befanden sich noch dreihunderttausend, die ich noch nicht in Kredite umgewandelt hatte. Dieses Geld plus die bereits erzielten Gewinne aus dem Verkauf von Lithografien plus die Bruttoeinnahmen aus PMs Ausstellung ergaben ungefähr achthunderttausend. Ich dachte, das würde reichen, um zirka ein halbes Jahr untertauchen zu können. Ich hoffe, du verstehst, dass das kein Luxustrip erster Klasse war. Ich musste einer weit verzweigten Organisation entkommen, und so etwas kostet Geld. Während dieses halben Jahres wurden mehrere Kredite zur Zahlung fällig. Nachdem ich Enqvist über diese Kredite noch keine Rechenschaft abgelegt hatte, wusste er auch nicht, wer die Kreditnehmer waren. Und ich wusste, dass ich fast zwei Millionen bekommen würde, wenn ich das Risiko einging, die Schulden im Frühjahr einzutreiben.«

»Wo warst du in dem halben Jahr?«

»In Dänemark. Ich nannte mich Arne Hansson. Natürlich war ich gezwungen, mir einen neuen Pass zu besorgen.«

»Wann bist du zurückgekommen, um deine Schulden einzutreiben?«

»Im April. Und alles begann ausgezeichnet. Alle Schulden wurden pünktlich beglichen. Doch gab es noch ein paar Forderungen, die erst in den nächsten Monaten zur Zahlung anstanden. Die hätte ich einfach vergessen sollen. Aber das tat ich nicht. Sie hätten mindestens eine weitere halbe Million eingebracht, nur hatte ich nicht den Mut, später noch einmal wiederzukommen oder bis zur Fälligkeit der Zahlungen zu warten. Da kam ich auf die idiotische Idee, meine Schuldscheine an einen Bekannten zu verkaufen. Auf diese Weise wollte ich zumindest die Hälfte des Geldes kassieren. Es ging mir ja darum, kurzfristig so viel Geld wie möglich locker zu machen.

Es kostet einiges, sich in einem anderen Land niederzulassen.«

»Wolltest du denn in Dänemark bleiben?«

367

»Nein, das wäre zu riskant gewesen. Ich dachte an Kanada, wo ich eine Menge Leute kenne. Aber wie du siehst, ist nichts draus geworden. Jetzt sitze ich hier und bin noch am Leben, aber ich kann nicht leugnen, dass ich lieber mit ein paar Millionen in der Tasche in Toronto wäre. Stattdessen lief ich diesem Kerl ins offene Messer.« Er gab ein dünnes, freudloses Lachen von sich.

»Hätte nicht im Traum gedacht, dass der ebenfalls dem Kreis angehört.«

»Woher kanntest du ihn?«

»Wir haben früher miteinander Geschäfte gemacht, lange bevor ich in die Fänge von Enqvist geriet. Ich hielt ihn für einen anständigen Kerl, dem man vertrauen konnte.«

»Würde sich ein anständiger Kerl auf solch einen Deal einlassen?«, fragte Roffe.

»Ich habe einfach darauf vertraut, dass er gegen so leicht verdientes Geld nichts einzuwenden hätte. Das war der Fehler meines Lebens.« Er holte tief Luft und schüttelte heftig den Kopf. »Mein Gott, erst gestern habe ich ihn besucht. Es kommt mir vor, als sei das Wochen her.«

»Und? Wie hat er dein Angebot aufgenommen?«

»Mit Interesse. Er lud mich in sein Haus ein. Ich dachte, alles sei in bester Ordnung, als plötzlich Enqvists Gorillas im Wohnzimmer erschienen. Ich habe sie sofort wiedererkannt. Mir wäre fast das Herz stehen geblieben. Ich hatte selbst mehrfach ihre Dienste in Anspruch genommen, wenn es Schwierigkeiten bei der Rückzahlung von Krediten gab. Manchmal ist es ganz nützlich, den Leuten einen Schreck einzujagen. Aber ich habe dem Tod ins Auge geblickt. Es mag sich für dich pathetisch anhören, aber in den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich unerträgliche Qualen gelitten. Ich weiß doch, dass Enqvist nur hundertprozentige Profis beschäftigt. Also hatte ich auch keine Hoffnung mehr, meine Haut retten zu können. Sie haben mich erst heute Abend von Eskilstuna bis zu dieser Hütte 368

transportiert, und als die Polizei plötzlich hereinstürmte, habe ich erst gar nicht durchgeblickt. Ich dachte, es handle sich um eine konkurrierende Organisation, und habe gehofft, möglichst schnell durch einen Querschläger getötet zu werden. Als mir schließlich klar wurde, dass es Polizisten waren und ich wider Erwarten überlebt hatte, begann ich am ganzen Körper zu zittern, als hätte ich einen Schock. Mir ist immer noch ein Rätsel, woher ihr wusstet, dass mich Enqvist heute Abend in dieser Hütte erwartete.«

»Später …«, entgegnete Roffe nachdenklich.

Er warf einen Blick aus dem Fenster und bemerkte zu seinem Missfallen, dass sie fast am Ziel waren. Er hätte den Fahrer am liebsten gebeten, noch einmal eine Runde um die ganze Stadt zu drehen, damit er das Verhör ohne Unterbrechung fortsetzen konnte. Axel war jetzt richtig in Fahrt, und eine Änderung der äußeren Umstände konnte dazu führen, dass er den Faden verlor.

Doch er sah ein, dass seine Kollegen nach dem anstrengenden Einsatz erschöpft waren und nach Hause wollten. Dann mussten sie das Verhör eben in Gudruns Dienstzimmer zu Ende führen.

»Wir machen eine Pause«, sagte er zu Gudrun, die das Aufnahmegerät bediente. »Wir können das Verhör im Präsidium fortsetzen.«

»Fortsetzen?«, rief Axel. »Was soll das heißen, Roffe? Es ist fast zwölf Uhr, und ich habe euch alles erzählt, was ich weiß.

Mehr gibt es nicht zu sagen.«

Roffe starrte gedankenverloren vor sich hin. Plötzlich war ihm sehr unbehaglich zumute. Er versuchte zu ergründen, woran das lag, fühlte sich im Moment jedoch zu müde dazu. Sie brauchten eine Pause und etwas zu essen, dann würden sie weitersehen …

»Vielleicht gibt es doch noch mehr zu erzählen«, murmelte er.

»Ich habe jedenfalls noch ein paar Fragen an dich.«

Axel stieß einen demonstrativen Seufzer aus, der in ein Gähnen überging.

369

»Ich dachte, ich könnte mich endlich ein wenig ausruhen«, jammerte er.

370

30

Dieselbe Nacht

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie sich wieder in Gudruns Dienstzimmer versammelt hatten.

Gudrun war es irgendwie gelungen, riesige Schinkenbrote aufzutreiben, die sie zusammen mit dem Kaffee auf ihren Schreibtisch stellte. Nach den Ereignissen des Abends herrschte eine auffallende Stille.

Roffe, der seinen Hunger schon wieder vergessen hatte, nahm von der verführerischen Zwischenmahlzeit keine Notiz. Er tigerte in dem begrenzten Raum hin und her, während er sich den Kopf zerbrach, wie er die Fragen stellen musste, um die Wahrheit aus Axel herauszukitzeln.

Dieser kauerte zusammengesunken auf einem Stuhl, als wäre alle Luft aus ihm gewichen. Er sah mitgenommen und geistesabwesend aus. Gudrun gab ihm ein Zeichen, dass das Aufnahmegerät lief, worauf Roffe unerbittlich sein Verhör fortsetzte.

»Wusste Marianne, dass du untertauchen wolltest?«

Axel stützte den Kopf auf die Hände und starrte teilnahmslos zu Boden. Er schien mit seinen Kräften am Ende. Sein Gesicht war grau, die Augen matt und gerötet. Sein teurer Anzug war in einem bemitleidenswerten Zustand. Offenbar hatten sie ihm zu essen und zu trinken gegeben, während er gefesselt war; die Hälfte hatte er auf seinen Anzug gekleckert. Dieses eine Mal schien er sich nicht um sein Erscheinungsbild zu scheren, obwohl sich eine Frau im Raum befand. Er deutete kraftlos auf die Leuchtröhre an der Decke und sagte: »Ich wäre euch dankbar, wenn ihr das Licht etwas dämpfen könntet. Ich habe stechende Kopfschmerzen.«

371

Gudrun stand auf und löschte das Licht. Die Schreibtischlampe warf einen matten und vertraulichen Schein in den Raum.

»Möchten Sie jetzt ein paar Kopfschmerztabletten?«, fragte sie.

»Ja, bitte.«

Sie gab ihm ein Glas Wasser und zwei Tabletten. Als er sie hinuntergespült hatte, sah er Roffe gequält an.

»Entschuldige, was hattest du gefragt?«

»Ich hatte gefragt, ob Marianne in deine Pläne eingeweiht war.«

»Ja, das war sie … in gewisser Weise.«

»Was heißt das?«

»Auch sie wollte aussteigen. Sie hasste Enqvist und hatte ebenso große Angst vor ihm wie ich. Wir hatten ein paarmal unverbindlich darüber geredet, zusammen abzuhauen, aber ich glaube nicht, dass sie es ernst meinte. Gewollt hätte sie schon, aber wenn sie etwas noch mehr fürchtete als Enqvist und seine Gorillas, dann war es die Armut. Sie und Gisela hatten sich an einen luxuriösen Lebensstil gewöhnt, und solange sie ihren Job weitermachten wie bisher, hatten sie nahezu unbegrenzt Geld zur Verfügung.«

»Was für ein Verhältnis hattet ihr zueinander? Ging es über eine rein geschäftliche Beziehung hinaus?«

»Wenn du eine sexuelle Beziehung meinst, die hatten wir vor mehreren Jahren, aber das war schon lange vorbei. Wir waren einfach gute Freunde.«

»Und, war sie jetzt in deine Fluchtpläne eingeweiht oder nicht?«

»Am selben Abend, an dem ich verschwunden bin, habe ich sie besucht und ihr von meinen Plänen erzählt. Mir war klar, 372

dass Enqvist sie zuerst ausquetschen würde, also wollte ich eine falsche Fährte auslegen.«

»Was für eine falsche Fährte?«

»Sie wusste, dass ich im Haus meiner Mutter in Christiansholm noch ein Zimmer besaß. Ich sagte ihr, ich wolle mich dort für ein paar Wochen verstecken und später nach Frankreich gehen. Früher waren wir ein paarmal zusammen in Südfrankreich gewesen, genauer gesagt in Toulon, und ich deutete an, ich wolle mich in dieser Gegend niederlassen.

Natürlich habe ich ihr nicht verraten, dass ich zurückkommen wollte, um meine Schulden einzutreiben. Ich gab ihr vielmehr zu verstehen, dass ich bereits genug Geld hätte, um im Ausland neu anzufangen.«

»Wie hat sie darauf reagiert?«

»Sie konnte mich gut verstehen und wünschte mir viel Glück.

Mehr gab es wohl auch nicht zu sagen.«

»Wann bist du ihr das nächste Mal begegnet?«

»Ich habe sie nie wieder gesehen.«

»Du hast also keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt, seit du im Oktober letzten Jahres untergetaucht bist?«

»Nein, warum hätte ich ein solches Risiko eingehen sollen?

Ich habe mich nicht getraut, auch nur zu einem einzigen meiner alten Freunde Kontakt aufzunehmen.«

»Bist du direkt nach Dänemark gereist?«

»Ja.«

»An welchem Tag bist du nach Schweden zurückgekehrt, um deine Schulden einzutreiben?«

»Das muss der neunzehnte April gewesen sein.«

Sie wurden durch Hjalle unterbrochen, der den Kopf zur Tür hereinstreckte.

»Kann ich dich kurz sprechen, Roffe?«

373

Roffe blickte zu Gudrun hinüber, die nickte.

»Wir können ja inzwischen Kaffee trinken«, sagte sie und schob Axel eine Tasse entgegen.

Roffe ging auf den Flur und zog die Tür hinter sich zu. Hjalle war seine Zufriedenheit immer noch anzusehen.

»Ich werde hier gleich die Segel streichen. Aber du möchtest dir vielleicht kurz ansehen, was Hemberg in seiner Aktenmappe und in seinen Taschen hatte.«

Er öffnete die Tür des gegenüberliegenden Raumes, schaltete das Licht an und legte die Aktentasche auf den Tisch.

»Wie läuft’s denn?«

Roffe öffnete die Aktentasche. »Er ist sehr gesprächig, aber seine Kräfte lassen langsam nach. Viel mehr werde ich heute nicht aus ihm herausbekommen.«

»Das hier scheinen die besagten Schuldscheine zu sein. Und dies ist ein gefälschter Pass, ausgestellt auf den Namen Arne Hansson.«

»Ja, das hat sich schon geklärt. Er hat sich den Pass besorgt, als er untergetaucht ist. Auch die angegebene Bankverbindung scheint zu stimmen. Aber was ist das?«

Aus einem Fach der Aktentasche zog Roffe ein flaches Paket, das in einem verschlossenen braunen Kuvert steckte. Nach Größe und Gewicht zu urteilen, konnte es sich um ein Buch handeln. Er schlitzte das Kuvert auf, und zum Vorschein kam ein weinrotes Kunstlederetui, das von einer kleinen silberfarbenen Spange zusammengehalten wurde: ein Schmucketui, dessen Innenfutter aus dunkelblauem Samt bestand. Sie erblickten eine Ansammlung ineinander verwickelter Halsketten, Ringe und Broschen. Hjalle stieß einen langgezogenen Pfiff aus.

»Scheint sich um einen weiteren Geschäftszweig zu handeln.«

374

Roffe nahm die Schmuckstücke näher unter die Lupe und stellte rasch fest, dass von billigem Tand nicht die Rede sein konnte.

»Ziemlich wertvolles Zeug«, sagte er nachdenklich. »Wo er das nur her hat …« Er steckte das Etui in seine Jackentasche.

»Ich nehme es mal mit. Vielleicht kann ich ihn bei passender Gelegenheit damit konfrontieren. Die Aktentasche lasse ich hier.

Er soll nicht wissen, dass ich sie gesehen habe.«

Hjalle packte die Sachen zusammen.

»Dann also gute Nacht. Ich fahr jetzt nach Hause und hau mich hin.« Er klopfte Roffe freundschaftlich auf die Schulter.

»Mach nicht mehr allzu lange.«

Roffe ging in Gudruns Büro zurück.

»Ich habe einen Bärenhunger«, sagte er und biss herzhaft in ein Schinkenbrot.

Axel schlürfte seinen Kaffee, während er die Schinkenbrote mit mäßiger Begeisterung betrachtete.

»Hast du keinen Hunger?«, fragte Roffe mit vollem Mund.

Axel schüttelte den Kopf. »Ich bin einfach nur hundemüde.«

»Du wirst bald schlafen können. Heute Abend gibt es nicht mehr viel zu besprechen.«

Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Ich soll dich übrigens von PM

grüßen. Ich habe ihm erzählt, dass ich dich heute Abend treffen würde.«

Axel lächelte matt. »Kann mir schon denken, wie dieser Gruß gemeint war. PM hätte sich bestimmt gefreut, wenn sie mit mir kurzen Prozess gemacht hätten.«

»Das glaube ich kaum. So weit gehen seine Rachegelüste nicht. Aber natürlich würde er sich freuen, irgendwann sein Geld wiederzusehen. Was in Anbetracht deines fetten Bankkontos ja sicher auch der Fall sein wird. Er hat sogar 375

gelacht und gesagt, so wie er dich kennt, fällst du immer wieder auf die Füße, wie aussichtslos deine Lage auch aussieht.«

Diese Aussage fand bei Axel keinen Anklang. »Auf die Füße fallen … als ob das im Moment der passende Ausdruck wäre«, maulte er. »Wenn hier einer immer wieder auf die Füße fällt, dann doch wohl er.«

»Wie meinst du denn das?« Roffe schaute Axel verwundert an, dessen Augen einen verletzten Ausdruck angenommen hatten.

»Du scheinst ja nicht gerade gut auf ihn zu sprechen zu sein.«

»Bin ich auch nicht. PM hat mich doch schikaniert, so lange ich denken kann. Schon in der Schule hat er alles dafür getan, um mich bei den anderen in Verruf zu bringen. Irgendwie hat es ihm Spaß gemacht, mich lächerlich zu machen.«

»Komisch, das habe ich nie bemerkt. PM kann manchmal verletzend sein, aber boshaft ist er nicht.«

»Vielleicht nicht dir gegenüber. Ihr seid ja immer enge Freunde gewesen. Aber ich weiß, dass er herumgezogen ist und mich überall schlecht gemacht hat.«

»Und du meinst, das war vollkommen unbegründet?«

»Ja, das meine ich. Er hat mir wirklich viel zu verdanken.

Vielleicht hat er geglaubt, es sei eine Ehre, seine Bilder zu verkaufen, aber ohne mich hätte er sich lange nach möglichen Käufern umsehen können. Ich habe mir keine Dankbarkeit erwartet, aber zumindest könnte er sich anständig verhalten.«

Roffe starrte seinen ehemaligen Mitschüler mit großen Augen an und fragte sich, ob er richtig gehört hatte. War es wirklich möglich, dass dieser nicht ein Mindestmaß an Selbstkritik aufbrachte?

»War dein Umgang mit PM etwa das, was du unter anständigem Verhalten verstehst?«

»Natürlich nicht, aber ich habe dir den Hintergrund doch schon erklärt. Das hatte überhaupt nichts mit ihm zu tun. Es war 376

purer Zufall, dass sich die Lage während seiner Ausstellung zuspitzte.«

»Was genau hast du ihm vorzuwerfen?«

»Dass er in Anwesenheit anderer Leute, zum Beispiel meiner Exfrau, über mich hergezogen ist. Marianne hat er dreiste Lügen über mich erzählt.«

»Hat er? Was zum Beispiel?«

»Als er sie bedroht hat, weil sie ihm nicht sagen wollte, wo ich mich befinde, da hat er behauptet …«

Roffes Schinkenbrot verharrte einen Moment in der Luft, ehe es auf Gudruns Schreibtisch klatschte.

Er fixierte Axel mit funkelnden Augen. »Du hast doch vorhin behauptet, sie seit Oktober nicht mehr gesehen zu haben«, sagte er frostig. »Wie kannst du dann wissen, dass er sie bedroht hat?«

Axel schlug schweigend die Augen nieder. Er atmete schwer.

»Denk nicht zu viel nach«, sagte Roffe scharf, »sonst machst du alles nur noch schlimmer.«

»Ich weiß, was ich vorhin gesagt habe«, entgegnete Axel mit beleidigter Miene, »und vielleicht entsprach das nicht ganz der Wahrheit, aber ich dachte, das sei nicht so wichtig …«

Roffe platzte der Kragen. »Was wichtig ist und was nicht, überlässt du gefälligst uns. Du sollst die Wahrheit erzählen.

Dazu bist du hier. Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«

»Ich verstehe nicht, was daran so wichtig sein soll. Aber gut, wenn du’s genau wissen willst, das war jetzt im April.«

»Warum?«

»Weil ich wissen wollte, wie Enqvist auf meine Flucht reagiert hat und was er für Maßnahmen ergreift, um mich zu schnappen.

Außerdem wollte ich ihr einen Vorschlag machen. Während des halben Jahres in Dänemark habe ich viel Zeit zum Nachdenken gehabt, und so fragte ich sie, ob sie mit mir nach Kanada gehen 377

wollte. In gewisser Weise habe ich um ihre Hand angehalten.

Das war es, was ich vorhin nicht sagen wollte.«

»Ich verstehe …«, entgegnete Roffe mit mühsamer Beherrschung. »An welchem Tag hast du sie besucht?«

»Das … weiß ich nicht mehr genau. Hast du einen Kalender?«

Roffe gab ihm seinen Taschenkalender.

Axel studierte ihn eine Weile.

»Das muss der Zwanzigste gewesen sein, ein Donnerstag«, sagte er kurz darauf.

»Und während ihr über eure gemeinsame Zukunft gesprochen habt, seid ihr auch auf die Idee mit dem Brief gekommen, in dem steht, dass es sich bei der Leiche in der Jauchegrube wahrscheinlich um dich handelt?«

Axel schwieg. Mit provozierender Langsamkeit streckte er den Arm nach seiner Kaffeetasse aus und leerte sie.

»Na, wird’s bald?« Roffe konnte sich kaum noch beherrschen.

»Ja«, kam es widerwillig.

»Wie seid ihr auf diese glänzende Idee gekommen?«

»Es war eine Laune des Schicksals, die mir in die Hände spielte, und ein solches Glück musste ich einfach nutzen. In der Dagens Nyheter las ich zufällig, dass in einer Jauchegrube auf einem Bauernhof in der Nähe von Christiansholm eine Leiche gefunden wurde. Ich kaufte mir die Christiansholmsposten, um weitere Details zu erfahren. Ich traute meinen Augen nicht, als ich erfuhr, dass es sich bei dem Hof um Knigarp handelte, denn natürlich wusste ich ganz genau, wer in unmittelbarer Nachbarschaft von Knigarp wohnt. Außerdem stand in der Zeitung, die Leiche sei so zerfressen gewesen, dass man sie nicht habe identifizieren können. Plötzlich passte alles zusammen: Ich wollte verschwinden. Ich wollte, dass der Kreis aufhörte, nach mir zu fahnden. Außerdem war mir PM

nachweisbar auf den Fersen. Ja, er hat sogar gedroht, mich 378

umzubringen, und zwar im Oktober. Die Leiche sollte ungefähr ein halbes Jahr in der Grube gelegen haben, genauso lange, wie ich verschwunden war. Meine Adresse in Christiansholm hatte er von Marianne erfahren. Es passte wirklich alles perfekt zusammen.«

Roffes Augen blitzten streitlustig. »Und du hattest natürlich keine Bedenken, PM den Mord anzuhängen, nachdem du ihn vorher bereits betrogen hattest.«

»Ehrlich gesagt habe ich nie geglaubt, dass man ihn wirklich des Mordes verdächtigen würde. Es ließ sich ja nichts beweisen.

Und ich konnte es nur begrüßen, dass die Zeitungen schrieben, bei der Leiche handle es sich vermutlich um mich.«

»Hast du bei der Dagens Nyheter angerufen und ihnen den Tipp mit der ›in Kunstkreisen bekannten Persönlichkeit‹

gegeben?«, fragte Roffe.

»Ja, ich wollte eine Veröffentlichung erreichen, aber sie weigerten sich, irgendeinen Namen zu nennen.«

»Und was hast du getan, nachdem du Marianne dazu gebracht hattest, diesen Brief zu schreiben?«

»Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.«

»Was hat sie eigentlich zu deinem Angebot gesagt?«

»Die Sache ging ihr etwas zu schnell. Sie wollte aber in Erwägung ziehen, später nachzukommen, und das musste ich akzeptieren.«

Roffe warf ihm einen prüfenden Blick zu und entschloss sich zu einem riskanten Manöver: »Die Antwort dürfte dir gar nicht gefallen haben. Denn natürlich wusstest du, dass die Polizei sie wegen des Briefes verhören würde, und du wusstest auch, dass du dich nicht hundertprozentig auf sie verlassen konntest. Also hast du sicherheitshalber einen zweiten Brief geschrieben, ehe du sie ermordet hast.«

379

Axel stand die Bestürzung ins Gesicht geschrieben. Er starrte von Roffe zu Gudrun, als suche er bei ihr die Bestätigung, dass er sich nicht verhört hatte.

»Sie ist … tot?«, flüsterte er heiser.

»So tot, wie man nur sein kann«, entgegnete Roffe, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Ermordet von jemandem, der PM

auch diese Tat in die Schuhe schieben wollte.«

Axel Hemberg sah zweifellos erschüttert aus. Eben war er noch grau vor Müdigkeit gewesen, doch jetzt war alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Selbst seine Lippen waren kalkweiß.

»Das habe ich nicht gewusst«, murmelte er mit erstickter Stimme.

»Ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass noch jemand die brillante Idee hatte, PM zum Sündenbock zu machen? Am Tag vor Mariannes Ermordung bekam er nämlich einen Brief, der angeblich von ihr war. In diesem Brief drängte sie ihn, schon am nächsten Tag nach Stockholm zu kommen, und bot ihm an, ihn zu dir zu führen. Er biss an und machte sich sogleich auf den Weg. Natürlich öffnete ihm niemand die Tür, als er bei ihr klingelte. Später am Tag hat er sie dann tot in ihrem Bett gefunden, nachdem jemand so hilfsbereit war, die Wohnungstür angelehnt zu lassen.«

Axel hatte sich zusammengekrümmt, als sei ihm übel.

Keuchend presste er seine verschränkten Arme gegen den Bauch. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken, die Haare hingen ihm strähnig in die Stirn.

Auch Roffe verspürte einen Anflug von Übelkeit, der vermutlich auf seine krampfhafte Konzentration zurückzuführen war. Jeder Muskel war gespannt. Er spürte, dass sich selbst die Zehen in den Schuhen krümmten. Sein Herz hämmerte, und in den Schläfen machte sich ein zunehmender Kopfschmerz bemerkbar. Seine Intuition gab ihm eindeutige Signale, und aus 380

langer Berufserfahrung wusste er, dass ihn diese Signale in der Regel nicht trogen.

Doch was auch immer er von dem Mann hielt, der ihm gegenübersaß, es widerstrebte Roffe, ihn eines solch kaltblütigen Verbrechens zu verdächtigen. Seine Konzentration durfte jetzt nicht nachlassen. Eine geringfügige Unaufmerksamkeit, und der günstige Moment würde ihm entgleiten. Axel würde sich aus seinem Griff befreien und eine plausible Erklärung aus dem Hut zaubern. Roffe beugte sich ihm entgegen und betonte jede einzelne Silbe: »Ich will eine ehrliche Antwort auf meine Frage. Wann hast du Marianne Wester zum letzten Mal gesehen?«

Axel schien den Tränen nahe. »Das habe ich doch schon gesagt. Am zwanzigsten April war ich bei ihr. Seitdem … habe ich sie nicht mehr gesehen.«

»Das ist eine Lüge!«, stieß Roffe mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Dieser Brief, den ihr an die Polizei in Christiansholm geschrieben habt, wurde am Fünfundzwanzigsten zugestellt. Wer hat ihn eingeworfen?«

»Das wollte sie machen. Darauf hatten wir uns geeinigt. Ich dachte, sie würde ihn am selben Abend noch einwerfen.«

»Und der Brief an PM?«

»Welcher Brief?«

»Du weißt sehr genau, dass er einen Brief bekam, der angeblich von Marianne war, und zwar am vierundzwanzigsten April, einen Tag, bevor der andere Brief bei uns einging.«

Axel schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht«, sagte er tonlos.

Roffe spürte, dass er fast am Ziel war, und folgte einer spontanen Eingebung.

»Solltest du jetzt nicht gestehen, dass du es warst, der sie erschossen hat?«, fragte er leise.

381

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Axel hob den Kopf. In seinem Blick lag grenzenloses Erstaunen, doch im letzten Moment fasste er sich wieder.

»Die Pistole wurde in deiner Aktentasche gefunden«, sagte Roffe ruhig. »Obwohl eine genaue Untersuchung noch aussteht, sind meine Kollegen der festen Überzeugung, dass es sich um die Mordwaffe handelt.«

Axel fiel die Kinnlade herunter. Roffe hatte das Gefühl, als könne er den Tumult wahrnehmen, der darauf in Axels Kopf losbrach.

»Aber … sie wurde nicht erschossen«, flüsterte er.

