Sozialpolitik

Für die Nachwelt muß festgehalten werden, daß der Stadtverwaltung von Tel Afib die Palme gebührt. Sie war die erste Behörde des Landes, der es gelang, die finanziellen Belastungen der ärmeren Teile der Bevölkerung auf revolutionärem Wege zu erleichtern.

»Meine Herren«, sprach der Bürgermeister zum versammelten Gemeinderat, »ich finde, der Zeitpunkt ist gekommen, irgend etwas höchst Soziales zu unternehmen. Es ist mir nämlich zu Ohren gekommen, daß die begriffsstutzigen Bewohner unserer geliebten Stadt uns die 26 verschiedenen Gemeindesteuern übelnehmen. Ich beantrage daher eine demonstrative sozialpolitische Gegenmaßnahme, wie zum Beispiel die Abgabe einer Gratisbanane an jedes Kind, das noch nicht das achte Lebensjahr überschritten hat.«

Der Vorschlag wurde mit allgemeinem Applaus angenommen. Die Gemeinderäte umarmten einander und drückten anhaltend des Bürgermeisters Hand. Aus einer entsprechenden Rundfrage ging nämlich hervor, daß jedes Elternhaus mindestens fünfzig Shekel monatlich allein für Bananen ausgab.

Die Stadtverwaltung ging sofort daran, den Entschluß in die Tat umzusetzen. Bereits nach sechs Monaten hatte eine Volkszählung sämtliche Kinder unter acht Jahren erfaßt. Ganz Tel Afib war überzeugt davon, daß das Unternehmen »Sozialbanane« als revolutionäre Idee in Sachen Kinderfürsorge in die Geschichte des Nahen Ostens eingehen würde. Die Vorbereitungen standen kurz vor dem Abschluß, als plötzlich jemand einen Punkt zur Sprache brachte, der im Trubel der allgemeinen Begeisterung irgendwie übersehen worden war. Nämlich: woher sollte das Geld für diese bedeutende soziale Aktion kommen? Der Gemeinderat trat umgehend zur üblichen Notstandssitzung zusammen. Große Worte wurden gesprochen, aber letzten Endes waren sich alle einig, daß die Gratisbananen aus propagandistischen Gründen nicht mehr vom Tisch gewischt werden konnten. Schließlich ging es um das Prestige der gesamten Stadtverwaltung. Der finanzielle Aspekt, so einigten sich die Stadträte, war »in engster Zusammenarbeit mit der Bevölkerung zu lösen«.

Gleich am darauffolgenden Morgen wurde eine große Bananenlotterie ins Leben gerufen. Jedes Los kostete fünfzig Shekel. Die Aktion erwies sich jedoch als nicht kostendeckend, da man vergaß, eventuelle Lottogewinne ins Kalkül zu ziehen. Man wandte sich daher direkt an die unverschämten Nutznießer der Aktion, nämlich an die Eltern der bananensüchtigen Kinder.

Der Plan war ganz einfach. Jedes Familienoberhaupt sollte laut Gesetz pro Monat ein Gratis-Bananen-Zertifikat zum Preis von 75 Shekel erwerben, das dem zugehörigen Kind das Recht auf seine tägliche Gratisbanane gab. Unglückseligerweise erwiesen sich die angesprochenen Eltern als kurzsichtige Querulanten. Sie teilten der Stadtverwaltung kategorisch mit, sie könne sich ihre stinkenden Bananen an den Hut stecken.

Den Stadtvätern blieb nichts anderes übrig, als per Sozialgesetz zu erlassen, daß die Entgegennahme der täglichen Gratisbanane ab sofort obligatorisch wäre. Schließlich handelte es sich um nichts Geringeres als um die Gesundheit der lieben Kinder, ja, die Zukunft unseres Landes.

Alles Weitere ist bekannt. Sowohl die Bananenlotterie als auch das Gratis-Bananen-Zertifikat wurden einfachheitshalber in eine allgemeine städtische Bananenbuße in der Höhe von rund 100 Shekel monatlich umgewandelt. Damit wurde automatisch die 27. Gemeindesteuer geschaffen, wobei Zuwiderhandelnde mit Beschlagnahme ihres Eigentums, in besonders drastischen Fällen auch mit hohen Gefängnisstrafen zu rechnen hatten.

Die Kriminalpolizei stand in Alarmbereitschaft. Die ersten Verhaftungen wurden bereits vorgenommen.

Die Aktion läuft.

Leider ist der Bürgermeister, der Initiator des Bananenprojektes, auf dem Höhepunkt der Krise auf einer Bananenschale ausgerutscht und hat sich das Bein gebrochen. Man munkelt, es sei die Rache einiger extremer Bananen gewesen.

Sozialpolitik fordert nun mal ihre Opfer.

Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
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