. Wo soll ich sie suchen. Ich weiß doch gar nicht, wo sie ist. Mein Gott, Amerika ist groß. Wie soll ich sie jemals finden?

Sie muß in der Nähe von Los Alamos sein, dachte er. Man kann sie nicht weit transportiert haben, wenn sie als Druckmittel dienen soll. Sie muß irgendwo in den Cañons des Colorado stecken. Ich werde von EI Paso zurückfahren und systematisch suchen.

Es wurde Abend.

Die Nacht stieg über die Wüste.

Wie ein glühender Pfeil schoß der Wagen nach Süden.

*

In dieser Nacht standen, von wild wuchernden Büschen umgeben, zwei Männer im Südcañon von Gleenwood Springs. Sie hatten die Mäntel eng um sich geschlagen und lehnten gegen eine Felsnase. Der eine von ihnen, ein großer Mann mit dunklem Hut, rauchte eine Zigarette, während der zweite, ein älterer, dicker Mann, nervös von einem Bein auf das andere trat.

Die Nacht war dunkel. Dicke Regenwolken verdeckten den Mond und zogen tief und langsam über die Cañons von Colorado. Die Steine und der sandige Boden reflektierten die am Tage aufgespeicherte Sonnenhitze und machten die Luft in der schmalen Schlucht stickig und atembeklemmend.

»Man hat uns falsch bestellt, Dr. Bouth«, sagte der kleine Dicke flüsternd. »Nach meiner Uhr müßten die Russen schon hier sein.«

Dr. Bouth schaute auf die Leuchtziffern seiner Armbanduhr. »So genau hält man das nicht, Professor Shuster«, entgegnete er. »Wer lange wartet, wird weich. Das ist ein alter Trick.«

»Es ist eine Hundsgemeinheit!«

»Von Ihrer Warte aus, bestimmt. Unsere Rendezvous-Partner sind darin anderer Ansicht.«

Prof. Dr. Shuster brummelte etwas Unverständliches vor sich hin. Er dachte an die zurückliegenden Stunden, und eine dumpfe, verzweifelte Wut klomm in ihm empor.

Als der Brief in Los Alamos eintraf, jener gemeine Brief Piotre Zanewskijs, der den Tod Mabel Paersons androhte, falls man nicht das Geheimnis der neuen Spaltung verriet, war Prof. Paerson zusammengebrochen. Nach einer tiefen Ohnmacht, der ein Nervenfieber folgte, hatte er wie ein Tier geschrien, hatte mit den Händen um sich geschlagen und unverständliche Laute ausgestoßen. Erst nach drei Stunden war das Bewußtsein wiedergekommen, ein stumpfes, resignierendes, gleichgültiges Bewußtsein. Er hatte Dr. Bouth angesehen und mit schwacher Stimme, in der kein Leben mehr war, gesagt: »Machen Sie das alles, Ralf … ich … ich will nicht mehr.«

Dr. Bouth hatte dann mit Washington gesprochen. Den Vorschlag, den Russen falsche Formeln zu geben, mußte er als unmöglich ablehnen, da jeder Physiker sofort erkennen mußte, daß es sich um eine Täuschung handelte. Und man wußte nicht, ob Zanewskij oder Gregoronow Physiker waren und an Ort und Stelle die Formel überprüften.

General McKinney verschloß sich diesen Argumenten nicht und willigte ein, die Form der Hinhaltung und der Verzögerung zu wählen, um in der Zwischenzeit der FBI und den aufgebotenen Militärformationen die Gelegenheit zu geben, den Standpunkt der Agenten ausfindig zu machen.

Dr. Bouth warf die Zigarette weg. Sie glühte noch ein wenig auf dem Boden, ehe sie erlosch. Prof. Shuster knöpfte seinen Mantel auf. Ihm wurde es warm vor Erregung. Seit er nach Los Alamos kam, um das dortige Hospital zu leiten, hatte er eine solche erregende Nacht nicht wieder gehabt. Aber als bester Freund Prof. Paersons, als Studienkamerad und Vertrauter ließ er es sich nicht nehmen, an dieser entscheidenden Wende des Lebens seines Freundes teilzunehmen und vielleicht auch einzugreifen.