Roffe beugte sich ihm noch weiter entgegen und legte eine Hand auf Axels Knie. Seine Stimme hatte einen fast hypnotischen Klang. »Wurde sie nicht? Woher weißt du das?«

Axels Augen irrten durch den Raum. Er sah aus wie ein gehetztes Tier, kurz bevor es zum Angriff übergeht.

»Das stand in der Zeitung«, sagte er brüsk.

Roffe ließ nicht locker. »In welcher?«

»Das weiß ich nicht mehr.«

»In der Zeitung hat nur gestanden, dass eine Frau um die dreißig ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden wurde. Name und Todesart wurden geheim gehalten. Die Frage ist also, woher du deine Informationen hast. Vor ein paar Minuten wusstest du noch nicht einmal, dass sie tot ist, und jetzt willst du durch die Zeitung davon erfahren haben. Deine Behauptungen sind äußerst widersprüchlich.«

Axels Gesicht verzerrte sich krampfhaft, ehe er es in den Händen verbarg. Er schien mit den Nerven am Ende.

»Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts. Kann ich nicht endlich meine Ruhe haben? Ich muss schlafen.«

382

Roffe zog das weinrote Etui aus seiner Jackentasche. Er öffnete es und präsentierte Axel den Inhalt, als wolle er ihm Konfekt anbieten.

»Mariannes Schmuck«, sagte er. »Der ist sicher ein kleines Vermögen wert. Wolltest du ihn in Kanada verkaufen?«

Axel warf einen verstohlenen Blick auf das Etui. »Der Schmuck gehört meiner Mutter.«

Roffe schüttelte den Kopf. »Gib’s auf, Axel. Es lässt sich sehr einfach beweisen, wem dieser Schmuck gehörte.«

»Sie bat mich, ihn zu verkaufen. Sie brauchte Bargeld.«

»Wer? Deine Mutter?«

»Marianne.«

»Wann hat sie dich darum gebeten?«

»Als wir uns das letzte Mal gesehen haben.«

»Wann war das?«

»Das habe ich schon gesagt.«

»Du bist wirklich ein harter Brocken«, sagte Roffe. »Aber das bin ich auch. Und du wirst so lange hier sitzen bleiben, bis du die Wahrheit sagst. Warum hast du sie umgebracht?«

Axel antwortete nicht. Er sah aus, als würde er seine Übelkeit nicht länger unterdrücken können.

»Ich … muss mich übergeben«, murmelte er und schaute sich suchend um, während er sich die Hand vor den Mund presste.

Roffe blickte ihn skeptisch an, doch als er sah, wie der andere zuckte, als werde er von Krämpfen geschüttelt, verständigte er sich mit Gudrun durch einen raschen Blick. Beide führten ihn auf die nächste Toilette.

Axel blieb keine andere Wahl, als sich vor den Augen seiner Begleiter zu übergeben. Weder Roffe noch Gudrun wichen von seiner Seite. Das Risiko einer Flucht war zwar minimal, doch wollten sie ihren psychologischen Vorteil auf keinen Fall aus 383

der Hand geben. Auf dem Rückweg ins Büro wimmerte Axel kläglich, und als er wieder auf seinem Stuhl saß, kam das Geständnis wie von selbst.

»Ich … habe ihr die Kehle durchgeschnitten. Es war schrecklich. Ich hätte nie geglaubt, dass ich zu so etwas imstande wäre. Es war, als würde ein anderer die Tat ausführen, und ich wäre der Zuschauer. Eigentlich … war es ganz einfach.

Sie hat tief geschlafen und sich nicht geregt.«

Axel wurde von heftigen Krämpfen erschüttert. Roffe verspürte ein sonderbares Gefühl der Mitschuld, diese makabre Erinnerung provoziert zu haben. Gudrun betrachtete den weinenden Mann mit Verwunderung, als versuche sie vergeblich, sich ein Bild von seiner Persönlichkeit zu machen.

Nach einer Weile fragte Roffe leise: »Warum? Um dich an PM

zu rächen, oder hattest du ein anderes Motiv?«

Axel hob den Kopf. Sein Blick wurde starr. »Sie verachtete mich.«

»Das … war der Grund?«

»Außerdem hat sie versucht, mich zu erpressen.«

Roffe sah auf die Uhr. Es war halb drei. Er warf Gudrun einen fragenden Blick zu. Sie nickte, als wolle sie sagen: Wenn du noch kannst, dann kann ich auch.

Roffe setzte sich in seinem Stuhl bequemer zurecht und sagte:

»Also noch mal alles der Reihe nach. An welchem Tag hast du sie besucht?«

»Das war am Freitag. Am Donnerstag war ich nach Schweden zurückgekehrt und habe am Abend den Zug nach Stockholm genommen.«

»Lass mich nachsehen …« Roffe zückte seinen Taschenkalender.

»Am Freitag, dem einundzwanzigsten April, hast du also Marianne Wester besucht?«

384

»Ja.«

»Hast du sie vorher angerufen oder bist du gleich zu ihr gefahren?«

»Ich habe sie vorher angerufen. Ich konnte ja schließlich nicht wissen, ob sie allein war.«

»Was habt ihr verabredet?«

»Dass ich sofort zu ihr in die Wohnung komme. Sie war allein zu Hause.«

»Du bist also zu ihr in die Wohnung. Und was ist dann passiert?«

Axel zögerte. »Wir haben eine Weile geredet. Ich habe ihr erzählt, dass ich in Dänemark war und weiter nach Kanada wollte.«

»Und dann hast du quasi um ihre Hand angehalten?«

Axel gab ein trauriges Lachen von sich. »Ja, gewissermaßen.

Ich habe sie gefragt, ob sie mitkommen möchte.«

»Was hat sie geantwortet?«

»Sie hat mich ausgelacht und gesagt, einem Waschlappen wie mir würde sie sich nicht im Traum anschließen. Sie hat noch andere Beleidigungen von sich gegeben.«

»War sie schon immer so hochmütig?«

»Nein, nicht in diesem Maß.«

»Was ist dann passiert?«

»Ich habe sie gebeten, ein paar Tage bei ihr wohnen zu dürfen, bis ich meine Geschäfte in Stockholm erledigt hätte. Darauf ist sie dann eingegangen, wenn auch ziemlich widerwillig.«

»Hattest du zu diesem Zeitpunkt schon geplant, sie zu ermorden?«

»Nein, absolut nicht. Daran habe ich keinen Gedanken verschwendet. Ich hoffte, sie würde mit der Zeit etwas entgegenkommender werden. Wir haben den ganzen Abend 385

über Gott und die Welt geredet, und bei dieser Gelegenheit hat sie mir auch erzählt, dass PM sie letzten Herbst aufgesucht hatte, um zu erfahren, wo ich mich aufhalte. Sie sagte, er sei außer sich vor Wut gewesen und habe sie massiv unter Druck gesetzt. Sie hat mir auch erzählt, was PM alles über mich gesagt hätte. Ich dachte, dass darin vielleicht auch der Grund lag, warum sie mir gegenüber so ablehnend war. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie mir, dass ich ein Dreckskerl und Betrüger sei. Es täte ihr Leid, dass PM mich nicht in die Finger gekriegt habe. Dann sagte sie lachend, wenn PM sie gefragt hätte, ob sie mit ihm nach Kanada oder bis ans Ende der Welt gehen wolle, hätte sie keine Sekunde gezögert. Sie hat mich bis aufs Blut provoziert.«

Axels Zustand hatte sich spürbar verändert. Die Tränen waren getrocknet, und seine Müdigkeit war wie weggeblasen. Mit gestrecktem Rücken saß er auf seinem Stuhl und schaute das Aufnahmegerät herausfordernd an. Es bestand kein Zweifel, dass er tief gedemütigt worden war. Roffe brauchte ihn zum Weitersprechen nicht aufzufordern.

»Später am Abend habe ich dann die Notiz in der Dagens Nyheter von der Leiche in der Jauchegrube gelesen. Ich habe sofort mit dem Gedanken gespielt, dass ich mich als diese Leiche ausgeben könnte. Am nächsten Tag habe ich mir die Christiansholmsposten besorgt und erfuhr, dass es sich bei dem Bauernhof um Knigarp handelte. Ich betrachtete das als Wink des Schicksals. Erst in diesem Moment fasste ich wirklich den Entschluss, meinen eigenen Tod zu arrangieren. Ich hatte die Bilder deutlich vor Augen: wie PM mich in Christiansholm ausfindig machte … wie er versehentlich zu hart zuschlug … so was kommt vor. Sein aufbrausendes Temperament ist ja weithin bekannt.« Axel gluckste amüsiert.

»Alles schien so logisch und einfach. Wie PM panisch versuchte, die Leiche im Kofferraum loszuwerden … ziellos durch die Gegend fuhr … in diesem kleinen, albernen Auto 386

seiner Frau … mitten in der Nacht. Wie er die Leiche schließlich aus lauter Verzweiflung in die Jauchegrube seines Nachbarn warf. Genauso hätte sich alles zutragen können, wenn er mich in die Finger gekriegt hätte. Doch auf den Gedanken, ihn zum Doppelmörder zu machen, kam ich erst an einem Abend, an dem Marianne ausgegangen war. Sie hatte anscheinend eine Vorliebe für Männer, die sie hart anfassten, und da bot sich der cholerische PM als Mörder doch fabelhaft an. Die Frage war nur, warum er sie umbrachte und bei welcher Gelegenheit …

aber dieses Problem konnte ich lösen. Ich hatte mir alles perfekt zurechtgelegt. Auf Mariannes Schreibmaschine schrieb ich beide Briefe. Den Brief an PM warf ich noch am selben Abend ein. Ich kannte ihn gut genug, um sicher zu sein, dass er anbeißen würde. Es war, als würde man einen Film inszenieren

… Es war ein berauschendes Gefühl der Macht.«

»Du musst PM wirklich hassen«, sagte Roffe.

Axel nickte lächelnd. »Seit der Schule«, bestätigte er und fuhr fort: »Am Sonntag wollte Marianne mich loswerden. Ich hatte aber vor, mindestens bis Dienstag in der Stadt zu bleiben, und es kostete mich viel Überredungskunst, sie dazu zu bewegen, dass ich noch zwei Tage bleiben durfte. Da kam sie plötzlich auf die schwachsinnige Idee, mich erpressen zu wollen. Sie forderte zwanzigtausend Kronen, wenn ich bis Dienstag bleiben wolle.

Sie glaubte nämlich, dass ich haufenweise Geld hätte. Als ich darauf einging, war sie immer noch nicht zufrieden und forderte einen halben Tag später eine halbe Million, ansonsten würde sie mich Enqvist ans Messer liefern. Sie scheint wirklich nicht viel von mir gehalten zu haben. Ich tat so, als sei ich am Boden zerstört, und ging zum Schein darauf ein, ihr am Dienstag die halbe Million zu geben. Da sie nicht so lange warten wollte, erzählte ich ihr, es gebe ein paar Schwierigkeiten mit der Bank und vor Dienstagmorgen sei an das Geld beim besten Willen nicht heranzukommen. Im Grunde war es gut, dass sie ihre hemmungslose Gier so deutlich zeigte, das machte es leichter 387

für mich. Am Montag warf ich den Brief ans Polizeipräsidium in Christiansholm ein und kaufte mir ein erstklassiges Tranchiermesser. Die Messer in ihrer Küche waren alle nicht scharf genug. Am Dienstagmorgen stand ich um acht Uhr auf.

Marianne hatte eine starke Dosis Schlaftabletten genommen, damit sie mindestens bis mittags durchschlafen würde. Ich hatte also Zeit genug, um meine Vorbereitungen zu treffen. Ich durchkämmte methodisch die ganze Wohnung und beseitigte alle Spuren, die ich hinterlassen haben könnte. Ihr Schlafzimmer konnte ich außer Acht lassen, da ich dort ohnehin keinen Zutritt hatte. Es gab einen einzigen unsicheren Faktor in meiner Rechnung: Ich wusste nicht, wann PM auftauchen würde. Aber ich war mir so gut wie sicher, dass er im Lauf des Dienstags kommen würde. Schließlich hatte ich ihn in dem Brief zu allergrößter Eile aufgefordert. Aber natürlich wusste ich nicht, um welche Uhrzeit. Einerseits wollte ich nicht warten, bis Marianne aufwacht; andererseits war es wichtig, sie zu töten, wenn PM vor Ort war. Ich überlegte hin und her. Um zirka halb elf verlor ich die Geduld. Ich zog meine Kleider aus, um nicht zu riskieren, dass sie mit Blut bespritzt würden, und schlich mich ins Schlafzimmer. Als ich mit dem Messer vor ihrem Bett stand und versuchte, meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen, klingelte es an der Tür. Vor Schreck wäre mir beinahe das Messer aus der Hand gefallen. Aber ich besann mich rasch und begriff, dass der ideale Zeitpunkt gekommen war, sollte es sich um PM handeln. Wenn ich noch länger gewartete hätte, wäre Marianne vielleicht aufgewacht, weil der Idiot seinen Finger nicht mehr von der Klingel nahm. Also habe ich es getan … Es dauerte nur wenige Minuten, dann war alles vorbei. Und während der ganzen Zeit hämmerte der Schwachkopf gegen die Tür, als ob das was bringen würde …«

»Und du bist sicher, dass auch wirklich PM vor der Tür stand?«

388

»Ja, ich bin zur Tür geschlichen und habe durch den Spion geschaut. Er sah genauso dumm und wütend aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.«

»Und dann?«

»Ich konnte nichts tun, solange er draußen so ein Theater machte. Obwohl ich vorsichtig gewesen war, hatte ich Blutflecken am ganzen Körper. Einige wischte ich an ihrem Laken ab, aber ich musste duschen, ehe ich mich anzog, und natürlich auch das Messer säubern. Ich war mir sicher, dass PM

nach draußen gehen würde, um sie anzurufen, und das tat er dann auch, sogar mehrere Male. Ich duschte in der Zwischenzeit. Durch eines der Fenster sah ich, wie er unten auf einer Bank saß und den Eingang im Auge behielt. Ich durchsuchte Mariannes Sachen und fand ihren Schmuck. Den wollte ich in Kanada verkaufen. Als ich gegen halb zwei beobachtete, wie PM den Stureplan hinunterspazierte, nutzte ich die Gelegenheit und verschwand.«

»Und die Tür hast du angelehnt gelassen?«

»Ja, das ist richtig. Ich wollte ihm Gelegenheit geben, sie zu finden und seine Fingerabdrücke in der Wohnung zu hinterlassen.«

»Was hast du dann gemacht?«

»Ich mietete mir ein Auto und fuhr nach Norrköping, um meine Schulden einzutreiben.«

»Was hast du während der gesamten drei Wochen noch unternommen?«

Axels schien wieder missmutiger zu werden. »Im Großen und Ganzen habe ich nichts anderes getan, als mein Geld einzutreiben. Ich besaß eine Liste meiner Schuldner und habe sie der Reihe nach abgeklappert, je nachdem, welche Zahlung als Nächstes fällig wurde.

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Ich bin also viel mit dem Auto durch die Gegend gefahren, und wenn ich mal ein bisschen Zeit hatte, habe ich versucht, an irgendeinem entlegenen Ort ein wenig zur Ruhe zu kommen.«

Eine Zeit lang schaute Roffe ihn schweigend an, bevor er fragte: »Und wo wärst du jetzt, wenn du nicht Enqvists Männern in die Arme gelaufen wärst?«

Diese Frage machte den letzten Rest seines vermeintlichen Triumphs zunichte. Ein Ausdruck hoffnungsloser Verzweiflung huschte über sein Gesicht. Er sank zusammen und murmelte:

»In Kopenhagen, nehme ich an. Ich wollte dort noch ein paar Geschäfte abwickeln und danach für immer aus Europa verschwinden.«

Roffe rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen. Es war kurz vor vier. Er sah Gudrun an, dass auch sie gegen die Müdigkeit anzukämpfen hatte. Er selbst spürte die Erschöpfung in allen Gliedern.

»Wir machen Schluss für heute«, sagte er, stand auf und streckte sich. Gudrun schaltete das Aufnahmegerät aus. Die Erleichterung war ihr deutlich anzusehen.

Axel, der regungslos vor sich hin starrte, hatte offenbar jede Lust verloren, auch nur noch ein einziges Wort zu sagen.

Als Gudrun bei der Zentrale anrief, um zwei Beamte anzufordern, die Axel zu seinem Schlafplatz bringen würden, zuckte dieser plötzlich zusammen und blickte Roffe ängstlich an.

»Es versteht sich doch von selbst, dass einiges, was ich gesagt habe, unbedingt geheim bleiben muss.«

»Was meinst du?«

»Das, was ich über den Kreis berichtet habe. Davon darf nichts an die Öffentlichkeit dringen, ich meine, bei einer Gerichtsverhandlung. Ihr müsst mich schützen.«

390

»Darüber können wir uns später noch unterhalten«, sagte Roffe ausweichend.

Doch Axel wollte sich nicht abwimmeln lassen.

»Über den Kreis hätte ich nie etwas sagen dürfen, aber ich war so geschockt und verwirrt, dass alles einfach aus mir herausbrach.

So was kann sich bitter rächen … nicht dass ich so viel wüsste

… aber von den Mitgliedern des Kreises wird absolutes Stillschweigen verlangt. Ich werde mich niemals sicher fühlen können. Du weißt ja nicht, wie viel Macht sie haben … sogar in den Gefängnissen … wenn sie wollen, kriegen sie dich überall.«

In seinem Eifer hatte er Roffes Jackettärmel gepackt. »Du musst mir versprechen, dass ich geschützt werde …«

Roffe löste behutsam Axels Griff. »Aber natürlich wirst du geschützt, und du sagst doch selbst, dass du nicht viel über den Kreis erzählen kannst. Außerdem haben wir Enqvist und seine beiden Gorillas geschnappt.«

»Aber du fährst doch morgen nach Christiansholm zurück.

Wie kann ich sicher sein, dass die Beamten hier wissen, wie sensibel dieser Fall ist? Ich werde beantragen, dass der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.«

»Das kannst du gern tun, aber vermutlich wird dein Antrag abgelehnt werden, und das aus gutem Grund. Überleg doch mal: Wenn der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, wird der Kreis sich umso mehr fragen, was du hinter geschlossenen Türen so alles ausplauderst.«

Axel, dem die Stichhaltigkeit dieses Arguments einleuchtete, erbleichte. Als er zu einer Erwiderung ansetzen wollte, betraten zwei Beamte den Raum, um ihn abzuholen.

Als Gudrun mit Roffe im Aufzug stand, fragte sie ihn: »Wo schläfst du heute Nacht?«

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»In Bromma. Anita hat mir versprochen, das Gästezimmer für mich bereitzuhalten, aber sie konnte natürlich nicht ahnen, dass ich um fünf Uhr morgens nach Hause kommen würde. Als wir noch verheiratet waren, hat sie solche Überraschungen gehasst.

Ich werde sie also daran erinnern, was ihr mittlerweile entgeht.

Was hält Åke davon, wenn du um diese Zeit nach Hause kommst?«

»Ach, der glaubt bestimmt, ich hätte an einer Sexorgie teilgenommen. Er ist krankhaft eifersüchtig.«

»Wie hältst du das nur aus?«

»Am nächsten Tag bereut er sein Verhalten immer und entschuldigt sich dafür. Wenn du nach Bromma willst, können wir zusammen ein Taxi nehmen. Wir lassen dich dann unterwegs raus.«

Draußen begann es zu dämmern.

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31

Montag, 22. Mai

Katharina lag im Bett und betrachtete nachdenklich das Profil ihres schlafendes Ehemanns. Die lästige Fliege, die sie geweckt hatte, umschwirrte inzwischen Patriks Gesicht. Summend ließ sie sich auf seiner Nase nieder und wurde im nächsten Moment von einer irritierten Grimasse verscheucht. Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis auch er aufwachte.

Ein goldener Sonnenstrahl drang durch den Vorhangspalt und durchschnitt wie eine winzige Milchstraße, in der Millionen von Staubpartikeln tanzten, das weiche Dunkel des Raumes.

Sie streckte sich wohlig und zog träge die Möglichkeit in Erwägung, das Bett zu verlassen. Nicht dass sie etwas vorhätte.

Sie hätte ebenso gut wieder einschlafen können. Sie sah drei Wochen entgegen, in denen sie tun und lassen konnte, was sie wollte. Na ja, im Großen und Ganzen zumindest. Für Mittwoch hatten Marika und Daniel ihren Besuch angekündigt, und obwohl sie sich unbändig darauf freute, erforderte er doch gewisse Vorbereitungen, angefangen beim Aufräumen bis zum Einkaufen der Zutaten für verschiedene Lieblingsgerichte.

Plötzlich hatte sie ein Bild von Marika vor Augen, wie sie als kleines Mädchen neben ihr in der Küche stand und eifrig beim Abtrocknen des Geschirrs half. Eine Erinnerung, die in Katharina eine Woge des Glücks auslöste, die alle Sorgen für einen Moment hinwegspülte und in einem stillen Lächeln ihren Ausdruck fand. Es folgte ein zweites Bild, das weniger deutlich, doch unschwer zu entschlüsseln war. Marika und sie bei einem Spaziergang an dem im Sonnenlicht funkelnden See, in intensivem Gespräch, das nur durch gelegentliches Blumenpflücken unterbrochen wurde. Es gab Katharina einen Stich, als sie begriff, dass die kleine Marika, die vor ihr 393

zwischen den warmen Baumstämmen hindurchlief, kaum älter als fünf Jahre alt war.

Hatte sie ihn also wieder mal betreten, diesen wehmütigen inneren Raum ihrer Seele, in dem beglückende und bittere Erinnerungen so nah beieinander lagen. Sollte ihre achtzehnjährige Tochter heute auf die Idee kommen, einen Spaziergang am See zu machen, würde sie sich nicht ihre Mutter, sondern Daniel als Begleiter aussuchen, was nicht nur verständlich, sondern vollkommen natürlich war. Nach diesem Gedanken verstrickte sich Katharina einmal mehr in einen inneren Kampf, der letztlich in eine tröstliche Einsicht mündete, die ihr nicht neu war.

Unwillkürlich sprach sie es aus, während sie an die Decke blickte: »Die Befreiung ist wechselseitig.«

Patrik regte sich.

»Was sagst du?«, murmelte er.

»Die Befreiung ist wechselseitig.«

»Was?«

Katharina streckte den Arm aus und verscheuchte die Fliege auf seinem Bart. Sie strich ihm flüchtig über die Stirn und sagte:

»Ach, nichts. Ich habe an Marika gedacht.«

Patrik nahm ihre Hand und führte sie über seine weichen Lippen. Er öffnete ein Auge und sah sie an. Sie lächelte ihm zu, und zum ersten Mal seit langem tat sie es ohne Vorbehalte. Sie wunderte sich selbst über ihre Innigkeit, und als wolle sie prüfen, ob diese Bestand hatte, gab sie dem spontanen Impuls nach, seinen unwiderstehlich sinnlichen Mund zu küssen.

Danach kam es, wie es kommen musste. Er zog sie rasch unter seine Decke, und für die nächste halbe Stunde versanken sie vollkommen in ihrer Leidenschaft und dem erlösenden Gefühl, sich nach einer leidgeprüften Zeit endlich wiedergefunden zu haben. Dann schliefen sie eng umschlungen wieder ein.

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Sie erwachten beide durch das Klingeln des Telefons in der Diele, machten jedoch keine Anstalten, an den Apparat zu gehen. Als das Klingeln verstummt war, sagte Katharina: »Was für ein wunderbares Gefühl!«

»Was? Nicht ans Telefon gehen zu müssen?«

»Nein, dass endlich alles vorbei ist. Dass man keine Angst mehr vor schlechten Nachrichten haben muss, wenn das Telefon läutet. Jetzt bin ich wieder mit einem unbescholtenen Mann verheiratet, der nicht unter Mordverdacht steht. Du ahnst ja nicht, wie beglückend das ist. Ehe dieser absurde Albtraum begann, habe ich vieles als selbstverständlich betrachtet. Jetzt sehe ich diesen Zustand als Gnade des Schicksals an. Es ist so befreiend zu wissen, dass nicht irgendwelche Polizisten in Stockholm gegen dich ermitteln und sich die Köpfe zerbrechen, wie sie dich hinter Schloss und Riegel bringen können.«

»Und keine gestörten Nachbarn mehr, die sich an der Frau des Hauses vergreifen …«

»Marco, oh Gott, ja …« Sie schauderte. »Es war wirklich eine Heimsuchung nach der anderen. Ich hoffe, Annika hat inzwischen erfahren, dass Marco für lange Zeit hinter Gittern sitzt, damit sie sich endlich wieder unbedroht fühlt. Als seine Ehefrau muss sie doch darüber informiert werden. Die Frage ist nur, ob sie Annika ausfindig gemacht haben.«

Sie sah, dass plötzlich ein Schatten über sein Gesicht huschte.

»Denkst du wieder an Axel?«

»Ja.«

»Tut er dir immer noch Leid?«

»Ja, irgendwie schon. Ich werde einfach nicht schlau aus ihm.

Er scheint mich wirklich zu hassen. Ich habe mir immer eingebildet, für solche Signale empfänglich zu sein, aber ich habe nie etwas bemerkt. Dachte immer, er wäre für solche Empfindungen viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.«

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Sie fuhr mit den Fingern durch seine dichte Brustbehaarung und kniff sanft in eine Brustwarze.

»Du unterschätzt immer die Tiefe und Komplexität anderer Menschen. Das kommt daher, dass du ein so naives und egozentrisches Wesen bist und zwangsläufig davon ausgehst, dass alle interessanten Gefühle und Gedanken ausschließlich deinem reichen Seelenleben entspringen.«

»Nicht alle. Hin und wieder habe ich auch bei dir interessante Gedanken und Gefühle festgestellt.«

»Ach wirklich?«

»Aber meine eigene Reaktion auf Axels Verhalten verblüfft mich. Als ich noch glaubte, er habe mich nur um mein Geld betrogen, war ich rasend vor Wut und hätte alles darum gegeben, ihn zu erwischen. Doch seit ich weiß, dass er mir mit zynischem Kalkül zwei Morde in die Schuhe schieben wollte und eine Frau kaltblütig getötet hat, empfinde ich eine lähmende Ratlosigkeit und sogar etwas Mitleid.«

»Das ist doch ganz natürlich«, entgegnete Katharina. »Er ist überführt und muss jetzt die bitteren Konsequenzen tragen. Du bist rehabilitiert, deine Integrität ist feierlich wiederhergestellt, und vermutlich bekommst du sogar dein Geld. Da kannst du dir deine edlen Gefühle natürlich auch leisten. Ist dir eigentlich nie in den Sinn gekommen, dass er deine tiefe Verachtung gespürt hat?«

»Meine tiefe Verachtung?«

»Herrgott, du bist aber wirklich naiv! Mir, aber auch anderen gegenüber hast du nie einen Hehl aus deiner Geringschätzung gemacht, deren Ursprung wohl in Schulzeiten lag. Ich kann das verstehen, ich konnte ihn auch nie leiden, aber du hast dir auch nie Mühe gegeben, deine Antipathien gegen ihn zu verbergen.

Hast ihm gegenüber immer eine arrogante Attitüde eingenommen, als könne er sich glücklich schätzen, dir helfen 396

zu dürfen. Vielleicht sollte man mit niemandem, den man verachtet, eine so enge Verbindung eingehen.«

»Willst du mir etwa sagen, dass ich selbst schuld bin?«

»Ist nicht alles, was uns widerfährt, in gewissem Sinne eine Folge unseres eigenen Verhaltens?«

»Vermutlich. Doch was mich am meisten wundert, ist, dass du schon an dem Tag, an dem die Leiche auf Knigarp gefunden wurde, von bösen Ahnungen erfüllt warst.«

»Jetzt übertreibst du aber.«

»Du hast es vor ein paar Wochen selbst gesagt.«

»Hab ich das? Vor ein paar Wochen habe ich so vieles gesagt.

Aber ich gebe zu, dass ich irgendwie ein mulmiges Gefühl hatte.«

»Und was sagt dir dein Gefühl jetzt?«

»Jetzt ist doch alles vorbei.«

»Meinst du? Ein Mord ist immer noch unaufgeklärt, sogar zwei Morde, wenn man den Eber mit hinzuzählt. Bis jetzt ist jedenfalls nicht geklärt worden, warum ihn jemand ins Jenseits befördert hat.«

»Meinetwegen, aber uns können sie da nicht reinziehen.

Außerdem zweifelt ja wohl niemand daran, dass Marco den Eber auf dem Gewissen hat. Und was die Leiche in der Jauchegrube betrifft, hast du doch selbst gehört, was Roffe neulich gesagt hat. Dieser Fall wird wohl unaufgeklärt bleiben.

Er und Wagnhärad neigen immer mehr zu der Auffassung, dass Nisse Recht hatte. Es war der arme Pole, den er gefunden hat.

Alter und Größe kommen jedenfalls hin. Allerdings können sie nicht das Geringste beweisen, also bleibt Sandström auf freiem Fuß.«

»Was denkst du jetzt über Nygren?«

»Der tut mir aufrichtig Leid. Er hat ja auch wirklich Pech gehabt. Zuerst der Leichenfund und dann die Sache mit Marco.

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Ich habe ihn vor ein paar Tagen getroffen, er sah ziemlich niedergeschlagen aus.«

»Dabei ist Nygren der letzte Mensch, den ich mir niedergeschlagen vorstellen kann. Hat er was gesagt?«

»Nein, warum hätte er das tun sollen? Von meinem Vorfall mit Marco weiß er wahrscheinlich nichts, und vermutlich geht er davon aus, dass niemand hier in der Gegend etwas von Marcos kriminellen Tätigkeiten in Mjölby ahnt.«

»Nisse weiß seit seinem Verhör Bescheid.«

»Nygren wird ihn zu absolutem Stillschweigen verdonnert haben. Würde mich aber trotzdem nicht wundern, wenn schon ganz Äsperöd über die Sache spricht. Das muss für Nisse ein persönlicher Triumph gewesen sein, als die Polizei zu ihm kam, um Informationen über Marco einzuholen.«

»Wenn er jetzt auch noch erfährt, dass die Polizei ebenfalls davon ausgeht, dass es der Pole war, der in der Grube gelandet ist, wird er vor Freude überschnappen. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass Roffe kein Wort mehr über Nygren verliert?

Sobald man auf ihn zu sprechen kommt, wechselt er das Thema.«

»Vielleicht bereut er, dass er uns damals ins Vertrauen gezogen hat. So was sollte einem erfahrenen Polizisten eigentlich nicht passieren. Aber jetzt ist es nun mal passiert, und ich habe viel darüber nachgedacht. Willst du hören, worauf ich gekommen bin?«

»Aber klar.«

»Roffe sagte doch damals, dass er um nähere Informationen ersuchen wollte. Und ich glaube, das hat er auch getan. Er hat noch mal Kontakt zur Reichspolizei aufgenommen, ihnen vom Stand seiner Ermittlungen berichtet und wohl auch ein paar Details zu Nygrens Vita erfahren. Ich kann mir vorstellen, dass seinen Kollegen in Stockholm überhaupt nicht gefallen hat, was Roffe über Nygrens Vorarbeiter zu berichten hatte. Vielleicht 398

fürchteten sie, dass Nygrens Schutz nicht mehr gewährleistet war. Jedenfalls ist Marco doch erstaunlich schnell aus dem Verkehr gezogen worden.«

»Meinst du etwa, dass die Polizei den Kokainfund arrangiert hat?«

»Vielleicht nicht gerade das Präsidium in Christiansholm, aber möglicherweise irgendwelche Spezialkräfte vor Ort.«

Patrik vergrub lachend das Gesicht in ihren Haaren.

»Du bist wirklich zu clever für mich. Aber wie haben sie Marco deiner Meinung nach dazu gebracht, zu der ausgewählten Adresse in Mjölby zu fahren?«

»Das ist doch ganz einfach. Sie brauchten ihm nur einen Tipp zu geben, dass Annika dort möglicherweise zu finden ist. Ein halbes Kilo Kokain in seinem Auto zu verstecken, ist ja ein Kinderspiel.«

»Hat Roffe irgendwas gesagt, das dich zu dieser Theorie veranlasst hat?«

»Überhaupt nicht. Er schweigt wie ein Grab. Ich habe nur zwei und zwei zusammengezählt.«

Patrik hob die Augenbrauen und sagte nachdenklich: »Es wäre zu schön, wenn Nygren ebenfalls von der Bildfläche verschwinden würde. Selbst ein Schwachkopf wie Sandström ist mir als Nachbar immer noch lieber als ein dubioser Geheimagent. Ich beginne mich nach Ruhe und Frieden zu sehnen.«

»Sei nicht zu hart. Nygren hat uns doch nie etwas getan. Und vielleicht wird aus ihm mit der Zeit sogar noch ein richtiger Bauer.«

»Meinst du wirklich, wir haben ihn durchschaut?«

»Nein, das meine ich nicht. Er ist mir immer noch ein völliges Rätsel. Ob Spion oder nicht, sein Auftreten, besonders Marco gegenüber, wirft doch viele Fragen auf. Und wir wissen nur, 399

dass er nicht derjenige ist, der er zu sein vorgibt. Wenn er nur nicht so verschlossen wäre, hätte ich große Lust, den Kontakt zu ihm zu vertiefen.«

Patrik blickte sie missbilligend an. »Ich hoffe, dass du das sein lässt. Je weniger wir mit ihm zu tun haben, desto besser.«

Katharina lachte. »Was ist denn in dich gefahren? So vorsichtig kenne ich dich ja gar nicht.«

»Denk dran, was mit Leuten passiert, die ihm zur Last fallen.

Ich finde, wir sollten ihn weiter als einen simplen Schweinebauern betrachten. Das ist schließlich das, was er und die Polizei in Stockholm wollen.«

»Hat dich meine Theorie mit Marco wirklich so erschreckt?

Die lassen doch kein Sonderkommando ausrücken, nur weil die Nachbarin ein bisschen neugierig wird.«

»Maßlose Neugier ist eines deiner größten Laster. Und seine Laster sollte man kontrollieren, wie du weißt.«

Katharina biss ihn ins Ohr. »Das musst du gerade sagen.«

Er zog sie an sich. »Weißt du, was ich glaube?«, murmelte er zärtlich.

Katarina entzog sich ihm. »Ja, das weiß ich, aber jetzt will ich aufstehen. Ich bin hungrig.«

Seine Augen glitzerten. »Ich glaube, dass Lady Pamela heute Nacht ihre Jungen zur Welt gebracht hat.«

»Warum glaubst du das?«

»Als erfahrener Katzenbesitzer verstehe ich gewisse Signale zu deuten. Als ich heute Nacht aus dem Atelier kam, war sie sehr unruhig.«

Katharina war mit einem Satz aus dem Bett. »Wie viele, glaubst du?«

»Ich tippe auf vier.«

Katharina suchte nach ihren Hausschuhen.

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»Ich tippe auf zwei«, sagte sie optimistisch. »Sie ist ja schließlich nicht mehr die Jüngste. Ich habe gehört, dass ältere Katzen nur noch wenige Junge bekommen.«

Patrik schwang die Beine über die Bettkante. »Dann lass uns nachsehen.«

Sie schlichen sich zu der Pappkiste, die in einer abgeschiedenen Ecke des Ateliers stand, und beugten sich vorsichtig darüber.

Lady Pamela lag tatsächlich dort und schleckte an etwas, das auf den ersten Blick aussah wie kleine Lederwülste. Doch im nächsten Moment begannen sie sich zu regen und erstaunlich schrille Pieptöne von sich zu geben.

»Du hattest Recht«, sagte Patrik. »Es sind nur zwei.«

»Nein, es sind drei«, entgegnete Katharina. »Schau, dort unten guckt noch ein Schwänzchen raus.«

»Sie sehen ganz schön schwarz aus. Scheint diesmal ein dunkelhaariger Kater gewesen zu sein.«

Sie streichelten der frisch gebackenen Mutter abwechselnd über den Rücken und übertrafen einander an höflichen Komplimenten für ihre hübschen Kinder. Das sonnendurchflutete Atelier atmete Ruhe und Frieden.

Patrik sagte: »Wir müssen ihr heute etwas besonders Gutes zu fressen geben. Haben wir noch irgendwas zu Hause?«

»Nein, nichts Besonderes, aber ich werde später zu Astrid fahren und etwas besorgen.«

Als Katharina den Dorfladen erreichte, stand Astrid Enoksson auf der Türschwelle und führte ein lebhaftes Gespräch mit Erik Jespersson. Jespersson war ein pensionierter Tischler und eine der zuverlässigen Stützen der Missionskirche in Äsperöd.

Katharina parkte auf der leeren Kiesfläche vor dem Geschäft und stieg aus dem Wagen.

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Jespersson nickte ihr freundlich zu und stapfte davon, während Astrid ihr bereitwillig die Tür aufhielt.

»Was für eine nette Überraschung«, sagte sie ohne eine Spur von Ironie. Katharina wusste nur zu gut, wie lange es her war, dass sie Astrid einen Besuch abgestattet hatte.

»Ja, ich habe so viel zu tun gehabt in letzter Zeit«, sagte sie und verfluchte sich, weil sie es einfach nicht lassen konnte, sich zu entschuldigen.

Um die Situation zu retten, fügte sie hinzu: »Aber jetzt habe ich Ferien und kann tun und lassen, was mir gefällt.«

»Ja, man braucht schon mal Urlaub zwischendurch«, entgegnete Astrid, »sonst ist das Leben doch allzu eintönig. Ich werde mir im Juli frei nehmen. Aber ich fahre nicht in Urlaub, sondern werde Anna mit den Kindern helfen.«

Katharina ließ ihren Blick über die Regale schweifen, um Ideen für ihren Einkauf zu bekommen.

»Patrik hat mir erzählt, dass Anna noch einen Sohn bekommen hat. Dann haben Sie jetzt zwei Enkel. Wie schön für Sie.«

Astrid seufzte leise und sah mit einem Mal ein wenig betrübt aus. »Ja, natürlich ist es eine große Freude, aber zwei so kleine Racker sind doch ganz schön anstrengend, gerade in meinem Alter. Der größere freut sich so sehr, wenn ich zu Besuch komme, und ist dann so aufgedreht, dass an Schlafen überhaupt nicht zu denken ist.«

Katharina tätschelte ihr lachend die Hand. »Natürlich ist er begeistert, wenn Sie kommen. So eine Oma hat doch schließlich nicht jeder. Übrigens haben auch wir heute Familienzuwachs bekommen. Drei Stück sogar …«

»Drei Stück? Aber das ist ja …«

Astrids Augen weiteten sich verwundert und waren von einem sensationslüsternen Schimmer erfüllt.

»Kleine Kätzchen«, fügte Katharina rasch hinzu.

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»Ach so, Kätzchen«, sagte Astrid enttäuscht. »Von denen wimmelt es ja überall.«

»Obwohl unsere natürlich etwas ganz Besonderes sind«, sagte Katharina. »Ich wollte Sie fragen, ob Sie etwas Leckeres für eine frisch gebackene Katzenmama haben, vielleicht Herz?«

Astrid warf einen eingehenden Blick in ihre Gefriertruhe. »Ich habe gefrorenes Schweineherz.«

»Ausgezeichnet, das nehme ich.«

Astrid richtete sich auf und legte das Schweineherz auf die Ladentheke.

»Sie haben doch sicher schon von Nisse gehört?«, sagte sie mit plötzlichem Ernst.

»Nein, was sollte ich gehört haben?«

»Er hat sich gestern schwer verletzt. War wahrscheinlich wieder mal betrunken. Wieso kann er sich mit dem Alkohol auch nicht ein bisschen zurückhalten?«

Jetzt war es an Katharina, ein erstauntes Gesicht zu machen.

»Was ist denn passiert? Ich habe noch gar nichts davon erfahren.«

»Er ist die Kellertreppe runtergefallen. Wollte wohl irgendwas von unten holen. Er war nicht in der Lage, selbst aufzustehen, der Arme, und gehört hat ihn auch niemand. Er hat mehrere Stunden gerufen, bis Erik Jespersson zufällig vorbeikam. Er konnte ein Bein nicht bewegen, und einen Schlag auf den Kopf hat er auch gekriegt. Erik hat ihn zur Unfallambulanz gefahren, wo sie den Schock ihres Lebens bekommen haben. So eine verdreckte Gestalt hatten die noch nie gesehen. Erik hat gesagt, dass es ihm richtig peinlich war, weil sie dachten, er wäre mit Nisse verwandt.«

»Wie geht’s ihm denn jetzt?«

»Es scheint nichts gebrochen zu sein, aber eine Zeit lang wird er wohl nicht arbeiten können.«

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»Wer kümmert sich um ihn?«

»Erik war gerade bei ihm, bevor er hierher kam. Aber Sie wissen ja, wie Nisse ist. Er will niemanden sehen. Selbst Erik hat er anfangs nicht ins Haus lassen wollen. Da kann ich mir die Mühe gleich sparen, ihn zu besuchen.«

»Wissen Sie, ob Nygren schon informiert wurde?«

»Wenn, dann müsste es Erik getan haben, aber das glaube ich nicht. Er hat auch nichts davon gesagt.«

Katharina legte das Schweineherz in die Tiefkühltruhe zurück.

»Ich fahre erst mal zu Nisse und frage ihn, ob er etwas braucht«, sagte sie und war bereits auf dem Weg zum Ausgang.

»Ich komme später zurück«, rief sie über die Schulter.

Trotz ihres beharrlichen Klopfens blieb Nisses Haustür geschlossen. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass sie ordentlich verriegelt war, ging sie um das von Brennnesseln umwucherte Haus herum, was mit ihren nackten Beinen kein leichtes Unterfangen war. Auf der Rückseite stand ein Fenster offen. Sie zögerte, denn es schien kein Zweifel zu bestehen, dass er in Ruhe gelassen werden wollte. Wie sehr durfte man einem anderen Menschen seine Hilfsbereitschaft aufdrängen? In diesem Fall durfte man, entschied sie und lehnte sich über die Fensterbrüstung.

»Nisse? Ich bin’s, Katharina!«

Sie zuckte zusammen und stieß einen unterdrückten Laut aus, als sie Nisse im Zwielicht direkt unter sich auf seiner Küchenbank liegen sah. Er drehte ruckartig den Kopf, womöglich noch erschrockener als sie. Die Hälfte seines Gesichts war blau verfärbt. Quer über der Stirn klebte ein großes Pflaster. Katharina kam nicht umhin, für einen Moment die gesamte Szenerie auf sich wirken zu lassen – den Gestank, die 404

Unordnung … –, und musste sich zusammenreißen, um sich nicht im Anblick von Nisses origineller Küche zu verlieren.

»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte sie hastig und sah in diesem Moment, dass eines seiner Beine verbunden war. »Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich von Astrid Enoksson hörte, dass du dich verletzt hast. Wie geht’s dir?«

Nisse schwankte offenbar zwischen dem Drang, sie zur Hölle zu wünschen, und seinem Wunsch, ihr gutes Verhältnis nicht zu gefährden. Er entschied sich für einen Kompromiss und antwortete gereizt: »Wie soll man sich eigentlich erholen, wenn man keine Ruhe hat … aber natürlich ist es nett von dir, dass du vorbeischaust. Danke, ich komm ganz gut zurecht. Der Fuß ist geschwollen, und irgendwas stimmt mit dem Knie nicht; ich kann mich nicht auf den Beinen halten. Der Doktor hat gesagt, ich soll mich schonen und schlafen. Aber ich mache mir Sorgen um meine Schweine. Weißt du, ob sie ihr Futter bekommen?«

»Das kriegen sie bestimmt«, antwortete Katharina mit Überzeugung, musste in diesem Moment jedoch daran denken, dass Nygren nun ganz auf sich allein gestellt war. Wie sollte ein ehemaliger Spion oder was auch immer er war nur mit hundertfünfzig hungrigen Schweinen fertig werden?

»Weiß Nygren eigentlich, dass du dich verletzt hast?«, fragte sie, während ihr Blick suchend durch die Küche wanderte. Sie begriff jedoch, dass ein Telefon in Nisses Haus ein Anachronismus wäre.

»Willst du, dass ich mit ihm rede?«

»Der wird sich schon denken können, dass es mir nicht gut geht, wenn ich nicht komme. Aber das kannst du machen, wie du willst. Hauptsache, jemand schaut nach den Schweinen.«

»Mach dir um die keine Sorgen«, sagte Katharina. »Ich werde Nygren informieren, und notfalls bitten wir eben Kalle Svanberg 405

um Hilfe. Bist du sicher, dass du nichts brauchst, zum Beispiel etwas zu essen?«

Nisse zeigte auf einen Kochtopf, der auf dem Herd stand.

Katharina vermutete, dass sich irgendeine Grütze oder ein Brei darin befand.

»Ich komm schon zurecht. Wenn ich was brauche, kann Jespersson für mich einkaufen.«

»Dann lasse ich dich jetzt schlafen«, sagte sie. »Du solltest besser rasch gesund werden, sonst komme ich nämlich wieder und werde mich um dich kümmern«, drohte sie scherzhaft und klopfte ihm behutsam auf sein bandagiertes Bein. Diese Intimität war zu viel für Nisse. Er versuchte ihrer Hand zu entkommen und verzog schmerzhaft das Gesicht.

Katharina winkte reumütig, machte einen unbedachten Schritt zurück und stieg direkt in die hohen Brennnesseln. Sie fluchte gedämpft, als sie die Stiche an der Wade spürte.

Astrid erwartete offenbar nicht nur einen ausführlichen Krankenrapport, sondern auch einen detaillierten Bericht über den Zustand von Nisses Haus, über den in Äsperöd die wildesten Gerüchte kursierten. Doch in diesem Punkt hielt sich Katharina bedeckt und fühlte sich zur Loyalität gegenüber Nisse verpflichtet. Als Astrid spürte, dass sie auf Granit biss, begann sie Nygren, der ihrer Meinung nach vom Pech verfolgt werde, zu bemitleiden.

»Der Arme findet doch wirklich keine Ruhe, seit er hier ist«, sagte sie fast empört. »Nichts als Ärger hat er gehabt. Erst die Geschichte mit der Leiche und dann dieser Vorarbeiter, der ja ein Drogenabhängiger sein soll. Tja, man kann einfach nie wissen, mit was für Leuten man sich einlässt. Kam der nicht aus Jugoslawien?«

»Nein, aus der Schweiz.«

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»Ach so … na ja, ich hab ja nichts gegen Ausländer, auch bei denen gibt’s Anständige, aber es ist sicher klug von Nygren gewesen, diesmal einen Schweden einzustellen.«

Katharina schüttelte den Kopf. »Er hat noch keinen neuen Vorarbeiter eingestellt. Wie er jetzt ohne Nisse zurechtkommen soll, ist mir wirklich ein Rätsel.«

»Aber ich habe ihn doch mit eigenen Augen gesehen«, sagte Astrid.

»Wen?«

»Den neuen Vorarbeiter.«

Katharina schaute sie skeptisch an. »Wo denn?«

»Na, auf Knigarp. Wir sind vorgestern direkt am Hof vorbeigefahren. Annas Schwiegereltern waren am Wochenende zu Besuch, sie kommen aus Östergötland, wirklich reizende Leute, sie wollen sich immer irgendwelche Sehenswürdigkeiten anschauen, also sind wir zum Bosjökloster gefahren, und auf dem Heimweg haben wir auf Knigarp Station gemacht, weil die Aussicht über das Tal doch so prachtvoll ist, und da habe ich diesen Kerl gesehen, der sicher der neue Vorarbeiter ist. Dass er Schwede ist, habe ich selbst gehört, weil Stig, Annas Schwiegervater, ihn gefragt hat, ob wir unser Auto vor den Schweineställen abstellen könnten.«

Katharina vermutete, dass sie Knigarp wohl nicht allein der schönen Aussicht wegen besucht hatten. Die Jauchegrube war möglicherweise die Hauptattraktion gewesen.

»Das ist unmöglich«, sagte sie. »Sonst hätte Nisse doch davon erzählt. Er liegt zu Hause und macht sich Sorgen, wie Nygren alleine zurechtkommt.«

»Nisse ist manchmal etwas durcheinander«, sagte Astrid leichthin. »Vielleicht hat er es vergessen.«

»Wie sah der Mann denn aus?«

Astrid dachte nach.

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»Ziemlich groß gewachsen … dunkle Haare, glaube ich.«

»Und sein Gesicht?«

»Ich habe nicht so genau hingeschaut. Er sah ganz normal aus.«

»Hatte er ein markantes Kinn mit dunklen Bartstoppeln und graue Schläfen?«

»Ja, daran kann ich mich erinnern.«

»Dann haben Sie Nygren gesehen.«

»Aber nein, den kenne ich doch.«

»Wie sah Nygren denn Ihrer Meinung nach aus?«

Astrid schaute sie fragend an. »Sie wissen doch selbst, wie Nygren aussieht.«

»Ja, natürlich, aber die Menschen sehen ihn offenbar sehr unterschiedlich. Ich frage mich einfach, was für einen Eindruck Sie von ihm hatten.«

»Er sah … sehr sympathisch aus.«

Katharina lächelte. »Das sieht man’s. Also auf das Wort sympathisch wäre ich in Verbindung mit ihm nie gekommen.

Wie würden Sie sein Äußeres beschreiben?«

Astrid runzelte die Stirn, als sie versuchte, sich Nygrens Aussehen zu vergegenwärtigen. »Ich habe ihn ja nur ein einziges Mal gesehen. Er war eher groß und schlank. Sein Gesicht war offen und freundlich. Er sah ein bisschen so aus wie Per in seinen jungen Jahren.«

»Die Haare, welche Farbe hatten sie?«

»Dunkel, glaube ich. Ja, ganz bestimmt dunkel.«

Katharina lachte. »Das auf dem Hof, das war sicherlich Nygren. Die Beschreibung passt haargenau.«

Astrid sah plötzlich verunsichert aus.

»Kann ich mich wirklich so geirrt haben? Natürlich, es war letzten Herbst, als ich Nygren gesehen habe, und ich werde 408

langsam alt und vergesslich, aber das Aussehen anderer Menschen kann ich mir eigentlich noch ganz gut merken.«

Katharina nahm Astrids kleine rundliche Hände in ihre und drückte sie leicht.

»Bilden Sie sich bloß nicht ein, dass Sie vergesslicher sind als die meisten anderen«, sagte sie tröstend. »Viele schenken doch nicht einmal den Dingen Aufmerksamkeit, von denen sie täglich umgeben sind. Und natürlich ist es nicht leicht, sich ganz genau an einen Menschen zu erinnern, den man nur ein einziges Mal gesehen hat. Aber wenn Sie mir jetzt sagen, wie viel Sie für das Schweineherz und die Milch bekommen, werde ich auf direktem Weg nach Knigarp fahren und mir den Mann einmal ansehen.

Und wenn es dort einen Vorarbeiter gibt, dann werde ich ihn auch finden.«

Astrid schaute nachdenklich aus dem Fenster.

»Das mit den Hunden war auch merkwürdig …«

»Welche Hunde?«

»Svens Hunde. Nygren war so begeistert von ihnen, dass er genau solche als Wachhunde haben wollte. Sven machte ihn darauf aufmerksam, dass es eigentlich gar keine Wachhunde sind, aber sie sehen so groß und gefährlich aus und können einen Menschen sicher verteidigen, wenn’s drauf ankommt.

Irische Wolfshunde heißen sie wohl. Nygren wollte noch mal zurückkommen, um mit Sven darüber zu reden. Zwei Hunde wollte er haben. Aber er ist nie gekommen, und später habe ich gehört, dass er sich einen schwarzen angeschafft hat, wie heißen die noch gleich?«

»Einen Dobermann«, sagte Katharina und schauderte. »Ein schrecklich aggressiver Köter, der den Leuten Angst und Schrecken einjagt. Dem möchte ich nicht ausgeliefert sein.«

»Also Svens Hunde sind überaus gutmütig. Obwohl ein Wachhund zur Abschreckung natürlich auch ganz praktisch ist.

Wollen wir hoffen, dass sich auf Knigarp alles zum Besseren 409

wendet. Fast hätte ich Sie gebeten, ihn von mir zu grüßen, aber er kann sich bestimmt nicht an mich erinnern.«

Astrid sah plötzlich betrübt aus und fingerte lustlos an ein paar Schachteln herum, die auf dem Ladentisch standen.

Katharina wusste nicht, weshalb Nygren auf Astrid so einen unvergesslichen und sympathischen Eindruck gemacht hatte, aber es war offensichtlich, dass er für sie mehr war als irgendein verlorener Kunde.

»Aber natürlich werde ich ihn grüßen«, sagte sie munter.

»Außerdem werde ich ihm vorschlagen, doch bald mal wieder bei Ihnen vorbeizuschauen.«

Astrid sah verlegen aus. »Ach, nein, tun Sie das nicht. Was soll er denn von mir denken?«

Katharina tätschelte ihr die Hand.

»Nur keine Sorge«, entgegnete sie. »Ich werde bestimmt nichts sagen, das Ihnen unangenehm sein muss.«

Sie bezahlte und verließ das Geschäft.

410

32

Am selben Tag

Auf dem Heimweg ärgerte sie sich. Warum musste sie ihre neugierige Nase immer in Dinge stecken, die sie nichts angingen? Ob die Schweine auf Knigarp pünktlich ihr Futter bekamen, sollte nun wirklich nicht ihre Sorge sein. Doch warum hatte Jespersson Nygren nicht informiert? Das hätte er tun sollen.

Sicherlich hatte Patrik Recht mit der Behauptung, die Neugier sei eines ihrer schlimmsten Laster, und wenn sie ehrlich war, hegte sie bereits Pläne, diesen Nygren näher unter die Lupe zu nehmen. Sofern sie den Mut besaß, jemanden unter die Lupe zu nehmen, dessen Identität so viel Zündstoff zu bergen schien.

Doch wollte sie in dieser Hinsicht nichts überstürzen, sondern den richtigen Moment abwarten. Wie trat man eigentlich gegenüber einem Nachbarn auf, über den man einerseits zu viel wusste, der einem aber andererseits viele Rätsel aufgab und offenbar in ständiger Bedrohung lebte? Was ihm alles zugestoßen war, ging wirklich auf keine Kuhhaut. Sollte Nisse längerfristig ausfallen, war Nygren in einer äußerst schwierigen Lage, und der Gedanke, ihm dies mitteilen zu müssen, war keinesfalls angenehm.

Neben dem Verwaltungsgebäude hielt sie an, doch anscheinend war Nygren nicht dort. Was sollte sie tun? In den Schweineställen nach ihm suchen? Da würde sie ihn vermutlich finden. Sie stieg aus dem Wagen und schaute sich um. Es herrschte eine sonderbare Stille. Nicht mal von den Schweinen war etwas zu hören. Offenbar litten sie keinen Hunger.

Zögerlich ging sie auf den nächsten Stall zu und öffnete die Tür. Kein Mensch war zu sehen. Ein paar Schweine in ihrer Nähe begannen sich zu regen und scheuchten eine Wolke von 411

Fliegen auf. Der Gestank war betäubend. Sie gaben ein hoffnungsvolles Grunzen von sich, in das sofort andere Tiere mit einstimmten. Rasch zog sie sich zurück und schaute unsicher zu den anderen Ställen hinüber. Ohne Nisse machte der Hof einen fast gespenstisch verlassenen Eindruck. Sie beschloss, Nygren im Wohngebäude zu suchen.