Die beiden Männer fuhren herum. Von der Seite rollten Steine über den Weg. Ein tastender Schritt kam näher. Er verhielt hinter einer Buschreihe. Der Unsichtbare schien zu lauschen, vorsichtig, witternd wie ein Reh, das aus den Stangen auf die Wiese tritt. Dann bogen sich die Zweige auseinander und ein dunkler Schatten glitt auf den schmalen Hohlweg des Cañons.

»Hallo?« fragte eine gedämpfte Stimme.

»Ja.« Dr. Bouth und Prof. Shuster kamen ein paar Schritte näher. Der Unbekannte wich zurück.

»Bitte, bleiben Sie stehen«, zischte er. »Wir können uns mit etwas Abstand auch verständlich machen. Darf ich fragen, mit wem ich spreche?«

»Mit Dr. Bouth.«

»Und Prof. Shuster«, sagte der Alte laut.

»Die Prominenz von Los Alamos. Das freut mich. Mein Name ist Piotre Zanewskij.« Der Russe nahm die Hände aus der Tasche, wo er zwei Revolver umklammert hielt. »Sie haben meinen Brief genau durchgelesen?«

»Er war deutlich genug.« Dr. Bouth ballte hinter dem Rücken die Fäuste. Diese Entehrung, diese Blamage, sich hier in der Nacht in einem kleinen Cañon mit einem Verbrecher unterhalten zu müssen. »Was wollen Sie von uns?« stieß er wütend hervor.

Zanewskijs Stimme war höflich und glatt. Es klang, als konversiere er in einer der besten Gesellschaften über ein aktuelles, interessantes Thema.

»Auch das haben wir Ihnen genau geschrieben. Ein seltener Glücksumstand führte uns Ihr Fräulein Braut in die Hände. Wir wollten es selbst nicht, Herr Bouth. Wir hatten gehofft, Sie oder Herrn Prof. Paerson zu treffen. Es wäre dann alles leichter gekommen, unkomplizierter, denn wir hätten Mittel gefunden, Ihre Schweigsamkeit zu brechen. Aber einer Frau gegenüber – Herr Dr. Bouth, ich gestehe es ein – einer schönen Frau auch noch, bin ich ein wenig wehrlos und nicht zu Taten fähig, die ich bei Ihnen angewandt hätte.«

»Schuft« sagte Prof. Shuster unbeherrscht. Zanewskij lachte.

»Herr Prof. Shuster – Sie mögen ein guter Arzt sein, aber Sie sind ein schlechter Unterhändler. Kein Gegner hat es gern, wenn man ihm unter der weißen Fahne einer möglichen Verständigung ins Gesäß tritt. Immerhin freut es mich, meine Herren, daß Sie gekommen sind.«

»Geben Sie Mabel frei!« knirschte Dr. Bouth.

»Sofort! Noch heute nacht. Bitte, händigen Sie mir die gewünschten Pläne aus.«

»Das kann ich nicht.« Dr. Bouths Stimme wurde laut. »Ich habe nicht die Pläne!«

Zanewskij schüttelte den Kopf. »Was denken Sie eigentlich von mir, Herr Dr. Bouth? Halten Sie mich für einen Stümper wie Dr. Fuchs oder Harry Gold? Sie haben die Pläne nicht – wir brauchen also nicht weiterzureden. Ihre Taktik, Zeit zu gewinnen, habe ich längst erwartet. Aber ich möchte nicht warten, Dr. Bouth. Ich habe eine tiefe Aversion gegen elektrische Stühle oder die Gittertüren Ihres berühmten Sing-Sing. Reden wir ein klares Wort: Sie wollen die Pläne nicht geben?!«

»Ich kann es nicht!«

»Wie Sie wünschen.« Zanewskijs Stimme wurde kalt, eisig – sie löste einen Schauer bei Prof. Shuster aus. »Darf ich Ihrer Verlobten noch etwas von Ihnen bestellen, Dr. Bouth? Darf ich ihr sagen, daß Sie sie sehr liebten, aber nicht so sehr, daß Sie mir einige dumme Formeln geben?« Man sah an der Bewegung des Schattens, daß Zanewskij auf seine Uhr blickte. »In vier Stunden, beim Morgengrauen, steht Ihnen Ihre Braut wieder zur Verfügung, Herr Dr. Bouth. Wir werden ihr das Grauen einer Erschießung ersparen, sondern sie mit einem Schlafmittel betäuben, bevor wir abdrücken. Sie sehen, daß wir human, aber fest entschlossen handeln.«

Dr. Bouths Gesicht war verzerrt. Er wußte, daß diese Worte keine leere Drohung waren … hinter ihnen stand die blutige Wahrheit, die Erbarmungslosigkeit des Asiaten. Er riß beide Arme nach vorn, seine Augen waren starr vor Grauen.