Das Erste, was sie hörte, nachdem sie den Motor vor dem roten Backsteinbau ausgestellt hatte, war ein wildes Kläffen, das aus dem Inneren des Hauses drang. Verdammt! Den Hund hatte sie ganz vergessen. War er wirklich im Haus? Sie meinte sich deutlich erinnern zu können, dass Nisse und Marco gesagt hatten, der Hund dürfe niemals ins Wohnhaus. Falls dies jetzt doch der Fall war, konnte niemand dafür garantieren, dass er sich nicht auf sie stürzen würde, ehe Nygren in der Lage war, ihn unter Kontrolle zu bringen.

Und die Risiken, die sie willentlich in Kauf zu nehmen bereit war, waren begrenzt. Sie sollte lieber nach Hause fahren und Nygren anrufen, Wenn seine Nummer nicht im Telefonbuch stand, würde sie sich bei Roffe nach ihr erkundigen. Warum hatte sie daran nicht früher gedacht?

Sie wollte gerade den Motor wieder anlassen, als sich die Tür öffnete. Umrahmt von der dunklen Türöffnung, verharrte Nygren unbeweglich auf der Schwelle. Vom Hund war nichts zu sehen. Also gut, dann stieg sie eben wieder aus und redete mit ihm.

Sie verließ ihren sicheren Wagen und ging zögerlich auf ihn zu. Aus dem Inneren des Hauses hörte sie ein gedämpftes Bellen. Trotzdem fragte sie: »Ist er eingesperrt? Ich habe Angst vor aggressiven Hunden.«

»Er ist nicht aggressiv, er tut nur seinen Job«, entgegnete Nygren.

412

Eine idiotische Antwort, wie sie fand. »Wenn er auf mich losgeht, habe ich gar nichts davon, dass er nur seinen Job erledigt«, sagte sie gereizt.

Nygren ging darauf nicht ein.

»Ich komme gerade von Nils Hallman«, sagte sie. »Sind Sie schon darüber informiert worden, dass er nicht zur Arbeit kommen kann?«

»Nein.«

»Er hat sich den Fuß verstaucht. Außerdem ist er am Knie verletzt. Vermutlich wird er mehrere Tage lang nicht arbeiten können.«

»Ach so?«

»Er macht sich Sorgen darum, wer jetzt die Schweine versorgt.

Sie haben doch sicher keine Zeit, sich auch noch darum zu kümmern …«

Keine Antwort. Katharina hatte mittlerweile ein beklemmendes Gefühl. Er schaute gedankenverloren an ihr vorbei, als gingen ihn ihre Worte überhaupt nichts an. Er schien weitaus wichtigere Dinge im Kopf zu haben als die Schweine.

Außerdem war er unrasiert und sah hohlwangig aus. So, als hätte er seit mehreren Nächten nicht mehr geschlafen. Ihr Besuch kam ihm offensichtlich sehr ungelegen.

»Vielleicht könnte Kalle Svanberg Ihnen helfen?«, fügte sie hinzu, um ihn endlich aus der Reserve zu locken.

»Vielleicht …«, entgegnete er gleichgültig.

Mehr gab es nicht zu sagen. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt und konnte nach Hause fahren. Doch sie blieb unschlüssig stehen.

Irgendetwas war hier faul. Sie musterte ihn eingehend. Er wirkte völlig apathisch. Seine Augen waren sonderbar verschleiert, sein Gesicht ausgezehrt. Über sein Aussehen ließe sich einiges sagen, doch gehörte schon viel Fantasie dazu, um es 413

sympathisch zu finden, wie Astrid es getan hatte. Der Hund war verstummt, und Katharinas Selbstbewusstsein zurückgekehrt.

Aufs Geratewohl sprach sie das Erste aus, das ihr durch den Kopf ging: »Es gibt Gerüchte, Sie hätten einen neuen Vorarbeiter eingestellt.«

Plötzlich schien er voll konzentriert und schaute sie durchdringend an. »Was für Gerüchte?«

Katharina fühlte sich bei einer groben Übertreibung ertappt und ruderte zurück.

»Gerüchte ist vielleicht übertrieben«, sagte sie. »Vermutlich handelt es sich um ein Missverständnis. Eine Frau aus Äsperöd meinte, vorgestern einen Mann hier auf dem Hof gesehen zu haben, den sie für den neuen Vorarbeiter hielt.«

»Wer war das?«

»Die Inhaberin des kleinen Dorfladens in Äsperöd. Sie konnte sich an Sie erinnern, weil Sie letzten Herbst einmal bei ihr eingekauft hätten. Nur Ihr Aussehen war ihr nicht mehr gegenwärtig.«

Er schaute sie misstrauisch an, als überlege er, ob er ihre Erklärung akzeptieren könne. Sie fragte sich, warum sie sich die Mühe gemacht hatte, ihm Bescheid zu sagen, wenn er sich nicht einmal um ein Mindestmaß an Höflichkeit bemühte.

»Jetzt wissen Sie also, wie es um Nisse steht«, sagte sie und wollte zu ihrem Auto zurückgehen.

Plötzlich war Nygren wie verwandelt. Seine starren Züge lockerten sich, und er mobilisierte ein Lächeln, das man fast als liebenswürdig hätte bezeichnen können.

»Ich hatte schon ganz vergessen, dass ich einmal dort eingekauft habe«, sagte er. »Ich komme aber auch zu selten in diese Gegend. Hoffentlich nimmt es mir die Dame nicht übel, dass ich ihr vorzügliches Geschäft seitdem so sträflich vernachlässigt habe.«

414

Sein plötzlicher Stimmungsumschwung kam für Katharina völlig überraschend, doch sie überspielte ihre Verwunderung und ging gewandt auf seinen Ton ein.

»Aber natürlich nimmt sie es Ihnen nicht übel; nur ist sie sehr daran interessiert, ihre Kunden an sich zu binden. Mit uns ist das nicht anders. Auch wir haben manchmal ein schlechtes Gewissen, dass wir so selten bei ihr einkaufen.«

Nygren lachte höflich, was Katharina in Erinnerung brachte, dass ihr sein kurzes, sonores Lachen schon früher angenehm aufgefallen war. Im Grund sah er auf seine distinguierte Art auch gar nicht schlecht aus.

»Ich nehme an, dass in solch einem kleinen Ort viel getratscht wird«, sagte er. »Hat sie noch mehr zu Ihnen gesagt?«

»Sie findet es schade, dass Sie Sven Berg nicht zwei seiner Irischen Wolfshunde abgekauft haben, wie Sie eigentlich vorhatten.«

Er runzelte die Stirn, als denke er angestrengt nach.

»Ach ja, die Wolfshunde … Sehen Sie, die hatte ich auch schon vergessen. Ich habe mich schließlich anders entschieden.«

Er deutete in Richtung Haus. »Übrigens esse ich gerade zu Mittag. Was halten Sie davon, unser Gespräch in meiner Küche fortzusetzen?«

Katharina zögerte. Gab es denn noch mehr zu besprechen? Sie wusste nicht, was. Patrik wunderte sich bestimmt schon, dass sie so lange fortblieb. Auf der anderen Seite hatte man nicht alle Tage Gelegenheit, einen Agenten im Ruhestand aus nächster Nähe zu betrachten.

»Und der Hund?«, fragte sie.

»Den habe ich ins Schlafzimmer gesperrt.«

»Das hört sich beruhigend an.«

Er trat höflich einen Schritt zu Seite, und da sie das Haus von früher her gut kannte, ging sie ihm in die Küche voraus.

415

Sie sah sich prüfend um und bemerkte sogleich, dass sie ihn keinesfalls beim Mittagessen gestört hatte. In der Spüle türmte sich schmutziges Geschirr, doch von etwas Essbarem war nichts zu sehen. Der Hund, der sie offenbar gehört hatte, kratzte wie wild an der Tür.

Nygren öffnete einen Schrank und nahm eine Flasche und zwei Gläser heraus.

»Darf ich Sie zu dieser Uhrzeit zu einem Kognak einladen?«, fragte er.

»Ich dachte, Sie wären beim Mittagessen.«

»Das kann warten«, sagte er gleichmütig.

»Lieber keinen Kognak für mich«, sagte sie. »Ich muss noch fahren.«

»Ach, natürlich, das Auto.«

Er schenkte sich selbst ein Glas ein und fixierte sie mit unverhohlenem Interesse. Katharina schwante, dass er zu der unangenehmen Sorte Männer gehörte. Das hätte sie sich denken können.

»Es geht mich zwar nichts an«, sagte sie, »aber sollte sich nicht jemand um die Schweine kümmern?«

Sein Lächeln war ironisch. »Halten Sie mich wirklich für so dämlich?«, sagte er. »Natürlich habe ich bemerkt, dass Nisse heute Morgen nicht gekommen ist, und habe mit dem Sohn von Kalle Svanberg – wie heißt er noch gleich? – eine Verabredung getroffen.«

»Er heißt Rickard.«

»Genau, Rickard. Er war vorhin schon da und hat die Schweine gefüttert.«

»Wie schön für Sie«, sagte sie und fühlte sich an der Nase herumgeführt.

»Hier ist es zu unbequem«, sagte er. »Wollen wir nicht lieber ins Wohnzimmer gehen?«

416

Warum nicht, dachte sie und war gespannt, wie sich die anderen Räume verändert hatten. Entweder wollte er ihr weitere Informationen entlocken oder er wollte sich an sie heranmachen.

Doch sie fühlte sich beiden Möglichkeiten gewachsen.

Das Wohnzimmer ging im Gegensatz zur Küche nach Süden hinaus, und der Kontrast hätte nicht größer sein können. Die Sonne flutete ungehindert durch die hohen, gardinenlosen Fenster und hatte das Zimmer enorm aufgeheizt.

Neugierig schaute sie sich um. Der Raum war ihr wohl bekannt. Vor vielen Jahren war hier ein geschmackvoll eingerichtetes Esszimmer gewesen. Nun bestand die Einrichtung nur mehr aus einem Sofa, zwei Sesseln, einem Couchtisch und einem Fernseher. An den Stellen, an denen früher die Bilder hingen, waren immer noch weiße Flächen zu erkennen.

»Hier habe ich oft zu Abend gegessen«, sagte sie.

»Ach, wirklich?«

»Dem Onkel meines Mannes, Anders Hammar, hat dieser Hof lange gehört. Er hat ihn Mitte der achtziger Jahre verkauft. Er und seine Frau waren sehr gesellige Menschen.«

»Und danach kam ein Besitzer nach dem anderen?«

»Ja, so ungefähr.«

Sie setzte sich in einen der Sessel und überließ sich für einen Moment der Erinnerung. Dieser Raum würde für sie auf ewig mit fröhlichem Stimmengewirr, lautem Gelächter und lärmenden Kindern verbunden sein. Die großen Familienabende auf Knigarp, deren Rituale Patrik und sie teils ermüdend empfunden hatten, waren von Marika umso mehr geliebt worden. Anders und Lilly hatten sich immer gern mit Kindern umgeben. Beim Blick auf die jetzige Einrichtung wurde ihr bewusst, dass Knigarps goldene Jahre unwiderruflich ihrem Ende entgegengingen.

417

»Zu Zeiten von Anders Hammar war dies ein mustergültig geführter Hof.« Ihre Stimme klang beinahe vorwurfsvoll.

Nygren antwortete nicht. Er stand vor einem der Fenster und beobachtete sie aufmerksam. Der Anflug von Liebenswürdigkeit war wie weggeblasen.

»Tragen Sie sich denn mit dem Gedanken, einen neuen Vorarbeiter anzustellen?«, brachte sie nervös hervor.

»Warum fragen Sie?«

Seine Gegenfrage war rasch und scharf gekommen.

»Ich dachte nur, dass dies ja ein großer Hof ist und …«

Im Nu war er bei ihr und setzte sich mit solcher Heftigkeit auf das Sofa, dass er an den Tisch stieß, worauf ein Teil des Kognaks aus dem Glas schwappte und über den Tisch lief. Er schien es nicht zu bemerken. Er beugte sich ihr entgegen und sah ihr direkt in die Augen.

»Vielleicht würden Sie endlich zur Sache kommen und mir sagen, was sich die Leute über mich erzählen?«

Sie starrte ihn verblüfft an. »Sich über Sie erzählen?«

»Es gefällt mir überhaupt nicht, wenn sich die Leute das Maul über mich zerreißen. Ich will in Ruhe meiner Arbeit nachgehen, das ist alles. Es geht niemanden etwas an, was hier auf dem Hof vor sich geht oder welche Hunde ich mir anschaffe. Und ebenso wenig, ob ich einen neuen Vorarbeiter anstelle.«

Katharina brachte seine plötzliche Aggressivität vollkommen aus der Fassung. Da drückte der Schuh also. Sie hatte anscheinend zu viel geplappert. Verglichen mit Nygrens Launenhaftigkeit war Patrik geradezu ein Muster an Ausgeglichenheit.

»Auf dem Land wird eben immer viel geredet«, wiegelte sie ab.

Sein Blick nagelte sie fest. »Ach ja? Was denn zum Beispiel?«

»Sie können sich doch wohl denken, worüber die Leute reden.

418

Schließlich sind auf dem Hof ein paar merkwürdige Dinge vorgefallen. Die Geschichte mit Marco Fermi …«

»Woher wissen Sie davon?«

»Nisse … ich weiß nicht … die Leute …«

»Nisse!«, rief er mit Abscheu aus.

Sie fragte sich, ob er imstande wäre, ihr Gewalt anzutun.

Nygren atmete schwer. Katharina registrierte ein Zucken seiner rechten Gesichtshälfte. Er schien gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.

»Niemand ist Ihnen schlecht gesonnen«, fuhr sie fort. »Aber die Leute machen sich eben Sorgen. Zuerst der Fund dieser Leiche und dann Fermi … So was sorgt auf dem Land immer für Aufregung. Ansonsten passiert ja auch nicht viel …«

Er stellte sein Glas eine Spur zu hart auf den Tisch. »Sie scheinen ja eine Menge davon zu wissen, was die Leute denken und reden. Sie schnüffeln wohl gern im Privatleben anderer Leute herum.«

Was für ein Ton! Welche Unverschämtheit! Es war an der Zeit, zu gehen. Sie wollte aufstehen und sagte in eisigem Ton:

»Das habe ich nicht nötig.«

Er streckte gebieterisch den Arm aus. »Bleiben Sie sitzen! Ich bin noch nicht fertig.« Es klang wie ein Befehl. Sie traute ihren Ohren nicht, folgte jedoch seiner Anordnung.

»Ich will hören, was die Leute sagen – und was Sie wissen und zu wissen glauben. Was hat der mit den Wachhunden gesagt?«

»Sven Berg?«

»Ja, worüber haben Sie gesprochen?«

Katharina starrte ihn entgeistert an. Hatte sie irgendetwas gesagt, das sein Misstrauen hätte wecken können? Seine Paranoia schien keine Grenzen zu kennen. Glaubte er wirklich, dass die Leute in der Gegend bereits an seiner Identität zweifelten? Plötzlich tat er ihr Leid. »Sie können ganz sicher 419

sein, dass niemand etwas über Ihre Vergangenheit weiß«, erwiderte sie. Noch mit demselben Atemzug hätte sie sich in die Zunge beißen können.

»Meine Vergangenheit?«, wiederholte er langsam. »Was wissen Sie von meiner Vergangenheit?«

»Gar nichts!«, antwortete sie etwas überhastet.

Er schaute sie nachdenklich an. Sein Blick kam ihr kalt und berechnend vor. Ohne ein Wort der Erklärung stand er auf und verließ den Raum. Sie hörte seine Schritte verhallen, eine Tür schlug, und ehe sie sich’s versah, ging der Hund bereits zum Angriff über.

Seine mächtigen Vorderläufe krallten sich in die Armlehne und hätten beinahe ihren Sessel umgeworfen. Sein geiferndes Maul war nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.

Sie starrte in die leeren, milchigen Augen und schrie in nackter Panik. Der Hund fletschte knurrend die Zähne, doch Nygren zog ihn zurück und befahl ihm, sich hinzulegen. Er gehorchte sofort, ließ sie jedoch nicht aus den Augen.

»Nehmen Sie den Hund weg!«, keuchte sie.

Nygren betrachtete aufmerksam ihre Reaktion. Sein Gesichtsausdruck war neugierig und drohend zugleich. Starr vor Angst begriff sie, dass sie es mit einem Wahnsinnigen zu tun hatte.

»Solange Sie sich nicht von der Stelle rühren, tut er Ihnen nichts. Nur wenn Sie aufstehen und den Raum verlassen wollen, fällt er Sie an.«

Ihr Körper zitterte, während die Übelkeit in Wellen von ihr Besitz ergriff.

»S … Sie sind v … verrückt«, stammelte sie. »Warum lassen Sie mich nicht gehen?«

Er setzte sich in aller Ruhe wieder hin und leerte sein Kognakglas, ehe er sagte: »Vielleicht lasse ich Sie gehen, wenn 420

Sie endlich mit Ihren Andeutungen aufhören und mir genau erzählen, was Sie alles wissen.«

Sie versuchte nachzudenken, doch ihre Kräfte ließen sie im Stich. Stattdessen brach sie in Tränen aus.

»Nehmen Sie den Hund weg!«, schluchzte sie.

Er schwieg und schaute sie auffordernd an.

»Was soll ich Ihnen denn sagen?«

»Das wissen Sie genau. Worüber haben Sie mit Sven Berg geredet?«

»Ich habe nicht mit ihm geredet.«

»Was wissen Sie von meiner Vergangenheit?«

»Ich weiß nichts … von Ihrer Vergangenheit.«

»Sie haben mehrere Andeutungen gemacht, und jetzt will ich Klartext hören.«

Sie warf einen verstohlenen Blick auf den hechelnden Hund zu ihren Füßen, dessen lange rote Zunge fast den Boden berührte.

Trotz der drückenden Hitze wirkte er erschreckend aufmerksam und jederzeit bereit, dem kleinsten Kommando seines Herrn zu gehorchen.

»Was wollen Sie denn hören?«, wiederholte sie.

»Machen Sie schon! Meine Geduld ist bald zu Ende«, sagte er.

Sie wusste, was er hören wollte, aber darüber konnte sie kein Wort verlieren. Er schien verrückt genug, seinen nicht minder verrückten Hund auf sie zu hetzen. Ein Bild von Patrik, wie er rastlos im Wohnzimmer hin und her lief, schoss ihr durch den Kopf. Starr vor Schreck nahm er die furchtbare Nachricht auf:

»Es tut uns sehr Leid, aber Ihre Frau wurde von einem Hund in Stücke gerissen.«

»Ich glaube, Sie haben da etwas missverstanden«, versuchte sie es verzweifelt.

Er schüttelte den Kopf.

421

»Was habe ich denn gesagt?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen.

»Das wissen Sie selbst am besten.«

»Ich kann mich nicht erinnern.«

Er schaute seinen Hund an, als wolle er ihm im nächsten Moment den entscheidenden Befehl geben.

»Warten Sie!«, schrie sie. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, und ich weiß nichts von Ihrer Vergangenheit … die interessiert mich auch nicht. Das Einzige, das ich weiß, ist, dass Sie mit Hilfe der Behörden eine neue Identität bekommen haben. Warum, weiß ich nicht, und ich will es auch gar nicht wissen.«

Er verzog keine Miene. »Gibt es noch jemanden außer Ihnen, der das weiß?«

»Nein, das … kann ich mir nicht vorstellen.«

»Ihr Mann?«

»Nein«, log sie.

»Was ist mit der Frau in Äsperöd und dem Mann mit den Wachhunden?«

»Woher sollten die etwas wissen?«

»Hat dieser Sven Berg behauptet, ich hätte mit ihm über den Kauf eines Hundes gesprochen?«

»Ich weiß nicht, was er behauptet hat. Ich habe kein Wort mit ihm gewechselt. Ich habe nur mit Astrid gesprochen.«

»Was hat sie behauptet?«

»Sie hat behauptet, Sie seien sehr sympathisch«, sagte Katharina in einem Ton, der ihre eigene Meinung mehr als deutlich machte.

Seine Augen ruhten mit erschreckender Ausdruckslosigkeit auf ihr. »Ich will hören, was sie gesagt hat.«

»Herrgott, wie soll ich mich denn daran erinnern? Sie hat alles Mögliche gesagt und dabei zufällig erwähnt, dass Sie einmal bei ihr eingekauft hätten. Sie sagte, das sei Ihr erster Tag auf dem 422

Hof gewesen. Sie hätten auch Svens Hunde gesehen und wären sehr angetan von ihnen gewesen.«

»Hat Sie Ihnen erzählt, ich hätte mit Sven über die Hunde gesprochen?«

»Nein, Astrid sagte, Sie wollten ein anderes Mal wiederkommen, um mit Sven über die Hunde zu sprechen. Das war alles. Sonst hat sie nur ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht, dass Sie nie wieder bei ihr eingekauft hätten.«

»Woher haben Sie die Informationen über mich?«

»Das … das war in der Stadt auf dem Präsidium. Ich wurde vernommen in Zusammenhang mit dem Fund der Leiche in der Jauchegrube und saß eine Weile allein im Büro des Kommissars. Ich war sehr aufgeregt und besorgt wegen des Verdachts gegen meinen Mann. Ich nehme an, Sie haben davon gehört, die Polizei hat doch sicher auch mit Ihnen gesprochen.

Als der Kommissar zwischendurch aus dem Zimmer ging, konnte ich einen kurzen Blick auf die Unterlagen werfen, die offen auf seinem Schreibtisch lagen …«

Es fiel ihr erstaunlich leicht, die Wahrheit zu modifizieren.

Sein Blick brannte auf ihrer Haut, als versuche Nygren, sie Schicht um Schicht abzuschälen, um die Lügen zu entdecken, die sich darunter befanden.

»Was für Unterlagen?«

»Daran kann ich mich nicht genau erinnern, irgendwas darüber, dass Sie beim Einwohnermeldeamt nicht geführt werden und dass die Reichspolizeibehörde für Ihre Identität bürgt.«

Endlich wandte er die Augen von ihr ab. Sie riskierte einen kurzen Blick auf seinen Hund. Die Sekunden der Stille kamen ihr wie eine Ewigkeit vor. Nur das kurzatmige Hecheln des Hundes war zu hören. Ihre Handflächen waren feucht, und sie wurde sich plötzlich bewusst, dass ihr ganzer Körper in Schweiß gebadet war. Warum sagte er nichts? Er schien sich in Gedanken 423

weit weg zu befinden, als hätte er ihre Gegenwart vollkommen vergessen, während sie meinte, in der schwülen Wärme zerfließen zu müssen. Als er schließlich die Sprache wiederfand, zuckte sie zusammen. Seine Stimme klang fast freundlich.

»Sie verstehen sicher, dass diese Situation für mich inakzeptabel ist.«

Sie vermochte nur stumm zu nicken.

Er blickte nachdenklich an die Decke, als suche er nach einer Möglichkeit, ihr die näheren Umstände zu erklären.

»Menschen, die eine neue Identität angenommen haben, müssen sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden«, begann er zu dozieren. »Entweder sie verabschieden sich für immer von ihrem alten Leben oder sie wählen den sicheren Tod. Wenn es ihnen aber gelingen soll, vollkommen in ihrer neuen Existenz aufzugehen, muss die Verwandlung perfekt sein. Was mit einschließt, dass niemand in ihrer Umgebung weiß, dass sie nicht derjenige sind, der sie zu sein vorgeben.«

Er schaute sie prüfend an, und sie nickte verständig, darum bemüht, es ihm unter allen Umständen recht zu machen.

»Jetzt haben unglückliche Umstände dazu geführt, dass Sie mich durchschaut haben. Das bringt mich in eine außerordentlich gefährliche Lage. Das müssen Sie verstehen.«

Ein furchtbarer Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Noch am Morgen hatte sie unbedenklich einige Spekulationen über Marcos Verschwinden vor Patrik ausgebreitet. Sie nickte immer noch demütig.

»Das verstehe ich, und ich werde niemals auch nur ein Wort über das verlieren, was ich weiß«, beteuerte sie.

Er lächelte müde. »Auf Versprechen dieser Art kann ich mich nicht verlassen.«

»Was soll ich denn tun?«, rief sie verzweifelt. »Sie müssen mir vertrauen, bitte!«

424

»Meine Erfahrung spricht dagegen, fremden Menschen zu vertrauen. Aber so wie die Dinge liegen, habe ich wohl keine Wahl.«

»Ich habe nicht das geringste Interesse daran, Sie zu verraten«, sagte sie.

»Nein, das wäre wirklich das Dümmste, was Sie tun könnten.

Ich werde nicht mehr lange hier bleiben, also schlage ich Ihnen eine Vereinbarung vor.«

»Ja?«

»Ich sperre den Hund wieder ein, und Sie gehen nach Hause.

Sobald Sie aus dieser Tür sind, streichen Sie unser Gespräch aus Ihrem Gedächtnis. Es hat nie stattgefunden. Verstehen Sie mich?«

»Ja, natürlich, ich verstehe vollkommen.«

Ihre Erleichterung war unbeschreiblich. Gegen ihren Willen schenkte sie ihm ein dankbares Lächeln. Er beugte sich vor und streichelte dem Hund über den Rücken. Der erwiderte die Zärtlichkeit mit einem unterwürfigen Blick. Dann nahm er ihn am Halsband, stand auf und führte ihn aus dem Zimmer.

Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, entfuhr ihr unwillkürlich ein lauter Seufzer der Erleichterung. Sie kam rasch auf die Beine und eilte in die Diele. An der Haustür wartete Nygren. Schweigend öffnete er sie. Sie scherte sich nicht um ihre Würde, sondern rannte zum Auto, als sei der Hund ihr auf den Fersen. Erst als sie hinter dem Steuer saß und den Motor anließ, war sie sicher, dass sie noch mal mit dem Leben davongekommen war.

Als sie das Verwaltungsgebäude passierte, fuhr eine erste Ahnung durch ihren überhitzten Kopf, die auf dem schmalen Kiesweg zur Gewissheit wurde.

Sie fuhr durch das Eingangstor, und noch ehe sie aus dem Wagen steigen konnte, stürzte Patrik aus der Tür.

425

Seine gesamte Erscheinung zeugte von wütender Erregung.

»Wo zum Teufel bist du gewesen?«, schleuderte er ihr gereizt entgegen. »Ich habe mich schon gefragt, ob du mich endgültig verlassen hast.«

Sie erinnerte sich an die Milch und das Schweineherz, drückte ihm wortlos beides in die Hand und ging vor ihm ins Haus.

»Was ist los? Warum antwortest du nicht? Begreifst du denn nicht, dass ich mir große Sorgen gemacht habe?«

Sie warf die Haustür hinter ihm zu und schloss sie ab. Dann wandte sie ihm ihr blasses Gesicht zu.

»Weißt du, dieses Bild … dieser Januskopf, den du gemalt hast. Ich sagte doch, das Gesicht käme mir irgendwie bekannt vor. Erinnerst du dich?«

Er schaute sie erstaunt an. »Ja.«

»Jetzt weiß ich, woran es mich erinnert. Haben wir was Starkes zu trinken?«

»Was meinst du mit stark?«

»Schnaps.«

Er schaute sie misstrauisch an. »Wir haben Gin.«

Sie ging ins Wohnzimmer und warf sich erschöpft aufs Sofa.

»Schenk mir ein Glas ein. Dann erzähle ich dir, was es mit der Leiche in der Jauchegrube auf sich hat.«

426

33

Dienstag, 23. Mai

»GG möchte, dass Sie sofort zu ihm kommen!«

Das war das Erste, was Roffe von seiner Sekretärin Vera Sahlstedt hörte, als er am Morgen sein Büro betrat. Sie bemühte sich um eine mitleidige Miene, als müsse sich Roffe vor dem Polizeidirektor für einen persönlichen Fehler verantworten.

»Bemühen Sie sich nicht«, sagte Roffe. »Ich weiß, worum es geht.«

Sie lächelte verschmitzt und entgegnete geheimnisvoll: »Es könnte ja sein, dass ich auch Bescheid weiß.«

Drei Minuten später nahm Roffe gegenüber von Gösta Green Platz, der hinter einem großen und beneidenswert aufgeräumten Schreibtisch thronte. Der Polizeidirektor war glänzender Laune und wedelte mit seiner obligatorischen, aber nicht angezündeten Zigarre.

»Ich habe vor einer Stunde grünes Licht bekommen«, sagte er.

»Die Sache ist durch. Gab ja auch im Grunde keine Alternative. Im Herbst treten Sie meine Nachfolge an. Ich denke, Sie können morgen mit einer schriftlichen Bestätigung rechnen. Richten Sie sich aber darauf ein, schon eher anzufangen, denn ich habe vor, jede Minute meines Resturlaubs geltend zu machen. Ist ja schließlich das letzte Mal, dass ich Urlaub bekomme.«

Er lachte leise in sich hinein und sah sehnsuchtsvoll aus dem Fenster; dorthin, wo die Freiheit lockte. Roffe, der erst heute bemerkte, dass die Aussicht aus Greens Büro viel schöner war als die aus seinem eigenen, weil sie auf den Stadtpark hinausging, nahm die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf.

Eigentlich hatte er lange auf sie gewartet. Schon vor zehn 427

Jahren, als er sich um die Stelle in Christiansholm bewarb, hatte er die Position des Polizeidirektors im Blick gehabt. Jetzt, da es so weit war, wurde er von leichter Nervosität gepackt. Nun gab es nur mehr eine Position, die es zu verwalten galt, bis er irgendwann in Rente ging. Green sah seiner Pensionierung freudig entgegen. Würde es ihm später genauso gehen?

Greens Blick kehrte in den Raum zurück. Offenbar vermisste er in Roffes Gesichtsausdruck die erwartete Freude, denn er fragte vorsichtig: »Ich darf doch gratulieren?«

»Aber natürlich«, antwortete Roffe und bemühte sich um eine zufriedene Miene.

»Also fangen wir am besten gleich mit den wichtigsten Dingen an«, sagte der Polizeidirektor, indem er einen mächtigen Aktenstapel auf den Tisch wuchtete. »Dies ist der vorläufige Bericht der Untersuchungskommission über die Problematik der geplanten Zusammenlegung der Verwaltungsbezirke, die in ein paar Jahren durchgeführt werden soll. Ich denke, er enthält bereits Vorschläge, wie in dieser Sache weiter zu verfahren ist.

Die betreffenden Polizeipräsidenten haben eine Kopie erhalten und werden um Stellungnahme gebeten, damit alle Gesichtspunkte berücksichtigt werden können, bevor eine endgültige Entscheidung gefällt wird. Ist zwar nicht gerade eine fesselnde Lektüre, aber es wäre von Vorteil, wenn auch Sie sich rechtzeitig zu Wort meldeten. Da Sie es sind, der mit dieser Entscheidung wird leben müssen, schlage ich vor, dass Sie auch unsere offizielle Stellungnahme ausarbeiten. Sie müssen sich natürlich sorgfältig mit der Materie befassen, aber es gibt da ein paar Detailfragen, die ich möglichst rasch mit Ihnen besprechen möchte. Können wir gleich damit anfangen?«

Roffe betrachtete schaudernd den Aktenstapel und dachte an all die Unterlagen und Dokumente, die seinen eigenen Schreibtisch überschwemmten und eigentlich keinen Aufschub duldeten. Doch andererseits war das ohnehin ein Dauerzustand und im Grunde nicht von Belang, ob er zwischendurch eine 428

Stunde mit GG redete oder nicht.

Ihre Diskussion war in vollem Gang, als Vera Sahlstedt gegen zehn anklopfte und den Kopf zu Tür hereinstreckte. Sie warf dem Polizeidirektor einen kurzen Blick zu und wandte sich dann an Roffe: »Entschuldigen Sie die Störung, aber Sie haben Besuch vom Regierungsdirektor. Ich habe den Eindruck, es ist dringend.«

Roffe war völlig perplex. In den väterlichen Ton des Polizeidirektors mischte sich ein Anflug von Neugier: »Oh, der Herr Regierangsdirektor … also das geht natürlich vor. Wir machen dann später weiter.«

Als Roffe leicht verwirrt in sein Büro zurückkehrte, erhob sich Lennart Roos aus seinem Stuhl und streckte ihm die Hand entgegen. Roffe ergriff sie und sagte mit Enthusiasmus: »Also das ist aber eine freudige Überraschung! Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«

Roos lächelte bescheiden, als sei er es gewohnt, überschwänglich begrüßt zu werden. Sein Äußeres wirkte so maßgeschneidert und untadelig wie bei ihrer ersten Begegnung.

»Ich habe einiges auf dem Herzen«, begann er. »Und Sie kennen ja meine Abneigung, wenn es darum geht, wichtige Dinge am Telefon zu besprechen.«

»Bitte, nehmen Sie doch Platz.« Roffe deutete entschuldigend auf den hässlichen und unbequemen Besucherstuhl, der nicht einmal entfernt Ähnlichkeit mit dem komfortablen Sessel besaß, den Roos ihm angeboten hatte. »Ich gebe nur eben Bescheid, dass wir nicht gestört werden wollen«, sagte er und verließ das Zimmer. Vera saß in ihrem Büro, doch ehe er den Mund aufmachen konnte, kam sie ihm zuvor: »Hab schon verstanden: Ich werde alle Anrufer abwimmeln. Wer zu Ihnen will, muss mich vorher erschießen, und wenn ein Krieg ausbricht, werde ich Sie erst mal fragen, ob Sie das interessiert.«

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»Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund«, entgegnete er und warf ihr eine Kusshand zu. »Sie sind eine Perle.« Zurück in seinem Büro, sagte er mit gespannter Erwartung: »Ich stehe voll und ganz zu Ihrer Verfügung.«

Roos nestelte an seiner Sonnenbrille. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich die Brille auflasse. Es ist sehr hell hier drinnen.«

Vor dem riesigen Fenster, das beinahe die gesamte Wandfläche einnahm, befand sich nur eine dünne Gardine.

»Selbstverständlich.«

Roos schlug die Beine übereinander, umfasste mit beiden Händen sein Knie und wandte Roffe seine dunklen Gläser zu.

»Zunächst möchte ich Ihnen für Ihren Bericht danken, den ich aufmerksam gelesen habe. Ich habe auch den Rapport unserer Stockholmer Kollegen zur Kenntnis genommen, sodass ich ziemlich genau zu wissen glaube, was sich hier und in Stockholm abgespielt hat. Und in Mjölby natürlich auch. Die Stellungnahmen waren sehr aufschlussreich, haben jedoch auch einige Befürchtungen geweckt …«

Roffe nickte schweigend.

Roos fuhr fort: »Interpol konnte mir keine weiteren Informationen zu Marco Fermi liefern, und Fermi selbst schweigt beharrlich, wie ich gestern erfahren habe. Trotzdem oder gerade deshalb bin ich weitgehend davon überzeugt, dass Fermi für eine Verbrecherorganisation arbeitet, möglicherweise dieselbe, die von Nygren unterwandert wurde. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum sich Fermi ausgerechnet auf seinem Hof beworben hat und warum Nygren ihn so unbedenklich anstellte. Vergessen wir nicht den Hinweis seiner Frau, Nygren und Fermi hätten sich bereits länger gekannt … ein Hinweis, der mir im Lichte der Ereignisse umso bedenkenswerter erscheint. Weiterhin besteht der Verdacht, den ich Ihnen bereits in Stockholm mitgeteilt habe, dass nämlich Nygren durch einen Maulwurf aufgeflogen sein könnte. Eine 430

äußerst beunruhigende Möglichkeit. Was Axel Hemberg betrifft, so sind seine Aussagen über den so genannten Kreis, mit dem er in Verbindung stand, bezeichnend. Hemberg hatte zu ihm nur eine lose Verbindung und weiß nichts über seinen Aufbau. Aus Enqvist und seinen beiden gefährlichen Handlangern ist nichts herauszubekommen. Natürlich wissen wir nicht, ob Fermis Organisation dieselbe ist, für die auch Hemberg tätig war, aber Sie selbst haben ja auf einen möglichen Zusammenhang zwischen der Leiche in der Jauchegrube und dem Mord in Stockholm hingewiesen. Hemberg war eine Art Bindeglied, und für Fermi gilt dies in noch größerem Maße. Leider kommen wir nicht recht weiter, was die Leiche auf Knigarp betrifft, und Ihrem Bericht entnehme ich, dass auch Sie wenig Hoffnung haben, den Fall noch lösen zu können.«

Roffe fühlte sich zu einem Widerspruch gezwungen. »Das würde ich so nicht sagen. Es spricht immer mehr dafür, dass es sich um Kwiatkowski handelt. Wir haben Kontakt zu seinen Angehörigen in Polen bekommen, die seit sieben Monaten kein Lebenszeichen von ihm erhalten haben.«

Roos schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich würde eine ziemlich hohe Wette eingehen, dass der Pole sich bester Gesundheit erfreut«, entgegnete er.

»Dann müssen Sie besser informiert sein als ich«, sagte Roffe.

»Ja, das bin ich wohl. Doch um zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückzukehren, ich habe gestern eine Bilanz meiner bisherigen Erkenntnisse gezogen und bin auf drei Möglichkeiten gekommen, abgesehen natürlich von der einfachsten, dass auf Knigarp aller Komplikationen zum Trotz alles in bester Ordnung ist. Übrigens hatte ich die beiden Mitarbeiter einberufen, die außer mir über Nygrens wahre Identität Bescheid wissen. Der eine ist Viktor Krans, der in direktem Kontakt zu Interpol stand, solange Nygren noch seinem Auftrag nachging.

Der Name des anderen ist Hans Sjöström. Er kümmerte sich um die praktische Umsetzung von Nygrens Identitätswechsel. Ich 431

gab ihnen eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse, verriet ihnen jedoch nichts von meinen eigenen Schlussfolgerungen. Stattdessen fragte ich sie, was sie an meiner Stelle tun würden. Sjöström bot an, Kontakt zu Nygren aufzunehmen, um sich zu erkundigen, ob er irgendwelche Hilfe brauche oder uns nähere Informationen geben könne. Ich nahm den Vorschlag an. Wenige Stunden später teilte Sjöström mit, er habe mit Nygren gesprochen, der natürlich irritiert über die Vorfälle war, jedoch meinte, alles unter Kontrolle zu haben. Er sagte, wir sollten nichts unternehmen. Und jetzt zu den drei Möglichkeiten, von denen ich sprach. Erste Möglichkeit: Nygren hat im Herbst, möglicherweise durch den Tipp eines Maulwurfs, Besuch von einem ›Mafioso‹ bekommen, den er sich vom Hals schaffte, indem er ihn in der Jauchegrube versenkte. Möglicherweise etwas unbedacht, aber durchaus verständlich. In diesem Fall sollten wir die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und als Unfall zu den Akten legen: Ein Unbekannter ist versehentlich in die Grube gefallen und umgekommen. Nygren deswegen vor Gericht zu stellen, würde seinen sicheren Tod bedeuten, selbst wenn er aus Mangel an Beweisen freigesprochen würde. Zweite Möglichkeit: Nygren wechselte während seines Auftrags die Seiten und gab nur vor, enttarnt worden zu sein. In diesem Fall arbeitet er weiter für die Organisation, und zwar unter dem Deckmantel, den wir ihm verschafft haben. Die dritte Möglichkeit können wir vorerst außer Acht lassen. Wie Sie sicher verstehen werden, setzt Möglichkeit Nummer eins voraus, dass sich der Maulwurf bei uns und nicht bei Interpol befindet, wie ich zuerst annahm. Der Maulwurf kann also nur ich selbst, Krans oder Sjöström sein.«

Hätte Roffe seiner spontanen Reaktion auf Roos’

Schlussfolgerung freien Lauf gelassen, wäre ihm vermutlich die Kinnlade heruntergeklappt. Doch er war ein erfahrener Polizist, der darin geübt war, sich nichts anmerken zu lassen. Daher begnügte er sich damit, die Augenbrauen zu heben und leise zu 432

sagen: »Das sind in der Tat interessante Erwägungen. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie Bengt Nygren aufsuchen wollen, um die Lage mit ihm zu besprechen?«

Roos’ schmale Lippen umspielte ein feines Lächeln. »Richtig geraten. Und ich schlage vor, dass Sie mich begleiten.

Außerdem möchte ich Sie bitten, mir einen geeigneten Wagen und vor allem zwei geeignete Beamte zur Verfügung zu stellen.«

»Sie rechnen also mit gewissen Problemen?«

»Natürlich hoffe ich, dass sich meine Befürchtungen als unberechtigt erweisen. Aber meine Hoffnung ist gering.«

»Sollen wir gleich losfahren?«

»Ja, meiner Ansicht nach sollten wir die Sache nicht weiter aufschieben.«

»Wenn Sie mir eine Viertelstunde Zeit geben, dann werde ich sehen, was ich …«

In diesem Moment klopfte es, und erneut erschien Vera an der Tür.

Da zu erwarten war, dass sie gute Gründe für ihre Störung hatte, schaute Roffe sie gespannt an, als rechne er mit weiteren sensationellen Neuigkeiten. Vera, die durch kaum etwas aus der Fassung zu bringen war, sah ausnahmsweise ein wenig angespannt aus, äußerte sich jedoch mit gewohnter Präzision:

»Katharina Ekman lässt Ihnen ausrichten, sie habe wichtige Neuigkeiten, die aller Wahrscheinlichkeit dazu beitragen würden, das Rätsel des Toten in der Jauchegrube zu lösen. Sie betonte, sie müsse Sie dringend sprechen.«

Roffes Fähigkeit, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, ließ ihn im Stich. Mit offenem Mund starrte er seine zuverlässige Sekretärin an, als zweifle er an ihrem Verstand.

»Ach wirklich?«, war sein scharfsinniger Kommentar.

»Sie bittet um Ihren Rückruf.«

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»Aha, hat Sie noch was gesagt?«

»Sie sagte, ich solle diese Mitteilung in meinem eigenen Interesse sofort an Sie weiterleiten, selbst wenn Sie gerade ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten hätten.«

Roos räusperte sich. »Wer ist Katharina Ekman? Der Name kommt mir bekannt vor.«

Roffe hatte sich wieder gefasst und warf Vera einen auffordernden Blick zu. Sie zog sich sofort zurück.

»Katharina Ekman ist die unmittelbare Nachbarin von Bengt Nygren und die Ehefrau von Patrik Andersson, der vorübergehend Gegenstand der Ermittlungen war.«

»Ja, jetzt erinnere ich mich. Sie haben von ihr gesprochen, als Sie bei mir zu Besuch waren. Offenbar eine intelligente Frau mit einem wachen Verstand. Vielleicht wollen Sie sie gleich einmal anrufen. Ach, nein, ich weiß etwas Besseres. Lassen Sie uns einfach bei ihr vorbeifahren, ehe wir Nygren einen Besuch abstatten.«

Roffe fühlte sich etwas überrumpelt. »Ich habe offen gestanden nicht die leiseste Ahnung, was sie mir mitteilen will«, sagte er nachdenklich und ein wenig beklommen. »Aber Sie haben Recht. Wir sollten einfach bei ihr vorbeifahren, um uns anzuhören, was sie zu sagen hat.«

Er stand auf. »In einer Viertelstunde werden ein Auto und zwei Beamte bereitstehen.«

Roffe empfand der gesamten Situation gegenüber einen wachsenden Widerwillen. Aus einem ganz bestimmten Grund scheute er sich, Roos mit Katharina zusammenzuführen. Sie und PM wussten zu viel über den Fall Nygren. Informationen, die er ihnen streng genommen nie hätte anvertrauen dürfen.

Selbstverständlich würde Katharina ihn nicht wissentlich verraten, doch wenn sie erst einmal in Fahrt war, konnte sie sich leicht verhaspeln. Auf dem Korridor lief ihm Wagnhärad über den Weg.

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»Gut, dass ich dich sehe. Du und Bergh müsst mich unbedingt gleich nach Knigarp begleiten. Wir müssen mit Nygren sprechen. Wahrscheinlich wird es nur ein harmloses Gespräch, kugelsichere Westen können aber trotzdem nicht schaden.

Organisiere ein geeignetes Auto, aber auf keinen Fall dasselbe, das ihr früher schon mal benutzt habt. Ich erkläre euch alles Weitere auf dem Weg.«

Wagnhärad lagen offensichtlich verschiedene Fragen auf der Zunge, doch Roffes Miene hielt ihn davon ab, sie zu stellen.

»Am besten nehmen wir den roten Honda.«

»Gute Idee. Sag Bergh Bescheid und fahr den Wagen vor. Wir sind in fünf Minuten unten.«

»Wir?«

»Richtig gehört«, sagte Roffe und eilte davon.

Er schaute zu Vera hinein. »Rufen Sie Katharina Ekman an und teilen Sie ihr mit, dass wir auf dem Weg zu ihr sind.«

Er schaute sich verstohlen um und fügte in gesenktem Ton, der nicht fürs Protokoll bestimmt war, hinzu: »Sie können ihr auch sagen, dass ich gemeinsam mit einem hohen Tier vom Reichspolizeiamt komme.«

Vera nickte und griff sofort nach dem Hörer. Roffe kehrte in sein Büro zurück und hoffte, dass Katharina den Wink verstehen würde.

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Am selben Tag (zwischen 11 und 12 Uhr) Katharina legte den Hörer weg und schaute Patrik bestürzt an, der auf dem Sofa lag und sie beobachtete.

»Er bringt ein hohes Tier vom Reichspolizeiamt mit.«

»Ja?«

»So ein verdammter Mist!«, rief sie aus.

»Hast du was gegen die Reichspolizei?«

»Denk doch mal nach. Wie soll ich ihm denn jetzt von meinen Schlussfolgerungen erzählen? Wie soll ich überhaupt etwas sagen, ohne dass herauskommt, dass ich Dinge weiß, die ich nicht wissen sollte? Damit würde ich Roffe wahrscheinlich in große Schwierigkeiten bringen.«

»In Ordnung, ich habe verstanden.«

»Was machen wir jetzt?«

»Ich schlage vor, wir frühstücken erst mal. Wenn du von mir was Intelligentes hören willst, brauche ich vorher wenigstens einen Kaffee.«

Patrik rappelte sich mühsam auf und latschte gähnend in die Küche. Katharina folgte ihm.

»Ich glaube, du verstehst den Ernst der Lage nicht«, sagte sie vorwurfsvoll. »Wie kann ich deutlich machen, wie die Dinge liegen, ohne zu verraten, was ich weiß?«

»Du behauptest einfach, du hättest übersinnliche Fähigkeiten«, sagte er. »Die Wahrheit hat sich dir durch eine Vision offenbart.«

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»Klar, damit ein für alle Mal feststeht, dass ich unzurechnungsfähig bin.«

»Nur ein bisschen ungewöhnlich …«

»Also wenn hier jemand mediale Fähigkeiten besitzt, bist das eindeutig du. Denk nur an dein Bild.«

»Okay, wir sagen, ich sei mitten in der Nacht aufgestanden und hätte es in Trance gemalt … Die Polizei kann es mir gern als Beweismittel abkaufen. Wer weiß, vielleicht landet es eines Tages im Polizeimuseum.«

»Kannst du nicht versuchen, ein bisschen ernsthafter an die Sache ranzugehen?«

Patrik konzentrierte sich auf die Zubereitung des Kaffees. »Du hast selbst Schuld, wenn du mir konkrete Vorschläge abverlangst, ohne mir Zeit zu geben, darüber nachzudenken.

Übrigens könntest du auch was tun. Zum Beispiel den Tisch decken.«

Katharina begann planlos den Kühlschrank auszuräumen. »Ich kann ja erzählen, dass ich schon immer ein komisches Gefühl hatte, was ja nicht einmal gelogen ist, und dass er sich in letzter Zeit immer merkwürdiger … ach verdammt, das bringt doch nichts! Warum muss er auch diesen Typen mitbringen? So eine Schnapsidee! Hilf mir, Patrik, was soll ich ihnen sagen?«

»Was willst du mit Oliven und Senf?«

Katharina schaute verwundert auf das Glas in ihren Händen.

»Ich dachte, es wäre Marmelade.«

Er nahm ihr die Gläser ab und sagte besonnen: »Wenn er ein hohes Tier von der Reichspolizei mitbringt, dann wird er sich schon was dabei gedacht haben. Oder glaubst du etwa, er will ihm nur seine exzentrischen Freunde auf dem Land vorstellen?«

»Aber was soll er sich denn gedacht haben?«

Er schaute sie prüfend an. »Du bist ja total nervös«, stellte er fest. »Außerdem siehst du aus, als hättest du ein schrecklich 437

schlechtes Gewissen, weil du eben weißt, was du weißt. Es ist doch nicht unsere Schuld, dass die Bullen einen abgehalfterten Spion hierher verpflanzen.« Er nahm sie in den Arm. »Du bist ganz verkrampft. Komm, entspann dich. Iss erst mal was, und wenn das nicht hilft, massiere ich dir den Nacken.«

Sie setzte sich gehorsam an den Tisch und schaute ihn hilflos an. »Und wenn ich mich irre?«, fragte sie leise. »Wenn ich völlig danebenliege und einen Riesenwirbel veranstalte, nur weil mir die Nerven durchgegangen sind? Roffe würde mir das niemals verzeihen.«

»Selbst wenn du dich irren solltest, was ich nicht glaube, dann ist es höchste Zeit, dass das Reichspolizeiamt erfährt, wie gefährlich sein Schützling für seine Umgebung geworden ist. Es ist einfach unverantwortlich – und das werde ich ihm sagen –, einen paranoiden Agenten mit einem gemeingefährlichen Köter auf harmlose Nachbarn loszulassen.«

»Aber wir dürfen doch nicht sagen, dass er ein paranoider Agent ist.«

»Dürfen wir das nicht? Okay, dann streichen wir den Agenten, und du berichtest einfach, was dir gestern zugestoßen ist, als du Nygren besucht hast, um ihm von Nisses Unfall zu erzählen.

Den weiteren Verlauf des Gesprächs kannst du ja für dich behalten. Erzähl ihm von seinem ruppigen Auftreten und der Attacke des Hundes. Du brauchst nicht zu sagen, dass ihr über seine Identität gesprochen habt.«

»Aber unser ganzes Gespräch hat sich darum gedreht. Sein Verhalten lässt sich doch sonst gar nicht erklären.«

»Dann solltest du es auch so darstellen. Dass sein Verhalten einfach unerklärlich ist.«

»Und wie soll ich dann zu meinen Schlussfolgerungen gekommen sein?«

Patrik schenkte Kaffee ein und drückte ihr ein Käsebrot in die Hand.

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»Iss!«, befahl er und schmierte sich selbst eine Scheibe, in die er nachdenklich hineinbiss. Nachdem sie ein paar Minuten geschwiegen hatten, schaute er sie lächelnd an.

»Du fürchtest doch nur, dass du um die Gelegenheit gebracht wirst, mit deinem brillanten Kombinationsvermögen zu glänzen.«

»Hm …«

»Miss Marple lässt sich am Ende nur ungern die Show stehlen.«

»Du meinst, sie ist es gewohnt, dass die Polizisten bewundernd zu ihr aufschauen …«

»Wenn man bedenkt, wie viel Aufwand du betrieben hast, um deine hübsche Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen, und wenn man all die Unannehmlichkeiten berücksichtigt, denen du ausgesetzt warst, ganz zu schweigen davon, dass du fast von einem Hund verspeist worden wärst, könnte man durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass du dir deinen Schlussapplaus redlich verdient hast. Wäre doch schade, wenn so ein spektakuläres Detail wie der blutrünstige Hund einfach unterginge.«

Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. »Sag mal, willst du mich provozieren? Ich geb einen Dreck auf ihre Bewunderung, solange ich nicht in der ganzen Umgebung als überspannte, klatschsüchtige Schreckschraube bekannt werde.«

Patrik schaute auf die Küchenuhr. »Die kommen frühestens in einer Viertelstunde. Außerdem weiß ich, wie wir deine Ehre retten können. Wir benutzen Astrid.«

»Astrid?«

»Aber natürlich. Astrid Enoksson aus Äsperöd. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, hat sie dich auf die richtige Spur gebracht.«

»Hat sie? Wie denn?«

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Er lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Nacken und betrachtete sie mit halb geschlossenen Lidern.

»Im Herbst kam ein Kunde in ihr Geschäft, den sie noch nie gesehen hatte. Er war gesprächig und sympathisch und erinnerte sie zudem an ihren verstorbenen Mann. Er nannte seinen Namen und stellte sich als neuer Eigentümer von Hof Knigarp vor. Dass er eine Menge Waren kaufte, machte ihn Astrid natürlich nicht unsympathischer. Dann erblickte er Svens Hunde und war auf Anhieb begeistert. Solche wollte er sich auch zulegen. Er kündigte an, ein anderes Mal wiederzukommen, um mit Sven über die Hunde zu reden, und Astrids Herz schlug an diesem Tag ein wenig schneller als üblich, denn einen so viel versprechenden neuen Kunden lernt man nicht alle Tage kennen.

Doch weit gefehlt. Es vergingen Wochen und Monate, in denen der sympathische Herr Nygren lediglich durch Abwesenheit glänzte. Auch bei Sven meldete er sich nicht. Das war natürlich eine große Enttäuschung für Astrid, die mit der Launenhaftigkeit ihrer Kundschaft allerdings bestens vertraut ist. Wenn sie hin und wieder etwas von Nygren hörte, dann nur von Nisse, aber da der ein alter misanthropischer Querulant ist, der noch über jeden Arbeitgeber hergezogen ist, gab sie nichts auf sein Gerede.

Sicher versuchte sie manchmal etwas aus Kalle und Signe herauszubekommen, aber die wussten nicht viel zu berichten.

Nygren blieb eine einmalige, glückliche Episode in ihrem einförmigen Dasein, die mehr und mehr in Vergessenheit geriet.

Doch im Frühjahr geschah etwas Sensationelles, eine Leiche wurde auf Knigarp aus der Jauchegrube gezogen. Man kann sich denken, wie Astrid sich vor ihren Kunden ins Zeug legte: Dass sie Nygren persönlich kennt und wie reizend und höflich er ist und was für ein schreckliches Pech er auch hat und so weiter und so fort. Das Thema ist kaum richtig ausgeschlachtet, als die nächste Sensation geschieht: Der Vorarbeiter auf Knigarp, natürlich ein Ausländer, wird von der Polizei mit einem halben Kilo Kokain erwischt. Grässlich! Armer Nygren! Ein Mann, der 440

wirklich vom Pech verfolgt wird. Man kann verstehen, dass sich Astrid nichts sehnlicher wünscht, als den Mann wiederzusehen, der in aller Munde ist und den sie selbst so sympathisch fand.