»Ich habe die Pläne nicht!« schrie er grell. »Zanewskij, seien Sie doch vernünftig! Auch Prof. Paerson hat sie nicht. Wenn Sie Los Alamos kennen, müßten Sie wissen, daß das Geheimnis der Atomspaltung aufgeteilt ist! Jeder weiß nur ein Teilgebiet, einen kleinen Teil, woran er gerade arbeitet. Wie ein Mosaik ist es, das am Ende unter einem völlig Unbekannten, der aus Oak Ridge oder sonst woher kommt, zusammengesetzt wird. Wir wissen selbst nicht, wie die Sache läuft!«

Zanewskij schien über diese Mitteilung erschrocken zu sein. Man sah, wie die dunkle Gestalt unruhig wurde. Auch die sichere Stimme wandelte sich in ein gehetztes Fragen.

»Sie lügen, Dr. Bouth!«

»Dann fragen Sie alle Atomwissenschaftler der Welt! Fragen Sie auch in Rußland Ihren Prof. Kyrill! Er wird es Ihnen bestätigen. Gerade aus Gründen der Spionage weiß der einzelne nichts. Nur irgendwo in Washington, im Kriegsministerium oder woanders, hat man ein Gesamtbild dessen, was wir schaffen.«

»Und wer ist das?«

»Dr. Paerson, ich, Dr. Fermi, Prof. Dr. Oppenheimer, Dr. Dunning, Dr. Abelson, Dr. Alvarez, Dr. McKibben, Dr. Bush, Prof. Bacher, Oberst Warren … wollen Sie noch mehr Namen hören? Es sind ungefähr 150 Männer und Frauen, die an dem großen Projekt arbeiten und alle nur einen kleinen Teil davon kennen.«

»Und wer hat den Gesamtplan?«

»Generalmajor Groves und General McKinney.«

»In Washington?«

»Ja.«

Zanewskij schien nachzudenken. Minutenlanges Schweigen lag zwischen ihnen. Die Stille drückte auf Prof. Shuster – ihm wurde schwach, und er mußte sich an einen Felsen lehnen, um nicht umzusinken. Die Nervenanspannung war zu groß für ihn.

»Gut«, sagte Zanewskij. Seine Stimme war wieder hart. »Wenn General McKinney den Gesamtplan hat, gebe ich Ihnen noch vier Tage Zeit. Sagen Sie bitte McKinney, daß er mir den Gesamtplan durch Sie übergeben lassen soll, andernfalls Miß Paerson doch noch als Repressalie liquidiert wird. Mir ist bekannt, daß General McKinney mit Prof. Paerson befreundet ist – es wäre ein guter Freundschaftsbeweis, wenn er die Tochter seines Freundes auslöst. Eine andere Möglichkeit, Herr Dr. Bouth, sehe ich leider nicht. Ich muß die Pläne haben. Die neue Situation entbindet Sie aller Verantwortung, Dr. Bouth. Sie liegt jetzt allein bei General McKinney. Versuchen Sie, all Ihren Einfluß geltend zu machen. Ich rede ernst mit Ihnen – es geht wirklich um das Leben Ihrer Braut.«

»Wir bieten Ihnen 100.000 Dollar!« schrie Prof. Shuster plötzlich, der die Nerven verlor und dem Weinen nahe war. Er lehnte an dem Felsen und atmete keuchend.