Und eines Tages bietet sich ihr eine passende Gelegenheit. Sie macht mit Annas Schwiegereltern einen Ausflug, der sie zufällig an Knigarp vorbeiführt. Da liegt es doch auf der Hand, dass sie aussteigen müssen, um die herrliche Aussicht zu genießen, und wer weiß, vielleicht läuft ihnen ja sogar der Besitzer des Hofs über den Weg. Doch leider hatte sie kein Glück und musste sich mit der Aussicht begnügen. Zwar sah sie einen Mann, aber Nygren war es nicht. Vermutlich sein neuer Vorarbeiter. Denn Astrid ging davon aus, dass er Marco Fermi rasch ersetzen würde. Wenige Tage später betrittst du ihr Geschäft, und ihr kommt auf das Thema zu sprechen. Du hast später nicht mehr darüber nachgedacht, doch als du Nygren zufällig nach seinem neuen Vorarbeiter fragst und ihm erzählst, Astrid hätte ihn gesehen, reagiert er ganz und gar unverständlich und so weiter.

Wie auch immer, die Sache hat dir keine Ruhe gelassen, und jetzt hast du deine Schlüsse gezogen, die vollends mit dem übereinstimmen, was dir dein Unterbewusstsein von Anfang an signalisiert hat.«

»Meinst du wirklich, dass ich sagen soll, ich sei einzig und allein durch Astrids Aussagen darauf gekommen?«

»Und durch deine eigenen Beobachtungen. Anlass zur Verwunderung hat dir Nygren doch genug gegeben.«

»Nygren wird eine andere Version der Ereignisse erzählen.«

»Selbstverständlich. Dann steht dein Wort gegen seines. Aber ich vermute, der muss sich jetzt noch um ganz andere Dinge kümmern.«

»Ich habe Lampenfieber.«

»Iss dein Brot auf, dann kümmere ich mich um deinen verspannten Nacken. Du wirst in Topform sein, wenn sie kommen.«

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»Versprichst du mir hoch und heilig, kein Wort über paranoide Agenten zu verlieren?«

»Versprochen! Eigentlich habe ich überhaupt keinen Grund, den Mund aufzumachen. Du bist die große Detektivin. Das ist dein Tag. Ich halte mich diskret im Hintergrund und sorge dafür, dass ihre Bewunderung und Dankbarkeit keine Grenzen kennen wird.«

Katharina wurde plötzlich auf seine Kleidung beziehungsweise deren betrüblichen Mangel aufmerksam. Patrik trug nichts anderes als seinen ausgefransten, verschlissenen Bademantel, den sie von Herzen hasste.

»So kannst du doch nicht rumlaufen, wenn sie kommen.«

»Warum denn nicht? In diesem Aufzug empfange ich alle Polizisten, das weißt du doch.«

»Nicht heute und nicht, wenn ich zu Hause bin. Wenn du dich nicht umziehst, will ich nicht, dass du dabei bist.«

»Also gut, aber zuerst massiere ich dir den Nacken.«

Als Katharina zwanzig Minuten später einen Wagen hörte und aus dem Fenster schaute, sah sie, dass sie zu viert kamen. Doch als sie die Tür öffnete, erblickte sie nur Roffe und einen älteren Herrn mit Sonnenbrille.

Roffe machte einen leicht verkrampften Eindruck, als behage ihm die ganze Situation nicht.

»So, da sind wir«, rief er mit erzwungener Munterkeit. »Wir sind etwas in Eile und wollen euch nicht lange stören … Darf ich dir Regierungsdirektor Lennart Roos vorstellen.«

Roos streckte ihr seine gepflegte Hand entgegen und lächelte verhalten. Katharina spürte einen festen Händedruck, der etwas zu lang währte, um förmlich zu sein. Sie trat einen Schritt zur Seite und ließ ihre Gäste ins Wohnzimmer vorausgehen, wo sie eine vage Geste in Richtung Sofa machte, doch den beiden 442

Männern war deutlich anzumerken, dass sie lieber stehen bleiben wollten.

»Wo ist PM?«, fragte Roffe.

»Hier bin ich.«

Patrik erschien sorgfältig gekleidet in der Schlafzimmertür, ging auf Roos zu und begrüßte ihn. Ohne direkt unhöflich zu wirken, zog er sich danach an das andere Ende des Raumes zurück und stellte sich halb abgewandt vor das Fenster, um zu signalisieren, dass er sich aus dem Gespräch heraushalten wolle.

Katharina warf dem geheimnisvollen Roos, dessen Eleganz sie ebenso überraschte wie faszinierte, einen verstohlenen Blick zu.

Eine zweifellos interessante Erscheinung. Wie ein distinguierter Mafiaboss, dachte sie. Im Film wäre er die Idealbesetzung eines sympathischen Ganoven. Sie spürte, dass er sie hinter den dunklen Brillengläsern eingehend musterte. Eine gespannte Stille legte sich über den Raum.

»Dann legen wir los«, sagte Roffe aufgekratzt, als wäre er der Moderator in einem Fernsehquiz. »Du wolltest uns etwas mitteilen, das mit dem Toten in der Jauchegrube in Verbindung steht?«

»Ja …«, begann Katharina mit brennenden Wangen. »Ich glaube, ich weiß, wer dort gefunden wurde.«

»Aha?«

»Bengt Nygren.«

Sie bemerkte, wie Roffe kurz zu Roos hinübersah, ehe er wiederholte: »Bengt Nygren?«

»Ja, und ich habe gute Gründe für meine Annahme. Ich glaube, dass der Mann, der vorgibt, Bengt Nygren zu sein, ein anderer ist.«

Roffes Mienenspiel zeugte von kontrollierter Irritation an der Grenze zur Verärgerung, als wolle er sagen: Natürlich ist er ein anderer, aber sprich jetzt nicht darüber.

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Roos nahm plötzlich seine Sonnenbrille ab und sah ihr in die Augen. Was es ihr nicht einfacher machte. Seine Augen waren neugierig und freundlich zugleich, und wenn sie sich nicht täuschte, lag sogar ein gewisser Humor in ihnen.

»Eine interessante Theorie«, sagte er anerkennend. »Es würde mich sehr interessieren, wie Sie darauf gekommen sind.«

Katharina schaute ängstlich zu Patrik hinüber, dessen Miene ihr genau die Gelassenheit vermittelte, die sie benötigte.

»Das ist nicht so leicht zu erklären …«, entgegnete sie vage.

»Diese … Theorie ist das Ergebnis eines langes Prozesses. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmt, doch erst am gestrigen Tag wurde aus diesem Gefühl so etwas wie Gewissheit.«

Roos nickte aufmunternd, während Roffe düster auf seine Schuhe starrte.

Sie skizzierte in aller Schnelle ihr Verhältnis zu Astrid Enoksson in Äsperöd, erzählte von deren erstaunlicher Begeisterung für den sympathischen Bengt Nygren, der ihr Geschäft ein einziges Mal betreten hatte, um danach in der Versenkung zu verschwinden.

»Er hat einen großen Eindruck auf sie gemacht, zumal er ihrem verstorbenen Mann glich, der seit mehreren Jahren tot ist.

Ich konnte ihre Begeisterung für Nygren nicht nachvollziehen, denn ich habe zwar nichts gegen ihn, doch sonderlich sympathisch, aufgeschlossen oder gesprächig ist er mir noch nie vorgekommen. Auch eine Ähnlichkeit mit ihrem verstorbenen Mann konnte ich beim besten Willen nicht feststellen. Astrid hatte Nygren seit dessen einmaligem Besuch im Herbst nicht wiedergesehen, doch gestern erzählte sie mir, sie habe bei einem Ausflug nach Knigarp einen Mann gesehen, den sie für den neuen Vorarbeiter hielt. Der alte wurde ja inzwischen festgenommen …«

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Roos nickte wissend, und Katharina fuhr fort: »Ich hatte nichts von einem neuen Vorarbeiter gehört, und als ich Astrid nach dessen Aussehen fragte, gab sie mir eine Beschreibung, die genau auf Nygren passte. Ich habe anfangs nicht weiter darüber nachgedacht, doch als ich später bei Nygren war, um ihm etwas auszurichten, und ihn bei dieser Gelegenheit nach dem neuen Vorarbeiter fragte und auch seinen Besuch in Astrids Geschäft erwähnte, da reagierte er ungewöhnlich abweisend und aggressiv, als wisse ich etwas, das ihm gefährlich werden könnte. Er wollte mich nicht weglassen und hätte mir fast seinen Hund auf den Hals gehetzt, einen blutrünstigen Köter … Ich hatte Todesangst und glaubte … ja, ich glaubte, er, Nygren, sei verrückt geworden. Doch erst nachdem er mich schließlich gehen ließ, begann ich die Zusammenhänge zu begreifen. Mir wurde klar, dass er keinesfalls den Verstand verloren hatte, sondern bloß von meiner Nachricht schockiert war, dass ihn jemand in Äsperöd …«

Sie hielt inne, als sie Roos’ ernsten Blick wahrnahm. »Und Sie schließen daraus, dass Astrid Enoksson aus Äsperöd die Einzige ist, die den wahren Bengt Nygren getroffen hat?«, fragte er leise.

»Ja.«

Nachdenklich fügte er hinzu, als spräche er mit sich selbst:

»Und dass Bengt Nygren eines gewaltsamen Todes starb, als er auf seinen Hof kam.«

»Ja«, sagte Katharina.

Eine bleierne Stille senkte sich über den Raum, als hätte der tragische Tod des echten Nygren ihnen die Sprache verschlagen.

Roos’ Stimme ließ sie zusammenzucken. Sein stechender Blick schien sie zu durchdringen. »Haben Sie eine Idee, warum das geschehen sein sollte?«

Sie schüttelte den Kopf und schaute ihn mit großen Augen an.

»Nein, ich habe keine Ahnung.«

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Roos setzte seine Sonnenbrille wieder auf, und es schien ihr, als wäre damit ein Zauber gebrochen.

Er wandte sich an Roffe und sagte in professionellem Ton:

»Ich denke, dass sind schwerwiegende Hinweise, denen wir sofort nachgehen sollten. Was meinen Sie?«

»Absolut«, brummte Roffe und warf einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr.

Roos breitete entschuldigend die Arme aus und sagte: »Wenn wir es nicht so eilig hätten, würde ich gern noch bleiben und mich eingehender mit Ihnen über den Fall unterhalten.« Er streckte seine Hand aus. Katharina ergriff sie ganz automatisch.

Doch zu ihrem Erstaunen schüttelte er ihr nicht die Hand, sondern führte sie behutsam an seine Lippen. Ohne sie loszulassen, lächelte er sie vieldeutig an und sagte leise: »Darf ich auf ein Wiedersehen hoffen?«

»Gern«, murmelte sie und fühlte einen behaglichen Schwindel.

Er eilte zur Tür und war verschwunden. Roffe folgte ihm nach.

Katharina hielt ihn zurück und fragte: »Wollt ihr denn nicht

…?«

»Sei unbesorgt«, flüsterte Roffe und drückte leicht ihren Arm.

»Das erledigen wir auf der Stelle.« Dann eilte auch er aus dem Haus.

Wie auf Kommando stürzten Katharina und Patrik zum Küchenfenster und schauten dem langsam davonrollenden Fahrzeug nach.

»Dass sich hinter solch einem trockenen Titel ein so interessanter Mann verbergen kann«, sagte sie träumerisch.

Patrik ging darauf nicht ein.

»Verstehst du das?«, fragte sie. »Erst können sie nicht schnell genug von hier verschwinden, und dann rollen sie im Schneckentempo davon, als hätten sie den ganzen Tag Zeit.«

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»Ist doch klar. Die wollen sofort nach Knigarp, aber zuerst müssen sie sich eine Strategie zurechtlegen.«

»Und warum haben sie das nicht gesagt?«

»Weil dieser Roos ein Geheimniskrämer ist, der nicht jedem gleich auf die Nase bindet, was er vorhat. Vermutlich eine eingefleischte Gewohnheit von ihm, genau wie seine Gewohnheit, Frauen den Kopf zu verdrehen.«

»Du klingst so gereizt.«

»Ich bin nicht gereizt, sondern eifersüchtig. Ich frage mich, warum du so rote Wangen und so strahlende Augen hattest und warum du ›gern‹ gezwitschert hast, als er sich an dich herangemacht hat.«

»Wieso herangemacht? Er hat auf sehr raffinierte Weise mit mir geflirtet, und das war mir nicht unangenehm. Was hätte ich denn antworten sollen? Ich musste doch schließlich höflich sein.

In dieser Hinsicht hast du übrigens noch einiges zu lernen. Ich frage mich, wie er an die Sache herangegangen wäre, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, mich zu verführen.«

»Wahrscheinlich hätte er Champagner aus deinem Schuh geschlürft. Das hätte dem Lackaffen ähnlich gesehen«, sagte Patrik grimmig.

»Er schien von meinen Schlussfolgerungen nicht sonderlich überrascht zu sein.«

»Ist mir auch aufgefallen. Das war aber wirklich im letzten Moment. Hättest du nicht darauf bestanden, Roffe sofort zu sprechen, wären sie direkt nach Knigarp gefahren und hätten den Fall vor deiner Nase gelöst. Wäre das nicht ärgerlich gewesen?«

Roos klopfte Bergh jovial auf die Schulter und sagte: »Lassen Sie sich ruhig Zeit. Ich wollte mich ohnehin noch ein wenig umsehen.«

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Bergh drosselte die Geschwindigkeit.

Roffe, der neben dem Regierungsdirektor auf der Rückbank saß, wunderte sich über dessen Gelassenheit. Roos schien von der idyllischen Landschaft um Knigarp wirklich begeistert zu sein und benahm sich fast wie ein Tourist, dessen geplanter Besuch bei Nygren nicht mehr war als eine lästige Pflicht. Roffe hingegen, der fand, dass er bei Katharina und PM keine besonders gute Figur abgegeben hatte, fühlte sich bedrückt, antwortete jedoch so gut er konnte auf Roos’ interessierte Fragen zu dieser Gegend. Als das Verwaltungsgebäude in Sichtweite geriet, schlug Roos vor, kurz anzuhalten, um sich zu beratschlagen. Er ließ den Blick über das sonnendurchflutete Tal schweifen und sagte gedankenversunken:

»Ich frage mich, wie viel man für solch einen Hof hinblättern muss.«

Roffe schaute ihn erstaunt an. »Das müssten Sie doch eigentlich wissen.«

»Ja, ja, natürlich, aber mit diesem Detail war ich nicht befasst.

Wahrscheinlich habe ich die Summe mal gehört und wieder vergessen. Ich habe für Preise ein miserables Gedächtnis. Aber ein paar Millionen werden es schon gewesen sein.«

»Sicher«, sagte Roffe.

Roos rümpfte die Nase und schaute sich um. »Was riecht hier so übel?«

»Vermutlich die Schweine oder die Jauchegrube da drüben«, antwortete Roffe und zeigte nach links.

»Die Schweinezucht wird man wohl einstellen«, murmelte Roos geheimnisvoll.

Nur widerwillig schien er sich von seinen Gedanken zu lösen und zu den Erfordernissen des Augenblicks zurückzukehren.

»Ich nehme an, dass Ihnen das Risiko dieser Konfrontation sehr wohl bewusst ist«, sagte er.

448

Wagnhärad und Bergh hatten sich umgedreht und nickten übereinstimmend.

»Gibt es noch irgendwelche Unklarheiten? Haben Sie noch Fragen?«

Wagnhärad schaute zu Bergh, der den Kopf schüttelte. »Nein, ich glaube nicht«, sagte er.

»Gut, dann also los«, sagte Roos und lehnte sich entspannt zurück. »Ich gehe also erst mal allein hinein, wie geplant.«

Wagnhärad zögerte einen Augenblick, ehe er eine dunkelblaue kugelsichere Weste unter dem Sitz hervorzog und Roos fragend entgegenstreckte.

»Nein danke«, sagte Roos lachend, »die passt nicht zu meiner Krawatte.«

449

35

Ungefähr zur selben Zeit (zwischen 11 und 12 Uhr) Er legte den Rasierapparat beiseite und studierte sein Gesicht im Badezimmerspiegel. Es hatte ihm noch nie gefallen. Zu straff an manchen Stellen. Der Teufel wusste, was sie mit seinem Mund gemacht hatten. Wenn er lachte, verspürte er einen unangenehmen Schmerz in den Wangen, als sei ein Nerv verletzt worden. Nicht dass er in letzter Zeit viel zu lachen gehabt hätte, aber für diesen Preis hätte er eigentlich eine bessere Physiognomie erwarten können. Er strich mit dem Finger über die stark ausgedünnten Augenbrauen, konnte jedoch keine Narbe fühlen. Auch der Schnitt an der Nasenwurzel hatte keine Spuren hinterlassen. Trotzdem sah etwas verkehrt aus.

Würde er gezwungen sein, alles noch einmal durchzumachen?

Das Ergebnis stand doch in keinem Verhältnis zu den Unannehmlichkeiten. Nächstes Mal würde er sich jedenfalls nicht unters Messer legen, ohne vorher genau zu sagen, wie er sich den Eingriff vorstellte.

Er nahm sein Handy vom Toilettendeckel und eilte in die Küche. Hielt plötzlich inne: Wie hatte es nur so weit kommen können? Und was hätte er tun können, um es zu verhindern? Er starrte widerwillig auf sein Handy, das er in den letzten Tagen nicht aus den Augen gelassen hatte. Es schwieg beharrlich. Was hätte er darum gegeben, das vertraute Signal zu hören! Würde er rehabilitiert werden? Würden sie ihm noch eine Chance geben?

Vielleicht konnten sie ihn an einen anderen Ort versetzen, an dem es sich besser leben ließ als auf dieser verdammten Schweinefarm. Doch in ihrer Branche gab es selten eine zweite Chance. Fermi, dieser Schwachkopf, hatte alles zunichte gemacht. Er hätte einen so unberechenbaren Mitarbeiter nie 450

akzeptieren dürfen. Hätte der Schweizer einen kühlen Kopf bewahrt und ihm vertraut, hätten sie die heikle Situation meistern können, aber Fermi war mit seiner Position nie zufrieden gewesen. Als der schmierige kleine Streber, der er war, hatte er schnell nach oben kommen wollen. Jetzt spürte er am eigenen Leib, was passiert, wenn man keine Geduld hat.

Dieses Wissen bereitete ihm zumindest einen kleinen Trost.

Doch in den letzten Stunden hatten sich neue Gedanken seiner bemächtigt. Bedrückende Gedanken, die, kaum hatte er sie beiseite geschoben, erneut auf ihn einstürmten. Das Wort Vergeltung ließ ihn nicht mehr los. Sie wandelte auf den unwahrscheinlichsten Wegen … ein feindliches Schicksal, das ihn zu zerschmettern drohte. So, wie es bereits Fermi zerschmettert hatte. Das Schicksal in Gestalt eines jämmerlichen Handlangers, der sich immer nur am äußersten Rand des Kreises aufgehalten hat. Er hatte nicht mal von der Existenz dieses kleinen Unterhändlers gewusst, ehe dieser mit der Kasse durchgebrannt war. Diese miese Ratte, die merkwürdigerweise mit heiler Haut davongekommen war, hatte in ihrem verzweifelten Überlebenskampf dem Kreis einen Schlag versetzt, der ihn zum Wanken brachte. Wie dies überhaupt möglich gewesen war, begriff er immer noch nicht. Doch es war eine Tatsache, dass mehrere verdienstvolle Mitglieder des Kreises der Polizei in die Falle gegangen waren und die Handlungsfähigkeit der Organisation zurzeit stark eingeschränkt war. Er selbst lief kaum Gefahr, das Interesse der Polizei zu wecken. Dazu war seine Position allzu gut geschützt. Doch schien es ihm immer wahrscheinlicher, dass er, als Hauptverantwortlicher für den schwedischen Bereich, als Sündenbock herhalten musste. Es würde ihm kaum Zeit bleiben, sich zu rechtfertigen. Das hatte er Fermi zu verdanken.

Der furchtbare Druck in seinem Kopf verstärkte sich wieder.

Wie in Trance ging er zur Spüle und schluckte noch ein paar Tabletten. Er zählte sie nicht mehr.

451

Packen, er musste packen! Es war Wahnsinn, noch mehr Zeit zu vergeuden. Er konnte ohnehin nichts mehr ändern. Worauf stützten sich seine Hoffnungen? Dass sie ihm doch Gelegenheit geben würden, sich zu erklären? Vielleicht hatte er eine Chance, wenn sie ihm jemanden vorbeischickten, der mit sich reden ließ.

Er wusste genau, was diejenigen taten, die nicht redeten. Sie konnten jederzeit auftauchen. Er hätte die Botschaft gleich verstehen sollen. Seit er die Order erhalten hatte, sich ruhig zu verhalten und abzuwarten, war das Handy still geblieben. Er konnte nicht länger an der Tatsache vorbeisehen, dass sie ihn kaltgestellt hatten. Vermutlich waren sie schon auf dem Weg. Er durfte nicht länger warten …

Das verzweifelte Kratzen des Hundes an der Schlafzimmertür brachte ihm dessen Existenz in Erinnerung. Auch Cäsar war ein Problem, doch zuerst musste er packen. Er quetschte sich durch den Türspalt, um das ruhelose Tier nicht herauszulassen. Der Anblick des Schlafzimmers ließ ihn unwillkürlich zurückschrecken und erinnerte ihn daran, dass er vorhin schon sämtliche Kleider aus dem Schrank gefegt hatte. Der frustrierte Hund war auf den Haufen losgegangen und hatte einiges in Stücke gerissen. Jetzt stürzte er kläffend auf ihn zu, überglücklich und dankbar, dass seine Isolationshaft vorbei war.

Doch er schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, war nur mehr von einer panischen Hast getrieben. Was sollte er mitnehmen?

Wohin sollte er überhaupt fahren? Sicherheitshalber sollte er alles einpacken. Auch die Bettwäsche konnte ihm noch von Nutzen sein. Wahllos warf er zerrissene Hemden, angekaute Bücher, Anzüge und Kissen auf die Bettdecke und schlug diese über dem ganze Wust zusammen, um alles auf einmal zum Auto tragen zu können. Dann fiel ihm ein, dass er das Handy in der Küche vergessen hatte. Er ließ das Bündel auf den Boden fallen und rannte fluchend in die Küche, den Hund dicht auf den Fersen. Während er das Handy wie einen Talisman gegen die Brust presste, nahm er seinen unterbrochenen Gedankengang 452

wieder auf: Was brauchte er alles? Kleider, Geld, Pass. An Pässen mangelte es ihm nicht, um Bargeld war es schlechter bestellt. Wäre er ein bisschen vorausschauender gewesen, hätte er eine große Summe loseisen können. Jetzt musste er mit dem vorlieb nehmen, was sich im Haus befand. Es war nicht genug für einen bequemen Rückzug, doch war es nicht das erste Mal, dass er überstürzt ein Land verlassen musste. Er würde wieder auf die Beine kommen, wenn ihm nur genug Zeit blieb. Und Zeit war sein Hauptproblem. Warum war er nicht längst aus dem Haus? Er hätte schon unterwegs sein können. Wie viel Geld hatte er eigentlich? Mit fieberhafter Eile lief er zum Arbeitszimmer zurück, um die Geldkassette aufzuschließen.

Doch die Schublade seines Schreibtischs war bereits herausgezogen, und die Geldkassette stand sperrangelweit offen.

Wie angewurzelt blieb er auf der Schwelle stehen und begriff, dass er schon mehrmals kopflos durchs ganze Haus gerannt war, mit eben derselben Absicht. Unter Aufbietung all seiner Kraft widerstand er der Versuchung, auf der Stelle zu Boden zu sinken und sich einer lähmenden Verzweiflung zu überlassen. Wenn nur sein Kopf nicht so schrecklich schwer wäre. Wenn er nur ein paar Stunden schlafen könnte. Doch jetzt musste er fort! Auf der Stelle. Er warf das verdammte Handy, das immer noch keinen Laut von sich gab, auf einen Stuhl und unternahm einen ernsthaften Versuch, der Reihe nach alles zu durchdenken.

Da schrillte das Telefon und versetzte ihm einen Stich mitten ins Herz.

Wie gebannt starrte er auf das Handy, bis er begriff, dass das Klingeln vom anderen Apparat kam, der unter einem Berg von Papieren auf seinem Schreibtisch stand. Mit einer hastigen Bewegung schob er die Papiere beiseite und griff nach dem Hörer.

Es meldete sich eine träge Stimme mit breitem schonischen Dialekt: »Ich wollte nur fragen, ob ich heute auch rüberkommen soll.«

453

Rasend vor Zorn, unnötig aufgeschreckt und aufgehalten worden zu sein, brüllte er: »Wie rüberkommen? Wer ist da?«

»Rickard Svanberg«, antwortete sein Gesprächspartner gekränkt.

»Ich soll doch nach den Schweinen gucken, solange Nisse noch krank ist.«

Die Schweine … Es war wie die Erinnerung an einen fernen Traum.

»Ja … äh … das wäre schön«, sagte er in versöhnlichem Ton.

»Und vielleicht könnten Sie auch an den nächsten Tagen kommen. Ich muss kurzfristig verreisen.«

»Wann kommen Sie wieder?«

»Das kann ein bisschen dauern.« Plötzlich gab er einem absurden Gedanken nach. »Es wird sehr lange dauern. Sie können die Schweine behalten. Ich brauche sie nicht mehr.

Machen Sie mit ihnen, was Sie wollen.«

»Also … ich weiß nicht … Wann kommt denn die nächste Futterlieferung?«

»Das müssen Sie Nisse fragen. Ich habe jetzt keine Zeit mehr.«

Er knallte den Hörer auf die Gabel, ließ sich grübelnd auf einen Stuhl sinken und versuchte sich zu erinnern, was eben noch so wichtig gewesen war. Er musste verschwinden, richtig, doch da gab es ein paar Probleme …

Verdächtige Geräusche aus der Küche ließen darauf schließen, dass sich Cäsar mit etwas Essbarem versorgte. Das brachte ihn auf einen neuen Gedanken.

Hatte er den Hund gestern eigentlich gefüttert? Er konnte sich nicht daran erinnern. Gestern … war sie da gewesen. Es schien ihm eine Ewigkeit her zu sein, dass sie bei ihm auf dem Sofa gesessen hatte. Danach hatte er Cäsar gefüttert, natürlich! Er hatte sich gut geschlagen, sie übrigens auch. Er sprang auf und 454

begann in den Papieren auf dem Schreibtisch zu wühlen. Er musste einen geeigneten Pass auswählen und die anderen verbrennen. Er musste alle Unterlagen verbrennen, die er nicht mitnehmen wollte. Er starrte unschlüssig auf die Papierhaufen um ihn herum und wurde von einer großen Müdigkeit ergriffen.

Aus der Küche war ein Lärm zu hören, als ginge dort massenhaft Geschirr zu Bruch. Mit einem zornigen Schrei lief er aus dem Zimmer. Erst mal musste er den verdammten Köter rausschmeißen, ehe der ihm das ganze Haus auf den Kopf stellte.

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36

Ungefähr zur selben Zeit (zwischen 12 und 12.30 Uhr) Über der sonnenbeschienenen Hauptstraße von Äsperöd ruhte tiefer Frieden. Astrid Enoksson, die den Vormittag dazu benutzt hatte, ihre Gefriertruhen gründlich zu säubern, machte gerade eine wohl verdiente Kaffeepause hinter ihrer Ladentheke, als die Türglocke den ersten Kunden des Tages ankündigte. Es war Inga Jespersson. Astrids Gesicht leuchtete auf. Mehr Glück konnte man nicht haben, wenn man das Bedürfnis nach einem Plauderstündchen verspürte. Inga hatte wie immer viel auf dem Herzen, und an Einkäufe war nicht zu denken, ehe sie ihrem Ärger nicht Luft gemacht hatte. Sie stellte Korb und Einkaufstasche ab, setzte sich auf den Hocker, der neben der Theke stand, und brachte unvermittelt das Thema des Tages zur Sprache: Nisse Hallman. Für seinen verkommenen Lebenswandel und seine berüchtigte Halsstarrigkeit wusste sie ein paar brandheiße Beispiele zu erzählen, die genug Stoff zu eingehenden Erörterungen boten. Doch das Thema war unerschöpflich, und so leitete Astrid in routinierter Beiläufigkeit zu Nisses Arbeitgeber über, dem vom Pech verfolgten Bengt Nygren, der wahrhaft zu bedauern sei.

Inga, die nie das Vergnügen hatte, besagtem Herrn Nygren zu begegnen, zeigte sich gegenüber dessen Sorgen ziemlich gleichgültig und fand das Thema längst ausgereizt. Dafür konnte sie Astrid darüber aufklären, dass dieser Maler, der ganz in der Nähe von Knigarp wohne, irgendwie in die schrecklichen Vorkommnisse verstrickt sei. Sie wolle zwar nicht direkt behaupten, dass er des Mordes verdächtigt werde, aber irgendwas sei da im Busch. Sie habe gehört, dass sich die 456

Polizei genauestens nach seinem Lebenswandel erkundigt habe.

Astrid machte große Augen, war jedoch skeptisch.

»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte sie entrüstet. »Das ist doch so ein netter Mann.«

»Also davon habe ich nie was bemerkt«, entgegnete Inga säuerlich. »Ich finde, er macht einen ziemlich ungehobelten Eindruck. Und man hat doch schließlich gehört, was das für einer war, bevor er geheiratet hat. Nachher soll’s ja auch nicht viel besser geworden sein. Und die Leute in der Gegend wissen doch alle, was die da in ihrem Haus für wilde Feste feiern mit Unmengen von Alkohol und ich weiß nicht was. Erik kannte noch seinen Vater. Der war auch kein Kind von Traurigkeit, das kann ich dir sagen. Na ja, jetzt ist er ja tot. Für seine Frau ist das bestimmt kein Zuckerschlecken.«

»Warum?«

»Der liegt doch den halben Tag im Bett rum, während sie arbeitet. Ich glaube, sie hält ihn aus.«

»Aber das kann man doch nicht vergleichen«, widersprach Astrid. »Er ist eben ein Künstler, und sicher verkauft er viele Bilder.«

Inga schnaubte verächtlich und wollte gerade neue Behauptungen vom Stapel lassen, als sie und Astrid plötzlich vom ungewöhnlichen Anblick eines silbergrauen Mercedes aus ihren Gedanken gerissen wurden, der auf der Kiesfläche vor Astrids Schaufenster fast lautlos zum Stehen kam. Auf den zweiten Blick sahen sie, dass es sich um ein ausländisches Fahrzeug handelte, in dem vier Männer saßen. Verblüfft nahmen sie zur Kenntnis, dass zwei von ihnen ausstiegen und Astrids Geschäft betraten.

»Wieder mal Touristen«, flüsterte Inga, als die Türglocke bimmelte.

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Astrid hoffte auf ein gutes Geschäft und bemühte ihre herzlichste Miene, die ausschließlich für Touristen reserviert war.

Ein wenig unsicher wurde sie doch, als sie die tadellos gekleideten Herren erblickte, deren förmliches Auftreten auf Geschäftsleute schließen ließ. Während der eine an der Tür stehen blieb, ging der andere zielstrebig zur Ladentheke und entblößte verbindlich lächelnd ein perfektes Gebiss.

»Sprechen Sie Deutsch?«

»Er fragt dich, ob du Deutsch sprichst«, flüsterte Inga.

»Das habe ich doch verstanden«, entgegnete Astrid spitz.

Dennoch sah sie sich gezwungen, langsam und unmissverständlich den Kopf zu schütteln.

»English?«, versuchte es der vermeintliche Tourist.

Astrid durchforstete in aller Eile ihren englischen Grundwortschatz, was im Nu erledigt war.

Inga kam ihr zur Hilfe. »Ich sprechen kleine Deutsch«, sagte sie triumphierend.

Ihre Initiative wurde mit einem noch breiteren Lächeln vergolten. »Sehr gut.«

Ein zusammengerollter Straßenatlas landete auf der Theke.

»Können Sie mir einen Ort auf dieser Karte zeigen?«

Inga nickte bereitwillig und schlug die Seite auf, die Christiansholm mit Umgebung zeigte.

»Wissen Sie, wo sich der Hof Knigarp befindet?«

»Knigarp?«, riefen Astrid und Inga wie aus einem Mund.

»Ja. Können Sie mir die Stelle auf der Karte zeigen?«

Inga schaute aus dem Fenster, während ihre Lippen stumm darum kämpften, die deutschen Wörter zu formen.

»Es ist nicht so lange.« Sie streckte vage ihren Arm aus. »Es ist rechts, vier Kilometer.« Dann fuhr sie mit ihrem Zeigefinger 458

über die Karte bis zu dem Punkt, an dem Knigarp liegen musste.

Der Fremde nickte zufrieden. »Wie kann man das Haus erkennen?«

»Hm, ich weiß nicht …« Sie wandte sich an Astrid. »Wie sieht das Wohngebäude eigentlich aus?«

»Ein rotes Backsteinhaus, das weißt du doch.«

»Es ist eine große, rote Haus«, sagte Inga.

»Kann man das Haus vom Weg aus sehen?«

Inga begann zu schwitzen, nickte beflissen und fügte ein

»Jawohl!« hinzu.

»Ob sie mit Nygren befreundet sind …«, flüsterte Astrid, die nicht völlig außerhalb stehen wollte.

Inga leitete ihre Frage weiter: »Ist es eine Freunde zu Bengt Nygren?«

Der Fremde warf seinem Begleiter an der Tür einen kurzen Blick zu, ehe er mit verbindlichem Lächeln antwortete: »Ja, Bengt ist ein alter Bekannter von uns. Wir haben gemeinsam an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim studiert und wollen ihn mit unserem Besuch überraschen.«

Inga ließ sich nicht anmerken, dass dieser Redeschwall sie überforderte, und als die wohlerzogenen Fremden zwei Tafeln Schokolade mit einem Hundertkronenschein bezahlten, das ihnen zustehende Wechselgeld jedoch dankend ablehnten, rief sie ihnen zum Abschied ein couragiertes »Auf Wiedersehen!«

nach.

»Ich wusste gar nicht, dass du so gut Deutsch sprichst«, sagte Astrid, die ihre Bewunderung nicht verhehlen konnte.

»Ach, das meiste habe ich sicher vergessen«, entgegnete Inga mit gespielter Bescheidenheit. »Erik und ich haben vor über dreißig Jahren mal einen Deutschkurs gemacht. Die Bänder haben wir noch.«

459

»Was hat er zum Schluss gesagt, als du ihn gefragt hast, ob sie mit Nygren befreundet sind?«

Inga schaute an die Decke. »Er hat gesagt, dass sie alte Schulfreunde sind und in derselben Stadt gewohnt haben.«

»Wie merkwürdig, dabei ist er doch Schwede. Hat er früher also in Deutschland gewohnt …«

»Ja, warum denn nicht?«

»Glaubst du, das waren alles alte Schulfreunde, ich meine, alle vier?«

»Das glaube ich kaum. Der an der Tür sah doch viel jünger aus, und die im Auto habe ich nicht genau gesehen.«

Astrid sagte nachdenklich: »Wie merkwürdig sie gekleidet waren.«

Inga nickte.

»Also bei dieser Wärme Handschuhe zu tragen … Vielleicht hatte er ein Ekzem an der Hand, das er nicht zeigen wollte.«

»Der an der Tür hatte auch Handschuhe an. Meinst du, die haben beide ein Ekzem?«

»Bei diesen Ausländern kann man nie wissen. Jedenfalls stelle ich es mir nicht sehr bequem vor, in solchen Kleidern zu reisen, aber Deutsche sind vielleicht so … falls es denn Deutsche waren.«

Astrid seufzte leise. »Der an der Tür sah ziemlich finster aus, aber der, mit dem du gesprochen hast, machte doch einen freundlichen Eindruck. Meinst du, dass Nygren sich freuen wird, so überraschenden Besuch zu bekommen? Das kann einem doch sehr unangenehm sein, wenn man nicht aufgeräumt hat oder nichts zu essen im Haus hat. Also, ich schätze es gar nicht, wenn jemand einfach so reinschneit, ohne vorher Bescheid zu sagen.«

»Ach, bei Männern ist das anders«, sagte Inga leichthin. »Die kümmern sich nicht um Aufräumen oder so was.«

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»Nein, da hast du wohl Recht«, sagte Astrid. »Ich hoffe jedenfalls, dass er sich freuen wird. Er hat doch so eine schwere Zeit hinter sich. Aber ich frage mich, ob sie den Hof auch finden. Ich hatte den Eindruck, du hast ihnen nicht ganz die richtige Stelle gezeigt.«

»Ich habe doch auf die Straße nach Christiansholm gedeutet.«

»Also ich glaube, du hast auf die Straße nach Vestringe gedeutet.«

Inge wurde unsicher.

»Hab ich das wirklich? Na ja, sie werden es schon finden.«

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37

Etwas später (zwischen 12 und 13 Uhr) Zum Umfallen erschöpft, sperrte er den Hundezwinger ab. Es war ihm immerhin geglückt, den Hund einzusperren und ihm noch mal Futter zu geben. Zu mehr war er nicht in der Lage gewesen. Als der sentimentale Idiot, der er war, hatte er Cäsars Kopf gestreichelt, während er mit der anderen Hand nach der Pistole gefingert hatte, die in seiner Hosentasche steckte. Es wäre eine Frage von Sekunden gewesen, hätte er mehr innere Stärke besessen.

Er nahm den Kies unter seinen Schuhsolen und die Wärme der Sonne wahr. Sein Gefühl für das, was um ihn herum geschah, kehrte zurück. Er blieb stehen und lauschte der friedvollen Stille. Wurde plötzlich von dem verzweifelten Wunsch gepackt, weiterleben zu wollen, selbst unter bedeutend schlechteren Umständen. Er sog tief die milde, klare Luft ein und warf einen Blick über das Tal, bevor er mit gebeugtem Kopf auf das Haus zueilte. Doch noch ehe er die Eingangstreppe erreichte, traf ihn das scharfe Bellen des Hundes wie ein Schlag in den Rücken.

Mit klopfendem Herzen spähte er die Allee hinunter. Durch das dichte Laub hindurch sah er ein Auto, das soeben auf die breite, von Linden gesäumte Zufahrt eingeschwenkt war. Der Anblick nahm ihm die letzte Energie. Was konnte er jetzt noch tun? Oder sollte er gleich aufgeben? Er wankte und musste sich am Geländer festhalten. Das war das Ende. Er hätte ihnen allenfalls zuvorkommen können, doch so viel Mut brachte er nicht auf.

Überraschenderweise kamen sie in einem roten Honda mit schwedischem Kennzeichen, doch wie erwartet, waren sie zu viert.

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Ihre Gesichter konnte er nicht erkennen. Aus irgendeinem Grund fuhren sie nicht bis zum Haus, sondern blieben auf der anderen Seite der Kiesfläche, ungefähr dreißig Meter von ihm entfernt, stehen. Er wagte nicht zu spekulieren, was das für eine Bedeutung haben könnte. Seine Hand wanderte automatisch zur hinteren Hosentasche, während er zu Cäsar hinüberschaute, der in seinem Zwinger ein wildes Spektakel aufführte. Seine Vorderpfoten hatten sich in das Stahldrahtgeflecht verkrallt, das unter seinem Gewicht bedenklich schwankte.

Nach einer unerträglich langen Wartezeit stieg ein Mann aus der hinteren Tür des Wagens. Die drei anderen machten keine Anstalten, ihm zu folgen. Cäsars Bellen ging in schrilles, ohrenbetäubendes Jaulen über. Er riss und zerrte am Drahtzaun, als wolle er seinem Herrn unter allen Umständen zur Hilfe kommen. Es war ein älterer, schmalgliedriger, weißhaariger Herr, der ihm entgegenging. Keine Erscheinung, die er mit einem Killer in Verbindung gebracht hätte, schon eher mit … ja, womit eigentlich? Ungewöhnlich waren nur die extrem dunklen Gläser seiner Sonnenbrille. In gemächlichem Tempo, mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen, als sei er ein harmloser Vertreter, der dem Hofbesitzer seine Waren anbieten wolle, näherte er sich der Treppe. Als sie nur noch wenige Meter voneinander entfernt waren, machte er eine vielsagende Geste zum Hundezwinger und rief: »Kann man den Hund irgendwie zur Ruhe bringen?«

Offenbar ein Schwede. Das hatte er nicht erwartet. Er zögerte einen Moment, dann drehte er sich um und gab dem Hund ein schneidendes Kommando. Cäsar ließ sofort vom Zaun ab, gab noch ein leises Bellen von sich und setzte sich hin. Die plötzlich Stille gellte ihm in den Ohren, das Gefühl der vermeintlichen Übermacht war dahin.

Der Unbekannte nahm die Sonnenbrille ab und schaute ihn mit graugrünen, wachen Augen an.

»Bengt Nygren, vermute ich.«

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Er nickte. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Mein Name tut hier nichts zur Sache, aber Sie sollten mir genau zuhören«, entgegnete er trocken.

War er ein Polizist? Sein Maßanzug sprach dagegen. Die Situation war so ungewöhnlich, dass seine Angst ein wenig gelindert und durch Neugier ersetzt wurde. Er ließ die Hand aus der Tasche gleiten. Eine vage Hoffnung hatte von ihm Besitz ergriffen. Würden sie ihm doch die Möglichkeit zu einer Erklärung geben?

Der Fremde machte eine seitliche Kopfbewegung in Richtung Haus.

»Können wir hineingehen?«

Das Misstrauen kehrte zurück.

»Was ist gegen frische Luft einzuwenden?«

»Nichts, aber wir sollten trotzdem hineingehen. Außerdem will ich nicht, dass meine Kollegen uns zuhören.«

Er hob die Brauen und warf einen erstaunten Blick auf den Wagen. Handelte es sich doch um Polizisten? Nein, schwedische Ordnungshüter konnten niemals dem Drang widerstehen, sich vorzustellen.

»Ihre … Kollegen?«

»Genau. Kommen Sie.«

Mit gemischten Gefühlen trat er beiseite, um den geheimnisvollen Fremden ins Haus zu lassen, der zweifellos ein bestimmtes Anliegen hatte. War es seine Liquidierung oder etwas Vorteilhafteres?

Er führte seinen Gast in den Raum, der am wenigsten verwüstet war und zum Vorplatz hinausging, was ihm Gelegenheit gab, das Auto im Auge zu behalten. Der Fremde nahm in demselben Sessel Platz, in dem gestern seine Nachbarin gesessen hatte. Er setzte sich auf das Sofa.

Der andere kam sofort zur Sache und sagte in sachlichem Ton: 464

»Der Olymp hat mich gestern beauftragt, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen. Ich nehme an, dass es meine Anonymität ist, die mich für diese Kuriertätigkeit geeignet erscheinen lässt. Meine Position beim Reichspolizeiamt sowie meine spezielle Funktion innerhalb des Kreises haben, wie Sie wissen, stets die größte Diskretion erfordert. Ich bin es, der Sie mit Berichten über die Interna unserer Behörde versorgt hat. Es dürfte Ihnen klar sein, dass ich unter normalen Umständen niemals das Risiko eingegangen wäre, Sie persönlich aufzusuchen. Und über die gegenwärtigen Zustände ließe sich einiges sagen, aber normal sind sie nicht. Unser gemeinsamer Auftraggeber hat mich also gebeten, Sie über die Lage zu informieren und Ihren vollständigen Bericht weiterzuleiten.«

Es kostete ihn mehrere zitternde Atemzüge, um die Tragweite dieser Information zu ermessen. Vor allem brauchte er einen Moment, um zu begreifen, dass man mit ihm kommunizieren wollte, anstatt ihn zum Sündenbock zu stempeln.

»Wer sind die Leute, die im Auto sitzen?«

»Lokale Polizeibeamte.«

»Polizei?«

Sein Gast machte eine ungeduldige Handbewegung und sagte schroff: »Was haben Sie denn erwartet? Ich habe einen doppelten Auftrag. Wie sollte das auch anders sein? Meine Behörde kann nicht länger untätig bleiben. Aus Stockholm und aus Christiansholm sind massive Anfragen zu Ihrer Person eingegangen, und jetzt ist es an uns, etwas zu unternehmen, das auf allen Seiten zur Beruhigung beiträgt. Ich habe dafür gesorgt, dass ich persönlich für den Kontakt zu Ihnen verantwortlich bin.

Doch mein eigentlicher Auftraggeber ist der Olymp. Ich bin vor allem hier, um Sie zu informieren und Ihren vollständigen Bericht anzuhören.«

Unwillkürlich stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus.

Das war fast zu schön, um wahr zu sein. Die Wege des 465

Schicksals waren wirklich unergründlich. Eben noch hatte er in Todesangst seine Henker erwartet. Nun konnte er unter polizeilicher Bewachung in Seelenruhe seine Erklärung abgeben und die Informationen erhalten, die er so dringend benötigte. Er erlaubte sich sogar ein stilles Lächeln. »Die Polizisten aus dieser Gegend, mit denen ich in letzter Zeit Kontakt hatte, sind nicht gerade durch ihren Scharfsinn aufgefallen. Aber kommen wir zur Sache. Was haben Sie mir mitzuteilen?«

Sein Gast schaute ihn ernst an. »Ich komme mit schlechten Nachrichten, also sparen Sie sich Ihre Freude. Interpol ist bis zum Kern unserer Organisation vorgedrungen. Die Kommunikation ist weitgehend lahm gelegt. Ich vermute, dass auch Sie …«

Er nickte. »Darum habe ich also seit Tagen nichts mehr gehört?«

»Vermutlich. Man war gezwungen, die üblichen Kommunikationskanäle zu schließen. Im Moment ist es äußerst riskant, Telefon oder Fax zu benutzen. Auch von codierten Briefen wird abgeraten. Bis ein neues Kommunikationsnetz aufgebaut ist, wird empfohlen, ausschließlich persönliche Gespräche zu führen. Das gilt für ganz Europa. Unsere Handlungsfähigkeit ist also stark eingeschränkt. Wir haben unsere Spuren verwischt und sämtliches Material ausgelagert.

Es wird von Fernlastern durch ganz Europa transportiert, bis sich alles wieder beruhigt hat. Eigentlich ist die Situation nicht schlimmer als ’87. So etwas geht in Wellen. In ein paar Jahren haben wir uns wieder erholt.«

»Was wird von mir erwartet? Es ist schwierig, etwas zu unternehmen, wenn man vollkommen isoliert ist.«

»Dazu komme ich noch. Sie sind nicht der Einzige, zu dem die Verbindung abgebrochen war. Aber ich habe nicht mehr viel Zeit.«

466

Er warf einen vielsagenden Blick aus dem Fenster. »Jetzt will ich hören, was Sie zu sagen haben. Der Olymp verlangt einen ausführlichen Bericht über die Ursachen, die zu dem Zusammenbruch in Schweden geführt haben. Offenbar handelt es sich um einen Einzelfall. Vor allem will er wissen, wie es passieren konnte, dass Fermi in Mjölby hinter Gittern sitzt und Enqvist in Stockholm festgenommen wurde.«

Er rutschte nervös hin und her und spürte wieder den schmerzhaften Druck im Kopf. Nach Tagen der Isolation empfand er dieses Gespräch als enorm anstrengend.

»Ja, wie soll ich … Ich fürchte, dass ich keine vollständige Erklärung liefern kann … zumindest nicht für die Vorfälle in Stockholm. Natürlich habe ich gewisse Vermutungen. Was Enqvist gemacht hat, weiß ich nicht. Offenbar war er so unvorsichtig, ein Telefon zu benutzen, das abgehört wurde. Da ich seit zwei Tagen mit niemandem sprechen konnte, weiß ich auch nicht mehr als das, was Sie mir am Freitag berichtet haben.

Und was kann ich schon über Fermi sagen? Dass er mich vor der Leitung diskreditieren wollte, ist doch offensichtlich.

Außerdem ist er heimlich seinen eigenen Geschäften nachgegangen. Fermi konnte den Hals wohl nicht voll genug bekommen, das ist ihm zum Verhängnis geworden.«

Er bemerkte den kalten Glanz in den Augen des Fremden. »Ich hatte mir mehr von Ihnen erwartet als vage Vermutungen. Also noch mal von Anfang an. Die ganze betrübliche Entwicklung begann damit, dass die Leiche in Ihrer Jauchegrube gefunden wurde. Waren Sie da nicht ein bisschen leichtsinnig?«

»Das mag von außen betrachtet so aussehen, aber die Umstände zwangen mich zu einer Notlösung. Das Objekt leistete unerwarteten Widerstand, wie aus meinem damaligen Bericht hervorgeht.«

»Der Bericht war unvollständig.«

467

»Ich war davon ausgegangen, Sie hätten die Details vom Spezialisten erfahren.«

»Man wollte die Details aber von Ihnen hören.«

Er holte tief Luft und versuchte krampfhaft, sich zu erinnern.

Wenn er nur nicht so verdammte Kopfschmerzen gehabt hätte.

Manchmal wurde der Druck auf Augen und Ohren so stark, dass ihm fast übel wurde.

»In der Nacht zum … warten Sie … es muss in der Nacht zum dreißigsten September gewesen sein, als ich mit dem Spezialisten auf Knigarp ankam. Er parkte den Wagen an einem Waldweg in der Nähe. Wir schlugen uns durch den Wald und versteckten uns im Haus. Am dreißigsten September kam das Objekt um kurz nach achtzehn Uhr in dem blauen Volvo, der draußen vor der Tür steht …«

»Sie sprechen von Nygren?«

»Ja. Eigentlich sollte er durch einen Schuss in den Nacken getötet werden, doch Nygren hatte anscheinend bemerkt, dass etwas faul war. Er schlug dem Spezialisten ins Gesicht und entwendete ihm anfangs sogar seine Waffe. Erst nach einem heftigen Kampf gelang es ihm schließlich, Nygren das Genick zu brechen …«

»Und weiter?«

»Nygren hatte ihm ziemlich zugesetzt. Ich erinnere mich nicht mehr genau, welche Verletzungen er hatte, aber er blutete aus Mund und Nase und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Nach einer Weile verlor er das Bewusstsein, und da stand ich nun mit einer Leiche, die er mir eigentlich vom Hals schaffen sollte, nur war er nicht mehr in der Lage dazu. Die Leiche im Haus zu verstecken, schien mir zu riskant. Zu dieser Zeit wusste ich ja noch nicht, wann womöglich Angestellte oder Nachbarn auftauchen konnten … Ich musste die Leiche also noch am selben Abend verschwinden lassen.

468

Ungefähr um kurz nach neun, nachdem es ganz dunkel geworden war, inspizierte ich das Grundstück. Da kam ich auf die Idee, den Toten in der Jauchegrube zu versenken. Die wird ja ständig aufgefüllt und niemals vollständig geleert. Wenn ich dafür sorgte, dass die Leiche am Boden blieb, würde sie ziemlich schnell zersetzt werden, dachte ich mir. Ich möchte daran erinnern, dass die Beseitigung des Toten eigentlich nicht zu meinen Aufgaben gehörte, doch die Umstände zwangen mich dazu, das Problem irgendwie zu lösen.«

»Wann kam unser Spezialist wieder zu sich?«

»In der darauf folgenden Nacht war er in der Lage, von hier zu verschwinden.«

»Und jetzt zu Fermi.«

»Fermi ist ein Verräter, der zu Recht hinter Gittern sitzt.«

»Das müssen Sie mir erklären.«

»Fermi sollte das Bindeglied zwischen mir und den verschiedenen schwedischen Einheiten … und natürlich zwischen mir und der Leitung sein. Ich habe ihm nie recht getraut und nahm auch an, dass er dazu da war, mich zu überwachen und Berichte über meine Tätigkeit zu verfassen. An sich eine verständliche Vorsichtsmaßnahme, und ich hatte ja auch nichts zu verbergen. Ich hätte mir nur gewünscht, dass sie mir jemanden zur Seite gestellt hätten, der weniger ehrgeizig ist.

Fermi war mit seiner Stellung nie zufrieden. Sein Ziel war es, die Leitung für ganz Schweden zu übernehmen. Auch wenn er es nicht war, der die Leiche mit dem Maler da drüben in Verbindung gebracht hat, wie ich anfangs dachte, bin ich mir sicher, dass seine Berichte mich bei der Leitung diskreditieren sollten. Dann ist die Sache mit dem Eber passiert. Sie hat mich verwirrt. Ich wusste ja schließlich nicht, ob er ihm selbst die Kehle durchgeschnitten hatte oder ob ein anderer damit beauftragt worden war. Ich fasste es als einen Wink auf, meine Aktivitäten auf ein Minimum zu reduzieren, bis ich weitere 469

Instruktionen erhalten würde. Natürlich habe ich nicht gewagt, eine Order, die authentisch sein konnte, zu ignorieren. Da ich aber nie weitere Instruktionen bekommen habe, nehme ich an, dass Fermi den Eber auf eigene Faust umgebracht hat, um mir Unannehmlichkeiten zu bereiten und mir meine Arbeit zu erschweren.«

»Was steckt hinter der Geschichte in Mjölby?«

»Es glaubt doch wohl niemand, dass ich etwas mit der Sache zu tun habe. Dass Fermi seinen eigenen Geschäften nachging, liegt doch auf der Hand.«

»Sie haben also nichts mit seiner Festnahme zu tun?«

Er starrte auf seine Hände und dachte einen Augenblick nach.

Es war eine große Genugtuung für ihn gewesen, Fermi unschädlich zu machen. Das war ihm gründlich gelungen und hatte den Kreis anderthalb Millionen gekostet. Und da Fermi offenbar nicht reden wollte, sah auch er keinen Grund, seinen Gewinn aufs Spiel zu setzen und etwas zuzugeben, das als privater Racheakt aufgefasst werden konnte. Die Buchführung so zu manipulieren, dass der Verlust nicht sichtbar wurde, war für jemanden mit seinen Fähigkeiten ein Kinderspiel. Er schüttelte nachdrücklich den Kopf.

»Nein, seine Festnahme ist auch mir ein völliges Rätsel.«

Sein Gast schwieg eine Weile, ehe er auf seine Uhr sah und sich erhob. Dann sagte er den kryptischen Satz: »Es ist Zeit, die Maske fallen zu lassen.«

»Was soll das heißen?«

»Dass es höchste Zeit ist, das Geheimnis um all die falschen Identitäten zu lüften.«

Was war das für eine merkwürdige Aussage? Irritiert runzelte er die Stirn und zuckte zusammen, als Cäsar plötzlich anschlug.

Er sah aus dem Fenster. Das Auto war leer.

»Ich verstehe nicht …«

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»Fangen wir bei mir an.«

Hektisch sprang er auf und spürte einen betäubenden Schwindel, als falle er aus großer Höhe, Gleichzeitig hatte er das Gefühl, als würde sein Gehirn sich abwechselnd ausdehnen und zusammenziehen. Was geschah hier? Er fror furchtbar. Hatten sie ihn hinters Licht geführt? Er musste sich am Tisch abstützen, während er von Schüttelfrost gepackt wurde.