Zanewskijs Schatten drehte sich halb herum. »Ich danke Ihnen, Herr Prof. Shuster. Wenn ich für meine eigene Tasche arbeiten würde, schlüge ich jetzt zu. 100.000 Dollar sind ein sorgenfreies Leben. Aber«, er stockte. »Ich arbeite nicht für mich, ich stehe hier im Dienst einer fremden Macht. Ich muß die Pläne bringen. Verstehen sie? Ich muß! Ich … ich …«, er senkte die Stimme. Man hörte, wie er mit den Worten rang … »ich habe zu Hause, in Rußland, auf der Krim, eine schöne, junge Frau und drei entzückende Kinder. Verstehen Sie, was es heißt, wenn ich die Pläne nicht bringe? Ich hätte 100.000 Dollar, aber Wanda Feodora und Gregor, Iwanow und Terufina, sie würden von Moskau aus …« Und plötzlich schrie er: »Es geht nicht … ich muß die Pläne haben …«

Prof. Shuster schwankte. Er hielt sich mühsam an den Steinen fest.

»Es gibt keinen Weg …«, murmelte er. »Es gibt keinen Weg. Der Weg des Atoms ist mit Blut gepflastert.«

Dr. Bouth trat einen Schritt vor. In diesem Augenblick wußte er, daß dieser Mann dort im Schatten, der Russe Piotre Zanewskij, kein Verbrecher war, kein Agent ohne Herz, sondern ein Gehetzter, der selbst zum Hetzhund wurde, um seinen Treibern zu entkommen. Er sah plötzlich tief in diesen Mann hinein, in die Angst, die Atompläne nicht zu bekommen, in das Grauen, seine Frau und die Kinder nicht wiederzusehen, wenn er erfolglos war, in die Not, irgendwo in einem sibirischen Lager zu verhungern und zu verfaulen mit der Gewißheit vor Augen, daß sein Versagen, seine menschliche Unzulänglichkeit genügte, ihn und seine Familie einfach auszulöschen wie einen Namen auf einer Tafel, über den ein nasser Schwamm gleitet.

»Ich will mit McKinney sprechen«, sagte er. In seiner Stimme war ein Klang, der Zanewskij herumriß.

»Sie verstehen mich, Dr. Bouth?« sagte er leise.

»Ja, Zanewskij. Es ist schwer, aber man muß auch Ihre Not erkennen lernen, um zu sehen, wie groß oder wie klein die eigene ist. Ihre Frau und Ihre Kinder sind Ihnen mehr wert als Mabel Paerson, und wenn Sie sie töten, meine Braut, dann sind Sie nur der Arm, der Mechanismus, der den Schuß zur Auslösung bringt. Ein Roboter, mehr nicht. Die wahren Mörder sitzen drüben, in Rußland.«

Zanewskij schwieg. Aber sein Schweigen war die deutlichste Antwort.

»Sie warten noch vier Tage?« fragte Prof. Shuster.

Der Schatten an den Büschen nickte. »Ja. Vier Tage. Wir treffen uns hier wieder. Ich –«, er stockte wieder, »– ich hoffe sehnsüchtig, daß das Leben meiner Familie und Ihrer Braut, Dr. Bouth, erhalten bleibt. Denken Sie nicht schlecht über mich und grüßen Sie Prof. Paerson von mir. Sagen Sie ihm bitte, Dr. Bouth, daß auch ich ein Vater bin und eine Tochter habe, eine kleine Tochter … schwarzlockig, mit weißer, zarter Haut … Terufina.«

Der Schatten bewegte sich. Die Zweige der Büsche knarrten und rauschten. Dann war die Nacht wieder still, nur das schwere Atmen Prof. Shusters durchschnitt die Stille.

Dr. Bouth ging zu der Stelle hin, wo Zanewskij gestanden hatte. Plötzlich bückte er sich und hob etwas auf. Es war ein Handschuh aus hellem Leder. Er war zerrissen, zerfetzt, als habe eine Hand die Erregung nicht anders zu dämmen gewußt als in der Zerstörung des Lederstücks.

Wortlos steckte Dr. Bouth den zerrissenen Handschuh ein.

»Kommen Sie«, sagte er zu Prof. Shuster und stützte den alten Mann, als er ihn aus dem Cañon hinaus auf die Straße führte, wo ihr Wagen mit abgeblendeten Lichtern stand. Er setzte sich hinter das Steuerrad und starrte hinaus auf die Straße, die im aufblitzenden Scheinwerfer wie ein riesiges, weißes, breites Leinenband aussah.

»Ich habe mir eins geschworen«, sagte er langsam, »und ich werde es wahrmachen, Prof. Shuster: Wenn ich Mabel wiederhabe, werde ich Los Alamos nie mehr betreten.«