»Die Polizisten …?«

»Sind schon im Haus.«

Eine dumpfe Wut stieg in ihm auf, er versuchte die Pistole aus der Tasche zu ziehen, aber es war zu spät. Sein Körper war außer Kontrolle geraten. Er konnte keinen Willen mehr mobilisieren, und seine Hand hatte nicht mehr genug Kraft, die Waffe auf ein Ziel zu richten. Mit einem harten, trockenen Knall fiel sie zu Boden.

Vermutlich hatte er kurzzeitig das Bewusstsein verloren, denn verwundert nahm er zur Kenntnis, dass er auf dem Sofa lag.

Jemand hatte ihm Wasser ins Gesicht geschüttet. Sein Hemd war völlig durchnässt.

Er erkannte die beiden Männer wieder, die seine Taschen durchsuchten, doch der dritte, der ihm umständlich erklärte, er sei wegen Mordes an Bengt Nygren festgenommen, war ihm unbekannt. Er empfand eine matte, befreiende Gleichgültigkeit.

Der weißhaarige Mann kam in sein Blickfeld. Wortreich und freundlich knüpfte er an seine rätselhafte Rede von vorhin an:

»Sie können ganz ruhig bleiben«, sagte er. »Meine Kollegen durchsuchen das Haus nach Material, das für uns von Interesse sein könnte. Währenddessen möchte ich eine Erklärung abgeben. Sind Sie in der Lage, mir zu folgen?«

Er glaubte zu nicken.

»Mein Name ist Lennart Roos. Ich bin Regierungsdirektor beim Reichspolizeiamt. Schon seit einiger Zeit habe ich einen 471

meiner Kollegen verdächtigt, für den Kreis zu arbeiten. Es gab keine direkten Beweise, und ich scheute mich davor, die Sache offen anzusprechen. Er hätte mir das sehr übel nehmen können, wäre an der Sache nichts dran gewesen. Gestern fand ich es an der Zeit, aus der Deckung zu gehen, wenn ich mich so ausdrücken darf, um mich selbst von Nygrens Wohlergehen zu überzeugen. Schließlich hat seine Umschulung zum Schweinezüchter die sonderbarsten Folgen gehabt. Etwas spät, könnte man meinen, aber wir übereilen uns selten. Und leider …

sobald ich Sie sah, wurden meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Ich hatte eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten in Betracht gezogen, die mir alle lieber gewesen wären. Dass Bengt Nygren enttarnt und ermordet worden war, bedrückte mich zutiefst. Er war ein tüchtiger Polizist und ein sympathischer Mensch, und natürlich liegt es nahe, sich für seinen Tod mitverantwortlich zu fühlen. In gewisser Weise war es uns auch peinlich, so gründlich an der Nase herumgeführt worden zu sein. Die neuen Erkenntnisse sind für unsere Behörde ja keineswegs schmeichelhaft. Wie dem auch sei, ich hätte Sie natürlich ganz fantasielos festnehmen lassen können, doch ich dachte mir, es sei der Mühe wert, zuvor ein paar Informationen abzuschöpfen. Im Grunde wollte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: erstens meinen Kollegen überführen, der wohl die Hauptverantwortung für Nygrens Tod trägt, und zweitens ein Geständnis von Ihnen hören, sozusagen direkt am Tatort.

Ansonsten sind die Mitglieder des Kreises ja bekannt dafür, bei Verhören extrem verstockt zu sein. Ich habe hoch gepokert, denn natürlich wusste ich nicht, wem mein Kollege seine Berichte zuspielte. Und natürlich konnte ich mir auch nicht sicher sein, ob Sie sich nicht schon mal begegnet waren. Aber es hat funktioniert. Unser Gespräch ist aufgezeichnet worden.«

Er starrte an die Decke und fragte sich, ob dieser eitle Geck ihn auch hinters Licht geführt hätte, wäre er bei klarem Bewusstsein gewesen. Die Strapazen der letzten Zeit hatten 472

seine Kräfte aufgezehrt. Es war der Gesundheit nicht gerade förderlich, in ständiger Todesangst zu leben. Ob er unverzeihlich naiv oder der Bluff des anderen nicht zu durchschauen gewesen war, interessierte ihn nicht mehr. Das Sofa umschloss ihn behaglich. Er fühlte die Müdigkeit kommen und konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal ausgeschlafen hatte. Eigentlich war ihm diese geschwätzige Figur, die da auf dem Couchtisch saß und eine sublime Freundlichkeit ausstrahlte, ganz sympathisch. In seinem jetzigen Zustand hatte er nicht einmal Anlass, sein Schicksal zu verfluchen. Noch vor kurzem hatte er der Katastrophe ins Auge geblickt, und dies hier war zweifellos besser als das, was er sich erwartet hatte. Zumindest würde er noch eine Zeit lang am Leben bleiben, und aus irgendeinem Grund war ihm daran gelegen. Es war ihm so sehr daran gelegen, dass er sogar eine Zusammenarbeit mit der Polizei in Erwägung zog, vorausgesetzt, sie schützten ihn weiterhin. Da ihn die Stille bedrückte, versuchte er den anderen wieder zum Reden zu bringen: »Es spielt zwar keine Rolle, aber woher kannten Sie den aktuellen Namen unserer Leitung?«

Der Weißhaarige gab ein leises Lachen von sich. »Der Olymp!

Ihre Auftraggeber haben eine gefährliche Neigung zur Hybris.

Man kann nur hoffen, dass ihr Hochmut sie endgültig zu Fall bringt. Es wären nicht die ersten Götter, die vom Himmel stürzten. Das war mein einziger Trumpf. Schließlich fliegen nicht alle unsere V-Männer gleich auf. Manche halten sich lange genug, um so einiges aufzuschnappen.«

»Und die Kommunikationsstörungen?«

»In dieser Hinsicht habe ich mich von meinem Wunschdenken inspirieren lassen. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie die Situation an dieser Front ist.«

Das war im Grunde eine Enttäuschung. Er hätte es vorgezogen, wenn die Kommunikationsstörungen wirklich bestanden hätten.

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Dann wäre er zumindest unfreiwillig isoliert gewesen. Also wollten sie ihm doch keine Möglichkeit geben, sich zu verteidigen. Aber warum hatten sie ihn dann noch nicht umgebracht?

Der andere beugte sich ihm entgegen und sagte in verändertem Tonfall, der den Polizisten verriet: »Um meinen Kollegen die Arbeit zu erleichtern, können Sie mir gern verraten, ob Sie irgendwelche wichtigen Unterlagen im Haus versteckt haben.

Früher oder später finden wir sie ohnehin, aber Sie würden sich einen großen Gefallen tun, wenn Sie von Anfang an mit uns zusammenarbeiteten.«

Sein erster Impuls war zu schweigen. Dieser Ton gefiel ihm überhaupt nicht. Angewidert begriff er seine neue Position. Er, der es gewohnt war, andere zu überwachen und ihnen Befehle zu erteilen, musste sich offenbar an ganz neue Töne gewöhnen.

Zumindest wollte er auf Gegenleistungen für seine Dienste bestehen. Als hätte er dem anderen gar nicht zugehört, sagte er:

»Ich mache mir Sorgen um meinen Hund.«

»Ach so?«

»Er wird mit einem neuen Besitzer nicht zurechtkommen. Ich habe ihn vier Jahre lang gehabt und selbst aufgezogen. Er ist sehr speziell … Ich will, dass er erschossen wird.«

»Das lässt sich machen.«

»Am liebsten würde ich es selbst tun, aber ich bin mit Waffen nicht vertraut. Darum möchte ich Sie bitten, dass ein Kollege von Ihnen das übernimmt, ehe wir den Hof verlassen.«

»Warum?«

»Ich will sehen, dass es ordentlich gemacht wird.«

Der andere zog irritiert die Augenbrauen zusammen und schien Einwände vorbringen zu wollen.

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»Ich habe hochbrisantes Material versteckt. Sie werden es allein nicht finden, es sei denn, Sie reißen das ganze Haus ab.

Aber zuerst will ich, dass der Hund erschossen wird.«

Der Weißhaarige vermied es, sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen, und rief seine Kollegen zu sich.

Sie beratschlagten sich flüsternd am anderen Ende des Raumes, worauf einer von ihnen, der mit den kurz geschorenen Haaren, hinausging.

Er zählte die Sekunden, und die anderen Polizisten, denen offenbar nicht wohl bei der Sache war, taten dasselbe. Nach ungefähr zwei Minuten war Cäsars drohendes Knurren zu hören, nach weiteren dreißig Sekunden fiel der Schuss. Er schloss die Augen und stieß erleichtert die Luft aus. Ein seltsamer Gedanke drängte sich ihm auf: Er selbst war gefangen, doch Cäsar war frei.

Die Polizisten standen um ihn herum und erwarteten Informationen. Sie hätten nicht so gutgläubig sein sollen …

»Tut mir Leid«, sagte er, »aber es gibt kein Versteck. Ich wollte nur sichergehen, dass der Hund auch wirklich erschossen wird, ehe wir von hier verschwinden.« Er sah den Weißhaarigen lächelnd an.

»Keine Sorge, im Prinzip bin ich zur Zusammenarbeit bereit, aber Sie haben mich ja schließlich auch ganz schön an der Nase herumgeführt. Ich glaube, jetzt sind wir quitt.«

Um kurz vor eins rollten sie die Allee hinunter. An der Abzweigung mussten sie stehen bleiben, um einen großen, silbergrauen Mercedes mit ausländischem Kennzeichen passieren zu lassen. Doch der Mercedes, der bereits blinkte, um auf die Allee einzuschwenken, schien zu zögern. Hinter den getönten Scheiben sahen sie vier ausdruckslose Gesichter. Dann beschleunigte der Mercedes plötzlich und fuhr stattdessen geradeaus weiter.

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Der Weißhaarige neben ihm notierte sich das Kennzeichen und fragte: »Kannten Sie die Leute?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein.«

Nach einigen Sekunden fügte er hinzu: »Und ich bin froh, sie auch nicht kennen gelernt zu haben.«

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38

Mittwoch, 24. Mai

Der plötzliche Wirbel machte Lady Pamela etwas nervös. Nicht weniger als vier Personen standen um ihren Pappkarton herum und bewunderten wortreich ihre Nachkommen. Sie schleckte hingebungsvoll ihre piepsenden Jungen und fauchte leise, wenn eine Hand ihnen zu nah kam.

Marika und Daniel waren gerade erst angekommen, aber da Lady Pamelas Niederkunft eine wichtige Familienangelegenheit war, hatten sich alle sogleich um ihren Karton geschart, um das Ergebnis zu bewundern.

Der Moment war so friedvoll, dass Katharina es sich verkniff, ihre Sorge über die sprunghafte Vergrößerung ihres Katzenbestands zu äußern. Marika, die in der Metropole Kalmar ein aufreibendes Gymnasiastenleben führte, war in dieser Hinsicht weniger taktvoll:

»Wie still und ruhig ihr es hier habt. Nur Lady Pamela bringt ab und zu ein paar Junge zur Welt, sonst passiert gar nichts.«

Als ihr Vater angesichts dieser Aussage in schallendes Gelächter ausbrach, warf ihm Katharina einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Du erschreckst die Katzen«, sagte sie. Dann wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Was passiert in Kalmar denn alles?«

»Na … alles Mögliche eben … in einer Tour … man hat nicht eine ruhige Minute«, antwortete Marika mit erschöpftem Gesichtsausdruck.

»Davon musst du mir mehr erzählen«, sagte Katharina, »aber jetzt setzen wir uns erst mal zu Tisch, das Essen ist fertig.«

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Während sie aßen, erhielten Katharina und PM einen anschaulichen Querschnitt aus dem Alltag ihrer Tochter und deren Freundes, der harte Arbeit und leuchtende Zukunftspläne ebenso umfasste wie stupide Vorschriften, dämliche Lehrer und ein spannendes Nachtleben, dessen Verlockungen in einem bedauerlichen Missverhältnis zu ihren finanziellen Möglichkeiten stand. Schließlich kamen sie auf ihre Ferienpläne zu sprechen. Im Sommer wollten Marika und Daniel per Interrail durch Europa fahren und sich in Rom verloben. Die frisch informierten Eltern waren höflich genug, ihre zwiespältigen Gefühle angesichts dieser Nachricht zu unterdrücken. Während des Desserts fragte Marika ihren Vater:

»Ist hier irgendwas Erwähnenswertes passiert, seit ich das letzte Mal da war?«

PM schien angestrengt nachzudenken.

»Nein, äh, eigentlich nicht … abgesehen von der Tatsache, dass deine Mutter vorgestern fast von einem Hund verspeist worden wäre, als sie mit dem geistesgestörten Bauern auf Knigarp sprach, der in Wahrheit gar kein Bauer, sondern eine Art Mafiaboss ist. Er selbst hatte sich für einen ehemaligen Polizeispion ausgegeben, während er den echten Spion ermorden ließ …«

Katharina verdrehte die Augen und stieß einen demonstrativen Seufzer aus, doch ihr Mann ließ sich nicht aufhalten.

»Und vor ein paar Wochen hätte sie fast diesen hübschen Schweizer, du weißt schon, für den ihr beide eine Schwäche hattet, ins Jenseits befördert. Sie hat ihm das Nasenbein gebrochen, aber um den Kerl ist’s nicht schade, der ist nämlich auch ein Ganove …«

Marika warf Daniel einen verstohlenen Blick zu, als fürchte sie, die bizarren Einfälle ihres Vaters könnten ihn allzu sehr verunsichern.

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»Was erzählst du denn da für einen Blödsinn?«, fragte sie.

»Hast du das etwa geträumt?«

»Frag deine Mutter.«

»Er hat das nicht geträumt«, bestätigte Katharina, »nur über seine eigene ruhmreiche Rolle hat er natürlich kein Wort verloren. Er wurde nämlich zweier Morde verdächtigt und vorübergehend festgenommen.«

»Stimmt«, sagte PM, »aber zur allgemeinen Verwunderung hat sich meine Unschuld erwiesen, ihr braucht also nicht so erschrocken zu gucken.«

Marika schaute ihre Eltern entgeistert an und fand ihr Verhalten mehr als peinlich. Daniel verzog keine Miene.

»Also wenn das ein Scherz sein soll, dann ist er euch gründlich misslungen«, sagte Marika beleidigt.

Katharina schüttelte lächelnd den Kopf. »Wir fanden die Ereignisse auch nicht besonders komisch. Patrik hat übrigens die ganze Zeit geahnt, wie die Dinge zusammenhängen. Er hat ein Bild gemalt, das …«

»Also eigentlich habe ich als Maler andere Ambitionen, als mich dem Seelenleben meiner Nachbarn zu widmen. Die Idee zu dem Bild hatte ich schon vor langer Zeit …«

»Was für ein Bild?«, fragte Marika verwirrt.

»Also, am besten erzählen wir euch die Geschichte von Anfang an«, sagte Katharina. »Seid ihr bereit?«

Marika und Daniel schauten sich zweifelnd an, ehe sie synchron mit dem Kopf nickten.

Katharina fuhr fort: »Alles begann damit, dass Nisse eine Leiche …«

»Nein«, unterbrach sie PM. »Alles begann damit, dass ich im Bett lag und schlief und plötzlich jemand gegen die Tür hämmerte …«

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Epilog

Auszug aus dem abschließenden Polizeibericht Harald Mårtensson wurde 1948 in Stockholm als Sohn armer, aber rechtschaffener Leute, wie er sich ausdrückte, geboren.

Nach dem Abitur begann er Jura an der Stockholmer Universität zu studieren, wechselte aber schon nach einem Jahr an die Wirtschaftshochschule. Nach drei Semestern brach er sein Studium ab, um eine eigene Geschäftstätigkeit aufzunehmen.

Durch geschickte Aktienspekulationen gelang es ihm im Laufe weniger Jahre, ein beträchtliches Vermögen aufzubauen.

Nach seiner Heirat im Jahr 1975 zog er in das Haus seiner Frau in Djursholm. Sein geschäftlicher Erfolg setzte sich fort, und so gründete er 1983 zusammen mit Eskil Krohn die Immobiliengesellschaft Mårtensson & Krohn. Als der Immobilienmarkt von einer schweren Krise erschüttert wurde, fehlten ihm die liquiden Mittel, die erforderlich gewesen wären, um handlungsfähig zu bleiben. Sein gesamtes Vermögen war durch Immobilien gebunden, die unrentabel und nahezu unverkäuflich geworden waren. Vor dem unweigerlichen Zusammenbruch hob er sämtliches Bargeld ab, das ihm noch zur Verfügung stand, und setzte sich ins Ausland ab. Dort konnte er seine Geschäftstätigkeit zumindest in solchem Umfang wieder aufnehmen, dass es ihm gelang, seine Kosten zu decken. Ein Geschäftsfreund vermittelte ihm einen anonymen Auftrag zu Provisionsbedingungen. Da er den Auftrag zur größten Zufriedenheit seiner Auftraggeber erledigte, folgten weitere.

Nach einer Weile wurde er mit seinem Auftraggeber zusammengeführt, der ihm eine feste Stelle innerhalb einer 480

großen Organisation anbot, die verschiedene Geschäftszweige umfasste. Obwohl Mårtensson ahnte, dass die Geschäfte teils illegal waren, ließ er sich von den Gewinnaussichten verlocken, zumal ihm die Risiken unbedeutend erschienen. Zur Tarnung hatte er sich unmittelbar nach seiner Flucht eine andere Frisur und eine andere Haarfarbe zugelegt. Nun unterzog er sich einem plastischen Eingriff, der sein Aussehen völlig veränderte.

Danach erhielt er einen neuen, zu seiner Überraschung schwedischen Pass, der auf den Namen Per Carlström ausgestellt war. Sein neuer Auftrag bestand darin, die Tätigkeit der Organisation in Schweden auszuweiten und zu kontrollieren.

Zunächst sollte er sich um den Großraum Stockholm kümmern, für den bislang Peter Enqvist verantwortlich gewesen war, doch Enqvist wollte nur noch für Bereiche tätig sein, in denen er als Experte betrachtet werden durfte. Er stellte Mårtensson-Carlström eine kleine, zentral gelegene Wohnung in Stockholm zur Verfügung und weihte ihn in die laufenden Geschäfte ein.

Mårtenssons Arbeitsbeschreibung war sehr allgemein gehalten und ließ im Grunde alle gewinnträchtigen Tätigkeiten zu, ob legal oder nicht. Einzige Bedingung war, dass die Nettoerlöse auf lange Sicht stiegen.

Zu seinen ersten Aufgaben gehörte es, dem Schweizer Marco Fermi eine Anstellung als Fernfahrer bei einer Spedition zu besorgen. Er bekam eine Liste in Frage kommender Firmen und war rasch erfolgreich. Fermi sollte seine Berichte an das Hauptquartier weiterleiten und ihm neue Arbeitsaufträge übermitteln. Auch den Schmuggel von Waren über die schwedische Grenze sollte er organisieren. Ferner nimmt Mårtensson an, dass Fermi eingesetzt worden war, um ihn zu kontrollieren.

Unter dem Namen Carlström war er vier Jahre lang in Stockholm tätig. Während dieser Zeit wurde das Betätigungsfeld 481

der Organisation, des so genannten Kreises, stark ausgeweitet und umfasste schließlich zirka zehn Geschäftszweige: Verwaltung weitgehend eigener Immobilien mit den Unterabteilungen Wohnungsverkauf und Prostitution.

Erpressung von Schutzgeld von Unternehmern, die man zuvor unter Druck gesetzt hatte. Sie bezahlten entweder direkt für ihre Leibwächter oder führten einen bestimmten Teil ihres Gewinns an den Kreis ab. Vermietung der Leibwächter für Spezialaufträge. Die Leibwächter sorgten persönlich dafür, die Verluste in den Bereichen Kreditvergabe und Glücksspiel zu minimieren. Valuta- und Aktienspekulationen, Aufbau verschiedener Handelsvertretungen, die bei Gelegenheit mit Gewinn wieder abgestoßen wurden. Import und Export von Drogen und Dopingpräparaten. Hehlerei. Handel mit gefälschten Kunstgegenständen und Antiquitäten.

Mårtenssons kriminelle Karriere verlief ohne Zwischenfälle, bis ihm eines Abends im Jahr 1994 in einem Theaterfoyer sein früherer Kompagnon Eskil Krohn die Hand auf die Schulter legte, weil er ihn von hinten erkannt hatte. Als Mårtensson sich umdrehte, betrachtete Krohn verwirrt das ihm unbekannte Gesicht und entschuldigte sich für die Verwechslung. Kurze Zeit später kursierten dennoch Gerüchte, Harald Mårtensson sei in Stockholm gesehen worden. Entweder hatte Krohn sie in Umlauf gebracht, oder andere Personen hatten ihn von hinten erkannt. Er erstattete dem Hauptquartier Bericht und bat um Versetzung, erhielt jedoch die Order, sich vorerst ruhig zu verhalten und abzuwarten, bis man eine neue Identität für ihn organisiert hätte.

Zu seinen Arbeitsaufgaben in Stockholm gehörte auch die Weiterleitung von Berichten, die er von Hans Sjöström, dem früheren Mitarbeiter des Reichspolizeiamtes, erhielt. Die Berichte bezogen sich auf einen verdeckten Ermittler, der von Interpol in den Kreis eingeschleust worden war. Der Maulwurf war also enttarnt, doch zog man es zunächst vor, ihn zur 482

gezielten Desinformation zu benutzen, anstatt ihn unschädlich zu machen. Als die Leitung des Kreises beschloss, sich den Maulwurf vom Hals zu schaffen, gab man diesem das Gefühl, er müsse fliehen, um nicht enttarnt zu werden. Der Kreis rechnete damit, dass die schwedische Polizei dem Mann zu dessen Schutz einen sicheren Zufluchtsort und eine neue Identität verschaffen würde. Von dieser neuen Identität sollte Carlström profitieren, indem er gegen ihn ausgetauscht wurde. Durch Sjöströms Bericht war der Kreis detailliert über die Geheimoperation der schwedischen Polizei informiert und wusste, dass der ehemalige verdeckte Ermittler unter dem Namen Bengt Nygren am Abend des dreißigsten September auf Hof Knigarp, seinem Zufluchtsort, eintreffen würde.

Gemäß seiner Order bezog Carlström zusammen mit einem professionellen Killer am Vorabend seinen Posten auf dem einsamen Hof. Ihr Auto stellten sie an einem kleinen Waldweg in der Nähe des Hofes ab. Es wurde von dem »Spezialisten«

wieder mitgenommen, nachdem dieser seinen Auftrag ausgeführt hatte. Carlström war jetzt Bengt Nygren.

Marco Fermi kam wenige Tage später mit einem Lieferwagen nach Knigarp und brachte neben erforderlichen Unterlagen auch Carlströms Hund Cäsar mit.

Seit mehreren Jahren hatte Carlström ein zweites Handy, das offiziell einem Frührentner aus Göteborg gehörte, der für das rechtzeitige Bezahlen der Rechnungen großzügig entlohnt wurde. Das Handy diente der Kommunikation mit seinen Vorgesetzten und Untergebenen. (Nach demselben Muster kommunizieren die meisten Mitglieder des Kreises.) Seine Anweisungen erhielt er durch codierte Postkarten, auf denen die Telefonnummern genannt waren, die er anrufen sollte. Diese Methode wurde angewandt, wenn er Bericht erstatten oder umfassende Instruktionen erhalten sollte.

Mitte November erhielt er die Order, pro forma in der Zeitung zu inserieren, dass er einen Vorarbeiter suche. Anstellen sollte er 483

Marco Fermi, der ihm als Kontaktperson dienen und ihn unterstützen sollte. Fermi zog Anfang Januar mit seiner Frau in eine Dienstwohnung auf Knigarp ein.

Nachdem Nils Hallman Nygrens Leiche entdeckt hatte, musste Carlström Anzeige erstatten. Eine Woche später erfuhr er während einer Polizeibefragung von einem Brief, der auf die Möglichkeit hindeutete, bei der Leiche könne es sich um Axel Hemberg handeln. Er hörte auch, dass Marianne Wester in Stockholm ermordet worden war. Carlström vermutete, der Brief diene der Absicht, seinem Nachbarn Patrik Andersson beide Morde in die Schuhe zu schieben; eine Absicht, die er als unüberlegt und riskant einstufte. Statt einer unbekannten Leiche gab es jetzt zwei namentlich bekannte Opfer, die zumindest lose mit dem Kreis in Verbindung standen. Die Chance, dass der Leichenfund in der Jauchegrube rasch in Vergessenheit geraten würde, war damit gesunken. Gestiegen war stattdessen die Wahrscheinlichkeit, dass die wahren Umstände ans Licht kamen. Als Drahtzieher dieser Intrige kam für ihn nur Marco Fermi in Betracht. Er vermutete, dass Fermi ihn damit bei der Leitung diskreditieren wollte, um selbst daraus Vorteil zu schlagen. Er beschloss, sich Fermi vom Hals zu schaffen. Dann wurde der Eber getötet. Carlström deutete das als Signal, alle Aktivitäten einzustellen, bis er neue Befehle erhalten würde.

Doch konnte er nicht sicher sein, ob die Tötung des Ebers ein weiterer Schachzug in Fermis Intrige oder von einem Kurier des Kreises ausgeführt worden war. Er teilte Fermi mit, er habe aufgrund des entstandenen Wirbels die Order erhalten, die laufenden Aufträge rasch abzuwickeln und sich vorerst aus dem Geschäft zurückzuziehen.

Da zur Abwicklung laufender Aufträge auch Drogengeschäfte gehörten, wies er Fermi am achten Mai an, ein halbes Kilo Kokain in Halmstad abzuholen und einer »neuen Kontaktperson« in Mjölby zu übergeben. Die Ware sollte um 20

Uhr an eine bestimmte Adresse geliefert werden. Nachdem 484

Fermi sich in Halmstad auf den Weg gemacht hatte, wählte Carlström die 90000 und gab der Polizei einen anonymen Tipp.

Die Adresse des Empfängers, eines pensionierten Arztes, hatte er zufällig aus dem Telefonbuch ausgewählt, da er zu dieser Zeit immer noch glaubte, seine Position in der Organisation aufrechterhalten zu können. Daher wollte er niemanden in die Sache hineinziehen, der wirklich etwas mit dem Drogenhandel zu tun hatte.

Nachdem Fermi mit den relevanten Aussagen von Mårtensson-Carlström-Nygren konfrontiert worden war, erklärte er sich bereit, über seine Beziehung zu diesem auszusagen. Es entspreche der Wahrheit, dass er als sein Kontaktmann und persönlicher Assistent dienen sollte. Außerdem war er dazu verpflichtet, Nygren zu überwachen und Berichte über sein Verhalten zu verfassen. Er hatte außerdem die Aufgabe, Nygren auszuschalten, falls dies erforderlich werden sollte. Das Verhältnis zwischen ihnen war gut, bis sie beide zu dem Brief, der angeblich von Marianne Wester stammte, verhört wurden.

Da auch Fermi wusste, dass es sich bei der Leiche nicht um Axel Hemberg handeln konnte, vermutete er, Nygren wolle die Polizei in die Irre führen. Er empfand diesen Versuch als so dilettantisch, dass er daraus schloss, Nygren habe den Verstand verloren und sei ein Sicherheitsrisiko geworden. Außerdem war er über den sinnlosen Mord an Marianne Wester entsetzt, die er zu seiner Stockholmer Zeit gut gekannt hatte. Um Nygren zu stoppen, ehe dieser noch größeres Unheil anrichten konnte, schnitt er dem Eber die Kehle durch.

Er bestätigte, dass Nygren ihn angewiesen habe, das Kokain in Mjölby abzuliefern.

Was seine übrigen Tätigkeiten sowie den Aufbau der Organisation betrifft, ist Fermi nach wie vor zu keiner Aussage bereit.

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